Lulu im Zeitalter der technischen Reproduzierb - Die Deutsche Bühne
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u AUFFÜHRUNGEN<br />
DETLEF<br />
BRANDENBURG<br />
1 I Drei mal<br />
<strong>Lulu</strong> : Yuka<br />
Yanagihara,<br />
Jelena Kuljic<br />
und Lilith<br />
Stangenberg.<br />
1 I<br />
DETLEF BRANDENBURG<br />
<strong>Lulu</strong> <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> <strong>der</strong> <strong>technischen</strong> R<br />
KRITIK<br />
Nach seiner „<strong>Lulu</strong>“ am Schauspiel<br />
Hannover darf man mit einiger<br />
Sicherheit sagen: Unter den<br />
Musiktheater-Dekonstruktivisten, die<br />
in <strong>der</strong> letzten Saison an <strong>der</strong> Berliner<br />
Volksbühne antraten, die Oper neu zu<br />
erfinden (vergl. DDB 5/2008), ist <strong>der</strong><br />
1975 in Budapest geborene, seit 1996 in<br />
Berlin lebende Regisseur David Marton<br />
<strong>der</strong> bei weitem kreativste. Schon an <strong>der</strong><br />
Volksbühne war seine „Wozzeck“-Collage<br />
die einzige Produktion gewesen,<br />
die die Hoffnung, man könne aus dem<br />
Material überkommener Opern neue<br />
Theaterformen erschaffen, halbwegs<br />
eingelöst hatte. Nun hat er sich – erneut<br />
gemeinsam mit Sir Henry als Synthesizer-Magier<br />
und Jan Czajkowski als<br />
Musikkonstrukteur – auf Wedekinds<br />
„Monstretragödie“ und Alban Bergs<br />
Vertonung <strong>der</strong>selben gestürzt und einen<br />
Abend von wun<strong>der</strong>barer musikalischer<br />
Poesie und vitaler dramatischer<br />
Kraft geschaffen.<br />
Wie<strong>der</strong>, wie in Berlin, ist das szenische<br />
Setting eine Mischung zwischen Tonstudio<br />
und bürgerlichem Wohnz<strong>im</strong>mer,<br />
eine verschachtelt und unfertig wirkende<br />
Wohn- und Arbeitslandschaft<br />
auf mehreren Ebenen <strong>der</strong> Ausstatterin<br />
Alissa Kolbusch, in <strong>der</strong> Ben Höppner<br />
als professionell öliger Regisseur über<br />
Mikrofon das Sagen hat. Schon <strong>der</strong> Anfang<br />
ist ein Coup: Lilith Stangenberg,<br />
eine von drei <strong>Lulu</strong>s, stellt sich <strong>im</strong> rosa<br />
Hängekleidchen vors Mikrophon – und<br />
heult zum Steinerweichen: Auftakt<br />
einer vom „Regisseur“ triefend sent<strong>im</strong>ental<br />
inszenierten Roadmovie-Romanze.<br />
Damit ist das Grundthema<br />
<strong>der</strong> Inszenierung angeschlagen: Sie<br />
befragt und parodiert die medialen<br />
Klischees <strong>der</strong> Frau und die realen Geschlechterkriegs-Verletzungen<br />
und<br />
Persönlichkeits-Verbiegungen, die<br />
diese Klischees anrichten. Da ist das<br />
Studio als Ort <strong>der</strong> <strong>technischen</strong> Reproduktion<br />
solcher Klischees natürlich<br />
sehr passend und taugt hier auch als<br />
Anlass raffiniert-ironisch installierter<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 3 I 2009
AUFFÜHRUNGEN t<br />
49<br />
<strong>Reproduzierb</strong>arkeit<br />
Foto: David Baltzer<br />
nun mal <strong>im</strong> Original vorkommt. Es<br />
müsste aus <strong>der</strong> Inszenierung selbst<br />
eine neue Motivation geschaffen werden,<br />
die aber hier nicht <strong>im</strong>mer erkennbar<br />
wird. Im Einzelnen allerdings erlebt<br />
man ein Szenen-Patchwork von wirklich<br />
grandioser Trostlosigkeit, schriller<br />
Komik o<strong>der</strong> auch aggressiver Wildheit:<br />
schauspielerische Entäußerungsorgien,<br />
vokale Eruptionen, slapstickende<br />
Stilparodien, die von dem Klangkontinuum,<br />
das Sir Henry an Sampler und<br />
Keyboard und Czajkowski am Flügel<br />
schaffen, auf wun<strong>der</strong>same Weise getragen<br />
werden.<br />
Zu den <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> fix von Rolle zu<br />
Rolle zappenden Trabanten des <strong>Lulu</strong>-<br />
Trios zählen Peter Knaack, <strong>der</strong> den Dr.<br />
Schön als hyperaktiven Machertypen<br />
gibt und dabei gelegentlich von dem<br />
starken Bariton Thorbjörn Björnsson<br />
unterstützt wird; Christian Friedel als<br />
vertüttelt-schöngeistiger und Alban<br />
Berg ziemlich ähnlicher Alwa; o<strong>der</strong><br />
Matthias Neukirch als althippiemäßig<br />
verkommener Schigolch. Lilith Stangenberg<br />
gibt ihrem <strong>Lulu</strong>-Drittel eine<br />
aufgeregt-verhuschte Kratzkehligkeit<br />
aus bester Volksbühnen-Tradition; die<br />
tatsächlich mal Jazz-Nummern zitiert<br />
werden – nie völlig vom Original entfernt;<br />
und wie Czajkowski die Musik<br />
nicht als Nummernrevue arrangiert,<br />
son<strong>der</strong>n wirklich als Ganzheit komponiert<br />
und strukturiert. Wie wenig<br />
beliebig, ja, wie hochempfindlich dieses<br />
Klangkontinuum ist, zeigte sich, als<br />
bei <strong>der</strong> zweiten Aufführung Sir Henrys<br />
Laptop kollabierte und die Aufführung<br />
eine Strecke weit ohne die Sounds auskommen<br />
musste: Sofort war die Aura<br />
zerstört.<br />
Ein witziger, erhellen<strong>der</strong>, mitreißen<strong>der</strong>,<br />
verstören<strong>der</strong> Abend. Allerdings warf<br />
er zumindest für die, die Martons<br />
„Wozzeck“ kannten, auch Fragen auf.<br />
Vor allem: Der „Wozzeck“ war dichter,<br />
konziser und gegenüber dem Original<br />
autonomer. Er konzentrierte sich<br />
konsequent auf einen Aspekt, auf die<br />
Beziehung Wozzeck – Marie als Paradigma<br />
des Geschlechterverhältnisses;<br />
und selbst wer das Original nicht<br />
kannte, konnte mit den szenischen<br />
Assoziationsangeboten zu diesem<br />
Thema wohl meist etwas anfangen.<br />
Und zweitens: <strong>Die</strong> Tonstudio-Idee ist<br />
natürlich eine praktikable Lösung zur<br />
Von <strong>der</strong> Monstretragödie zur Hybrid-Revue:<br />
David Marton klont Wedekind und Berg.<br />
Metadiskurse zur Zukunft <strong>der</strong> Oper;<br />
zugleich ist Marton damit aber nah an<br />
<strong>der</strong> „<strong>Lulu</strong>“, die ja (bei Berg noch mehr<br />
als bei Wedekind) das „Prinzip Frau“<br />
als von Männern gemachte Projektion<br />
entlarvt.<br />
Im Großen folgt dann <strong>der</strong> Verlauf <strong>der</strong><br />
Inszenierung, teils gestützt auf Wedekinds<br />
Text und teils auf das Opern-Material,<br />
<strong>der</strong> „<strong>Lulu</strong>“-Handlung – streckenweise<br />
zu sehr; denn wenn durch die<br />
Dekonstruktion von Text, Musik und<br />
Handlung <strong>der</strong> Bedingungszusammenhang<br />
<strong>der</strong> Geschichte weitgehend aufgelöst<br />
wird, genügt zur Begründung<br />
einer Sequenz ja nicht mehr, dass sie<br />
Sopranistin Yuka Yanagihara steuert<br />
mit wun<strong>der</strong>bar klarer St<strong>im</strong>me und<br />
vitaler Präsenz den Opernpart zur<br />
Hauptfigur bei; und Jelena Kuljic zeigt<br />
in skurrilem Gegensatz von steifbeiniger<br />
Körperlichkeit und vokaler Explosivität<br />
<strong>Lulu</strong>s jazzige Seele.<br />
Damit ist das musikalische Kontinuum<br />
<strong>der</strong> Aufführung umrissen. Und es ist<br />
wie<strong>der</strong>, wie schon be<strong>im</strong> „Wozzeck“, umwerfend,<br />
wie Sir John es fertig bringt,<br />
über Bergs Klangstrukturen jazzig zu<br />
<strong>im</strong>provisieren, wie er in <strong>der</strong> strengen<br />
Partitur das Lautmalerische, ja Reißerische,<br />
den Swing entdeckt und sich dabei<br />
doch – wenn nicht bei Gelegenheit<br />
szenischen Begründung einer Dekonstruktion.<br />
Dem Vorgang des Probens<br />
eignet per se eine exper<strong>im</strong>entell-suchende<br />
Auflösung des Handlungskontinuums,<br />
das in diesem Stadium<br />
ja noch nicht „fertig“ ist. Dass Marton<br />
hier bereits zum zweiten Mal auf<br />
dieses Mittel zurückgreift, zeigt aber<br />
auch, wie schwer es ist, De-Komposition<br />
szenisch zu motivieren. Für die<br />
Neugeburt <strong>der</strong> Oper aus dem Geist<br />
<strong>der</strong> Dekonstruktion, die Marton gelegentlich<br />
seitens des Feuilletons angetragen<br />
wurde, wäre es dennoch etwas<br />
unbefriedigend, wenn fortan alle<br />
diese Versuche <strong>im</strong> Tonstudio<br />
spielen sollten.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 3 I 2009