Entkriminalisierung und Regulierung - Bibliothek der Friedrich-Ebert ...
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HEINO STÖVER UND MAXIMILIAN PLENERT | <strong>Entkriminalisierung</strong> <strong>und</strong> <strong>Regulierung</strong><br />
Die aktuelle Drogenpolitik in Deutschland folgt dem therapeutischen<br />
Modell sowie dem Modell <strong>der</strong> sozialen Kontrolle.<br />
Es orientiert sich weitgehend an Abstinenz, Abhängigkeit<br />
<strong>und</strong> Kriminalität. Diese pathologisierte Sicht<br />
leugnet die Realität, dass die meisten Drogenkonsumenten<br />
mit ihren Substanzen verantwortungsvoll umgehen.<br />
Das Modell <strong>der</strong> »Schadensminimierung« findet man<br />
heute nur in <strong>der</strong> gleichnamigen Säule <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esdeutschen<br />
Drogenpolitik. Welcher Konfliktstoff jedoch in<br />
diesem Ansatz liegt, zeigt <strong>der</strong> ideologische Boykott bewährter<br />
Instrumente, wie Konsumraumverordnungen,<br />
Methadonbehandlung in <strong>der</strong> Strafverfolgung o<strong>der</strong> Spritzentausch,<br />
durch konservative Regierungen. 143<br />
Auch wenn im Bereich <strong>der</strong> harm reduction eine Menge<br />
erreicht werden konnte, wird es in Zukunft noch zu weiteren<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit Vertretern an<strong>der</strong>er Modelle<br />
kommen. Auch abstinenzorientierte Vertreter von<br />
Prävention, Therapie <strong>und</strong> Hilfe müssen anerkennen, dass<br />
safer-use-Trainings bei allen Drogen, ein Spritzenautomat<br />
auf dem Gelände <strong>der</strong> Entzugsklinik o<strong>der</strong> die Nutzung<br />
von Drogenkonsumräumen durch Substituierte notwendig<br />
<strong>und</strong> wirksam sind. Take-home-Regelungen sowie die<br />
PSB müssen sich an den Bedürfnissen <strong>der</strong> Abhängigen<br />
orientieren, so wie es auch bei an<strong>der</strong>en medizinischen<br />
Behandlungen völlig normal ist. 144 Mit <strong>der</strong> repressiven<br />
Kontrollpolitik gerät harm reduction beispielsweise bei<br />
drug checking in einen Konflikt. Hier wird ein harm<br />
reduction-Instrument direkt von Strafvorschriften des<br />
BtMG verhin<strong>der</strong>t.<br />
Harm reduction (HR) – im Gegensatz zu moralisierenden<br />
Ansätzen – fokussiert die Folgen eines Verhaltens<br />
<strong>und</strong> nicht so sehr das Verhalten an sich. HR ist realistisch<br />
<strong>und</strong> geht davon aus, dass Drogen auch weiterhin exzessiv<br />
in vielen Gemeinschaften konsumiert werden <strong>und</strong> dass<br />
dies weiterhin für einige Individuen, aber auch für einige<br />
Gemeinschaften, Probleme erzeugen wird. HR hat keine<br />
wertende Haltung gegenüber dem Drogenkonsum <strong>und</strong><br />
ist stattdessen auf die Reduzierung <strong>der</strong> möglicherweise<br />
entstehenden Probleme fokussiert. HR ist pragmatisch:<br />
143. http://www.nuernberg.de/imperia/md/gruene/dokumente/<br />
pm_2012/pm_drogenkonsum_02_07_12.pdf; http://www.aidshilfe.de/<br />
de/aktuelles/meldungen/pressemitteilung-bayern-missachtet-rechte-gefangener;<br />
http://www.aidshilfe.de/de/aktuelles/meldungen/pressemitteilung-bayerische-drogenpolitik-kostet-immer-mehr-menschenleben;<br />
http://www.taz.de/!92098/.<br />
144. http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Veranstaltungen/<br />
Fachkonferenz_2012/Pr%C3%A4sentation_Prof._St%C3%B6ver.pdf.<br />
Sie versucht Strategien <strong>und</strong> Politiken zu vermeiden, <strong>der</strong>en<br />
Ziele unerreichbar sind o<strong>der</strong> möglicherweise mehr<br />
Schaden anrichten, als sie verhin<strong>der</strong>n. HR stützt sich auf<br />
die Menschenrechte <strong>und</strong> gründet in <strong>der</strong> Akzeptanz individueller<br />
Integrität <strong>und</strong> Eigenverantwortung (Schmidt-<br />
Semisch/Stöver 2012).<br />
Perspektivisch könnte harm reduction auf <strong>der</strong> individuellen<br />
Ebene zu einer komplementären Strategie von Maßnahmen<br />
<strong>der</strong> Angebotsregulierung sowie von Nachfragebegrenzung<br />
auf <strong>der</strong> Ebene des Marktes werden.<br />
7. Szenarien <strong>der</strong> Drogenkontrolle mit<br />
Blick auf Handel <strong>und</strong> Konsum<br />
Als Maßstab für die Bewertung gilt: Eine gute Drogenpolitik<br />
sollte versuchen, Kosten zu min<strong>der</strong>n, ohne selbst<br />
neue zu schaffen. Eine universelle Lösung für alle mit Drogen<br />
verb<strong>und</strong>enen Probleme existiert nicht. Würde man<br />
das simple Bild <strong>der</strong> drogenfreien Gesellschaft auf an<strong>der</strong>e<br />
Themen (z. B. Strafandrohung bei außerehelichem Sex<br />
zum Schutz vor HIV) übertragen, würde schnell klar werden,<br />
dass es sich hierbei eher um eine Heilslehre handelt<br />
als um ein realistisches Konzept. Im Gegensatz dazu basieren<br />
die vorgestellten Szenarien auf empirischen Erfahrungen<br />
aus den Nie<strong>der</strong>landen, Portugal etc. <strong>und</strong> bilden<br />
realistische <strong>und</strong> wirksame Konzepte zur Min<strong>der</strong>ung von<br />
Drogenproblemen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.<br />
Bewertungskriterien für die Szenarien sind damit die Auswirkungen<br />
auf den Status quo, z. B. die Einsparung von<br />
Ausgaben im Bereich <strong>der</strong> Strafverfolgung, <strong>Entkriminalisierung</strong>,<br />
weniger ges<strong>und</strong>heitliche <strong>und</strong> soziale Schäden<br />
o<strong>der</strong> wirksamerer Einsatz staatlicher Ressourcen.<br />
Basierend auf den Erfahrungen aus den Nie<strong>der</strong>landen,<br />
Portugal <strong>und</strong> Tschechien lässt sich festhalten, dass <strong>der</strong><br />
Haupteffekt einer <strong>Entkriminalisierung</strong> von Drogenkonsumenten<br />
das Ende <strong>der</strong> Kriminalisierung <strong>der</strong> Konsumenten<br />
wäre. Durch das Ausbleiben negativer Effekte gibt es<br />
auch kaum Zielkonflikte. Würden sich negative Effekte<br />
zeigen, müsste diskutiert werden, inwieweit zusätzliche<br />
Probleme durch den Vorteil, Millionen Bürger zu entkriminalisieren,<br />
in Kauf genommen werden können. 145<br />
145. http://hanfverband.de/index.php/nachrichten/aktuelles/1924-savethe-date-anhoerung-zu-cannabis-entkriminalisieren-a-drogenpolitikevaluieren-sowie-crystal-eindaemmen-a-neue-psychoaktive-stoffe-bekaempfen.<br />
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