Berlins Top 200 - Beilage der Berliner Morgenpost - Berlin Business ...
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BERLINER MORGENPOST | SONNTAG, 15. SEPTEMBER 2013 POLITIK 7<br />
Firmenmacher Rocket-Internet-Chef Alexan<strong>der</strong> Kudlich im Büro<br />
Neuland für Start-ups<br />
AMIN AKHTAR<br />
Die schnell wachsende Digitalwirtschaft stellt<br />
massiv ein – und entdeckt die Berufsausbildung<br />
man nun offensichtlich bereit sei,<br />
die gegebenen Potenziale auch<br />
konsequent zu nutzen. Erst kürzlich<br />
entschlossen sich zwei <strong>der</strong><br />
wichtigsten <strong><strong>Berlin</strong>er</strong> Akteure, die<br />
Charité und das Max-Delbrück-<br />
Centrum für Molekulare Medizin<br />
(MDC), in Zukunft im Rahmen eines<br />
neu gegründeten <strong>Berlin</strong> Institute<br />
of Health (BIH) noch enger<br />
miteinan<strong>der</strong> zu kooperieren. „Mit<br />
dem BIH hat man die Möglichkeit<br />
geschaffen, den Bund noch aktiver<br />
an <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> im Bundesland<br />
<strong>Berlin</strong> ansässigen Forschungseinrichtungen<br />
zu beteiligen“, sagt<br />
Rong. Das MDC wird zu 90 Prozent<br />
vom Bund finanziert.<br />
Auch Ulrich Scheller, Geschäftsführer<br />
BBB Management GmbH<br />
Campus <strong>Berlin</strong>-Buch, sieht vor allem<br />
in <strong>der</strong> Verknüpfung von<br />
Grundlagenforschung und klinischer<br />
Umsetzung eine große Chance<br />
für <strong>Berlin</strong>. „Durch die Bündelung<br />
grundlagen-, krankheits- und<br />
patientenorientierter Forschung in<br />
wichtigen Bereichen wie Krebso<strong>der</strong><br />
Herz-Kreislauferkrankungen<br />
wird <strong>Berlin</strong> zu einem <strong>der</strong> interessantesten<br />
Standorte für klinische<br />
Studien weltweit.“<br />
Buch gilt als einer <strong>der</strong> wichtigsten<br />
Cluster-Standorte für Biotech-<br />
Unternehmen deutschlandweit.<br />
Die Region blickt auf eine über 100-<br />
jährige Tradition als Standort einer<br />
<strong>der</strong> größten und mo<strong>der</strong>nsten Klinikkomplexe<br />
Europas zurück. Seit<br />
<strong>200</strong>7 ist auch die <strong><strong>Berlin</strong>er</strong> Helios-<br />
Klinik-Gruppe am Standort vertreten.<br />
Mit <strong>der</strong> am Freitag angekündigten<br />
Übernahme von zahlreichen<br />
Rhön-Kliniken ist Helios mit 117<br />
Kliniken <strong>der</strong> größte private Krankenhausbetreiber<br />
in Europa.<br />
Neben Buch gelten auch Adlershof,<br />
Hennigsdorf, Potsdam, Luckenwalde<br />
und Mitte als weitere<br />
wichtige Biotech-Standorte in <strong>der</strong><br />
Region. Beson<strong>der</strong>s innovativ, sagt<br />
Kai U. Bindseil, Clustermanager<br />
HealthCapital und Leiter BioTOP<br />
<strong>Berlin</strong>-Brandenburg, seien die Wissenschaftler<br />
im Bereich <strong>der</strong> sogenannten<br />
„omics-Technologien“ wie<br />
Genomics, Proteomics, Metabolomics,<br />
Glycomics, Epigenomics und<br />
<strong>der</strong>en Verknüpfung durch Bioinformatik<br />
und Systembiologie. „Diese<br />
Forschung und<br />
Entwicklung Eine<br />
Laborantin sichtet<br />
bei Bayer Health-<br />
Care in <strong>Berlin</strong> Gewebepräparate<br />
mit<br />
Tumorproben. Am<br />
<strong><strong>Berlin</strong>er</strong> Standort<br />
konzentriert Bayer<br />
seine Krebsforschung.<br />
4700 Mitarbeiter<br />
beschäftigt<br />
<strong>der</strong> Konzern in <strong>der</strong><br />
Hauptstadt<br />
Technologien erlauben ein molekulares<br />
Verständnis von Krankheiten<br />
und ihrer Entstehung und ebnen<br />
den Weg zur sogenannten Personalisierten<br />
Medizin.“ Ein riesiger Zukunftsmarkt.<br />
„Die Unternehmen forschen und<br />
entwickeln strukturell immer weniger,<br />
als es aus volkswirtschaftlicher<br />
Perspektive optimal wäre“, sagt<br />
Gregor Strauch, Abteilungsleiter<br />
Innovation und Gesundheitswirtschaft<br />
beim BDI. Sobald ein teuer<br />
entwickeltes neues Produkt auf<br />
den Markt komme, könne die Konkurrenz<br />
automatisch daraus lernen.<br />
Dieses Trittbrettfahrer-Problem<br />
hemme viele Unternehmen bei <strong>der</strong><br />
Investition in Forschung und Entwicklung.<br />
Betriebswirtschaftlich sei<br />
das nachvollziehbar, bringe volkswirtschaftlich<br />
gesehen aber Wachstumseinbußen<br />
mit sich. Um dies<br />
auszugleichen, könne man in<br />
Deutschland bislang nur auf die<br />
Projektför<strong>der</strong>ung zurückgreifen.<br />
„Wir sollten F&E auch steuerlich<br />
för<strong>der</strong>n. So wie es auch in den allermeisten<br />
an<strong>der</strong>en OECD-Län<strong>der</strong>n<br />
möglich ist.“<br />
T VON HANS EVERT<br />
Rocket Internet betrat das Neuland<br />
im Jahr 2011. Normalerweise<br />
rekrutiert <strong>der</strong> Inkubator, <strong>der</strong> Internet-Firmen<br />
wie Zalando auf<br />
den Weg gebracht hat, seine Mitarbeiter<br />
bevorzugt bei Elite-Unis<br />
und Unternehmensberatungen.<br />
Im Dezember 2011 fing <strong>der</strong> erste<br />
Lehrling bei Rocket an, ganz so,<br />
wie es die Richtlinien <strong>der</strong> dualen<br />
Ausbildung in Deutschland vorsehen:<br />
mit Berufsschultagen und<br />
Zeiten in <strong>der</strong> Firma. Mittlerweile<br />
gibt es drei junge Menschen, die<br />
zum „Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung“<br />
ausgebildet<br />
werden.<br />
Das Beispiel Rocket steht für<br />
die zaghafte Annäherung <strong>der</strong><br />
schnelllebigen Start-up-Branche<br />
an einen deutschen Klassiker:<br />
<strong>der</strong> dualen Berufsausbildung.<br />
Drei Jahre dauert die Lehrzeit in<br />
deutschen Betrieben gemeinhin.<br />
Das übersteigt häufig Plan- und<br />
Zeithorizont vieler Internetfirmen.<br />
Wenn Finanzierungsrunden<br />
den Bestand des Unternehmens<br />
nur für Monate garantieren,<br />
wer will dann schon eine<br />
Verpflichtung für drei Jahre eingehen?<br />
Wer als Arbeitgeber einen<br />
Ausbildungsvertrag unterschreibt,<br />
geht eine langjährige<br />
Verpflichtung ein. Da zögern<br />
junge Grün<strong>der</strong> aus nachvollziehbaren<br />
Gründen. Dennoch wirkt<br />
die Digitalisierung mit ihren<br />
neuen Geschäftsmodellen und<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen erheblich auf den<br />
Lehrstellenmarkt.<br />
Das fängt schon bei Berufsbezeichnungen<br />
an. Aus dem Traditionsberuf<br />
Drucker wurde <strong>der</strong><br />
„Medientechnologe Druck“, aus<br />
dem Buchbin<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Medientechnologe<br />
Druckvorbereitung“.<br />
Ein Blick in die Hitliste <strong>der</strong> Ausbildungsberufe<br />
verdeutlicht<br />
ebenfalls, dass <strong>der</strong> digitale Wandel<br />
längst im Ausbildungsalltag<br />
angekommen ist. Das größte<br />
Azubi-Kontingent <strong>der</strong> gewerblich-technischen<br />
Berufe stellen<br />
die Fachinformatiker. Der aktuelle<br />
Berufsbildungsbericht <strong>der</strong><br />
<strong><strong>Berlin</strong>er</strong> Industrie- und Handelskammer<br />
(IHK) zählt 868 über alle<br />
Lehrjahre. Erst danach folgen<br />
die Berufe Mechatroniker (792)<br />
und Industriemechaniker (695).<br />
Auf Platz fünf und sechs stehen<br />
mit dem Mediengestalter (313)<br />
und dem IT-Systemelektroniker<br />
(297) ebenfalls zwei klassische<br />
Berufe <strong>der</strong> Start-up- beziehungsweise<br />
Informations- und Kommunikationsbranche<br />
(IKT).<br />
„Diese Rangliste bei den gewerblich-technischen<br />
Berufen ist<br />
schon seit einigen Jahren so“,<br />
sagt Rica Kolbe, die sich bei <strong>der</strong><br />
IHK um die Berufsausbildung im<br />
gewerblich-technischen Bereich<br />
kümmert. Angesichts <strong>der</strong> stetig<br />
steigenden Bedeutung <strong>der</strong> Branche<br />
Information und Kommunikation<br />
könnten sich die Betriebe<br />
beim Thema Berufsausbildung<br />
ruhig ein wenig mehr ins Zeug<br />
legen, meint Kolbe. „Viele Unternehmen<br />
fokussieren sich zu sehr<br />
auf Akademiker“, sagt sie. Genau<br />
weiß niemand, wie viele Mitarbeiter<br />
die <strong><strong>Berlin</strong>er</strong> Digitalwirtschaft<br />
hat. Das liegt auch an <strong>der</strong><br />
Unschärfe des Begriffs. Ein seit<br />
Jahrzehnten etablierter Konzern<br />
wie die Deutsche Telekom mit<br />
ihren 7603 <strong><strong>Berlin</strong>er</strong> Mitarbeitern<br />
zählt ebenso dazu wie <strong>der</strong> Spieleanbieter<br />
Wooga.<br />
Die Arbeitsmarktstatistik fasst<br />
all diese Firmen mit ihren Mitarbeitern<br />
unter dem Siegel „Information<br />
und Kommunikation“<br />
zusammen. Demnach arbeiten in<br />
diesem Bereich 64.979 Menschen<br />
(Stand Dezember 2012) in einem<br />
sozialversicherungspflichtigen<br />
Job. Gemeint ist damit eine Stelle,<br />
für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber<br />
Sozialabgaben in voller<br />
Höhe abführen. Innerhalb eines<br />
Jahres stieg die sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung in<br />
<strong>der</strong> Branche um 6,9 Prozent – so<br />
schnell wie nirgendwo an<strong>der</strong>s.<br />
Schon in <strong>der</strong> Jahresbilanz 2011<br />
ließ sich ähnliches feststellen.<br />
Seinerzeit war <strong>der</strong> Stellenzuwachs<br />
in <strong>der</strong> IT-Branche mit einem<br />
Jahresplus von 8,5 Prozent<br />
ebenfalls <strong>der</strong> höchste aller Wirtschaftsbereiche<br />
<strong>der</strong> Hauptstadt.<br />
In absoluten Zahlen sind seit<br />
<strong>200</strong>8 rund 12.000 Stellen in <strong>der</strong><br />
Branche dazugekommen.<br />
Bei Rocket Internet sind sie<br />
von ihrem Schritt ins Neuland<br />
überzeugt. Und von kulturellen<br />
Differenzen – hier ein international<br />
ausgerichtetes, schnell wachsendes<br />
Unternehmen, dort eine<br />
ehrwürdige Institution – sei<br />
nichts zu spüren. „Wir sprechen<br />
die gleiche Sprache und haben<br />
das gleiche Ziel: ambitionierten<br />
Talenten den Einstieg ins Berufsleben<br />
zu ermöglichen“, sagt<br />
Rocket-Sprecher Andreas Winiarski.