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Martin Florack<br />
Die mediale Selbstbespiegelung im<br />
Wahlkampf.<br />
Die Langeweile <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stagswahlkampfs als Ausdruck aktueller<br />
Krisenphänomene <strong>de</strong>s politischen Journalismus.<br />
03. September 2013<br />
Redaktion<br />
Matthias Bianchi, M.A.<br />
Tel. +49 (0) 203 / 379 - 4106<br />
Fax +49 (0) 203 / 379 - 3179<br />
matthias.bianchi@uni-due.<strong>de</strong><br />
Wissenschaftliche Koordination<br />
Kristina Weissenbach, M.A.<br />
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Sekretariat<br />
Anita Weber<br />
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anita.weber@uni-due.<strong>de</strong><br />
Herausgeber (V.i.S.d.P.)<br />
Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte<br />
Redaktionsanschrift<br />
Redaktion <strong>Regierungsforschung</strong>.<strong>de</strong><br />
NRW School of Governance<br />
Institut für Politikwissenschaft<br />
Lotharstraße 53<br />
47057 Duisburg<br />
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Fax +49 (0) 203 / 379 – 3179<br />
redaktion@regierungsforschung.<strong>de</strong><br />
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www.forschungsgruppe-regieren.<strong>de</strong><br />
www.politik.uni-duisburg-essen.<strong>de</strong>
<strong>Regierungsforschung</strong>.<strong>de</strong><br />
Die mediale Selbstbespiegelung im Wahlkampf.<br />
Die Langeweile <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stagswahlkampfs als Ausdruck aktueller<br />
Krisenphänomene <strong>de</strong>s politischen Journalismus.<br />
Von Martin Florack 1<br />
„Wir befin<strong>de</strong>n uns nur noch in unserer eigenen Kulisse. Und im Grun<strong>de</strong> war’s das dann“, so<br />
zitierte die Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung am 30. August 2013 ein Redaktionsmitglied <strong>de</strong>s SPIEGEL.<br />
Vor<strong>de</strong>rgründiger Anlass für diese Selbstbeschreibung sind die Personalquerelen, die sich<br />
unlängst rund um die Neubesetzung <strong>de</strong>r Redaktionsspitze <strong>de</strong>s Hamburger Nachrichtenmagazins<br />
entzün<strong>de</strong>t haben. Das ehemalige Leitmedium <strong>de</strong>s politischen Journalismus ist angezählt, aber es<br />
taumelt nicht alleine durch <strong>de</strong>n Ring. Auch die Konkurrenten halten sich an <strong>de</strong>n Seilen fest und<br />
warten auf <strong>de</strong>n Gong, <strong>de</strong>r ihnen eine kleine Verschnaufpause im Kampf um das wirtschaftliche<br />
und journalistische Überleben bietet. Die Kartographie <strong>de</strong>s politischen Journalismus verän<strong>de</strong>rt<br />
sich und die Akteure taumeln weitgehend orientierungslos umher.<br />
„So fliegt in diesen Zeiten das Weltbild <strong>de</strong>r Welterklärer auseinan<strong>de</strong>r: Springer-Leute<br />
bekommen erst <strong>de</strong>n Nannen-Preis, danach fängt <strong>de</strong>r Konzern nach allen möglichen<br />
wertlosen Festtagsre<strong>de</strong>n an, <strong>de</strong>n Printjournalismus zu begraben, in<strong>de</strong>m er sich von<br />
Zeitungen trennt. Die Frankfurter Allgemeine rettet die Frankfurter Rundschau. Der Spiegel<br />
holt einen Springer-Mann. Wenn es aber egal ist, wer wo schreibt und was wem gehört,<br />
könnte es <strong>de</strong>n Publikationen irgendwann gehen wie <strong>de</strong>r Politik. Wechselwähler wer<strong>de</strong>n zu<br />
Nichtwählern. Wechselleser zu Nichtlesern“ (Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung v. 30. August 2013).<br />
Die aktuelle Episo<strong>de</strong> beim SPIEGEL offenbart, wie unter einem Brennglas, die vorangeschrittene<br />
Selbstrefentialität <strong>de</strong>s politischen Journalismus. Welcher Leser soll eigentlich ein Medium ernst<br />
nehmen, welches zu dieser politischen Jahreszeit vor allem um sich selbst kreist und <strong>de</strong>nnoch<br />
wie selbstverständlich vom hohen Rosse <strong>de</strong>r moralischen Selbstgewissheit herab das politische<br />
Geschehen kommentiert und über seine Protagonisten richtet?<br />
Die routinierte journalistische Selbstbespiegelung und die zugleich ungebrochen reklamierte<br />
Deutungshegemonie über die Politik reichen gleichwohl über die Hamburger Stadtgrenzen<br />
hinaus und charakterisieren die mediale Begleitung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stagswahlkampfes 2013<br />
insgesamt. Ein echter Wahlkampf im Sinne eines Streites um divergieren<strong>de</strong> Positionen fällt<br />
1 Martin Florack ist Aka<strong>de</strong>mischer Rat am Institut für Politikwissenschaft <strong>de</strong>r Universität Duisburg-Essen. Kürzlich ist<br />
seine Studie „Transformation <strong>de</strong>r Kernexekutive“ erschienen.<br />
2
<strong>Regierungsforschung</strong>.<strong>de</strong><br />
medial weitgehend aus und während die Journalisten diesen Sachverhalt als „Langeweile“<br />
beklagen, leisten doch gera<strong>de</strong> sie ihren entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Beitrag zur fortwähren<strong>de</strong>n<br />
Reproduktion <strong>de</strong>rselben. Die implizit übernommene These von <strong>de</strong>n primär aufeinan<strong>de</strong>r<br />
bezogenen „Kartellparteien“ (Mair/Katz 1995) <strong>de</strong>s Berliner Politikbetriebs fin<strong>de</strong>t damit seine<br />
gleichwertige Entsprechung im politischen „Kartelljournalismus“ mo<strong>de</strong>rner Prägung. Die<br />
hiermit verbun<strong>de</strong>ne Selbstrefentialität <strong>de</strong>s Mediensystems zeigt sich im aktuellen<br />
Bun<strong>de</strong>stagswahlkampf in vielfältiger Hinsicht:<br />
Das wechselseitige Interviewen von Journalisten ist inzwischen zur Regel gewor<strong>de</strong>n. Nicht nur<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>signierte Berliner Büroleiter <strong>de</strong>s SPIEGEL und bisherige stellvertreten<strong>de</strong> Chefredakteur<br />
<strong>de</strong>r BILD-Zeitung, Nicolaus Blome, sitzt wie selbstverständlich in <strong>de</strong>n Talkshows seiner Kollegen,<br />
die damit Meinungsvielfalt vor allem medial inszenieren. Auch das Gespräch unter<br />
Journalistenkollegen am Wahlabend und <strong>de</strong>r inszenierten Kampf um die Deutungshoheit<br />
zwischen vermeintlich „linken“ und „rechten“ Journalisten gehört inzwischen zum<br />
Standardrepertoire <strong>de</strong>r politischen Berichterstattung. Bei <strong>de</strong>r Dauerfernsehpräsenz mancher<br />
„Alpha-Journalisten“ fragt sich <strong>de</strong>r geneigte Zuschauer, wie die eigentliche journalistische Arbeit<br />
eigentlich noch geleistet wird.<br />
Die Wahrnehmung <strong>de</strong>s TV-Duells <strong>de</strong>r Spitzenkandidaten von SPD und CDU wur<strong>de</strong> im Vorfeld vor<br />
allem durch die Frage bestimmt, ob außer Stefan Raab noch jemand im Mittelpunkt <strong>de</strong>s<br />
Interesses stehen wür<strong>de</strong>. Dass dieses Format durchaus eine Gelegenheit bot, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>m<br />
Wahlkampf bislang geschickt entziehen<strong>de</strong>n Kanzlerin inhaltlich auf <strong>de</strong>n Zahn zu fühlen und die<br />
Positionen Steinbrücks im Gegenzug kritisch zu beleuchten, spielte bestenfalls am Ran<strong>de</strong> eine<br />
Rolle. Es gibt nur einen wirklichen Gewinner – das Fernsehen selbst.<br />
Überhaupt erscheinen weite Teile <strong>de</strong>r bisherigen Wahlkampfberichterstattung als weitgehend<br />
recherche- und politikinhaltsfreie Zone. Meist vergeblich sucht man eine systematische Bilanz<br />
<strong>de</strong>r amtieren<strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>sregierung, die an die politischen Vorhaben von 2009 und ihre<br />
Umsetzung erinnert. Statt auf die durchaus vorhan<strong>de</strong>nen Parteidifferenzen in unterschiedlichen<br />
Politikfel<strong>de</strong>rn zu schauen und die damit verbun<strong>de</strong>nen unterschiedlichen Wertvorstellungen <strong>de</strong>r<br />
Parteien zu diskutieren, langweilt sich <strong>de</strong>r Leser und Zuschauer bei <strong>de</strong>n immer gleichen Stücken<br />
über die realen und vermeintlichen Pannen <strong>de</strong>s SPD-Wahlkampfes und ihres Spitzenkandidaten.<br />
Zwar wird die mediale „Tarnkappe“ <strong>de</strong>r Kanzlerin beklagt, aber aus Interviews wer<strong>de</strong>n statt<br />
kritischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit ihrer Politik peinliche Ergebenheitselogen. Die mögliche<br />
Frage nach <strong>de</strong>r Kompatibilität grüner und sozial<strong>de</strong>mokratischer Energiepolitik spielt ebenso<br />
wenig eine Rolle wie die fortgeschrittene Erosion <strong>de</strong>s inhaltlichen Markenkerns <strong>de</strong>r Union, die<br />
jenseits <strong>de</strong>s „Kanzlerinnen-Wahlvereins“ bestenfalls an die Ruinen einer Volkspartei erinnert.<br />
Wur<strong>de</strong>n die Piraten vor Monaten medial noch als die künftigen Schrittmacher einer erlahmten<br />
3
<strong>Regierungsforschung</strong>.<strong>de</strong><br />
Parteien<strong>de</strong>mokratie gefeiert, wirft man ihnen nun mit gleicher Verve vorangeschrittene<br />
Irrelevanz und Inkompetenz vor. Ihre Rolle als potentieller Störenfried am Wahlabend hat<br />
zwischenzeitlich die Alternative für Deutschland (AfD) übernommen. Aber auch ihr gilt das<br />
vornehmliche Interesse weniger in inhaltlicher Hinsicht, son<strong>de</strong>rn vielmehr als<br />
Spannungsmoment, um die herrschen<strong>de</strong> „Langeweile“ zu durchbrechen. Diese Rolle kam zuvor<br />
<strong>de</strong>r Linkspartei zu, die nun weitgehend außerhalb <strong>de</strong>s medialen Radars liegt.<br />
Diese mangeln<strong>de</strong> journalistische Tiefe wird zugleich mit <strong>de</strong>m vermeintlichen Desinteresse <strong>de</strong>r<br />
Leser und Zuschauer legitimiert. Diese wollten keinen zugespitzten Wahlkampf und insofern<br />
könne man es im Sinne einer notwendigen Adressatenorientierung auch bei oberflächlichen<br />
Geschichten rund um die Wahl belassen. Überhaupt fin<strong>de</strong>n sich so zwar vielfältige Meinungen,<br />
aber eine erkennbare politische Haltung jenseits von eingefahrenen Blatt- und Sen<strong>de</strong>rlinien ist<br />
zur Ausnahme gewor<strong>de</strong>n. Die Folge ist eine Form <strong>de</strong>s medialen Populismus, <strong>de</strong>r zwar einerseits<br />
voranschreiten<strong>de</strong> Politikverdrossenheit konstatiert, aber an<strong>de</strong>rerseits durch die zynische<br />
Reproduktion von Vorurteilen und politischen Scheingefechten diese verstärkt und zu einem<br />
immer stärkeren medialen Phänomen macht. Ob Politik- und Politikerverdrossenheit reale<br />
Phänomene sind o<strong>de</strong>r inzwischen zur medialen Selbstgewissheit verkommen sind, rückt so<br />
zunehmend in <strong>de</strong>n Hintergrund. Mit Blick auf die Rezipienten und Wählern zählen folglich<br />
alleine die journalistisch wahrgenommenen Erwartungen.<br />
Schließlich dominieren in <strong>de</strong>r aktuellen Wahlberichterstattung rein mediale Relevanzkriterien,<br />
die keiner ernsthaften Prüfung mehr unterzogen wer<strong>de</strong>n. So scheint die Kandidatenorientierung<br />
im Zuge einer weitgehen<strong>de</strong>n Personalisierung <strong>de</strong>r politischen Berichterstattung die einzig<br />
entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Größe für die Wahlentscheidung gewor<strong>de</strong>n zu sein. Folglich wird ein durchaus<br />
üblicher Amtsbonus <strong>de</strong>r Kanzlerin Wochen vor <strong>de</strong>r Wahl unkritisch zum uneinholbaren<br />
Vorsprung ihrer Partei umge<strong>de</strong>utet und <strong>de</strong>r SPD mit ihrem „Pannen-Peer“ bereits Wochen vor<br />
<strong>de</strong>r Wahl die Rolle <strong>de</strong>s Verlierers zugeschrieben. Die Schimäre <strong>de</strong>s wankelmütigen und<br />
„unbekannten Wählers“ und die Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r immer gleichen „Mythen“ über das<br />
Wahlverhalten <strong>de</strong>r Deutschen (Bytzek/Roßteutscher 2011) dominieren so die mediale<br />
Berichterstattung.<br />
Zugleich aber zeigt sich <strong>de</strong>r Berliner „Kartelljournalismus“ unerbittlich, regt sich von politischer<br />
Seite Medienkritik. „Medienschelte“ wird für politische Akteure zum potentiellen politischen<br />
Selbstmord, auch wenn sie in <strong>de</strong>r medialen Zuschauer- und Aufregungs<strong>de</strong>mokratie wie<br />
Gladiatoren durch die Arena gehetzt wer<strong>de</strong>n und je<strong>de</strong> noch so absur<strong>de</strong> Form <strong>de</strong>r<br />
Berichterstattung langmütig ertragen müssen. Insofern ist die Verlagerung <strong>de</strong>r<br />
Wahlkampfkommunikation beispielsweise ins parteieigene CDU.TV o<strong>de</strong>r zu Twitter und<br />
Facebook nur die logische Reaktion politischer Akteure. Warum sollte man sich <strong>de</strong>n weitgehend<br />
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<strong>Regierungsforschung</strong>.<strong>de</strong><br />
realitätsentkoppelten medialen Selbstbespiegelungen aussetzen, wenn das Social Web neue<br />
Formen <strong>de</strong>r direkten Wähleransprache ermöglicht?<br />
Ob damit jedoch eine sinnvoll Ausweitung <strong>de</strong>r Kommunikationsarenen o<strong>de</strong>r vielmehr eine<br />
Erosion von wichtigen Plattformen <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Selbstverständigung einhergeht, ist<br />
eine wichtige <strong>de</strong>mokratietheoretische Frage. Denn auch wenn die Kommentierungen zur<br />
Bun<strong>de</strong>stagswahl mit <strong>de</strong>r Unterstellung „uneinholbarer Vorsprünge“, „politischer Eigentore“ und<br />
„in die Defensive gedrängten“ Spitzenkandidaten inzwischen häufiger an Sport- als<br />
Politikberichterstattung erinnern, so geht es am 22. September nicht um Tore o<strong>de</strong>r Bestzeiten.<br />
Sollte es am Wahlabend zu einem überraschen<strong>de</strong>n und unklaren Ergebnis kommen, so wäre<br />
aber zumin<strong>de</strong>st die <strong>de</strong>rzeit beklagte „Langeweile“ <strong>de</strong>s Wahlkampfes einer dann journalistischen<br />
Relevanzkriterien entsprechen<strong>de</strong>n Spannung gewichen.<br />
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