Untitled - Carl Bechstein Gymnasium
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Erkneraner Hefte Nr.2<br />
Bernd Rühle<br />
Der 8. März 1944 -<br />
das Ende des alten Erkner
Quellennachweis:<br />
Laurenz Demps: Die Luftangriffe auf Berlin 1998<br />
Die großen Luftschlachten des II. Weltkrieges<br />
o.D.<br />
Erinnerungen von Zeitzeugen<br />
Erkner1994<br />
Färber: Der II. Weltkrieg in Bildern Stuttgart 1990<br />
A. Girbig: Im Anflug auf die Reichshauptstadt o.D.<br />
Olaf Groehler: Zum Luftangriff auf Erkner am 8.März 1994 o.D.<br />
P. Young: Atlas zum II. Weltkrieg 1998<br />
Impressum:<br />
Herausgeber:<br />
Heimatverein Erkner e.V. 2000<br />
Text:<br />
Dr. Bernd Rühle<br />
Bildnachweis:<br />
Heimatkundliches Archiv Erkner, Bundesarchiv<br />
Layout, Satz und Druck:<br />
Testomat Druck GmbH<br />
15345 Eggersdorf, Landhausstraße
Vorwort<br />
Mit dem sichtbar fortschreitenden Ausbau der Friedrichstraße und der<br />
angrenzenden Straßenzüge zu einem von pulsierendem Leben, Handel und<br />
Gewerbe erfüllten Zentrum unserer Heimatstadt Erkner reduziert sich, von<br />
jährlichen Gedenkminuten an den Denkmälern abgesehen, die<br />
Erinnerungen an die Katastrophe des 8.März 1994 auf diejenigen<br />
Einwohner, die das Grauen jenes Tages selber miterlebt haben. Aber auch<br />
die letzten Spuren der Tragödie verschwinden mehr und mehr aus dem<br />
Stadtbild und das ist gut so. Das vorliegende Heft 2 unserer Schriftreihe soll<br />
dazu beitragen, die Kenntnisse über das, was damals geschah, bei den<br />
älteren vielleicht ein wenig zu vertiefen und den Jüngeren dadurch die<br />
Schrecken des Krieges Bewusst zu machen. Dank sei denjenigen<br />
Zeitzeugen gesagt, die in ihren hier auszugsweise zitierten Erinnerungen ihr<br />
Erleben an die Nachwelt weitergegeben haben. Da auch die amtlichen und<br />
wissenschaftlichen Darstellungen oft voneinander abweichende Zahlen und<br />
Fakten enthalten und manches Detail überhaupt nicht erwähnt ist, nehmen<br />
wir ergänzende bzw. kritische Hinweise gerne entgegen.<br />
Herrn Heinz Schulz und Herrn Dr. Präkel sei für Durchsicht und wertvolle<br />
Ergänzungen gedankt, ebenso den Sponsoren und dem Landkreis Oder-<br />
Spree für ihre Unterstützung.<br />
Der Herausgeber
Am Ende des 19. Jahrhunderts war aus der bis dahin relativ lose<br />
verbundenen Gruppierungen verstreut zwischen Wäldern und Seen<br />
liegender Wohnplätze die Gemeinde Erknergeworden, die diesen Namen<br />
1889 erhielt, und von der es einen zeitgenössischen Touristenführer hieß:<br />
"frische, reine Seeluft und würziger Kiefernduft sind die angenehmen<br />
Vorteile, die sich für Erkner aus seiner schönen Lage in Wasser- und<br />
Waldreicher Landschaft ergeben. Gestützt auf die Nähe Berlins auf die<br />
günstige Verkehrslage an Straße, Schiene und Wasserwegen siedelten sich<br />
zwar bedeutende Industriegebiete wie das Rügerswerk und später<br />
Bakelitefabrik an, aber der Ort wurde dennoch mehr und mehr zu einem<br />
"Umschlagsplatz" für die zunehmenden Touristenströme, die sich in die<br />
Erholungslandschaft östlich Berlins ergossen. Für ihr leibliches Wohl sorgten<br />
u.a. ca. 30 Gaststätten; viele Bootshäuser an Seen und Flüssen machten<br />
Erkner zu einem Eldorado des Wassersports. Viele Dampferlinien<br />
verbanden die Ausflugsorte miteinander. Freundliche Siedlungen für<br />
unterschiedliche Bevölkerungsgruppen entstanden, in einer Vielzahl von<br />
Vereinen konzentrierte sich das gesellschaftliche Leben. Der 1933 fast 8000<br />
zählende Ort war erfüllt von pulsierendem gewerblichem Leben, es lebte<br />
sich gut in der hübsch und verkehrsgünstig gelegenen Gemeinde, die sich<br />
stetigen inneren wie äußeren Wachstums erfreuten. Bekannte<br />
Persönlichkeiten wie Gerhart Hauptmann, <strong>Carl</strong> <strong>Bechstein</strong> und Albert<br />
Kiekebusch wählten Erkner zeitweise als Wohnsitz; die Einwohnerzahlen<br />
stiegen mit zunehmender Bebauung an, und im Laufe der Zeit nahm der Ort<br />
in mancher Hinsicht Städtischen Charakter an.<br />
Die Friedrichstraße in den 30er Jahren
Doch mit der Machtübernahme Hitlers 1933 wurde deutlich, wohin der Weg<br />
der neuen Machthaber führen würde. Das gesamte gesellschaftliche Leben<br />
wurde von nationalsozialistischem Gedankengut durchdrungen, Verfolgung<br />
von Juden und Andersdenkender lassen sich noch heute nachweisen. Die<br />
Kriegsvorbereitung wurde offenkundig; der Anschluss Erkners an die<br />
Autobahn am 6.Juni 1936 und die Produktionsaufnahme des neu errichteten<br />
Kugellagerwerkes 1938, das 1943 beispielsweise 44000 Kugellager täglich<br />
nahezu ausschließlich für militärische Zwecke herstellte, verliehen dem Ort,<br />
dessen Einwohnerzahl inzwischen auf über 9000 gestiegen war, eine<br />
wichtigen kriegswirtschaftlichen Stellenwert. Entsprechend wurden dann vor<br />
Kriegsbeginn bemerkenswerte kommunale Projekte wie zum Beispiel die<br />
Anlage einer größeren Siedlung in der Nähe des Karutzsees mit eigenem<br />
Bahnhof oder die Errichtung eines repräsentativen Neubau für die Theodor-<br />
Fontane-Schule nicht mehr verwirklicht.<br />
Die Bedeutung Erkners als Standort der Rüstungsproduktion<br />
Schon im ersten, vor allem aber währen des zweiten Weltkrieges war Erkner<br />
zum Standort kriegswichtiger Produktion geworden. Der Ort lag deshalb im<br />
Blickpunkt der alliierten Luftkriegsstrategie. Betrachtet man unter diesem<br />
Aspekt die einzelnen Betriebe, so ergibt sich folgendes Bild:<br />
Die 1861 gegründeten Rütgerswerke (Teerwerk) stellte bereits im I.<br />
Weltkrieg nach eigener Darstellung "Benzole für die Verkehrs- und<br />
Fliegertruppen, Heizöle, Schiffsanstriche und Naphaltin für die Marine,<br />
Toluol für die Sprengstoff-Fabriken..." usw. her.<br />
Das Kugellagerwerk ca. 1941
Diese Produktion wurde im Prinzip beibehalten. Das Werk bezeichnete sich<br />
1942 als "ein OKW-Betrieb, ..... also in kriegswichtiger Bedeutung." 1943<br />
betrug die Gesamtproduktion 8300 t monatlich, 1944 werden jährlich 56217 t<br />
spezieller Produkte hergestellt. Nach dem 8. März 1944 wird mit Hochdruck<br />
an der Beseitigung der Bombenschä den gearbeitet, und das Werk wird<br />
dabei sogar in die höchste Dringlichkeitsstufe (Zi., Wehrmachtsnr. SS4900)<br />
eingestuft, womit dei Bedeutung für die Rüstung unterstrichen wird.<br />
Die 1938 neu errichtete Bakelitefabrik konnte schon 1939 die<br />
Gesamtproduktion von Phenolharzen und Phenolharzpressmassen auf<br />
jährlich 13000 t steigern. Ein Großteil der Produktion wurde für<br />
Rüstungszwecke verwendet.<br />
Das 1938 als modernes Zweigwerk der Schweinfurter Kugellagerfabriken<br />
errichtete Kugellagerwerk galt den Alliierten neben Schweinfurt "als das<br />
wichtigste Kugellagerwerk der deutschen Rüstungsindustrie". In ihm waren<br />
2000 Arbeiter und 140 Angestellte beschäftigt, und 1943 betrug die<br />
Produktion täglich 44000 Kugellager aller Größen für Flugzeuge, Panzer und<br />
Geschütze.<br />
Um deutlich zu machen, dass der Angriff auf Erkner ein Teil gesamten<br />
Luftkrieges im Jahr 1944 war, aber auch in einem Zeitpunkt erfolgte, an dem<br />
der Krieg für Nazideutschland praktisch schon verloren war, sei in den<br />
folgenden Abschnitten die militärische Gesamtlage noch einmal kurz<br />
skizziert.<br />
Der Krieg beginnt an einem Ausgangspunkt zurückzukehren - die<br />
militärische Lage an den wesentlichen Fronten im I. Quartal 1944<br />
Nach dem Untergang der deutschen 6. Armee im Januar 1943 in Stalingrad<br />
und der faktische Niederlage der Wehrmacht nach der letzten Großoperation<br />
zur Begradigung des sogen. Kursker Bogens (Operation "Zitadelle") im Juli<br />
1943 war die Initiative auf allen Kriegsschauplätzen entgültig an die<br />
sowjetischen, britischen und amerikanischen Streitkräfte übergegangen. Die<br />
Wehrmacht wurde zunehmend in die defensive gedrängt. Wie sah die<br />
Frontlage zwischen Januar und März 1944 im einzelnen aus? Im<br />
Nordabschnitt der Ostfront mussten die im Verband Heeresgruppe Nord<br />
eingesetzte 16. und 18. Armee die nahezu 900 Tage lang Leningrad (jetzt:<br />
St. Petersburg) eingeschlossen hatten, zwischen 19. Januar und 1. März<br />
1944 dem starken Angriffsdruck von drei sowjetischen Fronten<br />
(Heeresgruppen) weichen und die Belagerung der Stadt aufgeben. Die<br />
Heeresgruppe Nord wurde auf die Linie von Narwa im Norden-Pleskau-<br />
Pustoschka im Süden zurückgedrängt und später bis zum Kriegsende auf<br />
der Halbinsel Kurland eingekesselt.
Im Bereich der Heeresgruppe Mitte wölbte sich zu Jahresbeginn die<br />
deutsche Front in einem Weiten Bogen um die Städte Witebsk, Mogilew und<br />
Bobruisk nach Osten, für dessen Verteidigung nur 40 Divisionen und als<br />
Reserve lediglich eine Panzerdivision sowie die Luftflotte 6 mit 829<br />
Flugzeugen zu Verfügung standen. Viel zu wenig Kräfte, um wenig später<br />
der großen sowjetischen Sommeroffensive wiederstehen zu können, die am<br />
22. Juni 1944 mit 126 Schützendivisionen, 6 Kavalleriedivisionen, 45<br />
Panzerbrigaden und 16 mot. Brigadensowie 4500 Flugzeuge in diesen<br />
Frontabschnitt losbrach.<br />
Im Süden konzentrierten sich die Kämpfe im Bereich der Heeresgruppen A<br />
und Süd in der Ukraine auf den Kessel bei Tscherkassy, wo die<br />
eingeschlossenen deutschen Einheiten, das XI. Korps, Teile des 47.<br />
Panzerkorps und der SS-Division "Wiking", nur mit Mühe ausbrechen<br />
konnten.<br />
In den Tagen vor dem 8. März verschärft sich die Lage weiter: am 4. März<br />
beginnt die Frühjahrsoffensive der sowjetischen 1. ukrainischen Front, die<br />
die deutschen Linien durchbricht und bis Tarnopol durchstößt. Am 5. März<br />
greifen die Truppen der 2. ukrainischen Front die Deutsche 1. und 4.<br />
Panzerarmee an. Zwischen dem 5. und 10. März stehen die deutschen<br />
Truppen der Heeresgruppe Mitte in heftigen Abwehr- und Rückzugskämpfen<br />
westlich Smolensk und an Bug und Dnjestr.. Am 6. März greift die<br />
sowjetische 3. ukrainische Front auf einer Breite von 800 km die<br />
Heeresgruppe A an.<br />
Am 8. März meldet das OKW (Oberkommando Der Wehrmacht) schwere<br />
Abwehrkämpfe um Kretsch (Krim) sowie heftige Angriffe sowjetischer<br />
Verbände mit erheblichen Geländegewinnen in Raum Nowyi Bug und<br />
Nikolajew.<br />
Für den Bereich der Heeresgruppe Süd werden "planmäßige<br />
Absetzbewegungen" und "Zurücknahmen" der Frontlinien nach schweren<br />
sowjetischen Angriffen gemeldet. Das gleiche gilt für die Heeresgruppe<br />
Nord. Alle hier nur angedeuteten Schlachtfelder im Osten lagen also am 8.<br />
März bereits in bedrohlicher Nähe der deutschen Grenzen. Aus Italien wird<br />
für den 8. März heftige Kampftätigkeit an der sogen. "Gustavlinie" und dort<br />
besonders rund um das Kloster Monte Cassino berichtet.<br />
Zur selben Zeit greifen alliierte Luftstreitkräfte im besetzten Frankreich<br />
wichtige Punkte an, was offensichtlich der Vorbereitung der am 6. Juni 1944<br />
erfolgten Invasion in der Normandie (D-Day) dient.<br />
Luftkrieg über Deutschland bis März 1944<br />
Obwohl der Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, Hermann Göring, zu<br />
Kriegsbeginn behauptet hatte, er wolle Meier heißen, wenn jemals ein<br />
feindliches Flugzeug das Reichsgebiet berühren sollte, erfolgt u.a. bereits in<br />
der Nacht vom 25. August 1940 ein erster britischer Bombenangriff auf
Berlin als Reaktion auf deutsche Luftangriffe auf die britischen Städte<br />
Birmingham, Kingston upon Hull und Coventry sowie London.<br />
Luftschutzübung hinter der Volksschule ca. 1942<br />
Arthur Harris<br />
Die britischen Luftstreitkräfte (Royal Air Force / RAF) standen unter Leitung<br />
des "Bomber Command", dessen Chef ab 1942 Arthur Harris, später<br />
"Bomber-Harris" genannt, war, und dessen "Fighter-Command"<br />
(Jagdflugzeuge). Der RAF standen aber zunächst nur Flugzeuge mit relativ<br />
beschränkter Leistungsfähigkeit (Reichweite, Bombenlast, Bewaffnung) zur<br />
Verfügung (Bomber: Armstrong Withley, Vickers Wellington, Blenheim,<br />
Handlry Page Hampden; Jäger: Hawker Hurrikane u.a.). Erst mit der<br />
Einführung schwerer viermotorieger Langstreckenbomber wie z.B. der Avro<br />
Lancaster erhöhte sich die Schlagkraft der RAF. Immerhin flog die RAF bis<br />
Ende 1942 54 Angriffe gegen Berlin. Im späteren sogen. "Luftschlacht in<br />
Berlin", die vom November 1943 bis Ende März 1944 dauerte, flogen die<br />
Briten insges. 33 nächtliche Angriffe gegen Berlin, davon 16 Großangriffe<br />
mit 9111 Flugzeugen. In diese Zeit fällt<br />
auch ein erster gezielter Nachtangriff<br />
auf Erkner am 23./24. Dezember 1943,<br />
der allerdings nur geringe Sachschäden<br />
anrichtete. Ende März 1944 brach man<br />
die Aktion ab; die Verluste waren zu<br />
hoch, und die Moral der Bevölkerung<br />
wurde überschätzt, obwohl man von<br />
Angriffen gegen einzelne Ziele zu<br />
flächendeckenden Massenangriffen mit<br />
z.T. mehr als 1000 Bombern gegen<br />
andere deutsche Großstädte wie Köln<br />
und Hamburg übergegangen war.<br />
Im Luftschutzkeller des Hauses<br />
Buchhorster Straße 21b
Obwohl die deutsche Luftwaffe hervorragende Kampf- und Jagdflugzeuge<br />
besaß (He 111, Ju 87, Ju 88, Me 109, Me 110, FW 190 u.a.) und eine<br />
wirkungsvolle Luftabwehr aufgebaut hatte, konnten sie diesen<br />
Massenangriffen nicht mehr Einhalt gebieten. Diese Situation wurde immer<br />
gravierender, nachdem sich ab 1942/43 die USA aktiv in den Luftkrieg<br />
einschalteten.<br />
Arthur Harris sagte dazu auf Berlin bezogen:<br />
"Wir können Berlin von einem Ende bis zum anderen einäschern, wenn sich<br />
die US-Air-Force dem anschließt. Es wird uns 400-500 kosten. Es wird<br />
Deutschland den Krieg kosten."<br />
Die USA verlegten 1942 ihre 8. Luftflotte (8th US Air Force) auf Flugplätzen<br />
in Südengland, East Anglia und Midlands, zwischen den Städten<br />
Northampton, Peterborough und Cambridge sowie Norwich, Ipswich und<br />
Colchester. 1944 waren es allein in diesen Gebieten 73 Stützpunkte, auf<br />
denen die schweren viermotorigen Bomber vom Typ B-17 und B-24 sowie<br />
die Langstreckenbegleitjäger "Mustang", "Thunderbolt" und "Lightening"<br />
stationiert waren. Der Oberbefehlshaber der 8th Air Force war seit Anfang<br />
1944 Lieutenant General James Doolittle; sein Hauptquartier befand sich in<br />
High Wycombe, circa 50km westlich Londons, in der Nähe des<br />
Hauptquartiers von Arthur Harris, des Chefs des alle Aktionen steuernden<br />
Britisch Bord Command.<br />
Die o.g. Flugzeuge der 8th Air Force waren in der Lage mit schweren<br />
Bombenbalsten über tausende Kilometer und in großen Höhen bis in die<br />
zentralen Teile Deutschlands und auch wieder zurück zu fliegen. Sie waren<br />
außerdem schwer bewaffnet und zur rundum Verteidigung eingerichtet<br />
(Fliegende Festung) und wurden von neu entwickelten Langstrecken-Jägern<br />
begleitet. Die 8th Air Force begann Anfang März 1944 mit schweren<br />
Tagesangriffen auf Berlin.<br />
Flugzeuge der 8th Air Force, die am Angriff auf Erkner beteiligt waren:<br />
B-17 Flying Fortress B-24 Consolidated Liberator<br />
Technische Daten:<br />
Technische Daten:<br />
Besatzung: 10 Mann Besatzung: 8-12 Mann<br />
Bewaffnung: 13 12,7 mm MGs Bewaffnung: 10 12,7 mm MGs<br />
Bombenlast: 7.389 kg Bombenlast: 3.992 kg<br />
Reichweite: 5.470 km Reichweite: 5.230 km
Der Angriff auf Erkner am 8. März 1944<br />
In der Zeit vom 1. Januar zum 6. März 1944 verzeichnet ein anonymer<br />
Kalender aus Erkner für 1944 insgesamt 27 Eintragungen über Luftalarm<br />
und Luftangriffe, die der Schreiber vermerkt hat. Für den 8. März 1944 lautet<br />
die lakonische Notiz: „Erkner zerstört“ aber das Damoklesschwert der<br />
drohenden Katastrophe schwebte bereits am Montag dem, 6. März, über<br />
Erkner.<br />
Am frühen Morgen dieses Tages starten 810 schwere Bomber B-17 und B-<br />
24 der 1., 2. und 3. US-Bomberdivision von verschiedenen Flugplätzen in<br />
den Grafschaften Huntingdonshire, Northamptonshire, Cambridgeshire,<br />
Bedfordshire, Norfolk und Suffolk.<br />
Während die 2. und 3. Bomberdivisionen mit 243 bzw. 252 Maschinen das<br />
Flugzeugmotorenwerk in Genshagen und die Elektrogerätetefabriken in<br />
Kleinmachnow angreifen sollten, galt der geplante Angriff der 315 B-17 der<br />
1. Bomberdivision unter dem Kommando von Brigadier General Robert<br />
Williams den Kugellagerwerken in Erkner. Kurz nach 13.00 Uhr drehten die<br />
B-17 der 1. Bomberdivision südlich von Berlin auf Nordostkurs ein, gerieten<br />
aber plötzlich über eine dichte Wolkendecke, so dass ein Angriff auf das<br />
ursprüngliche Ziel Erkner nicht mehr möglich war. Die abfliegenden Bomber<br />
warfen ihre Bomben relativ ziellos ab und gerieten zudem in das<br />
konzentrierte Abwehrfeuer der in und um Berlin, z.B. auch bei Gosen<br />
stehenden schweren 8,8 cm- und 12,8 cm-Flakbatterien. Durch Flak und<br />
Jäger wurden 69 Bomber und 11 „Mustang“-Jäger abgeschossen.<br />
Während für den 7. März 1944 in der Statistik kein Fliegeralarm kein<br />
Fliegeralarm für den Raum Berlin erwähnt wird, braut sich am Mittwoch, dem<br />
8. März, das Unheil über Erkner zusammen.<br />
Es ist wie zum Hohn, ein milder, strahlender sonniger Tag mit wolkenlosem,<br />
blauem Himmel. Das Leben am Vormittag läuft in Erkner in gewohnter<br />
Weise ab.<br />
Doch gegen 12.20 Uhr erfolgt der Einflug „mehrere hundert Kampflugzeuge<br />
mit Begleitschutz über Amsterdam - Osnabrück – Hannover – Braunschweig<br />
– in den Raum Magdeburg und Weiterflug mit Südostkurs in den Raum<br />
Wittenberg und von dort in den Raum Frankfurt a.O. Angriff auf Berlin von<br />
Osten und Südosten her.“ Es waren 350 Bomber vom Typ B-17 und B-24,<br />
begleitet von ca. 170 Langstreckenjägern “Lightning“, „Taifun“ und<br />
„Mustang“. Die ersten Begleitjäger drehen um 12.35 Uhr ab, gehen<br />
zwischen Rheine und östlich Magdeburg auf Gegenkurs und werden durch<br />
weitere Jagdverbände abgelöst, die den Angriff auf Berlin mitfliegen.<br />
Im Raum Magdeburg wird der Bomberstrom durch deutsche Abfangjäger<br />
angegriffen. Es sind FW der 1., 2. und 3. Gruppen des Jagdgeschwaders 11<br />
und Me 110 der dritten Gruppe des Zerstörergeschwaders 26.insgesamt<br />
wurden während des Angriffes sowie beim An- und Abflug 37 amerikanische
Bomber und 17 Jäger abgeschossen. Um 13.16 Uhr wird für den Raum<br />
Berlin Vorwarnung gegeben, um 13.23 Ur wird der 182. Fliegeralarm<br />
ausgelöst.<br />
Zu diesem Zeitpunkt fliegen die zum Verband gehörenden B-24 „Liberator“<br />
über das Stadtgebiet hinweg, während der Hauptverband aus B-17 das Ziel<br />
anfliegt. In dem offiziellen Bericht dazu heißt es: „... der Anflug führte in<br />
einem weiten südlichen Bogen über die nähere und weitere Umgebung<br />
hinweg“. Augenzeugen berichten, dass die Bomberverbände, an langen<br />
Kondensstreifen gut zu erkennen, zunächst südlich an Erkner vorbeiflogen,<br />
dann drehten und von Osten her den Ort angriffen. Dazu heißt es in einem<br />
Bericht:<br />
„Die in drei Bomberdivisionen gestaffelten Verbände bombardierten Erkner<br />
zwischen 14.29 Uhr und 15.02 Uhr aus ... 6300 – 8800 Meter. Dran waren<br />
insgesamt 470 Bomber beteiligt, 320 B-17 und 150 B-24. Sie warfen 5724<br />
100-lb Brandbomben und 92 500-lb Brandbomben über Erkner und<br />
Umgebung ab, insgesamt 291,5 Tonnen Spreng- und 609 Tonnen<br />
Brandmunition ab“. Die Spur der Verwüstung zieht sich, wie aus einer Karte<br />
von 1947 ersichtlich ist, exakt von Südosten nach Südwesten über das<br />
Stadtgebiet: Die Einschläge beginnen etwa auf der Linie Walter-Sawall- und<br />
Buchhorster Straße – Löcknitzbrücke und überziehen dann in breiter Front<br />
das Stadtgebiet bis zur nördlichen Grenze der Bahnhofsiedlung. Die<br />
Schäden werden unterschiedlich beurteilt. So heißt es z.B. in dem Bericht<br />
des OKW (Oberkommando der Wehrmacht); Abschnitt Luftlage Reich, vom<br />
8.3.1944:<br />
„... zahlreiche Bomben fielen in den Müggelsee und Umgebung sowie auf<br />
Friedrichshagen und Grünau. Zahlreiche Spreng- und Brandbomben in<br />
Erkner im Kr. Niederbarnim. Dort Schwerpunkt mit schweren Schäden in<br />
Kugellagerfabrik, Bakelitwerk und Rütgerswerken. Außerdem Schäden am<br />
Bahnhof Erkner und viele Sprengbombentreffer auf Eisenbahnstrecken ...“.<br />
Von der totalen Vernichtung des<br />
Wohngebietes der Innenstadt<br />
Erkners kein Wort! Entgegen dieser<br />
Meldung hielten sich in den<br />
Betrieben in Grenzen, obwohl in der<br />
Zielplanung der USAAF im<br />
Gegensatz zur RAF anfangs nicht<br />
Das brennende Erkner<br />
(Luftaufnahme vom 8.3.1944)<br />
die Flächenbombardements,<br />
sondern die gezielte Ausschaltung<br />
von industriellen Schlüsselbetrieben<br />
in und um Berlin stand.
Soweit heute noch dokumentiert, hatte der Angriff in den großen Erkneraner<br />
Betrieben folgende Auswirkungen bzw. Schäden zur Folge:<br />
Hauptziel Kugellagerwerk: Das Werksgelände wurde von „nur“ 75<br />
Sprengbomben und etwa ebensoviel Brandbomben getroffen, d.s. weniger<br />
als ein Prozent der insgesamt abgeworfenen Bombenlast. Vier Hallen<br />
wiesen Zerstörungen bzw. Beschädigung auf, die Totalverluste an<br />
Maschinen blieben gering, dennoch bezifferte man die Fliegerschäden<br />
insges. Auf 14 Mio. RM.<br />
Als Folge des Angriffs wurden eine halle und die Kellerräume verbunkert, die<br />
Produktion in Erdstollen in Rüdersdorf verlagert, während die Endmontage<br />
in einer ausgebauten Lagerhalle bei Beeskow stattfand und Teile des<br />
Stahlmagazins in den umliegenden Wäldern gelagert wurden.<br />
Bombenschäden am Rütgerswerk<br />
-Bakelite-Fabrik: In den noch<br />
vorhandenen Unterlagen wird davon<br />
gesprochen, dass das neue Werk in<br />
der Berliner Straße wie auch das alte<br />
Fabrikgelände in der Flakenstraße<br />
„stark in Mitleidenschaft gezogen<br />
worden seien, sodass in den<br />
folgenden Monaten wesentliche teile<br />
der Produktion nach München –<br />
Pasing und Dohna /Sachsen verlagert<br />
und mit ihnen auch die entspr.<br />
Facharbeiter und das<br />
Leitungspersonal umgesiedelt worden<br />
sind.“<br />
-Rütgerswerke: Hier liegen relativ<br />
aussagefähige Unterlagen vor. Sie<br />
besagen: Es wurden 5 Lagertanks<br />
zerstört, 3 beschädigt, mehrere<br />
tausend Meter Rohrleitung zerstört.<br />
Die Naphthalinpresseanlage und die<br />
Reinnaphthalin-Anlage,<br />
der<br />
Anthrazenbetrieb,<br />
die<br />
Benzolmischanlage u.a.m. waren<br />
zerstört, ca. 50 Kesselwagen waren<br />
zerstört bzw. beschädigt, 100 sonstige<br />
Behälter waren zerstört. Die<br />
Produktion im Teerbetrieb, im Benzolbetrieb und im Phenolsäurebetrieb fiel<br />
bis Juni 1944 100%ig aus.
Dagegen waren die Zerstörungen im Ortszentrum nahezu total und auch in<br />
den Aussenbezirken des Ortes z.t. erheblich. Während im Zentrum, der<br />
Friedrichstraße, ganze 4 Häuser erhalten blieben gibt es in den übrigen<br />
Ortsteilen kaum eine Straße in der nicht wenigsten 1-2 Häuser betroffen<br />
wurden. Es wurden im gesamten Geimendegebiet lt. einer Aufstellung aus<br />
dem Jahr 1947: 413 Häuser, darunter sämtliche öffentliche Einrichtungen,<br />
völlig zerstört, 594 schwer bzw. leicht beschädigt, es waren zunächst 675<br />
Häuser unbewohnbar. Die Verwaltungsstellen mussten provisorisch<br />
untergebracht werden: die Verwaltung selber in der Theodor-Fontane-<br />
Oberschule in der Adlerstrasse (heute Walter-Smolka-Strasse), die<br />
Kartenstelle in der Schulbaracke daneben, die Kasse in einem anderen<br />
Ausweichobjekt usw. hinzu kam: auch außerhalb des Ortszentrums waren<br />
Gaststätten, medizinische, kulturelle, schulische und sportliche<br />
Einrichtungen weitgehend zerstört oder schwer beschädigt worden.<br />
Friedrichstraße, am Rathaus, nach<br />
dem Angriff (Bundesarchiv, Sign.<br />
93/108/3A)<br />
Friedrichstr., das zerstörte Rathaus<br />
Friedrichstraße, vor der<br />
Einmündung Seestr. (Bundesarchiv,<br />
Sign. 83/108/4A)<br />
Friedrichstraße, ehem. Gemeindeamt
Volksschule, heute <strong>Gymnasium</strong><br />
Turnhalle der Volksschule<br />
Friedrichstraße, zwischen Einmündung Seestraße (von links) und Rathaus<br />
(ganz hinten rechts)<br />
Für die ausgebombten Familien sollten 600 Behelfsheime aus Holz errichtet<br />
werden, wobei die Soldaten einer in Erkner stationierten Wehrmachtseinheit<br />
tatkräftig mit halfen, obwohl sie selber während des Angriffs mehrere Tote<br />
zu verzeichnen hatten.<br />
Besonders tragisch und gravierend waren angesichts der kurzen Dauer des<br />
Angriffs die Todesopfer: Insgesamt wurden 229 Personen getötet, darunter<br />
3 komplette Familien und 35 Kinder, 15 ausländische Zwangsarbeiter, 34<br />
Besucher und 7 Soldaten. Sie alle starben in den Kellern und Privatbunkern<br />
ihrer Häuser und Grundstücke, wurden von den Trümmern erschlagen oder<br />
in den sogen. Splitterschutzgräben getroffen, wobei in den<br />
Splitterschutzgräben hinter dem Bahnhof 61, am früheren VdN-Denkmal an<br />
der Brücke 40, an der Volkshochschule (heute sowj. Ehrenmal) 6 Tote<br />
geborgen worden sein sollen. Oder sie verbrannten zumeist in dem
verheerenden Feuersturm, der, an einer riesigen Rauchsäule kilometerweit<br />
sichtbar, durch die Straßen raste und vielfach sogar das Eingreifen von<br />
Feuerwehren und anderen Hilfskräften unmöglich machte. Der Tag war zur<br />
Nacht geworden. Grauenvoller Ort einer unfassbaren Tragödie: im Keller<br />
des Gemeindeamtes( heute etwa Friedrichstraße 10-20) verbrannten ca. 20<br />
Menschen bei lebendigen Leibe, weil die dort gelagerten Kohlen Feuer<br />
fingen und die Kellerfenster vergittert waren. Das Leben des Ortes schien<br />
nahezu ausgelöscht, die überlebenden wurden noch monatelang aus<br />
Gulaschkanonen der Wehrmacht z.B. auf dem Hof des Restaurants<br />
„Biberpelz“( heute Gerhart-Hauptmann-Museum) verpflegt.<br />
Gräberfeld mit Opfern des 8.3.1944 auf dem Friedhof Erkner (seit 1984<br />
Gedenkstätte)<br />
„Wir schrien, weinten und beteten.“<br />
-Augenzeugen des Infernos berichten<br />
Im Rahmen der Vorbereitungen zum 50. Jahrestag des 8. März 1944 im<br />
Jahre 1994 hatte auf einen entsprechenden Aufruf eine Reihe von<br />
Augenzeugen ihre Erinnerungen an diesen Tag zu Papier gebracht worden<br />
und eingesandt. Aus diesen Berichten sei hier auszugsweise und gekürzt<br />
zitiert:<br />
Der damalige Luftwaffenhelfer Gerhard Peuckert berichtet: Ich war zu jener<br />
Zeit als Luftwaffenhelfer auf Urlaub .... am 6.3. kamen wir nach Erkner, um<br />
in unserem Haus Drosselsteig 23 auch noch ein paar Urlaubstage zu<br />
machen. Als der Angriff am 8.3. begann, bin ich zuerst auf’s Dach gestiegen<br />
und konnte beobachten, wie die in Staffeln anfliegenden Bomber am<br />
Südrand von Erkner mit der Vernichtung begannen. Als Richtkanonier bei
der Flak konnte ich einschätzen, dass zuerst für uns keine Gefahr bestand.<br />
Als die nächsten Staffeln aber näher kamen, bin ich dann auch in unsren<br />
Luftschutzkeller gegangen. Meine Mutter hatte gerade die Frage meines<br />
kleinen Bruders, wie lange wir schon in unserem Haus wohnen beantwortet,<br />
da schlug eine Sprengbombe und zerriss das Haus bis auf die<br />
Grundmauern. Von den herabfallenden Trümmern wurden wir verschüttet<br />
und derart eingeklemmt, dass wir nicht einmal mehr einen Finger rühren<br />
konnten.“<br />
Die damals 16jährige Ursula Dohrendorf erinnert sich:<br />
„Zunächst stand ich noch lässig draußen ... der Himmel war von einem<br />
kräftigen Blau .... bisher hatten wir die Kampfflugzeuge nie gesehen, immer<br />
nur gehört .... die silberne Bomber blinkten in der Sonne .... und dann<br />
geschah das unglaubliche: Es blitze in der Sonne, metallene Stücke lösten<br />
sich .... das waren die Bomben! Bald begann ein lautes Pfeifen und zischen,<br />
und ich rannte schnell die paar Treppenstufen hinunter in den Splittergraben<br />
.... es knallte und krachte unaufhörlich, und immer war dieses Pfeifen. Auch<br />
wankte die Erde, und deshalb legten wir uns hin.“<br />
Frau Friedel Winter erlebte den Angriff im Keller der Sparkasse:<br />
„... lieber drängten wir uns ganz eng zusammen in den Tresorraum der<br />
Sparkasse, die ja ihre Geschäftsräume im Erdgeschoss unseres Hauses<br />
Friedrichstraße 73 hatten .... Mit einem Mal hob und senkte sich der Tresor<br />
(-raum) wie eine Kiste .... Wenn die Tresortür zuschlug, wären wir verloren:<br />
die vielen Menschen hätten sehr bald ersticken müssen. Ein lumpiges<br />
dickes Aktenpaket bremste Gott sei Dank die in Bewegung geratene Tür.“<br />
Erich Ring, Erkner, berichtet:<br />
„Meine Frau ... erlebte den Bombenangriff ... (als Telefonistin) im Keller des<br />
<strong>Bechstein</strong>hauses. Zugleich war der Keller auch als Luftschutzkeller für die<br />
Angestellten der Gemeindeverwaltung eingerichtet. Im Park ... befanden<br />
sich Splittergräben .... die Häuser rechts und links der Straße brannten ....<br />
weil ein Durchkommen auf der Straße nicht mehr möglich war, rannten die<br />
Frauen zum Ufer des Dämeritzsees. Durch die vielen Brände ... wurde es so<br />
heiß, dass man die Friedrichstraße nicht mehr betreten konnte. Auch die<br />
Rauchentwicklung wurde unerträglich. Es gelang den Frauen dann, ein Boot<br />
zu erwischen ... und sie landeten dann am Bootshaus Dochan in der<br />
Seestresse .... man ... rannte dann über die Wiesen ... bis zur<br />
Buchhorsterstraße .... irgendwann, nach Stunden ist sie dann zu Hause in<br />
der Wilhelmstraße 13/14 angekommen.“
Dr. Bernd Rühle, damals 12 Jahre erinnert sich:<br />
„Wir waren in unserem Luftschutzkeller im Gewobablock in der<br />
Buchhosrtersstraße 21b. Mitten in das unaufhörliche Pfeifen, Zischen,<br />
Rollen und Krachender Bomben peitschte plötzlich ein ohrenbetäubender<br />
Schlag; das durch eine Splitterschutzwand gesicherte Kellerfenster, eine<br />
Wolke aus Glas, Steinen und Sand stob in den Keller hinein, dieser<br />
schwankte wie ein Schiff bei hohem Wellengang. Ich lag auf dem Boden,<br />
hielt mit beiden Händen den Luftschutzhelm, den ich auf dem Kopf hatte,<br />
fest und schrie in wahnsinniger Angst.“<br />
Frau Ursula Dohrendorf berichtet aber auch, wie andere, über die<br />
Katastrophe im Keller des damaligen Gemeindeamtes:<br />
„Es wurde immer heißer und rauchiger .... leider habe ich so gekeucht.<br />
Vielleicht hätte ich ja sonst aus dem Keller der Gemeinde die Schreie der<br />
hier eingeschlossenen Menschen gehört und hätte dann Hilfe für sie suchen<br />
können.“<br />
Dazu noch einmal Frau Winter:<br />
„Nun rüttelten die ärmsten rasend vor Schmerz an den Stäben und brüllten:<br />
,Sägt sie doch raus und brecht sie heraus, wir verbrennen ja am lebendigen<br />
Leibe!’“<br />
Der Apotheker Max Seeger, der an der alten Löcknitz wohnte, erzählt:<br />
„Angst erfüllt keuchte ich über Nebenstraßen zur alten Löcknitz. Im Wald<br />
zahlreiche Bombentrichter; an einzelnen Bäumen loderten Flammen.<br />
Erleichtert sah ich, dass unser Haus noch stand. Fenster und Türen<br />
zerborsten, am Gartentor klafften zwei Bombentrichter, am Löcknitzufer ein<br />
weiterer. Drei Lauben von Wassersportlern waren in Gluthaufen verwandelt.“<br />
Als 14Jähriger erlebte Dr. Wolfgang Wiedner im Keller des<br />
Einfamilienhauses in der Seestraße 6 eine furchtbare Tragödie:<br />
„Ein unheimliches Krachen ertönte in unserer Nähe .... Steine fielen, Holz<br />
zersplitterte .... Eine dichte Staubwolke kam uns aus dem Luftschutzkeller<br />
entgegen. Wir hasteten vorwärts ... Eine umgestürzte Mauer und andere<br />
Trümmerstücke versperrten uns den Weg. Meine Mutter rief nach unseren<br />
Verwandten, aber niemand meldetet sich .... Wir hatten uns wieder auf den<br />
Fußboden gelegt. ,Herrgott, steh’ uns bei’! – es sollten die letzten Worte<br />
meiner Mutter sein. Da! Ich sah eine gelbe Stichflamme und dann wurde es<br />
plötzlich dunkel um mich herum .... Ich musste dass Bewusstsein verloren<br />
haben .... Schwere Steine lagen auf meinen Gliedern. Ich konnte mich nicht<br />
bewegen .... unter der gleichen Kellerdeckenplatte, unter der auch meine<br />
Füße eingeklemmt waren, sah ich den Arm meiner Mutter. ...Eine<br />
wahnsinnige Angst packte mich, denn ich glaubte, meine letzte Stunde sei<br />
gekommen.“
Die „Barackenstadt“ zwischen 1944 und 1977<br />
Die Zerstörung des Ortszentrums von Erkner war am 8. März 1944, wie<br />
erwähnt, nahezu total. Aus der schon genannten Aufstellung, wird<br />
ersichtlich, dass im ganzen Ort 413 Gebäude vernichtet waren, 127 schwer,<br />
135 mittel und 332 leicht beschädigt waren. Demnach waren 675 Häuser<br />
zunächst unbewohnbar, d.h. ca. 1375 Wohnungen waren zerstört, also ca.<br />
14.500 m2 Wohnfläche unbenutzbar. 205 Familien hatten keine eigene<br />
Wohnung mehr und mussten bei anderen Familien mit unterkommen oder<br />
sich in Ruinen eine notdürftige Bleibe schaffen.<br />
An einen Wiederaufbau war, vor allem auch angesichts der bedrohlich<br />
näherrückenden Katastrophe des Kriegsendes, zwischen März 1944 und<br />
April1945 überhaupt nicht zu denken. Das blieb auch in den ersten<br />
Nachkriegsjahren so, wenn<br />
Die Friedrichstraße nach 1945<br />
auch schon 1947 hin und wieder das Wort vom Neuaufbau des Ortes in<br />
einigen Dokumenten auftauchte. Aber noch bis in die 50er Jahre blieben als<br />
Hauptprobleme die Sicherung, die Ingangsetzung der Betriebe und natürlich<br />
die Beseitigung der riesigen Trümmermassen. Hinzu kam der Befehl 209 der<br />
SMAD, dem zufolge alle noch brauchbaren Ziegelsteine zum Aufbau von<br />
Neubauernhäusern abtransportiert werden mussten. Als 1948 endlich die<br />
Enttrümmerung des Ortes „im großen Stil“ begann, wurden als Folge dieses<br />
Befehls 1.750.000 aus den Ruinen geborgenen Mauersteine nach<br />
umliegenden Dörfern Dahlwitz-Hoppergarten, Lichtenow, Schöneiche,<br />
Seeberg, Münchehofe, Rehfelde, Rüdersdorf, Trappenfelde, Vogelsdorf,
Zinndorf und Mehrow an einzelne Neubauern oder zur Verteilung an die<br />
dortigen VdgB-Stellen geschafft, was zu Protesten einzelner Hausbesitzer<br />
führte. . Das Wenige ,was blieb, nahm man zum Ausbessern und Ergänzen<br />
stehengebleiebener Mauerreste, und durch Aufsetzen eines flachen<br />
Pappdaches entstand der Typ eines barackenähnlichen Baues, der Erkner<br />
schließlich die mitleidig – spöttisch – resignierende Bezeichnung einer<br />
„Barackenstadt“ einbrachte. Dennoch konnte so manches öffentliche<br />
Gebäude wieder aufgebaut werden: das Rathaus, die Sparkasse, das<br />
Warmbad u.a. Erste Planungen und Projekte für einen generellen<br />
Wiederaufbau des Ortszentrums, wie etwa der Auftrag an den<br />
Hessenwinkler Architekten H. Larssen vom 8.7.1948 zur Erarbeitung eines<br />
entsprechenden Teilbebauungsplanes, konnten letztenendes nicht<br />
ausgeführt werden. Demgegenüber bemühten sich die Baufirmen Clemens,<br />
Bruchmann u.a. 1949 immer noch um die Beseitigung von 15000 m3 Schutt,<br />
mit dem z.B. die Teiche im Rathauspark und der Ahornallee 9-12 aufgefüllt<br />
wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten diese Firmen allein 1.75 Millionen<br />
Steinen aus 94 Ruinen lt. Befehl 209 geborgen. Zwar beschäftigte man sich<br />
s.Zt. „in Anwesenheit hoher Beamter der Landesregierung“ mit der<br />
konkreten Wiederaufbauplanung, wobei bereits über eine Umgehungsstraße<br />
und die Untertunnelung der Bahn diskutiert wurde. Jedoch erst 1951 waren<br />
alle nicht ausbaufähigen Ruinen abgeräumt und damit die Enttrümmerung<br />
Erkners im wesentlichen abgeschlossen. Zwar waren schon in den 50er,<br />
60er und 70er Jahren an der Woltersdorfer Landstraße, in der<br />
Bahnhofsiedlung und an der Berliner Straße u.a. neue Wohnbauten errichtet<br />
worden, der Wiederaufbau selbst aber blieb zugunsten etwa der Kreis- und<br />
Bezirksstädte Fürstenwalde und Frankfurt / Oder Illusion, bis ab 1977 der<br />
Abriss der „Barackenstadt“ und der Neubau in Plattenbauweise begann.<br />
Erkner heute – das neue Gesichte der Stadt<br />
Wer heute, im Jahr 2000, durch das Zentrum Erkners geht, der meint das<br />
alles kaum wiederzuerkennen: Das Wort des Bürgermeisters, das 1992<br />
gesprochen wurde: „Wir werden ..... Erkner zum blühen bringen“, ist es<br />
weitgehend Wirklichkeit geworden. Aus dem chaotischen Trümmerfeld des<br />
8. März 1944, aus der öden Leere der Barackenstadt und dem gesichtslosen<br />
Grau der Plattenbauten ist nahezu wieder das geworden, was die<br />
Friedrichstraße einmal war: eine interessante, bunte, von emsigen Leben<br />
durchpulste Geschäftsstraße, die natürlich auch weiterhin ihr Gesicht ändern<br />
wird.
Und doch wird der Kundige, zumal wenn er das Inferno jenes Tages<br />
miterlebt hat, fast auf Schritt und Tritt daran erinnert. Der kleine Marktplatz<br />
gegenüber der Einmündung der Seestraße und die kleine Grünanlage rund<br />
um die Postsäule sind Flächen, auf denen einstmals Wohn- und<br />
Geschäftshäuser standen; das gleiche gilt für den provisorischen Parkplatz<br />
zwischen Sparkasse und Bahngleisen in der Beustraße sowie für den<br />
Abschnitt zwischen Sparkasse und Straßenbrücke. Aber auch auf dem<br />
Gebiet zwischen <strong>Carl</strong>-<strong>Bechstein</strong>-Weg und Rathaus stand ein Haus, und<br />
zwischen den Wohnblocks gegenüber der Postsäule, wo heute noch der<br />
Imbiss-Kiosk steht, gab es zu Zeiten der „Barackenstadt“ anstelle der<br />
zerstörten Geschäftshäuser zwei schäbige Behelfsheime, in denen<br />
mehrmals wechselnden Verkaufsstellen untergebracht waren. Und noch<br />
wartet die Fläche zwischen Bahnunterführung und Tankstelle mit ihren<br />
Mauerresten und Barackenrudimenten auf eine neue Bebauung da, wo bis<br />
zum 8. März 1944 freundliche Wohnhäuser die Bahnhofstraße säumten.<br />
Zwei Gedenkstätten mahnen Einwohner und Gäste der Stadt an das<br />
Geschehen am 8. März: der 1984 errichtete Gedenkstein auf dem Friedhof<br />
mit der Freifläche des ehemaligen Gräberfelds davor und das 1944<br />
neugestaltete Ensemble der Erinnerungsstätte an der Neuzittauer Straße.<br />
Jährlich am 8. März finden an beiden Stätten Gedenkveranstaltungen statt.<br />
Gedenken am Gedenkstein auf dem<br />
Friedhof 1994<br />
Einweihung der Erinnerungsstätte<br />
an der Neuzittauer Straße 1994