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WBB.913_R.Delgado.pdf

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Raquel <strong>Delgado</strong> Moreira<br />

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MAN MUSS HOFFNUNG HABEN<br />

UND AN SICH GLAUBEN<br />

Raquel <strong>Delgado</strong> Moreira besuchte den ersten WBB-Kurs. Sie studierte<br />

in Spanien Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, promovierte und<br />

arbeitete an einem College in London und war Gastdozentin an der ETH<br />

Zürich. Als Mutter von zwei Mädchen arbeitet sie heute im Friedhof<br />

Forum des Bestattungsamtes Zürich.<br />

Wo stehen Sie heute beruflich und privat? Seit bald zweieinhalb Jahren arbeite<br />

ich in Teilzeit bei der Zürcher Stadtverwaltung. Teilzeit heisst bei mir 40 Prozent;<br />

gewünscht wäre wahrscheinlich, dass ich mehr arbeite. Ich bin Mutter von<br />

zwei Mädchen. Die Ältere geht mit sechseinhalb Jahren bereits in die Schule, die<br />

Kleine geht in die Krippe und ist 14 Monate alt.<br />

Was genau arbeiten Sie bei der Stadtverwaltung? Ich habe einen interessanten<br />

und spannenden Job. Das Friedhof Forum ist ein Kultur- und Servicezentrum<br />

rund um das Thema Tod. Ich kümmere mich um die historischen Gräber und generell<br />

um die Friedhöfe als Kulturgüter. Ich pflege und fördere Kontakte mit dem Grabmalgewerbe<br />

und Restauratoren, kümmere mich um Kundenanfragen und unterstütze andere<br />

Kolleginnen und Kollegen punktuell bei Kulturprojekten – alles Tätigkeiten, von<br />

denen ich vor drei Jahren noch nie gehört hatte.<br />

Sie sind eine promovierte Akademikerin. Wie kam es zu Ihrem Umstieg?<br />

Es ist ein Quereinstieg. Ich bin von Natur aus Forscherin, das macht meine<br />

Identität aus. In verschiedenen Ländern zu studieren und zu arbeiten ist spannend,<br />

aber man muss sich stets ein neues Netzwerk aufbauen. Nach dem Doktorat hätte ich<br />

in die USA gehen oder in England an der Universität bleiben können. Doch die Liebe<br />

zu meinem Mann brachte mich in die Schweiz. Hier habe ich versucht, beruflich Fuss<br />

zu fassen, doch rasch gemerkt, dass es nicht einfach wird. Als an der Universität Zürich<br />

eine Stelle ausgeschrieben wurde, war ich mir sicher, dass es zu einem Kontakt<br />

komme, aber ich wurde nicht einmal zum Gespräch eingeladen. Das war für mich ein<br />

Aha-Erlebnis.<br />

Und was folgte dann? Mir wurde in jener Zeit klar, dass das akademische Umfeld<br />

nicht mehr das Richtige für mich war. Da habe ich begonnen, mich zu informieren,


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und bin durch einen Newsletter auf das WBB gestossen. Mein Interesse war geweckt,<br />

doch der Kurs war recht teuer. Wir waren relativ jung, frisch doktoriert, nur mein<br />

Mann arbei tete und wir hatten ein kleines Kind. Trotzdem meinte mein Mann, es sei<br />

vielleicht das Richtige für mich. Mein Bruder hat uns schliesslich geholfen, eine<br />

Lösung zu finden.<br />

Wie sind Sie zu Ihrer jetzigen Anstellung gekommen? Nach dem WBB<br />

hatte ich mich auf sehr viele Stellenausschreibungen beworben, die meist einen Bezug<br />

zur Universität, zur Wissenschaft oder Kultur hatten. Ich wurde mehrfach eingeladen,<br />

doch bin ich nirgendwo hineingekommen. Als ich bereits daran war, den Mut<br />

zu verlieren, schrieb mir Gudrun Sander, in der Stadtverwaltung in Zürich sei ein<br />

Praktikum zu besetzen. Mein Lebenslauf ging anscheinend auf Reisen, und irgendwann<br />

erhielt ich ein Praktikumsangebot der Fachstelle für Friedhofskultur. Die Chemie<br />

zwischen meiner Chefin und mir hat sofort gestimmt. Es sollte darum gehen, ein<br />

Buch zu machen. Ich war begeistert.<br />

Sie haben Ihre Chefin bei einer Publikation unterstützt? Ja. Das Buch ist<br />

noch nicht publiziert; es erscheint erst im Frühling. Ich habe Forschungen durchgeführt<br />

und die Texte lektoriert. Der Fokus lag auf den Originalquellen, den Dokumenten<br />

und Überlieferungen. Meine Chefin brauchte Unterstützung bei der<br />

Dokumentation der Gräber und der Pflege der Datenbank. Ich konnte meine akademische<br />

Erfahrung wunderbar einbringen.<br />

Wie lange dauerte das Praktikum? Das Praktikum dauerte ursprünglich drei<br />

Monate. Danach war das Projekt Friedhof Forum noch nicht realisiert, und die Arbeit<br />

am Buch war auch noch nicht beendet. So durfte ich bleiben. Ich musste nicht mehr<br />

viel kämpfen, denn dies hat meine Chefin übernommen. Es folgte eine sechsmonatige<br />

Anstellung, und danach wurde ich unbefristet angestellt. Mit jedem Schritt bekam ich<br />

einen höheren Lohn. Eine tolle Entwicklung.<br />

Gab es eine besonders schwierige Situation auf Ihrem Weg zum Ums<br />

t i e g ?<br />

Es war die Kombination aus verschiedenen Frustrationsquellen. Ich fand keinen Job.<br />

Ich war in einem neuen Land und fand nicht richtig hinein. Zudem wollten wir noch


Raquel <strong>Delgado</strong> Moreira<br />

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ein zweites Kind, was eine weitere Pause bedeutet hätte. Aus medizinischen Gründen<br />

war das kompliziert. Es war eine sehr schwierige Phase.<br />

Wie organisieren Sie die Kinderbetreuung? Eine Zeit lang war es schwierig,<br />

weil meine ältere Tochter nach dem Kindergarten eigenständig zum Hort und zu einer<br />

Tagesmutter ging. Nun ist es viel einfacher, weil sie einen Platz in einer Tagesschule<br />

hat. Den zweiten Kinderwunsch hatte ich mittlerweile aufgeben, und so<br />

beabsichtigte ich, mein Pensum aufzustocken. Dann wurde ich plötzlich schwanger.<br />

Obwohl es klar war, dass ich künftig nicht würde 80 Prozent arbeiten können, haben<br />

wir den Platz in der Tagesschule angenommen. Das war die beste Entscheidung meines<br />

Lebens. Während der Schwangerschaft war ich mehrere Monate im Spital. Da<br />

mussten wir die Kinderbetreuung ganz ohne Verwandte organisieren und ich war sehr<br />

froh, dass meine ältere Tochter in die Tageschule ging. Meine jüngere Tochter geht<br />

jetzt in die Kindertagesstätte (KiTa).<br />

«Es braucht Mut zur Fantasie.<br />

Denn es gibt keinen geraden Weg, eine<br />

solche Situation zu meistern.»<br />

Zu jener Zeit waren Sie bereits beim Bestattungsamt angestellt. War<br />

dies problematisch? Nein, alle waren unglaublich kooperativ, unterstützend und<br />

verständnisvoll. Meine damalige Chefin meinte, ich solle mir keine Sorgen machen,<br />

sie würden auf mich warten. Meine zweite Tochter ist einen Monat zu früh zur Welt<br />

gekommen. Ich wollte daher erst nach fünf Monaten wieder arbeiten gehen anstatt<br />

der üblichen vier. Auch das war kein Problem. Eine Zeit lang habe ich 40 Prozent gearbeitet,<br />

eigentlich zu wenig für eine Stelle mit eigenem Zuständigkeitsbereich. Nun<br />

arbeite ich 40 bis 50 Prozent.<br />

Was macht Ihre Arbeitgeberin für Sie attraktiv? Flexibilität ist ein wichtiger<br />

Punkt. Zudem haben die Angestellten beim Bestattungsamt ein feines Gespür für<br />

Zwischenmenschliches. Das gefällt mir. Wenn etwas mit den Kindern los ist, kann ich<br />

Zeit kompensieren und von zu Hause aus arbeiten. Man weiss dort, dass ich doktoriert<br />

habe, und begegnet mir mit Respekt, auch wenn ich nicht dieselbe praktische Erfahrung<br />

wie sie mitbringe. Durch die Arbeit fühle ich mich auch der Schweiz und Zürich<br />

näher. Früher war Geschichte für mich das 17. Jahrhundert und Isaac Newton, über<br />

den ich promoviert habe, und heute ist sie lokaler und moderner. Das ist spannend


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und motiviert mich.<br />

Welche Bausteine des WBB waren besonders hilfreich? Das Coaching<br />

hat mir geholfen und der Kontakt zu anderen Frauen, die alle arbeiten wollten. Ich<br />

hatte einen sehr guten Coach; sie hat mir ein Stück Selbstvertrauen wiedergegeben.<br />

Das ist etwas, was ich wirklich gebraucht hatte. Der Inhalt war ebenfalls spannend<br />

und qualitativ hochwertig und hat mir wieder das Vertrauen gegeben, dass ich Neues<br />

schnell lernen und umsetzen kann. Zudem war es eine Herausforderung, dass der<br />

Kurs auf Deutsch gehalten wurde und ich dies meistern konnte.<br />

Wie wichtig sind für Sie Netzwerke? Sie spielen eine wichtige Rolle. Denn<br />

ohne mein WBB-Netzwerk wäre ich nicht zu meiner Anstellung gekommen. Immerhin<br />

musste ich mir in der Schweiz ein neues Netzwerk aufbauen. Momentan habe ich


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wenig Zeit, meine Kontakte zu pflegen. Aber das wird sich wieder ändern.<br />

Was würde Ihr Partner sagen? Was hat sich seit Ihrem Umstieg verändert?<br />

Ich bin glücklicher. Früher war ich unzufrieden und gestresst, weil ich nicht das umsetzen<br />

konnte, was ich mir wünschte. Erstaunlicherweise meint mein Mann, für ihn<br />

habe sich nicht viel geändert. Dabei muss er manchmal früher nach Hause kommen<br />

oder nachmittags daheim sein, weil ich eine wichtige Sitzung habe.<br />

Angenommen, eine sehr gute Freundin steckt in einer ähnlichen Situation<br />

wie Sie vor dem WBB. Was würden Sie ihr raten? Sie soll auf<br />

ungewöhnlichen Wegen versuchen, eine Stelle zu finden und Mut zur Fantasie zu haben.<br />

Denn es gibt keinen geraden Weg, eine solche Situation zu meistern. Wichtig ist<br />

es, aktiv zu bleiben und das Ziel immer im Blick zu haben. Meine Nebentätigkeiten<br />

während der Bewerbungsphase haben mir bereits eine gewisse Zufriedenheit gegeben.<br />

Wenn es um eine Umorientierung geht, empfehle ich, dass man etwas wie das WBB<br />

oder Ähnliches macht.<br />

Wir sind am Schluss unseres Interviews angelangt. Möchten Sie noch<br />

etwas hinzufügen? Meiner Meinung nach habe ich viel gelernt. Man muss unbe-<br />

Gut zu wissen<br />

Anerkennung von Studienabschlüssen<br />

Wenn gut ausgebildete Frauen wegen ihres Partners in die Schweiz kommen, rechnen<br />

sie meist damit, dass sie relativ schnell wieder eine Anstellung finden. Doch die Realität<br />

sieht oft anders aus. Die Integration der Kinder braucht Zeit, die Betreuungsmöglichkeiten<br />

sind begrenzt und teuer, Firmen nehmen diese Frauen als Hausfrauen und Mütter<br />

wahr, und wenn dann auch Sprachprobleme dazukommen, wird es doppelt schwierig. Ein<br />

wichtiger erster Schritt, der sich vor der ersten Bewerbung in der Schweiz lohnt, ist die<br />

Anerkennung eines ausländischen Abschlusses.<br />

Für die Anerkennung von ausländischen Universitätsabschlüssen ist die Rektorenkonferenz<br />

der Schweizer Universitäten und der beiden ETH zuständig (➝ www.crus.ch).<br />

Für die Anerkennung von Berufsdiplomen und Fachhochschulen aus den Bereichen Industrie,<br />

Gewerbe, Handel, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Soziale Arbeit und Kunst ist das Staatssekretariat<br />

für Bildung, Forschung und Innovation SBFI zuständig (➝ www.sbfi.admin.ch).

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