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FOCUS - Nr. 51/13

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REPORT<br />

Berlin, 1,5 Grad,<br />

Schneeregen<br />

Bob Carey zeigt<br />

Haut und Humor<br />

vor dem Berliner<br />

Reichstag<br />

Fotos: Andreas Chudwoski für <strong>FOCUS</strong>-Magazin (2)<br />

Es muss jetzt schnell gehen,<br />

der Wind ist zu ungemütlich,<br />

um lange herumzustehen.<br />

Kalte Nässe<br />

kriecht durch die viel zu dünnen<br />

Stoffschuhe von Bob Carey, während<br />

er vor dem Reichstag sein<br />

Stativ aufstellt, die Kamera festschraubt.<br />

Für die wenigen Sonntagstouristen<br />

auf dem Platz ist<br />

der Amerikaner einer von ihnen:<br />

jemand, der sich ein Bild machen<br />

will von Deutschlands Parlament.<br />

Dann aber zieht Bob einen<br />

rosa Ballettrock aus dem Rucksack<br />

und schlüpft hinein. Streift<br />

das T-Shirt über den Kopf, zieht<br />

die Jeans aus. Nur pinkfarbene<br />

Shorts trägt er unter dem fluffigen<br />

Rock. Eine japanische Reisegruppe<br />

tuschelt befremdet. Barfuß<br />

eilt Bob durch den Schneematsch<br />

in Richtung Reichstag. In<br />

einer fließenden Bewegung nimmt<br />

der 52-Jährige die Pose einer<br />

Ballerina ein, Arme leicht abgespreizt.<br />

Der Selbstauslöser in<br />

seiner Hand lässt die Kamera<br />

klicken. Verzauberung liegt in<br />

der Luft, einige wenige Sekunden<br />

lang. Dann ist Berlin wieder<br />

wintergrau.<br />

Warum stellt sich ein untersetzter<br />

Mann mit nichts als rosa<br />

Tüll bekleidet in den öffentlichen<br />

Raum? Macht sich für ein Foto<br />

vor Publikum zum Narren? Geht<br />

es um Geld? Um Ruhm, um Aufmerksamkeit?<br />

Liebe ist die Antwort. Bob Careys<br />

Frau ist todkrank. Im rosafarbenen<br />

Tutu schenkt er ihr das<br />

Lachen zurück.<br />

Am 29. Dezember 2003 wird bei<br />

Linda Carey Brustkrebs diagnostiziert.<br />

Bob weiß, was das bedeutet.<br />

Seine Eltern starben beide an<br />

Krebs, zwei Schwager hat er an<br />

die Krankheit verloren. Während<br />

Lindas Klinikaufenthalt und ihrer<br />

vielen Behandlungen läuft der<br />

Werbefotograf ziellos durch New<br />

York. „Ich musste einfach raus“,<br />

sagt er schlicht.<br />

Im Rucksack hat Carey stets<br />

seine Kamera und dieses pinkfarbene<br />

Tutu, das seine Schwiegermutter<br />

ihm einmal für eine<br />

Fotoproduktion genäht hatte.<br />

Bob fotografiert sich im rosa<br />

Tüll im Shopping-Paradies<br />

Bloomingdale’s, im Central Park,<br />

inmitten der Menschenmassen<br />

des Times Square und im Schnee<br />

von Brooklyn. Sich auszuziehen<br />

kostet Überwindung, jedes<br />

Mal wieder. Manchmal wird Bob<br />

beschimpft, mitunter rufen Passanten<br />

die Polizei. Trotzdem kann<br />

er nicht aufhören. Wo auch immer<br />

Carey für seine Arbeit hinfährt,<br />

nimmt er das Tutu mit: Grand<br />

Canyon, San Francisco, Oregon.<br />

Stets schickt er Linda die Fotos<br />

aufs Handy. In der Hoffnung, sie<br />

wenigstens für einen winzigen<br />

Moment zum Lachen zu bringen.<br />

Bobs Bilder machen Linda glücklich.<br />

Sie wirken, selbst wenn sie<br />

sich erschöpft und geschunden<br />

fühlt von der Chemotherapie.<br />

Und Bob weiß, dass er vor keiner<br />

Lächerlichkeit zurückschrecken<br />

würde, um Linda immer wieder<br />

dieses Lächeln ins Gesicht zu<br />

zaubern.<br />

„Die Bilder haben damals den<br />

Humor in unser Leben zurückgeholt“,<br />

sagt Linda. Bob, der nach<br />

dem Foto-Shooting am Reichs-<br />

Verwandlung Erst zieht Bob das Tutu<br />

an – und dann alles andere aus<br />

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