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9. Rundmail - AKBV

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Hallo zum letzten Mal,<br />

nach 538 Schüsseln voll Reis, zum letzten Mal per <strong>Rundmail</strong> aus Ecuador. Ich will gar nicht<br />

daran denken, aber schon in nur 2 Wochen bin ich wieder zu Hause…im schönen<br />

Deutschland – und muss jedoch ein noch viel schöneres Ecuador hinter mir lassen.<br />

Ich habe das Phänomen bei einigen anderen Volontären beobachtet, dass sobald man sich mit<br />

dem Rückflug konfrontiert sieht, anfängt sich hier in alles zu verlieben. All die Dinge, die<br />

man nun intensiver wahrnimmt und von denen man weiß, dass es in unseren Heimatländern<br />

so anders sein wird.<br />

Ich fange jetzt gar nicht erst an, aufzulisten, was ich vermissen werde, denn eine solche Liste<br />

wäre in jedem Fall unvollständig, wahllos und aus dem Zusammenhang genommen. Wie ich<br />

bereits im allerersten Rundbrief erwähnte, sind es die vielen kleinen Dinge, die einem erst<br />

auffallen, wenn sie sich ändern.<br />

Den Sprung aus der westlichen Kultur in das südamerikanische Leben habe ich damals ohne<br />

Probleme gemeistert und mich unmittelbar eingelebt. Im Gegenteil dazu erwarte ich bei<br />

meiner Wiederkehr einen Kulturschock! Zumindest habe ich Angst, dass ich von einer Welle<br />

überrannt werde, mich die Routine einholt, mich der Alltag aufsaugt, meine Erfahrungen zur<br />

Seite gedrängt werden und mir die Erinnerung ans letzte Jahr nur noch wie ein Traum<br />

erscheint.<br />

Auch dies wurde mir mehrfach von meinen Vorgängern bestätigt – Man könnte meinen, man<br />

hätte in jedem Fall verloren: Entweder Schwierigkeiten bei der Ankunft, gefolgt von Fernweh<br />

und Unzufriedenheit, oder aber ein Zurückfallen ins alte Leben gepaart mit der unbewussten<br />

Verdrängung der Erlebnisse. Ich persönlich setzte es mir zum Ziel, die Phrase: „aus den<br />

Augen – aus dem Sinn“ zu widerlegen und gleichzeitig keine Antipathie zum „Lauf der Dinge<br />

in der modernen Welt“ zu entwickeln.<br />

Das mag sich alles ein wenig übertreiben anhören und überhaupt bin ich ja noch immer hier,<br />

also sollte ich nicht übertreiben…<br />

Zurück zu den Geschehnissen der letzten Wochen: Ich habe die Farm verlassen und bin nun<br />

auf Reisen, meine aufgesparten Urlaubstage genießend. Rückblickend war der Abschied von<br />

meinem Heim der letzten 10 Monate nicht leicht; Inzwischen bin ich jedoch in der Aufregung<br />

der vielen neuen Orte und Eindrücke gefangen.<br />

Während meiner letzten Tage in der „Finca Organica Rio Muchacho“ wurde mir bewusst, wie<br />

sehr ich mit allem vertraut war und wie komisch es sein wird, all das zu verlassen. Ich hatte<br />

immer den Gedanken im Kopf: ich mache nun zum letzten Mal dies, ich mache zum letzen<br />

Mal das…<br />

Obwohl es einem immer schwer vorkommt, „Adios“ zu sagen, mit dem Hintergedanken, dass<br />

man sich wahrscheinlich nicht wieder sieht, war ich das Abschiednehmen von vertrauten<br />

Personen schon gewöhnt durch das ständige Kommen/ Gehen der Volontäre. Die Familie und<br />

die Arbeiter der Farm kennen dies schon seit Jahren, weswegen auch mein Abschied in einem<br />

eher routinierten Rahmen gehalten wurde. Vielleicht konnten es in dieser Situation einfach<br />

noch keiner richtig fassen, dass ich jetzt ginge – so wie auch ich noch nicht fassen konnte,<br />

dass ich die Farm verlasse werde.<br />

Kurz gehalten: Ich war ziemlich aufgeregt und eingenommen von vielerlei Emotionen<br />

gegenüber den einzelnen Personen und rückblickend auf alles, was ich erlebt habe…<br />

Mein Jahr war mit Sicherheit eine große Bereicherung, ich habe unendlich viel gelernt,<br />

angefangen beim Unterrichten in unserer Umwelt-Grundschule und bei der Arbeit in<br />

biologischer Landwirtschaft, bis hin zu den Erfahrungen beim Organisieren der Volontäre, bei<br />

den Projekten in der Communidad und bei den Führungen für Touristen.


Während meiner Zeit auf der Farm arbeitete ich mit 117 Volontären aus 16 verschiedenen<br />

Ländern, einigen Großgruppen (10 bis 30 Personen) und zahllosen nationalen und<br />

internationalen Touristen (in den Saisonmonaten: Dezember, Mai, Juli, August kamen fast<br />

jeden Tag Besucher).<br />

Um noch Bezug auf die erwähnten Projekte der letzten Mail zu nehmen:<br />

Die ersten beiden Treffen des neu gegründeten Vereins der Bienenhalter waren erfolgreich. 2<br />

Familien aus Rio Muchacho und 4 Familien aus der weiteren Nachbarschaft werden in die<br />

Honigproduktion eingewiesen und erhalten Unterstützung mit dem Aufbau eines Obst- und<br />

Kräutergartens.<br />

Mein Haus ist fertig gestellt! Es ist zweistöckig, hat 2 getrennte Schlafzimmer, eine riesige<br />

Terrasse mit Blick auf den Fluss, eigene Dusch und Kompostiertoilette und ist wunderschön;)<br />

Ich habe letztendlich noch eine Woche darin geschlafen.<br />

Haus Frontansicht


Der Dschungel<br />

Ein Baum im Dschungel<br />

Östlich der Anden befindet sich die so genannte Selva (span. für Dschungel) oder auch nur<br />

der „Oriente“. Mit dem herabsteigen der Bergketten wird das Klima heißer und feuchter,<br />

wobei jedoch auch hier die Jahreszeit eine entscheidende Rolle spielt. In diesem drittel des<br />

Landes gibt es nur wenige Städte und ca. 90 Prozent der Fläche sind noch immer isoliert und<br />

kaum besiedelt. Nur die Petrolineras, das heißt, die Orte an denen Erdöl gefördert wird,<br />

werden aus Transportzwecken mit schönen, neu geteerten Straßen ans Verkehrsnetz<br />

angebunden. Als Tourist kommt man also nur in den Urwald, wenn man eine mehrtägige<br />

Führung bucht, die in einer der 3 größten Städte beginnt und von dort an per Begleiter und<br />

Kanufahrt weiterführt.<br />

Von einem Treffen mehrerer Volontärorganisationen im Februar kenne ich Alberto, ein<br />

Senior, der Projekte in einer der Dschungel-Communidades leitet. Campococha heißt das<br />

Dorf, in dem 70 Familien leben, und welches leider(!) leicht mit dem Geländewagen<br />

erreichbar war. Er erzählte mir, dass nur wenige Kilometer entfernt ein riesiger internationaler<br />

Flughafen gebaut wird. Die Mehrheit der Provinz hat dafür gestimmt, da natürlich viele Jobs<br />

und eine Menge Geld versprochen wurden. Aber die Schattenseite ist die Abholzung von –zig<br />

Hektar Bosque Primaria (Ururururururwald)! Noch haben die Arbeiten nicht begonnen und es<br />

ist ruhig im Wald – mehr oder weniger, denn wenn man erst einmal hinhört, kann es richtig<br />

laut sein. Ich war zwar nicht dort, wo die Tiger herumbrüllen, aber schon alleine das<br />

Hochfrequenz-Zirpen der Grillen, auch tagsüber, und die verschiedensten Vogelschreie,<br />

erzeugen eine beeindruckende Atmosphäre.


Im Sommer regnet es hier nur alle paar Tage, im Winter täglich stundenlang. Deswegen war<br />

die Luftfeuchtigkeit gut auszuhalten – nur un-glaub-lich HEIß war es! An der Küste habe ich<br />

die Mittagssonne ab 10 Uhr gemieden – Hier dachte ich schon morgens um 8.00 Uhr, ich<br />

müsste verbrennen, wenn ich nicht im Schatten bleibe. Moskitos gab es nicht viele, zumindest<br />

wurde ich nicht überdurchschnittlich zerstochen (ich habe zu jeder Mahlzeit eine Menge<br />

Knoblauch gegessen, was anscheinend – und wie mir versprochen wurde – große Dienste<br />

leistete). Dafür gibt es aber andere kleine Plagen, wie z.B. die Coloradillos. Wie Zecken, nur<br />

so klein, dass man sie nicht sehen kann. Sie hinterlassen lediglich einen klaren roten Punkt auf<br />

der Haut und drum herum eine juckende größer werdende Schwellung, wie die eines<br />

Mückenstichs.<br />

Alberto zeigte uns die Schulgebäude, Betonfundament und Zinndach, sehr modern –<br />

außerdem eine kleine Bibliothek und: sage und schreibe 6 Computer! Selbst weitaus<br />

entwickeltere Gemeinschaften haben keine Computer. Hier nun aber das Kontroverse: Die<br />

Leute sind trotzdem arm und die Kinder trotzdem nicht gebildeter als sonst. Zum einen lassen<br />

sich kaum Lehrer finden, die im Dschungel unterrichten wollen. Zum anderen leben die<br />

Familien hier immer noch ausschließlich von der Agrikultur. Wenn nichts geerntet wird, gibt<br />

es nichts zu essen. Geschäfte gibt es nicht und vom Verkauf der selbst angebauten Ware, kann<br />

keiner leben. Die Abnehmer in den Städten haben die Macht der Wahl; für eine Staude<br />

Platanos bekommt 1.5 bis 2$ und für einen Sack Yuca nicht mehr als 10$. Außerdem wird<br />

gefischt und manchmal Affen oder ähnliches gegessen... Aber die Flüsse werden verschmutz<br />

und die Tierpopulationen weichen immer weiter den Siedlungsgebieten der Menschen. Es<br />

droht hier keiner zu verhungern, denn im Wald findet sich immer etwas, wenn es auch nur<br />

eine junge Palmpflanze ist, die man weich kocht. Dennoch ist in der hiesigen Kultur die<br />

Chicha tief verankert: Ein Getränk, ein Mahlzeitenersatz, das sowohl Hunger als auch Durst<br />

löscht; Zubereitung: Verkauen der Yuca, die aufgrund des vermengten Speichels zu<br />

fermentieren beginnt (Alternativ auch mit Mais oder Zuckerrohr) – Interessant!<br />

Nach eigenen Angaben wissen die Männer immer noch, wie man im Dschungel überlebt;<br />

Alles was sie brauchen ist eine Machete und eine Packung Streichhölzer.<br />

Elektrizität gibt es hier seit 3 Jahren; ein Deal der Regierung mit dem Wahlprogramm „Wählt<br />

mich und ich bringe euch Strom in den Oriente“. Auch entdeckte ich in vielen kleinen<br />

Städtchen nagelneue, überdachte, beleuchtete Sportplätze. Auch das sind nur Wahlwerkzeuge<br />

der Politiker – an jedem Bau steht der Name des Präsidenten.<br />

Am nächsten Tag wanderten wir für eine Tagestour ins Reservat der Communidad, unter<br />

Schutz gestelltes Urwaldgebiet. Endlich dort angekommen, wo ich schon immer einmal<br />

hinwollte! Es ist in der Tat beeindruckend, aber anders als erwartet. Es ist nicht der<br />

sonnendurchflutete, frischsaftiggrüne, überall sprießende, blühende, plätschernde Ort, an dem<br />

die Lianen griffbereit herumhängen und die Affen singen. Zumindest nicht zu dieser Zeit, in<br />

der die breite Flüsse zu einem Bächlein schrumpfen und die immer wachsenden<br />

Schlingpflanzen auf Sparflamme arbeiten. Aber ich habe die uralten Bäume gigantischen<br />

Ausmaßes gesehen, wobei mich die Formen der Wurzeln und Stämme am meisten staunen<br />

ließen. Generell ist es dunkel im Wald, da jeder Quadratzentimeter Sonnenlicht vergeben ist<br />

und das Palm- und Laubdach gut abdeckt. Alles ist be- und verwachsen. Alles. Und jedes<br />

Kraut, jedes Blatt und jedes Stück Rinde wurde hier für medizinische Zwecke verwendet.<br />

Alberto konnte eine halbe Stunde über den Gebrauch und die Wirkung von Guanto reden,<br />

dabei weiß er sicherlich nur halb so viel wie ein Shaman - Die Medizinmänner hier, die man<br />

leider nicht mehr zu Gesicht bekommt. Was ich jedoch mit Sicherheit sagen kann ist, dass es<br />

eine Menge Pflanzen gibt, mit denen man „therapeutische“ Tränke brauen kann…


Stichpunkte/ Reisebeobachtungen/ Busgeschichten<br />

- in den Dschungelstädten leben die Affen auf der Straße, wie an der Küste die Hunde<br />

- Abendbeschäftigung in der Stadt: die Leute sitzen einfach auf der Strasse – im<br />

Plastikgartenstuhl und unterhalten sich<br />

- Die Musikanlage ist der bestfunktionierende Teil eines jeden Busses. Auch wenn die<br />

Scheinwerfer kaum 3m weit leuchten – die Musik ist manchmal so laut, dass man sich<br />

nicht nebeneinander unterhalten kann.<br />

- In jedem Bus hängt entweder ein Jesus- oder Engelbild; in jedem Restaurant findet<br />

man ein Bild vom letzen Abendmahl; In den Straßen stehen Schaufensterkästen mit<br />

Maria mit Jesus oder Engelsfiguren,… – unsere Dorfkirche war jedoch nicht einmal an<br />

Ostern geöffnet<br />

- Baustellen werden mit grünen Zweigen (anstelle von Warndreiecken) gekennzeichnet<br />

- Straßenarbeiter tragen Flipflops, auch wenn geteert wird; bei Schweißarbeiten wird<br />

auf Schutzbrille oder gar Handschuhe gänzlich verzichtet<br />

- Ich habe noch nie eine Geschwindigkeitsbegrenzung gesehen, nur Bodenwellen im<br />

Asphalt, aber auch für diese gibt es kein Hinweisschild. Vor scharfen Kurven auf den<br />

Steilstrecken der Gebirgsketten findet man lediglich folgende Warnung: „Reduzieren<br />

Sie Ihre Geschwindigkeit jetzt“<br />

- Begrenzung der Fahrbahn vom tiefen (!), knappen Felsabgrund: verbeulte, gelb-rot<br />

angemalte, rostige, mit Steinen gefüllte Tonnen in 50m Abstand (Leitplanken sind im<br />

Kommen)<br />

- Es werden mehr Tickets als Sitzplätze verkauft, und während der Fahrt steigen so<br />

lange hinzu, bis der Busfahrer in seinem Lenkradraum eingeschränkt wird<br />

- In Quito ist ein Stadtbus mit 42 Sitzplätzen für eine Gesamtpersonenanzahl von 160<br />

ausgeschildert ( 118 Stehplätze)<br />

- „Ranchera“ = alter Bus mit abgerissenen Seitenwänden, rausgerissenen Sitzen und<br />

hinein gequetschten und aufmontierten Holzbänken- um mehr Personen bei weniger<br />

Komfort und ohne Sicherheit transportieren zu können<br />

- Auch gerade überholende Fahrzeuge werden noch in diesem Moment von dritten<br />

überholt – all dies geschieht auf der nicht einsehbaren Gegenfahrbahn einer kurvigen<br />

Schmalstrecke


- Auf dem Seitenstreifen einer Hauptverkehrsstraße in Quito wohnen Menschen in<br />

überdimensionalen Kartonkisten, die mit Plastiktüten und Autoreifen befestigt sind<br />

- Am selben Straßenrand, wo der Streifen zwischen Zaun und Fahrbahn nicht einmal<br />

mehr 2m breit ist, hat jemand seine Kuh auf dem Bürgersteig festgebunden, damit<br />

diese den Grasstreifen abfressen kann<br />

AUFREGUNG ist das Wort, das meinen jetzigen Zustand und meine Sicht auf Zurück- und<br />

vor mir Liegendes am besten beschreibt!<br />

Hasta Luego und Alles Gute<br />

Euer Thomas<br />

PS:<br />

Wenn ich einen kleinen Filmtipp geben darf:<br />

„The Story of Stuff“ (25 Minuten), im Internet googlen und legal und kostenlos ansehen. Hier<br />

werden ganz anschaulich ein paar Sachverhalte zusammengetragen, über die man sich<br />

vielleicht bewusst sein sollte;)<br />

Bei weiterem Interesse und ausreichender Zeit kann ich folgende weitere Filme empfehlen<br />

- “The Power of Community” (Peak Oil and destroyed Economy in Cuba)<br />

- “The Future of Food” (Genetically Modified Seeds and conventional agriculture)<br />

- “Who killed the Electric Car” (development and alternative ways, and why still nothing is changing)<br />

- “How to save the World” (importance of Organic and biodynamic Agriculture)<br />

- “The True Cost of Food” (Comic for Kids about consumption and conventional agriculture)<br />

- “The Corporation” (how does EVERYTHING work and what can we do)

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