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Evolution von Genomen am Beispiel pathogener Pilze - BIOspektrum

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635<br />

<strong>Evolution</strong>sgenomik<br />

<strong>Evolution</strong> <strong>von</strong> <strong>Genomen</strong> <strong>am</strong> <strong>Beispiel</strong><br />

<strong>pathogener</strong> <strong>Pilze</strong><br />

RONNY KELLNER, EVA H. STUKENBROCK<br />

FUNGAL BIODIVERSITY, MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR TERRESTRISCHE<br />

MIKROBIOLOGIE, MARBURG<br />

The evolutionary interplay of fungal virulence and host resistance imposes<br />

strong selective constraints that shape fungal pathogens genome<br />

structure. Genomes of pathogenic fungi are highly diverse in architecture<br />

and gene content. Moreover, analyses of these genomes unveiled pivotal<br />

insights into structural diversity and evolutionary mechanisms of<br />

genomes as well as into functional repertoires and speciation processes<br />

of pathogens. Here, we highlight key features and evolutionary mechanisms<br />

of fungal pathogen genomes.<br />

DOI: 10.1007/s12268-013-0366-1<br />

© Springer-Verlag 2013<br />

ó Pathogene <strong>Pilze</strong> sind weltweit verbreitet<br />

und evolvierten mit Organismen aller Eukaryotenreiche<br />

unterschiedliche spezifische<br />

Interaktionen (Abb. 1). Durch Einflussnahme<br />

auf ihre Wirte können sie ganze Ökosysteme<br />

prägen. In einigen Fällen, wie dem<br />

Amphibienhautpilz Batrachochytrium dendrobatidis,<br />

führen sie sogar zum Aussterben<br />

mehrerer Wirtsarten [1]. In genetisch homogenen<br />

Monokulturen <strong>von</strong> Kulturpflanzen wie<br />

Reis, Weizen, Mais, Kartoffel und Soja können<br />

pathogene <strong>Pilze</strong> durch massenhafte Vermehrung<br />

Epidemien auslösen und zu empfindlichen<br />

Ernteeinbußen führen. Ein <strong>Beispiel</strong><br />

ist der Getreideschwarzrost Puccinia gr<strong>am</strong>inis,<br />

dessen Varietät Ug99 häufig zu hundertprozentigem<br />

Ernteverlust führt und sich, seit<br />

seinem Aufkommen 1999 in Uganda, ungehindert<br />

in Richtung Asien ausbreitet. Für ein<br />

fundiertes biologisches Verständnis <strong>von</strong><br />

Pathogenität sind pathogene <strong>Pilze</strong> eine wichtige<br />

Modellgruppe. Genomstudien zahlreicher<br />

Spezies lieferten wertvolle Einblicke in das<br />

genetische Repertoire biotropher, hemibiotropher<br />

und nekrotropher Interaktionen sowie<br />

in die strukturelle Diversität <strong>von</strong> <strong>Genomen</strong>.<br />

Darüber hinaus haben populationsgenomische<br />

Studien unser Wissen über die <strong>Evolution</strong>sgeschichte<br />

einzelner Gruppen und die<br />

Plastizität <strong>von</strong> <strong>Genomen</strong> maßgeblich er -<br />

weitert.<br />

Architektur, Plastizität und evolutive<br />

Trends <strong>von</strong> <strong>Genomen</strong> <strong>pathogener</strong><br />

<strong>Pilze</strong><br />

In pathogenen <strong>Pilze</strong>n variieren die Genomgröße<br />

und die Ges<strong>am</strong>tzahl codierter Gene<br />

stark. Das reicht <strong>von</strong> ca. 2,3 Mb und weniger<br />

als 2.700 Genen in Microsporidia-Arten bis<br />

weit über 100 Mb in Golovinomyces orontii<br />

und über 22.500 Genen in Puccinia sp.<br />

(Tab. 1, [2]). Zusätzlich kann die Anzahl und<br />

Größe <strong>von</strong> Chromosomen zwischen nah verwandten,<br />

aber auch innerhalb <strong>von</strong> Arten,<br />

stark variieren. Häufige Ursache für die<br />

Expansion <strong>von</strong> <strong>Genomen</strong> ist neben einer<br />

Anreicherung <strong>von</strong> Introns oder Genom-, Chromosom-<br />

und Genduplikationen vor allem die<br />

Invasion durch transposable Elemente (TE).<br />

Die Genome <strong>von</strong> Blumeria gr<strong>am</strong>inis f. sp. hordei<br />

und Leptosphaeria maculans bestehen zu<br />

64 Prozent und 30 Prozent aus TEs. Deren<br />

Vermehrung erfolgt über replikative Transposition.<br />

Neben dem Zuwachs nicht-codierender<br />

DNA führen die Integration und Replikation<br />

<strong>von</strong> TEs vor allem zu Mutationen. Das<br />

kann für die Funktion <strong>von</strong> Genen zum Problem<br />

werden. Dementsprechend ist der Selek-<br />

A B<br />

C D<br />

E F G<br />

˚ Abb. 1: Abb. 1: Pathogene <strong>Pilze</strong> und ihre Wirte. A, Puccinia gr<strong>am</strong>inis Ug99 auf Weizen (Bild: Zac Pretorius, Evans Lagudah). B, Ustilago maydis auf<br />

Mais. C, Leptosphaeria maculans auf Raps (Bilderkollektion der Pflanzenpathologie, ETH Zürich). D, Cryptokokkose menschlicher Lunge durch Cryptococcus<br />

gattii (Bild: Revista do Instituto de Medicina Tropical de Sao Paulo). E, Magnaporthe oryzae auf Reis (Bild: Marc-Henri Lebrun). F, Verticillium<br />

dahliae auf Tabak (Bild: Ronnie de Jonge, Bart Thomma). G, Alternaria alternata auf Tomate (Bild: Michelle Grabowski).<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 06.13 | 19. Jahrgang


636 WISSENSCHAFT · SPECIAL: GENOMICS<br />

Tab. 1: Diversität <strong>von</strong> <strong>Genomen</strong> pflanzen<strong>pathogener</strong> <strong>Pilze</strong> (nach [2]).<br />

obligat biotroph<br />

biotroph<br />

RIP, ZWDE-<br />

Transporter,<br />

SMB Enzyme<br />

SMB-Wege<br />

Transporter<br />

SSPs<br />

Genomvergleiche<br />

Basidiomyceten<br />

Ascomyceten<br />

Glucosyltransferase<br />

ZWDE<br />

obligat<br />

für Virulenz<br />

SMB-<br />

Gencluster<br />

hemibiotroph<br />

nekrotroph<br />

ZWDE<br />

ZWDE<br />

SPs in AT-reichen<br />

Regionen<br />

SMB-Gene<br />

YXC-Effektoren<br />

ZWDE, GPGR, PKS, NRPS<br />

NRPS-Effluxpumpen<br />

Reduktion/Verlust <strong>von</strong> Genf<strong>am</strong>ilien nicht-repetitiv<br />

Genzuwachs oder Expansion <strong>von</strong> Genf<strong>am</strong>ilien<br />

repetitiv<br />

Ustilago maydis 521<br />

Sporisorium reilianum SRZ2<br />

Puccinia striiformis f. sp. tritici race130<br />

Puccinia gr<strong>am</strong>inis f. sp. tritici CRL75-36-700<br />

Mel<strong>am</strong>psora larici-populina 98AG31<br />

Venturia inaequalis<br />

Zymoseptoria tritici<br />

Septoria passerinii P63<br />

Pyrenophora teres f. teres 0-1<br />

Leptosphaeria maculans v23.1.3<br />

Stagonospora nodorum SN15<br />

Sclerotinia sclerotiorum 1980UF-70<br />

Botrytis cinerea (2)<br />

Golovinomyces orontii<br />

Erysiphe piri<br />

Blumeria gr<strong>am</strong>inis f. sp. hordei DH14<br />

Magnaporthe oryzae (2)<br />

Verticillium albo-atrum VaMs102<br />

Verticillium dahliae VdLs17<br />

Fusarium oxysporum f. sp. lycopersici 4287<br />

Nectria haematococca mpVI77-13-4<br />

Fusarium verticillioides 7600<br />

Fusarium gr<strong>am</strong>ineum (2)<br />

Wirtspflanzen<br />

Größe<br />

in Mb<br />

liche Auswirkungen auf die Virulenz beider<br />

Arten [5]. Ein weiteres <strong>Beispiel</strong> sind repetitive,<br />

subtelomere Regionen, die in Mag -<br />

naporthe oryzae sowie in Fusarium- und<br />

Aspergillus-Arten Virulenz-relevante Gene<br />

tragen [2, 6].<br />

In Größe und Anzahl einzelner Chromosomen<br />

zeigen die Genome mancher <strong>pathogener</strong><br />

<strong>Pilze</strong> außergewöhnliche zwischen- und innerartliche<br />

Variabilität. Genomvergleiche zeugen<br />

<strong>von</strong> massiven Umstrukturierungen des<br />

Genoms durch Insertionen, Deletionen, Duplikationen<br />

und Translokationen [4, 7]. Die Ascomycetengruppe<br />

Pezizomycotina charakterisiert<br />

eine besondere Form genomischer Synthenie,<br />

die „Mesosynthenie“. Hier bleiben die<br />

meisten Gene homologer Chromosomen erhalten,<br />

werden jedoch durch intrachromosomale<br />

Umlagerungen stark durchmischt [7]. Variieren<br />

Genome verschiedener Individuen einer<br />

Art spricht man <strong>von</strong> genomischer Plastizität.<br />

Sie kann kleinere Bereiche, wie die lineagespezifischen<br />

Regionen <strong>von</strong> V. dahliae oder<br />

ganze Chromosomen, betreffen. Bei Polymorphismen<br />

kompletter Chromosomen werden<br />

zwei Chromosomentypen unterschieden.<br />

Das sind zum Einen essenzielle Chromosomen,<br />

die in allen Individuen einer Art vorkommen<br />

und zum Anderen akzessorische<br />

Chromosomen, die nur in einzelnen Individuen<br />

vertreten sind. Letztere unterscheiden<br />

sich durch die Anreicherung repetitiver Ele-<br />

Proteinkodierende<br />

repetetiver<br />

Anteil<br />

Gene DNA in %<br />

Mais<br />

21 43 Divergenzcluster<br />

6 786<br />

39<br />

Mais 19<br />

6 648<br />

34<br />

Weizen 68<br />

22 815 18<br />

Mikrosyntenie<br />

Weizen 89 schwache Syntenie 17 773 45<br />

Pappel 101<br />

26% LS Genf<strong>am</strong>ilien<br />

16 339 45<br />

Apfel<br />

38<br />

ND ND<br />

8 ACs<br />

Weizen 32-40<br />

9521–10933 18<br />

pos. sel. SPs<br />

Gerste<br />

40 Regionen mit ND ND<br />

hoher Rekomb.-<br />

Gerste<br />

42 rate<br />

11 799 ND<br />

Brassicaceae<br />

Weizen<br />

45<br />

37<br />

Mesosynthenie 12 469<br />

10 762<br />

66<br />

5<br />

multipel 38 TEs unterbrechen 14 522 8<br />

Synthenie<br />

multipel 39 in S.sclerotiorum 16 448 4<br />

Arabidopsis<br />

Erbse<br />

160<br />

151<br />

ND<br />

ND<br />

ND<br />

ND<br />

Poaceae 120<br />

5 854<br />

64<br />

Reis, Poaceae 40 1.7Mb LS Regionen 11 109 52<br />

mit 316 Effektoren<br />

multipel 30<br />

10 221 ND<br />

4 LS Regionen<br />

multipel 35<br />

10 533 ND<br />

multipel 60<br />

17 735 28<br />

multipel 54 Chr. Fusionen, TE-rich 15 707 5<br />

3 ACs LS chr., Chr. Transfer<br />

Getreide 42<br />

14 179 8<br />

Weizen, Gerste<br />

10495 SNPs<br />

36 Telomerische Inseln 13 332 44<br />

AC - Akzessorische Chromosomen; Chr - Chromosom; GPCR - G-Protein gekoppelter Rezeptor; LS - lineage-specific; ND - nicht dokumentiert; NRPS - nicht ribosomale<br />

Peptidsynthase; PKS - Polyketidsynthase, RIP - repeat induced point mutation; SMB - Sekundärmetabolitbiosynthese; SNPs - single nucleotide polymorphism; SP - sekretiertes<br />

Protein; TE - transposable element; ZWDE - Zellwand degradierende Enzyme.<br />

tionsdruck zur Reduktion bzw. Inaktivierung<br />

mobiler genetischer Elemente groß und<br />

begünstigte die <strong>Evolution</strong> verschiedener<br />

Abwehrmechanismen. Ein Pilz-spezifischer<br />

Abwehrmechanismus ist RIP (repeat induced<br />

point mutation). Er wirkt zu Beginn der<br />

Meiose und generiert in repetitiven Sequenzen<br />

des Genoms gezielt Transitionen <strong>von</strong><br />

Cytosin (C) zu Thymin (T) und Guanin (G) zu<br />

Adenin (A). Die Effektivität <strong>von</strong> RIP zeigt sich<br />

im Besonderen bei dem apathogenen Pilz Neurospora<br />

crassa, dessen repetitive Sequenzen<br />

durch RIP nahezu vollständig degeneriert<br />

wurden [2]. Ähnliche Effekte, wenngleich<br />

schwächer ausgeprägt, wurden in pathogenen<br />

<strong>Pilze</strong>n, wie z. B. Fusarium gr<strong>am</strong>ineum<br />

oder L. maculans, dokumentiert [2,3]. Neben<br />

RIP existieren weitere Abwehrmechanismen<br />

wie die spezifische 5’-Methylierung <strong>von</strong> Cytosinen<br />

repetitiver Sequenzen und RNA-Interferenz<br />

(RNAi).<br />

Die Aktivität mobiler genetischer Elemente<br />

und deren Abwehrmechanismen generieren<br />

zusätzliche Mutationen. Für pathogene<br />

<strong>Pilze</strong> könnten sie daher eine wichtige Rolle<br />

spielen, um im evolutiven Wettstreit <strong>von</strong> Virulenz<br />

und Resistenz durch schnellere Adaption<br />

Schritt zu halten. Hinweise dafür wurden<br />

z. B. in L. maculans gefunden. Hier führte die<br />

Aktivität <strong>von</strong> TEs in Kombination mit RIP zur<br />

Bildung <strong>von</strong> 413 AT-reichen Regionen mit<br />

einer Größe <strong>von</strong> 1–325 kb. In diesen Regionen<br />

liegen die Effektorgene, deren Proteine<br />

sekretiert werden und einen Einfluss auf die<br />

Pathogenität haben. Experimentelle <strong>Evolution</strong><br />

zeigte, dass TEs und RIP maßgeblich zur<br />

funktionellen Diversifizierung und Deaktivierung<br />

dieser Effektorgene beitrugen [3].<br />

Eine weitere wichtige Quelle genetischer<br />

Variabilität ist sexuelle Rekombination. Sie<br />

generiert durch die Neuverteilung genetischen<br />

Materials genetische Neuerungen, die<br />

asexuellen Pathogenen in adaptiven Prozessen<br />

nicht zur Verfügung stehen. Der asexuelle,<br />

pathogene Ascomyzet Verticillium dahliae<br />

scheint diese Defizite jedoch zu umgehen.<br />

Der innerartliche Vergleich zeigte, dass<br />

entlang TE-vermittelter Bruchstellen zahlreiche<br />

Genomregionen zwischen und innerhalb<br />

<strong>von</strong> Chromosomen verlagert wurden.<br />

Darunter fand man die lineage-spezifischen<br />

Regionen, die mehrere Effektorgene tragen<br />

und unterschiedliche Virulenzen vermitteln<br />

[4]. Die Konzentration Virulenz-relevanter<br />

Gene in Genombereichen erhöhter genetischer<br />

Variabilität ist jedoch nicht immer mit<br />

TEs assoziiert. So enthalten Sporisorium reilianum<br />

und Ustilago maydis mehrere Gencluster<br />

mit 3–26 ko-regulierten Genen. Im<br />

Vergleich beider hochgradig synthenischer<br />

Genome fallen sie durch stark reduzierte<br />

Sequenz homologien auf. Diese „Inseln“ genetischer<br />

Divergenz sind angereichert mit<br />

Effektor genen und haben teils unterschied-<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 06.13 | 19. Jahrgang


mente, niedrigere GC-Gehalte und<br />

Unterschiede in der Codonverwendung<br />

deutlich vom Kerngenom. Des<br />

Weiteren kommt es in der Meiose<br />

regelmäßig zu deren Verlust oder<br />

Disomie [8]. Obwohl akzessorische<br />

Chromosomen „entbehrlich“ zu sein<br />

scheinen, codieren sie teils für wichtige<br />

Effektorgene. Dazu gehören das<br />

für das Phytoalexin-entgiftende<br />

Enzym Pisatindemethylase codierende<br />

Gen pda <strong>von</strong> Haematonectria<br />

haematococca und die zur Synthese<br />

des wirtsspezifischen AAL-Toxins<br />

benötigten Gene <strong>von</strong> Alternaria alternata<br />

[2, 9]. Im Artkomplex <strong>von</strong> Fusarium<br />

oxysporum vermitteln die lineage-spezifischen<br />

Chromosomen<br />

unterschiedliche Wirtsspezifitäten<br />

[2]. In Zymoseptoria tritici zeigten<br />

akzessorische Chromosomen hingegen<br />

keinen Einfluss auf Pathogenität,<br />

Wachstum oder Paarung [8].<br />

Dennoch scheint genomische Plastizität<br />

eine Art Plattform für genetische<br />

Neuerungen zu sein, die adaptive<br />

Prozesse einiger <strong>pathogener</strong><br />

Pilzspezies beschleunigt haben<br />

könnte. Darüber hinaus scheinen<br />

Bereiche genomischer Variabilität<br />

und Plastizität auf Teilbereiche, wie<br />

etwa Gencluster, AT-reiche Regionen<br />

oder einzelne Chromosomen<br />

beschränkt zu sein. So könnte der<br />

essenzielle Teil des Ge noms vor<br />

übermäßiger Mutagenese ge schützt<br />

bleiben, während ein kleiner Teil des<br />

Genoms einen Freifahrtschein für<br />

die <strong>Evolution</strong> bereithält. Da <strong>Evolution</strong><br />

aber nicht im Voraus plant,<br />

bleibt abzuwarten, was künftige Studien<br />

über die Zu s<strong>am</strong>menhänge <strong>von</strong><br />

genomischer Plastizität und Adaptivität<br />

<strong>von</strong> Pathogenen enthüllen werden.<br />

Genomik <strong>am</strong> <strong>Beispiel</strong><br />

Zymoseptoria<br />

Ein gutes <strong>Beispiel</strong> für den vielseitigen<br />

Nutzen genomischer Da ten ist<br />

die Pilzgattung Zymoseptoria. Sie<br />

umfasst nah verwandte, hemibiotrophe<br />

Ascomyceten <strong>von</strong> Süßgräsern,<br />

wie den landwirtschaftlich relevanten<br />

Weizenparasit Z. tritici (Abb. 2)<br />

und die an Wildgräser angepassten<br />

Arten Z. pseudotritici und Z. ardabiliae.<br />

Über Genomvergleiche konnten<br />

wertvolle Kenntnisse zur Artbildung<br />

in Zymoseptoria gewonnen werden<br />

[10]. Demnach korreliert die Abspaltung<br />

der Z. tritici-Linie zeitlich mit<br />

den ersten Domestizierungen seiner<br />

heutigen Wirtspflanze Weizen vor<br />

ca. 11.500 Jahren. Darüber hinaus<br />

erwies sich Z. pseudotritici als junge<br />

Hybridart [8]. Des Weiteren identifizierten<br />

Genomvergleiche mehrere<br />

Gene, die unter natürlicher Selektion<br />

stehen. Deren Untersuchung in<br />

Z. tritici zeigte, dass drei Gene in<br />

Zus<strong>am</strong>menhang mit Pathogenität<br />

stehen (Stephan Poppe et al., in Vorbereitung).<br />

Ein weiterer, interessanter<br />

Aspekt <strong>von</strong> Z. tritici ist die Existenz<br />

<strong>von</strong> bis zu acht akzessorischen<br />

Chromosomen [11]. Über deren<br />

Ursprung und biologische Funktion<br />

ist wenig bekannt. In Kreuzungsexperimenten<br />

gelang es kürzlich die<br />

Neubildung eines akzessorischen<br />

Chromosoms in Z. tritici zu dokumentieren<br />

und erste Hinweise auf<br />

deren <strong>Evolution</strong> abzuleiten [12].<br />

Perpektiven<br />

Die Genomstudien der letzten Jahre<br />

an verschiedensten Arten <strong>pathogener</strong><br />

<strong>Pilze</strong> haben unser Wissen über<br />

die Architektur und <strong>Evolution</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Genomen</strong> entscheidend erweitert.<br />

Aktuelle Initiativen, wie das 1000<br />

Fungal Genomes Project (www. 1000.<br />

fungalgenomes.org) oder die fungal<br />

genome initiative des Broad Institute,<br />

C<strong>am</strong>bridge, USA, sind wichtige<br />

Schritte zum Diversität-orientierten<br />

Ausbau dieses Wissens. Gleichzeitig<br />

besteht angesichts stetig wachsender<br />

Datenmengen die dringende<br />

Aufgabe der (Weiter-)Entwicklung<br />

<strong>von</strong> Analysesoftware zur Verarbeitung<br />

und detaillierten Charakterisierung<br />

genomischer Daten. Darüber<br />

hinaus ist es für die Entschlüsselung<br />

<strong>von</strong> Pathogenität und die<br />

Abwendung <strong>von</strong> Gefahren für unser<br />

Ökosystem entscheidend, die gewonnenen<br />

Erkenntnisse einzelner Modelorganismen<br />

auf Populationsebene<br />

zu evaluieren. Denn intensivere<br />

populationsgenomische Studien<br />

unterschiedlicher Arten werden den<br />

Ursprung neuer Virulenzen und das<br />

Potenzial <strong>von</strong> Pathogenen stärker<br />

beleuchten können.<br />

ó<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 06.13 | 19. Jahrgang


638 WISSENSCHAFT · SPECIAL: GENOMICS<br />

A<br />

¯ Abb. 2: Genomik in Zymoseptoria. A, Z. tritici in Flüssigkultur,<br />

auf Nährmedium (Bilder: Janine Haueisen) und als Parasit auf<br />

Weizen. B, Artbildung in Zymoseptoria (nach [8]). C, Genomweite<br />

Sequenzhomologie (blau) zwischen Z. tritici und Z. pseudotritici<br />

(Stukenbrock et al. 2010, PLoS Gen).<br />

B<br />

C<br />

Literatur<br />

[1] Fisher MC, Henk D, Briggs CJ et al. (2012) Emerging fungal<br />

threats to animal, plant and ecosystem health.<br />

Nature 484:186–194<br />

[2] Raffaele S, K<strong>am</strong>oun S (2012) Genome evolution in fil<strong>am</strong>entous<br />

plant pathogens: why bigger can be better.<br />

Nat Rev Microbiol 10:417–430<br />

[3] Daverdin G, Rouxel T, Gout L et al. (2012) Genome structure<br />

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asexual pathogen. Gen Res, doi: 10.1101/gr.152660.112<br />

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directed gene expression during initiation of invasive<br />

aspergillosis. PLoS Path 4:e1000154<br />

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New Phyt, doi: 10.1111/nph.12374<br />

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Eukaryotic Cell 8:1732–1738<br />

[10] Stukenbrock EH, Bataillon T, Dutheil J et al. (2011) The<br />

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Mycosphaerella gr<strong>am</strong>inicola and its wild sister species.<br />

Genome Res 21:2157–2166<br />

[11] Goodwin SB, M’barek S Ben, Dhillon B et al. (2011)<br />

Finished genome of the fungal wheat pathogen<br />

Mycosphaerella gr<strong>am</strong>inicola reveals dispensome structure,<br />

chromosome plasticity, and stealth pathogenesis.<br />

PLoS Gen 7:e1002070<br />

[12] Croll D, Zala M, McDonald BA (2013) Breakage-fusionbridge<br />

Cycles and Large Insertions Contribute to the Rapid<br />

<strong>Evolution</strong> of Accessory Chromosomes in a Fungal Pathogen.<br />

PLoS Gen 9:e1003567<br />

Korrespondenzadresse:<br />

Dr. Eva H. Stukenbrock<br />

Max-Planck-Institut für terrestrische<br />

Mikrobiologie<br />

Fungal Biodiversity<br />

Karl-<strong>von</strong>-Frisch-Straße 10<br />

D-35043 Marburg<br />

Tel.: 06421-178-630<br />

eva.stukenbrock@mpi-marburg.mpg.de<br />

AUTOREN<br />

Ronny Kellner<br />

Jahrgang 1979. 2000–2006 Biologiestudium an der Universität<br />

Tübingen. 2007–2011 Promotion an der Ruhr-Universität<br />

Bochum. Seit 2012 Postdoc <strong>am</strong> Max-Planck-Institut für<br />

terrestrische Mikrobiologie, Marburg.<br />

Eva H. Stukenbrock<br />

Jahrgang 1976. 2002–2004 Biologiestudium an der Universität<br />

<strong>von</strong> Kopenhagen, Dänemark. 2004–2007 PhD an<br />

der ETH Zürich, Schweiz. 2008–2010 Postdoc <strong>am</strong> Bioinformatics<br />

Research Center, Aarhus, Dänemark, 2010–2012<br />

Projektgruppenleiterin <strong>am</strong> Max-Planck-Institut für terrestrische<br />

Mikrobiologie, Marburg. Seit 2012 Leiterin der<br />

Max-Planck-Forschergruppe „Fungal Biodiversity“ <strong>am</strong> MPI<br />

Marburg.<br />

<strong>BIOspektrum</strong> | 06.13 | 19. Jahrgang

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