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Lebhafte Sprache - Die Deutsche Bühne

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SCHWERPUNKT<br />

▲<br />

35<br />

oder weniger kauzig-kuriosen anderen<br />

Alten zu einer Art Heldenkönig des<br />

Volkstheaters. Gespielt wird er von Joachim<br />

Bliese.<br />

Wie bitte? Joachim Bliese, eine der<br />

Seelen des alten Berliner Schillertheaters?<br />

Der sich nach dessen Ende unter<br />

anderem am Neumarkt in Zürich bewährte<br />

oder (immer wieder mit Arthur<br />

Millers Texten und Rollen) in Bonn<br />

und in Wiesbaden? Der spielt jetzt auf<br />

der Schweriner Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong>? Ja,<br />

sagt er nach der Vorstellung im Theater-Cafe,<br />

und gern spiele er hier; wie<br />

übrigens überhaupt überall auf der<br />

Welt, wo ihm ein schöner Text zur Verfügung<br />

stehe. Bliese stammt aus Kiel<br />

und hatte vor kurzem erstmals ein Angebot<br />

des Ohnsorg-Theaters in Hamburg<br />

angenommen. Und da Rolf Petersen,<br />

zuvor Schauspieler und Leiter des<br />

Künstlerischen Betriebsbüros ebenda,<br />

jetzt Direktor der Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong><br />

ist, war der Kontakt schnell hergestellt.<br />

Nach dem Wirt im „Goldenen<br />

Anker“ hatte Bliese Ende Januar schon<br />

wieder Schweriner Premiere – als „alter<br />

Mann, der sich nicht fügen will” in<br />

Adelheid Müthers Inszenierung von<br />

Bob Larbeys Komödie „All wedder<br />

Sünndag”.<br />

Bliese ist natürlich kein native speaker<br />

mehr im Niederdeutschen, er hat sich<br />

die Zweitsprache der Kinderzeit wieder<br />

aneignen müssen. Und für die meisten<br />

im Ensemble der Schweriner <strong>Bühne</strong> ist<br />

<strong>Bühne</strong>nsprache <strong>Bühne</strong>nsprache: <strong>Sprache</strong>,<br />

für die <strong>Bühne</strong> neu gelernt. Eine<br />

weitere Stütze der Schweriner Ensemble-Gesellschaft<br />

stammt aus Thüringen.<br />

<strong>Die</strong> Vorstellung, dass das Theater<br />

von Niederdeutsch als Alltagssprache<br />

beherrscht werde, führt inzwischen<br />

konsequent zurück ins Ghetto der Liebhaber-<br />

und Laien-Ensembles. Brümmer<br />

plädiert für den umgekehrten Weg:<br />

Mit durchaus manchmal auch „gemischtem<br />

Platt” den generellen Ton<br />

dieser anderen deutschen <strong>Sprache</strong> lebendig<br />

zu erhalten, weil es mit ihm oft<br />

heiterer, direkter, unbeschwerter zur<br />

Sache gehen kann. Düsterer und trauriger<br />

übrigens auch.<br />

Vor allem aber ulkig – wie beim<br />

„Glücksspael in t’Pastorenhus”. Das ist<br />

eine herzlich alberne Farce um ein<br />

ziemlich verrücktes Pfarrhaus, in dem<br />

der Teufel in Gestalt des guten alten<br />

Fußball-Toto-Wettscheins Einzug zu<br />

halten droht. Heute heißt derlei ja<br />

„Oddset” und führt bekanntlich zu<br />

fortgeschrittener Wett-Kriminalität –<br />

das „Glücksspäl”des englischen Autors<br />

Philip King ist in den 60er Jahren zu<br />

Hause,was selbst Nicht-Kenner mühelos<br />

an den auf dem Tippschein verzeichneten<br />

Fußballclubs bemerken<br />

müssen. Sperber Hamburg! Gibt's die<br />

überhaupt noch? Ansonsten werden<br />

in diesem Stück nackte Gips-Madonnen<br />

züchtig verhüllt, eine mannstolle<br />

Nachbarin auf Pastoren-Jagd erscheint<br />

behelmt als Chefin der örtlichen Feuerwehr,<br />

und Pastoren in langen Unterhosen<br />

verschwinden im Schrank:<br />

blanker Boulevard. „Politik un Aantenschiet”,<br />

eine ähnlich temperierte Farce<br />

um lokalen Polit-Streit, der in der<br />

Komödie von Walter Pfaus nach alter<br />

dörflicher Sitte noch schön derb und<br />

deftig, und vor allem: handgreiflich<br />

ausgetragen wird, blaue Augen inklusive,<br />

ist durchaus gegenwärtiger.<br />

Das war die erste neue Produktion der<br />

laufenden Saison;vier werden es bis zu<br />

deren Ende. Mit einer Musical-Fassung<br />

des Hans-Albers-Films „Große Freiheit<br />

Nr. 7” will die Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong> dann<br />

zur ersten Deutschland-Tournee aufbrechen.<br />

Bislang reist das Ensemble<br />

nur durch den Norden der Republik:<br />

von Sehnde bei Hannover über Papenburg<br />

im Emsland bis Zinnowitz auf der<br />

Insel Usedom. Ganz auf sich gestellt,<br />

könnte sich das kleine Schweriner<br />

Theater diesen Reisebetrieb nicht leisten,<br />

und schon gar nicht hätte es vor<br />

kurzem den plattdeutschen „Faust”<br />

bis nach Flensburg schicken können.<br />

Aber es ist ja seit der Gründung im Jahre<br />

1926 Spiel-Sparte des jeweiligen<br />

Schweriner Staatstheaters. Im gegenwärtigen<br />

Hausherrn Joachim Kümmritz,<br />

bedacht vor allem auf die Außenwirkung<br />

des Theaters auch über<br />

Schwerin hinaus, hat die Fritz-Reuter-<br />

<strong>Bühne</strong> nach Ansicht des Dramaturgen<br />

Brümmer einen Förderer mit viel Rückgrat.<br />

Das war auch mal anders.<br />

Aus den Trümmern aufgebaut nach<br />

1945, war das Theater fast schon aufgelöst<br />

in den 6oer Jahren, auch weil<br />

sich die Kulturpolitik der DDR nie recht<br />

entscheiden konnte, ob niederdeutsches<br />

Volkstheater nun eher nah an<br />

der Bevölkerung agierte (und also förderungswürdig<br />

war) oder eher reaktionär<br />

im kleinbürgerlichen Sinne. <strong>Die</strong><br />

meisten Autoren-Rechte lagen zudem<br />

im Westen – auch daher rührt der<br />

Hang zum niederdeutsch bearbeiteten<br />

Klassiker, der bekanntlich nichts<br />

kostet. Zeitweilig waren die Mitglieder<br />

der Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong> nurmehr Edel-<br />

Statisten des Staatstheaters. Und<br />

nach einem Boom in den 70er und<br />

80er Jahren brach die Wende der <strong>Bühne</strong><br />

noch einmal fast das Genick. Ein<br />

großer Teil der Gastspiel-<strong>Bühne</strong>n<br />

musste dichtmachen, neue Partner<br />

waren erst langsam wieder zu akquirieren.<br />

In dieser Spielzeit aber kann das<br />

kleine Ensemble schon wieder 70 Mal<br />

auf Reisen gehen.<br />

Was Theater dieser Art für jedermann<br />

bedeutet? Das ist eine Frage des Horizonts.<br />

Und des Alters. Brümmer, dem<br />

Stavenhagener, kommen natürlich die<br />

stromsparbedingten „Schummerstunden”<br />

aus frühen DDR-Jahren in Erinnerung;<br />

mit Oma am Ofen, die noch „den<br />

halben Reuter auswendig”kannte. Gut<br />

50 jüngere Autorinnen und Autoren<br />

haben mitgemacht beim Schreibwettbewerb<br />

von Theater und NDR; dreizehn<br />

von ihnen wurden ausgewählt<br />

für einen Workshop und die Preisträger<br />

Mitte Januar geehrt. Jeder und jede<br />

findet hier und heute einen jeweils<br />

ganz neuen Weg hin zur <strong>Sprache</strong><br />

der Altvorderen – und vielleicht<br />

bleibt sie so eine <strong>Sprache</strong> der Lebenden.<br />

1 I Streitbare<br />

Männer im<br />

Norden: Andreas<br />

Auer als Pastor<br />

Runge und<br />

Norbert Braun als<br />

Bürgermeister<br />

Arthur Ohde<br />

in „Politik un<br />

Aantenschiet“.<br />

2 I Fanny (Stefanie<br />

Fromm) und Vater<br />

(Joachim Bliese)<br />

in „De golden<br />

Anker“ nach<br />

Marcel Pagnol.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 2 I 2007

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