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Silben 1

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Phonematik vs. Phonotaktik<br />

Phonologie<br />

Phonematik<br />

Phonotaktik<br />

Phonematik ist die Lehre vom Inventar der kleinsten bedeutungsunterscheidenden<br />

Einheiten der Sprache. Sie ist mit<br />

der Identifizierung der Phoneme und ihrer systematischen<br />

Klassifizierung befaßt. Die phonematische Herangehensweise<br />

stellt die paradigmatische Achse in den Vordergrund.<br />

Phonotaktik ist die Lehre von den Kombinationsmöglichkeiten<br />

der phonematischen Einheiten zu zusammenhängenden<br />

Lautketten. Sie ist mit der Identifizierung der Regularien<br />

befaßt, die die Distribution von phonematischen Einheiten<br />

über phonologische Kontexte determinieren. Die<br />

phonotaktische Herangehensweise stellt die syntagmatische<br />

Achse in den Vordergrund.<br />

Phonematik und Phonotaktik ergänzen einander.<br />

Wenn bekannt ist, wieviele und welche Phoneme eine<br />

beliebige Sprache hat, ist damit noch nichts darüber gesagt,<br />

welche phonologische Gestalt die zulässigen Lautketten<br />

derselben Sprache aufweisen.


Das Phoneminventar liefert im übertragenen Sinne nur eine<br />

bestimmte Menge von Bausteinen, aus denen höhere d.h.<br />

komplexere phonologische Einheiten durch Kombination<br />

gebildet werden können.<br />

Dabei zeigt die Phonotaktik, daß nicht einfach jeder Baustein<br />

auf jeden beliebigen anderen Baustein paßt: Phoneme<br />

bzw. ihre Allophone sind in Lautketten als unmittelbare<br />

oder mittelbare Nachbarsegmente entweder miteinander<br />

kompatibel, d.h. daß sie eine syntagmatische Kombination<br />

eingehen können, oder eben nicht, d.h. daß sie sich an bestimmten<br />

Positionen in einer zusammenhängenden Lautkette<br />

gegenseitig ausschließen.<br />

Universale I<br />

Alle Sprachen haben Phoneme und damit eine Phonematik.<br />

Universale II<br />

Alle Sprachen haben Beschränkungen über die Kombinierbarkeit<br />

von Phonemen/Allophonen und damit eine Phonotaktik.<br />

Wie die beiden Universalien jeweils auszubuchstabieren<br />

sind, ist zu einem Gutteil die Angelegenheit der individuellen<br />

Einzelsprachen, wenn es um Details geht.<br />

Neben diesen einzelsprachigen Gesichtspunkten gibt es jedoch<br />

andere – zum Teil auf höherer d.h. abstrakterer Ebene


angesiedelte – Aspekte, die es erlauben, phonotaktische Regularien<br />

verschiedener Sprachen auf Typen/Muster zurückzuführen.<br />

Diese Typen/Mustern lassen sich wiederum in einem<br />

weiteren Generalisierungsschritt universellen Prinzipien<br />

zuordnen.<br />

Lautketten sind keine willkürlichen Kombinationen aus<br />

beliebig zusammengewürfelten Segmenten, sondern stellen<br />

in sich wohlgeordnete Strukturen dar, die systematisch nach<br />

phonotaktischen Prinzipien („Bauplänen“) zusammengesetzt<br />

werden.<br />

Die wichtigsten Lautketten, die ihrerseits phonologische<br />

Einheiten höherer Ordnung, bilden, sind:<br />

die Silbe, um die sich speziell die <strong>Silben</strong>phonologie<br />

kümmert;<br />

das Wort –<br />

** als Zitierform im Lexikon<br />

** als morphologisch ausflektierte Wortform (im<br />

Satz)<br />

das zwei- oder mehrwortige Syntagma, um das sich<br />

speziell die Satzphonetik kümmert;<br />

Alle diese Lautketten sind Gegenstand der phonotaktischen<br />

Forschung. Phonotaktische Regularien, die auf dem <strong>Silben</strong>niveau<br />

gelten, müssen nicht unbedingt Gültigkeit auf den


anderen Ebenen haben – und umgekehrt. Weisen die verschiedenen<br />

Ebenen distinkte phonotaktische Regularien<br />

auf, ist dies ein Indiz dafür, daß Silbe, Wort, Wortverbindung<br />

usw. ein gewisses Maß an autonomer Organisation<br />

zuzubilligen ist.<br />

In keiner Sprache der Welt geht phonotaktisch alles.<br />

Wenn dies so wäre -, wenn also jede beliebige Kombination<br />

von Segmenten in der Lautkette zulässig wäre, würde<br />

folgende Situation entstehen:<br />

Das Kombinationspotential würde zu 100% ausgenutzt.<br />

Was heißt das genau?<br />

Das Kombinationspotential für eine Sprache ergibt sich aus<br />

der Anzahl der Phoneme im Inventar und der nach Segmentzahl<br />

bestimmbaren Länge der Lautketten bzw. höheren<br />

phonologischen Einheiten, die die obere Distributionsgrenze<br />

bilden sollen.<br />

Fangen wir ganz klein an: Wir wollen für eine Sprache<br />

bestimmen, wieviele Zweierkombinationen von Segmenten<br />

rechnerisch möglich sind. Um zu diesem Wert zu kommen,<br />

multipliziert man die Anzahl der Phoneme des Inventars<br />

mit sich selbst – bildet also deren zweite Potenz.


x 2<br />

Eine erfundene Sprache mit insgesamt zehn Phonemen<br />

hätte damit ein Potential von genau einhundert Zweierkombinationen.<br />

10 2 = 100<br />

Im Bedarfsfall zieht man beispielsweise alle Kombinationen<br />

ab, die eine Sequenz von zwei identischen Segmenten<br />

ergeben würde. In diesem Fall müßte von der vorher errechneten<br />

Potenz die einfache Anzahl der Phoneme wieder<br />

subtrahiert werden.<br />

x 2 - x<br />

In unserer hypothetischen Sprache würde dies eine Verminderung<br />

der Kombinationsmöglichkeiten um den Wert<br />

zehn bedeuten. Das phonotaktische Kombinationspotential<br />

für zweigliedrige Lautketten wäre demnach 90.<br />

10 2 – 10 = 90<br />

Eine solche Reduktion des Wertes kann dann nötig sein,<br />

wenn man bei der Ermittlung des Phoneminventars bestimmte<br />

Entscheidungen getroffen hat. Hier beispielsweise<br />

könnte man vorher festgelegt haben, daß es lange Konsonanten<br />

und/oder Vokale als distinkte Phoneme bereits im


Inventar gibt. Dies hätte die Folge, daß man das unmittelbar<br />

adjazente Vorkommen von zwei identischen Konsonanten<br />

oder Vokalen in der Lautkette nicht als Zweierkombination,<br />

sondern als Instanz des langen Phonems werten kann.<br />

Kombinationsmatrix<br />

S1<br />

P1<br />

P2<br />

P3<br />

P4<br />

P5<br />

P6<br />

P7<br />

P8<br />

P9<br />

P10<br />

<br />

S2<br />

P1 P2 P3 P4 P5 P6 P7 P8 P9 P10<br />

<br />

In Form einer Matrix kann man die möglichen und tatsächlich<br />

realisierten Kombinationen von Segmenten gegeneinander<br />

abgleichen. Das geht auf dem Niveau der Zweierverbindungen<br />

noch recht gut, wird aber darstellungstechnisch


immer schwieriger, je umfänglicher die Lautketten und die<br />

höheren phonologischen Einheiten werden.<br />

Zur Veranschaulichung:<br />

Das Deutsche besitzt nach einem Analysevorschlag sechzehn<br />

monophthongische vokalische Phoneme (Schwa //<br />

und das lange / / sind hierin eingerechnet) sowie drei<br />

diphthongische vokalische Phoneme und zweiundzwanzig<br />

konsonantische Phoneme –, zusammen also insgesamt einundvierzig<br />

Phoneme.<br />

Kombinationspotenzial in Zweierverbindungen<br />

41 2 = 1.681<br />

Rein rechnerisch ergeben sich weit über anderthalbtausend<br />

Kombinationen aus zwei Segmenten. Nur zur drastischen<br />

Verdeutlichung der Progression gebe ich noch ein paar<br />

weitere Potenzen an. Schon bei der fünften Potenz – d.h.<br />

bei eine Länge der Lautkette von nicht mehr als fünf Segmenten<br />

– sind wir jenseits von zehn Millionen Kombinationen<br />

angelangt.<br />

41 3 = 68.921<br />

41 4 = 2.825.761<br />

41 5 = 11.856.201


Da wir nun wissen, daß viele Wörter und auch einige <strong>Silben</strong><br />

des deutschen fünf und mehr Segmente umfassen, ist es<br />

klar, daß mit diesem Wert noch längst keine Obergrenze<br />

erreicht ist.<br />

Die praktischen Probleme der adäquaten Darstellbarkeit des<br />

Potentials müssen uns jedoch nicht weiter beschäftigen.<br />

Denn das Deutsche realisiert nur einen relativ kleinen Ausschnitt<br />

aus dem errechneten Kombinationspotential.<br />

Dies läßt sich dadurch veranschaulichen, daß bestimmte<br />

Beschränkungen betrachtet werden, denen die Distribution<br />

von Phonemen bzw. von ihren Allophonen unterliegt.<br />

Nehmen wir für diesen Zweck als Skopus/Domäne das<br />

nicht zusammengesetzte deutsche Wort in seiner Zitierform.<br />

Wir stellen dabei fest, daß sich die Phoneme darin deutlich<br />

unterscheiden, in welchen relativen Positionen im Wort sie<br />

vorkommen dürfen.<br />

Wir unterscheiden in traditioneller Redeweise ganz generell<br />

drei Positionen, wobei noch zwischen absoluten Positionen<br />

und solchen im weiteren Sinne zu differenzieren ist:<br />

[Zur langsamen Gewöhnung gebe ich in dem folgenden<br />

Schema auch noch andere Analysebegriffe mit an.]


Rand<br />

initial medial final<br />

absoluter<br />

absoluter<br />

Anlaut Inlaut Auslaut<br />

<br />

K V K V K<br />

A N A N C<br />

R<br />

<br />

[tonisch]<br />

R<br />

<br />

[atonisch]<br />

In diesem zweisilbigen Wort haben wir fünf Segmente –<br />

zwei vokalische und drei konsonantische – vorliegen. Die<br />

Lautkette ist wohlgeformt und ergibt einen sinnvollen Aus-


druck, d.h. die syntagmatische Abfolge der Segmente ist<br />

phonotaktisch zulässig.<br />

Sind weitere Kombinationen aus den vorhandenen Segmenten<br />

in gleicher Weise akzeptabel?<br />

Das Kombinationspotential der fünf Segmente untereinander<br />

ist<br />

5 5 – 5 = 3.105<br />

da kein Segment doppelt vorkommt, also unter Anwendung<br />

der Umstellprobe/unter Permutation auch keine Kombinationen<br />

von identischen Segmenten möglich wären.<br />

Testverlaufsausschnitt:<br />

<br />

*<br />

*<br />

*<br />

*<br />

*<br />

*<br />

*<br />

usw. usf.


Es findet sich keine einzige weitere Kombination dieser<br />

fünf Segmente, die im Deutschen eine weitere sinnvolle<br />

Lautkette mit Wortstatus ergibt.<br />

Mit anderen Worten:<br />

Von den 3.105 potentialen Möglichkeiten werden 3.104 (=<br />

99,90%) überhaupt nicht genutzt.<br />

Erst wenn wir Modifikationen an den Segmenten vornehmen,<br />

ergeben sich wieder akzeptable Lautketten.<br />

Verzichten wir beispielsweise auf das Merkmal der (vokalischen)<br />

Länge (an das das Merkmal [geöffnet] geknüpft<br />

ist), dann kann man eine weitere Zitierform im Lexikon<br />

finden, die eine Kombination aus den entsprechenden Segmenten<br />

bietet:<br />

<br />

Die beiden realisierten Lautketten haben miteinander gemein,<br />

daß<br />

die vokalischen Segmente nicht adjazent stehen,<br />

ihre vom Akzent abhängige relative Abfolge unveränderlich<br />

ist,


die <strong>Silben</strong> Auftakte haben,<br />

keine Konsonantengruppen entstehen, die zur selben Silbe<br />

gehören,<br />

die geschlossenen <strong>Silben</strong> einfache Codae haben,<br />

<br />

<br />

R<br />

R<br />

A N A N C<br />

K V K V K<br />

<br />

<br />

K V K K V<br />

A N C A N<br />

R<br />

R


Numerisch weniger drastisch, aber dennoch merklich ist<br />

das Kombinationspotential unterhalb der Wortebene d.h.<br />

auf <strong>Silben</strong>ebene eingeschränkt.<br />

von den Vokalen darf Schwa nur in atonischen <strong>Silben</strong><br />

vorkommen,<br />

die Kardinalvokale kommen – von Lehn- und Kurzwörtern<br />

abgesehen – nur in tonischen <strong>Silben</strong> vor,<br />

vokalische Länge ist in atonischen <strong>Silben</strong> ausgeschlossen;


Spanisches Phonemsystem<br />

Vokale<br />

// / / // / / //<br />

5 vokalische, monopthongische Phoneme<br />

Konsonanten<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

+ Obstruenz<br />

+ Sonoranz<br />

20 konsonantische Phoneme


Berechnung des silbischen Potentials einer Sprache: Anzahl<br />

der vokalischen Phoneme plus Anzahl der rechnerisch<br />

möglichen Kombinationen aus vokalischen Phonemen und<br />

konsonantischen Phonemen.<br />

Eine Hochrechnung auf der Basis der (unrichtigen)<br />

Annahme, im Spanischen gäbe es nackte und gedeckte,<br />

offene und geschlossene <strong>Silben</strong> und nur ein Konsonant sei<br />

im Auftakt oder in der Koda zulässig, würde als<br />

Gesamtsumme weit über zweitausend mögliche <strong>Silben</strong><br />

ergeben.<br />

V = 5<br />

KV = 20 x 5 = 100<br />

VK = 5 x 20 = 100<br />

KVK = 20 x (5 x 20) = 2.000<br />

2.205 <strong>Silben</strong>

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