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Ricarda B. Bouncken - Rainer Hampp Verlag

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Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 3, 2002 359<br />

<strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong> *<br />

Nostalgie als Organisatorisches Phänomen. Analyse- und<br />

Gestaltungsdimensionen für Personal und Führung **<br />

Unternehmen, die einen Wandel anstreben, müssen die Veränderungsbereitschaft<br />

und -fähigkeit ihrer Mitglieder verbessern. Einen bisher vernachlässigten Faktor,<br />

der die tieferliegende sozio-emotionale Ebene des organisationalen Konservatismus<br />

betrifft, stellt Nostalgie dar. Der Beitrag untersucht Nostalgie im Kontext von<br />

Unternehmen und analysiert dabei, welche Auslöser zu Nostalgie führen. Neben der<br />

persönlichen Disposition der Mitarbeiter forcieren verschiedene materielle und immaterielle<br />

Auslöser im Arbeitsumfeld das Entstehen von Nostalgie. Darüber hinaus<br />

kann sich geteilte Nostalgie durch gleiche Arbeitsbedingungen und die interindividuelle<br />

Übertragung des Emotionsbündels entwickeln. Auf der Basis der Analysen werden<br />

Gestaltungshinweise zur Kanalisierung von Nostalgie gegeben, die durch die<br />

Vorstellung und Beurteilung verschiedener Messmethodiken ergänzt werden.<br />

Organizational Nostalgia: Lessons for Human Resource Management<br />

Firms are increasingly confronted with the need for organizational change<br />

and have to promote the willingness and ability of their employees to change. The<br />

literature has often ignored socio-emotional factors that hinder change. Nostalgia is<br />

such a deep-rooted factor representing an emotion which causes an idealized vision<br />

of the past. A discussion of nostalgia in the context of organizations has been<br />

neglected in the past because organizations have not been suggested as natural<br />

habitats for nostalgia. Nevertheless firms should consider the strongly negative<br />

effects of nostalgia on future orientation and on organizational change. Besides these<br />

negative effects nostalgia can also promote people’s identification with firms and<br />

encourage change. Therefore, conditions which reduce negative effects of nostalgia<br />

and which foster sense-making elements of nostalgia are discussed. Moreover the<br />

paper analyzes the development of shared nostalgia that can strongly affect numerous<br />

employees and thereby intensify its implications. This article presents a new<br />

perspective on nostalgia as encompassing an extent of emotional orientations in and<br />

against organizations. Additionally the article provides the reader with managerial<br />

implications and techniques for identifying nostalgia.<br />

Key words: Organizational change, organization theory, emotions,<br />

Human Resource Management<br />

____________________________________________________________________<br />

* PD Dr. <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>, Jg. 1969, Universität Lüneburg, Institut für Betriebswirtschaft,<br />

Lehrstuhl für Entscheidung und Organisation (Prof. Dr. Egbert Kahle), Scharnhorststr. 1,<br />

21332 Lüneburg, Tel. 04131 782112, Fax: 04131 782109,<br />

E-Mail: bouncken@uni-lueneburg.de<br />

Arbeitsgebiete: Strategisches Management, Organisationsforschung und Wissensmanagement.<br />

** Artikel eingegangen: 17.9.2001<br />

revidierte Fassung akzeptiert nach doppelt-blindem Begutachtungsverfahren: 4.6.2002.


360 <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>: Nostalgie als Organisatorisches Phänomen<br />

1. Einleitung<br />

Reorganisationen, Zusammenschlüsse und Kooperationen erfordern eine hohe<br />

Veränderungsfähigkeit von Unternehmen, die letztlich auf das Personal durchschlägt.<br />

Konzepte, die dem angesprochenen organisationalen Konservatismus begegnen sollen,<br />

stoßen jedoch an Grenzen, wenn die Veränderung tieferliegende sozioemotionale<br />

Gegenreaktionen auslöst. Dies gilt umso mehr je stärker den Mitarbeitern<br />

die Auslöser dafür gar nicht bewusst sind. Den tiefer liegenden, auch emotionalen<br />

Faktoren in der Arbeitswelt ist daher vermehrt Bedeutung beizumessen. Nostalgie<br />

stellt einen solchen Faktor dar.<br />

Auch wenn das Phänomen Nostalgie im Alltagsverständnis als glorifizierende<br />

Beschreibung der Vergangenheit ein stehender Begriff ist, wurde Nostalgie im Kontext<br />

von Organisationen, die mit dem Übergang zwischen Vergangenheit, Gegenwart<br />

und Zukunft konfrontiert werden, bisher kaum berücksichtigt. Bei Transformationen<br />

von Unternehmen, die mit Veränderungen vertrauter Objekte oder Subjekte einhergehen,<br />

entstehen jedoch tief liegende negative Wirkungen aus nostalgischen Gefühlen,<br />

deren Ursache den Betroffenen oft nicht bewusst ist. Nostalgie kann ein fast krankhaftes<br />

Verharren im Status Quo erzeugen, damit die Trägheit von Organisationen<br />

steigern und verschiedene kontraproduktive Emotionen wie Trauer, starkes Bedauern<br />

und Verzweiflung beim Personal auslösen.<br />

Dieser Beitrag untersucht Nostalgie bei Unternehmen. Durch den Ursprung in<br />

der Psychologie wird Nostalgie als individuelles Phänomen verstanden. Dieser Beitrag<br />

zeigt, dass Nostalgie auch ein geteiltes Phänomen sein kann. Die Ausführungen<br />

sollen zur Analyse von Nostalgie in Unternehmen beitragen sowie Gestaltungsdimensionen<br />

aufzeigen. Dies ermöglicht den Unternehmen Schlussfolgerungen zu ziehen,<br />

die ihre Veränderungskompetenz verbessern.<br />

2. Herkunft und Verständnis von Nostalgie<br />

Das Phänomen Nostalgie geht zurück auf den Mediziner Johannes Hofer, der<br />

1688 bestimmte krankhafte Symptome bei schweizerischen Handlungsreisenden beschreibt,<br />

die längere Zeiten von ihrer Heimat getrennt waren. Hofer bezeichnet mit<br />

Nostalgie eine pathologische Form von Heimweh und indiziert damit einen negativen<br />

Zustand (Daniels 1985, 371). Etymologisch basiert Nostalgie auf den Griechischen<br />

Termen „nostos“ (Heimat) und „algia“ (Schmerz). Die mit der Heimat verbundenen<br />

Gefühle von Vertrautheit und Geborgenheit, die ganz oder teilweise vergangen scheinen,<br />

bilden die Grundlage für das Entstehen von Nostalgie. Das Gefühl von „Heimat“<br />

führt insbesondere zu einer positiven, oft verklärenden Interpretation des Vergangenen,<br />

wenn die Gegenwart als bedrohlich, gefährlich oder unverständlich empfunden<br />

wird. Erlebt ein Individuum nostalgische Gefühle, so vergegenwärtigt es sich positive<br />

Erlebnisse der Vergangenheit (Zwingmann 1962; Daniels 1985, 379). Diese idealisierte<br />

Vergangenheit kann sich auf mannigfaltige Objekte und Subjekte beziehen, die<br />

dann mit Bedeutung „über“laden werden (Davis 1979; Gabriel 1993).


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 3, 2002 361<br />

Der Begriff Nostalgie, der ein Emotionsbündel bezeichnet, ist eng mit seinen<br />

Konsequenzen verbunden, die zwei gegensätzliche Ausprägungen annehmen können.<br />

Die positive, identitätsstiftende Form umfasst Stolz, Stärke, Selbstvertrauen und<br />

Freude. Sie liegt meist vor, wenn Personen die betreffende Vergangenheit noch als<br />

geistig präsent, aber nicht zwingend materiell präsent, auffassen (Davis 1979: 34).<br />

Die negative, pathologische Ausprägung, die bei dem vollständigen Verlust der Werte<br />

und Objekte auftritt, impliziert psychische Störungen wie Melancholie, Schuldgefühl,<br />

mangelndes Selbstwertgefühl und den Verlust von Vertrauen (Freud 1914; Sohn<br />

1983: 203). Sie entsteht, wenn die Beteiligten die positiv interpretierte Vergangenheit<br />

als gänzlich verschwunden interpretieren.<br />

Nostalgische Gefühle basieren einerseits auf bestimmten externen Auslösern andererseits<br />

sind sie in der persönlichen Disposition und Psyche der Menschen begründet,<br />

die auf eine bestimmte Trennungserfahrung reagieren (Plutchik 1983, 223; Sohn<br />

1983, 205f.). Meist haben Personen, die eine Disposition für pathologische Nostalgie<br />

aufweisen, einen freundlichen Charakter, wollen anderen gefallen, entwickeln leichter<br />

depressive Gefühle, nehmen gern an Aktivitäten von Gruppen teil, bewundern dabei<br />

starke Persönlichkeiten und sind empfänglich für romantische Gefühle (Kaplan 1987,<br />

475).<br />

3. Beschreibung von Nostalgie in Unternehmen<br />

3.1 Interpretationen in Unternehmen<br />

Hier wird der Vorstellung gefolgt, dass Unternehmen primär aufgrund der Interpretationen<br />

funktionieren, die ihre Mitglieder über die Werte, Routinen, Regeln, Verfahren<br />

und Artefakte des Unternehmens besitzen (Wollnik 1992, 1780f.). Die Speicherung<br />

der Interpretationen erfolgt in Schemata oder mentalen Modellen, die dem<br />

Organisationsmitglied ermöglichen, Vorgänge und Situationen zu verstehen und darüber<br />

zu einem angemessenen Verhalten führen (Lord/Kernan 1987, 265;<br />

Argyris/Schön 1996). Wandel in Unternehmen bedarf damit der Veränderung der<br />

mentalen Muster und Schemata bei den Organisationsmitgliedern (Burns/Flam 1987,<br />

216ff.; Taylor/Lerner 1996). Neben Sprache und technischen Aspekten beeinflussen<br />

Gefühle und damit emotionale Schemata die Interpretationen der Organisationsmitglieder<br />

(Eiselen/Sichler 2001, 51; Ortmann 2001, 300f., 307). Dies trifft auch bei nostalgischen<br />

Gefühlen von Mitarbeitern in Unternehmen zu.<br />

3.2 Verhältnis von Unternehmenskultur und Nostalgie<br />

Zwar nicht vollständig einheitlich definiert, wurde das Phänomen Unternehmenskultur<br />

intensiv diskutiert (Scholz 1988, 81; Breisig 1990, 93f.; Osterloh 1991).<br />

Die Unternehmenskultur bezieht sich auf die unternehmensspezifischen Werte, Normen<br />

und Regeln (Heinen/Dill 1986, 207; Scholz 1988, 81; Wicher 1994, 329). Diese<br />

sind historisch gewachsen und für die Beschäftigten erfahrbar und erlernbar (Breisig<br />

1990, 94). Getschmann erweitert die Kernvorstellung, die sich auf die Werte und<br />

Normen des Unternehmens konzentriert, beispielsweise auf die Architektur, Stellen-


362 <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>: Nostalgie als Organisatorisches Phänomen<br />

beschreibungen, Informationssysteme und die Budgetierung. Diese Objekte versteht<br />

er ebenfalls als Ausdrucksformen der Unternehmenskultur (Getschmann 1992, 300).<br />

Kahle geht davon aus, dass die Unternehmenskultur ein Unterscheidungsmerkmal<br />

zwischen Unternehmen bzw. Gruppen ist (Kahle 1988, 1229). Weiterhin wird die Unternehmenskultur<br />

durch Werte charakterisiert, die von einer Gruppe geteilt werden<br />

(Kahle 1991, 19). Diese Werte drücken sich im Verhalten, in Normen und in Überzeugungen<br />

aus und werden auf neue Organisationsmitglieder übertragen (Kahle 1991,<br />

19). Die Unternehmenskultur lässt sich als ein Subsystem unter anderen der Unternehmung<br />

ansehen (Osterloh 1991, 151). Bendixen hebt die Werteebene heraus und<br />

diskutiert Gestaltbarkeit der Unternehmenskultur (Bendixen 1989). Insbesondere bezüglich<br />

der Gestaltbarkeit finden sich entgegenstehende Ansichten; ob sie machbar ist<br />

oder nicht sowie ob die Kultur konstruiert ist oder nicht (Osterloh 1991, 152ff.). Dabei<br />

kann eine Unternehmenskultur eine Koordinations-, Integrations- und Motivationsfunktion<br />

sowie Handlungsorientierung besitzen (Kahle 1991, 29; Schreyögg 1999,<br />

463). Hieraus lässt sich folgern, dass die Unternehmenskultur vorrangig spezifische<br />

geteilte Werte umfasst, die sich in Regeln, Verhalten, Normen, Überzeugungen, aber<br />

auch im materiellen Umfeld ausdrücken können. Damit kann sich die Unternehmenskultur<br />

wie Nostalgie auch auf Artefakte oder zentrale Personen erstrecken. Nostalgie<br />

ist aber auf diese Elemente begrenzt.<br />

Grundsätzlich wird Nostalgie ausgelöst, wenn eine Differenz zwischen Altem<br />

und Neuem existiert. Nostalgie bezieht sich auf die Glorifizierung der Vergangenheit<br />

bei einzelnen oder mehreren Organisationsmitgliedern. Die Bezugspunkte müssen<br />

nicht dasselbe Unternehmen, dasselbe Team oder dieselben Objekte in einem Unternehmen<br />

sein. Es ist sogar möglich, dass der alte Zustand in dem jeweiligen Unternehmen<br />

(Abteilung usw.) noch andauert, die Umwelt (bspw. andere Unternehmen)<br />

sich aber verändert hat. Solange die Dinge noch existieren oder nicht bedroht erscheinen,<br />

kann ein positives Nostalgiegefühl entstehen bzw. erhalten bleiben. Nostalgie<br />

verbessert dann die Motivation, Identitätsbildung, soziale Geborgenheit, das<br />

Selbstvertrauen und stärkt den Teamgeist der Organisationsmitglieder. Negative Wirkungen<br />

aus nostalgischen Gefühlen ergeben sich vor allem bei Veränderungen, wenn<br />

das Alte verloren ist, verloren scheint oder droht verloren zu sein. Die Wehmut, die<br />

mit der Nostalgie verbunden ist, wirkt sich nachteilig auf die Zufriedenheit, Arbeitsmotivation<br />

und die Zukunftsorientierung der Mitarbeiter aus, weil der aktuelle Zustand<br />

relativ zur Vergangenheit als schlechter interpretiert wird.<br />

Nostalgische Gefühle lassen sich als partielles Merkmal einer Unternehmenskultur<br />

auffassen, weil das Arbeitsumfeld auch mit den Werten – der Kultur – des Unternehmens<br />

in Verbindung steht, so dass die Veränderung des Handlungsumfeldes<br />

Auswirkungen auf die Unternehmenskultur hat. Damit tritt eine Überschneidung von<br />

Nostalgie und der Unternehmenskultur auf, wenn die Kultur verändert wird und in<br />

diesem Zuge wertmäßig aufgeladene Artefakte und Führerpersönlichkeiten zu verschwinden<br />

drohen. Nostalgie grenzt sich jedoch von der Unternehmenskultur ab, in<br />

dem sie stärker auf die Vertrautheit mit sichtbaren Dingen wie etwa der Architektur<br />

abhebt und spezifisch die Differenz von Altem und Neuem fokussiert. Im Gegensatz


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 3, 2002 363<br />

zur Unternehmenskultur ist die Architektur nicht die Ausprägung der Werte, sondern<br />

der Bezugspunkt von Nostalgie. Bei Nostalgie handelt es sich im Regelfall nicht um<br />

ein andauerndes Phänomen, sondern um ein zeitlich begrenztes, das bei der festgestellten<br />

Differenz von Altem und Neuen auftritt. Negativ wirkt Nostalgie immer,<br />

wenn das Alte bedroht wird. Nostalgie lässt sich als eine Ausprägung des organisatorischen<br />

Konservatismus klassifizieren, allerdings bezieht sich Nostalgie stärker auf<br />

emotionale und tieferliegende Aspekte der Wandlungsbarrieren und bezieht sich auf<br />

Architektur und Führerpersönlichkeiten. Die Spezifität von Nostalgie verlangt daher<br />

eigene Analyse- und Gestaltungskonzepte.<br />

3.3 Auslöser von nostalgischen Gefühlen<br />

Für eine Analyse von Nostalgie ist die Erkenntnis wichtig, dass in Unternehmen<br />

nicht nur persönliche Dispositionen für Nostalgie ursächlich sind, sondern auch spezifische<br />

organisationsbezogene Auslöser. In diesem Beitrag wird der Schwerpunkt<br />

auf die organisationsbezogenen (Individuums-externen) Auslöser gelegt. Die sind direkt<br />

an das Unternehmen gebunden, beeinflussen mehrere Organisationsmitglieder<br />

und sind durch das Management veränderlich. Durch die Einflussnahme kann das<br />

Auftreten von Nostalgie verhindert werden, so dass bei Transformationen weniger<br />

Mitarbeiter entlassen werden müssen. Dabei ist es bedeutsam, die organisationsbezogenen<br />

Auslöser bzw. Bezugsobjekte herauszufinden.<br />

Ein Bezugsobjekt von Nostalgie ist die Architektur eines Unternehmens. Die<br />

emotional-symbolischen Wirkungen der Architektur oder der Einrichtung zeigen sich<br />

nicht offenbar, weil es sich um Objekte oder Artefakte handelt. Das Auftreten dieser<br />

objektbezogenen Nostalgie ist wahrscheinlicher, wenn die Organisationsmitglieder in<br />

einem Gebäude mit Tradition und Bedeutung handeln. Der mit dem Gebäude oder der<br />

Einrichtung verbundene Stolz auf eine signifikante Historie oder auf eine herausragende<br />

Stellung des Unternehmens vermittelt Selbstvertrauen, so dass positive Wirkungen<br />

mit einem etwaigen Nostalgiegefühl verbunden sein können. Wenn der Charakter<br />

und die Atmosphäre des Geschäftsgebäudes grundlegend verändert werden,<br />

nehmen die Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten es als Sinnbild dafür, dass alte, geschätzte<br />

Werte verbannt werden (Gabriel 1993, 127ff.). Dieses liegt bspw. vor, wenn<br />

die Mitarbeiter zuvor in kleinen Büros des alten Gebäudes arbeiteten und das neue<br />

Gebäude sehr offen mit viel Glas und/oder über Großraumbüros verfügt.<br />

Ein weiteres materielles Bezugsobjekt sind Technologien. Längere Zeit verwendete<br />

Technologien sind den Organisationsmitgliedern bekannt und vertraut. Die Veränderung<br />

von Technologien, verbunden mit der zunehmenden Technologisierung der<br />

Arbeitswelt – insbesondere der Verwendung von Informationstechnologien – kann<br />

nostalgische Gefühle mit dem Wunsch nach Freiheit von den Zwängen und der Verunsicherung<br />

der Gegenwart induzieren. Nostalgische Gefühle erwachsen aber weniger<br />

aus dem Widerstand gegen die Lernerfordernisse bei einer neuen Technologie,<br />

wie er bei organisatorischem Konservatismus auftritt, sondern aus den mit der Technologie<br />

verbundenen Modifikationen der persönlichen Beziehungen und deren emotionaler<br />

Bedeutung. Im Zuge von Veränderungen und Rationalisierungen bei Arbeits-


364 <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>: Nostalgie als Organisatorisches Phänomen<br />

prozessen brechen bekannte Arbeitsinhalte und soziale Kontakte auf. Die Vergangenheit<br />

(als „Golden Age“) mit ihren vertrauten Elementen steht dann als ein Sinnbild<br />

für einen geringeren und weniger komplexen Arbeitsumfang – auch wenn dies gar<br />

nicht zutrifft – und für mehr soziale Kontakte. Nostalgiegefühle entwickeln Mitarbeiter<br />

für eine Vergangenheit, die erscheint, als ermöglichte sie Individualität, Kreativität<br />

und vor allem Sicherheit.<br />

Zu den persönlichen Bezugspunkten von Nostalgie können zwischenmenschliche<br />

Beziehungen, Gemeinschaftsempfinden, starke Führer, Freunde und Kollegen gezählt<br />

werden. Je charismatischer die Führer einer Organisation sind, desto ausgeprägter<br />

wird ihre symbolische Bedeutung sein. Neben Führerpersönlichkeiten können<br />

auch Kollegen mit starker persönlicher Ausstrahlung, die sich abheben und symbolisch<br />

mit den Werten der „goldenen Vergangenheit“ aufgeladen sind, zur Bildung von<br />

Vertrautheit, Sicherheit und zum Entstehen von Nostalgiegefühlen führen (Gabriel<br />

1993, 127f.).<br />

Gerade in dynamischen Umwelten lässt sich über die positive Form von Nostalgie<br />

ein Gefühl der Unabhängigkeit von anderen unangenehmen Entwicklungen der<br />

Gesellschaft und im Unternehmen erreichen (DaSilva 1982, 550). So kann ein Unternehmen<br />

mit einer starken Kultur und einer langen Geschichte und Tradition ein starkes<br />

Gefühl von Vertrautheit, Gemeinschaft und darüber positive Wirkungen durch<br />

Nostalgie erzeugen (Gabriel 1991, 325). Im Zuge von Entlassungen und Umstrukturierungen<br />

brechen häufig Gemeinschaften auf oder Führer und Persönlichkeiten, an<br />

denen sich die Organisationsmitglieder orientierten, verlassen das Unternehmen. Die<br />

Mitarbeiter fühlen sich dann unsicher und alleingelassen; sie entwickeln Wehmut für<br />

die vergangenen Zeiten. Nostalgie wirkt dann in der negativen Form und behindert<br />

eine erfolgreiche Transformation von Unternehmen.<br />

Wenn bei der Betrachtung von Nostalgie in Unternehmen lediglich ein Transfer<br />

von Konzepten aus der Psychologie erfolgt, greift dies zu kurz. Denn in Unternehmen<br />

entwickeln nicht nur einzelne Personen Nostalgie und insbesondere nicht isoliert dieses<br />

Gefühl. In Unternehmen können gemeinsame nostalgische Gefühle entstehen und<br />

dann stärker die Potentiale und Gefahren von Nostalgie beeinflussen.<br />

3.4 Entstehen von gemeinsamer Nostalgie<br />

Gleiche situative Bedingungen<br />

Auf Nostalgie einwirken oder nostalgische Gefühle beim Personal a priori verhindern<br />

können Unternehmen nur, wenn sie wissen, welche Auslöser und Prozesse<br />

für organisatorische Nostalgie verantwortlich sind. Verschiedene Auslöser für gemeinsame<br />

Nostalgie in Unternehmen sind denkbar. Eine Möglichkeit für das Entstehen<br />

von gemeinsamer Nostalgie kann vorliegen, wenn die Mitarbeiter mindestens<br />

zum Teil unter gleichen Arbeitsbedingungen handeln. Diese Bedingungen können<br />

dann jeweils gemeinsam wahrgenommene und interpretierte Auslöser von bestimmten<br />

nostalgischen Gefühlen sein. Diese Auslöser in Gestalt von gleichen Situationsbedingungen<br />

lassen sich in materielle und personelle Bedingungen unterteilen, die


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 3, 2002 365<br />

bereits beschrieben wurden. Maschinen, Gebäude, Artefakte, Technologien usw. stellen<br />

solche materielle Bedingungen dar. Personelle Bedingungen entstehen durch die<br />

Zusammenarbeit mit bestimmten Personen, besonders in Gruppen mit enger Interaktion.<br />

So bieten die gemeinsam erlebten und interpretierten Bedingungen die Möglichkeit<br />

geteilter nostalgischer Gefühle. Darüber hinaus kann Nostalgie als Emotionsbündel<br />

zwischen Mitarbeitern ausgetauscht werden und so sozial entstehen.<br />

Soziale Übertragung von Nostalgiegefühlen<br />

Emotionen wie Nostalgie können im Zuge einer emotionalen Sozialisierung über<br />

soziale Interaktionen auf andere Organisationsmitglieder einwirken und durch gemeinsame<br />

Interpretation transferiert werden (Lantermann 1983, 278f., Andersen/<br />

Guerrero 1998, 57, Fiehler 1990, 33).<br />

Interaktionsrelevant werden Emotionen bzw. Nostalgie nur dann, wenn die Beteiligten<br />

den Emotionsausdruck deuten und die Deutungen sich in ihren mentalen<br />

Muster und Handlungen niederschlagen. Der Nostalgieausdruck erfolgt mit sekundären<br />

Mitteln, die in Situationen mit sozialen Normen häufig verwendet werden, weil<br />

der primäre Ausdruck (angeboren wie etwa Lachen, Tränen, Wutausbrüche usw.)<br />

häufig aufgrund des Gebots der emotionalen Neutralität unzulässig ist (Fiehler 1990,<br />

110). Dabei kann der Ausdruck auf die sprachliche Gestaltung der Äußerung einwirken,<br />

wie etwa durch eine bewertend expressive Wortwahl und Wortstellung, die in<br />

einer gesteigerten Wirkung der Bildlichkeit mündet (Schulz von Thun 1999, 14). Der<br />

emotionale Ausdruck akzentuiert die gesprochenen Worte bzw. Sprachakte über Betonung,<br />

Mimik und Gestik und erleichtert die Interpretation der Situation und der Erwartungen<br />

des Interaktionspartners (Searle 1997, 30).<br />

Die interindividuelle Interpretation von nostalgischen Gefühlen nur aufgrund<br />

von nonverbalen Äußerungen ist schwierig, weil es sich bei ihnen um die Ursache für<br />

den Ausdruck eines bestimmten Emotionsbündels handelt und sich dann nur eine<br />

emotionale Stimmung feststellen lässt, deren Gründe unbekannt sind. Daher bedarf es<br />

neben dem nonverbalen Ausdruck einer verbalen Thematisierung des Nostalgiegefühls.<br />

Ein Sachverhalt – wie etwa Nostalgieauslöser oder das Gefühl – wird dabei<br />

zum Thema einer Kommunikation. Bewertende Kommentare finden statt, um eine<br />

Modifikation des Inhalts in Richtung der kommunizierten Emotion (Nostalgie) vorzunehmen.<br />

Durch die Emotionsthematisierung können die anderen Akteure die erlebten<br />

Nostalgiegefühle besser verstehen, aufnehmen und auch internalisieren. Die<br />

kommunizierten Nostalgiegefühle können solche der Vertrautheit oder der Andersartigkeit<br />

repräsentieren; erstere in der Form „wir haben doch... gemeinsam erlebt“ oder<br />

„Sie kennen doch auch...“, während zweite sich äußern kann in „das war bei uns aber<br />

anders“, „früher hatten wir aber“ oder „früher war... besser“.<br />

Im betrieblichen Kontext wird es vielfach einfacher sein, über Nostalgie als über<br />

andere Emotionen zu kommunizieren. Zunächst kann das Emotionsbündel Nostalgie<br />

ein positives Gefühl sein, über das gern und mit Stolz und Selbstvertrauen gesprochen<br />

wird. Darüber hinaus lässt sich über Nostalgieauslöser leichter diskutieren, weil


366 <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>: Nostalgie als Organisatorisches Phänomen<br />

sie unabhängig von Personen wahrgenommen werden. Mitarbeiter können auch negative<br />

Nostalgiegefühle auf die Organisation projizieren, so dass sie nicht als Fehler der<br />

Person gelten. Fernerhin kann Nostalgie neben seiner individuellen Komponente ein<br />

Gefühl sein, das von verschiedenen Personen in einer Gruppe ohnehin geteilt wird<br />

und daher keine persönliche Schwäche darstellt.<br />

Nostalgie lässt sich wie andere Emotionen zwischen Individuen übertragen, ohne<br />

dass sie die wirklichen Gründe teilen (Plutchik 1983, 226). Es kommt zu einer<br />

emotionalen Ansteckung „emotional contagion“ (Steger 2001, 79). Durch die Interaktion<br />

und Ansteckung verändern sich Gedanken, Gefühle und Handlungen des Interaktionspartners<br />

(Kelley/Berscheid et al. 1983, 26; Magai/Mc Fadden 1995, 282). Diese<br />

interindividuelle Konvergenz der Gefühle auch „Mood Similiarity-Effect“ genannt<br />

(Metha/Clark 1994), ist umso wahrscheinlicher, je enger die Beziehungen zwischen<br />

den Individuen sind (Oatley/Johnson-Laird 1987, 46). Damit sind Teams und Gruppen<br />

leichter anfällig für ein geteiltes Nostalgiegefühl. Aus mikropolitischer Sicht<br />

(Schreyögg 1999, 422; Morgan 1997, 148) können Emotionen bewusst dem anderen<br />

gezeigt werden, um kommunikative oder beeinflussende Ziele durchzusetzen, – sogar<br />

ohne dass die originäre Emotion vorliegt (Collingwood 1938, 110f.). Dahingehend ist<br />

es denkbar, dass nostalgische Gefühle von Organisationsmitgliedern, die Veränderungen<br />

behindern wollen, politisch eingesetzt werden.<br />

Neben diesen Möglichkeiten des interpersonalen Transfers von nostalgischen<br />

Gefühlen können geteilte Nostalgiegefühle auch in bestimmten Kontexten gemeinsam<br />

über Kommunikationsprozesse sozial konstruiert werden.<br />

3.5 Dispositionen für Nostalgie bei Personen, Orten und Bedingungen<br />

Bestimmte Mitarbeiter, Abteilungen oder Unternehmen können für Nostalgie zu<br />

einem gegebenen Zeitpunkt leichter disponiert sein. Andere Unternehmen oder Segmente<br />

von Unternehmen können dagegen in einer gegebenen Situation nicht von<br />

Nostalgie berührt werden.<br />

Hinsichtlich der persönlichen Disposition ist es wahrscheinlicher, dass stärker<br />

vergangenheitsorientierte oder traditionell geprägte Mitarbeiter eher nostalgische Gefühle<br />

entwickeln als zukunftsorientierte. Ferner werden ältere Personen und Mitarbeiter<br />

mit längerer Betriebszugehörigkeit leichter zu nostalgischen Gefühlen tendieren,<br />

weil für sie eine relevante Vergangenheit des Unternehmens überhaupt erst existiert.<br />

Weil nostalgische Gefühle zwischen dem Personal transferiert werden, ist die individuelle<br />

Multiplikationskraft von Nostalgie für die Ausbreitung von Nostalgie ursächlich.<br />

Bei der Multiplikationskraft der Organisationsmitglieder sind Kriterien wie Stellung<br />

innerhalb einer formellen oder informellen Gruppe, Persönlichkeit und Kommunikationstyp<br />

denkbar. Räumliche Nähe und enge Beziehungen erleichtern den Austausch<br />

und die Bildung von Nostalgiegefühlen. Darüber hinaus wirken auf Mitarbeiter,<br />

die in einer Abteilung oder Gruppe zusammenarbeiten, vielfach gleiche Artefakte<br />

ein, die Auslöser für geteilte nostalgische Gefühle sein können. Daraus kann gefol-


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 3, 2002 367<br />

gert werden, dass sich innerhalb von Abteilungen oder Teams leichter geteilte Nostalgiegefühle<br />

entwickeln.<br />

Unterschiedliche Abteilungen mit verschiedenen Zielen, Aufgabenkonfigurationen<br />

und folglich anderer materieller Ausstattung sowie anderen Mitgliedern (fachlicher<br />

und kognitiver Zugang) in Unternehmen werden unterschiedlich hinsichtlich des<br />

Potentials nostalgischer Gefühle sein. Es ist anzunehmen, dass Mitarbeiter in Marketing<br />

sowie Forschung und Entwicklung, die eher zukunftsorientiert und auf ständigen<br />

Wandel ausgerichtet sind, weniger anfällig für Nostalgiegefühle sind.<br />

Weiterhin wird sich Nostalgie nur in Unternehmen bzw. den Teilen von Unternehmen<br />

entwickeln, die eine gewisse Stabilität in ihrer Unternehmensentwicklung<br />

aufweisen. Wenn mehrfach Prozesse, Strukturen, die Architektur oder der Sitz des<br />

Unternehmens verändert wurden, wird Nostalgie weniger wahrscheinlich sein, weil<br />

das Personal noch keine Kontinuität verinnerlichen konnte.<br />

Ebenso ist zu erwarten, dass verschiedene Typen von Unternehmen in unterschiedlichen<br />

Entwicklungsstadien ungleich von Nostalgie betroffen sind. Bei vergangenheitsorientierten<br />

oder reifen Unternehmen, die eine signifikante Historie besitzen,<br />

ist von einem höheren Nostalgiepotential bei dem Personal auszugehen. Gerade solche<br />

Unternehmen sind oft zu starr und zu bürokratisch geworden und verharren im<br />

Status Quo. Sie benötigen eine Revitalisierung, mehr Kundenorientierung und höhere<br />

Risikobereitschaft (Miller/Friesen 1980; Greiner 1972, 41), so dass Nostalgie als<br />

Wandlungsbarriere fungiert.<br />

Auch „professionalisierende“ Unternehmen, die im Anschluss an eine Expansionsphase<br />

häufig ihre Prozesse und Strukturen verändern (Greiner 1972, 41), können<br />

mit Problemen durch nostalgische Gefühle konfrontiert werden. Vor allem neue<br />

Technologien, Kommunikationsmuster und Gebäude können dann Nostalgiegefühle<br />

beim Personal auslösen.<br />

Bei jungen Unternehmen dagegen, die sich durch einen oder mehrere starke und<br />

dynamische Gründer sowie eine hohe Kreativität auszeichnen (Greiner 1972, 41),<br />

wirkt Nostalgie kaum veränderungshemmend. In Folge der geringen Historizität existiert<br />

noch keine signifikante Vergangenheit. Die Gegenwart aber kann den Grundstein<br />

für Mythen und Geschichten legen, die später die Basis für positive und pathologische<br />

Nostalgie darstellen könnten.<br />

Bei Unternehmen, die erfolgreich in Branchen mit sehr hoher Umweltdynamik<br />

agieren, finden sich häufig netzwerkartige, fluide oder lose Kopplungen von Organisationseinheiten.<br />

Folglich ist durch starke Dynamik und Zukunftsorientierung in solchen<br />

Unternehmen wenig Raum für nostalgische Gefühle beim Personal.<br />

Anhand unterschiedlicher Typen von Organisationskulturen (siehe Typologien<br />

von Dale Kennedy oder Kets de Fries Miller) kann eine verschiedene Disposition für<br />

Nostalgie gezeigt werden. Nachfolgend wird die Typologie von Kets de Fries und<br />

Miller herangezogen. Diese bezieht sich vorrangig auf pathologische Typen der Unternehmenskultur,<br />

die allerdings nicht für alle Organisationen repräsentativ sind. Die-


368 <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>: Nostalgie als Organisatorisches Phänomen<br />

se Analyse sollte jedoch einen Einblick in die unterschiedliche Disposition von Unternehmenskulturen<br />

in Hinblick auf Nostalgie geben.<br />

Zum Beispiel wird in paranoiden Unternehmenskulturen (hohes Misstrauen und<br />

Angst) sowie in zwanghaften Organisationskulturen (dominiert von Perfektionismus<br />

und Detailbesessenheit) wenig Raum für nostalgische Gefühle sein (Kets de<br />

Fries/Milller 1986, 267). Hierbei sind nicht nur die Auslöser von Nostalgie (Freundschaften,<br />

Charisma oder Emotionen evozierende Einrichtungen) unwahrscheinlich,<br />

sondern es ist auch die Entäußerung von Emotionen durch Konventionen beschränkt.<br />

Perfektionismus bedingt eine starke Ordnung, so dass Mitarbeiter dieses als Stabilität<br />

wahrnehmen und bei einer stärkeren Dynamisierung Nostalgie für die wohl strukturierte<br />

Vergangenheit (meist Strukturen und materielles Umfeld) entfalten können.<br />

Somit werden Mitarbeiter Nostalgie stärker am materiellen Umfeld festmachen.<br />

Ein hohes Maß an emotionaler Aktivierung des Personals existiert in dramatischen<br />

Kulturtypen, bei denen sich das Geschehen an dem charismatischen Führer orientiert.<br />

Gerade diese Organisationskultur unterstützt den Aufbau von Illusionswerten<br />

und somit personenbasierter Nostalgie. Emotionen wie Bewunderung oder Glorifizierung<br />

der Führungspersönlichkeit sind erwünscht und stellen andererseits ein signifikantes<br />

Moment der Vergangenheit und sogar Gegenwart dar. Mithin lassen sich in<br />

dieser Art der Unternehmenskultur über persönliche Auslöser nostalgische Gefühle<br />

gezielt zur Verhaltensbeeinflussung – auch im positiven Sinne – und bei Transformationen<br />

einsetzen.<br />

Der Tenor depressiver Organisationskulturen zeigt sich in der Angst Ziele nicht<br />

zu erreichen. Organisationsmitglieder fühlen sich unsicher, ausgeliefert und suchen<br />

Schutz bei anderen. Damit bietet dieser Kulturtyp ein höheres Nostalgiepotenzial insoweit,<br />

als dass die Organisationsmitglieder Schutz durch gewohnte materielle Faktoren,<br />

Strukturen und Personen suchen. An Bekanntem jeglicher Art, das ein Gefühl<br />

von Sicherheit bietet, wird festgehalten. Ändern sich die Arbeitsumwelten (Architektur,<br />

Strukturen, Kollegen) so führt dies in eine Phase der Desorientierung und Zukunftsverneinung<br />

sowie zu einer Glorifizierung des „Golden Age“ – der Vergangenheit<br />

und damit zu negativen Konsequenzen aus Nostalgie. Die Vernachlässigung persönlicher<br />

Interaktionen in der Vergangenheit schränkt weiterhin eine Nutzung von<br />

Führungspersönlichkeiten bei Transformationen ein, da diese gar nicht existieren und<br />

nicht ad hoc zu generieren sind.<br />

Das Potenzial Nostalgie zu erzeugen wird in schizoiden Unternehmenskulturen<br />

sehr fragmentiert ausgeprägt sein. Die Distanz und Isolation der Organisationsmitglieder,<br />

die dieser Kultur innewohnen, lassen wenig Raum für gemeinsame Gefühle.<br />

Konsens – wie ein gemeinsames Festhalten an tradierten Werten und Dingen – kann<br />

allerdings innerhalb der rivalisierenden Gruppen auftreten. Soweit Nostalgie die Organisationsmitglieder<br />

verbindet, ist das Gefühl als positiv zu beurteilen, weil so zumindest<br />

innerhalb von Gruppen ein Werteverständnis herrscht, welches Motivation,<br />

eine beschleunigte Entscheidungsfindung und Implementierung unterstützt. Falls<br />

Mitarbeiter ihr materielles Umfeld als vertraut und sicher wahrnehmen, können Veränderungen<br />

des materiellen Umfeldes negative Nostalgiegefühle auslösen, die sich


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 3, 2002 369<br />

schwerlich oder nur in organisatorischen Subeinheiten durch persönliche Faktoren<br />

mildern lassen.<br />

4. Implikationen auf das Management durch Nostalgie<br />

Unternehmen oszillieren zwischen dem Status der Grenzstabilisierung und Entwicklung,<br />

so dass ein erfolgreicher Wandel neben der Destabilisierung alter Werte<br />

und Strukturen die Generierung einer psychologischen Sicherheit bei den Individuen<br />

fordert (Schein 1993, 88f.). Nostalgische Gefühle können dadurch grundsätzlich den<br />

Wandel hemmen, aber auch positive Wirkungen entfalten, wenn sie geschickt kanalisiert<br />

werden oder durch sie Identifikation, Stolz und Selbstvertrauen gestärkt werden.<br />

Durch den erzeugten Stolz und das Selbstvertrauen erscheint dann die Veränderung<br />

anderer Faktoren in dem Unternehmen als weniger bedrohlich. Darüber hinaus kann<br />

Nostalgie die Identifikation wichtiger Personen mit dem Unternehmen steigern, so<br />

dass sie das Unternehmen nicht verlassen. Allerdings fordern die ausgeprägten Beharrungstendenzen<br />

von nostalgischen Gefühlen kanalisierende Aktivitäten zur Verringerung<br />

der negativen Wirkungen.<br />

Nostalgie in Unternehmen lässt sich individuumsbezogen kanalisieren. Ein Ansatz<br />

hierzu liegt bei Ostell vor, der die Rolle des Vorgesetzten in den Vordergrund<br />

stellt. Auf der Basis eines Beschreibungsmusters mit den Grunddimensionen Wut,<br />

Angst und Depression bietet er verschiedene Handlungsempfehlungen an (Ostell<br />

1996, 532ff.). Auf der Reflexion eigener Gefühle baut der Ansatz von Menzos auf.<br />

Das Ziel des Ansatzes liegt darin, negative Emotionen von der jeweiligen Person abzukoppeln<br />

mit der Folge, dass die Person die Kränkung und Abwertung dem System<br />

und nicht sich zuschreibt (Menzos 1988, 38-45). Hierdurch zweifelt die Person weniger<br />

an sich selbst als an dem System und erhält daher mehr Selbstbewusstsein. Solche<br />

Konzeptionen eignen sich sehr gut, um andere Emotionen, die in sozialen Interaktionen<br />

entstehen, und ihre negativen Folgen zu verringern. Sie lassen sich jedoch nur<br />

eingeschränkt bei negativer Nostalgie einsetzen, weil es sich bei den Ursachen von<br />

negativer Nostalgie um Veränderungen handelt, die mit der institutionellen Umwelt<br />

direkt verbunden sind. Auch wenn persönliche Dispositionen das Entstehen von Nostalgie<br />

begünstigen, sind es dennoch meist externe Auslöser, die zu ihrer Entwicklung<br />

von Nostalgie führen. Allerdings ermöglichen die obigen Konzeptionen wie die im<br />

Weiteren (0) vorgestellten Messmethodiken den Beteiligten sich über ein bisher unbewusstes<br />

Gefühl bewusst zu werden, das dann eine Kanalisierung von Nostalgie erleichtert.<br />

Um Widerstände im Wandel zu bewältigen, können Organisationsmitglieder<br />

frühzeitig in Kommunikations- und Planungsprozesse eingebunden werden (Hill/<br />

Fehlbaum et al. 1980, 477; Kieser/Hegele et al. 1998, 17f.). Diese allgemein bewährte<br />

Vorgehensweise eignet sich auch zur Verhinderung negativer Nostalgie, weil sich die<br />

Betroffenen so fachlich mit dem Veränderungsprozess auseinandersetzen. Insbesondere<br />

im Hinblick auf Nostalgie wird den Betroffenen durch die Kommunikationsprozesse<br />

meist erst klar, dass sie diese Nostalgiegefühle entwickelt haben und worauf sie<br />

sich beziehen. Des Weiteren identifizieren sich Personen eher mit den selbst erarbei-


370 <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>: Nostalgie als Organisatorisches Phänomen<br />

teten Veränderungen und entwickeln Nostalgie in geringerem Maße, weil sie das Alte<br />

nicht oder weniger glorifizieren. Darüber hinaus bietet sich das Intervisionsmodell an,<br />

das zur gemeinsamen Reflektion und Bewältigung von Konflikten in Gruppen eingesetzt<br />

wird (Eiselen/Sichler 2001, 70f.).<br />

Soll die stabilisierende Kraft von Nostalgie in Form von Stolz auf die Vergangenheit<br />

und Selbstvertrauen genutzt werden, sind die jeweils noch bestehenden sinnstiftenden<br />

materiellen oder immateriellen Sachverhalte zu betonen. Dahingehend<br />

kann der Symbolgehalt der weiterhin existierenden materiellen Arbeitsplatzumgebung<br />

und der Architektur als Symbol für die Beibehaltung bewährter Werte verdeutlicht<br />

werden. Allerdings wirken aber gerade die persönlichen oder immateriellen Faktoren<br />

aufgrund ihrer höheren emotionalen Bedeutung entscheidender auf das Entstehen<br />

von Nostalgie ein, so dass der Erfolg dieses Vorgehens begrenzt ist.<br />

Hohe symbolische und kommunikative Wirkung haben Vorgesetzte, die visionär<br />

den Wandel forcieren sollten. Vor allem charismatische oder dynamische Typen von<br />

Führungspersönlichkeiten ermöglichen ein Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit,<br />

das Nostalgie verhindert. Darüber hinaus können durch persönliche Beziehungen<br />

Personen mit hoher Nostalgiedisposition gezielter angesprochen und so ihre Nostalgiegefühle<br />

wirksamer kanalisiert werden.<br />

5. Identifikation von Nostalgie in Unternehmen<br />

5.1 Problematik<br />

Die Klärung, welches Potential an Nostalgie in Unternehmen vorliegt, ist primär<br />

vor Veränderungen relevant. Nostalgische Gefühle bergen das Problem, dass sie erst<br />

dann entstehen und zugleich negative Wirkungen entfalten, wenn Änderungen bereits<br />

implementiert wurden. Schwierigkeiten mit Nostalgie sind umso größer, je mehr Vertrautes<br />

verändert wird. Um die positiven Elemente von Nostalgie zu nutzen und die<br />

negativen Konsequenzen abzufangen, bedarf es einer Diagnose des zu erwartenden<br />

Nostalgiegrades. Dabei stellt sich die Problematik, Nostalgie trotz des diffusen, komplexen<br />

und emotional aufgeladenen Charakters a priori festzustellen. Probleme liegen<br />

dabei nicht nur in der Auskunftsbereitschaft, sondern auch in der Auskunftsfähigkeit<br />

von Befragten.<br />

5.2 Messmethodiken<br />

Strukturanalysen<br />

Zur groben Bestimmung des Nostalgiepotentials eigenen sich Strukturanalysen<br />

im jeweiligen Unternehmen. Diese können die erwartete Disposition der Organisationsmitglieder<br />

und die potentiellen Nostalgieauslöser in dem Unternehmen erfassen.<br />

Zentral sind hierfür Erhebungen bezüglich der Alters- und Beschäftigungsstruktur im<br />

Unternehmen, dem Alter und dem Reifegrad des Unternehmens, dem Grad der Traditionalität<br />

und der Abschätzung der Unternehmenskultur.


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 3, 2002 371<br />

Standardisierte Fragebögen<br />

Einen Einblick liefern mehr-kriterielle quantitative Messungen unter Zuhilfenahme<br />

eines strukturierten Fragebogens (Steger 2001, 86). Dabei geben die Befragten<br />

an, wie wichtig ihnen bestimmte Objekte bzw. Artefakte sind und welche Art der Bedeutung<br />

die jeweiligen Objekte haben. Die Auswahl der Objekte erfordert jedoch<br />

gründliche Vorüberlegungen. Bei der Frage nach der Höhe der Bedeutung können<br />

Skalen zum Einsatz kommen. Bei der Frage nach der Art der Bedeutung eigenen sich<br />

Antwortkategorien oder kurze freie Statements.<br />

Allerdings können solche Analysen nur bedingt über die oft unbewusst oder<br />

noch nicht offenbare Gefühlslage der Individuen Auskunft geben. Trotz der Praktikabilität<br />

durch gute Quantifizierung, der hohen Akzeptanz des Messinstruments und der<br />

geringeren Kosten ist die Eignung des Instruments durch die geringe Erkenntnistiefe<br />

der Ergebnisse eingeschränkt.<br />

Teilstandardisierte Interviews<br />

Qualitative Interviews ermöglichen eine engere Beschäftigung mit einem Thema.<br />

Indem in ihnen besser auf den Befragten eingegangen werden kann, können sie<br />

treffsicherer tieferliegende Emotionen erfassen (Steger 2001, 86). Im Rahmen von Interviews<br />

ist nach den Objekten und Subjekten der Organisation zu fragen, die eine<br />

besondere Bedeutung für den befragten Mitarbeiter besitzen. Hieran lässt sich erkennen,<br />

wie hoch deren Potential für Nostalgie ist und welche Objekte und Subjekte betroffen<br />

sind. Um die Relevanz und Multiplikationskraft der individuellen Gefühle<br />

dieser Person im organisationalen Kontext zu bewerten, sollte nach Personen gefragt<br />

werden, denen sie ihre Gefühle mitteilen würden. Noch tiefere Einblicke können Tiefeninterviews<br />

liefern, die allerdings höhere Kosten und mehr Zeit in Anspruch nehmen.<br />

Beide Interviewformen können nur das gesprochene Wort erheben, das jedoch<br />

bei Nostalgie eine ausreichende Erkenntnistiefe ermöglicht. Es handelt sich um praktikable<br />

und vielfach auch akzeptierte Verfahren.<br />

Beobachtungen<br />

Der Nachteil der geringen Flexibilität bei strukturierten Befragungen lässt sich<br />

mit (teilnehmenden und verdeckten) Beobachtungen vermeiden, die jedoch einen hohen<br />

Erhebungsaufwand haben (Steger 2001, 86f.). Beobachtungen erheben lediglich<br />

äußerlich sichtbare Emotionen, so dass die zu identifizierenden Emotionen offenbar<br />

sein müssen. Abgesehen von der Sichtbarkeit können Beobachtungen hauptsächlich<br />

nur ex post beim Auftreten von Nostalgie identifiziert werden. Außerdem lässt sich<br />

schlecht feststellen, ob bei den beobachtbaren Gefühlen tatsächlich Nostalgie vorliegt,<br />

weil es sich bei Nostalgie um ein Emotionsbündel handelt, das verschiedene<br />

Formen des Emotionsausdruckes umfasst, die nur mittelbar auf Nostalgie zurückgeführt<br />

werden können. Zur Identifizierung von Nostalgie sind sprachliche Aspekte mit<br />

aufzunehmen, die klären, ob es sich um Nostalgie handelt. Zur besseren Interpretation


372 <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>: Nostalgie als Organisatorisches Phänomen<br />

lassen sich in die beobachtete Situation Materialien wie Artefakte, Fotos, Geschichten<br />

usw. einbringen, die Nostalgie auslösen könnten. Allerdings leidet die Aussagefähigkeit<br />

dieses Instrument unter dem Laborcharakter.<br />

Dramaturgischer und literarischer Ansatz<br />

Innerhalb des dramaturgischen Ansatzes werden bestimmte Bedingungen in Unternehmen<br />

als Theater angenommen, bei dem mit den Probanden vorrangig über ihre<br />

„Rollen“ oder das „Stück“ diskutiert wird (Schreyögg 2000; Steger 2001, 87). Allerdings<br />

ist diese Methode sehr aufwändig. Innerhalb des literarischen Ansatzes sollen<br />

die jeweiligen Mitarbeiter Textformen wie etwa Gedichte erstellen, um darin die Äußerung<br />

von Emotionen zu forcieren (Steger 2001, 87).<br />

Legenden- und Metaphernanalyse<br />

Die Analyse von Legenden und Geschichten ist in der Forschungspraxis weniger<br />

verbreitet und akzeptiert. Mythen, Geschichten und Legenden offenbaren wichtige<br />

lebendige und symbolgeladene Aspekte von Organisationen von hohem emotionalen<br />

Gehalt, der anderen quantitativen Erhebungstechniken vielfach verborgen bleibt<br />

(Kieser 1996, 150ff.; Kaye/Jacobsen 1999, 46-50). Indem die verschiedenen Arten<br />

von Geschichten Werte in der Organisation transportieren und institutionalisieren,<br />

kann Nostalgie identifiziert werden. So liegt bspw. in komischen Geschichten meist<br />

ein tieferer Ernst, so dass Sachverhalte und Ansichten zutage kommen, die ansonsten<br />

nicht artikuliert werden dürfen. Durch die Einbettung in eine komische Geschichte<br />

unterliegen die Inhalte einer (moralischen) Amnestie. Während tragische Geschichten<br />

Traumata und Leiden in den Vordergrund stellen, um damit Mitgefühl zu erzeugen,<br />

konzentriert sich die Heldengeschichte auf heraushebenswürdige Handlungen der<br />

Führungspersönlichkeiten und auf Krisen, die bewältigt wurden (Snowden 1999;<br />

Forster/Cebis et al. 1999). Wesentliche Anhaltspunkte auf das Vorhandensein von<br />

Nostalgie in Organisationen liefert die Heldengeschichte, da sie Stolz, Bewunderung,<br />

Gemeinschaftsgeist und Commitment erzeugt (Gabriel 1991, 433-438). Über<br />

die Analyse des Inhalts und der Art der Geschichten, Legenden oder Mythen hinaus,<br />

kann ihre Anzahl und Bedeutung verschiedene Anhaltspunkte über das in der Organisation<br />

vorhandene Nostalgiepotential bieten.<br />

In Unternehmen mit vielen Geschichten, Mythen und Legenden wird sich tendenziell<br />

eher Nostalgie entwickeln als in Unternehmen mit wenigen. Des Weiteren<br />

liefern Geschichten, Mythen und Legenden eine Reihe von Informationen über die<br />

Organisation und die Sichtweise des Erzählenden, die weit über den nostalgischen<br />

Gehalt hinausgehen. Die Filterung der Informationen ist nicht einfach, da viele Informationen<br />

zwischen den Zeilen vorliegen und Gegenstand von Interpretationen<br />

sind. Auch wenn Geschichten vielfältige Informationen liefern und ein zentrales Mittel<br />

sind, emotionale Inhalte zu erfahren, sind sie von dem Dilemma betroffen, dass sie<br />

viele Fiktionen umfassen und interindividuell sehr unterschiedlich erzählt werden. So<br />

stellt sich die Frage nach den „richtigen“ Informationen in den Geschichten. Insofern<br />

ist die Erkenntnistiefe bei diesem Messinstrument als hoch einzuschätzen, wenn auch


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 3, 2002 373<br />

der höhere Zeitbedarf höhere Kosten verursacht und die Einschätzung der Akzeptanz<br />

und der Praktikabilität dieses Messinstruments noch gering ist.<br />

Tiefere Einblicke ermöglicht die Analyse von Metaphern, weil Metaphern Emotionen<br />

konzeptionalisieren, häufiger als Geschichten und Legenden existieren und<br />

stärker im allgemeinen Sprachgebrauch vorkommen (Steger 2001, 89). Bei der Metaphernanalyse<br />

werden zunächst Metaphern gesucht und ausgewählt, dann wird nach<br />

dem Sinn der Metapher in der Organisation gefragt und schließlich werden sie im<br />

Bezug zu ihrem Verwender und Schöpfer interpretiert (Steger 2001, 91). Insgesamt<br />

handelt es sich um einen aufwändigen Prozess.<br />

Für die Feststellung von Nostalgie bedeutet es, nach Metaphern zu suchen, die<br />

eine hohe Bedeutung für die Personen besitzen und die seit längerer Zeit im Unternehmen<br />

gültig sind. Demzufolge ist die Metaphernanalyse ein Instrument mit hoher<br />

Erkenntnistiefe, noch zu verbessernder Praktikabilität und Akzeptanz sowie relativ<br />

hohen Kosten durch die Vielzahl der zu befragenden Personen und verschiedenen<br />

Analyseschritte.<br />

6. Ausblick<br />

Organisationen als soziale Systeme sind Orte, in denen sich Nostalgie über Vertrautheit<br />

und der Modifikation oder dem Verlust des Vertrauten entwickeln kann. Neben<br />

den positiven Wirkungen des Emotionsbündels Nostalgie, die sich in der Stärkung<br />

des Selbstwertgefühls, Vertrauen, Stolz, Freude, Sicherheit und Motivation äußern<br />

können und im Alltagsverständnis verbreitet sind, bieten nostalgische Gefühle<br />

negative Wirkungen in Unternehmen, die sich in Angst, Wehmut oder Frustration<br />

zeigen. Für die Entwicklung von Nostalgie sind neben der persönlichen Disposition<br />

verschiedene materielle oder immaterielle Faktoren verantwortlich. Durch ähnliche<br />

Arbeitsumwelten und durch Interaktionen zwischen Mitarbeitern kann sich sogar ein<br />

geteiltes Nostalgiegefühl entwickeln. Gerade dies bleibt bei einer rein psychologischen<br />

Betrachtung unberücksichtigt. Die Bedeutung der Chancen und Risiken von<br />

Nostalgie in Unternehmen verstärkt sich dadurch, dass es sich nicht nur um ein individuelles<br />

Phänomen handelt, sondern um ein kollektiv geteiltes und konstruiertes.<br />

Wandel, der eine Veränderung der Interpretationsmuster der Organisationsmitglieder<br />

bedingt, erfordert Kommunikationsprozesse und die Kanalisierung von Nostalgie.<br />

Hilfreich erweist es sich, vor dem Wandel zu evaluieren, welche Faktoren ein<br />

hohes Nostalgiepotenzial bieten. Wichtige, bestehende Faktoren können betont werden,<br />

um den Wandel zu katalysieren. Andere Faktoren sind gezielt über Kommunikationsprozesse<br />

zu bewältigen.<br />

Weiterer Forschungsbedarf ergibt sich insbesondere auf empirischem Gebiet,<br />

um die Ausprägung und Verteilung von Nostalgieauslösern und persönlicher Verhaltensdisposition<br />

zu evaluieren.


374 <strong>Ricarda</strong> B. <strong>Bouncken</strong>: Nostalgie als Organisatorisches Phänomen<br />

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