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NACHHALTIGKEIT 7<br />
erschwert, dass in der gesamten christlichen Überlieferung von jeher, von den Evangelien her, teils unter<br />
Rückgriff auf das Alte Testament, dem Reichtum <strong>und</strong> den Reichen mit großem Misstrauen, Warnungen<br />
<strong>und</strong> Vorbehalten begegnet wurde (vgl. dazu auch Volz 1997).<br />
Sein Wohl stellte sich gerade <strong>für</strong> den Reichen zwischen ihn <strong>und</strong> sein Heil. Mit zunehmendem Wohlstand<br />
wuchs die Wahrscheinlichkeit, stets tiefer in den Stand der Sünde zu geraten. Daraus erwuchsen<br />
beträchtliche Krisen, Orientierungs- <strong>und</strong> Entscheidungsprobleme im Blick auf die eigene Lebensführung,<br />
ihre Ziele <strong>und</strong> ihren Sinn. Daraus erwuchsen Ratlosigkeit <strong>und</strong> Unsicherheit auf die doch gleichfalls<br />
lebensnotwendige Heilsteilhabe.<br />
Ein – kleinerer – Teil dieser städtischen Funktionseliten befreite sich mit einem Schlag aus diesem<br />
existenziellen Dilemma: Er wählte die Besitzlosigkeit, die freiwillige Armut, er wählte die Freiheit von<br />
der Macht, die das Geld, seine imperativische Vermehrung <strong>und</strong> die ihm konformen Laster, vor allem<br />
Prunksucht <strong>und</strong> Geiz, über ihn ausübten.<br />
Der größere Teil der Wohl-Habenden verlegte die Distanzierung vom Besitz <strong>und</strong> seinen Gefährdungen<br />
gleichsam ins Innere ihrer Frömmigkeit – dazu ermahnt <strong>und</strong> ermutigt durch Predigt <strong>und</strong> Seelsorge der<br />
Laienprediger (oft gerade welche der ihren). Die Reichen also mussten spirituell ständig darum kämpfen,<br />
dass ihr Besitz sie nicht vollständig beherrschte. Als wesentliches Hilfsmittel diente ihnen dazu die<br />
Möglichkeit, Almosen zu geben – zur Linderung der Not <strong>und</strong> zur Verbesserung der Lage der unfreiwillig<br />
Armen.<br />
Dieser Weg des Teilverzichtes versprach nicht, wie der der Askese <strong>und</strong> der radikalen Besitzlosigkeit,<br />
einen sicheren oder gar „vollkommenen“ Heilsbesitz, aber man konnte sich doch davon einen<br />
dramatischen Erlass der Sündenschuld <strong>und</strong> eine spürbare Reduktion der Qualen des reinigenden<br />
Fegefeuers versprechen. Wie sollte das gehen? Aus den Armutsbewegungen sind dann doch noch im<br />
ersten Drittel des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts Bettel-Orden geworden. So hatten noch vor dem Tod <strong>und</strong> vor der<br />
Heiligsprechung des Heiligen Franziskus dieser <strong>und</strong> seine Brüder nach heftigem Widerstand sich doch –<br />
als Preis der kirchlichen Anerkennung <strong>und</strong> damit des Überlebens – die Gemeinschaftsform eines einer<br />
„Regula“ folgenden Ordens aufnötigen lassen. Nicht zuletzt dadurch kam es immer wieder zu dem, was<br />
der Gründer <strong>und</strong> viele Brüder der Gründergeneration auf jeden Fall hatten verhindern wollen: Es kam<br />
wieder zum Auseinandertreten des treu festgehaltenen Armutsideals auf der einen Seite <strong>und</strong> seiner<br />
bedingten, eingeschränkten, vielfältig modifizierten Befolgung andererseits. Die Befolgung wurde<br />
maßvoller, <strong>für</strong> die Prediger <strong>und</strong> Adressaten ermäßigt. Auch <strong>für</strong> die Bischofskirche <strong>und</strong> ihre Kurie wurden<br />
Lebensform, Praxis <strong>und</strong> Wirkung der neuen Orden, als angepasste Alternativen, erträglicher <strong>und</strong><br />
verträglicher, in einem gewissen Sinne allererst möglich.<br />
Diese Praxis erwies sich auch bald als einträglicher <strong>für</strong> Stadt, <strong>Gesellschaft</strong> <strong>und</strong> Kirche gleichermaßen,<br />
insofern es mit ihr gelang, <strong>für</strong> die Kirche insgesamt Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen, <strong>für</strong> die soziale<br />
Ordnung Konflikte zu mildern <strong>und</strong> <strong>für</strong> die irreversibel gewordene Dynamik der Geldwirtschaft zunächst<br />
praktische (<strong>und</strong> später auch theologisch-theoretische) Rechtfertigung zu stiften. Logiken <strong>und</strong> Praktiken<br />
des Handels, des institutionalisierten Austausches von Gütern <strong>und</strong> Geldern, wurden – real wie<br />
metaphorisch – bedeutsam <strong>und</strong> folgenreich <strong>für</strong> die Verschränkung der beiden Ökonomien des Heils <strong>und</strong><br />
des Wohls: Dadurch erhielt das Almosen eine neue, lange Zeit wirkmächtige Verfassung.<br />
Der Allokationsmechanismus der Almosen (<strong>und</strong> damit der Mechanismus der Verschränkung von Heil<br />
<strong>und</strong> Wohl) wird aus der starren, liturgisch-rituellen Ordnung des Klosters herausgenommen <strong>und</strong> in die<br />
beweglichere, flexiblere Ordnung der bruderschaftlichen Umverteilungspraxis überführt. Mit dem<br />
beträchtlichen Risiko eines jeden Anachronismus könnte man sagen: Der von außen <strong>und</strong>urchschaubare<br />
Austausch von Gütern des Wohls <strong>und</strong> Gütern des Heils durch die objektivierten, ’staatsähnlichen’<br />
Administrationen, durch die (religiösen) Virtuosen <strong>und</strong> Experten des Klosters, wird ersetzt durch ein<br />
transparentes <strong>und</strong> ’marktähnliches’ Arrangement, das aber freilich noch nicht dem Waren-Tausch sondern<br />
dem Gaben-Tausch dient, in dem die beiden Arten subjektivierter Geber, die ’Almosengeber’ <strong>und</strong> die<br />
’Fürbittengeber’, in gleichsam direkten Austausch treten können. Der Arme vermehrt durch seine<br />
Fürbitten die ’Heilsanteile’ des Reichen <strong>und</strong> erhält da<strong>für</strong> von diesem ’Wohlstandsanteile’, trägt aber so<br />
auch indirekt zur eigenen Heilsteilhabe bei. Der Reiche verzichtet auf Besitzanteile <strong>und</strong> verteilt sie, er<br />
fördert so direkt das Wohl des Armen – aber auch indirekt die eigene Heilsteilhabe. Die Gr<strong>und</strong>elemente,<br />
ja konstitutiven Tätigkeiten des von Marcel Mauss rekonstruierten Gabenzyklus finden sich auch hier:<br />
Geben – Nehmen – Erwidern (vgl. hierzu Volz 2006). Die Aufgabe <strong>und</strong> Leistung der Virtuosen <strong>und</strong><br />
Experten, der Fratres, beschränkt sich auf die Gewährleistung der Bedingungen der Möglichkeit dieses<br />
Austausches, dieses Kommerziums zwischen den unmittelbar Betroffenen.<br />
Das Geld, das sich trotz seiner, in der christlichen Überlieferung immer wieder betonten, Unfruchtbarkeit<br />
vermehrt, wirkte dadurch noch unheimlicher, bedrohlicher als die Hüterinnen des Geheimnisses der<br />
w<strong>und</strong>ersamen Vermehrung der menschlichen Gattung – beider bedurfte man, beiden durfte man nicht<br />
trauen, beide erschienen prinzipiell nicht wirklich beherrschbar: um so wichtiger, sie zu kontrollieren <strong>und</strong><br />
FORUM WARE 39 (2011) NR. 1 - 4