âWas reinmischen, erfrieren lassen ... - Horch und Guck
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42 T ö d l i c h e s S y s t e m | „Was <strong>reinmischen</strong>, <strong>erfrieren</strong> <strong>lassen</strong>, Bremsleitungen manipulieren“<br />
Peter Grimm<br />
„Was <strong>reinmischen</strong>, <strong>erfrieren</strong> <strong>lassen</strong>,<br />
Bremsleitungen manipulieren“<br />
Mordpläne gegen Oppositionelle in den achtziger Jahren<br />
Im Dezember 1990 macht sich der frühere<br />
DDR-Oppositionelle Ralf Hirsch auf den<br />
Weg, um einen Mann zur Rede zu stellen,<br />
der einige Jahre zuvor an Planungen beteiligt<br />
war, wie man Hirsch möglichst unverdächtig<br />
umbringen könnte.<br />
Wenige Tage zuvor hatte er gelesen,<br />
wie sein Tod geplant war: Es sollte so aussehen,<br />
als sei er in einer Winternacht als<br />
Betrunkener erfroren. – Der Plan für einen<br />
perfekten Mord, bei dem kein Fremdverschulden<br />
erkennbar ist. Schließlich passiert<br />
es ja in strengen Wintern gelegentlich,<br />
dass Betrunkene im Freien einschlafen <strong>und</strong><br />
dann <strong>erfrieren</strong>.<br />
Es ist eine absurde Situation, als er zu<br />
Peter Kappis kommt, früher Stasi-Hauptmann<br />
in Ost-Berlin. Der Mann bittet ihn<br />
fre<strong>und</strong>lich in seine Wohnung, seine Frau<br />
serviert den Männern Bier, ganz so als<br />
könnte man jetzt entspannt über die Vergangenheit<br />
plaudern. Doch das Gespräch<br />
ist nach Hirschs Erinnerung alles andere<br />
als entspannt. Sein Gegenüber hat ihn<br />
als Operativer Vorgang (OV) „Blauvogel“<br />
jahrelang „bearbeitet“, die Existenz von<br />
Plänen, Hirsch umzubringen, leugnet er<br />
zunächst. Eigentlich kann er sich ja auch<br />
darauf ver<strong>lassen</strong>, dass von diesen Plänen<br />
nichts mehr in den Akten steht. Doch 1986<br />
wurde auch seine Abteilung – die XX/4 der<br />
Bezirksverwaltung Berlin – von den Genossen<br />
der Zentralen Informations- <strong>und</strong> Auswertungsgruppe<br />
(ZAIG) überprüft. In ihr<br />
Protokoll schreiben sie natürlich auch, was<br />
P e t e r G r i m m ,<br />
geb. l965, ist Journalist,<br />
Autor von Dokumentarfilmen<br />
<strong>und</strong> seit 2007 auch "<strong>Horch</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Guck</strong>"-Redakteur<br />
sie in Gesprächen von den befragten Offizieren<br />
erfahren haben.<br />
Und demnach sagte der stellvertretende<br />
Leiter der Abt. XX, Manfred Bronder: „Zum<br />
Beispiel hatten wir Gedankengänge, Hirsch<br />
[...] in einer strengen Winternacht Alkohol<br />
einzuflößen, dass er erfriert“.<br />
Diesen besonderen Plan zum perfekten<br />
Mord heckten die Genossen womöglich<br />
aus, weil andere, näher liegende Methoden<br />
bei Hirsch nicht funktionierten. „Weitere<br />
Vorstellungen an Zersetzungsmaßnahmen<br />
bestanden in Anbohren der Bremsleitung<br />
von Autos, in Paketen enthaltenen Flaschen<br />
was <strong>reinmischen</strong>.“ 1<br />
Ralf Hirsch hatte zu dieser Zeit weder<br />
Auto noch Führerschein. Die Methode<br />
„Anbohren von Bremsleitungen“ sollte bei<br />
Pfarrer Rainer Eppelmann zur Anwendung<br />
kommen.<br />
Aus dem Protokoll geht auch hervor,<br />
dass Ralf Hirsch mit Peter Kappis offenbar<br />
genau den richtigen Mann vor sich<br />
hatte. Die ZAIG nämlich schätzte ihn so<br />
ein: „Leistet sehr gute Arbeit, macht aber<br />
wilde Aktionen, Hasse <strong>und</strong> Kappis sind die<br />
geistigen Köpfe vieler Aktionen.“ 2 Hasse<br />
– das ist Major Edgar Hasse aus der gleichen<br />
Abteilung. Auch ihn will Hirsch im<br />
Dezember 1990 zur Rede stellen. Es ist eine<br />
Zeit, in der einstige Stasi-Offiziere noch<br />
nicht so selbstsicher um die Deutungshoheit<br />
über ihr Wirken kämpfen wie 18 Jahre<br />
später. Doch wirklich auskunftsfreudiger<br />
sind die meisten auch damals nicht. Als<br />
Hirsch seinen Gesprächspartner mit den<br />
Protokoll-Notizen über die Mordpläne<br />
konfrontiert, spielt der sie als rein theoretische<br />
Überlegungen herunter. Es sei ja<br />
schließlich nichts passiert <strong>und</strong> alle Beteiligten<br />
noch am Leben. Letzteres ist zweifelsfrei<br />
richtig. Haben die beteiligten Offiziere<br />
diese Überlegungen also gar nicht so ernst<br />
1 BStU, MfS, ZAIG 13748, Bl. 69.<br />
2 Ebd., Bl. 74.<br />
Ralf Hirsch, Stasi-Observierungsfoto<br />
gemeint? Dagegen spricht selbst in den<br />
dürren Protokollnotizen so manches.<br />
Zunächst, dass sich die Beteiligten<br />
vollkommen sicher zu sein scheinen, das<br />
Richtige zu tun. Sie verstanden ihre Vorgesetzten,<br />
auch bei ihren sehr weit gehenden<br />
Überlegungen so: „Wenn Zersetzungsmaßnahmen<br />
gelaufen sind, ist alles gut, aber<br />
wehe, wenn etwas schief geht.“ 3<br />
Davor, dass etwas schief gehen<br />
könnte, hatten die Mord-Planer dann<br />
aber offenbar doch Angst. Ein Auslöser<br />
fürs Umdenken war der Prozess gegen<br />
die Mörder des polnischen Priesters<br />
Jerzy Popiełuszko in Polen. Der bekannte<br />
oppositionelle Geistliche wurde 1984<br />
von Geheimdienstmitarbeitern entführt<br />
<strong>und</strong> ermordet. Doch, anstatt dass man<br />
einen Störenfried unauffällig beseitigt<br />
hätte, sorgte der Mord an dem populären<br />
Priester für zusätzliche Unruhe im Land.<br />
Das Regime wollte die Situation beruhigen<br />
<strong>und</strong> ließ die befehlsausführenden Mörder<br />
vor Gericht stellen. Das schockierte<br />
wahrscheinlich Geheimdienstmitarbeiter<br />
im gesamten Ostblock. Natürlich waren<br />
auch die Stasi-Genossen in Ost-Berlin tief<br />
verunsichert, wie Genosse Häbler 1986 zu<br />
Protokoll gab. Die Protokollanten hatten<br />
allerdings ihre Schwierigkeiten mit dem<br />
Schreiben polnischer Namen.<br />
3 Ebd., Bl. 70.
H o r c h u n d G u c k 1 / 2 0 0 8 | H e f t 5 9<br />
43<br />
28. August 1987 – das MfS observiert mit versteckter Kamera Mitglieder der „Initiative Frieden <strong>und</strong> Menschenrechte“ auf<br />
dem Berliner Alexanderplatz.<br />
„Im Zusammenhang mit dem Fall<br />
Popeluschko, wo es darum ging, durch<br />
Sicherheitsorgane nicht zu provozieren,<br />
nicht gegen Gesetze zu verstoßen – haben<br />
wir uns Gedanken gemacht, wir würden in<br />
einem solchen Fall allein dastehen, müßten<br />
dann alles verantworten – ich habe dann<br />
entschieden, alle Aufzeichnungen/Unterlagen<br />
zu vernichten, das Zeug musste weg.“ 4<br />
Das hört sich nicht danach an, als hätte<br />
es zuvor nur ein paar harmlose Gedankenspiele<br />
gegeben.<br />
In jenem Gespräch im Dezember 1990<br />
versucht Peter Kappis sogar, beim potentiellen<br />
Opfer Verständnis für die Mord-<br />
Gedanken zu wecken. Es ist für Ralf Hirsch<br />
in der Rückschau immer noch bizarr, wie<br />
ihm der Stasi-Offizier erklären will, warum<br />
es logisch sei, dass sie wegen der vielen<br />
Arbeit mit den Oppositionellen einfach<br />
auch an seine Ermordung denken mussten.<br />
Was bei dem, mit dessen Leben dabei<br />
gedanklich gespielt wurde, naturgemäß<br />
auf wenig Verständnis traf, das konnten<br />
die Genossen der ZAIG vier Jahre zuvor<br />
nachvollziehen. Sie sehen als einen Gr<strong>und</strong><br />
für die allzu eigenmächtigen Pläne: Kappis<br />
sei „mit operativen Aufgaben stark – sehr<br />
stark belastet.“ 5<br />
Gerade Eppelmann <strong>und</strong> Hirsch machten<br />
der Abteilung viel Arbeit, ohne dass<br />
man sie – aus Sicht ihrer Stasi-Bearbeiter –<br />
effektiv drangsalieren konnte. Sie waren<br />
zu bekannt, um sie ohne Aufsehen zu verhaften.<br />
Aufsehen erregende Maßnahmen<br />
waren aber von der SED-Führung zu dieser<br />
Zeit politisch nicht gewollt. Für Ruhe sollte<br />
die Stasi trotzdem sorgen. Was also konnte<br />
man mit Unruhestiftern wie Eppelmann<br />
<strong>und</strong> Hirsch tun? Beruflich waren sie nicht<br />
unter Druck zu setzen. Eppelmann als Pfar-<br />
rer nicht <strong>und</strong> Hirsch hatte diesbezüglich als<br />
Friedhofsgärtner nichts mehr zu verlieren.<br />
Es blieben Zersetzungsmaßnahmen. Und<br />
wie weit man dabei gehen kann, das legten<br />
die Eppelmann <strong>und</strong> Hirsch bearbeitenden<br />
Genossen in ihren Plänen zeitweise sehr<br />
großzügig aus.<br />
Der Hauptvorwurf, der im ZAIG-Protokoll<br />
in diesem Zusammenhang anklingt, ist<br />
denn auch nicht der Plan an sich, sondern<br />
die Eigenmächtigkeit, mit der Kappis <strong>und</strong><br />
Kollegen solche Überlegungen anstellten.<br />
Die Mordpläne entsprechen zwar der Logik<br />
der Stasi-Offiziere, sie zeigen aber auch<br />
eine große Unzufriedenheit. Davon erzählt<br />
Kappis 1990 im Gespräch mit Hirsch <strong>und</strong><br />
so steht es auch in den Akten.<br />
Während sie u.a. über die Möglichkeit<br />
zum perfekten Mord nachdenken,<br />
sind viele Mitarbeiter der Abteilung XX<br />
frustriert darüber, dass sie nicht nach<br />
Belieben gegen die anwachsende Opposition<br />
vorgehen dürfen. Die Mahnung der<br />
ZAIG zur „Beachtung der Verhältnismäßigkeit<br />
der Maßnahmen entsprechend der<br />
politisch-operativen Lage“ 6 ist nach dem<br />
protokollierten Unmut unter den eigenen<br />
Genossen folgerichtig. Über den stellvertretenden<br />
Leiter des Referats XX/4, Edgar<br />
Hasse, steht da: „war mit operativer Situation<br />
unzufrieden, da es kein Konzept gibt,<br />
wie man mit Problemen Bekämpfung PUT<br />
[PUT = politische Untergr<strong>und</strong>tätigkeit,<br />
Anm. d. Red.] zurechtkommt“. Und weiter:<br />
„ihm war unklar, wie weit man bei Zersetzungsmaßnahmen<br />
gehen kann, Leiter<br />
geben auf Vorschläge keine Unterschrift,<br />
es muss aber etwas gemacht werden.“ Entsprechend<br />
beschrieben wird auch seine<br />
Dienstauffassung: „Bestreben zur Erreichung<br />
einer nachhaltigen Disziplinierung<br />
Quelle: MfS/BStU/Robert-Havemann-Gesellschaft (3)<br />
reaktionärer kirchlicher Kräfte wird deutlich,<br />
Unverständnis zu Kompromissen mit<br />
der evangelischen Kirche.“ 7<br />
Im Dezember 1990 trifft sich Hirsch<br />
auch mit Edgar Hasse. Der mag einen<br />
solchen Besuch im Gegensatz zu Kappis<br />
nicht zu Hause empfangen. Man trifft sich<br />
in einem Café. Doch zu einem wirklichen<br />
Gespräch kommt es nicht. Hasse hatte<br />
zuvor schon mit Kappis telefoniert, zur<br />
Sache selbst mochte er nichts weiter sagen.<br />
Heute würde Hirsch ein solches<br />
Gespräch nicht mehr suchen. Eine Spur von<br />
Reue oder gar etwas wie eine Entschuldigung<br />
hatte es schon damals nicht gegeben.<br />
Heute ist das noch viel weniger zu erwarten.<br />
Informationen hinausgehend über das,<br />
was ohnehin in den Akten zu lesen war,<br />
gaben die Offiziere auch nicht preis.<br />
Im Dezember 1990 berichtete Der<br />
Spiegel über die ZAIG-Protokolle, doch<br />
die Mordpläne spielten in dem Artikel nur<br />
eine Nebenrolle. 8 Wichtiger war damals der<br />
ebenfalls in diesen Akten vorhandene Hinweis<br />
auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit des<br />
damaligen CDU-Vize Lothar de Maizière<br />
als IM „Czerny“. Doch die dürren Hinweise<br />
auf die Überlegungen, Eppelmann <strong>und</strong><br />
Hirsch umzubringen, sind einer der spärlichen<br />
schriftlichen Belege für Tötungs-<br />
Pläne auch wenige Jahre vor dem Ende der<br />
DDR.<br />
PG<br />
Ralf Hirsch auf der Friedenswerkstadt in Ost-Berlin<br />
4 Ebd., Bl. 69.<br />
5 Ebd., Bl. 74.<br />
6 Ebd., Bl. 68.<br />
7 Ebd., Bl. 75.<br />
8 „Ehrlich, treu, zuverlässig“ in Der Spiegel Nr. 50/44. Jahrgang,<br />
v. 10.12.1990, S. 30.