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MISEREOR: Reportage Kenia

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<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011 63


Wie ein teuflischer Berg ragt<br />

die Müllhalde Dandora aus den<br />

Armenvierteln von <strong>Kenia</strong>s Hauptstadt,<br />

Nairobi. Rauch und Gestank<br />

wehen über 700.000<br />

Menschen in der Umgebung hinweg,<br />

verstopfen die Nase und<br />

brennen in den Augen. Der<br />

Dreck trieft durch das Wasser<br />

der Slums. Doch so sehr die<br />

Leute den Abfall hassen, so<br />

sehr sind sie auf ihn angewiesen.<br />

3.000 Menschen arbeiten<br />

auf und leben von der Halde.<br />

Sie ist eine der größten Müllkippen<br />

Afrikas. Seit 30 Jahren<br />

landet der meiste Abfall von <strong>Kenia</strong>s<br />

Hauptstadt und ihren 3,5<br />

Millionen Einwohnern hier. Vor<br />

neun Jahren wurde sie für voll<br />

erklärt. Doch bis heute ist die<br />

Kippe in Betrieb.<br />

64<br />

<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011


Dort, wo die Laster<br />

ihre Ladung ab -<br />

kippen, werden sie<br />

sofort von einer<br />

Gruppe Sammler umringt.<br />

Männer und<br />

Frauen reißen die schwarzen<br />

Tüten auf und filzen hastig den<br />

matschigen Inhalt. Aber die Su -<br />

che direkt am Laster kostet:<br />

Weil sie die beste Ausbeute<br />

bringt, müssen die Leute dafür<br />

zahlen. Die Gebühr kassiert eine<br />

Gruppe, die sich Mungiki<br />

nennt und den Abfallberg kontrolliert.<br />

Wo die Stadtverwaltung<br />

Nairobis und die Polizei wegschauen,<br />

ersetzen sie die staatliche<br />

Ordnung mit ihrer Gewalt.<br />

Wer ihnen aus dem Weg gehen<br />

will, sammelt lieber weit genug<br />

von den Lastern entfernt.<br />

<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011 65


Mit bloßen Händen<br />

fasst Benta<br />

Anyango in den<br />

Müll. Sie wühlt zwischen<br />

Lumpen, abgenagten<br />

Maiskolben<br />

und fauligen Obstschalen, Bierflaschen und gebrauchten<br />

Zahnbürsten. Was sie an Altglas oder Plastik findet, wird sie<br />

später zur Sammelstelle bringen. Hunderte Fliegen kreisen um<br />

ihre Sammelsäcke. Benta vertreibt sie längst nicht mehr. Sie<br />

ist froh, als sie nacheinander drei Bierflaschen aus dem Müll<br />

zieht und mit Wucht in ihrem Sack zerschlägt. „So passt mehr<br />

hinein“, sagt die 29 Jahre alte Müllsammlerin. Mit den Wertstoffen<br />

verdient sie mehr als eine Näherin in der Fabrik: Gibt<br />

es dort keine Aufträge, gibt es auch<br />

kein Geld. „Auf dem Müll habe ich<br />

wenigstens abends immer etwas in<br />

der Hand – für das Schulgeld meiner<br />

Kinder, die Miete für unsere Hütte<br />

und unser Essen“, rechnet Benta vor.<br />

„Ich will, dass meine Kinder<br />

überleben und zur Schule<br />

können: Und weil das mit<br />

der Arbeit auf dem Müll<br />

geht, bin ich eben hier.“<br />

Benta Anyango, Müllsammlerin<br />

66<br />

<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011


Die Sorgen sind oft erdrückend. Am Abend muss Benta<br />

Anyango genug gesammelt haben. Für die Bohnen und das<br />

Maismehl, damit ihre fünf Kinder satt werden. Ihre Jüngsten<br />

lässt sie tagsüber bei einer Nachbarin. Der zwölfjährige Sohn<br />

Marc hilft ihr samstags nach der Schule beim Suchen. Als<br />

Armschoner stülpt er sich dafür ein Paar Männer-Schlappen<br />

aus Gummi über die Ellbogen, um sich nicht an den Glasscherben<br />

im Müll zu schneiden.<br />

Marabus, kahlköpfige Storchenvögel, staksen durch<br />

den Unrat und verschlingen gierig Essensreste. Grunzend<br />

fressen sich Schweine durch den Müll. Inmitten<br />

der Tiere verschwinden die Menschen fast –<br />

sie sind kleiner als die Marabus, wenn sie<br />

sich bücken, um Verwertbares aus dem<br />

Ab fall zu holen. Doch so durcheinander<br />

alles wirkt, so geordnet arbeiten die<br />

Sammler und stapeln ihre Funde<br />

nach Wertstoffen getrennt auf. Am<br />

Abend treffen sie sich an der Waage.<br />

Nach acht Stunden Arbeit geht<br />

Benta mit zwei Euro nach Hause.<br />

<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011 67


Bagger schaufeln<br />

immer neue Wege<br />

frei. Täglich bringen<br />

rund 500 Laster<br />

2.000 Tonnen mehr<br />

Unrat. Auf der Kippe<br />

liegen Neonröhren, Negativfilme<br />

und Handyreste, Dosen,<br />

Haarteile und ein Paar Silber-<br />

Pumps herum. Entwickeln sich<br />

darunter genug Faulgase, entzündet<br />

sich der Müll von selbst.<br />

Der Rauch enthält viele Gifte,<br />

etwa Quecksilber und Kadmium.<br />

Trotzdem verbrennen die<br />

Sammler ebenfalls Abfall, um<br />

Platz für ihre Mülllager zu schaffen.<br />

Nicht mal zum Essen verlassen<br />

sie die riesige menschliche<br />

Sortieranlage: Im Abfall sitzend,<br />

löffeln die Arbeiter den<br />

Maisbrei aus weißen Bottichen.<br />

68<br />

<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011


Mit 18 Jahren ist Joseph Ndinya auf die Kippe gekommen. „Nach drei Monaten<br />

Arbeit bin ich krank geworden: Ich habe Blut gespuckt, das Atmen fiel mir<br />

schwer“, berichtet der 23-Jährige. Dass die Halde Dandora den Menschen schadet,<br />

ist wissenschaftlich erwiesen. Eine Studie des Umweltprogramms der Vereinten<br />

Nationen (UNEP) aus dem Jahr 2007 belegt, dass die Hälfte von 328 untersuchten<br />

Kindern in der Umgebung hohe Bleibelastungen im Blut hat. Chronische<br />

Bronchitis und Asthma kommen hinzu. „Älter als 45 Jahre wird von den Arbeitern<br />

auf der Müllkippe kaum einer“, sagt Joseph.<br />

„Stop Dumping Death on Us“ – „Hört auf, Tod auf uns zu kippen“ heißt die<br />

Kampagne vom Kutoka-Netzwerk. Ihr Ziel: Eine Verlagerung der Müllkippe an den<br />

Stadtrand von Nairobi. Die neue Halde soll Sortierstationen, Verbrennungsanlagen<br />

und bessere Arbeitsbedingungen bieten. Allerdings würde die neue Anlage<br />

weit weniger Menschen beschäftigen als der derzeitige Abfallberg. Entsprechend<br />

viele Gegner hatte das Vorhaben anfangs unter den Müllsammlern. Doch immer<br />

mehr sind dafür – um der eigenen Gesundheit willen, und weil sie anständige Arbeit<br />

wollen. „Wir müssen vorher neue Jobs in den Vierteln schaffen“, sagt Pater<br />

John Webootsa, der Koordinator des Kutoka-Netzwerks. Beispielsweise bei der<br />

Säuberung und dem Abbau der alten Kippe, im Handwerk, beim Gemüseanbau<br />

oder auf dem Markt. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. Vorerst<br />

klärt das Kutoka-Netzwerk die Rechtslage ab und verhandelt<br />

mit den Umweltverantwortlichen der Regierung.<br />

„Für andere ist das nur Müll,<br />

wir sehen auch den Nutzen,<br />

den uns die Kippe bringt.<br />

Keiner verwertet besser als wir.“<br />

Joseph Ndinya, Müllsammler<br />

<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011 69


Wie es besser geht, zeigt ein kleiner Recyclingbetrieb, der Mukuru-Hof am<br />

Rand der Halde. Die Kirchengemeinde St. John im Armenviertel Korogocho hat<br />

ihn ins Leben gerufen. Inzwischen betreiben die Arbeiter den Hof selbst. Joseph<br />

Ndinya stellt dort Briketts aus Papierbrei her. Andere Arbeiter mahlen Plastikflaschen<br />

klein und bündeln Kartons, bevor die Laster der Vertragsfirmen das Material<br />

abholen. „Unsere Jobs sind sicher, ich werde kaum noch krank“, freut sich Joseph.<br />

„Wenn es uns doch mal schlecht geht, schickt uns der Pfarrer zum Arzt.“<br />

Auf dessen Rat isst Joseph mehr Avocados und trinkt Milch. „Wenn das Geld<br />

dafür reicht“, schränkt er ein.<br />

„Ob christliche Gemeinde oder Moslems, alle wollen bessere Arbeitsbedingungen“,<br />

unterstreicht Pater John. Sein Ziel ist es, die Leute vom Recyclinghof zu<br />

stärken: Vertreter aus ihren Reihen sollen ins direkte Gespräch mit den Amtsträgern<br />

der Stadt kommen. „Die Leute müssen mitreden können“, betont der Comboni-Pater,<br />

„damit zumindest kein giftiger Müll mehr auf der Kippe landet.“ Der<br />

Pater sucht noch nach Spendern, die den Sammlern Mundschutz, Stiefel, Handschuhe<br />

und ei nen Arbeitsoverall<br />

stellen<br />

– auch wenn das eigentlich<br />

die Stadtverwaltung<br />

zu übernehmen<br />

hat.<br />

70<br />

<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011


BARBARA SALESCH<br />

Fernseh-Richterin<br />

Foto: Flitner/<strong>MISEREOR</strong><br />

Karte: Fischer Weltalmanach<br />

DAS KUTOKA-NETZWERK<br />

In Nairobi gibt es mehr als 200 Slumsiedlungen. Korogocho<br />

gehört zu den größten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung<br />

Nairobis drängt sich in den Slums, die nur fünf Prozent<br />

der Fläche aller Wohngebiete in der Stadt ausmachen.<br />

Der Not und Gewalt dort begegnet das Kutoka-Netzwerk<br />

auf verschiedenen Ebenen: Zum einen mit Aktivitäten für<br />

die Slumbewohner, in denen sie sportlich, musikalisch, sozial<br />

und politisch tätig werden können. Zum anderen setzt<br />

sich das Netzwerk mit seiner Lobbyarbeit für die Interessen<br />

der Bewohner ein, etwa für die Schließung der verseuchten<br />

Müllhalde Dandora. Initiativen wie der Recyclinghof<br />

Mukuru schaffen zudem Arbeitsplätze. Das Netzwerk wurde<br />

2002 von Comboni-Missionaren als Zusammenschluss<br />

katholischer Pfarreien und Einrichtungen in den Slums gegründet.<br />

Seine Arbeit wird von <strong>MISEREOR</strong> unterstützt.<br />

Was bedeutet für Sie Mut?<br />

Mut bedeutet für mich, sich für Gerechtigkeit<br />

einzusetzen. Und zwar nicht durch wohlfeiles<br />

Geplauder im sicheren Sessel – wir kennen alle<br />

den Begriff des Maulhelden – sondern aktiv.<br />

Man muss sich nur trauen. Und jeder, der es versucht,<br />

wird überrascht sein, wie viel Mut in<br />

jedem von uns steckt, wenn wir Entschlossenheit<br />

und Zivilcourage zeigen. Sowohl in unserer<br />

direkten Umgebung, als auch weltweit.<br />

Wofür wünschen Sie <strong>MISEREOR</strong> Mut?<br />

Ich wünsche <strong>MISEREOR</strong> weiterhin Mut bei der<br />

Verfolgung und Umsetzung der immer wieder<br />

neuen weltweiten Projekte. Mut, sich auf die<br />

Seite derjenigen zu stellen, die sich selber nicht<br />

durchsetzen können, weil sie unterdrückt werden,<br />

arm sind oder krank oder einfach nur Frauen<br />

sind. Mut, um Gerechtigkeit zu kämpfen und<br />

den Menschen, die es brauchen, Selbstvertrauen<br />

zu schenken. Mut, sich weiterhin unermüdlich<br />

für Menschenrechte einzusetzen.<br />

<strong>MISEREOR</strong> – Das Magazin 2011 71

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