Die Zeit ist eine Erfindung des Menschen - Auktionshaus Ineichen ...
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<strong>Die</strong> <strong>Zeit</strong><br />
<strong>ist</strong> <strong>eine</strong><br />
<strong>Erfindung</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> …<br />
(Ludwig Oechslin)<br />
II
Ludwig Oechslin, Leiter <strong>des</strong> Uhrenmuseums in La Chaux-de-Fonds<br />
und Miterschaffer der legendären Türler Uhr.<br />
Eine relativ geradlinige akademische Laufbahn führte Ludwig Oechslin zunächst<br />
zu <strong>eine</strong>m Lizenziat in ge<strong>ist</strong>eswissenschaftlicher und <strong>eine</strong>r Doktorarbeit in naturwissenschaftlicher<br />
Richtung. Schliesslich folgte die Habilitation in naturwissenschaftlicher<br />
Richtung verbunden mit Ge<strong>ist</strong>eswissenschaften. Daneben beendete<br />
Oechslin <strong>eine</strong> Uhrmacherlehre und machte auf diesem Gebiet anschliessend den<br />
Me<strong>ist</strong>ertitel. Über s<strong>eine</strong>n Lehrme<strong>ist</strong>er Jörg Spöring kam auch die Zusammenarbeit<br />
an der legendären Türler-Uhr (siehe Buchhinweis Seite VI) zustande. Auch<br />
weiterhin verliefen Uhrmacherei und akademische Laufbahn parallel. Vor allem<br />
erwähnenswert <strong>ist</strong> in diesem Zusammenhang die Rolle von Rolf Schnyder (†2011,<br />
Ulysse Nardin), der diesen Weg untere anderem finanziell mit ermöglichte, denn<br />
die akademische Arbeit nahm stets etwa 80% der <strong>Zeit</strong> in Anspruch.<br />
Kam ihr Interesse an der Uhrmacherei und an astronomischen Uhren im Speziellen<br />
von der technischen, naturwissenschaftlichen Seite her oder eher von der<br />
philosophischen oder ge<strong>ist</strong>eswissenschaftlichen?<br />
Das Faszinierende war die Umsetzung von astronomischen Daten in ein mechanisches<br />
Modell <strong>des</strong> Kosmos. Dabei treten Probleme auf, deren Lösungen gewisse<br />
Herausforderungen mathematischer und technischer Art mit sich bringen. Wie<br />
kann ich mit zur Verfügung stehenden mechanischen Mitteln das am Himmel<br />
beobachtete am besten nachvollziehen? Das war der Hauptanteil.<br />
Sie haben sich unter anderem auf diesen Lösungswegen mit allen Teilen <strong>eine</strong>r<br />
Uhr auseinandergesetzt und dabei einige bemerkenswerte Beiträge gele<strong>ist</strong>et.<br />
Ich habe neue Hemmungen gefertigt, mich mit neuen Materialien beschäftigt<br />
und die ganze Uhr neu konzipiert. Allerdings <strong>ist</strong> noch nicht alles davon umgesetzt.<br />
III
Z.B. haben Sie den ewigen Kalender nach <strong>eine</strong>m ganz neuen Prinzip aufgebaut.<br />
<strong>Die</strong> grosse Schwachstelle beim ewigen Kalender sind die Hebel, die mit der Programmscheibe<br />
interagieren. Hebel gehen über relativ weite Strecken und haben<br />
immer ein gewisses Spiel, was immer heikel <strong>ist</strong>. Zwar kann so ein System gut<br />
funktionierend gemacht werden, aber die konzeptionelle Schwäche mit <strong>eine</strong>m<br />
langen Hebel an <strong>eine</strong>r kurzen Achse bleibt. Eine andere mechanische Lösung <strong>ist</strong><br />
definitiv besser. Eine weitere Schwäche <strong>ist</strong>, dass mit der Hebelkonstruktion nur<br />
vorwärts geschaltet werden kann. Das <strong>ist</strong> benutzerunfreundlich. Eine Lösung dieser<br />
Probleme musste zuverlässig und korrigierbar sein. Da die sicheren Teile <strong>eine</strong>r<br />
Uhr die Räder sind, die sich drehen und bestens funktionieren, liegt ein Aufbau<br />
aus drehenden Teilen nahe. <strong>Die</strong>s führt zu <strong>eine</strong>m System mit Zahnrädern, die über<br />
unterschiedliche Zahnlängen programmiert werden, bzw. mit halben Zähnen die<br />
nicht schalten und ganzen Zähnen, die schalten.<br />
Sie haben erwähnt, dass sie sich auch mit neuen Materialien beschäftigt haben.<br />
Wie kam es dazu?<br />
Mit <strong>eine</strong>r neuen Hemmung, wie sie in der «Freak» von Ulysse Nardin Verwendung<br />
findet, wurden Versuche gemacht. Der Unterschied in der Auswertung der<br />
Kraftmomente gegenüber konventionellen Hemmungen war dabei kl<strong>eine</strong>r als erwartet.<br />
<strong>Die</strong>se Tests fanden mit den üblichen Materialien statt. Herr Gygax (Vize-<br />
Direktor bei Ulysse Nardin) meinte, dass die Ergebnisse mit leichteren Materialien<br />
besser werden müssten. Man machte sich also auf die Suche und wurde bei der<br />
Elektronik fündig. Dort kann Silizium mit photolithographischen Verfahren extrem<br />
präzise bearbeitet werden. Allerdings wurde damals noch mit sehr geringen<br />
Schichtdicken gearbeitet, bzw. mit geringeren als dies für die Uhrmacherei nötig<br />
gewesen wäre. Mittlerweile konnte dies aber geändert werden. Silizium wurde<br />
also ursprünglich eingeführt wegen den Trägheitsmomenten, hat aber noch andere<br />
wichtige Vorteile. Einer <strong>ist</strong> sicherlich die Präzision mit der die Teile hergestellt<br />
werden können. Das photolithographische Verfahren hat extrem viel kl<strong>eine</strong>re Toleranzen<br />
bei der Übertragung von der Zeichnung auf das entsprechende Teil, als<br />
das Konventionelle zur Bearbeitung von Messing und Stahl. Ein weiterer Vorteil<br />
<strong>ist</strong>, dass z.B. bei der Spirale auf gestiftete Teile zur Befestigung verzichtet werden<br />
kann. Auch <strong>eine</strong> zweite Ebene für die Endkurve (z. B. nach Breguet) <strong>ist</strong> nicht<br />
mehr notwendig, da man gegen aussen mit anderen Dichten arbeiten kann.<br />
Damit <strong>ist</strong> die Lösung <strong>des</strong> Zentrierungsproblems rein geometrisch möglich.<br />
Was <strong>ist</strong> das Spezielle an <strong>eine</strong>r Hemmung, wie sie in der «Freak» verwendet wird<br />
gegenüber <strong>eine</strong>r konventionellen Hemmung?<br />
Hemmung und Impulsübertragung können getrennt werden. Der Impuls wird<br />
dann nicht mehr indirekt über das Hemmungsteil, sondern direkt an die Unruh<br />
übertragen. In <strong>eine</strong>r normalen Hemmung hat man das Hemmrad und z.B. den<br />
Anker, der die Kraft als nicht symmetrischen (Eingangs-/Ausgangs-Palette) und<br />
indirekten Impuls an die Unruh weiter gibt. Ausserdem <strong>ist</strong> der Anker relativ gross<br />
und schwer, was <strong>eine</strong>n Kraftverlust bedeutet. Hier bringt die Verwendung von<br />
Silizium <strong>eine</strong>n Vorteil. Man kann kl<strong>eine</strong>re und leichtere Teile herstellen, die dann<br />
auch schneller laufen gelassen werden können. Nach diesem Prinzip habe ich<br />
schon mehrere Hemmungen entwickelt.<br />
Warum geht man diesen Weg nicht gleich noch weiter in Richtung Nanotechnologie?<br />
Da würden die Bauteile dann so klein, dass die Faszination <strong>eine</strong>r mechanischen<br />
IV
Uhr verloren gehen würde und man wohl genauso gut elektronische Uhren herstellen<br />
könnte. Das mechanische Schauspiel, für den, der das liebt und bewundert,<br />
wäre nicht mehr richtig nachvollziehbar.<br />
Was macht denn die Faszination <strong>eine</strong>r mechanischen Uhr für den Besitzer aus?<br />
Man begreift das Hebelgesetz. Man begreift, warum es funktioniert. Der Unterhaltungseffekt<br />
von Vorwissen und was man an Können bei jemand anderem bewundern<br />
kann, die Wertschöpfung, und die handwerkliche Arbeit, die dahinter<br />
steckt; damit könnte es ziemlich viel zu tun haben.<br />
In ihren eigenen «Ochs und Junior» Uhren steckt ja viel dieser handwerklichen<br />
und auch intellektuellen Arbeit, die leider nur an der Oberfläche gesehen werden<br />
kann.<br />
Ich bin da ziemlich anachron<strong>ist</strong>isch. <strong>Die</strong> Uhren, die ich bauen möchte, sollten in<br />
erster Linie funktionstüchtig und zuverlässig sein. Den Inhalt, den sie vermitteln<br />
sollen, sollen sie gut und sofort verständlich rüberbringen. Sie sollten also gut<br />
ablesbar sein und auf lange <strong>Zeit</strong> ohne Eingreifen brauchbar sein. Je weniger Teile<br />
man hat, <strong>des</strong>to eher <strong>ist</strong> <strong>eine</strong> Konstruktion zuverlässig, da man weniger Fehlerquellen<br />
hat. Auch die Herstellung wird mit weniger Teilen einfacher. Dafür wird<br />
die Vordenkarbeit deutlich grösser. Es <strong>ist</strong> ein viel synthetischeres Denken als bei<br />
additiven Problemlösungen. Man muss ineinandergreifende Lösungen finden,<br />
bei denen mehrere Probleme mit <strong>eine</strong>m Teilchen gelöst werden und nicht ein<br />
zusätzliches Teil ein Problem mehr löst. Dadurch verschiebt sich das Verhältnis<br />
von ge<strong>ist</strong>iger Vorarbeit zur Produktion enorm. Dafür <strong>ist</strong> dann entsprechend die<br />
Produktion einfacher. <strong>Die</strong> Herstellung <strong>eine</strong>s Teilchens <strong>ist</strong> ein grosser Aufwand.<br />
Wenn man den reduzieren kann, dann <strong>ist</strong> das natürlich gut. Ausserdem macht<br />
Denkarbeit auch Spass.<br />
Wie entstehen die Ideen für die «Ochs und Junior» Uhren?<br />
Dadurch, dass ich Sie für mich selber baue. Ohne Berücksichtigung <strong>des</strong>sen, was<br />
das Publikum wünscht.<br />
<strong>Die</strong> Kinder- oder besser Schüleruhr z.B entstand aus der Idee, dass sich durch<br />
den Eintritt in die Schule der <strong>Zeit</strong>horizont um die Woche mit <strong>eine</strong>m Wochen-<br />
Stundenplan erweitert. Für Kinder wird es dann auf einmal wichtig zu wissen,<br />
der wievielte Wochentag <strong>ist</strong>. Es handelt sich um <strong>eine</strong> Zwischenstufe in der Entwicklung<br />
<strong>des</strong> <strong>Zeit</strong>horizontes vom Kind zum Erwachsenen.<br />
Dann hat ein Kind <strong>eine</strong>n anderen <strong>Zeit</strong>horizont und ein anderes <strong>Zeit</strong>gefühl als ein<br />
Erwachsener?<br />
Bei <strong>eine</strong>m z.B. 3-jährigen, <strong>ist</strong> ein Jahr ein Drittel s<strong>eine</strong>s bisherigen Lebens, bei<br />
<strong>eine</strong>m 60 jährigen entsprechend nur 1/60. <strong>Die</strong> <strong>Zeit</strong> läuft dann definitiv schneller.<br />
Kann man diese innere Uhr überl<strong>ist</strong>en?<br />
Wenn man sich auf etwas gut konzentrieren kann, dann verschwindet das <strong>Zeit</strong>gefühl.<br />
Sobald man sich im Gleichgewicht befindet mit Informationen die reinkommen<br />
und die man verarbeiten kann, verschwindet das <strong>Zeit</strong>gefühl. Kommt<br />
zuviel Information, <strong>ist</strong> man gestresst, kommt zuwenig, <strong>ist</strong> man gelangweilt. Das<br />
bleibt sich immer gleich. Aber die Masse der Erinnerung bleibt sich nicht gleich.<br />
Herr Oechslin, ganz herzlichen Dank für dieses interessante und erhellende Interview,<br />
das wir gerne in die Masse unserer Erinnerung aufnehmen!<br />
V