Das Gedächtnis der Sinne - Zukunftswerkstatt therapie kreativ
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Wenn Worte alleine nicht reichen …<br />
Angst? Und vor allem: kriegst du eine Wut, wenn jemand so dumm daherschwätzt wie du<br />
gerade?’<br />
‚Nein, das nicht.’<br />
‚Dann hast du nicht Alzheimer’, sagte ich und hängte auf. Ich wurde hasserfüllt und<br />
wi<strong>der</strong>wärtig. <strong>Das</strong> ist überhaupt nicht meine Art, und ich verachte mich deswegen selbst, aber<br />
ich kann nicht verstehen, warum Leute so daherreden können. Ich muss mich besser<br />
zusammenreißen.“ (Rose 1997, S.79f)<br />
Die <strong>Gedächtnis</strong>störungen sind von vielen intensiven Gefühlen und Desorientierung begleitet.<br />
Sie führen zu sozialem Rückzug und bei vielen Erkrankten zu Einsamkeit.<br />
Die allmählichen <strong>Gedächtnis</strong>einschränkungen sind nur ein Aspekt. Wer mit demenzkranken<br />
Menschen zu tun hat, wird noch von einer an<strong>der</strong>en Erfahrung berichten können, nämlich<br />
dass die Erkrankten scheinbar „plötzlich“ über Fähigkeiten des <strong>Gedächtnis</strong>ses verfügen, die<br />
schon längst verloren schienen.<br />
Als ich Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre in einem Altenheim am Nie<strong>der</strong>rhein zusammen mit meiner<br />
Frau eine <strong>kreativ</strong>-therapeutische Gruppe mit an Demenz erkrankten Menschen leitete,<br />
befand sich unter den Teilnehmenden eine Frau Mitte 70, <strong>der</strong>en demenzielle Erkrankung<br />
fortgeschritten war. Sie sprach allenfalls zwei, drei Worte am Tag, reagierte sehr selten,<br />
wenn sie angesprochen wurde, war desorientiert, kannte we<strong>der</strong> ihren Namen noch den<br />
an<strong>der</strong>er. Ihr Körper wirkte verworren. Wie ein Knäuel lagen Arme und Beine über- und<br />
umeinan<strong>der</strong> und sie versuchte immer wie<strong>der</strong>, sie zu entwirren.<br />
Ich legte eine Tangomusik auf, ging auf sie zu und setzte mich vor sie. Meine Hände griffen<br />
nach ihren Händen. Ich beabsichtigte, mit ihr sitzend den Tango zu tanzen, indem ich ihre<br />
Hände bewegte, hoffend, dass sie mit ihren Händen sich daran beteiligen könne. Sie<br />
schaute mich an, als sie die ersten Takte des Tangos hörte. Dann stand sie in einer<br />
fließenden Bewegung auf, ergriff mich und schob mit mir einen Tango durch den Raum – mit<br />
mir, <strong>der</strong> ich nie die Tango-Schrittfolgen behalten konnte. Sie tanze mit mir, bis die Musik<br />
verklang. Dann verbeugte sie sich vor mir und sagte: „Ich danke Ihnen, junger Mann.“<br />
Anschließend setzte sie sich und lächelte vor sich hin.<br />
Ich blieb verdutzt mitten im Raum stehen. Eine solche Erfahrung wi<strong>der</strong>sprach allem, was ich<br />
bis dahin gelernt hatte. Also versuchte ich, von dieser Frau zu lernen, und nicht nur von ihr,<br />
son<strong>der</strong>n auch von vielen an<strong>der</strong>en an Demenz erkrankten älteren Männern und Frauen. Ich<br />
lernte, dass es Möglichkeiten des Zugangs zu Menschen gibt, von denen es heißt: „An die<br />
kommt man nicht mehr heran.“ Ich lernte, dass es offenbar jenseits des <strong>Gedächtnis</strong>ses <strong>der</strong><br />
Zahlen und Namen ein an<strong>der</strong>es <strong>Gedächtnis</strong> gibt, so dass über die Tango-Klänge<br />
Ressourcen <strong>der</strong> Beweglichkeit und des Kontaktes mobilisiert werden können.<br />
Newsletter exlusiv 4/2010, Copyright <strong>Zukunftswerkstatt</strong> <strong>therapie</strong> <strong>kreativ</strong>, Dr. Udo Baer<br />
<strong>Zukunftswerkstatt</strong> <strong>therapie</strong> <strong>kreativ</strong>, Bal<strong>der</strong>bruchweg 35, 47506 Neukirchen-Vluyn<br />
www.zukunftswerkstatt-tk.de<br />
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