23.12.2013 Aufrufe

Printversion des Artikel als PDF - MAZ

Printversion des Artikel als PDF - MAZ

Printversion des Artikel als PDF - MAZ

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

„Alle schreien nach Sicherheit, aber<br />

keiner will sie finanzieren“<br />

Die Grenzwächter beobachten, fahnden, jagen und<br />

kontrollieren; Rentner, Marokkaner, Familien und<br />

Saisonniers. Eine Reportage von der Lan<strong>des</strong>grenze<br />

über Hautfarbe, Gewalt und Personalmangel.<br />

Ein Bus steht schon da, zwei weitere Autos <strong>des</strong><br />

Einsatzkommandos Mobiler Posten Basel-Lisbüchel biegen<br />

soeben in den Parkplatz an der Hegenheimerstrasse in Basel<br />

ein. Die Strasse führt durch Industriebrache und etwa 400 Meter<br />

weiter vorne über die Grenze nach Frankreich. Hier erinnern<br />

noch ein vom Rost gezeichneter Schlagbaum und eine verrottete<br />

Baracke an die längst vergangenen Zeiten einer lückenlosen<br />

Grenzkontrolle.<br />

Zum Mythos wurde die Lan<strong>des</strong>grenze mit dem zweiten<br />

Weltkrieg. Das Grenzbewusstsein habe sich erst herausgestellt,<br />

<strong>als</strong> „alle anderen Grenzen unter dem deutschen Armeestiefel<br />

verschwanden und allein die Grenze zur Schweiz übrig blieb“,<br />

schrieb der deutsche Buchautor Dietrich Schwanitz im „NZZ<br />

Folio“. Die Schweiz sei zum „trotzigen Eiland“ geworden, „das<br />

dem Orkan widersteht und seinen Bewohnern einen sicheren<br />

Hort bietet“. Mit dem EU-Integrationsschub Mitte der<br />

Achtzigerjahre und den offenen Grenzen in der EU fielen die<br />

Schlagbäume ausserhalb der Schweiz erneut. Schwanitz folgert:<br />

„Wieder bleibt allein die Grenze zur Schweiz übrig. Aber diesmal<br />

gibt es keine tobende See zu sehen.“<br />

„Zwei Vorposten zu je zwei Mann sichern die Strasse vor<br />

respektive hinter dem Kontrollposten“, ordnet der Einsatzleiter<br />

an, ein stämmiger Mann mit kurzem Bürstenhaarschnitt.<br />

Dadurch verhindert er, dass dreiste Fahrzeuglenker kurz vor<br />

dem Kontrollposten wenden oder in eine der etlichen<br />

Nebenstrassen abzweigen. Andreas und Silvio steigen in ihr<br />

Fahrzeug und fahren davon. 200 Meter weiter vorne parken sie<br />

in der Einfahrt eines Kieswerkes. Das Gestrüpp um die Einfahrt<br />

bietet optimalen Sichtschutz.<br />

„Sicher sind nur die Löcher“ titelte das Facts jüngst in einem<br />

<strong>Artikel</strong> zur Situation an der Lan<strong>des</strong>grenze. Die Aussage könnte<br />

stimmiger nicht sein. Denn von 400 fahrbaren Wegen über die<br />

Grenze werden gerade mal 100 kontrolliert, 30 davon rund um<br />

die Uhr.<br />

1


Mit einem schweren VW-Bus sperrt der Einsatzleiter die Strasse<br />

ab. Etwas weiter vorne steht Silvia Honegger, die einzige Frau<br />

<strong>des</strong> Teams. Ihre Aufgabe ist es, heranfahrende Fahrzeuge zu<br />

selektionieren. Innerhalb von Sekunden nur entscheidet sie über<br />

eine Kontrolle. Die Kriterien dafür sind vielfältig: „Manchmal<br />

passt das Fahrzeug nicht zum Insassen oder das Kennzeichen<br />

erinnert mich an ein Auto, nach dem gefahndet wird.“ Und<br />

weiter: „Manche Menschen verraten sich; durch<br />

schweissgebadete Hände etwa oder eine unsichere Stimme.“<br />

Die Schweiz verfügt über eine Grenzlinie von 1882 Kilometer.<br />

700'000 Personen und 320'000 Fahrzeuge passieren diese<br />

täglich. Davon werden 50 Prozent visuell kontrolliert. 15 Prozent<br />

müssen den Ausweis zeigen und rund 2 Prozent werden<br />

gründlich kontrolliert.<br />

Ein grauer Peugeot fährt auf die Strassensperre zu. Das<br />

Kennzeichen lässt darauf schliessen, dass die Insassen aus dem<br />

grenznahen Elsass stammen. Honegger winkt das schon etwas<br />

ältere Paar in die Kontrollspur. „Kann ich bitte ihre<br />

Einreisepapiere sehen?“ fragt der Einsatzleiter. Der Fahrer zuckt<br />

aber bloss mit den Achseln, stellt den Motor aus und lehnt<br />

seinen Kopf etwas weiter aus dem Fenster. „Permit s’il vous<br />

plait!“, versucht es der Einsatzleiter erneut, nun schon etwas<br />

bestimmter. “Ah“ nickt der Franzose eifrig und kramt seine<br />

Papiere aus dem Handschuhfach. Kurz nur begutachtet der<br />

Einsatzleiter die beiden Pässe. Anschliessend wirft er einen Blick<br />

in das Innere <strong>des</strong> Wagens. Seine Augen suchen die Rückbank<br />

ab, gleiten über die Polster und die Fussmatten. Nach dem er<br />

sich vergewissert hat, dass alles in Ordnung ist, gibt er die<br />

Pässe zurück und verabschiedet sich. Der Peugeot darf<br />

weiterfahren.<br />

Die zuständigen Departemente wissen um den Personalmangel<br />

im Grenzwachtkorps (GwK): Vor rund zwei Jahren nämlich wies<br />

ein Untersuchungsbericht der Sicherheitspolitischen Kommission<br />

<strong>des</strong> Ständerates dem GwK ein Defizit von 290 Stellen aus. Doch<br />

die Departemente bleiben hart und verweisen auf die finanzielle<br />

Situation <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>: Das GwK muss mit den bestehenden<br />

Mitteln auskommen und diese noch effizienter einsetzen, lautet<br />

<strong>des</strong>halb das Kredo. „Alle schreien nach Sicherheit aber keiner<br />

will sie finanzieren“, kommentiert Patrick Gantenbein, Leiter<br />

Information und Öffentlichkeitsarbeit beim GwK, die Situation.<br />

Ein paar Minuten später kontrollieren die Grenzwächter ein Auto<br />

in dem eine Frau und ein Kind sitzen. „Das Fleisch im<br />

benachbarten Ausland ist markant billiger“, kommentiert der<br />

Einsatzleiter die Kontrolle. Dies führe dazu, dass besonders an<br />

Ostern viele versuchten, das Sonntagsmenü mit einem<br />

2


geschmuggelten Lammgigot zu versüssen. Als der Uniformierte<br />

den Kofferraum öffnet, kommen aber lediglich ein Schirm und<br />

ein paar leere Pet-Flaschen zum Vorschein.<br />

Als die Grenzen innerhalb der EU fielen nahm die Akzeptanz<br />

gegenüber der Arbeit der Grenzwächter ab. In den vergangenen<br />

Jahren hat nun auch die Gewaltbereitschaft gegen Grenzwächter<br />

deutlich zugenommen: Im Raum Basel flohen im vergangen<br />

Jahr 31 Autolenker mit ihrem Fahrzeug, 29 Personen flüchteten<br />

zu Fuss, 33 Grenzkontrollen wurden rücksichtslos durchbrochen,<br />

12 Grenzwächter tätlich angegriffen und 16 bedroht.<br />

„Ein schwarzer Lancia mit französischem Kennzeichen fährt auf<br />

euch zu. Könnt ihr euch den mal anschauen?“ krächzt es aus<br />

dem Funkgerät. „Geht in Ordnung“ antwortet Silvio und lenkt<br />

das Auto aus der Einfahrt. Im Rückspiegel erkennt er bereits<br />

den herannahenden Lancia. Als dieser nah genug am Heck ist,<br />

schaltet Silvio die Leuchtanzeige ein und fordert den Fahrer auf<br />

anzuhalten. Dieser bremst und hält. Von hinten jagt auch schon<br />

der zweite Vorposten heran, um dicht hinter dem Lancia<br />

anzuhalten. So ins Sandwich genommen hat der Fahrer keine<br />

Möglichkeit zu flüchten. Silvio und Andreas steigen aus.<br />

Vorsichtig nähern sie sich dem Wagen. Ihre Blicke sind starr auf<br />

den Fahrer gerichtet. Die Gefahr ist allgegenwärtig: Vor ein paar<br />

Wochen erst hat ein zwölf jähriger Junge mit dem Auto eine<br />

Strassensperre durchbrochen und dabei einen Grenzwächter<br />

leicht verletzt. Die Kontrolle <strong>des</strong> Lancia-Fahrers in<strong>des</strong> ergab<br />

nichts. Um ganz sicher zu gehen, funkt Silvio die Personaldaten<br />

noch an die Zentrale. Diese überprüft die Angaben im<br />

Fahndungscomputer. Nach ein paar Sekunden knackt das<br />

Funkgerät erneut und eine Stimme meldet, dass die<br />

Überprüfung nichts ergeben hat. Silvio händigt die Papiere<br />

zurück und der Lancia düst in Richtung Frankreich davon.<br />

Im Jahr 2004 sind an der Schweizer Grenze 269 Kilogramm<br />

Kokain und knapp 100 Kilogramm Heroin sichergestellt worden.<br />

Im selben Zeitraum sind über 35'000 Personen der Polizei<br />

übergeben sowie fast 90'000 zurückgewiesen worden.<br />

Nach rund 30 Minuten bricht der Einsatzleiter die Kontrolle ab:<br />

„Da Schmuggler in der Regel einen Späher, vorausschicken<br />

währt der Überraschungsmoment nur kurz“, begründet der<br />

Einsatzleiter die Dauer der Kontrolle. Das Team steigt in die<br />

Fahrzeuge und rauscht davon. Irgendwo auf einer Nebenstrasse<br />

nahe der Grenze werden sie ihr Glück erneut versuchen.<br />

Diesmal vielleicht erfolgreicher.<br />

An der 245 Kilometer langen Lan<strong>des</strong>grenze zu Frankreich und<br />

Deutschland stellen die 464 Grenzwächter <strong>des</strong> GwK Basels<br />

3


täglich einen gefälschten Ausweis sicher, stellen eine<br />

Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz fest,<br />

erkennen vier Verstösse gegen das Strassengesetz und<br />

verhaften vier illegal eingereist Personen.<br />

Etwas östlicher der Hegenheimerstrasse befindet sich der<br />

Grenzwachtposten Basel/ St. Louis-Autobahn. Eine schwere<br />

nach unten gebogene Betonkonstruktion bildet das Dach der<br />

Anlage. Darunter passieren jährlich rund 8.5 Mio. Fahrzeuge die<br />

Grenze nach Frankreich bzw. in die Schweiz. Die Grenzwächter<br />

die hier arbeiten, haben es mit allen soziokulturellen Schichten<br />

der Gesellschaft zu tun. „Wir kontrollieren jeden, vom<br />

eingebildeten Diplomat bis zum korrekten Asylbewerber“<br />

erläutert der Postenchef Réné Wyss das Sozialgefälle seiner<br />

Kundschaft. Das Wort „Diplomat“ betont Wyss dabei besonders<br />

deutlich. Denn noch immer haftet dem GwK das Klischee an,<br />

eine rassistisch motivierte Behörde zu sein.<br />

121 Schlepper griffen die Grenzwächter im vergangenen Jahr<br />

auf. Die meisten stammen aus der Türkei, viele aus Serbien und<br />

Afrika wenige aus dem asiatischen Raum.<br />

Draussen begutachten seine Männer gerade einen Reisebus mit<br />

Saisoniers aus Portugal. Sorgfältig öffnen die Grenzwächter<br />

sämtliche Koffer, Kartons und Plastiktüten. Während rund 30<br />

Minuten wühlen sie sich durch Unterwäsche, Toilettenartikel,<br />

CDs und Ramsch. Zollpflichtige Waren legen sie auf die Seite<br />

und anschliessend auf die Wage: 15 Kilogramm portugiesischer<br />

Jamon, 40 Liter Rotwein, 10 Liter Olivenöl und 10 Kilogramm<br />

Salami kommen dabei zum Vorschein. Die ermittelten Mengen<br />

stimmen exakt überein mit den Angaben auf den<br />

Zollformularen. Ausgerüstet mit einem Endoskop,<br />

Schraubenziehern und Taschenlampen kontrollieren zwei<br />

Grenzwächter derweil die Ritzen und Hohlräume im Bus. Doch<br />

auch diese Suche förderte weder Drogen noch unangemeldete<br />

Waren zu Tage. Erleichtert, die Kontrolle unbeschadet<br />

überstanden zu haben, verstauen die Portugiesen ihr Gepäck<br />

wieder im Bus. Die Grenzwächter in<strong>des</strong> wenden sich einem<br />

neuen Fahrzeug zu. Denn gestern erst haben sie gut versteckt<br />

in einem Kofferraum ein Kilogramm Heroin gefunden.<br />

Autor:<br />

Reto Rescalli<br />

retorescalli@bluewin.ch<br />

4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!