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Bona Peiser 1 RE 2864 Frauke Mahrt-Thomsen: Bona Peiser. Die ...

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Vodosek, Rezension: <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> 1<br />

<strong>RE</strong> <strong>2864</strong><br />

<strong>Frauke</strong> <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong>. <strong>Die</strong> erste deutsche Bibliothekarin.<br />

Wegbereiterin der Bücher- und Lesehallenbewegung und der<br />

Frauenarbeit in Bibliotheken. Berlin: BibSpider, 2013. 273 S. Kartoniert. 22<br />

Schwarz-Weiß-Abb. € 32,- – ISBN 978-3-936960-56-3.<br />

Vor uns liegt die erste ausführliche und aus den Quellen erarbeitete<br />

Biographie einer deutschen Bibliothekarin, die wie die Einleitung<br />

hervorhebt, die erste Frau in Deutschland war, die hauptberuflich in einer<br />

Bibliothek arbeitete. <strong>Die</strong>se Rezension bietet die Gelegenheit, noch einmal<br />

daran zu erinnern, wie mühsam es war und ist, der Rolle der Frauen den ihr<br />

gebührenden Rang und Platz in der Bibliotheksgeschichte zu verschaffen.<br />

Wer Zeitzeuge der Auswirkungen der Studentenbewegung der „68er“-<br />

Generation in den bibliothekarischen Ausbildungsstätten war, wird wissen,<br />

welche emanzipatorischen Impulse von ihr ausgingen. Davon nicht<br />

unbeeinflusst, bot der Rezensent im Wintersemester 1971/1972 an der<br />

Fachhochschule für Bibliothekswesen Stuttgart ein Seminar „Zur Geschichte<br />

des bibliothekarischen Berufs als Frauenberuf“ an. Es soll aber nicht<br />

unerwähnt bleiben, dass bereits 1966 in der DDR an der Fachschule für<br />

wissenschaftliche Information und wissenschaftliches Bibliothekswesen<br />

Berlin auf das Thema bezogene Jahresarbeiten vorlagen. 1 1969 erschien<br />

dann in der DDR eine weitere einschlägige Arbeit von Christa Schwarz. 2<br />

1 Heidemarie Näther, Erdmuthe Neuling u. Gloria Triebel: Stellung und<br />

Aufsteigemöglichkeiten der Frau im Bibliothekswesen. Jahresarbeit an der<br />

Fachschule Berlin, 1966; Edeltraud Laudon u. Verena Stegmann: <strong>Die</strong> soziale Herkunft<br />

der Bewerber an der Berliner Bibliothekarschule von 1930 bis 1944. Jahresarbeit an<br />

der Fachschule Berlin, 1966. – Eine Anfrage in Berlin im Jahr 1980 ergab allerdings,<br />

dass die Arbeiten nur eine begrenzte Zeit aufbewahrt wurden. <strong>Die</strong> Ergebnisse seien<br />

in folgende Festschrift für Horst Kunze eingeflossen: Heinz Klimpel: Streiflichter zur<br />

bibliothekarischen Ausbildung. In: Über Bücher, Bibliotheken und Leser. Beiträge zum<br />

60. Geburtstag von Horst Kunze. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1969. S. 75-79.<br />

(Brief der Fachschule an den Autor vom 11.11.1980).<br />

2 Christa Schwarz: Dokumente zur Geschichte des bibliothekarischen Frauenberufs<br />

im wissenschaftlichen Bibliothekswesen Deutschlands 1907-1921. Berlin:<br />

Universitätsbibliothek, 1969; Christa Schwarz: <strong>Die</strong> Anfänge des bibliothekarischen<br />

Frauenberufs im wissenschaftlichen Bibliothekswesen Deutschlands 1899-1911. In:<br />

Buch, Bibliothek, Leser. Berlin: Akademie-Verlag 1969. S. 421-434.


Vodosek, Rezension: <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> 2<br />

Aber zurück in die Bundesrepublik! Das 10. Fortbildungsseminar für<br />

Bibliothekare der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel im Februar 1981<br />

mit dem Thema „Wandlungen des bibliothekarischen Berufsbildes“ bot<br />

dem Rezensenten Gelegenheit, über „<strong>Die</strong> Entwicklung des<br />

bibliothekarischen Berufs als Frauenberuf“ zu referieren. Auch in den<br />

Vorträgen von Karl-Wolfgang Mirbt (Hamburg) „Der Beruf des<br />

Volksbibliothekars von den Anfängen bis 1933“ und Mogens Iversen<br />

(Kopenhagen) „<strong>Die</strong> Entwicklung des bibliothekarischen Berufs in Dänemark“<br />

wurde die Thematik angesprochen bzw. im Anschluss daran diskutiert. Der<br />

Beitrag des Rezensenten erschien in erweiterter Form 1981 in dieser<br />

Zeitschrift. 3<br />

<strong>Die</strong> Reaktionen waren insofern erfreulich, als zwischen 1981 und 1983<br />

zahlreiche Anfragen von Referendarinnen, Studierenden und<br />

Lehrbeauftragten aus Berlin, Bonn, Hamburg und Köln eingingen, die das<br />

Thema im Rahmen von Examensarbeiten bearbeiten wollten. Wie die<br />

folgenden Jahre zeigten, wurde das Versprechen, das Thema weiterhin im<br />

Auge zu behalten und weiterhin in dieser Richtung zu arbeiten, unter dem<br />

Druck des Arbeitsalltags von keiner der Korrespondentinnen eingelöst. 4 Das<br />

vordem gepflegte Desinteresse musste nicht unbedingt auf böser Absicht<br />

beruhen, aber vielleicht auf Ignoranz und/oder auf einer gewissen<br />

Überheblichkeit gegenüber der anderen Hälfte der Menschheit. <strong>Die</strong><br />

Wendung zum Positiven ist wohl Verdienst der noch relativ jungen Disziplin<br />

der Gender-Studien wie vielleicht überhaupt das sozial- und<br />

strukturhistorische Forschungsinteresse. Man wird noch kaum von einem<br />

Durchbruch sprechen können, aber zumindest eine Schlüsselrolle kommt<br />

dem ebenso inhalts- wie kenntnisreichen Buch „Leidenschaft und Bildung“<br />

aus dem Jahr 1992 zu. 5 In dieser Publikation findet sich auch eine knappe<br />

3 Peter Vodosek: Zur Entwicklung des bibliothekarischen Berufs als Frauenberuf. In:<br />

BFP 5 (1981) 3, 231-244.<br />

4 Bezeichnend für das Desinteresse an der Fragestellung ist der Brief einer<br />

Referendarin vom 21.08.1982, die dem Rezensenten ihre Hausarbeit mit dem Thema<br />

„<strong>Die</strong> Bibliothekarinnen des höheren <strong>Die</strong>nstes an wissenschaftlichen Bibliotheken der<br />

Bundesrepublik Deutschland (1950-1981)“ zur Lektüre zur Verfügung gestellt hatte:<br />

„Aus dem Gutachten, das ich mir zur Einsicht vorlegen ließ, klang jedenfalls eine<br />

gelinde Langeweile“.<br />

5 Leidenschaft und Bildung. Zur Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken. Hrsg.<br />

von Helga Lüdtke. Berlin: Orlanda Frauenverlag, 1992 (Der andere Blick.


Vodosek, Rezension: <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> 3<br />

Skizze von Thomas Adametz „<strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> (1864-1929). Wegbereiterin der<br />

Bücherhallenbewegung und Deutschlands erste Volksbibliothekartin“ (S.<br />

133-141).<br />

Damit sind wir bei dem hier vorliegenden Buch angekommen, der<br />

Biographie <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong>s aus der Feder von <strong>Frauke</strong> <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>. Nun<br />

sind Monographien über bedeutende bibliothekarische Persönlichkeiten in<br />

der Bibliotheksgeschichtsschreibung bisher eher eine Ausnahme.<br />

Möglicherweise folgten die Bibliothekshistoriker dem verbreiteten Verdikt<br />

der deutschen Geschichtswissenschaft, dass die Biographik ein<br />

Auslaufmodell sei. Nach Christian Klein „galt mancherorts das Verfassen<br />

einer Biographie einem akademischen Selbstmord“. 6 <strong>Die</strong>s hat sich in<br />

jüngster Zeit nach einer heftigen Methodendiskussion gründlich geändert.<br />

<strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>s Buch ist gewissermaßen ein Kind der neuen Biographik<br />

wie auch der in der Fußnote zitierte Tagungsband „Wissenschaftliche<br />

Bibliothekare im Nationalsozialismus“.<br />

<strong>Die</strong> Autorin war von 1967 bis 2002 Bibliothekarin in Berliner<br />

Stadt(teil)bibliotheken, zuletzt als Leiterin der <strong>Bona</strong>-<strong>Peiser</strong>-Bibliothek in der<br />

Oranienstraße 72. Seit den 1990er Jahren beschäftigte sie sich mit <strong>Bona</strong><br />

<strong>Peiser</strong>. Zwischen 1995 und 1998 veröffentlichte sie drei Skizzen über sie,<br />

gewissermaßen als Vorarbeiten. <strong>Die</strong>se zu einer Monographie auszubauen,<br />

erforderte Mut, Ausdauer und Findigkeit, denn über <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> gibt es<br />

wenig biographische Literatur, meist nur kurze ehrenvolle Erwähnungen in<br />

der Fachliteratur. <strong>Die</strong> Quellenlage ist bescheiden. Was Abbildungen betrifft,<br />

ist von ihr ein einziges Foto überliefert. Lebenszeugnisse im engeren Sinn,<br />

Frauenstudien in Wissenschaft und Kunst). Vgl. dazu die Rezension in: BFP 16 (1992)<br />

3, S.439-440. – Nachdrücklich hingewiesen sei auch auf einen früheren Aufsatz der<br />

Herausgeberin und Mitautorin Helga Lüdtke: Belesen, einfühlsam, gering entlohnt:<br />

Bibliothekarinnen. Von den Anfängen eines Frauenberufes. In: Buch und Bibliothek<br />

39 (1987), S. 18-35.<br />

6 Christian Klein: Einleitung. Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer<br />

Bestandsaufnahme, in: Christian Klein (Hrsg): Grundlagen der Biographik. Theorie<br />

und Praxis des biographischen Schreibens. Stuttgart-Weimar 2002. S. 5. Vgl. Dazu<br />

auch Jürgen Elvert: <strong>Die</strong> Biographie in der heutigen Geschichtswissenschaft. In:<br />

Wissenschaftliche Bibliothekare im Nationalsozialismus. Handlungsspielräume,<br />

Kontinuitäten, Deutungsmuster. Hrsg. von Michael Knoche u. Wolfgang Schmitz.<br />

Wiesbaden: Harrassowitz, 2011 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des<br />

Buchwesens; Bd. 46). S.353-368. Vgl. dazu die Rezension in: BFP 36 (2012) 3, S. 415-<br />

417.


Vodosek, Rezension: <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> 4<br />

Familiendokumente etwa, sind bisher nicht gefunden worden. Etwas besser<br />

bestellt ist es um die Dokumentation ihres beruflichen Wirkens. So hat<br />

<strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong> aus der Not eine Tugend gemacht, gewissermaßen eine<br />

„Biographie plus“ verfasst. Sie bettet das Berufsleben in die sozialen,<br />

(berufs)politischen und bibliothekspolitischen Zusammenhänge der Zeit<br />

zwischen dem letzten Drittel des 19. und dem ersten des 20. Jahrhunderts<br />

ein.<br />

<strong>Die</strong> 1864 als Tochter eines Verlagsbuchhändlers in Berlin Geborene<br />

besuchte eine Höhere Töchterschule. Nach Tätigkeiten im Kaufmännischen<br />

und gewerblichen Hilfsverein weiblicher Angestellter (VWA), wo sie sich<br />

beim Aufbau einer Bibliothek engagierte, fand sie ihre Lebensaufgabe bei<br />

der 1892 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Ethische Kultur. 7 Sie<br />

arbeitete an der Vorbereitung deren „Ersten öffentlichen Lesehalle zu<br />

Berlin“ mit und übernahm zusammen mit Ernst Jeep, Bibliothekar an der<br />

Berliner Universitätsbibliothek, die hauptberufliche Leitung. Zusätzlich war<br />

sie beim VWA beschäftigt. Ihre bibliothekarischen Fachkenntnisse dürfte sie<br />

in England erworben haben. Darüber hinaus war sie frauen- und<br />

berufspolitisch tätig, zum Beispiel in der 1907 gegründeten Vereinigung<br />

bibliothekarisch arbeitender Frauen. Ihr eilte der Ruf als einer über Berlin<br />

hinaus wirkenden Expertin und Vertreterin der Bücherhallenbewegung<br />

voraus. Sie starb mit 65 Jahren, vier Jahre vor Beginn der NS-Herrschaft, die<br />

sie so als Jüdin nicht mehr erleiden musste.<br />

<strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>s Buch umfasst 11 Kapitel. Sie beginnen mit „Kindheit und<br />

Jugend“. Es folgen die den Rahmen absteckenden „Berliner<br />

Bildungseinflüsse in den 1880er und 1890er Jahren“, „<strong>Die</strong> Gründung der<br />

Ersten öffentlichen Lesehalle zu Berlin“, „<strong>Die</strong> Entwicklung der Lesehalle bis<br />

1919“, „<strong>Die</strong> Bibliothek des Kaufmännischen und gewerblichen Hilfsvereins<br />

für weibliche Angestellte“. <strong>Die</strong> nachfolgenden Abschnitte sind wieder<br />

stärker auf die Person <strong>Peiser</strong>s bezogen: „Berufspolitisches Engagement bis<br />

1919“ „Publizistische Beiträge, Vortragstätigkeit und ein Offener Brief“,<br />

„Bibliotheksarbeit und berufspolitisches Engagement 1920-1929“. Kurz<br />

7 <strong>Die</strong> Gesellschaft war ein Ableger der in den USA entstandenen Ethischen Bewegung<br />

des Philosophen Felix Adler. Sie strebte eine neue, von den Religionen losgelöste<br />

Ethik an und versuchte dadurch eine sittliche Höherbildung zu erreichen. Dadurch<br />

ergab sich eine enge Verbindung zur Volksbildungsbewegung.


Vodosek, Rezension: <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> 5<br />

gestreift wird dann noch die zweite Lebenshälfte mit familiärer Situation,<br />

materiellen Krisen, Krankheit und Tod. Den Abschluss bilden „Aufarbeitung<br />

und Erbe“ und gewissermaßen als Resümee „Frauen/Gender in<br />

Bibliotheken – gestern und heute“. Der Anhang von nahezu 50 Seiten ist<br />

nicht nur umfangreich sondern auch nützlich: Statistiken der Lesehalle<br />

1895-1927, „Tabellarischer Lebenslauf“, „Biographischer Anhang“ mit<br />

Personen aus dem Umfeld von <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong>, der Lesehalle und der VWA-<br />

Bibliothek, Personen- und Sachregister, Literaturverzeichnis, Verzeichnis<br />

der benutzten Archive und Bibliotheken usw. Hervorgehoben seien noch<br />

die 22 Abbildungen, darunter ein von der Autorin aufgenommenes Foto des<br />

wohl von ihr ausfindig gemachten Grabes auf dem Jüdischen Friedhof<br />

Weissensee in Berlin. Das einzige bisher nachweisbare, vermutlich<br />

authentische Bild von <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> ist einem Foto der Lesehalle in der<br />

Rungestraße um 1910 entnommen. Zum Thema „Aufarbeitung und Erbe“<br />

gehören seit 1994 der Name „<strong>Bona</strong>-<strong>Peiser</strong>-Bibliothek“ für die<br />

Stadtteilbibliothek Oranienstraße 72, eine Gedenktafel in der Rungestraße<br />

25-27 in Berlin-Mitte und seit 2004 der <strong>Bona</strong>-<strong>Peiser</strong>-Weg in der Nähe der<br />

ehemaligen Arbeitsstätten; für die vielen Jahre des Vergessen- und<br />

Verdrängtseins zweifellos angemessene Ehrungen.<br />

Ohne Zweifel ist angesichts der schwierigen Ausgangslage <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>s<br />

Buch eine Pionierleistung. In den Danksagungen hat die Autorin erklärt,<br />

dass sie sich freuen würde, wenn sie „in einer zweiten Auflage des Buches<br />

viele neue Hinweise meiner Leserinnen und Leser einarbeiten könnte“. Hier<br />

sollen einige folgen.<br />

S. 173 kommentiert sie die Feststellung im Jahresbericht der Ersten<br />

öffentlichen Bücherhalle für 1919: „Der in den Kriegsjahren überwiegende<br />

Anteil der Frauen ist mit ihrem Zurücktreten in mehr häusliche Tätigkeit<br />

gesunken; die Männer bilden wieder die Mehrheit unseres Leserkreises“.<br />

Sie hält diese Begründung zwar für „nicht ohne weiteres zwingend“,<br />

übernimmt sie aber ohne eine detailliertere Analyse. Eine eigene<br />

Interpretation der Autorin wäre wünschenswert<br />

S. 190 führt sie die 1925 offenbar werdende Akzentverschiebung in <strong>Bona</strong><br />

<strong>Peiser</strong>s Konzept der Volksbibliothek in Richtung Förderung eines<br />

„einigenden Volksgefühls“, „<strong>Die</strong>nst an der Volksgemeinschaft“ auf die<br />

Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit zurück. <strong>Die</strong>se haben sicherlich


Vodosek, Rezension: <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> 6<br />

eine Rolle gespielt. Das „Unbehagen in der Kultur“, die Kulturkritik (oder<br />

korrekter Zivilisationskritik), die Ängste vor der „Vermassung“ und dem<br />

Verschwinden der Verantwortlichkeit des Einzelnen sind aber die Wurzeln,<br />

die mindestens bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreichen. Hier<br />

wäre genauer zu prüfen, inwieweit <strong>Peiser</strong> vom Gedankengut der Neuen<br />

Richtung beeinflusst war. Insgesamt ist festzustellen, dass <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong><br />

ihre Aussagen überdurchschnittlich häufig mit „vermutlich“ einleitet. Es<br />

wäre erfreulich, wenn in der angesprochenen 2. Auflage die eine oder<br />

andere Vermutung durch weitere Nachforschungen in Gewissheit<br />

umgewandelt werden könnte.<br />

In der Einleitung bemerkt sie, dass es mehr als überfällig sei, „ein Buch über<br />

die Pionierin der Frauenarbeit in deutschen Bibliotheken zu schreiben“.<br />

Dem ist nichts hinzuzufügen. Im Folgesatz liest man dann „Ebenso dringlich<br />

ist es, einer geschlechtersensiblen Darstellung der Bibliotheksgeschichte<br />

endlich zum Durchbruch zu verhelfen“. Wie wahr, aber wer wäre dazu<br />

berufener als eine weiter zunehmende Anzahl von Autorinnen?<br />

Wenn weitergehende Wünsche geäußert werden dürften, dann die<br />

folgenden. Dass <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> und die von ihr geleiteten Institutionen in<br />

Berlin im Mittelpunkt des erkenntnisleitenden Interesse standen, ist klar<br />

und legitim. Aber ein etwas ausführlicherer Vergleich der Situation<br />

bibliothekarisch arbeitender Frauen in vergleichbaren Berliner<br />

Einrichtungen (etwa in der 1899 eröffneten, von Hugo Heymann/Heimann<br />

gestifteten „Öffentlichen Bibliothek und Lesehalle“) brächte sicher weitere<br />

Aufschlüsse.<br />

Was jedoch das Deutsche Reich in toto betrifft, wären Studien über die<br />

Verhältnisse in anderen, auch kleineren Städten, wünschenswert. Und ist<br />

der Gedanke utopisch, naheliegende Beispiele aus dem weiteren, auch<br />

ehemaligen deutschsprachigen Raum einzubeziehen? Zu denken wäre an<br />

die seinerzeit europaweit berühmte Stadtbibliothek Zwittau (Mähren),<br />

gestiftet von dem Deutschamerikaner Oswald Ottendorfer, Mitbesitzer der<br />

„New-Yorker Staatszeitung“. Während der Bauzeit des Bibliotheksgebäudes<br />

ab 1890 bis zur Eröffnung 1892 war er bereit, der für die Leitung der<br />

Bibliothek in Aussicht genommenen Bibliothekarin ein Studium an der kurz<br />

davor von Melvil Dewey gegründeten Bibliotheksschule in Albany/N.Y.<br />

einschließlich eines Praktikums an der New York Ottendorfer Library zu


Vodosek, Rezension: <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> 7<br />

finanzieren. 8 Angeblich soll auch er es gewesen sein, der die Buchkarte in<br />

Europa eingeführt hat, die dann <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> so erfolgreich eingesetzt hat.<br />

Und schließlich die 1896/97 von Eduard Reyer und seinem Verein „Zentral-<br />

Bibliothek“ in Wien eröffnete Zentralbibliothek, die von einem vierköpfigen<br />

Direktorium von 4 „Oberbibliothekarinnen“ (davon kurioserweise drei<br />

Schwestern, Rosa, Anna und Therese Kappermann) geleitet wurde und für<br />

die umfangreiches statistisches Material vorhanden ist. 9<br />

Als Resümee: Es gäbe noch viel zu tun. Bedauerlich ist nur, dass die<br />

Bibliotheksgeschichte mehr oder weniger aus den Curricula der<br />

bibliothekarischen Studiengänge verschwunden ist. Dass der Mangel an<br />

geeigneten bibliothekshistorischen Themen für Bachelor- und Master-<br />

Arbeiten daran schuld war, ist kaum anzunehmen.<br />

In Österreich läuft seit 2010 das bis 2013 befristete Dokumentations- und<br />

Forschungsprojekt „Der Weg zur beruflichen Gleichstellung. Am Beispiel der<br />

Bibliothekarinnen“. Sein Ziel ist es, dass die Geschichtsschreibung über<br />

Frauenarbeit in Bibliotheken „Eingang in die allgemeine<br />

Bibliotheksgeschichtsforschung finden“ soll. Bis Anfang 2012 waren bereits<br />

895 Namen von Bibliothekarinnen erfasst. <strong>Die</strong> angestrebte Publikation<br />

umfasst einen soziologisch-historischen und einen biographischlexikalischen<br />

Teil. 10 Es wäre zu wünschen, wenn auch für die<br />

Bundesrepublik ein entsprechendes Unternehmen zustande käme. 1992<br />

hat der Rezensent in seiner Besprechung von „Leidenschaft und Bildung“<br />

Zweifel geäußert, ob eine Publikation wie diese zu „Veränderungen des<br />

Geschlechtsverhältnisses im deutsch-deutschen Patriachat“ beitragen<br />

würde. 11 Der Optimismus einer amerikanischen Bibliothekarin scheint sich<br />

aber für Deutschland wenn auch verspätet wenigstens zum Teil<br />

8 Franz Steiner: Oswald Ottendorfer. Ein vergessener Pionier des deutschen<br />

Volksbüchereiwesens. Berlin: Deutscher Bibliotheksverband/Arbeitsstelle für das<br />

Bibliothekswesen,1975. S. 10-11.<br />

9 Den Geschäfts- bzw. Jahresberichten ist zu entnehmen, dass es für die<br />

Mitarbeiterinnen beträchtliche Sozialleistungen gab: festes Gehalt, Tantieme aus den<br />

Einnahmen, Zulage für den jährlichen Urlaub, Weihnachtsgratifikation, Übernahme<br />

der Gebühren für die Krankenversicherung, Pensionsversicherung, geregelte<br />

Vertretung im Krankheitsfall.<br />

10 Näheres bei Ilse Korotin: Der Weg zur Gleichstellung. In: Büchereiperspektiven. Jg.<br />

2012, 1, S. 22-23.<br />

11 Vgl. Anmerkung 5.


Vodosek, Rezension: <strong>Mahrt</strong>-<strong>Thomsen</strong>: <strong>Bona</strong> <strong>Peiser</strong> 8<br />

bewahrheitet zu haben. Sie fand nämlich bereits 1903 die geradezu<br />

prophetischen Worte: „Immerhin gibt es schon heute nicht wenige<br />

Ausnahmen: meist Frauen, welche ihre Fähigkeiten in untergeordneten<br />

Stellungen erprobt haben und welche sich emporarbeiten, bis sie mit der<br />

Leitung des Instituts betraut wurden. <strong>Die</strong>se Ausnahmen häufen sich in<br />

jüngster Zeit und bald dürfte die Regel, dass die Leitung den Männern<br />

zusteht, umgestossen werden.“ 12<br />

Prof. Dr. Peter Vodosek<br />

Seestraße 89<br />

D-70174 Stuttgart<br />

Vodosek (at) hdm-stuttgart.de<br />

12 Isabel Ely Lord: Frauen in öffentlichen Bibliotheken. In: Eduard Reyer: Fortschritte<br />

der Volkstümlichen Bibliotheken. Leipzig: Engelmann, 1903. S.95. Hervorhebung vom<br />

Rezensenten.

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