Zwei Städte – e<strong>in</strong> St<strong>an</strong>dort Die bremischen Häfen spielen im europäischen Wettbewerb <strong>in</strong> der ersten Liga. Weil sie sich die Arbeit teilen – und sich ihr Geschäft längst auch jenseits der eigenen Kaik<strong>an</strong>te gesucht haben. Text: Christi<strong>an</strong> Sywottek Foto: Anton<strong>in</strong>a Gern 41
Es ist e<strong>in</strong> Konzert, nur ohne Musik. Das Orchester aus Menschen und Masch<strong>in</strong>en spielt harmonisch zusammen, im Takt der Globalisierung. Die ist verpackt <strong>in</strong> stählernen Kisten, blau, gelb, rot, die durch die Luft schweben und krachend auf Asphalt oder Metall l<strong>an</strong><strong>den</strong>, während um ihre scharfen K<strong>an</strong>ten der W<strong>in</strong>d pfeift. Die Conta<strong>in</strong>er bergen die Wünsche der Menschen: Computer aus Fernost, Bretter aus Südamerika, Blumen aus Afrika. Und bedeuten doch Gefahr. „Wenn ich e<strong>in</strong> Schiff falsch belade“, sagt Hartmut M<strong>an</strong>gels, „d<strong>an</strong>n bekommt es Schlagseite oder verdreht sich entl<strong>an</strong>g der eigenen Achse. D<strong>an</strong>n breche ich es ruck, zuck <strong>in</strong> der Mitte durch.“ Conta<strong>in</strong>erumschlag ist Lego für Logistiker. Und hier auf <strong>den</strong> Term<strong>in</strong>als des Hafens <strong>in</strong> <strong>Bremerhaven</strong> wird das Spiel mit Erfahrung und Perfektion gespielt. An der Wesermündung bieten rund drei Millionen Quadratmeter Fläche e<strong>in</strong> gig<strong>an</strong>tisches Feld für zahllose der sechs Meter l<strong>an</strong>gen St<strong>an</strong>dardkisten. An der fast fünf Kilometer l<strong>an</strong>gen Kaimauer heben und senken mehr als 50 Kräne bis zu 30 Conta<strong>in</strong>er <strong>in</strong> der Stunde. 2011 schafften sie <strong>in</strong>sgesamt etwa sechs Millionen Stück mit e<strong>in</strong>em Gesamtgewicht von mehr als 60 Millionen Tonnen. Doch m<strong>an</strong>chmal bricht so e<strong>in</strong>e Box – und das sorgsame Gefüge gerät aus dem Takt. M<strong>an</strong>gels kennt das, jahrzehntel<strong>an</strong>g war er als Schiffspl<strong>an</strong>er und Leiter Operations auf dem Eurogate-Conta<strong>in</strong>erterm<strong>in</strong>al <strong>Bremerhaven</strong> für <strong>den</strong> Umschlag zuständig. Heute ist er im Ruhest<strong>an</strong>d, führt aber noch Gäste über das Gelände. „Wenn so etwas passiert, müssen wir <strong>in</strong>s Schiff kriechen und 20 Tonnen Sch<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> Dosen mit der H<strong>an</strong>d rausholen“, sagt er. „Hier gibt es ke<strong>in</strong>e Pufferzeiten, Verzögerungen können wir uns nicht leisten.“ Egal, was geschieht, ob Herbststürme nicht festgelaschte Leerconta<strong>in</strong>er durch die Luft wirbeln oder im W<strong>in</strong>ter Schnee und „pottendicker Nebel“ die Suche nach e<strong>in</strong>zelnen Conta<strong>in</strong>ern erschwert. M<strong>an</strong>gels sagt: „M<strong>an</strong> muss das Gesamte sehen, nicht nur das e<strong>in</strong>zelne Schiff. Wie m<strong>an</strong> das h<strong>in</strong>kriegt, das hat m<strong>an</strong> nicht im Computer. Das hat m<strong>an</strong> im Kopf.“ Hier <strong>an</strong> der Küste kommen viele gute Köpfe zusammen und sorgen dafür, dass die bremischen Häfen heute ziemlich gut dastehen. Verteilt auf die bei<strong>den</strong> St<strong>an</strong>dorte Bremen und <strong>Bremerhaven</strong> bil<strong>den</strong> sie mit e<strong>in</strong>em Gesamtumschlag von 80 Millionen Tonnen (2011) e<strong>in</strong>es der größten Hafengebiete Europas. Im Conta<strong>in</strong>ergeschäft s<strong>in</strong>d sie Europas Nummer 4, <strong>in</strong> Deutschl<strong>an</strong>d läuft ihnen nur Hamburg <strong>den</strong> R<strong>an</strong>g ab. <strong>Bremerhaven</strong> ist mit mehr als 2,1 Millionen verschifften Fahrzeugen die Autodrehscheibe des L<strong>an</strong>des und konnte sogar <strong>den</strong> belgischen Hafen Zeebrügge auf <strong>den</strong> zweiten Platz verdrängen. Während sich <strong>Bremerhaven</strong> auf Conta<strong>in</strong>er und Autos konzentriert, kümmert m<strong>an</strong> sich <strong>in</strong> Bremen um Stück- und Schüttgut wie etwa Holz und Erze, bewältigt besonders schwere Waren wie Stahl oder auch sensible Masch<strong>in</strong>en wie Raumtr<strong>an</strong>sporter für die Internationale Raumstation ISS. Die Häfen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> enormer Motor für die Wirtschaftskraft des Nor<strong>den</strong>s – und bedeutender Arbeitgeber für das Bundesl<strong>an</strong>d: Rund 80 000 Arbeitsplätze hängen von ihnen ab. In Bremen spielen sie gut zusammen. Die Politik stellt die Weichen für die Hafenentwicklung, die Hafenbetreiber bereiten mit Investitionen <strong>in</strong> Schleusen und Kai<strong>an</strong>lagen <strong>den</strong> Grund für künftige Geschäfte. Vor allem aber br<strong>in</strong>gen die Hafenunternehmen selbst ihren St<strong>an</strong>dort nach vorn. In Bremen s<strong>in</strong>d es diverse Mittelständler, die ihre oft traditionellen Geschäfte – etwa mit Kaffee oder Getreide – pflegen und ausbauen. In <strong>Bremerhaven</strong> drängt <strong>in</strong>sbesondere die BLG Logistics Group <strong>in</strong> die Zukunft. Der ehemals behäbige Konzern, e<strong>in</strong>st mit der Zuschreibung „BitteL<strong>an</strong>gsamGehen“ verspottet, ist heute e<strong>in</strong> global aufgestellter Logistikdienstleister, der sich längst nicht mehr auf die Arbeit <strong>an</strong> der Hafenk<strong>an</strong>te beschränkt. Zwei Städte, e<strong>in</strong> Hafen mit ausgeprägter Arbeitsteilung und großer Kraft – das ist das Ergebnis e<strong>in</strong>er jahrzehntel<strong>an</strong>gen Entwicklung, getrieben vom weltweiten Trend, alles <strong>in</strong> Conta<strong>in</strong>ern zu tr<strong>an</strong>sportieren. Diese Entwicklung bestimmte auch die Geschichte der BLG, der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft, die seit ihrer Gründung durch 65 Kaufleute im Jahr 1877 die Geschicke im Hafen lenkt und Bremen-Stadt zu e<strong>in</strong>em bedeuten<strong>den</strong> Umschlagplatz ausbaute. Früher betrieb sie Kr<strong>an</strong>e und Schuppen, drum herum siedelte sich e<strong>in</strong>e Vielzahl kle<strong>in</strong>erer Hafenbetriebe <strong>an</strong>, deren Job es war, die wertvolle Fracht weiterzuverteilen oder zu verarbeiten. Von <strong>Bremerhaven</strong> sprach zu dieser Zeit noch ke<strong>in</strong> Mensch. br<strong>an</strong>d e<strong>in</strong>s Neul<strong>an</strong>d 06 42