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Prof. Dr. Rainer Zoll: Arbeitsorientierungen Arbeitsorientierungen ...

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Rainer</strong> <strong>Zoll</strong>: <strong>Arbeitsorientierungen</strong><br />

<strong>Arbeitsorientierungen</strong><br />

Wir erleben zurzeit eine immer intensivere Beschäftigung mit ethischen Fragen. Auf<br />

der einen Seite Reallohnverluste, auf der Anderen die Fälle von Steuerflucht<br />

(Stichworte Zumwinckel, Liechtenstein) befördern eine Diskussion über soziale<br />

Gerechtigkeit. Die gesellschaftliche Ethik, die in dieser Diskussion eingefordert wird,<br />

ist weit davon entfernt, realisiert zu sein.<br />

Die ethische Grundhaltung zur Arbeit dagegen, ist – das zeigt die Empirie unseres<br />

Forschungsprojekts – durchaus und trotz der immer schon existierenden<br />

Einschränkungen ein Moment der gesellschaftlichen Praxis. Sie lebt in einer<br />

handwerklichen Grundhaltung zur Arbeit, die von vielen geteilt wird, egal ob sie im<br />

engeren Sinn Handwerker oder Informatiker, Ingenieur, Zahnärzte,<br />

Krankenschwestern oder Banker sind. Die wissenschaftliche Diskussion darüber wird<br />

sicher trotz aller Kritik angeregt werden durch das neue Buch von Richard Sennett<br />

„Handwerk“.<br />

Doch nun zum eigentlichen Thema meines Beitrags, den <strong>Arbeitsorientierungen</strong>.<br />

Orientierungen sind Normen, die unsere Praxis auf einem Teilgebiet unseres Lebens<br />

bestimmen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob wir uns dieser Normen bewusst sind<br />

oder nicht. Die <strong>Arbeitsorientierungen</strong> sind als Sinnstrukturen zum Beispiel in einem<br />

Interview über Arbeit immer präsent.<br />

Die wichtigste inhaltliche Aussage, die sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat, über<br />

<strong>Arbeitsorientierungen</strong>, ist die These vom doppelten Bezug zur Arbeit, die in der<br />

wissenschaftlichen Diskussion mit dem Beitrag von John Goldthorpe (1964) begann<br />

und dann in den Fortführungen von Knapp (1980), Schumann (1981), Geissler<br />

(1984) und <strong>Zoll</strong> (1993) entwickelt wurde. Diese These besagt, dass tendenziell jeder<br />

Arbeiter einen instrumentellen und einen expressiven Bezug zur Arbeit hat. Der<br />

instrumentelle Bezug artikuliert die Notwendigkeit, Geld für den Lebensunterhalt zu<br />

verdienen; der expressive Bezug meint die Identifikation mit dem Inhalt der Arbeit.<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Rainer</strong> <strong>Zoll</strong>: <strong>Arbeitsorientierungen</strong><br />

Die gewissermaßen klassische Arbeitsorientierung ist die eines Facharbeiters, was<br />

natürlich nicht heißt, dass sie nicht auch bei anderen Arbeitern anzutreffen ist. Der<br />

doppelte Bezug zur Arbeit ist bei den Facharbeitern besonders ausgeprägt, es ist ein<br />

oft mit viel Mühe ausbalanciertes individuelles Verhältnis von instrumentellem und<br />

expressivem Bezug. Der expressive Bezug eines Facharbeiters zur Arbeit war und<br />

ist in der Regel ein Bezug zum Inhalt der Arbeit. Die Inhalte der Arbeit haben sich<br />

verändert, aber es gibt zweifellos immer noch die klassische Arbeitsorientierung.<br />

Was hat sich in den Jahrzehnten, in denen ich mich mit den <strong>Arbeitsorientierungen</strong><br />

beschäftige, verändert? Keinesfalls der doppelte Bezug zur Arbeit selbst.<br />

Früher gab es innerhalb des expressiven Bezugs zur Arbeit Besonderheiten; heute<br />

sind die Besonderheiten die Regel. Die Veränderungen gehen nicht nur auf den<br />

Wandel der Arbeit zurück, sondern auch auf den Wandel des Individuums.<br />

Insgesamt können wir diese Veränderungen als einen Teil des<br />

Modernisierungsprozesses verstehen, also die Bewegungen der Individualisierung,<br />

der Rationalisierung und der Differenzierungen betrachten, wenn wir diese<br />

Veränderungen besser verstehen wollen. Der Differenzierungsprozess zusammen<br />

mit dem Individualisierungsprozess führen unweigerlich dazu, dass ein Individuum<br />

mehrere <strong>Arbeitsorientierungen</strong> besitzen kann, die meist in einem Verhältnis von<br />

Oberorientierungen zu neben- oder untergeordneten Orientierungen stehen.<br />

Der arbeitsethische Aspekt zeigt sich im expressiven Bezug zur Arbeit. Was sich hier<br />

verändert hat, ist oft die Ausdrucksweise: Seit unserer Jugendstudie in den 80er<br />

Jahren wissen wir, dass sehr oft der Spaß an und in der Arbeit den Arbeitenden<br />

extrem wichtig ist; das ist kein Gegensatz zur Arbeitsethik. Im Gegenteil, gut<br />

gemachte Arbeit macht Spaß, Plackerei nicht.<br />

Was also gegen die Arbeitsethik wirkt, sind die Bedingungen, unter denen die Arbeit<br />

verrichtet werden muss, also vor allem der Leistungsdruck, der sicherlich<br />

angestiegen ist. Die von der IG Metall initiierte Kampagne für „Gute Arbeit“ ist also in<br />

diesem Sinne auch eine Kampagne zur Rettung der Arbeitsethik.<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Rainer</strong> <strong>Zoll</strong>: <strong>Arbeitsorientierungen</strong><br />

Im empirischen Teil dieses Forschungsprojekts haben wir sieben<br />

<strong>Arbeitsorientierungen</strong> vorgefunden. Das erste Deutungsmuster (DM), d. h. die erste<br />

Arbeitsorientierung besteht in der Reduktion auf den instrumentellen Bezug zur<br />

Arbeit. Als Beispiel diene ein Stahlerbeiter, der schwere und schwer belastende<br />

Arbeit akzeptiert, weil dafür relativ viel Lohn gezahlt wird und weil es ein Job in der<br />

„großen“ Firma ist, der scheinbar Sicherheit verspricht. Auf den gelernten Beruf wird<br />

dafür verzichtet. Dieser Arbeiter lebt sein Leben, wenn er nicht arbeitet. Deshalb will<br />

er auch sein Arbeitsleben so früh wie möglich beenden, möglichst durch einen<br />

Lottogewinn noch vor Erreichung des Rentenalters.<br />

Die expressiven <strong>Arbeitsorientierungen</strong> in unserem kleinen Sample lassen sich in<br />

zwei Gruppen nach ihrem Bezug zur Arbeit einteilen: in der ersten Gruppe herrscht<br />

ein identifikatorischer Bezug zur Arbeit vor; in der zweiten Gruppe gibt es diesen<br />

Bezug durchaus auch, aber er wird überlagert von anderen Erwägungen.<br />

Besonders wichtig ist hier das Eingebettetsein der Arbeit in einen sozialen<br />

Zusammenhang. Dieses Eingebettetsein vermittelt dem oder der Arbeitenden die<br />

Mitgliedschaft in einem sozialen Netzwerk. Dies ist immer von großer Bedeutung,<br />

umso mehr dann, wenn andere Netzwerke aus irgendeinem Grund ausfallen oder z.<br />

B. durch Krankheit bedroht sind. So etwa die Familie oder der soziale<br />

Zusammenhang im Ursprungsland, der in Deutschland erst wieder hergestellt<br />

werden muss, dann aber auch hergestellt wird. Wenn andere Netzwerke fehlen, ist<br />

auch der Zusammenhang im Betrieb oft so wichtig, dass die Entlassung nach<br />

vieljähriger Beschäftigung eine soziale Katastrophe ist und verzweifelt nach neuen<br />

ähnlichen sozialen Bindungen gesucht wird.<br />

Arbeit liefert auch ein Regelwerk von sozialen Konventionen, das eine enorme<br />

Bedeutung für das Individuum haben kann. Alles, was die Arbeit an sozialen Regeln<br />

und Bindungen mit sich bringt, kann aber auch so sehr einengen, dass das<br />

Individuum sich bemüht, den Wirkungsbereich der Arbeit einzugrenzen und großen<br />

Wert auf ein Leben außerhalb der Arbeit legt, also die berühmte Work/Life-Balance<br />

zu verwirklichen sucht.<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Rainer</strong> <strong>Zoll</strong>: <strong>Arbeitsorientierungen</strong><br />

Der identifikatorische Bezug zur Arbeit kann als ein Prozess betrachtet werden, in<br />

dem das Individuum sich den Arbeitsinhalt zunehmend aneignet, ihn zu seinem<br />

Lebensinhalt macht. Der erste Schritt der Aneignung ist naturgemäß das Lernen,<br />

gleich ob es nun in einer traditionellen Lehre oder in anderen Prozessen erfolgt. Der<br />

nächste Schritt der Aneignung ist die Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Arbeit,<br />

der oft die Form der Verbesserung annimmt. Der Optimierer findet auch noch beim<br />

Zusammenschweißen eines Kastens Wege, diese Arbeit besser zu machen.<br />

Der Aneignungsprozess erreicht seinen Höhepunkt, wenn Arbeit als Berufung oder<br />

als Selbstverwirklichung gelebt wird. Arbeit als Berufung ist gewissermaßen die<br />

Identifikationsform der Moderne (Max Weber). Arbeit als Selbstverwirklichung oder<br />

die Subjektivierung der Arbeit ist die Identifikationsform der zweiten Modernen. In<br />

beiden Fällen geht der Arbeitende in der Arbeit auf, tendenziell wird die Arbeit zum<br />

Hauptinhalt des Lebens. Das wird auch in der Zeitverwendung deutlich: während bei<br />

der Arbeit als Berufung die Arbeitszeit noch Grenzen hat, wenn sie auch oft<br />

verschwimmen, existieren solche Grenzen bei der Subjektivierung der Arbeit nicht<br />

mehr. Da wird auch einmal nachts gearbeitet. Die Arbeit dominiert das ganze Leben.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Rainer</strong> <strong>Zoll</strong><br />

zoll@uni-bremen.de<br />

Tel. 0421 / 271068<br />

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