Lederriemenfall
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Lederriemenfall
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Begleitkollegs zur Vorlesung<br />
Strafrecht I<br />
im Wintersemester 2004/05<br />
Der <strong>Lederriemenfall</strong><br />
Fall: K will den (bisher) mit ihm befreundeten M um einige Wertgegenstände<br />
„erleichtern“. Zunächst plant er, den M zu diesem Zwecke mit einem Lederriemen<br />
bis zur Bewusstlosigkeit zu würgen. Er hat dann jedoch Bedenken, da er befürchtet,<br />
der M könne durch eine solche Behandlung zu Tode kommen, was K auf keinen<br />
Fall möchte.<br />
Daher beschließt er, den M stattdessen durch einen Schlag auf den Kopf mit einem<br />
Sandsack zu betäuben. Diese Vorgehensweise hält er für schonender. Zur<br />
Sicherheit steckt er aber auch den Lederriemen ein. Sodann sucht K M auf und<br />
bittet ihn, bei ihm übernachten zu dürfen. Als M schläft, zieht er ihm den Sandsack<br />
über den Kopf. M wird dadurch aber nicht betäubt, sondern wacht auf. K schlägt<br />
erneut zu. Diesmal platzt der Sandsack.<br />
Im darauf entstehenden Handgemenge gelingt es K, den Lederriemen aus der<br />
Tasche zu ziehen und dem M um den Hals zu legen. K zieht den Lederriemen<br />
immer wieder zu, bis die Gegenwehr des M endgültig aufhört. Da er nicht will,<br />
dass M zu Tode kommt, versucht er dabei, möglichst vorsichtig und „dosiert“ zu<br />
würgen. Dann fesselt K ihn und rafft rasch alle mitnehmenswerten Gegenstände<br />
zusammen. Danach sieht er nach dem M. Er macht sich Sorgen, ob dieser noch<br />
lebe. Ein Wiederbelebungsversuch durch K scheitert jedoch.<br />
Strafbarkeit des K?<br />
(Vereinfachte Fassung des Falls BGHSt 7, 363 ff. [„<strong>Lederriemenfall</strong>“])<br />
Strafbarkeit des K<br />
Anmerkung: Der Fall ist im Folgenden zwar vollständig gelöst, was Sie aber zum<br />
gegenwärtigen Zeitpunkt beherrschen sollten, ist nur das unter A. abgehandelte.<br />
Die weitere Lösungsskizze beschränkt sich daher nur auf das Notwendigste.
A. Totschlag gem. § 212 I StGB<br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
1. Objektiver Tatbestand (+)<br />
2. Subjektiver Tatbestand<br />
Problem: Handelte K vorsätzlich?<br />
Abgrenzung dolus eventualis / bewusste Fahrlässigkeit:<br />
Möglichkeitstheorie (Vorsatz (+), da K die Möglichkeit des Todes des M<br />
sah)<br />
Wahrscheinlichkeitstheorie (Vorsatz (+), da K den Tod auch für<br />
wahrscheinlich hielt und deshalb zunächst den Sandsack benutzte)<br />
Risikotheorien (Vorsatz (+), da K trotz des erkannten unerlaubten und<br />
nicht unwahrscheinlichen Risikos, dass M stirbt, gehandelt hat)<br />
Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens (Vorsatz (-), da K<br />
„dosiert“ würgte und in dieser Verhaltensweise sich<br />
Vermeidungsbemühungen manifestieren)<br />
Gleichgültigkeitstheorie (Vorsatz (-), da K dem Erfolgseintritt nicht<br />
gleichgültig gegenüber stand, sondern ihn auf keinen Fall wollte)<br />
Ernstnahmetheorie (Vorsatz (+), da K die Möglichkeit des Todes des M<br />
erkannt, ernstgenommen und sich mit ihr abgefunden hat)<br />
Billigungstheorie (Vorsatz +, Begründung in BGHSt 7, 363 ff.: „Bedingter<br />
Vorsatz kann auch dann gegeben sein, wenn dem Täter der Eintritt des<br />
Erfolges unerwünscht ist. Im Rechtssinne billigt er diesen Erfolg trotzdem,<br />
wenn er, um des erstrebten Zieles willen, notfalls [...] sich auch damit<br />
abfindet, dass seine Handlung den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt<br />
[...].“ Das ist hier der Fall.)<br />
Die Theorien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, daher müssten Sie<br />
nach der Subsumtion unter die einzelnen Theorien das Für und Wider der<br />
verschiedenen Ansichten gegeneinander abwägen und sich dann begründet für<br />
eine der Theorien entscheiden. Vertretbar sind dabei an sich alle der Theorien.<br />
Allerdings sollten die Möglichkeitstheorie wegen ihrer Weite und die<br />
Wahrscheinlichkeitstheorie wegen ihrer relativen Unbestimmtheit nicht vertreten<br />
werden.<br />
Diskussion: Gegen die kognitiven Theorien ist einzuwenden, dass für die<br />
Bejahung von Vorsatz nach richtiger Ansicht die bloße Kenntnis eines Risikos<br />
nicht genügen kann. Wichtig ist die innere Einstellung zu diesem Risiko. Nur ein<br />
Täter, der ein Risiko nicht nur erkennt, sondern auch ernst nimmt und sich um<br />
der Zielverwirklichung willen damit abfindet und die Tat insofern auch „will“<br />
handelt vorsätzlich. Es ist der Billigungstheorie bzw. der zu gleichen<br />
Ergebnissen führenden Ernstnahmetheorie zu folgen; Vorsatz also (+).
II. Rechtswidrigkeit (+)<br />
III. Schuld (+)<br />
IV. Ergebnis<br />
Strafbarkeit des K wegen Totschlags gem. § 212 I StGB (+)<br />
B. Mord gem. § 211 StGB<br />
I. Heimtücke<br />
Der „Überfall“ auf M mit dem Sandsack wurde noch ohne Tötungsvorsatz<br />
ausgeführt; als K M mit dem Lederriemen anzugreifen begann, war M dagegen<br />
nicht mehr arg- und wehrlos, wie es bei Heimtücke erforderlich wäre; daher (-)<br />
II. Habgier<br />
Habgierig handelt, wer einen Menschen aus rücksichtslosem Streben um<br />
Vermögensvorteile tötet; hier (+)<br />
III. Ergebnis<br />
Strafbarkeit des K wegen Mordes aus Habgier gem. §§ 211, 212 I StGB (+)<br />
C. Raub gem. § 249 I StGB<br />
I. Tatbestand des § 249 Abs. 1 StGB<br />
1. Objektiver Tatbestand (+)<br />
2. Subjektiver Tatbestand (+)<br />
II. Rechtswidrigkeit (+)<br />
III. Schuld (+)<br />
D. Raub mit Todesfolge gem. §§ 251, 249 I, 18 StGB<br />
nach h. M. ist Raub mit Todesfolge auch vorsätzlich begehbar, daher hier (+)<br />
tritt auch nicht subsidär hinter §§ 211, 212 StGB zurück, da § 251 StGB<br />
gegenüber diesen einen eigenen Unrechtsgehalt hat, da der Tod hier, anders als<br />
bei §§ 211, 212 StGB, gerade aufgrund der Raubhandlung eingetreten sein muss.<br />
Strafbarkeit des K wegen Raubes mit Todesfolge gem. §§ 251, 249 Abs. 1 StGB<br />
(+).
E. Strafbarkeit gem. §§ 250, 249 Abs. 1 StGB<br />
§ 250 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 b) (+), tritt aber subsidiär hinter § 251 StGB<br />
zurück.<br />
F. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 224 Abs. 1, 223<br />
Abs. 1 StGB<br />
(+) für § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5, tritt aber subsidiär hinter §§ 211, 212<br />
StGB zurück<br />
G. Strafbarkeit wegen Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB<br />
(+), tritt aber subsidiär hinter §§ 251, 249, 18 StGB zurück<br />
H. Strafbarkeit wegen Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB<br />
(+), tritt aber subsidiär hinter §§ 250, 249 StGB zurück<br />
I. Endergebnis und Konkurrenzen<br />
K hat sich wegen Mordes aus Habgier gem. §§ 211, 212 I StGB und wegen<br />
Raubes mit Todesfolge gem. §§ 251, 249 I StGB strafbar gemacht. Es liegt<br />
Tateinheit gem. § 52 StGB vor.