LEIPZIG VON UNTEN - Landesamt für Archäologie
LEIPZIG VON UNTEN - Landesamt für Archäologie
LEIPZIG VON UNTEN - Landesamt für Archäologie
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>LEIPZIG</strong> <strong>VON</strong> <strong>UNTEN</strong><br />
Archäologische Einblicke durch Karstadtneubau<br />
Im Vorfeld der Errichtung eines Geschäftshauses der KarstadtQuelle<br />
AG fanden zwischen Petersstrasse im Westen und Neumarkt im<br />
Osten archäologische Untersuchungen statt. Für die von Mitte Januar<br />
bis Mitte Mai dauernde Grabung standen neben zwei Archäologen<br />
und sechs Mitarbeitern des <strong>Landesamt</strong>es <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> Sachsen auch<br />
Studenten sowie je nach Bedarf Mitarbeiter aus einer AB-Maßnahme zur<br />
Verfügung.<br />
Die Grabungsfläche umfasste zwei kleinere Innenhöfe der Grundstücke<br />
Peterskirchhof 7 und Neumarkt 38 sowie den Zuliefererhof des Kaufhauses<br />
Karstadt, der von den Flurstücken Petersstraße 33, 35 und 37 gebildet<br />
wurde.<br />
Das Quartier war während des Bombardements am 4. Dezember 1943<br />
so schwer getroffen worden, dass die Ruinen der meisten Gebäude<br />
nach dem Krieg abgetragen<br />
werden mussten. Lediglich auf<br />
der Petersstraße 35 stand ein<br />
kleiner Ersatzbau der Bäckerei<br />
Kämpfe.<br />
Die Grabung begann im<br />
ehemaligen Lieferhof mit der<br />
maschinellen Beräumung der<br />
mit Abbruchschutt verfüllten<br />
Keller. Im Anschluss wurden die<br />
ehemaligen Innenhofbereiche<br />
erforscht.<br />
Der Marstall<br />
Auf den Grundstücken<br />
Peterskirchhof 7 und Neumarkt 38 errichtete man nach 1867 zwei große<br />
Wohnhäuser mit repräsentativen Fassaden, die aufwändig gesichert, jetzt<br />
in den Neubau integriert werden. Bis 1867 stand hier der 1575 errichtete<br />
Marstall, in dem die städtischen Pferde, Wagen, Kutschen und Reitzubehör<br />
gepflegt und aufbewahrt wurden.<br />
Vorkriegsaufnahme der<br />
Petersstr. 35 und 37: die<br />
Bäckerei Kämpfe und das<br />
Messehaus "Goldener<br />
Hirsch".<br />
Südostansicht des im Jahre<br />
1867 abgerissenen Marstalls<br />
(Grundstücke<br />
Peterskirchhof<br />
7 und Neumarkt<br />
38).<br />
Leipzig während der Messe: Petersstr. 33 und 35.<br />
© <strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> mit Landesmuseum <strong>für</strong> Vorgeschichte, Dresden. Alle Rechte vorbehalten.
<strong>LEIPZIG</strong> <strong>VON</strong> <strong>UNTEN</strong><br />
Archäologische Einblicke durch Karstadtneubau<br />
Aus der Spätzeit existieren einige Bilder und Stiche des einst den Wohlstand der Stadt<br />
unterstreichenden Gebäudes. In einem der beiden kleinen Innenhöfe konnte eine renaissancezeitliche<br />
Pflasterung des Marstalls freigelegt werden. Unter dieser fanden sich Reste einer kleinen<br />
hochmittelalterlichen Lehmgrube.<br />
Solche gehörten zur typischen<br />
Ausstattung hochmittelalterlicher<br />
Grundstücke. Sie zeigen, dass<br />
man die straßenabgewandten<br />
Grundstücksflächen zur Gewinnung<br />
des <strong>für</strong> den Hausbau wichtigen Lehms<br />
vor Ort nutzte und die Gruben dann<br />
u.a. mit unbrauchbar gewordenem<br />
Hausrat verfüllte.<br />
Nahaufnahme der<br />
renaissancezeitlichen Pflasterung.<br />
Äußere Ansicht des Marstalls. Aquarell von<br />
A. Eitzner (Stadtgeschichtliches Museum).<br />
1<br />
2<br />
3<br />
© <strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> mit Landesmuseum <strong>für</strong> Vorgeschichte, Dresden. Alle Rechte vorbehalten.
<strong>LEIPZIG</strong> <strong>VON</strong> <strong>UNTEN</strong><br />
Archäologische Einblicke durch Karstadtneubau<br />
Linienbandkeramische<br />
Scherben (ungefähres<br />
Alter: 7300 Jahre).<br />
Petersstraße 37 Messehaus<br />
"Goldener Hirsch"<br />
Das Messehaus "Goldener Hirsch" gehörte bis zur<br />
Zerstörung im Jahr 1943 zu den innerstädtischen<br />
Messepalästen, die nach der Umstrukturierung von<br />
der Waren zur Mustermesse ab 1870 neu errichtet<br />
wurden. Im Zuge des Neubaus vergrößerte man auch die Kellerflächen,<br />
so dass auf dem Grundstück nur ein kleiner, ca. 200 qm großer,<br />
Bereich der Ausgrabung zur Verfügung stand. Trotz dieses kleinen<br />
Ausschnittes gelang es zur großen Überraschung, Siedlungsgruben der<br />
sog. Linearbandkeramik aus der Zeit um 5300 v. Chr. zu dokumentieren<br />
und einige der namensgebenden Gefäßbruchstücke zu bergen.<br />
Die Bedeutung der Petersstraße als Hauptachse des mittelalterlichen Leipzigs wird<br />
durch einen bislang einzigartigen Fund unterstrichen: In der Verfüllung einer Grube<br />
fand sich eine rechteckige, 2,7 mal 3,6 cm große Bronzeplatte mit zwei Scharnieren und<br />
einer einst farbenprächtigen Emailzier (siehe Abbildung nächste Seite). Dargestellt ist ein Mischwesen in Profilansicht mit einem vogelartigem<br />
Kopf und dem Schwanz einer Sirene auf blauem Grund. Erst während der Restaurierung wurden die Reste der Vergoldung erkennbar und<br />
mikroanalytisch nachgewiesen. Die Kontrastwirkung der vergoldeten Figur und des blauen Emailgrundes ist ein Kennzeichen der emaillierten<br />
Schnallen aus Limoges. In dieser südfranzösischen Stadt wurden ab ca. 1200 emaillierte Bronzen als ausgesprochene Luxusartikel hergestellt,<br />
Oben: Einblick in die Petersstraße (ganz links im Bild<br />
Nr. 37).<br />
Rechts: Hinterhofansichten Petersstr. 37.<br />
3<br />
Zum Vergleich: ein nahezu<br />
vollständiges bandkeramisches Gefäß<br />
aus Dresden-Nickern.<br />
4<br />
"Goldener Hirsch"<br />
3 Innenhof Richtung<br />
Neumarkt.<br />
4 Innenhof Richtung<br />
Petersstraße.<br />
© <strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> mit Landesmuseum <strong>für</strong> Vorgeschichte, Dresden. Alle Rechte vorbehalten.
<strong>LEIPZIG</strong> <strong>VON</strong> <strong>UNTEN</strong><br />
Archäologische Einblicke durch Karstadtneubau<br />
Mittelalterliche emailierte<br />
Gürtelschnalle.<br />
die u.a. als Altar- und Buchbeschläge in Kirchen und Klöstern oder als Gürtelplatten in wohlhabenden adligen oder bürgerlichen Haushalten<br />
Verwendung fanden. Ein weiterer Fund unterstreicht die herausgehobene gesellschaftliche Stellung der hier Ansässigen: Bei einer runden<br />
Scheibe aus hartem Beinknochen handelt es sich um die sogenannte "Nuss" einer Armbrust, mit deren Hilfe die gespannte Sehne der Waffe gehalten und nach der<br />
Zielerfassung losgelassen werden konnte, um den Pfeil mit hoher Durchschlagskraft in das Ziel zu schießen. Da vergleichbare Funde ausschließlich in Burgen getätigt<br />
wurden, spricht Vieles da<strong>für</strong>, dass diese hochwirksamen Waffen nur privilegierten Personen zur Verfügung standen. Dieser Hinweis auf die weitgespannten Beziehungen<br />
und den Wohlstand sind umso überraschender, als dass das Areal erst wenige Jahrzehnte vorher parzelliert und zunächst nur gartenbaulich genutzt wurde.<br />
Verzierte Knochenplatten, Teil einer Armbrust,<br />
Nuppenbecherfragment, Glasfläschen.<br />
Gefäßfragmente einer <strong>für</strong> Sachsen seltenen<br />
mittelalterlichen Keramik.<br />
Mittelalterliche Scherben, darunter die eines<br />
Siebes.<br />
Rekonstruktion einer Armbrust mit Nussschloss und Abzugstange<br />
aus Knochen (Umzeichnung nach "Das Reich der Salier".<br />
Sigmaringen 1992).<br />
Mittelalterliche Keramik.<br />
© <strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> mit Landesmuseum <strong>für</strong> Vorgeschichte, Dresden. Alle Rechte vorbehalten.
© © <strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> mit mit Landesmuseum <strong>für</strong> <strong>für</strong> Vorgeschichte, Dresden. Alle Alle Rechte vorbehalten.<br />
<strong>LEIPZIG</strong> <strong>VON</strong> <strong>UNTEN</strong><br />
Archäologische Einblicke durch Karstadtneubau<br />
33<br />
35<br />
37<br />
Das Grabungsareal der Grundstücke Petersstraße 33, 35 und 37 aus der Vogelperspektive.<br />
Vollständige dreidimensionale Erfassung<br />
der in der Petersstraße 33 freigelegten<br />
Kellerräume mittels eines 3D Laser Scanners.<br />
Barockbrunnen auf dem Gelände der Petersstraße<br />
37.<br />
Mittelalterliche<br />
Abfallgrube unter der<br />
Petersstraße 37.<br />
Petersstraße
<strong>LEIPZIG</strong> <strong>VON</strong> <strong>UNTEN</strong><br />
Archäologische Einblicke durch Karstadtneubau<br />
Petersstraße 33 und 35<br />
Diese langgestreckten, schmalen Parzellen stehen <strong>für</strong> die frühneuzeitliche<br />
Bebauung, die ab 1870 durch Zusammenlegungen mehrerer Grundstücke<br />
von großen Blockbauten wie zum Beispiel der "Goldenen Kugel" weitgehend<br />
ersetzt wurde. Beide Häuser brannten während des Angriffes vom 4.<br />
Dezember 1943 vollständig aus und wurden nicht wieder aufgebaut. Die<br />
ehemalige Bebauung bestand jeweils aus Vorder-, Seiten- und Hinterhaus<br />
mit einem kleinen Hof. Die altertümlichen Grundstückszuschnitte ließen<br />
auf ältere Bauteile hoffen, die in Petersstraße 33 in Form eines zur Hälfte<br />
vollständig erhaltenen renaissancezeitlichen Kellers erfüllt wurden.<br />
Peterstraße 33<br />
Unmittelbar an der Petersstraße gelegen und zum Vorderhaus gehörig<br />
fand sich ein West – Ost ausgerichtetes Tonnengewölbe aus dem späten<br />
15./16. Jh. Dieser aus großformatigen, handgestrichenen Ziegeln errichtete<br />
Keller nahm ungefähr die halbe Grundstücksbreite ein und war durch einen<br />
rechtwinkelig angelegten Treppenlauf (mündete in die Kellernordseite)<br />
vom Hof aus zu betreten. Trotz der langen Nutzung dieses Gewölbes (bis<br />
1943) und den damit verbundenen kleineren Ein- und Umbauten war im<br />
Inneren noch ein Teil des ursprünglichen Bodens aus sorgfältig versetzten<br />
Flusssteinen erhalten.<br />
Sowohl Seiten- als auch Hinterhaus waren vollständig unterkellert. Entlang<br />
der südlichen Parzellengrenze schloss sich an das oben beschriebene<br />
Gewölbe ein langgestreckter Kellerraum an, der mit einer aufgesetzten<br />
Tonne überwölbt war. Dieser Raum sowie ein weiterer Kellerraum unter dem<br />
Hinterhaus stammten aus der Gründerzeit. Der lange Kellerraum war nicht<br />
so breit wie der Gewölbekeller des Vorderhauses, ursprünglich bestand auch<br />
keine direkte Verbindung. Erst im Krieg erfolgte ein Durchbruch. Erschlossen<br />
wurden diese Räume ebenfalls vom Hof aus über eine mittig angelegte<br />
Treppe. Paarweise angeordnete Lichtschächte zum Hof hin dienten u. a. als<br />
Kohlerutschen.<br />
Blick in einen <strong>für</strong> Leipzig typischen Innenhof.<br />
Schnitt durch das Tonnengewölbe des 15./16. Jh.<br />
© <strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> mit Landesmuseum <strong>für</strong> Vorgeschichte, Dresden. Alle Rechte vorbehalten.
<strong>LEIPZIG</strong> <strong>VON</strong> <strong>UNTEN</strong><br />
Archäologische Einblicke durch Karstadtneubau<br />
Petersstraße 35<br />
Hier war die Alt-Leipzigern bekannte Bäckerei Kämpfe ansässig. Wie auch<br />
die benachbarten Häuser wurde diese bei dem Bombenangriff im Dezember<br />
1943 zerstört. Die Keller jedoch überstanden den Angriff und ermöglichten<br />
so ein Weiterführen der Bäckerei in einem kleineren Geschäftslokal bis in<br />
die 50er Jahre.<br />
Bei der Petersstraße 35 handelte es sich um ein schmales, langes Grundstück,<br />
das in seiner Form wohl der aus alten Plänen bekannten Parzellierung<br />
entsprach. Von den ursprünglichen Kellern (vor 1870) war nichts mehr<br />
erhalten geblieben, die angetroffenen Fundamente stammten ausschließlich<br />
aus der Gründerzeit. In dieser letzten Bauphase war das gesamte Grundstück<br />
unterkellert worden, wobei jedoch der östliche Teil als eine Art "Halbstock"<br />
angelegt war. Der Nutzung als Backstube entsprechend bestand der westliche<br />
Teil des Kellers aus einem großen Raum mit zentralem Mittelpfeiler.<br />
Danksagung An dieser Stelle sei nochmals allen beteiligten Institutionen,<br />
Behörden und Firmen, insbesondere der "Grundstücksgesellschaft Leipzig<br />
Petersstraße GbR" und der Arbeitsagentur Leipzig, gedankt. Ohne deren<br />
Unterstützung wäre der reibungslose Ablauf der Grabung nicht möglich<br />
gewesen.<br />
Thomas Westphalen<br />
Grundriss Petersstr. 35 (Bauakte 1296, Bl. 5,<br />
Stadtarchiv Leipzig).<br />
Stadtplan von 1603<br />
mit eingezeichneten<br />
Wasserleitungen.<br />
© <strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> mit Landesmuseum <strong>für</strong> Vorgeschichte<br />
Zur Wetterwarte 7 01109 Dresden<br />
Telefon: 0351 / 89 26 603 Email: Presse@archsax.smwk.sachsen.de<br />
Fax: 0351 / 89 26 666 Internet: www.archsax.sachsen.de<br />
Vervielfältigungen nach vorheriger Absprache mit dem LfA<br />
LANDESAMT<br />
<strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> • Sachsen<br />
LANDESMUSEUM<br />
<strong>für</strong> Vorgeschichte • Dresden<br />
© <strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Archäologie</strong> mit Landesmuseum <strong>für</strong> Vorgeschichte, Dresden. Alle Rechte vorbehalten.