Brief eines Opas an sein noch ungeborenes Enkelkind - Bund ...
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Schätzen dieser Erde haben wir die Kammern leerer und leerer geraubt ohne dar<strong>an</strong> zu denken, dass<br />
auch Du <strong>noch</strong> etwas zum Leben brauchst.<br />
Du wirst nie Pfl<strong>an</strong>zen sehen, <strong>an</strong> denen ich mich <strong>noch</strong> erfreute, vor denen ich auf dem Bauch lag um<br />
sie mir so genau wie nur möglich <strong>an</strong>zuschauen. Du wirst nie sehen können wie sie sich im Winde<br />
wiegen, wirst nie ihren Duft atmen können, k<strong>an</strong>nst sie nicht berühren, wirst nie erleben können, wie<br />
aus ihrem Samenkorn keimend das neue Leben erwacht. Du wirst nie erleben wie sich ein Schmetterling<br />
auf ihnen niederläßt sich Nektar holend, Du wirst nie eine Hummel auf ihnen sitzen sehen sich<br />
mit ihrem Blütenstaub beladend. Nie, nie, nie.<br />
Was bleibt? Ich werde Dir schöne Bilder von diesen Pfl<strong>an</strong>zen zeigen können, schöne bunte. Und ich<br />
werde Dir von ihnen erzählen können, von der Bienenwurz und dem Waldvögelein, von der Witwenblume<br />
und dem Schusternagel, von der Nieswurz und dem Tausendgüldenkraut. Ja das k<strong>an</strong>n ich.<br />
Aber was ist das schon. Ein Nichts gegenüber der wunderbaren Zärtlichkeit der Wirklichkeit.<br />
Und mit den Pfl<strong>an</strong>zen nahmen wir Dir die Tiere. Du wirst nie sehen wie beschwingt das Farbenwunder<br />
<strong>eines</strong> Admirals durch die Luft taumelt oder <strong>eines</strong> Pfauenauges, Du wirst nie das Fell <strong>eines</strong> Iltis<br />
fühlen. Ob Du je eine Eidechse beobachten werden k<strong>an</strong>nst oder einen Laubfrosch sehen wirst? Es<br />
wird sich zeigen.<br />
Wir werden Dir ausgeräumte Flure hinterlassen, eintönige Flächen, begradigte Flüßchen und Flüsse.<br />
Woher sollst Du ein Gefühl für die Natur bekommen, dem einzigen wovon der Mensch lebt? Wie soll<br />
ich Dir einen glucksenden, über Stein und Holz plätschernden Bach zeigen, der sich lieblich durch ein<br />
Tal schlängelt, begrenzt von Erlen und Weiden von Sumpfdotterblumen, Blutweiderich und Sumpfvergißmeinnicht?<br />
Es gibt sie nicht mehr, und mit ihnen verschwindet der Eisvogel, die Wasseramsel,<br />
das Blaukehlchen.<br />
Und Du wirst mich später fragen: Opa wie war das alles möglich, warum hast Du nichts dagegen get<strong>an</strong>,<br />
Du hast doch gewusst was los ist. Und ich werde Dir <strong>an</strong>tworten: ich habe es versucht, ich habe es<br />
mit all dem versucht zu verhindern, was ich konnte. Ich habe mich für meinen Einsatz beschimpfen<br />
lassen, mir Morddrohungen <strong>an</strong>gehört, Freunde verloren, weil ich meinte sie kritisieren zu müssen<br />
wegen ihrer ungebremsten Reiselust. Ich habe geschrieben und telefoniert, habe Gutachten erstellen<br />
lassen und Zeitungsartikel geschrieben. Und doch ist geschehen, was der brutale Egoismus des im<br />
Moment lebenden Menschen Dir hinterlassen hat. Und auch Du hast diesen Egoismus geerbt, lerne<br />
so früh als möglich ihn so zu zügeln, dass Du nicht einen ähnlichen <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> Deine Enkel schreiben<br />
musst.<br />
Dein Opa