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Segregation(sforschung) – quo vadis? - VHW

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Stadtentwicklung<br />

<strong>Segregation</strong><strong>sforschung</strong> <strong>–</strong> <strong>quo</strong> <strong>vadis</strong>?<br />

unter sehr spezifi schen Bedingungen einen integrationshemmenden<br />

Einfl uss. 1 Erst wenn<br />

❏ eine statusniedrige soziale Lage (keinen oder einen niedrigen<br />

Bildungsabschluss, mangelnde Kenntnis der Landessprache,<br />

Arbeitslosigkeit, niedriges und unregelmäßiges Einkommen)<br />

❏ mit einem fremden ethnischen Status (fremde Kultur, andere<br />

religiöse Praktiken, andere Rollen und soziale Umgangsformen)<br />

❏ in einem zusätzlich benachteiligenden Wohngebiet (schlechte<br />

Wohnungsausstattung, fehlende oder schlechte Infrastruktur<br />

<strong>–</strong> insbesondere Sozialisationsinstanzen wie Kindergärten,<br />

Schulen, Volkshoch- und Elternschulen, Bibliotheken <strong>–</strong>,<br />

schlechte Erreichbarkeit, hohe Immissionen, schlechtes Image<br />

etc.) zusammentreffen,<br />

wirken sich solche Gebiete als „Sackgasse“ und damit als „Falle“<br />

aus (vgl. Dangschat 2008).<br />

Ob eine räumliche Konzentration sozialer Gruppen in diesem<br />

Sinne „problematisch“ ist, lässt sich aus Anteilswerten beispielsweise<br />

der Menschen mit Migrationshintergrund allein<br />

nicht ablesen. Die wissenschaftlichen Versuche, die Effekte<br />

der Nachbarschaft auf (des)integratives Verhalten zu ermitteln,<br />

kommen eher zu ernüchternden Ergebnissen: Die negativen<br />

Einfl üsse sind sehr gering, wenn sie sich überhaupt nachweisen<br />

lassen; mehr noch, Atkinson & Kintrea (2004) kommen nach<br />

einer Analyse unterschiedlicher Studien im angelsächsischen<br />

Sprachraum zu dem Schluss, dass die Tatsache, ob (negativ<br />

wirkende) Nachbarschaftseffekte ermittelt werden können, von<br />

den theoretischen Annahmen, den vorhandenen Daten und den<br />

gewählten Methoden abhängen (vgl. zu weiteren Beispielen aus<br />

Deutschland den Beitrag von Häußermann in diesem Heft). Es<br />

kommt daher weniger auf die strukturelle Zusammensetzung<br />

von Bewohnern an (Kompositionseffekt), sondern vor allem darauf,<br />

wie die unterschiedlichen Gruppen vor Ort agieren, wie sie<br />

sich wechselseitig anerkennen, ob sie das Gefühl haben, in den<br />

wesentlichen Bereichen des Alltags integriert zu sein etc.<br />

Damit ist eindeutig: Auf die traditionelle <strong>Segregation</strong><strong>sforschung</strong><br />

kann verzichtet werden, weil sie fragwürdige Ergebnisse liefert<br />

und keine Handlungsrelevanz hat. An der traditionellen <strong>Segregation</strong><strong>sforschung</strong>,<br />

die sich im Übrigen von den ursprünglichen<br />

Annahmen Parks deutlich entfernt hat, gibt es eine Reihe von<br />

Kritikpunkten:<br />

❏ der gemessene Indexwert ist eine Mittelwertaussage, die<br />

nichts über die Art der Abweichung einzelner Quartiere vom<br />

städtischen Durchschnitt aussagt,<br />

1 Spätestens an dieser Stelle müsste eine Aussage stehen, was mit „Integration“ in<br />

diesem Fall überhaupt gemeint ist. Ich denke, dass damit vor allem gemeint ist,<br />

dass die Gruppen sich in der Lage fühlen, in zivilen Parallelgesellschaften zu leben,<br />

sich zumindest vorübergehend einen gemeinsamen Ort teilen und sich in ihrem<br />

So-Sein gegenseitig weder erschrecken und verängstigen noch diskriminieren. Das<br />

ist sicherlich eine sehr reduzierte Sichtweise, erscheint mir aber hierfür dennoch<br />

ausreichend, da die sozial-räumlichen Phänomene der <strong>Segregation</strong> lediglich sichtbare<br />

Erscheinungsformen von (Des-)Integration in anderen Dimensionen sind, resp. die<br />

Ursachen und ‚driving forces‘ für (Des-)Integration auf der Makro-Ebene und daher<br />

eher außerhalb des Quartiers liegen.<br />

❏ die Werte sind stark abhängig von der Größe der Teilgebiete<br />

und der Größe der betrachteten sozialen Gruppe, was eine<br />

vergleichende <strong>Segregation</strong><strong>sforschung</strong> unsinnig macht,<br />

❏ die <strong>Segregation</strong>swerte werden häufi g mathematisch falsch<br />

(Wert ist eine Aussage für den Anteil der Gruppe A, die umziehen<br />

müsste …) und hochgradig normativ interpretiert (…<br />

damit eine Gleichverteilung erreicht wird),<br />

❏ im Mittelpunkt stehen die relativen Lagen der Wohnstandorte<br />

als Interpretation der sozialen Distanz sozialer Gruppen, was<br />

voraussetzt, dass der Wohnstandort die zentrale räumliche<br />

Integrations- und Distinktionseinheit ist; das wird in dem<br />

Maße fragwürdig, wie Informationen, soziale Netze und<br />

Aktionsräume nicht (mehr) an das Wohnquartier gebunden<br />

sind.<br />

❏ Schließlich nimmt diese Art von <strong>Segregation</strong><strong>sforschung</strong><br />

Erkenntnisse der Ungleichheit<strong>sforschung</strong> und Handlungstheorie<br />

nicht wahr: Erstere geht hinsichtlich der sozialen<br />

Positionierungen längst nicht mehr von einzelnen Merkmalen<br />

sozialer Ungleichheit aus (wie Schicht, Alter oder Geschlecht),<br />

sondern von Syndromen mehrerer Merkmalsausprägungen<br />

sozialer Ungleichheit. In der Handlungstheorie hat sich<br />

längst die Vorstellung von mehreren relevanten Ebenen<br />

durchgesetzt, die vermittelnd zwischen den Struktur- und<br />

Handlungsmerkmalen stehen (s. Abbildung 2). So haben<br />

Heitmeyer & Anhut (2000) deutlich herausgearbeitet, dass<br />

es bei der Auswirkung der Ausländeranteile auf die (Des-)<br />

Integration von anderen Ethnien auf die vermittelnden Faktoren<br />

des politischen und sozialen Klimas, der Intergruppen-<br />

Kontakte sowie der gegenseitigen Anerkennungsmuster in<br />

unterschiedlich gelagerten Konfl ikten ankommt.<br />

Der aus der Marktwirtschaft stammende Ansatz von Sinus<br />

Sociovision 2 (s. den Beitrag von Beck und Perry in diesem Heft)<br />

Abb. 1: <strong>Segregation</strong><strong>sforschung</strong> <strong>–</strong> <strong>quo</strong> <strong>vadis</strong>? (Quelle: www.fl ickr.com)<br />

2 Dieser Ansatz blendet jedoch sowohl die Ober- als auch die Unterschicht aus, gibt<br />

also nur einen Ausschnitt aus der gesellschaftlichen Realität wieder. Weiterhin wird<br />

bei der Milieu-Konstruktion der traditionelle und den Strukturmerkmalen zuzuordnende<br />

Schichtungsaspekt defi nitorisch einem bestimmten Abschnitt in der Werte-/<br />

Modernisierungsskala zugeordnet; eine Unabhängigkeit von sozialer Schicht und<br />

sozialem Milieu würde bedeuten, dass man den statistischen Zusammenhang und<br />

dessen Wandel <strong>–</strong> der an verschiedenen Teilen der Gesellschaft enger oder weiter sein<br />

resp. unterschiedlich dynamisch sein dürfte <strong>–</strong> ermitteln könnte. Schließlich stellt die<br />

Ermittlung der Milieustruktur ein lang erarbeitetes Betriebskapital des Unternehmens<br />

dar, entsprechend „undurchsichtig“ ist der Zugang für die Anwender in Wissenschaft<br />

und Praxis.<br />

vhw FW 3 / Juni <strong>–</strong> Juli 2008 127

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