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Intergouvernementale und transgouvernementale, supranationale ...

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Volume 5, Issue 1 December 2010<br />

hrss<br />

hamburg review of social sciences<br />

Das Ende der Ausnahme? – <strong>Intergouvernementale</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>transgouvernementale</strong>, <strong>supranationale</strong> <strong>und</strong> transnationale Elemente<br />

der Gemeinsame Außen- <strong>und</strong> Sicherheitspolitik der Europäischen<br />

Union (nach dem Lissaboner Vertrag) ♠<br />

Kolja Raube*<br />

Abstract<br />

The Common Foreign and Security Policy (CFSP) has long been introduced as an intergovernmental<br />

policy area. In this article, other elements are introduced that might have an<br />

impact on the overall structure of CFSP. The article identifies traces of intergovernmental,<br />

transgovernmental, supranational and transnational elements in CFSP. Special attention<br />

is drawn on institutional changes in the wake of the Lisbon Treaty. At the same, time<br />

also elements in the shadow of the Lisbon Treaty are identified. The paper concludes with<br />

a plea for future approaches that recognize the multitude and diversity of organizations in<br />

CFSP – beyond a pure intergovernmental reading.<br />

♠ Teile dieses Artikels sind zuvor in der Zeitschrift „Eyes on Europe“ (2010) unter dem Titel<br />

„Kontinuität <strong>und</strong> Wandel der Gemeinsamen Außen- <strong>und</strong> Sicherheitspolitik“ erschienen. Es handelt<br />

sich hier um eine deutlich erweiterte Version des genannten Textes.<br />

* Dr. Kolja Raube arbeitet an der Katholieke Universiteit Leuven. Er ist Senior Member des “Leuven<br />

Centre for Global Governance Studies“ <strong>und</strong> Koordinator des Masterstudiengangs „European<br />

Studies: Transnational and Global Perspectives on Europe“. Contact:<br />

UKolja.Raube@ghum.kuleuven.beU.<br />

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Volume 5, Issue 1 December 2010<br />

Am 1. Dezember 2009 ist der Lissaboner Vertrag in Kraft getreten. 2 Mit dem Lissaboner<br />

Vertrag werden auf der einen Seite zahlreiche institutionelle Änderungen im Bereich der<br />

Gemeinsamen Außen- <strong>und</strong> Sicherheitspolitik (GASP) vorgenommen, die im Laufe der<br />

vertragsändernden Beratungen seit 2002 von transnationalen <strong>und</strong> intergouvernementalen<br />

Foren, wie dem Europäischen Konvent zur Zukunft Europas oder der Regierungskonferenz,<br />

vorgeschlagen <strong>und</strong> schließlich in das neue Vertragsgefüge eingefügt worden sind<br />

(Raube 2007). Auf der anderen Seite steht der Vertrag in der Kontinuität früherer Verträge.<br />

Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, inwieweit der Lissaboner Vertrag intergouvernementale,<br />

<strong>transgouvernementale</strong>, <strong>supranationale</strong> <strong>und</strong> transnationale Elemente in<br />

der GASP betont. Die hergebrachte Sichtweise, die GASP sei eine “intergouvernementale<br />

Insel” in der Europäischen Union (Raube 2010 a), könnte hiernach entweder weiterhin<br />

Bestand haben oder aber überdacht werden. Handelt es sich mit bei dem Lissaboner Vertrag<br />

um einen Einschnitt, der der GASP das Ende als intergouvernementaler Ausnahme<br />

bescheren könnte?<br />

Während es zu früh wäre, die tatsächlichen Auswirkungen des Lissaboner Vertrages<br />

auf die Strukturen der GASP zu analysieren – manche Änderungen, wie der Europäische<br />

Aussendienst (EAD), sind erst am 1. Dezember 2010 in Kraft getreten –, so können die<br />

Vertragsänderungen doch auf die zukünftige Organisationsstruktur der GASP hinweisen.<br />

<strong>Intergouvernementale</strong>, <strong>transgouvernementale</strong>, <strong>supranationale</strong> <strong>und</strong> transnationale Elemente<br />

haben unterschiedliche Merkmale. Gleichermaßen prägen diese Elemente die Struktur der<br />

GASP. Die Analyse konzentriert sich daher zunächst darauf, intergouvernementale,<br />

<strong>transgouvernementale</strong>, <strong>supranationale</strong> <strong>und</strong> transnationale Elemente der GASP – vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> des Lissaboner Vertrages – auszumachen. Sie lenkt dabei auch den Blick auf<br />

Strukturelemente, die im Schatten der Verträge, in der sogenannten Verfassungswirklichkeit,<br />

die GASP zunehmend prägen.<br />

Ein Blick entlang verschiedener Elemente, die die Struktur ausmachen könnten, erscheint<br />

sinnvoll, da in der Literatur seit einiger Zeit Unklarheit herrscht, wie die GASP<br />

überhaupt zu erfassen sei. So ist vorgeschlagen worden, die GASP entlang verschiedenen<br />

idealtypischer Modelle zu beschreiben. Die GASP ist hiernach idealtypisch als intergouvernementale<br />

internationale Organisation, als föderaler Staat oder kosmopolitische regionale<br />

Ordnung zu begreifen (Sjursen 2007). In der politischen wie juristischen Verfas-<br />

2 Der konsolidierte Text ist veröffentlicht im Official Journal of the European Union, C 115/1 ff.,<br />

9. Mai 2008.<br />

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sungswirklichkeit muss die GASP oder Teile der GASP an diesen Modellen abgeglichen<br />

werden (vgl. Batora 2010). Die Idee, der Natur der GASP nach zu stellen, muss als wichtige<br />

Gr<strong>und</strong>lagenforschung erachtet werden, da nur dann die Frage nach der Legitimität<br />

des Regierens in diesem Politikfeld beantwortet werden kann. Bereits Ende der 90er Jahre<br />

hat Dave Allen herausgearbeitet, dass das Regieren in der GASP nicht mehr allein als<br />

Handeln zwischen mitgliedstaatlichen Regierungen bezeichnet werden kann (1999). Seine<br />

Beschreibung einer sogenannten „Brüsselisierung“ der Regierungsakteure in der<br />

GASP deutete bereits darauf hin, dass es allzu simple sei, die GASP als intergouvernemental<br />

zu beschreiben, ohne dabei auf die Effekte des Zwischenregierungshandelns zu<br />

achten. Es könnte jedoch auch zu kurz gegriffen sein, nur auf die Rolle der Regierungsakteure<br />

<strong>und</strong> anderer exekutiver Akteure zu fokussieren, wenn es darum geht, die GASP umfänglich<br />

in ihrer institutionellen Struktur zu beschreiben. Dembinski <strong>und</strong> Joachim haben<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> von transnationalen Akteuren versucht, die GASP nicht als Kooperation<br />

von Mitgliedstaaten, sondern als „Regieren“ zu verstehen (2008). Dembinskis <strong>und</strong><br />

Joachims Beitrag verweist darauf, dass es wichtig ist, nicht nur Regierungsakteure <strong>und</strong><br />

die Kommission, sondern auch weitere Akteure – Parlamente, Nichtregierungsorganisationen<br />

– in die Forschungspraxis einzubeziehen. Um eine sich vermeintlich ändernde<br />

Struktur der GASP insgesamt zu erfassen, ist es essentiell, einen weiten Forschungsrahmen<br />

anzulegen, der ebenfalls transnationale Akteure umfasst.<br />

Die Betrachtung einzelner Strukturelemente der GASP ermöglicht es, den Blick von<br />

vermeintlich zentralen Akteuren <strong>und</strong> Organisationen wie den mitgliedstaatlichen Regierungen<br />

<strong>und</strong> dem Rat auf andere Akteure <strong>und</strong> Organisationen zu lenken. Die GASP wird<br />

dabei nicht in erster Linie als substantielle Politik begriffen. Auch wird nicht der Prozess<br />

des GASP-Regierens in den Vordergr<strong>und</strong> gestellt. Eher schon geht darum, sich über die<br />

Analyse einzelner Elemente all jenen Organisationen zu nähern, die tatsächlich an der<br />

Struktur GASP beteiligt sind. Dies soll in diesem Papier geschehen.<br />

Es folgt zunächst eine Bestimmung intergouvernementaler, <strong>transgouvernementale</strong>r,<br />

<strong>supranationale</strong>r <strong>und</strong> transnationaler Elemente der GASP. Sodann werden Änderungen<br />

durch den Vertrag von Lissabon <strong>und</strong> der Wandel im Schatten des Vertrages von Lissabon<br />

analysiert. Entlang der Erkenntnisse der Analyse endet der Beitrag mit einem Ausblick<br />

auf die zukünftige GASP-Forschung.<br />

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Elemente I: <strong>Intergouvernementale</strong> <strong>und</strong> Transgouvernementale<br />

Die GASP lässt sich zunächst als von intergouvernementalen <strong>und</strong> <strong>transgouvernementale</strong>n<br />

Elementen geprägt beschreiben (Hyde-Price 2005; Wallace 2005). Beide Elemente sind<br />

deutlich einer Kooperation unter Exekutiven in der GASP zuzuordnen. Die ersten – intergouvernementalen<br />

– Elemente heben die GASP als von den mitgliedstaatlichen Ressourcen,<br />

Interessen <strong>und</strong> Entscheidungen dominiert hervor. Die “Leitlinien” <strong>und</strong> “Strategien”<br />

des Europäischen Rates, in dem sich die Regierungschefs der Mitgliedstaaten vierteljährlich<br />

treffen, bestimmen die Ausrichtung der GASP. Der Rat für auswärtige Angelegenheiten<br />

entscheidet über die Umsetzung dieser Leitlinien im konkreten Anwendungsfall<br />

durch sogenannte “Gemeinsame Aktionen” <strong>und</strong> “Gemeinsame Standpunkte”. Einstimmige<br />

Entscheidungen im Europäischen Rat <strong>und</strong> im Rat, die damit einhergehende große Rolle<br />

einzelner Mitgliedstaaten, sind die Regel, Mehrheitsentscheidungen die Ausnahme. Die<br />

Rolle der Kommission ist, entlang der intergouvernementalen Sichtweise, in der GASP<br />

ebenso ein marginaler Akteur wie das Europäische Parlament (EP) <strong>und</strong> der Europäische<br />

Gerichtshof (EuGH). Der Kommission obliegt nicht das Initiativmonopol im Entscheidungsverfahren<br />

der Politiken wie in den vergemeinschafteten Bereichen der Europäischen<br />

Union. Das EP ist in seiner Funktion als Haushaltshüter auf die Kontrolle administrativer<br />

Ausgaben in der GASP begrenzt. Die intergouvernementale Sichtweise unterstreicht damit<br />

die Sonderstellung der GASP als eigenständige Säule im Vertragsgefüge der EU, die<br />

sich f<strong>und</strong>amental von den vergemeinschafteten Bereichen unterscheidet, indem sie den<br />

Einfluss der <strong>supranationale</strong>n Institutionen begrenzt <strong>und</strong> die Macht der (insbesondere großen)<br />

Mitgliedstaaten als konstante Größe anerkennt.<br />

Die GASP als durchweg intergouvernemental zu begreifen, wird durch die<br />

<strong>transgouvernementale</strong> Sichtweise modifiziert (Smith 1998; 2004). Während die parlamentarische<br />

<strong>und</strong> judikative Kontrolle der GASP durch das EP <strong>und</strong> den Europäischen Gerichtshof<br />

limitiert ist, stehen entlang der <strong>transgouvernementale</strong>n Sichtweise die Beziehungen<br />

zwischen den Exekutiven der mitgliedsstaatlichen Ministerien <strong>und</strong> den Behörden<br />

in Brüssel im Vordergr<strong>und</strong> (Mérand/Hoffmann/Irondelle 2010; Wallace 2005). Die verschiedenen<br />

Exekutiven nationaler <strong>und</strong> europäischer Ebenen sowie ihre Verflechtungen<br />

untereinander gelten als bedeutende institutionelle Beziehungen, um Initiativen <strong>und</strong> Entscheidungen<br />

in der GASP zu verstehen. Sie sind andernorts als „administrative<br />

governance“ der GASP bezeichnet worden (vgl. Duke/ Vanhoonacker 2006). Das Verstehen<br />

dieser Beziehungen ist notwendig, weil die Außenpolitik der EU nicht nur die Pohrss,<br />

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litik der GASP umfasst, <strong>und</strong> die GASP nicht losgelöst von anderen (Außen-) Politikbereichen<br />

verstanden werden kann. Die Kommission hat in den anderen Außenpolitik-<br />

Bereichen außerhalb der GASP wesentlich größere Kompetenzen, <strong>und</strong> die EU wird in ihrer<br />

Auβendarstellung nicht nach Leistungen in den einzelnen Kompetenzbereichen –<br />

Sicherheitspolitik, Entwicklung, Handel, etc. – betrachtet, sondern danach, wie sie insgesamt<br />

auf der außenpolitischen Bühne auftritt. Diese externe Wahrnehmung der Europäischen<br />

Union als Ganzes erfordert eine kohärente Politik, die wiederum bedingt enge Absprachen<br />

<strong>und</strong> Koordinierungen der exekutiven <strong>und</strong> administrativen Einheiten über Kompetenzgrenzen<br />

hinweg. Das dabei entstehende Koordinierungsgeflecht verschiedener<br />

Ausschüsse gerade innerhalb des Rates ist nicht allein eines, in dem die Mitgliedstaaten<br />

eine zentrale Rolle spielen.<br />

Elemente II: Supranationale <strong>und</strong> Transnationale<br />

Der Einfluss <strong>supranationale</strong>r <strong>und</strong> transnationaler Elemente ist eine Rarität in der GASP.<br />

Dies bedeutet aber nicht, dass <strong>supranationale</strong> <strong>und</strong> transnationale Organisationen in der<br />

Betrachtung der GASP ignoriert werden können. Supranationale Organisationen in der<br />

EU sind mithin die Europäische Kommission, der EuGH <strong>und</strong> das EP. Ihnen ist gemeinsam,<br />

dass sie ihre Legitimität entweder direkt von den europäischen Bürgern <strong>und</strong>/oder<br />

aber aus ihrer Funktionszuweisung für die Integration in der EU beziehen. Der Einfluss<br />

dieser Akteure in der GASP ist bislang limitiert. Wir konnten jedoch bereits oben sehen,<br />

dass es Anzeichen gibt, dass die Kommission über das Ziel der Union, eine kohärente<br />

Außenpolitik erzielen zu wollen, in die Arbeitsprozesse des Rates einbezogen wird. Die<br />

dabei entstehenden <strong>transgouvernementale</strong>n Beziehungen sind u.a. die Folge der zunehmenden<br />

Einbindung der <strong>supranationale</strong>n Kommission in die GASP.<br />

Der EuGH hat keine Kompetenz im Bereich der GASP, über die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen<br />

<strong>und</strong> Verhaltensweisen innerhalb der GASP zu entscheiden. Eine Ausnahme<br />

ist die Kontrolle von Entscheidungen über Sanktionen gegenüber natürlichen <strong>und</strong> juristischen<br />

Personen (Artikel 24 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 5 EUV; Art. 275 AEUV). 3 Auch über<br />

Artikel 40 EUV hat der EuGH die Kompetenz, über Zugriffe des Rates in den Bereich der<br />

Gemeinschaftskompetenzen (auch im Bereich der externen Beziehungen) zu entscheiden.<br />

Wichtig ist hier, dass der EuGH abwägen muss, welche Kompetenzgr<strong>und</strong>lage für Aktio-<br />

3 Siehe die wegweisenden Entscheidungen Yusuf <strong>und</strong> Kadi (De Baere 2008: 275 ff.).<br />

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nen innerhalb der GASP geltend gemacht wurde, oder, mit anderen Worten, ob es nicht<br />

eine Kompetenzgr<strong>und</strong>lage in den vergemeinschafteten Bereichen der Union gibt. Der<br />

EuGH hat in der Tat mit der Entscheidung Small Arms and Light Weapons deutlich Position<br />

bezogen, 4 <strong>und</strong> erklärt, dass in manchen Fällen zweierlei Kompetenzbereiche (innerhalb<br />

<strong>und</strong> außerhalb der GASP) zum Tragen kommen. In Small Arms and Light Weapons<br />

gab es insofern die Kompetenz der Gemeinschaften, im Bereich der Entwicklungspolitik<br />

zu handeln, während andere Bereiche eine einstimmige Entscheidung des Rates in der<br />

GASP verlangten, weil sie zum Bereich der Sicherheitspolitik zu zählen waren (Wessel<br />

2009:136; De Baere 2009: 288). Das Gericht verwarf die ursprüngliche GASP-<br />

Entscheidung: “[This] means that no second or third pillar act may be adopted on any<br />

matter falling within the scope of the EC Treaty, regardless of the non-exclusive character<br />

of the Community competence concerned” (De Baere 2009: 289). Mit anderen Worten, je<br />

mehr die EU eine kohärente Politik zwischen GASP <strong>und</strong> anderen außenpolitischen Bereichen<br />

verfolgt, desto mehr wird sich die Frage stellen, welche Kompetenz das ausschlaggebende<br />

Verfahren in der GASP oder außerhalb der GASP in Gang setzt. Der EuGH<br />

spielt daher bereits heute eine wichtige Rolle in dieser Frage, wenngleich die Verträge<br />

dem EuGH nach wie vor im Vergleich zu anderen Bereichen der EU keine ähnlich einflussreiche<br />

Stellung in der GASP zumessen.<br />

Das EP ist ebenso immer schon Bestandteil der GASP gewesen. Aber dieser Bestandteil<br />

war seit dem Vertrag von Maastricht limitiert. Das Parlament hat jedoch wenige, <strong>und</strong><br />

wenn dann nur informelle geregelte Möglichkeiten, in der GASP Einfluss zu nehmen. So<br />

ist bspw. einer begrenzten Zahl von Parlamentariern es möglich, Einsicht in vertrauliche<br />

Dokumente des Rates zu nehmen. Die speziellen regionalen Repräsentanten, die per<br />

GASP-Entscheidung nach Übersee als Krisenmanager, Mediatoren <strong>und</strong> Quasi-<br />

Diplomaten der GASP geschickt werden, müssen vor dem Europäischen Parlament vor<br />

ihrer Abreise ihre Qualifizierung rechtfertigen. Aber dieser Prozess geschieht nur auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der eigenen parlamentarischen Geschäftsordnung des EP. Die Parlamentarier<br />

haben zudem eine einmal pro Jahr stattfindende, geregelte Aussprache über die GASP im<br />

Vertrag von Nizza zugesichert bekommen. Eine Rechenschaftspflicht in der GASP ist<br />

wenig umfangreich. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann das Parlament Informationen einfordern. Zwar<br />

hat das Parlament im nicht-militärischen, administrativen Bereichen hat das Parlament die<br />

Möglichkeit, auf das Budget der GASP Einfluss zu nehmen. Das Parlament hat jedoch<br />

4 Entscheidung C-91/05 Commission vs. Council [2005] OJ C115/10.<br />

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keine Möglichkeiten, auf die sicherheitspolitische Dimension der GASP über das Budget<br />

der Europäischen Sicherheits- <strong>und</strong> Verteidigungspolitik (ESVP) Einfluss zu nehmen.<br />

Auch ist eine ex-ante Kontrolle der GASP-Entscheidungen nicht möglich.<br />

Dieser Überblick steht jedoch im scharfen Kontrast zu den ausführlichen Aktivitäten des<br />

EP in der GASP. Das EP besitzt nämlich die Möglichkeit, über eigene Initiativen, das<br />

Anfertigung von eigens initiierten Berichten, in der GASP aktiv zu werden. Die Etablierung<br />

des Sicherheits- <strong>und</strong> Verteidigungsausschusses neben dem Ausschuss für Auswärtige<br />

Angelegenheiten erklärt auch das Interesse des EP in der ESVP – dem instrumentellen<br />

Teil der GASP, der sicherheitspolitische <strong>und</strong> verteidigungspolitische Fragen regelt. Das<br />

Parlament führt insofern – <strong>und</strong> ganz anders also in den Bereichen, in denen das Parlament<br />

Ko-Gesetzgeber ist – ein aktives Schattendasein in der GASP. Die Frage ist, wann das<br />

Parlament aus diesem Schatten tritt?<br />

Transnationale Akteure haben in den internationalen Beziehungen seit den 1970er Jahre<br />

an Bedeutung gewonnen <strong>und</strong> im Zuge der Global Governance-Debatte wieder seit den<br />

1990er Jahren mehr Beachtung gef<strong>und</strong>en (Keohane/Nye 1970; Risse-Kappen 1996). In<br />

der europäischen Integrationsforschung sind grenzüberschreitende Nichtregierungsorganisationen<br />

ein fester Bestandteil, <strong>und</strong> gar zur Erklärung der europäischen Integration unentbehrlich<br />

(Fligstein/ Stone Sweet 2002). Transnationale Aktivitäten <strong>und</strong> Organisationen,<br />

die im transnationalen Raum Interessen <strong>und</strong> Normen jenseits des Nationalstaats vertreten,<br />

sind insofern zur Normalität geworden <strong>und</strong> Gegenstand der Sozialwissenschaften,<br />

die sich auf Europa <strong>und</strong> global orientieren (Mau 2010; Mau/Verwiebe 2010). Wie passt<br />

dies nun mit der GASP zusammen? – In den Verträgen über die Europäische ist die Einbindung<br />

der transnationalen Nichtregierungsorganisationen in der GASP nicht erwähnt.<br />

Da eben auch die parlamentarische Einbindung des EP <strong>und</strong> der Kommission in der GASP<br />

limitiert ist, haben die Nichtregierungsorganisationen Schwierigkeiten, über diese <strong>supranationale</strong>n<br />

Kanäle Einfluss auf die GASP zu nehmen. Neuere Studien von Joachim <strong>und</strong><br />

Dembinski allerdings deuten auf mögliche Mechanismen, über die Nichtregierungsorganisationen<br />

versuchen, auf die GASP Einfluss zu nehmen. Anders als in anderen Bereichen<br />

der auswärtigen Beziehungen, wo insbesondere die Kommission die Einbindung der<br />

Nichtregierungsorganisationen fördert, ist in der GASP hauptsächlich über das Parlament<br />

möglich. Da das Parlament jedoch kaum Einfluss auf die tatsächliche GASP hinnehmen<br />

kann, ist es auffällig, dass die Nichtregierungsorganisationen insbesondere in der<br />

Implementationsphase von GASP-Beschlüssen an Bedeutung gewinnen können <strong>und</strong> versuchen,<br />

die mitgliedstaatlichen Regierungen öffentlich an ihre Beschlüsse <strong>und</strong> Veranthrss,<br />

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wortung zu erinnern <strong>und</strong> gegebenenfalls öffentlich zu kritisieren (Joachim/Dembinski<br />

2008).<br />

Als transnationale Organisationen können ebenfalls die transnationalen parlamentarischen<br />

Versammlungen gesehen werden, die ein Forum zum Ausstauch von Informationen unter<br />

nationalen Parlamentariern <strong>und</strong> Europaparlamentariern in der GASP bieten. Peters/<br />

Deitelhoff/ Wagner (2008; 2010) nennen diese Kooperation ein „parlamentarisches Feld“<br />

– im transnationalen Raum. Während Entscheidungen im Rat auf europäischer Ebene getroffen<br />

werden, u.a. auch Einsätze im Bereich des zivilen <strong>und</strong> militärischen Krisenmanagements<br />

im Rahmen der ESVP, sind nationale Parlamente häufig die einzigen legislativen<br />

Organe, die über Entscheidungen im nationalen Kontext abstimmen (so sie qua nationaler<br />

Verfassung dazu ermächtigt sind). In Deutschland hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht den<br />

Parlamentsvorbehalt in Sachen des Einsatzes der B<strong>und</strong>eswehr (auch im Kontext der<br />

ESVP) in seiner Entscheidung zum Lissaboner Vertrag noch einmal hervorgehoben. 5 Da<br />

aber die Abstimmungen immer nur „ex post“ nach Entscheidungen des Rates stattfinden<br />

<strong>und</strong> es keine „ex ante“-Legitimation durch das Parlament gibt (Wagner 2006), <strong>und</strong> auch<br />

das Subsidiaritätsprinzip in der GASP keine Geltung hat, gewinnt der transnationale Informationsaustausch<br />

von Parlamentariern in Foren wie der Versammlung der Westeuropäischen<br />

Union <strong>und</strong> der parlamentarischen Versammlung der NATO an Bedeutung. Gerade<br />

durch die formelle Abwesenheit des EP in der ESVP sind nationale Parlamente <strong>und</strong><br />

ihre transnationalen Netzwerke entscheidend, um zu einer Legitimation der ESVP beizutragen.<br />

In diesem Sinne ist es nach wie vor erstaunlich, wie wenig die GASP-Forschung<br />

transnationale Elemente in seine Arbeit einbezieht.<br />

5 BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Absatz 381-383: “ [..] Der konstitutive Parlamentsvorbehalt<br />

für den Auslandseinsatz der Streitkräfte besteht auch nach einem Inkrafttreten des Vertrags von<br />

Lissabon fort. Der Vertrag von Lissabon überträgt der Europäischen Union keine Zuständigkeit,<br />

auf die Streitkräfte der Mitgliedstaaten ohne Zustimmung des jeweils betroffenen Mitgliedstaates<br />

oder seines Parlaments zurückzugreifen. […] Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt<br />

des Gr<strong>und</strong>gesetzes greift ein, wenn nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang <strong>und</strong> den einzelnen<br />

rechtlichen <strong>und</strong> tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete<br />

Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist. Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des<br />

Gr<strong>und</strong>gesetzes sind darauf angelegt, die B<strong>und</strong>eswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive<br />

zu überlassen, sondern sie als „Parlamentsheer“ in die demokratisch rechtsstaatliche<br />

Verfassungsordnung einzufügen (vgl. BVerfGE 90, 286 ; 121, 135 ). […] Der<br />

wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht<br />

des Deutschen B<strong>und</strong>estages in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt. Ohne parlamentarische<br />

Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Gr<strong>und</strong>gesetz gr<strong>und</strong>sätzlich nicht<br />

zulässig; nur ausnahmsweise ist die B<strong>und</strong>esregierung - bei Gefahr im Verzug - berechtigt,<br />

vorläufig den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu beschließen, damit die Wehr- <strong>und</strong><br />

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Der Lissaboner Vertrag ändert gar nichts: <strong>Intergouvernementale</strong> Elemente<br />

Ein erster Blick auf den Lissaboner Vertrag suggeriert, dass sich nichts an der Feststellung<br />

ändere, die GASP sei eine „intergouvernementale Insel“. Die Möglichkeit, im Europäischen<br />

Rat <strong>und</strong> im Rat mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden, bleibt eingegrenzt<br />

<strong>und</strong> ist hohen prozeduralen Kosten ausgesetzt (Artikel 22 I Abs. 3 Vertrag über die Europäische<br />

Union (EUV); Artikel 31 I EUV; Artikel 31 II EUV). Die Mitgliedstaaten müssen<br />

weiterhin über die ihnen verbleibende Machtstellung bei Einstimmigkeitsentscheiden<br />

hinaus erst einmal die Kooperation in der GASP selber wollen. Sie sind zwar nach Einschätzung<br />

europarechtlicher Expertise dazu verpflichtet, der gegenseitigen Kooperation<br />

ihrer Außenpolitiken nachzukommen (siehe Artikel 24 III EUV). In diesem Sinne argumentieren<br />

Hillion <strong>und</strong> Wessel, dass die obligatorische Verpflichtung, in der GASP zu kooperieren<br />

an die Stelle einer formell geregelten Kompetenz der Union in der GASP rückt.<br />

Eine formal rechtliche verbindliche Regelung, dass der Kooperationsverpflichtung entsprochen<br />

werden muss, gibt es aber nicht. Der EuGH bleibt, bis auf die oben angeführte<br />

Ausnahme, über die Nichteinmischung der GASP in Gemeinschaftspolitiken zu wachen<br />

(Artikel 40 I EUV i.V.m. Artikel 24 EUV), von der Überprüfung der GASP ausgeschlossen.<br />

Das EP gewinnt vorerst nur marginal an Kontrollrechten hinzu (Raube 2008; siehe<br />

auch Artikel 36 EUV). Die rechtlichen <strong>und</strong> parlamentarischen Kontrollmechanismen europäischer<br />

Außenpolitik finden danach kaum in Brüssel, Straßburg oder Luxemburg statt.<br />

– Und die Kommission? Nach intergouvernementaler Rechnung können auch die wenigen<br />

Änderungen, in denen der Kommission nur ein Initiativrecht inter-pares zugestanden<br />

wird (Artikel 30 EUV), nicht über die dominante Stellung der mitgliedstaatlichen Interessen<br />

in der GASP hinwegtäuschen. Sie kommt selbst dort zum Ausdruck, wo die Mitgliedstaaten<br />

Macht eingebüßt haben. Zwar verlieren sie die Rolle des externen Vorsitzes im<br />

Europäischen Rat durch die Einführung des Amtes des Vorsitzenden des Europäischen<br />

Rates, der auch die Außenpolitik nach außen vertritt <strong>und</strong> für die Formulierung der außenpolitischen<br />

Agenda zuständig ist (Artikel 15 VI EUV). Aber sein Mandat ist ein intergouvernementales:<br />

Nominiert <strong>und</strong> bestätigt aus dem Kreis der Mitgliedstaaten (Artikel 15 V<br />

EUV), wird Herman van Rompuy auf die Interesse der Mitgliedstaaten achten müssen,<br />

will er nicht isoliert werden.<br />

Bündnisfähigkeit der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland durch den Parlamentsvorbehalt nicht in Frage<br />

gestellt werden (vgl. BVerfGE 90, 286 ).“<br />

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Die intergouvernementale Rechnung geht sogar noch weiter: Die deutliche Verstärkung<br />

sicherheitspolitischer Instrumente im Bereich des zivilen <strong>und</strong> militärischen Krisenmanagement<br />

verstärkt die intergouvernementale Ausrichtung der GASP. Der im Lissaboner<br />

Vertrag von Europäischer Sicherheits- <strong>und</strong> Verteidigungspolitik (ESVP) in Gemeinsame<br />

Sicherheits- <strong>und</strong> Verteidigungspolitik (GSVP) umbenannte Teil der GASP ist vollends<br />

intergouvernemental (Artikel 42 ff. EUV). Hier werden nicht nur die Entscheidungen einstimmig<br />

getroffen (Artikel 42 IV EUV), hier spielen auch insbesondere die Ressourcen<br />

der Mitgliedstaaten eine gesonderte Rolle. Keine internationale Mission mit zivilem oder<br />

militärischem Personal (Verwaltungsbeamte, Richter, Polizisten, Soldaten, etc.) findet<br />

ohne die Mitgliedstaaten statt, denen diese Personen unterstellt sind <strong>und</strong> die formell für<br />

die Missionen abgestellt werden müssen (Artikel 42 I EUV). Die EU hat keine eigene<br />

Armee, sie hat aber eben auch keine eigenen Polizisten <strong>und</strong> Zivil- <strong>und</strong> Strafrichter. Die<br />

Regierungen der Mitgliedstaaten sind es, die über das Personal unter europäischer Fahne<br />

zu entscheiden haben. Der Lissaboner Vertrag ändert daran nichts. Er verstärkt sogar<br />

noch den intergouvernementalen Charakter von GASP <strong>und</strong> GSVP, denn die EU kann hier<br />

nun auch bei Maßnahmen in Folge von Terrorakten <strong>und</strong> Umweltkatastrophen tätig werden<br />

(Artikel 222 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Hinzu<br />

kommt, dass die EU ihre verteidigungspolitische Dimension im Sinne der Verteidigung<br />

ihrer eigenen Grenzen nur aufgr<strong>und</strong> einer intergouvernementalen Entscheidung wahrnehmen<br />

kann: Mit dem Vertrag dient eine Verteidigungsklausel der Ermahnung der Mitgliedstaaten,<br />

zusammen das Territorium eines anderen Mitgliedstaates zu verteidigen, solange<br />

dies nicht einzelstaatlichen verteidigungspolitischen Bestimmungen widerspricht<br />

(Artikel 42 VII EUV). Es obliegt aber allen an dieser Verteidigungsunion teilnehmenden<br />

Staaten, eine solche Position einstimmig einzunehmen. Insofern unterscheidet sich die<br />

EU keinesfalls von anderen Verteidigungsbündnissen wie der NATO. Bestimmungen<br />

hinsichtlich eines gemeinsamen Rüstungsmarktes der EU bleiben ebenfalls dem Einfluss<br />

<strong>supranationale</strong>r Institutionen entzogen: Zwar wird durch Lissabon formal die Einrichtung<br />

der Europäischen Verteidigungsagentur per Mehrheitsentscheidung bestätigt, aber sie<br />

bleibt einzig dem Rat unterstellt (Artikel 45 EUV).<br />

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Volume 5, Issue 1 December 2010<br />

Der Lissaboner Vertrag ändert einiges: Transgouvernementale Elemente<br />

Werden durch den Lissaboner Vertrag Elemente verankert, die jenseits intergouvernementaler<br />

Strukturen liegen könnten? Der Sichtweise, der Lissaboner Vertrag ändere im<br />

Gr<strong>und</strong>e nichts an der intergouvernementalen Konstitution der GASP, kann entgegengesetzt<br />

werden, dass durch den Vertrag <strong>und</strong> insbesondere die Einsetzung des Hohen Repräsentanten<br />

der GASP sowie die Errichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD)<br />

die <strong>transgouvernementale</strong> Struktur der GASP verstärkt werde. In der Tat sehen die Änderungen,<br />

die mit dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages <strong>und</strong> seiner Implementierung<br />

wirksam werden, eine Fusionierung exekutiver <strong>und</strong> administrativer Strukturen der Kommission<br />

<strong>und</strong> des Rates vor. Durch die Fusionierung (Wessels 2005) werden vormals miteinander<br />

kooperierende Einheiten der Kommission <strong>und</strong> des Rates miteinander verzahnt.<br />

Die Fusion von Kommissions- <strong>und</strong> Ratsstrukturen ist eine Stärkung der Exekutive in<br />

Brüssel <strong>und</strong> im Ausland. Diese Stärkung einer europäischen Exekutive der GASP in<br />

Brüssel entsteht durch Verfestigung <strong>transgouvernementale</strong> Beziehungen.<br />

Die Verfestigung <strong>transgouvernementale</strong>r Beziehungen erfolgt durch zweierlei Neuerungen<br />

des Lissaboner Vertrages: den Hohen Repräsentanten (Artikel 27 EUV) <strong>und</strong> den Europäischen<br />

Auswärtigen Dienst (EAD) (Artikel 27 EUV). Die Hohe Repräsentantin, Lady<br />

Ashton, hat bereits Anfang 2010 ihr Amt in Brüssel bekleidet. Gemäß den neuen Bestimmungen<br />

des Lissaboner Vertrages ist sie sowohl die Vize-Präsidentin der EU-<br />

Kommission als auch Vorsitzende des Rates für außenpolitische Angelegenheiten. Sie<br />

übernimmt die Aufgaben des früheren Hohen Repräsentanten der GASP, Javier Solana,<br />

<strong>und</strong> der ehemaligen Auβenkommissarin, Benita Ferrero-Waldner. Ihr Portfolio umfasst<br />

jedoch nicht den Bereich der Handelspolitik. In Zukunft wird sie sich im Bereich der<br />

Entwicklungspolitik zusammen mit dem zuständigen Kommissar gezielt abstimmen müssen.<br />

Die erzielte Fusion der Aufgaben des Hohen Repräsentanten führt jedoch nicht zu einer<br />

einheitlichen Entscheidungspraxis in der europäischen Außenpolitik. Wie oben bereits<br />

angedeutet, regelt sich das Entscheidungsverfahren je nach Entscheidungsgegenstand.<br />

Die Einstimmigkeit verbleibt in der Regel das (intergouvernementale) Entscheidungsprozedere<br />

der GASP. Jedoch gewinnt der Hohe Repräsentant die Möglichkeit, entweder allein<br />

oder zusammen mit dem Kommissionskolleg Vorschläge für Entscheidungen in der<br />

GASP zu unterbreiten (Artikel 30 EUV). Da die Hohe Repräsentantin zugleich Teil der<br />

Kommission ist <strong>und</strong> ein Interesse daran haben dürfte, kohärente Vorschläge zusammen<br />

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mit ihren Kollegen zu erarbeiten, wird sie von der letzteren Option Gebrauch machen.<br />

Sollte sie es jedoch hauptsächlich mit Fragen der GASP <strong>und</strong> dem Zuständigkeitsbereich<br />

der ehemaligen Direktion RELEX zu tun haben, bleibt abzuwarten, wie groß ihr Interesse<br />

tatsächlich ist, intra-institutionelle Kohärenzen zu erzielen <strong>und</strong> <strong>transgouvernementale</strong> Beziehungen<br />

zu pflegen. Es kann jedoch bereits jetzt angenommen werden, dass Lady Ashton<br />

insbesondere die intra-institutionellen Konflikte zwischen ihren Zuständigkeitsbereichen<br />

<strong>und</strong> denen der anderen mit außenpolitischen Themen befassten Kommissare lösen<br />

muss, um eine kohärente Außenpolitik der EU zu präsentieren. Die Differenzen der unterschiedlichen<br />

außenpolitischen Zuständigkeitsbereiche werden daher einen deutlichen<br />

Einfluss auf die GASP entwickeln können. Dies bedeutet, dass <strong>transgouvernementale</strong> Beziehungen<br />

zwischen der Kommission <strong>und</strong> der Hohen Repräsentantin nicht zu unterschätzen<br />

sein dürften. Diese Vermutung verdichtet sich, sobald man sich die neue Struktur des<br />

EAD vor Augen führt.<br />

Über die endgültige Struktur des EAD ist vom Rat, der Hohen Repräsentantin, der Kommission<br />

entschieden worden, wobei das EP konsultiert werden musste (Artikel 27 EUV).<br />

Aus der Entscheidung geht hervor, dass der EAD sich aus einer internen Struktur in Brüssel<br />

(sogenannte zentrale Verwaltung des EAD) <strong>und</strong> einer externen Struktur (sogenannte<br />

EU Delegationen), die die ehemaligen Delegationen der Kommission in der Welt umfasst,<br />

zusammensetzen wird. Bei der internen Struktur handelt sich um eine Verschmelzung<br />

der Funktionen der ehemaligen Direktion RELEX <strong>und</strong> Einheiten des Generalsekretariats.<br />

Die neue Administration wird den Zuständigkeiten Lady Ashtons entsprechend<br />

aufgebaut werden. Diese umfasst, dass die Generaldirektion RELEX <strong>und</strong> wesentliche<br />

Einheiten des Generalsekretariats in den EAD integriert werden. Es entsteht die thematische<br />

Abteilung (Direktion) “Crisis-management“, die der Hohen Repräsentantin direkt<br />

untergeordnet wird. Die weiteren Abteilungen, die sich zum einen aus geographischen<br />

<strong>und</strong> multilateralen Referaten, aber auch Rechtsreferaten <strong>und</strong> Referaten für interinstitutionelle<br />

Aufgaben zusammensetzen, unterstehen einem Generalsekretär <strong>und</strong> zwei<br />

Vertretern sowie einem Generaldirektor, der für das Budget <strong>und</strong> die Verwaltung des EAD<br />

zuständig ist. Der EAD wird insgesamt aus der Kommissionsadministration <strong>und</strong> dem<br />

Ratssekretariat ausgegliedert <strong>und</strong> kann als eine Institution “sui generis” oder als<br />

„functionally autonomous body“ verstanden werden. Es ist vorgesehen, dass der EAD<br />

aber auf das engste mit dem Generalsekretariat des Rates, den Abteilungen der Kommission<br />

<strong>und</strong> den Auswärtigen Diensten der Mitgliedstaaten zusammen arbeitet.<br />

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Es steht fest, dass auf der Gr<strong>und</strong>lage des Artikels 27 EUV der EAD aus Kommissionsmitarbeitern,<br />

Mitarbeitern des Generalsekretariats <strong>und</strong> den mitgliedstaatlichen diplomatischen<br />

Diensten besetzt werden soll. Es handelt sich damit um die Fusion unterschiedlicher<br />

Exekutiven <strong>und</strong> Mitarbeiter in eine neue Verwaltungsstruktur. Für die externe Struktur<br />

des EAD gilt nach derzeitigem Stand der Dinge, dass sie die neu zu schaffenden Delegationen<br />

der EU in der Welt umfasst (Artikel 221 AEUV) <strong>und</strong> dass nach der Umwandlung<br />

der Kommissionsdelegationen in EU-Delegationen ebenfalls Mitglieder der Kommission,<br />

des Generalsekretariats <strong>und</strong> der Mitgliedstaaten für die Delegationen rekrutiert<br />

werden <strong>und</strong> dem Hohen Repräsentanten unterstellt sind.<br />

Der EAD wird nach objektiven Qualifikationskriterien besetzt werden. Fest steht nach der<br />

Entscheidung über die Errichtung des EAD, dass, „when the EEAS has reached full capacity,<br />

staff from Member States should represent at least one third of all EEAS staff at<br />

AD level.” 6 Allerdings soll bei der Evaluation des Dienstes darauf geachtet werden, ob<br />

die nationalen diplomatischen Dienste zu gleichen Teilen repräsentiert sind. 7 Es ist abzusehen,<br />

dass bereits auf der Ebene der Human Ressources es zu einer Intensivierung der<br />

<strong>transgouvernementale</strong>n Beziehungen zwischen nationalen diplomatischen Diensten <strong>und</strong><br />

dem neuen EAD kommen wird.<br />

Auch operativ dürften die neuen Delegationen zu einer Intensivierung der<br />

<strong>transgouvernementale</strong>n Beziehungen zwischen nationalen Repräsentationen <strong>und</strong> den EU<br />

“Botschaften” führen. Solange die Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung nachkommen wollen,<br />

eine gemeinsame Position in internationalen Organisationen zu finden, werden ihre<br />

Koordinierung mit den EU Delegationen vor Ort intensivieren müssen (obligatorisch ist<br />

dies schon: Artikel 221 II AEUV). Die Repräsentanz der EU in Drittstaaten oder bei internationalen<br />

Organisationen wird durch die neue EU-Rechtspersönlichkeit unterstrichen:<br />

Die EU erhält beispielsweise in jenen internationalen Organisationen einen eigenen Beobachtersitz<br />

(bislang hatte dies nur die Europäische Gemeinschaft). Herausragendes Beispiel<br />

ist, dass Lady Ashton in Zukunft auf der Gr<strong>und</strong>lage des neuen Vertrages im UN<br />

Sicherheitsrat die EU vertreten kann (Artikel 34 II EUV). Die Stellung der Hohen Repräsentantin<br />

<strong>und</strong> des neuen EAD dürfte daher nicht nur zu einer Verfestigung der Beziehung<br />

6<br />

Siehe Council Decision 26 July 2010 establishing the organization and functioning of the European<br />

External Action Service, 2010/427/EU, Official Journal of the European Union, 3 August<br />

2010, L 201/30.<br />

7 Siehe: “Decision establishing the organisation and functioning of the European External Action<br />

Service”, Fn 6.<br />

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zwischen der Kommission <strong>und</strong> der neuen Behörde führen, sondern ebenfalls zwischen<br />

dem EAD <strong>und</strong> den nationalen Exekutiven.<br />

Die neuen Strukturen des EAD werden sich auch auf die Entscheidungsfindung in der<br />

GASP auswirken: Dies ist insbesondere zu erwarten, weil die Ressourcen des Dienstes in<br />

Brüssel <strong>und</strong> der Welt zu einer Informationsdichte aus Fact-Finding <strong>und</strong> politischer Analyse<br />

führen, die von den nationalen Außenministerien nicht unterschätzt werden wird. Der<br />

Dienst hat damit das Potenzial, auf die Planungen, Entscheidungen <strong>und</strong> Ausführungen der<br />

GASP einzuwirken <strong>und</strong> dem Hohen Repräsentanten bei seiner Aufgabe, aktiv in die Außenpolitik<br />

einzuwirken, zu dienen. In den diversen Entscheidungsgremien des Rates dürften<br />

somit innerhalb <strong>transgouvernementale</strong> Beziehungen Vertreter des EAD, der Mitgliedstaaten<br />

<strong>und</strong> der Kommission zunehmend mehr auf Augenhöhe beraten.<br />

Es ändert sich einiges im Schatten der Verträge: Supranationale <strong>und</strong> Transnationale<br />

Elemente<br />

Während die formellen Änderungen insbesondere die Exekutive <strong>und</strong> Verwaltung der<br />

GASP betreffen, ergibt sich aus dem Lissaboner Vertrag zunächst keine unmittelbare<br />

Ausweitung der Aufgaben für das EP oder den EuGH (siehe oben). Während die Rolle<br />

des EuGH innerhalb der GASP/GSVP eingeschränkt bleibt <strong>und</strong> nicht über den status-quaante<br />

des Lissaboner Vertrages hinaus entwickelt, zeigt die Rechtsprechung des EuGH<br />

insbesondere im Fall Small Arms an Light Wagons, Yusuf <strong>und</strong> Kadi, dass der EuGH<br />

längst zum mitbestimmenden Faktor hinsichtlich der Abgrenzung zwischen GASP- <strong>und</strong><br />

Nicht-GASP-Kompetenzen <strong>und</strong> der Verwerfung von GASP-Entscheidungen im Hinblick<br />

auf EU-Sanktionen geworden ist. Studien, wie die von De Baere (2008), Kronenberger<br />

(2007) <strong>und</strong> Wessel (2009) zeigen, dass Juristen die Rolle des <strong>supranationale</strong>n Gerichtshofes<br />

in der GASP schon längst ernst nehmen <strong>und</strong> entsprechend analysieren. Die Auswirkungen<br />

der Rechtsprechung des EuGH auf die GASP sind unmissverständlich groß: Der<br />

EuGH legt den Kompetenzrahmen der GASP fest (bzw. den anderer außenpolitischer<br />

Räume der EU) <strong>und</strong> somit die Frage, in welchem Entscheidungsmechanismen (intergouvernemental<br />

oder nicht intergouvernemental) über zu ergreifende Aktionen abgestimmt<br />

werden muss. Der EuGH nimmt mit anderen Worten allein über das Einfallstor des Artikel<br />

40 EUV mehr Einfluss auf die GASP, als dies eine intergouvernementale Sichtweise<br />

erfassen könnte. Gleiches gilt für Entscheidungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von<br />

EU-Sanktionen (Artikel 24 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 5 EUV).<br />

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Das EP ist aus dem Lissaboner Vertrag formal kaum verstärkt hervorgegangen. Formelle<br />

Regelungen umfassen lediglich die nun zweimal im Jahr vorgesehene Anhörung des Hohen<br />

Repräsentanten (Eriksen 2009). Aber das EP hat in Folge der Beratungen um die<br />

Etablierung des EAD deutlich versucht, seinen Einfluss auf die Hohe Repräsentantin <strong>und</strong><br />

den ihr unterstellten Dienst auszubauen. Eine umfängliche Analyse des Europäischen Parlamentes<br />

<strong>und</strong> seines Einflusses auf die Errichtung des Dienstes kann an dieser Stelle nicht<br />

geleistet werden. Erste Analysen sehen das Parlament jedoch in einer gestärkten Position<br />

(siehe Levebre/ Hillion 2010; Raube 2010b). Das Parlament hatte, wie oben angedeutet,<br />

nur die Möglichkeit, über die abschließende Entscheidung des EAD konsultiert zu werden.<br />

Aber durch die mit der Errichtung des EAD in Verbindung stehenden Entscheidungen<br />

über die finanzielle Ausstattung sowie die Personalregelungen des EAD, die anders<br />

als die Entscheidung zur Errichtung des EAD die Mitentscheidung des EP verlangten,<br />

konnte das EP ein Paket schnüren <strong>und</strong> über das Gesamtpaket mit der Hohen Repräsentantin,<br />

der Kommission <strong>und</strong> dem Rat verhandeln. In der formellen Entscheidung über die Errichtung<br />

des EAD wird dem EP die Haushaltskontrolle des EAD zugestanden. In den informellen<br />

Zugeständnissen, die die Hohe Repräsentantin am Rande des gef<strong>und</strong>enen<br />

Kompromisses im Sommer 2010 dem EP gegeben hat, 8 deuten sich jedoch weitere Spielräume<br />

für das EP an: Die bislang nur in der eigenen Geschäftsordnung festgelegte Befragung<br />

der Speziellen Repräsentanten oder die eingeforderte Befragung von hohen Diplomaten<br />

an den europäischen Repräsentationen, deuten auf eine Ausweitung <strong>und</strong> Institutionalisierung<br />

des EP in der GASP hin (Raube 2010b). Gleiches gilt für die Präzisierung der<br />

Regelungen, durch die das EP nun geheime außenpolitische Informationen über die<br />

GASP einholen kann. Diese Institutionalisierung über informelle Regelungen passt zu der<br />

bisherigen Erkenntnis von Diedrichs, dass das EP über informelle Regelungen durch die<br />

Hintertür in die GASP einzutreten gedenke (Diedrichs 2004; Raube 2010b). Die genauere<br />

Betrachtung der Ereignisse des Jahres 2010 deuten auch darauf hin, dass das EP neben<br />

den informellen Neuerungen gerade über das formal zugesicherte Recht der EAD-<br />

Haushaltskontrolle Einfluss auf den EAD, aber auch die GASP nehmen kann. Der Einfluss<br />

des EP wird sich über die Entstehungsphase des EAD auch auf die zukünftige Planung<br />

<strong>und</strong> Führung des EAD auswirken. Die Hohe Repräsentantin ist insofern dem EP<br />

verantwortlich.<br />

8 Siehe “Statement given by the High Representative in the plenary of the European Parliament on<br />

the basic organisation of the EEAS central administration”, 8. Juli 2010. Und: “Declaration by the<br />

High Representative on Political Accountability, EP, 8. Juli 2010”<br />

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Transnationale Akteure sind im Lissaboner Vertrag im Hinblick auf die GASP nicht erwähnt.<br />

Die Bedeutung von NGO’s in der GASP sollte jedoch nicht unterschätzt werden.<br />

Wie oben besprochen, deuten erste Studien auf ein lebhafteres Verhältnis zwischen<br />

NGO’s <strong>und</strong> der GASP hin (Dembinski/Joachim 2008). Ein solches Verhältnis kann<br />

durchaus zu einem transnationalen Perspektivwechsel führen. Ein solcher Perspektivwechsel<br />

bietet sich ebenfalls an, sobald die transnationalen Beziehungen nationaler Parlamente<br />

in Betracht gezogen werden. Der Lissaboner Vertrag ist recht schweigsam zur<br />

Kooperation der nationalen Parlamente in der GASP. Artikel 10 des Protokolls Nr. 1 im<br />

Annex des Vertrages über die Europäische Union weist auf die mögliche Kooperation der<br />

Parlamente in Fragen der GASP im Rahmen von COSAC (Conference of Parliamentary<br />

Committees for Union Affairs) hin. 9 Mit der anstehenden Beendigung der parlamentarischen<br />

Versammlung der Westeuropäischen Union stellt sich durchaus die Frage, wie nationale<br />

Parlamente <strong>und</strong> auch das EP zukünftig den Austausch von Informationen im Bereich<br />

der GASP/GSVP organisieren. Die Legitimation der GASP über Parlamente Wer<br />

die (vermeintliche) parlamentarische Legitimation der GASP verstehen <strong>und</strong> analysieren<br />

möchte, sollte die Aktivitäten der Parlamente im transnationalen Raum nicht aus den Augen<br />

verlieren. Je mehr die Mitgliedstaaten gewillt sind, ihre Außenpolitiken <strong>und</strong> sicherheitspolitischen<br />

Einsätze ziviler <strong>und</strong> militärischer Natur in der EU zu koordinieren, desto<br />

mehr fragt sich, wer diese europäisierte Politik legitimieren kann. Da diese Politik nicht<br />

nur eine nationale, sondern eben eine europäische Dimension hat, ist die Koordination der<br />

GASP/GSVP auch auf parlamentarisch-transnationaler Ebene zu erwarten. Die derzeitigen<br />

Beratungen der nationalen Parlamente im Rahmen der COSAC <strong>und</strong> zwischen dem<br />

Europäischen Parlament <strong>und</strong> den nationalen Parlamenten deuten auf die Notwendigkeit<br />

der Beratungen über die zukünftige Struktur dieser Kooperation hin. 10<br />

9<br />

“A conference of Parliamentary Committees for Union Affairs may submit any contribution it<br />

deems appropriate for the attention of the European Parliament, the Council and the Commission.<br />

That conference shall in addition promote the exchange of information and best practice between<br />

national Parliaments and the European Parliament, including their special committees. It may also<br />

organize interparliamentary conferences on specific topics, in particular to debate matters of common<br />

foreign and security policy, including common security and defence policy. Contributions<br />

from the conference shall not bind national Parliaments and shall not prejudge their positions.”<br />

(Artikel 10; Protokoll Nr. 1 Annex des Vertrages über die Europäische Union).<br />

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Volume 5, Issue 1 December 2010<br />

Schlussfolgerung<br />

In diesem Beitrag habe ich versucht, unterschiedliche Elemente der GASP aufzuzeigen.<br />

Wie oben gezeigt wurde, kann argumentiert werden, dass der Lissaboner Vertrag sogenannte<br />

<strong>transgouvernementale</strong> Beziehungen zwischen den im Entscheidungsverfahren der<br />

GASP verankerten administrativen <strong>und</strong> exekutiven Einheiten der Mitgliedstaaten, dem<br />

Rat <strong>und</strong> der Europäischen Kommission verfestigt (Smith 2004; Wallace 2006; Majone<br />

2006). Sie könnten den intergouvernementalen Charakter zur Seite stehen, der mit einer<br />

machtvollen Rolle der Mitgliedstaaten in der GASP einhergeht; Regierungen (<strong>und</strong> der innenpolitische<br />

Kontext ihres Handels) sollten eben nicht ausgeblendet werden <strong>und</strong> müssen<br />

bei der zukünftigen Analyse der Außenpolitik der Europäischen Union weiterhin als einflussreicher<br />

Faktor in Betracht gezogen werden. Die <strong>transgouvernementale</strong>n Beziehungen,<br />

die mit dem stetigen institutionellen Wandel der GASP einhergehen, werden die<br />

intergouvernementalen Elemente der GASP wohl nicht vollends überlagern. Um die<br />

GASP in Zukunft zu verstehen, bedarf es jedoch mehr als der bloßen Analyse<br />

mitgliedstaatlicher Interessen <strong>und</strong> Macht. Die sich ankündigenden <strong>transgouvernementale</strong>n<br />

Beziehungen sind ein Faktor, der in Zukunft zum Verständnis der GASP unabdingbar<br />

werden könnte. Gleichermaßen aber müssen wir in Erwägung ziehen, dass <strong>supranationale</strong><br />

Organisationen wie das EP oder der EuGH versuchen, stärker in der GASP abgebildet zu<br />

sein, als dies vor dem Lissaboner Vertrag der Fall war (Raube 2010 b). Die Hinweise auf<br />

das Interesse des Parlamentes, auf die Strukturen des EAD Einfluss zu nehmen, können<br />

als Signal gesehen werden, dass das Parlament gewillt ist, seinen Einfluss auf die GASP<br />

auszubauen. Die Arbeit des EuGH ist es, für die Auslegung der Verträge zu sorgen. Der<br />

EuGH hat seinen begrenzten Spielraum in der GASP ausgeschöpft <strong>und</strong> in der Tat auf die<br />

GASP Einfluss genommen. Schließlich sollte auch der Einfluss transnationaler Akteure<br />

in der GASP nicht ausgeblendet werden. Welche Rolle spielen transnational vernetzte nationale<br />

Parlamente in der GASP (Marschall 2008)? Wie sehr können die institutionellen<br />

Strukturen der GASP einen Rückschluss auf die Abbildung weiterer transnationaler Akteure<br />

(wie Nichtregierungsorganisationen) zulassen (vgl. Joachim/Dembinski 2008)?<br />

Während die Parlamente die neue institutionelle Form ihrer Kooperation gerade überdenken,<br />

bleibt eine abschließende Antwort an dieser Stelle aus. Und weitere empirische Studien<br />

zur Rolle der NGO’s in der GASP sind nötig. Es scheint jedoch eine der spannenden<br />

10 Siehe “Contribution of the XLIV COSAC” Brussels, 24–26 October 2010,<br />

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Fragen der zukünftigen GASP-Forschung zu sein, inwiefern transnationale Akteure zum<br />

Handeln <strong>und</strong> zur Legitimation in der GASP beitragen.<br />

Die vorliegende Analyse der GASP offenbart, dass die Elemente der GASP nicht (mehr)<br />

als (nur) intergouvernemental bezeichnet werden sollte. Ob im Einzelfall die GASP faktisch<br />

als intergouvernemental zu bezeichnen ist, ob also der Einfluss der Regierungen im<br />

Verhältnis zu anderen Organisationen unvermindert groß bleibt, bedarf der empirischen<br />

Untersuchung. Zumindest ist das Auftreten verschiedener Elemente ein Indiz für die<br />

Vielschichtigkeit der GASP. Der Wandel, den der Lissaboner Vertrag herbeiführt, der<br />

sich aber auch in seinem Schatten ankündigt, sollte in Zukunft nicht unterschätzt werden.<br />

Die zukünftige GASP-Forschung sollte die „neue“ Vielschichtigkeit nicht unbemerkt lassen.<br />

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