Gehirn- und Trauma-Stiftung Jahresbericht 2009
Gehirn- und Trauma-Stiftung Jahresbericht 2009
Gehirn- und Trauma-Stiftung Jahresbericht 2009
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* <strong>Gehirn</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Trauma</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />
Graubünden | Schweiz<br />
Der lange Weg zurück<br />
Interview mit Daniel Albrecht<br />
Am 22. Januar <strong>2009</strong> geriet Daniel Albrecht im Abschlusstraining an der schnellsten<br />
Stelle des Hahnenkamms mit 140 km/h in Rücklage, flog r<strong>und</strong> 70 Meter<br />
durch die Luft <strong>und</strong> landete, sich rückwärts drehend, auf Kopf <strong>und</strong> Rücken. Albrecht<br />
blieb bewusstlos liegen <strong>und</strong> war nicht ansprechbar. Nach der Erstversorgung<br />
flog man ihn ins Spital von St. Johann, wo er kurz aufwachte <strong>und</strong><br />
danach in ein künstliches Koma versetzt wurde. Danach wurde Albrecht mit<br />
dem Helikopter von St. Johann für weitere medizinische Untersuchungen in die<br />
neurochirurgische Abteilung des Universitätsspitals Innsbruck überführt. Bei der<br />
Untersuchung wurden ein Schädel-Hirn-<strong>Trauma</strong>, eine <strong>Gehirn</strong>blutung <strong>und</strong> eine<br />
Lungenquetschung festgestellt, jedoch keine Frakturen.<br />
Die bewussten ersten Erinnerungen <strong>und</strong> Gedanken hatte Daniel erst wieder,<br />
als er in Bern im Inselspital lag. An den Sturz hatte er jedoch keine Erinnerun-<br />
Wir haben in verschiedenen Interviews gelesen,<br />
dass Du Dich nicht an den Unfall erinnern<br />
konntest. Wie ist das heute?<br />
Ich kann mich inzwischen sehr gut an die Einzelheiten<br />
erinnern. Allerdings bleiben bestimmte<br />
Phasen vor dem Unfall für das Bewusstsein unauffindbar.<br />
Es ist, wie wenn einzelne Seiten eines Albums<br />
herausgerissen wären.<br />
Wie geht's sprachlich vorwärts? Bemerkst du<br />
Unterschiede zu früher?<br />
Es wird immer besser. Aber es ist noch ein<br />
Schwachpunkt, manchmal fehlen mir Wörter. Ich<br />
muss mehr nach Worten suchen, die Sprache ist<br />
nicht so geläufig wie früher. Sprechen ist nicht<br />
mehr eine Selbstverständlichkeit, die automatisierten<br />
Prozesse sind manchmal ordentlich da,<br />
manchmal fehlen sie. Meine Sprache muss ich viel<br />
bewusster einsetzen.<br />
Wir finden, es braucht viel Mut <strong>und</strong> Kraft<br />
sich so zurück in den Alltag zu kämpfen so wie<br />
Du das machst.<br />
Im Endeffekt: Ich will zurück, weil ich mir im Moment<br />
nichts anderes als Skirennen zu fahren vorstellen<br />
kann. Es ist jedoch auch ein Weg, der mit<br />
viel Wollen, teilweise beschränktem Können, Versuchen,<br />
Scheitern, Analysieren, neuen Versuchen,<br />
kleinen <strong>und</strong> grösseren Erfolgen gepflastert ist. Insgesamt<br />
ist es ein Herantasten an alte Gewohnheiten<br />
<strong>und</strong> Routinen.<br />
Ich habe oft das Gefühl, ich könne nicht auf Gewohnheiten<br />
aufbauen, sondern müsse vieles neu<br />
lernen. Dabei kommt mir natürlich zugute, dass ich<br />
vor dem Unfall schon zu beissen gelernt hatte. Dies<br />
ist ein Gefühl der Zuversicht <strong>und</strong> des inneren<br />
Mutes, sich selbst anzustossen, auch dann, wenn<br />
es nicht optimal läuft <strong>und</strong> ich kurzfristig das Gefühl<br />
habe, alles sei sinn- <strong>und</strong> zwecklos.<br />
Der Weg ist sicher sehr abhängig von der Unterstützung,<br />
welche mir von vielen Seiten zukommt.<br />
Generell ist die Unterstützung durch die Familie<br />
sehr wichtig im Heilungsprozess.<br />
Du hast Dir ein klares Ziel gesetzt. Du willst<br />
zurück an die Spitze. Glaubst Du, dass dieses<br />
klare Ziel Dir den Weg erleichtert?<br />
Ich glaube schon, weil die Vorstellung einmal wieder<br />
Skirennen auf höchstem Niveau zu fahren, mir<br />
auch in schwierigen Momenten Kraft gibt <strong>und</strong> Mut<br />
macht. Es ist wie eine Vision, ein Licht ganz hinten<br />
im Tunnel. Ich sehe es täglich. Das Zusammensein<br />
gen mehr <strong>und</strong> auch nicht an die Zeit danach in Innsbruck. Er muss alles neu<br />
lernen. Sein Tempo dabei war weltmeisterlich. Er machte so gute Fortschritte,<br />
dass er das Spital in Bern schliesslich nach 98 Tagen wieder verlassen konnte.<br />
Er hatte in dieser Zeit auch wieder richtig sprechen <strong>und</strong> begreifen lernen müssen,<br />
dass er nicht alles richtig ausspricht. Sah er beispielsweise einen Schmetterling,<br />
wusste er zwar, was das war, das Wort dafür kannte er jedoch nicht<br />
mehr, Fleisch nannte er AUDI. Auch andere vorher vorhandene Fähigkeiten<br />
waren weg, das Reaktionsvermögen war geringer.<br />
Insgesamt verlief der Reintegrationsprozess von Daniel Albrecht bisher vorbildlich.<br />
Verhältnismäßig kurze Zeit nach dem schweren Unfall arbeitete er<br />
sich zurück in die schweizerische Nationalmannschaft. Die Hoffnung, Anfang<br />
der Skisaison <strong>2009</strong>/2010 gleich wieder an die Erfolge des letzten Winters anzuknüpfen,<br />
musste jedoch zunächst revidiert werden. Weltmeister <strong>und</strong> Olympiasieger<br />
Carlo Janka attestiert Daniel Albrecht dennoch hohe technische<br />
Fertigkeiten <strong>und</strong> Fähigkeiten, die Zeiten stimmen allerdings (noch) nicht. Der<br />
Weg ist lang, steinig <strong>und</strong> hart, doch Daniel Albrecht will sich zurückkämpfen.<br />
Damit wird er zum Symbolträger des Projektes »La Cumpogna.« Die Verantwortlichen<br />
des Projektes »La Cumpogna« haben mit Daniel Albrecht gesprochen:<br />
mit meinen Berufskollegen spornt mich an. Trotzdem<br />
muss ich auch realistisch bleiben. Ich hatte<br />
einen schweren Unfall, musste ganz unten wieder<br />
anfangen <strong>und</strong> muss darauf achten, mich nicht zu<br />
überfordern. Wenn ich mir zu viel Druck mache,<br />
geht es eindeutig schlechter.<br />
Wo hast Du die grössten Fortschritte im Alltag<br />
gemacht?<br />
Durch die Therapien habe ich sicher grosse Fortschritte<br />
in der Sprache <strong>und</strong> in den Bewegungsabläufen<br />
erreicht. Zusätzlich kommt es immer mehr<br />
auch zu Wiedererkennungseffekten. Trotzdem ist<br />
der Weg lang, Erreichtes scheint plötzlich weg zu<br />
sein. Schwierig sind sicher die Feinkoordination <strong>und</strong><br />
das Gefühl für Bewegungen. Diese Schwierigkeiten<br />
hat man aber auch nach einer Verletzung, wenn<br />
man längere Zeit keine Rennen mehr gefahren ist.<br />
Vieles von dem, was Dir früher selbstverständlich<br />
erschien, musst Du Dir neu aneignen.<br />
Was ist dabei für Dich schwierig?<br />
Ich bin in Vielem verunsichert, weil mir der Bezug<br />
zu mir <strong>und</strong> meiner Wahrnehmung fehlt. So muss<br />
ich mich immer wieder an den Anderen orientieren.<br />
Ich bin darauf angewiesen, die Anderen zu<br />
beobachten. An ihren Reaktionen, erkenne ich<br />
dann, ob ich etwas richtig gemacht habe.<br />
Daniel Albrecht, wir wünschen dir für deinen weiteren<br />
Weg hin zur Weltspitze alles Gute. Insbesondere<br />
danken wir dir für deinen Einsatz in eigener<br />
Sache. Damit wirst du zum Hoffnungsträger für<br />
Menschen mit Einschränkungen.<br />
<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2009</strong><br />
Breite <strong>und</strong> vielschichtige Öffentlichkeitsarbeit<br />
Hochklassige Gastreferenten, Workshops, Kongressbeiträge<br />
<strong>und</strong> Publikationen<br />
Vorträge<br />
Insgesamt fanden 2 Vorträge im neuen GKB-Auditorium statt (Jäncke <strong>und</strong><br />
Bauer), zusätzlich ein Vortrag in Domat /Ems, daneben mehrere Workshops,<br />
unter anderem einer in Lenzerheide im November mit Prof. Juri D. Kropotov.<br />
9. April <strong>2009</strong> in Domat/Ems:<br />
Martin Lemme: Präsenz als Haltung <strong>und</strong> Einstellung (siehe Text Seite 8)<br />
24. September 2010 in Chur:<br />
Lutz Jäncke: Musik macht schlau<br />
24. November 2010 in Chur, am Nachmittag:<br />
Joachim Bauer: Das kooperative Gen. Warum ich fühle was du fühlst.<br />
24. November 2010 in Chur, am Abend:<br />
Joachim Bauer: Kreative Strategien in der Biologie.<br />
Was können wir von der Evolution lernen?<br />
DVDs von den Vorträgen<br />
Von allen Vorträgen wurden DVD’s erstellt, welche von der<br />
GTSG zum Selbstkostenpreis von sFr 35,– abgegeben werden.<br />
Eine Mail an die <strong>Stiftung</strong>sadresse genügt!<br />
Workshops <strong>und</strong> Kurse<br />
Im Berichtsjahr <strong>2009</strong> haben Vertreter der GTSG im In- <strong>und</strong> Ausland Vorträge,<br />
Kurse <strong>und</strong> Einführungen zu verschiedenen neurobiologischen Themen gehalten:<br />
Andreas Müller: Quantitatives EEG <strong>und</strong> evozierte Potenziale,<br />
Einsteigerkurs, 6 Tage, Schoresch, Wetzikon, <strong>2009</strong><br />
Andreas Müller: Quantitatives EEG <strong>und</strong> evozierte Potenziale,<br />
Aufbaukurs, 6 Tage, Schoresch, Wetzikon, <strong>2009</strong><br />
Juri D. Kropotov, Andreas Müller: Quantitative EEG and evoked potentials,<br />
A new paradigm, 5 Tageskurs, Berg, Deutschland, <strong>2009</strong><br />
Juri D. Kropotov, Andreas Müller: Quantitative EEG and evoked potentials,<br />
A new paradigm, 5 Tageskurs, Lenzerheide, <strong>2009</strong><br />
Publikationen<br />
Die <strong>Gehirn</strong>- <strong>und</strong> <strong>Trauma</strong>stiftung hat folgende Publikationen veröffentlicht:<br />
Andreas Müller, Gian Candrian, Juri D. Kropotov, Valery A. Ponomarev,<br />
Gian-Marco Baschera:<br />
Classification of ADHD patients on the basis of independent ERP components<br />
using a machine learning system. Nonlinear Biomedical Physics 2010,<br />
4(Suppl 1):S1; http://www.nonlinearbiomedphys.com/content/4/S1/S1<br />
Andreas Müller:<br />
Arbeitsgedächtnis-Training – ein neuer Ansatz.<br />
Journal für Lehrerinnen- <strong>und</strong> Lehrerbildung 4/<strong>2009</strong><br />
Folgende Publikationen sind in Vorbereitung <strong>und</strong> werden 2011 erscheinen:<br />
Andreas Müller, Juri D. Kropotov, Gian Candrian:<br />
Neuro-Diagnostik bei ADHD<br />
Verständliches Sachbuch, erscheint 2011 bei Springer<br />
Juri D. Kropotov, Andreas Müller,<br />
Gian Candrian, Valery Ponomarev:<br />
Neurobiology of ADHD – A New Diagnostic Approach<br />
Based on Electrophysiological Endophenotypes,<br />
erscheint 2011 bei Springer<br />
Daneben wurden auf verschiedenen Kongressen <strong>und</strong> Veranstaltungen Vorträge<br />
zur Thematik gehalten:<br />
Andreas Müller, Gian Candrian: A systemic model of neuropsychotherapy,<br />
Workshop in Dubrovnik, Kroatien, April <strong>2009</strong><br />
Andreas Müller, Gian Candrian: Endophenotypes in adults with ADHD,<br />
ISNR – Indianapolis, USA, September <strong>2009</strong><br />
Andreas Müller: Panel session: Endophenotypes in practical work,<br />
ISNR – Indianapolis, USA, September <strong>2009</strong><br />
Andreas Müller, Gian Candrian: Poster session: Independent ERP components<br />
in classification of ADHD, Limassol, Zypern, November <strong>2009</strong><br />
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