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Pressemitteilung DKKV, 07. Juni 2013 - Deutsches Komitee ...

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PRESSEMITTEILUNG<br />

Hochwasser in Deutschland –<br />

Experten des Deutschen <strong>Komitee</strong>s Katastrophenvorsorge im<br />

Interview<br />

Das <strong>DKKV</strong> ist die nationale Plattform für Katastrophenvorsorge in Deutschland, in dem sich<br />

Experten aus der Wissenschaft und Praxis für eine stetige Verbesserung der Katastrophenvorsorge<br />

einsetzen. Im folgenden Interview geben die Fachleute des <strong>DKKV</strong> Auskunft zu Fragen rund um das<br />

Hochwasser in Deutschland.<br />

<strong>DKKV</strong> Experten im Interview:<br />

Andreas Becker, Leiter des Weltzentrums für Niederschlagsklimatologie im Deutschen<br />

Wetterdienst (DWD).<br />

Dirk Kamm, Leiter des Deutschen Roten Kreuz (DRK)-Katastrophenmanagements<br />

Artur Kubik, Referent für Naturgefahren und ZÜRS (Zonierungssystem für Überschwemmung,<br />

Rückstau und Starkregen). Seit 2007 ist der Geograph beim GDV und<br />

hat bereits mehrere Studien zu Extremwetterereignissen begleitet.<br />

Gerold Reichenbach MdB, ist u.a. Mitglied im Innenausschuss und hier zuständiger<br />

Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für den Katastrophen- und Bevölkerungsschutz.<br />

Er ist aktiver Helfer beim THW und verfügt über vielfältige Einsatzerfahrung<br />

im In- und Ausland. Seit 2011 ist er Vorsitzender des <strong>DKKV</strong>.<br />

Annegret Thieken, Dr. Annegret Thieken ist Professorin für Geographie und<br />

Naturrisikenforschung an der Universität Potsdam. Seit März <strong>2013</strong> ist sie Vorsitzende<br />

des wissenschaftlichen Beirats des <strong>DKKV</strong>.<br />

Heiko Werner, Referatsleiter E 1 - Grundsatz in der Abteilung Einsatz der Technischen<br />

Hilfswerk (THW)-Leitung<br />

1. Worin liegen die Ursachen, dass die Flüsse so massiv über die Ufer treten?<br />

Andreas Becker: Der Hauptteil der Niederschläge fiel am 30. Und 31. Mai sowie am 1. und 2. <strong>Juni</strong>.<br />

Aus den Informationen seines Niederschlagsbeobachtungssystems hat der DWD nun berechnen<br />

können, welche Mengen an Wasser an diesen vier Tagen vom Himmel fielen. Deutschlandweit waren<br />

das insgesamt 22,75 Kubikkilometer (22.750.000.000.000 Liter), was etwa die Hälfte des<br />

Gesamtinhalts des Bodensees entspricht. Davon fielen auf Bayern 8,28 Kubikkilometer auf Sachsen<br />

2,50, Thüringen 1,43 und Hessen 1,22 Kubikkilometer. Erschwerend kam hinzu, dass durch die<br />

zahlreichen Niederschläge im Mai in vielen Regionen die Böden bereits mit Wasser gesättigt waren.<br />

So floss viel Wasser oberirdisch ab und ließ kleine Bäche und Flüsse sehr schnell anschwellen. Ein<br />

weiterer Faktor im Süden war die zeitgleiche Schneeschmelze in den Alpen, wo in höheren Lagen, vor<br />

allem auch in Österreich, noch reichlich Schnee lag. Dies erklärt insgesamt die hohen Pegel des Inn<br />

und später dann die an der Donau. Die heftigen Niederschläge in Österreich, Tschechien und Polen<br />

trugen also durch die Zuführung der Wassermassen nach Deutschland zur dortigen<br />

Hochwassersituation ebenfalls bei.


Annegret Thieken: Die Lage in Passau hätte noch schlimmer kommen können, im Einzugsgebiet des<br />

Inn sind ein Teil der Niederschläge zunächst als Schnee gefallen und daher nicht direkt abgeflossen,<br />

sondern mit einer zeitlichen Verzögerung. Damit haben sich die Zuflüsse über einen größeren<br />

Zeitraum verteilt, was sich mindernd auf die Pegel ausgewirkt hat. Daher hätte die ohnehin<br />

katastrophale Flut für Passau auch noch schlimmer ausfallen können.<br />

Artur Kubik: Darüber hinaus wurde die Hochwassersituation auch verschärft durch Bausünden der<br />

Vergangenheit, durch Flussbegradigungen und flächenhafte Versiegelung der Landoberflächen, die<br />

den Abfluss beschleunigen und verstärken. Gegenüber der Situation in 2002 führen nun viele Flüsse<br />

gleichzeitig Hochwasser, so dass nicht nur die Donau und die Elbe betroffen sind. Zugleich bleibt die<br />

Lage an den Unterläufen der großen Flüsse angespannt bis unberechenbar, denn dort sammelt sich<br />

das Hochwasser der Nebenflüsse.<br />

2. Es ist wieder die Rede vom Jahrhunderthochwasser, obwohl das letzte sogenannte Jahrhunderthochwasser<br />

erst 10 Jahre her ist. Muss Deutschland zukünftig mit einer Häufung derartiger<br />

extremer Naturereignisse rechnen?<br />

Artur Kubik: Der Begriff „Jahrhunderthochwasser“ wird überstrapaziert und ist ein<br />

Medienphänomen um die Medienresonanz zu steigern. In welchen zeitlichen Abständen extreme<br />

Hochwasserstände erreicht werden, das kann an einzelnen Pegeln entlang der Flüsse bestimmt<br />

werden – und zwar mit extremwertstatistischen Methoden. Da kann die Situation von Pegel zu Pegel<br />

an einem Fluss anders aussehen, am Oberlauf haben wir ein 10 jährliches Hochwasser, am Unterlauf<br />

200 jährliches Hochwasser. Hier ist also Vorsicht geboten bei der Verwendung des Begriffs.<br />

Auch sagt das „Jahrhunderthochwasser“ nichts darüber aus, in welchen zeitlichen Abständen es<br />

eintritt, sondern lediglich dass es mindestens einmal in 100 Jahren auftreten kann – aber auch<br />

häufiger. Die gängige Meinung ist häufig, dass ein Jahrhunderthochwasser nur 1 Mal in 100 Jahren<br />

auftritt und sie ist falsch.<br />

Deshalb hat der GDV auch eine Studie zur Auswirkungen des Klimawandels auf die Schadensituation<br />

in Deutschland erstellt. (http://www.gdv.de/2011/05/der-klimawandel-veraendert-deutschlandextreme-stuerme-werden-haeufiger-schaeden-durch-ueberschwemmungen-nehmen-zu-2/)<br />

Darin<br />

wird aufgezeigt, dass künftig mit häufigeren extremen Hochwässern zu rechnen ist. Hochwasser, die<br />

heute rein im statistischen Mittel eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 50 Jahren haben, könnten bis<br />

Ende 2100 alle 15-25 Jahre eintreten. Andere wissenschaftliche Studien bestätigen unsere<br />

Ergebnisse.<br />

Andreas Becker: Mit Hilfe von statistischen Verfahren ist der DWD in der Lage, aus den<br />

Niederschlagsaufzeichnungen einzelner Orte sog. Wiederkehrzeiten zu berechnen. Das sind<br />

Zeiträume, in denen im Mittel nur ein solcher Niederschlagsfall zu erwarten ist. Für Aschau und<br />

Kreuth in Bayern, Burladingen in Baden-Württemberg und Stützengrün in Sachsen ergeben sich<br />

hinsichtlich der in 90 Stunden gefallenen Niederschlagssumme beispielsweise Wiederkehrzeiten von<br />

100 Jahren, also ‚Jahrhundertniederschläge‘. Es stellt sich natürlich die Frage, ob die<br />

Berechnungsgrundlage solcher Wiederkehrzeiten angesichts des Wandels unseres Klimas noch<br />

stimmt. Allerdings gibt es einen Trend zu mehr Ereignissen mit Tagesniederschlägen von mehr als 30<br />

l/m² - vor allem im Winter. Für eine Zunahme spricht weiter die globale Erwärmung, die auch einen<br />

zunehmenden Wasserdampfgehalt der Atmosphäre bedeuten würde. Eine Großwetterlage des Typs<br />

„Tief Mitteleuropa (Tm)“ bringt für gewöhnlich zahlreiche Niederschläge, insbesondere wenn diese<br />

wie diesmal in Verbindung mit einem Tief in der Höhe steht und die Situation über Tage anhält.<br />

Jüngste Klimaanalysen und Projektionen zeigen, dem DWD zufolge, eine Tendenz zur Zunahme von


zentral über Mitteleuropa liegenden, feuchten Tiefdruckgebieten. Die mittlere jährliche Anzahl steigt<br />

demzufolge von 1951 bis zum Ende des Jahrhunderts um 20%.<br />

Annegret Thieken: Allerdings kann man erst nach der Auswertung längerer Zeitreihen sagen, ob ein<br />

Trend zu vormehrten Situationen mit extremem Hochwasser vorliegt oder ob nur eine<br />

ungewöhnliche Häufung von extremenEreignissen aufgetreten ist. Nichtsdestotrotz sollte man auf<br />

extreme Ereignisse vorbereitet sein.<br />

3. Wie hat die Frühwarnung bei diesem Hochwasser funktioniert, wie früh kann vor solchen<br />

Hochwassern gewarnt werden?<br />

Andreas Becker: Die heftigen Regenfälle der zeitweise ortsfesten Tiefdruckgebiete „Dominik“ und<br />

„Frederik“ kamen nicht unerwartet, Öffentlichkeit, Medien und Einrichtungen des<br />

Katastrophenschutzes waren vorgewarnt.<br />

Artur Kubik: Vor langanhaltenden Niederschlägen und allmählich steigenden Pegeln wie diesen kann<br />

Tage im Voraus gewarnt werden. Diese Warnungen des DWD und der Hochwasserzentralen<br />

funktionieren gut. Die Situation ist anders bei Starkregen und Sturzfluten, hier kann immer wieder<br />

nicht rechtzeitig gewarnt werden.<br />

Heiko Werner: Das THW hat sich an den Prognosen und Warnungen des DWD und anderer<br />

Wetterdienste orientiert und war so ausreichend vorgewarnt.<br />

4. Es heißt „aus Katastrophen lernen“- inwiefern trifft dies auf das gegenwärtige Hochwasserereignis<br />

im Hinblick auf das Jahrhunderthochwasser 2002 zu? Welche konkreten Maßnahmen<br />

wurden nach 2002 umgesetzt und wie wirken sich diese Maßnahmen bei der Flutkatastrophe<br />

<strong>2013</strong> aus?<br />

Annegret Thieken: Nach dem Ereignis im August 2002 wurden von Seiten der Politik verschiedene<br />

Programme initiiert, die die Hochwasservorsorge in Deutschland und Europa verbessern sollten. Zu<br />

nennen sind hier zum Beispiel das Artikelgesetz zur Verbesserung des vorbeugenden<br />

Hochwasserschutzes, das u.a. Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz, im Baugesetzbuch, im Gesetz<br />

für den deutschen Wetterdienst und im Raumordnungsgesetz nach sich zog, die europäische<br />

Hochwassermanagement-Richtlinie, Hochwasseraktionspläne der Flussgebietskommissionen sowie<br />

verschiedene Landesinvestitionsprogramme für den Hochwasserschutz. Allein in Sachsen wurden 47<br />

Hochwasserschutzkonzepte für die Gewässer 1. Ordnung mit insgesamt 1.600<br />

Maßnahmenvorschlägen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes erarbeitet. Vielerorts sind die<br />

Maßnahmen schon umgesetzt, wie beispielsweise in Dresden oder Hitzacker, und werden beim<br />

aktuellen Hochwasser sicher Überflutungen und Schäden reduzieren. Andernorts, wie z.B. in Grimma,<br />

sind sie noch nicht vollständig umgesetzt, was ein ähnliches Schadensausmaß wie 2002 zur Folge<br />

haben kann.<br />

Nach dem Ereignis 2002 sowie letztes Jahr haben wir übrigens jeweils mehr als 900 Privathaushalte<br />

nach Hochwasserschäden und Vorsorge befragt. Diese Daten zeigen klar, dass auch Privathaushalte<br />

nach dem Ereignis 2002 mehr vorgesorgt haben und somit aus dem Ereignis von 2002 gelernt haben.<br />

Daher erwarte ich trotz einer ähnlichen Ereignisstärke insgesamt weniger Schäden als 2002.<br />

Allerdings könnten gerade die Gemeinden, die am Unterlauf der Elbe liegen, stärker betroffen sein<br />

als 2002 oder 2006, da die Oberlieger nun besser gewappnet sind. Hier sind eine detaillierte Analyse<br />

und ein Vergleich der Ereignisse von 2002 und heute von Nöten.


Artur Kubik: Die Katastrophe ist noch nicht vorbei, in etlichen Orten steht sie noch bevor, daher ist<br />

das Ausmaß der Schäden noch nicht abschließend zu überblicken. Etliche Hochwassermaßnahmen<br />

wurden nach dem Augusthochwasser 2002 umgesetzt, und es zeigt sich, dass die Bevölkerung von<br />

diesen Maßnahmen nun profitiert. Wir haben den Eindruck, dass sich die teuren Investitionen in den<br />

Hochwasserschutz gelohnt haben. Das Beispiel Grimma zeigt aber auch, dass<br />

Planfeststellungsverfahren für Hochwasserschutzmaßnahmen sich sehr in die Länge ziehen können,<br />

bzw. von Bürgerinitiativen so verzögert werden können, dass die Umsetzung dieser Maßnahmen<br />

nicht oder zu spät stattfindet und das nachfolgende Hochwasser erneut enorme Schäden verursacht.<br />

Hier müsste ggf. überlegt werden, ob nicht Schutz der Bevölkerung und des Eigentums nicht eine<br />

sehr hohe Priorität, höher als die der anderen Interessen wie zum Bespiel des Denkmalschutzes<br />

haben sollte. Zugleich sollte geprüft werden, ob Planfeststellungsverfahren nicht beschleunigt<br />

werden könnten und die Möglichkeiten Einspruch zu erheben reduziert werden sollten.<br />

5. Was können die Menschen, was können die Städte und Gemeinden tun, um sich besser auf<br />

derartige Ereignisse vorzubereiten?<br />

Annegret Thieken: Die sicherste Strategie, Hochwasserschäden zu vermeiden, besteht darin,<br />

hochwassergefährdete Gebiete zu meiden, d. h. dort gar nicht erst zu bauen. Hier sind Städte und<br />

Gemeinden bei der Ausweisung von Baugebieten in der Pflicht! Aber auch in bereits bestehenden<br />

Siedlungen kann der Schaden reduziert werden. Es gibt verschiedene Maßnahmen, die Bürger und<br />

Bürgerinnen selbst ergreifen können. Dazu gehören ein Kellerverzicht oder eine minderwertige<br />

Nutzung von hochwassergefährdeten Stockwerken, Abdichtung von Gebäuden, mobile<br />

Schutzelemente für Fenster und Türen, Rückstausicherungen oder Verwendung wasserresistenter<br />

Baumaterialien und Pumpen sowie eine Hochwassersicherung für den Heizöltank. Für den Ereignisfall<br />

selbst sollte man einen Plan erstellen mit Dingen, die zu tun sind, welche Dokumente mitgenommen<br />

werden müssen, was man in höherer Stockwerke bringen muss, wo man ggf. zwischenzeitlich<br />

wohnen kann. Wenn es trotz aller Schutzmaßnahmen zu Schäden kommt, hilft eine so genannte<br />

Elementarschadenzusatzversicherung, finanzielle Folgen abzumildern. Unsere Untersuchungen<br />

zeigen übrigens, dass viele Versicherungen private Schutzmaßnahmen heute stärker belohnen als<br />

noch vor zehn Jahren. Seit Mai 2005 heißt es im Wasserhaushaltsgesetz (§ 31a, Absatz 2): „Jede<br />

Person, die durch Hochwasser betroffen sein kann, ist im Rahmen des ihr Möglichen und<br />

Zumutbaren verpflichtet, geeignete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor Hochwassergefahren und<br />

zur Schadensminderung zu treffen, insbesondere die Nutzung von Grundstücken den möglichen<br />

Gefährdungen von Mensch, Umwelt oder Sachwerten durch Hochwasser anzupassen.“ Damit sind<br />

auch potentiell betroffene Bürger und Bürgerinnen zu privater Vorsorge verpflichtet.<br />

Gerold Reichenbach: Das Wichtigste ist, in der eigenen Planung und in der Bevölkerung das<br />

Bewusstsein des Risikos zu schärfen und aufrecht zu erhalten. Fehlendes Risikobewusstsein ist eine<br />

zentrale Ursache künftiger Schäden. Das beginnt bei nicht an das Hochwasser angepasstem Bauen<br />

oder Renovieren und endet bei der oft fehlenden Akzeptanz gegenüber<br />

Hochwasserschutzmaßnahmen.<br />

Artur Kubik: Die Gemeinden sollten vor allem für eine verbesserte Kommunikation sorgen. Es reicht<br />

nicht zu sagen, dass in Stadt XY Pegel XY erreicht wird, denn im Zweifel können viele Menschen damit<br />

nichts anfangen. Es muss klar kommuniziert werden, dass ab einem Pegel von z.B. 10 m die ganze<br />

Altstadt in Passau unter Wasser steht. Die Kommunikation muss weniger technisch, dafür für alle<br />

verständlich gemacht werden. Außerdem muss der Hochwasserschutz flexibler und bessert gestaltet


werden indem Nutzungskonflikte wie z.B. zwischen Hochwasserschutz und Landwirtschaft oder<br />

Hochwasserschutz und Trinkwasserversorgung intelligent gelöst werden.<br />

Letztlich bilden auch Bauverbote in hochwassergefährdeten Gebieten sowohl in amtlich<br />

festgesetzten Überschwemmungsgebieten, als auch in hochwassergefährdeten Gebieten<br />

(Hochwassergefahrenkarten) einen wichtigen Schutz, da das Risiko minimiert wird. In<br />

Ausnahmefällen sollte über Enteignungen nachgedacht werden, um mehr Raum für die Flüsse und<br />

Hochwasser zu schaffen. Nicht immer ist baulicher und technischer Hochwasserschutz möglich und<br />

sinnvoll, nicht immer die beste Lösung und oft teuer.<br />

6. Mit welchen Schwierigkeiten haben die Einsatzkräfte und die Bevölkerung derzeit zu kämpfen?<br />

Was brauchen die Menschen derzeit am Nötigsten und wie gehen die Helfer vor.<br />

Dirk Kamm: 3.600 Kräfte sind rund um die Uhr im Einsatz. In Dresden und dem sächsischen Umland<br />

wurden mit Unterstützung des DRK 15.000 Menschen evakuiert und in Notunterkünften versorgt, in<br />

Halle 30.000. DRK-Luftretter holen Menschen von Dächern und Balkons. 3.000 Feldbetten wurden in<br />

die am stärksten betroffenen Regionen geschickt. Fünf Trinkwasseraufbereitungsanlagen mit einer<br />

Kapazität von 30.000 Litern pro Stunde stehen auf Abruf bereit. Im bayerischen Deggendorf sind viele<br />

Menschen von den Wassermassen eingeschlossen – und werden von Luftrettern der Wasserwacht<br />

von Dächern und Balkons gerettet. In Dresden wurde heute mit Unterstützung des DRK mehrere<br />

Straßenzüge evakuiert – und die Menschen in Notunterkünften untergebracht. Für die mögliche<br />

Evakuierung von drei Krankenhäusern in Dresden steht Unterstützung aus Thüringen und<br />

Brandenburg zur Verfügung. Die Hilfsbereitschaft der Menschen ist beachtlich. Seit dem<br />

Wochenende rufen uns Hunderte von Menschen an, um ihre Unterstützung anzubieten. Private<br />

Sachspenden können wir aus logistischen Gründen leider nicht annehmen. Wir brauchen Spenden,<br />

um Feldbetten, Hygienepakete und Gebäudetrockner bereitzustellen.<br />

Heiko Werner: Bei solch einem Ereignis sind die Schwierigkeiten unübersehbar vielfältig.<br />

Im Rahmen der lang- und kurzfristigen Einsatzvorbereitung versuchen alle Ebenen des<br />

Bevölkerungsschutzes vorhersehbaren Schwierigkeiten in vielerlei Weise vorzubeugen. Vor Ort<br />

helfen oft nur Improvisation und der gute Wille aller Beteiligten.<br />

Auch die Nöte der Betroffenen sind komplex. Oftmals führt die persönliche Vorsorge derer, die in<br />

gefährdeten Bereichen wohnen und arbeiten zu einer deutlichen Minimierung der Probleme.<br />

Die Einsatzkräfte stellen durch Erkundung und Lagefeststellung die Schwerpunkte und Zeitrelevanz<br />

für Rettungs- und Hilfsmaßnahmen fest, teilen die verfügbaren Kräfte ein und handeln dem<br />

entsprechend.<br />

Artur Kubik: Vereinzelt gab Beschwerden der Katastrophenschützer über Gaffer und<br />

Katastrophentouristen, die teilweise den Einsatz der Rettungskräfte behinderten und für die<br />

Betroffenen die ohnehin schon schwierige Situation nicht erleichterten.<br />

7. Welche Lehren können aus den Ereignissen bereits jetzt gezogen werden?<br />

Annegret Thieken: Das Ereignis zeigt sicherlich, dass es einen 100-prozentigen Schutz vor<br />

Hochwasser nicht gibt. Die Frage ist, ob unsere Gesellschaft dies wirklich akzeptieren kann oder<br />

eigentlich doch einen besseren Schutz vor Hochwasser erwartet. Es zeigt allerdings auch, dass die<br />

Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, mancherorts zu<br />

viel.<br />

Gerold Reichenbach: Wir haben kein Erkenntnisdefizit, wir haben ein Umsetzungsdefizit. Nach der<br />

Flut von 2002 aber auch schon davor, etwa nach den Hochwasserereignissen in Köln oder an der


Oder gab es vielfältige Untersuchungen über Ursachen, Risiken und Schutz- bzw.<br />

Schadensreduzierungsmöglichkeiten. Das DDKV hat nach der Flut von 2002 eine umfangreiche Studie<br />

dazu vorgelegt. Wir müssen uns jetzt fragen, warum Vieles nicht oder nur schleppend umgesetzt<br />

wurde. Ich bin heute der Auffassung, es reicht nicht aus, technische und ökologische und<br />

raumplanerische Maßnahmen zum Hochwasserschutz zu untersuchen, wir müssen auch die die<br />

sozialen, die gesellschaftlichen und politischen Umsetzungsbedingungen untersuchen und hier zu<br />

Handlungsempfehlungen kommen.<br />

Artur Kubik: Das Hochwasser zeigt wiederholt, dass Elementarversicherungsschutz wichtig ist. 99%<br />

der Gebäude in Deutschland können problemlos Versicherungsschutz bekommen, für die restlichen<br />

Risiken können häufig individuelle Versicherungslösungen gefunden werden.<br />

Das Beispiel Grimma zeigt was im Zweifel gelten sollte: Hochwasserschutz vor Denkmalschutz;<br />

Information, Risikobewusstsein, Risikovorsorge vor Datenschutz.<br />

Heiko Werner: Die für den Schutz der Bevölkerung zuständigen Stellen hätten frühzeitiger<br />

Hilfspotenziale definieren, anfordern und in Bereitstellung versetzen sollen.<br />

8. Welche Rolle bei der Information der Bevölkerung und der Koordination der Hilfe hat das Internet<br />

und soziale Netzwerke wie etwa „Facebook“ gespielt?<br />

Artur Kubik: Freiwillige Helfer und Katastrophenschutz scheinen sich verstärkt über das Internet zu<br />

organisieren. Soziale Netzwerke spielen vermutlich eine zu geringe Rolle. Facebook und Social Media<br />

werden überwiegend von der jüngeren Bevölkerung genutzt. Ältere Menschen nutzen diese<br />

Möglichkeiten kaum. Zudem sind Angebote der öffentlichen Hand wie Hochwasserzentrale oder<br />

Pegelonline nur bedingt Social Media tauglich oder verlinkt.<br />

Dennoch warnen und informieren Hochschulen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern über die<br />

sozialen Netzwerke: Die Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg sucht über Facebook freiwillige<br />

Helfer. Die Hochschule Magdeburg-Stendal kündigt die Räumung der Keller an - und verweist im<br />

Krisenfall auf die Kommunikation über das soziale Netzwerk.<br />

9. Wie lange werden die Einsatzkräfte noch im Einsatz sein.<br />

Heiko Werner: Voraussichtlich noch mindestens bis Mitte <strong>Juni</strong> <strong>2013</strong>, da zum Aufgabenbereich auch<br />

die Wiederherstellung wichtiger Infrastruktureinrichtungen zählt.<br />

Artur Kubik: Allerdings ist die Dauer des Einsatzes auch schwer absehbar. Denn während an den<br />

Oberläufen der Flüsse und im Süden (Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen) bereits die<br />

Aufräumarbeiten begonnen haben und vereinzelt abgeschlossen werden, steigen an einigen Orten<br />

(an den Mittel- und Unterläufen der Flüsse in Sachsen, Brandenburg und Niedersachsen) die Pegel<br />

noch, etliche Regionen erwarten noch die Scheitelwelle.<br />

10. Welche Aufgaben kommen auf den Gemeinden in den nächsten Wochen zu?<br />

Heiko Werner: Aufräumarbeiten, Wiederherstellung von beschädigten Infrastruktur, wie Straßen<br />

oder Brücken, Instandsetzung von Hochwasserschutzbauten und Einsatzgerätschaften des THW.<br />

Artur Kubik: Daneben spielt sicher auch die Psychosoziale Betreuung der Betroffenen z. B. durch<br />

Seelsorger für die nächsten Wochen eine wichtige Rolle.


11. Welche Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge müssen mittel- und langfristig umgesetzt<br />

werden, um das Risiko besser einschätzen zu können, besser vorbereitet zu sein und um die<br />

Auswirkungen von extremen Niederschlägen abzumildern.<br />

Annegret Thieken: Meines Erachtens haben wir bereits viele gute Gesetze, Richtlinien, Pläne,<br />

Technologien und Initiativen. Wir müssen sie nur noch konsequenter umsetzen, aber auch verstehen,<br />

woran die praktische Umsetzung scheitert oder scheitern kann, um auf ganzer Linie erfolgreich zu<br />

sein.<br />

Artur Kubik: Schärfung des Risikobewusstseins: Die deutsche Versicherungswirtschaft ist in<br />

Vorleistung getreten und hat mit ZÜRS public (http://www.zuers-public.de) in Zusammenarbeit mit<br />

zwei Bundesländern (Niedersachsen und Sachsen) gezeigt, dass es möglich ist eine öffentliche,<br />

bundeslandübergreifende Plattform für Naturgefahren ins Leben zu rufen. Weitere Länder haben<br />

inzwischen ihr Interesse an ZÜRS public bekundet, so Bayern und Rheinland-Pfalz, aber auch einige<br />

der Küstenländer. Mit ZÜRS public sind viele Schritte für eine deutschlandweite<br />

Naturgefahrenplattform schon geleistet.<br />

Insgesamt sollte eine bessere Risikovorsorge getroffen werden. Hier kann jeder selbst vorsorgen und<br />

eine Elementarschadenversicherung abschließen. Denn in Deutschland kann sich nahezu jeder<br />

problemlos gegen Hochwasser versichern, tatsächlich sind es aber nur ca. 30%. Lediglich etwa 1% der<br />

Hausbesitzer wohnt so nah an Flüssen und sind so häufig betroffen, dass individuelle Lösungen<br />

gefunden werden müssen. Und manchmal sind auch solche nicht möglich. Für eine bessere und<br />

flächendeckende Risikovorsorge finden derzeit in fünf Bundesländern Elementarschadenkampagnen<br />

statt, vier davon sind stark vom aktuellen Hochwasser betroffen: Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt<br />

und Niedersachsen. Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, um Auswirkungen vom extremen<br />

Niederschlag abzumildern: Regenwasser möglichst versickern, Flächen entsiegeln,<br />

Oberflächenabfluss mindern, mehr Rückhalt in der Fläche schaffen, Flüssen mehr Raum geben<br />

Das <strong>DKKV</strong>, gegründet vor mehr als 20 Jahren, ist die nationale Plattform zur Katastrophenvorsorge in<br />

Deutschland und Mittler zu internationalen, auf dem Gebiet der Katastrophenvorsorge tätigen<br />

Organisationen und Initiativen. Das <strong>DKKV</strong> unterstützt fachübergreifende Forschungsansätze zur<br />

Katastrophenvorsorge in anderen Fachsektoren sowie in Politik und Wirtschaft und fördert die Verbreitung<br />

der Erkenntnisse der Katastrophenvorsorge auf allen Ebenen des Bildungsbereichs.<br />

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.<br />

Axel Rottländer<br />

Geschäftsführer <strong>DKKV</strong><br />

Tel. +49 228 619 1942<br />

Mobil +49 162 909 70 40<br />

E-Mail: rottlaender@dkkv.org<br />

<strong>Deutsches</strong> <strong>Komitee</strong> Katastrophenvorsorge, Friedrich-Ebert-Allee 38, 53113 Bonn<br />

Tel. +49 228 619 1942, Fax. +49 228 619 1953, e-mail: info@dkkv.org

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