Veränderung als Chance begreifen - infag
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Ausgabe 4<br />
Dezember 2010<br />
<strong>Veränderung</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> <strong>begreifen</strong><br />
Wenn das so einfach wäre! Spontan empfinden wir <strong>Veränderung</strong>en oft <strong>als</strong><br />
Störung, im Leben Einzelner, im Leben der Kirche, von Pfarrgemeinden, Orden<br />
oder eben auch der INFAG. Wenn sich etwas verändert, müssen wir<br />
Stellung nehmen: mitmachen, uns verweigern, anpassen oder selbst etwas<br />
anstoßen?<br />
Das von der Fachstelle Franziskanische Forschung (FFF) veranstaltete Symposium<br />
im Oktober stellte sich diesem Themenfeld. Ausgehend von Fusionen<br />
von Ordensprovinzen wurde ein interdisziplinäres Spektrum an Gedankenanstößen<br />
geboten. Durch alle Aspekte zog sich für mich ein dreifach geflochtener<br />
Faden durch:<br />
Es ist normal, wenn <strong>Veränderung</strong>en auf Schwierigkeiten und Widerstände<br />
stoßen.<br />
Es gibt Erfahrungen mit <strong>Veränderung</strong>en, aus denen wir lernen können.<br />
So viele Fehler man im Verändern machen kann: Stehenbleiben geht gar<br />
nicht.<br />
Sieger Köder: Ausschnitt des<br />
Rosenberger Flügelaltars<br />
weihnacht<br />
dam<strong>als</strong><br />
<strong>als</strong> gott<br />
im schrei der geburt<br />
die gottesbilder zerschlug<br />
und<br />
zwischen marias schenkeln<br />
runzelig rot<br />
das kind lag<br />
Kurt Marti<br />
Beim Symposium war es für mich vor allem die Begegnung mit Fachleuten<br />
aus der Unternehmensberatung, die mich entlasteten. Was wir oft schmerzlich<br />
erleben, ist nicht nur Hausgemachtes aus der Kirchenküche. Auch andere<br />
Institutionen kennen gleiche Dynamiken. Bei <strong>Veränderung</strong>en geht Vertrautes<br />
kaputt. Sicherheiten vergehen, Angst macht sich breit. Trauer will<br />
bewältigt werden. Groll kommt auf, Widerstand regt sich.<br />
Durch das Wissen um die Normalität von Schwierigkeiten bei <strong>Veränderung</strong>en<br />
wächst Gelassenheit. Denn es gibt Erfahrungen, wie vorhersehbare Gefühle<br />
durch Ernst-Nehmen abgefedert werden können. Das gibt den Mut, <strong>Veränderung</strong>en<br />
zu wagen. So schmerzlich sie sein mögen, sie sind eine <strong>Chance</strong>.<br />
Weihnachten, wie es Kurt Marti in seinem aufrüttelnden Gedicht beschreibt,<br />
ist die <strong>Veränderung</strong> schlechthin. Vertrautes wird zerschlagen. Das Neue ist<br />
klein, zerbrechlich und erschreckend normal. Unsicher bleibt unserem ängstlichen<br />
Blick, ob daraus etwas werden kann.<br />
Um Weihnachten annehmen zu können, brauchen wir den Advent mit seiner<br />
franziskanischen Grundhaltung der Buße: Umdenken, Um-Sehen lernen. Mit<br />
Franziskus können wir dann staunend an der Krippe stehen und den immer<br />
kleineren Gott so lange anschauen, bis wir seine zarten Neuanfänge auch in<br />
unserem Alltag entdecken. Mit einem neuen, gott-geschenkten Blick, können<br />
wir samenkorngroße Möglichkeiten entdecken, kinderkleine Lebensverheißungen<br />
und so <strong>Veränderung</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> <strong>begreifen</strong>.<br />
Sr. Katharina Kluitmann OSF, Münster
Seite 2 Ausgabe 4 2010<br />
Neues v om Vorstand und Geschäftsstelle<br />
INFAG-Gesamtvorstand im Aufbruch<br />
Nach der Mitgliederversammlung im September dieses Jahres, die uns alle reich beschenkt hat, haben wir zu<br />
viert - Sr. Magdalena, Br. Stefan, Sr. Marianne und ich - die erste Sitzung des INFAG-Gesamtvorstandes,<br />
die uns vom 02. bis 04. Januar 2011 in Würzburg zusammenführen wird, vorbereitet. Während der konstituierenden<br />
Sitzung des Vorstandes werden wir uns noch einmal intensiv mit der Besetzung der Geschäftsführung<br />
beschäftigen. Erfreulicherweise zeichnet sich diesbezüglich eine gute Lösung ab. Gerade diese Sicherheit<br />
einer möglichen Nachbesetzung ist sehr wichtig, weil wir im Vorstand so die inhaltlichen Schwerpunkte<br />
konkret angehen können. An anderer Stelle wird in diesen Nachrichten auf einige dieser zukünftigen Schwerpunkte<br />
verwiesen.<br />
Nach der zweiten Sitzung des Gesamtvorstandes im Mai 2011 werden wir Sie dann abschließend darüber<br />
informieren können, wer die Aufgabe der Geschäftsführung zum September 2011 übernehmen wird. Außerdem<br />
wollen wir dann ebenfalls aufzeigen, welche organisatorischen <strong>Veränderung</strong>en und inhaltlichen Schwerpunkte<br />
es zukünftig geben wird. Wir Schwestern und Brüder des Vorstandes freuen uns auf die vor uns liegenden<br />
Aufgaben und vertrauen dabei auf ein geschwisterliches Miteinander, welches in den vergangenen<br />
Jahren ein fruchtbares Arbeiten mit gestützt hat und auch auf Ihre aktive Unterstützung in Gebet und Tat.<br />
Br. Ulrich Schmitz FFSC, INFAG-Vorsitzender<br />
INFAG-Regionalvorstand stellt Weichen für die Zukunft<br />
vlnr: Br. Stefan Federbusch, Sr. Regitta Michel, Sr. Evamaria Durchholz,<br />
Gisela Fleckenstsein, Sr. Theodore Hofschen<br />
Geht doch!<br />
Was geht? war eine der zentralen Fragen bei<br />
der konstituierenden Sitzung des INFAG-Regionalvorstands<br />
für den Bereich Deutschland/<br />
Luxemburg/Belgien am 01. Dezember 2010 in<br />
Würzburg. Was können wir <strong>als</strong> ehrenamtlicher<br />
Vorstand anstoßen, planen, initiieren, durchführen?<br />
Welche Schwerpunkte wollen wir setzen in<br />
der kommenden Amtsperiode?<br />
Kennenlernen<br />
Der Einstieg diente einem Kennenlernen der neuen<br />
Mitglieder des Regionalvorstands. An Hand<br />
dreier Symbole erzählten die Teilnehmenden einander<br />
Wesentliches über die eigene Person, die<br />
Arbeit bzw. jeweilige Gemeinschaft sowie über<br />
ihre Vision von Infag. Besonders ein Wallfahrtsanhänger<br />
mit der Aufschrift Geht doch hatte es<br />
allen angetan und könnte <strong>als</strong> Motto für die kommende<br />
Amtsperiode dienen. Immer wieder zu<br />
schauen, was geht, was möglich ist und Schwestern und Brüder zu ermutigen: Es geht mehr <strong>als</strong> du denkst!<br />
Geht los! Macht Euch auf den Weg! Geht doch...<br />
Personalentscheidungen<br />
Zum Vorsitzenden des Regionalvorstands wurde Br. Stefan Federbusch bestimmt, der die Aufgabe bereits in<br />
der vergangenen Amtsperiode inne hatte, zur Stellvertreterin Gisela Fleckenstein.<br />
Formalia<br />
Nach der Festlegung der Schriftführung und der Kassenführung wurde die Geschäftsordnung des Regionalvorstands<br />
verabschiedet.<br />
Reflexion der Mitgliederversammlungen<br />
Die beiden Mitgliederversammlungen von Region D/L/B und Gesamt-Infag wurden kritisch reflektiert und<br />
eine Fortführung des Modells beschlossen. Auch auf Zukunft hin scheint es sinnvoll, die Regionalversammlung<br />
in die Mitgliederversammlung der Gesamt-Infag einzubetten.<br />
Projekte und Gestaltung der Arbeit<br />
Der Schwerpunkt der Sitzung bestand in der konkreten Planung für die kommenden Jahre. In einer Gesamtübersicht<br />
wurden die anstehenden Veranstaltungen und Ereignisse in den Blick genommen.<br />
Die Jahre 2011 und 2012 sind wesentlich vom Klara-Jubiläum geprägt. Bereits begonnen wurde in den
Seite 3 Ausgabe 4 2010<br />
INFAG-Nachrichten mit den Klaraimpulsen Charisma 2011/2012 durch Br. Niklaus Kuster, Martina Kreidler-<br />
Kos und Sr. Ancilla Röttger.<br />
Des Weiteren werden die Monatsimpulse fortgesetzt; für 2011 vierteljährlich zu einem Themenkomplex der<br />
hl. Klara. Angefragt werden dazu Schwestern aus den klarianischen Gemeinschaften und Zusammenschlüssen.<br />
Da sich die Gebetskette zum INFAG-Jubiläum <strong>als</strong> sehr bereicherndes Element gezeigt hat, entsteht zum Klara-Jubiläum<br />
in der Zeit von Palmsonntag 2011 bis Palmsonntag 2012 eine neue Gebetskette mit spirituellen<br />
Inputs von und zu Klara.<br />
Am 26. Oktober 2011 jährt sich zum 25. Mal das Interreligiöse Friedensgebet von Assisi, das 1986 vom damaligen<br />
Papst Johannes-Paul II. initiiert wurde.<br />
Im Jahr 2012 steht vom 10. bis 13. April 2012 das Infag-Osterkapitel an, dessen Gestaltung dem Infag-<br />
Gesamtvorstand obliegt. Erneut ein Jubiläum: 2012 wird die INFAG 30 Jahre alt!<br />
Vom 16. bis 20. Mai 2012 findet unter dem Motto Einen neuen Aufbruch wagen in Mannheim der 98. Deutsche<br />
Katholikentag statt. Die <strong>Chance</strong>n stehen gut, dass wir <strong>als</strong> franziskanische Familie über die Netzwerkinitiative<br />
clara.francesco wieder nicht nur gut vertreten sein werden, sondern auch zahlreiche franziskanische<br />
Themen und Impulse einbringen können.<br />
Zentraler Kern der Mitgliederversammlung (MV) war der Beschluss der Leitlinien, der eine Akzentsetzung<br />
in der Weitergabe franziskanischer Spiritualität an Mitarbeitende in Einrichtungen, Assoziierte und Interessierte<br />
vorsieht. Beschlossen wurde daher eine Erhebung zum einen zu den Assoziierten Mitgliedern (wo gibt<br />
es Gruppen, wie viele Mitglieder haben sie, wer ist zuständig), zum anderen zu den Multiplikatoren (wer ist<br />
in den Gemeinschaften für Schulungen, Fortbildung zuständig). Im einen wie im anderen Fall könnte es dann<br />
ein gemeinsames Treffen zum Austausch und zur Weiterbildung geben.<br />
Die Gruppe Franziskanischer Spiritualitätsweg setzt ihre Ausarbeitung der Module mit einem Treffen im<br />
Dezember 2010 fort. Mit ersten zu veröffentlichenden Ergebnissen ist Mitte 2012 zu rechnen.<br />
Ein wichtiges Anliegen der letzten MV war der Bereich Kooperation. Der Kontakt zu den verschiedenen franziskanischen<br />
Einrichtungen soll verstärkt werden, um die Zusammenarbeit zu intensivieren.<br />
Ein konkretes Projekt ist die Begleitung der <strong>Veränderung</strong>sprozesse in Ordensgemeinschaften (Tagung zu<br />
Fusions- und <strong>Veränderung</strong>sprozessen in Münster), das von der Fachstelle Franziskanische Forschung (FFF),<br />
dem Institut für Kirche, Management und Spiritualität (IKMS) der PTH sowie der INFAG weiter geführt wird.<br />
Eine Kooperation mit der FFF ergibt sich in der Planung von begleitenden Aktivitäten zu einer franziskanischen<br />
Ausstellung von Dezember 2011 bis Februar 2012 im Diözesanmuseum Paderborn.<br />
Geplant ist, dass die einzelnen franziskanischen Institutionen und Kooperationspartner sich in den INFAG-<br />
Nachrichten 2011 bis 2012 vorstellen und von ihren Arbeitsschwerpunkten berichten.<br />
Bildung<br />
Im Bildungsprogramm für 2011 finden sich neben den bewährten Veranstaltungen - Grundlagenseminar für<br />
Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, Seminar für Ausbildungs- und Leitungsverantwortliche<br />
und Tagen der geistlichen Herausforderung - eine Formationswerkwoche zu den Franziskusquellen sowie<br />
mehrere regionale Begegnungstage. In Planung ist eine Studienreise, vermutlich nach Nürnberg (Caritas<br />
Pirckheimer) und Bamberg.<br />
Nächste Sitzung<br />
Der Regionalvorstand trifft sich zu seiner nächsten Sitzung am 24. Februar 2011.<br />
Br. Stefan Federbusch OFM, Regionalvorsitzender<br />
Herzlichen Glückwunsch und Gottes reichsten Segen unseren Neugewählten:<br />
Sr. Magdalena Kappen, Klarissin, Wilnsdorf, am 01.07.2010 gewählt <strong>als</strong> Äbtissin<br />
Sr. Paula Krindges, Franziskanerin von Ingolstadt, am 21.07.2010 wieder gewählt <strong>als</strong> Generaloberin<br />
Sr. Anna Maria Dicke, Klarissin, Paderborn, am 25.08.2010 gewählt <strong>als</strong> Äbtissin<br />
Sr. Regina Winter, Schwester des Crescentiaklosters Kaufbeuren, am 14.08.2010 wieder gewählt <strong>als</strong><br />
Generaloberin<br />
Sr. Katharina Maria Finken, Armen-Schwester des hl. Franziskus, Aachen, am 22.10.2010 wieder gewählt<br />
<strong>als</strong> Generaloberin<br />
Sr. Bernadette Bargel, Klarissin, Kevelaer, am 24.11.2010 postuliert <strong>als</strong> Äbtissin. Juli 2009 wieder gewählt<br />
<strong>als</strong> Präsidentin der Föderation Caritas Pirckheimer der deutschsprachigen Klarissen und Juni 2010 gewählt<br />
<strong>als</strong> Beisitzerin zum erweiterten Vorstand der Deutschen Ordensoberenkonferenz.
Seite 4 Ausgabe 4 2010<br />
Echos aus der franziskanis chen Familie<br />
Vergebung <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> Versöhnt neu ins Leben finden<br />
Zu diesem Thema trafen sich vom 08. bis 12. November 2010 im Bamberger Montanahaus<br />
33 Ordensleute unter der bewährten Leitung von Dr. Georg Beirer und Sr. Pernela Schirmer.<br />
Dieses Seminar für Schwestern und Brüder in der Leitungs- und Ausbildungsverantwortung und die, die andere<br />
seelsorgerlich und/oder geistlich begleiten ermöglichte eine fundierte anthropologische und theologische<br />
Auseinandersetzung mit dem eigentlich immer aktuellen Thema Vergebung. So machten wir Schwestern<br />
und Brüder vom Norden Deutschlands bis Bozen, aus kontemplativen Gemeinschaften und apostolisch<br />
tätigen Gemeinschaften, uns gemeinsam auf den Weg und nützten die Zwischenräume zum einander Kennenlernen<br />
und miteinander Beten. Das schöne Wetter lockte dazu, in den Mittagspausen Bamberg ein bisschen<br />
zu erkundschaften und wenigstens einige von den Schätzen in Augenschein zu nehmen. Mich persönlich<br />
beeindruckte der Bamberger Reiter sehr, mit seiner Ausstrahlung der tiefen Würde des Menschen <strong>als</strong><br />
Krone der Schöpfung.<br />
Bei der Beschäftigung mit der Vergebung ging es letztlich<br />
um die Würde des Menschen trotz aller Unvollkommenheit<br />
den Weg der Menschwerdung<br />
und die Berufung des Menschen, zu Mitliebenden Gottes zu werden.<br />
Vergebung ist ein wesentlicher Aspekt in der Formationszeit, zu Beginn des Hineinwachsens in die Nachfolge<br />
Christi. Es geht in dieser Phase darum, lebensgeschichtliche Verletzungen hinter sich zu lassen, um die Basis<br />
für eine freie Lebenswahl zu schaffen. Das Thema bleibt natürlich lebenslänglich aktuell.<br />
Vergebung ist auch Grundlage für jedes gute Gemeinschaftsleben, denn die Ansammlung schlechter Erfahrungen<br />
zerstört Gemeinschaft. Gemeinschaft kann nur gelingen, wenn ich anerkenne, dass sie nicht ideal ist<br />
und dass meine Mitschwestern/Mitbrüder auch mit ihren Schattenseiten sein dürfen.<br />
Vergebung ist notwendig für ein Leben in der Nächstenliebe; Vergebung und Gottesbild hängen zusammen.<br />
Unversöhntheit führt zu Bitterkeit, damit schadet man sich selbst, quält sich und seine Mitmenschen und es<br />
ist kein Zeugnis für Christus.<br />
In meinem Bericht über die Inhalte des Seminars, beschränke ich mich auf die Aspekte zum Thema Vergebung<br />
vom Blickwinkel der Person her, die verletzt wurde.<br />
Die zweite Hälfte des Seminars nahm die Person in den Blick, die schuldig geworden ist und ihren Weg zur<br />
Bitte um Vergebung. Dr. Beirer rundete das Thema schließlich noch theologisch mit einem Kapitel zu<br />
Schuld/Sünde und Gottesbild ab. Über diesen Teil des Seminars hat sich Sr. Franziska Bruckner bereiterklärt,<br />
zu berichten (Anm. d. Red.: dieser Teil erscheint in Ausgabe 1/2011).<br />
Es ist nicht einfach aus der Fülle des Dargestellten zu berichten und es in wenige Worte zu fassen. Ich nahm<br />
aus dem Gehörten viele kostbare Impulse und Ermutigung mit. Dr. Beirer näherte sich dem Thema von verschiedensten<br />
Ansätzen her und ich freute mich zu erkennen, wie der Weg der Psychologie, bei dem es um<br />
Heilung und Befreiung geht, zum selben Ziel führt wie die Theologie. Die Aussagen Jesu zur Feindesliebe bekamen<br />
für mich dadurch eine neue Perspektive. Ich erlebte den psychologischen Ansatz <strong>als</strong> Hilfe, mich<br />
menschlich, mit meinen Realitäten, meinen Grenzen und Möglichkeiten, dem Ziel der Vergebung zu nähern.<br />
So bleibt dieses Ziel nicht ein hohes Ideal, vor dem ich gleich kapitulieren oder mich fromm verbiegen<br />
muss, sondern der Vergebungsprozess wurde neben aller Arbeit an sich und im Miteinander zu einer Verheißung,<br />
dass jedes Versagen und schuldig Werden die <strong>Chance</strong> des Reifens, des Wachsens in der Liebe und in<br />
der Freiheit in sich birgt.<br />
Nun ein kleiner Ausschnitt aus dem reichen Stoff des ersten Teils des Seminars:<br />
Am Anfang steht die Verletzung: Es geschah etwas, das meine Person, meine Identität getroffen hat. Diese<br />
Verletzung stellt ein Unrecht dar und sie bleibt auch Unrecht. Diese Verletzung erzeugt Schmerz und dieser<br />
ist die Ursache für meine Gefühle wie Wut und Groll. Diese Gefühle haben volle Berechtigung.<br />
Ziel ist, zur Vergebung fähig zu werden, d.h. fähig zu werden auf mein Recht zu verzichten, mein Recht auf<br />
Wut und Bitterkeit aufzugeben und loszulassen und schließlich Vergebung zu schenken.<br />
Dazwischen liegt ein gutes Stück Weg der eigentliche Vergebungsprozess.<br />
Dieser führt durch mehrere Phasen.<br />
1. die emotionale Phase, in der es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Verletztheit, den eigenen Perspektiven,<br />
den eigenen Erwartungen und der eigenen Person geht. Hier sind die Gefühle von Wut, Groll,<br />
Enttäuschung, Hass, anzuerkennen, zuzulassen und auszuhalten, weil sie die Ursache des Schmerzes<br />
zeigen können. Zugleich gilt es, nicht bei den Gefühlen stehenzubleiben.<br />
2. die kognitiv-reflexive Phase - sie hilft, den eigenen Blick zu weiten, auf die Person und das Gewordensein<br />
des Verletzenden, auf meine Eigenanteile und auf die Situation. Wesentlich ist im Blick auf den Verletzenden,<br />
zu einer Unterscheidung zwischen der Tat und dem Menschen zu kommen und ihn nicht auf seine Tat<br />
zu reduzieren. (d.h. aber nicht, die Tat zu entschuldigen, kleinzureden)
Seite 5 Ausgabe 4 2010<br />
3. die Entscheidungsphase, in der es um die Entschiedenheit zur Vergebung und zum loslassen negativer Gefühle<br />
geht. Aber auch um die Entschiedenheit aus der eigenen Opferrolle herauszutreten, denn <strong>als</strong> Opfer<br />
bleibt eine Abhängigkeit vom Täter. Im Erkennen dessen, was geschehen ist, komme ich in die Verantwortung,<br />
damit umzugehen. Die Erinnerung alleine nützt nichts, um heil und frei zu werden, sondern man ist<br />
selbst schuld, wenn man der Schwere der Kindheit die Schwere des jetzigen Lebens hinzufügt<br />
4. die <strong>Veränderung</strong>sphase, in der sich ein neues Verhältnis zum Verletzenden entwickelt, denn wenn Verletzung<br />
und Schuld geschehen sind, wird es nicht mehr so sein wie vorher und Neues muss wachsen. Das Risiko<br />
einer erneuten Verletzung und Enttäuschung ist nicht vollständig auszuschließen.<br />
Die Wegstrecke zur Vergebung ist an dieser Stelle schon weit fortgeschritten, aber noch nicht in der ganzen<br />
Freiheit angekommen, denn diese würde darin liegen,<br />
5. dem Täter Gutes zu tun, eine neue Liebe zum Täter aufzubauen, ihn bedingungslos zu lieben.<br />
In noch weniger Worten zusammengefasst heißt das:<br />
Vergebung ist<br />
Vergebung ist noch nicht,<br />
Vergebung ist nicht<br />
ein prozesshafter Weg<br />
eine zu erlernende Fertigkeit<br />
eine von Wohlwollen getragene Haltung<br />
eine sich entwickelnde Tugend<br />
ein menschlich befreiendes Handeln<br />
ein Geschenk, unabhängig davon, wie es das Gegenüber aufnimmt<br />
ein Akt der Gnade<br />
das Geschehene zu akzeptieren<br />
nicht mehr wütend zu sein<br />
neutral gegen die verletzende Person zu sein<br />
das eigene Wohlbefinden wieder herzustellen .<br />
das Geschehene hinzunehmen<br />
das Geschehene zu entschuldigen<br />
das Geschehene zu vergessen<br />
das Geschehene zu rechtfertigen .<br />
An dieser Stelle mache ich wieder einen Bogen zum Anfang, zur Verletzung:<br />
Es ist klar, dass kein Mensch das Recht hat, einen anderen zu verletzen - das Feld, in dem dies geschieht, ist<br />
weit: Von Mord, Missbrauch bis hin zu den alltäglichen Reibereien und dem aneinander Leiden. Vieles geschieht<br />
nicht mit Absicht oder ist dem Einzelnen nicht bewusst.<br />
Was ist wann eine Verletzung? Das ist von Person zu Person unterschiedlich und braucht Kommunikation.<br />
Jeder kann bei sich selbst beginnen, das Verletzungsrisiko zu senken und die Tiefe der Verletzungen zu reduzieren,<br />
indem er/sie sich und die anderen absichtslos und einfühlend zu verstehen sucht und nicht auf Urteile,<br />
Vorurteile, Wertungen oder eigene Deutungsmuster festlegt.<br />
Selbstbewusstsein und ein guter Eigenstand sind wesentliche Grundlagen an denen man auch arbeiten sollte,<br />
damit nicht jede Kritik und jedes Hinterfragen einen bis ins innerste Mark trifft.<br />
Ursache für Enttäuschungen können auch meine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an mich und die<br />
anderen sein und das gilt es zu erkennen und auf ein realistisches Niveau zu senken.<br />
Es werden Spannungsfelder im Miteinander bleiben. Selbsterkenntnis tut weh. <strong>Veränderung</strong> ist mit Widerständen<br />
und Schmerz verbunden. Ich kann den andern nicht ändern. Ohnmachtserfahrungen werden bleiben.<br />
Es ist ein Übungsfeld, die Dinge anzusprechen, nicht aus Angst zu schweigen und deshalb zu leiden oder hintenherum<br />
zu reden. Eine <strong>Chance</strong> wäre es, eine Streitkultur in gegenseitiger Wertschätzung zu entwickeln und<br />
zu üben.<br />
So kann ich am Ende meiner Ausführungen mit Franziskus sagen: Brüder, Schwestern fanget an, <br />
Text: Sr. Pietra Löbl OSF, Sießen<br />
Bilder: Sr. Katharina Wildenauer OSF (1), Dr. Georg Beirer (2), Norbert Mödl (3)
Seite 6 Ausgabe 4 2010<br />
Einander die Not offenbaren vgl. TOR-Reg 7,23 Heilung aus der Begegnung<br />
Tage der geistlichen Herausforderung für Ordensleute und interessierte Laien<br />
vom 15. bis 19. November 2010 in Kloster Reute<br />
In einer Zeit zunehmender Vereinzelung und Abgrenzung, die gleichzeitig von einer großen Sehnsucht, ja<br />
Sucht nach Nähe begleitet wird, ist es not-wendend, an das Wesen der Begegnung für das Menschwerden zu<br />
erinnern. Solange der Mensch ist, wird und lebt er aus der heilenden Kraft der Begegnung.<br />
Diese Sätze (aus dem Flyer der Veranstaltung) hatten mich neugierig gemacht und mit mir noch 50 andere<br />
TeilnehmerInnen, Franziskusbegeisterte Singles, Verheiratete und Ordenchristen.<br />
Grundlegender Text war das 7. Kapitel der Regel: Vom schwesterlichen und brüderlichen Leben mit seinen<br />
Abschnitten 23 und 24, Inhalte, bei Klara wie bei Franziskus vorkommen. Um der Liebe Gottes willen sollen<br />
die Brüder und Schwestern sich gegenseitig lieben, (..) Und vertrauensvoll offenbare einer dem anderen<br />
seine Not, damit er ihm, was er notwendig hat, ausfindig mache und verschaffe. (..)Alle aber müssen sich<br />
sorgfältig hüten, wegen der Sünde, die jemand begangen hat, zornig und verwirrt zu werden.<br />
(Anm. d. Red.: vgl. NbReg 11,5-6, KlTest 18, NbReg 9,10, Mind 15, BR 7,3 / KlReg 9, 3-4)<br />
Wie schön und gleichzeitig schwer allein diese beiden Verse unserer Regel sind, weiß jede und jeder, der sich<br />
immer neu damit beschäftigt. In welcher Tiefe und mit welchem Humor Dr. Beirer uns diese Sätze erschlossen<br />
hat, ahnt jeder, der ihn schon einmal in einem Kurs erlebt hat!<br />
In sieben Vorträgen erschloss er uns die Stellen, begleitet von Einzelbesinnung, Vertiefung in Kleingruppen<br />
und kreativer Arbeit.<br />
Aus der Dichte der Impulse möchte ich nur einige<br />
Gedanken wiedergeben, die mir in besonderer<br />
Weise geblieben sind:<br />
Aspekte zu Konkretisierung der Regel: Um der<br />
Liebe Gottes Willen sollen die Brüder und<br />
Schwestern sich gegenseitig lieben. (..) Und vertrauensvoll<br />
offenbare einer dem anderen seine<br />
Not. Als erstes haben wir uns mit dem Wesen<br />
der Liebe beschäftigt: Der Liebe zu Gott, zu mir<br />
selbst und zum Nächsten. Liebe ist nicht nur ein<br />
Gefühl, sie ist Arbeit und bedarf des Mühens und<br />
der Vernunft! Das gilt für das Bemühen des Ordenschristen<br />
wie auch der Liebe der Ehepartner,<br />
den anderen für wertvoll zu erachten und ihn<br />
ernst zu nehmen. Sie ist <strong>als</strong>o Frucht der Entscheidung!<br />
Aber wir sollten sie genießen, wenn<br />
sie uns geschenkt wird.<br />
Die Not zu offenbaren, kann ich nur, wenn ich<br />
mich mit ihr auseinander gesetzt habe. Auch<br />
hier bedarf es der Entscheidung zur <strong>Veränderung</strong>!<br />
Viele Menschen möchten ihre Not nicht<br />
loslassen, weil sie die Verantwortung für die<br />
Freiheit und <strong>Veränderung</strong> nicht übernehmen<br />
wollen.<br />
So haben wir in der Folge über<br />
Wegorientierungen zur Versöhnung mit sich<br />
selbst nachgedacht, über die Grenzen von<br />
Schuld, Verletzungen und Leid. Geblieben ist mir<br />
hier vor allem die Aufforderung, mit dem eigenen<br />
Schatten zu tanzen. Gottesliebe und Nächstenliebe geht nur über die Selbstliebe im Sinne einer gesunden<br />
Bejahung seiner selbst in allen Begrenzungen, die man an sich spürt.<br />
Wir haben uns mit dem Wesen des Konflikts beschäftigt, mit seiner Wirkung im Gemeinschaftsleben, wenn<br />
er einen ganzen Konvent, die gesamte Familie lähmen, verhärten und verwirren kann. In praktischen Übungen<br />
in Kleingruppen stellten wir fest, wie schnell wir aus einem f<strong>als</strong>chen Harmoniebedürfnis nach vorschnellen<br />
Lösungen suchen. Es gilt, den Konflikt erst einmal auszuhalten, anzuschauen und zu analysieren. Vorraussetzung<br />
für eine solchen Haltung: das aktive Zuhören. Hören und Gehorsam haben die gleiche Wurzel.<br />
Basis ist das echte Interesse am anderen und das einfühlende Verstehen-wollen.<br />
In der Folge erschloss uns Dr. Beirer den Unterschied zwischen Jammern und Klagen. Das Jammern wirft<br />
mich auf mich zurück, erfüllt mich mit Selbstmitleid und Kraftlosigkeit. Meist steht der Krankheitsgewinn im<br />
Schlepptau des Jammerns. Die Klage in der Tradition der Psalmen, verbindet den Mut, die Not zu benennen
Seite 7 Ausgabe 4 2010<br />
mit dem ersten Schritt zur <strong>Veränderung</strong>, zum Aufbruch, zum echten Hinwenden an Gott <strong>als</strong> Dialogpartner.<br />
Die Klage hilft mir, die Wirklichkeit anzuschauen, meine Ent-Täuschungen zu bearbeiten und mich so in meinem<br />
Menschsein heilen und weiten zu lassen.<br />
Es gäbe noch so viel zu berichten: Von Sr. Paulin und Sr. Pernela, ihren Gebetsimpulsen, ihrer kreativen Ü-<br />
bersetzung des Themas auf den Lebensweg des Franziskus; von unseren kreativ gestalteten Stundengebeten;<br />
von unseren Gottesdiensten, zweimal gemeinsam mit dem Mutterhauskonvent; von unseren Abenden<br />
unten im Keller, von unserem Fragen, Nachdenken, Reden, Schweigen Beten, Singen und Lachen!<br />
Ich hoffe, die Dichte und Herausforderung und das Befreiende der Tage ist spürbar geworden! Wer es selbst<br />
erleben will, kommt einfach zu den nächsten Tagen der geistlichen Herausforderung!<br />
Bilder: Sr. Judith Putz OSF, Graz / Text: Sr. Anette Maria Chmielorz OSF, Essen<br />
Fusionsprozesse in Orden <strong>Veränderung</strong>en <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> <strong>begreifen</strong><br />
Es hat sich gelohnt, so das Fazit des Symposiums <strong>Veränderung</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> <strong>begreifen</strong>, das vom<br />
20. bis 23.10.2010 in Münster stattgefunden hat. Zu dieser Tagung hatten die Fachstelle Franziskanische<br />
Forschung (FFF, Münster), das Institut für Kirche, Management und Spiritualität (IKMS,<br />
Münster) sowie der Kooperationsrat der vier deutschen Franziskanerprovinzen eingeladen, an der<br />
über 50 Ordensleute aus verschiedenen Gemeinschaften, Wissenschaftler und Fachleute aus der<br />
Praxis teilnahmen.<br />
Vor dem Hintergrund bereits vollzogener Fusionen und bevorstehender Zusammenschlüsse in den verschiedenen<br />
Ordensgemeinschaften verfolgte die Tagung in den drei Schritten Sehen - Urteilen - Handeln das Ziel,<br />
<strong>Veränderung</strong>sprozesse <strong>als</strong> Zukunftschance für Orden und den darin wirkenden Menschen zu verstehen sowie<br />
Impulse für eine praktische Gestaltung entsprechender Entwicklungsprozesse auf der Basis des Evangeliums<br />
zu liefern.<br />
Zunächst verwies die Bundestagsabgeordnete Ingrid Fischbach (CDU) in ihrem Eröffnungsreferat auf die<br />
gesellschaftlich-politische Bedeutung der Orden im 21. Jahrhundert. Sie stellte heraus, dass die religiösen<br />
Gemeinschaften nicht nur bei der Vermittlung christlicher Werte für die Gesellschaft und im Dialog mit anderen<br />
Religionen wirksam seien, sondern durch ihren besonderen Lebensstil überzeugende Gegenmodelle in<br />
krisenhaften Zeiten bieten könnten.<br />
Unter dem Stichwort Sehen stieg das Symposium am zweiten Tag in die inhaltliche Thematik ein. Zunächst<br />
berichteten P. Christophorus Goedereis OFMCap (Provinzial der deutschen Kapuziner), Thomas M.<br />
Schimmel (Sekretär des 4-D-Kooperationsrats der deutschen Franziskaner), P. Jakab Varnai OFM<br />
(ehemaliger Generaldefinitor der Franziskaner) aus Ungarn sowie der Pallottiner P. Steffen Brühl über ihre<br />
Erfahrungen in den Fusionsprozessen ihrer jeweiligen Ordensgemeinschaften. Obwohl sie betonten, dass die<br />
Fusionen insgesamt positiv verlaufen und die daraus resultierenden <strong>Veränderung</strong>en von den Brüdern auch<br />
angenommen worden seien, bemerkten sie kritisch, dass die funktional-sachlich-organisatorische Ausrichtung<br />
des Verlaufs gegenüber dem Aspekt der geistlichen Erneuerung dominiert hätte.<br />
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Christopher Maaß, Referent für Gemeindeentwicklung und Gemeindeberatung<br />
des Erzbistums Berlin, Pfarrer Martin Sinnhuber aus Münster, Propst Jürgen Quante aus Recklinghausen<br />
sowie Stadtdechant Bernhard Lücking aus Duisburg, die von den Gemeindefusionen in ihren Bistümern<br />
bzw. Pfarreien berichteten. Sie konstatierten, dass hauptsächlich finanzielle und strukturelle <strong>Veränderung</strong>en<br />
<strong>als</strong> Reaktion auf den Finanz-, Gläubigen- und Priestermangel vorgenommen worden seien, die jedoch<br />
nicht ausreichten, Gläubige auf den Wandel vorzubereiten und mit ihnen das zukünftige Gemeindeleben zu<br />
gestalten. Es müsse sich daher, so die kirchlichen Vertreter unisono, in den Gemeinden auch ein pastoraler<br />
Wandel vollziehen. Dabei komme es vor allem darauf an, dass die Leitungsebene und die Hauptamtlichen der
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Gemeinden mit ihren Mitgliedern ins Gespräch kämen, um den Wandel nachvollziehbar zu gestalten. Schließlich<br />
bilanzierten die Referenten, dass selbst nach einer vollzogenen Fusion der Prozess weiterginge und weitergehen<br />
müsse.<br />
Kommunikation und Ansprechpartner <strong>als</strong> Katalysatoren komme gleichfalls in den Fusionsprozessen von Unternehmen<br />
eine wichtige Schlüsselfunktion zu, so Johannes Rieger (Geschäftsführer der work mwx<br />
mind.worx Gmbh) und Klaus Goedereis (Vorstandsvorsitzender der St. Franziskus-Stiftung), die über ihre<br />
Erfahrungen im unternehmerischen Bereich sprachen. Sie stellten darüber hinaus die Maxime auf, nicht auf<br />
Mangel oder Not zu reagieren, sondern proaktiv zu agieren. Dabei sollten entscheidende Maßnahmen klar<br />
begründet und sofort umgesetzt werden.<br />
Ging es bisher um die konkrete Erfahrung mit Fusionsprozessen in der Gegenwart,<br />
richtete sich im weiteren Verlauf der Tagung der Blick auf die Geschichte, Theologie,<br />
Spiritualität und Psychologie. So gab zunächst die Ordenshistorikerin Gisela Fleckenstein<br />
OFS einen historischen Überblick über die Fusionen in der franziskanischen Ordensgeschichte<br />
des 19. und 20. Jahrhunderts. Im Zentrum ihres Vortrages stand die<br />
von Papst Leo XIII. 1897 initiierte Vereinigung der sich seit dem 16. Jahrhundert ausdifferenzierten<br />
Franziskaner-Observanten mit der Unionsbulle Felicitate quadam zum<br />
neuen Orden der Minderen Brüder (Franziskaner OFM). Dennoch, so führte Fleckenstein<br />
weiter aus, wahrten die Ordensbrüder noch lange ihre regionalen und provinztypischen<br />
Eigenheiten, welche sich u. a. im unterschiedlich geschnittenen Habit manifestierten.<br />
Der Neutestamentler Christoph Heil beleuchtete anschließend die frühchristlichen Strukturveränderungen<br />
von der Jesusbewegung bis zu den nachpaulinischen Gemeinden. Dabei ging es im Kern um die Frage, wie<br />
eine Gemeinde fortbestehen kann, wenn das Charisma des Gründers institutionalisiert wird. Während sich<br />
die Apostelgemeinde <strong>als</strong> Reaktion auf die paulinische Rechtfertigungslehre in judenchristliche und heidenchristliche<br />
Gemeinden aufspaltete, entwickelten sich die nachpaulinischen Gemeinden unter dem Einfluss der<br />
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im römischen Reich zu einer Mainstreamkirche, was jedoch auf eine<br />
hohe Inkulturationsleistung schließen lasse. Daran anknüpfend fragte Heil am Schluss seines Referats, ob<br />
die Kirche nicht heute gut beraten wäre, sich wieder stärker gegenüber gesellschaftlichen Gegebenheiten zu<br />
öffnen.<br />
P. Thomas Dienberg OFMCap erweiterte den theologischen Teil dieser Sektion um den spirituellen Aspekt<br />
in Reformprozessen. Nachdem er zunächst <strong>Veränderung</strong> und Wandel <strong>als</strong> Kernbegriffe christlicher Spiritualität<br />
identifiziert hatte, entwickelte er einen Fragekatalog, der zur kritischen Reflexion anregen soll. Was ist für<br />
die eigene Spiritualität unverzichtbar, welche Werte sind wichtig, wo gibt es Widerstände, was macht Angst,<br />
wie kann die Freude am Anderen, bisher Unvertrauten geweckt werden? Wer dabei entdecke, dass der Andere<br />
und dessen Haltung wichtig für die eigene Person sein könne, nimmt bereits eine andere Perspektive ein<br />
und kann sich auf den Weg machen. Letztlich gehe es, so zitierte Dienberg den Wiener Pastoraltheologen<br />
Paul M. Zulehner, um das neuerliche Entfachen des franziskanischen Urfeuers, um auch für die Zukunft<br />
gerüstet zu sein.<br />
Sr. Katharina Kluitmann OSF nahm dann die Frage nach der Angst vor dem<br />
Wandel auf und betonte, dass es normal sei, dass Menschen Furcht vor <strong>Veränderung</strong>en<br />
hätten, die sich auf vielfältige Weise äußern könne. Sie zeigte einen<br />
möglichen Lösungsweg zur Bewältigung dieser Herausforderung aus psychologischer<br />
Sicht auf. So müsse neben der gewonnenen Einsicht, dass der Wandel<br />
zum Leben gehöre, auch der Widerstand und die Ängste akzeptiert werden.<br />
Bevor dann die Handlung einsetze, müsse eine übergeordnete Idee entwickelt<br />
werden, um dem Prozess einen Sinn zu verleihen. Jedoch können derartige<br />
Prozesse nur mittels guter Kommunikation erfolgreich verlaufen.<br />
Einen Lösungsansatz aus organisationstheoretischer Sicht bot daraufhin der Innovationsforscher Bernd<br />
Kriegesmann an. Nachdem er zunächst die Ursachen für ein Scheitern von Fusionen benannt hatte, stellte<br />
er ein wesentliches Element für einen erfolgreichen Zusammenschluss in das Zentrum seines Vortrages: Eine<br />
positive Perspektive. Nur wer wisse, wie es in Zukunft weiterginge, könne für die <strong>Veränderung</strong> gewonnen<br />
werden. Jedoch dürfe dabei ein Problem nicht verschwiegen werden: Innovationen zerstören Kompetenzen.<br />
Deshalb müssten, so Kriegesmann weiter, Lernprozesse den <strong>Veränderung</strong>sprozessen vorausgehen, <strong>als</strong>o<br />
entlernen, was nicht mehr gefragt ist. Schließlich komme es, so brachte Kriegesmann seine Ausführungen<br />
auf den Punkt, auf die Handlungsfähigkeit, die Handlungsbereitschaft und die Persönlichkeitsstrukturen an,<br />
um ein Scheitern des Prozesses zu verhindern.<br />
Was bleibt, wenn Gemeinschaften für ihre Häuser keine Perspektive mehr sehen und deshalb weggehen,<br />
fragte P. Thomas Eggensperger OP am Beispiel von sechs Dominikanerkonventen. Er zeichnete die Entwicklung<br />
der ausgewählten Konvente bis zu ihrer Auflösung nach und kam zu dem ernüchternden Ergebnis,<br />
dass die Nachhaltigkeit, <strong>als</strong>o die Erinnerung an ehemalige Konvente, in der sie umgebenden Gesellschaft gering<br />
zu veranschlagen sei.
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Karsten Stecker (Rechtsanwalt der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Solidaris) und Wolfgang Gehra<br />
(Kaufmännischer Direktor der Deutschen Franziskanerprovinz) bestritten den Teil über die zivil- und steuerrechtlichen<br />
sowie finanzwirtschaftlichen Aspekte am Beispiel des Fusionsprozesses im Franziskanerorden<br />
Deutschlands, den sie in ihrer Funktion <strong>als</strong> Rechtsanwalt und Ökonom maßgeblich mit gestaltet haben.<br />
Während Stecker den Teilnehmern vor Augen führte, was auf kirchen-, zivil-, steuer- und arbeitsrechtlichen<br />
sowie auf der bilanziellen und buchhalterischen Ebene zu beachten sei und ihnen Alternativen aufzeigte,<br />
demonstrierte Gehra, auf welche Weise die Finanzwirtschaft im deutschen Franziskanerorden vor, während<br />
und nach der Fusion neu geordnet werden musste. Er machte jedoch deutlich, dass bei 380 Brüdern, 500<br />
weltlichen Mitarbeitern an 43 Standorten und in 15 Einrichtungen dieser Prozess noch längst nicht abgeschlossen<br />
sei.<br />
Am 3. Tag setzte sich die Tagung mit der Frage nach dem adäquaten Handeln auseinander. P. Johannes<br />
Zabel OP ging in seinem einführenden Referat auf die zwei handlungsweisenden Regeln der Heiligen Schrift<br />
ein: die silberne Regel des AT (Tobit 4,15) und die Goldene Regel des NT (Mt 7,12, auch Lk 6,31). Während<br />
die erste Regel dem do-ut-des Prinzip verpflichtet sei, <strong>als</strong>o auf das wie du mir, das so ich dir folge, sei<br />
der zweiten Regel die Komponente des ersten Schrittes der Reziprozität vorgeschaltet. Hier heiße es<br />
agieren, statt reagieren. Erst der erste Schritt löse eine Handlungskette aus, enthalte jedoch das Risiko des<br />
ungewissen Ausgangs. Diese Handlungsmaximen, so Zabel weiter, hätte sich auch die Ökonomie zunutze<br />
gemacht, um erfolgreich wirtschaften zu können.<br />
An welchen konkreten Handlungsmaximen sich Unternehmen und Orden orientierten und wie diese umgesetzt<br />
werden, war Gegenstand der abschließenden Podiumsdiskussion, an der neben P. Thomas Dienberg<br />
und Sr. Katharina Kluitmann auch der Unternehmensberater Andree Brüning und Markus Thomzik vom Bochumer<br />
Institut für angewandte Innovationsforschung teilnahmen. Während Andree Brüning herausstellte,<br />
dass seine Firma nach der Regel des Heiligen Benedikt handele und Unternehmen in diesem Geist berate und<br />
begleite, bemerkte Sr. Katharina, dass <strong>Veränderung</strong>en nicht zwangsläufig über den Weg der Fusion zu erzielen<br />
wären. So hätte sich ihre Gemeinschaft der Lüdinghausener Franziskanerinnen gegen einen Zusammenschluss<br />
der Provinzen entschieden.<br />
Die Einlassungen und Diskussionsbeiträge u. a. der Schwestern aus den verschiedenen Ordensgemeinschaften<br />
zeigten sehr deutlich, wie aktuell das Thema <strong>Veränderung</strong>sprozesse und dessen wissenschaftliche Aufbereitung<br />
ist. So sollen die Ergebnisse des Symposiums im nächsten Jahr publiziert werden.<br />
Bilder: Mareike Kneip, IKMS, Münster / Text: Angelica Hilsebein, FFF, Münster<br />
Regionale Begegnungstage 2010<br />
mit praxisbezogener Einführung in die Franziskus-Quellen<br />
12. Juni Kloster Mallersdorf<br />
Referent: Br. Leonhard Lehmann OFMCap<br />
14. Juni Crescentia-Kloster, Kaufbeuren<br />
Referent: Br. Leonhard Lehmann OFMCap<br />
23. Juli Marienhaus, Münster-St. Mauritz<br />
Referent: Br. Leonhard Lehmann OFMCap<br />
21. September Bildungshaus Maximilian-Kolbe, Reute<br />
Referent: Br. Johannes Schneider OFM<br />
25. Oktober Maison d´accueil der Franziskanerinnen, Luxemburg<br />
Referent: Br. Paul Zahner OFM<br />
Kurzberichte mit Bildauslese der Regionalen Begegnungstage erscheinen in Ausgabe 1/2011.
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Lebendiger Spiegel des Lichtes: Klara von Assisi<br />
Am 12. und 13. November stand die heilige Klara von Assisi im Franziskanerkloster Graz im Mittelpunkt<br />
des Symposiums Lebendiger Spiegel des Lichtes: Klara von Assisi, geleitet durch P. Dr.<br />
Paul Zahner OFM, zzt. Franziskanerkloster Graz.<br />
Die Chor<strong>als</strong>chola des Institutes für Kirchenmusik und Orgel der<br />
Universität Graz unter Leitung von Prof. Franz Karl Prassl bereitete<br />
am Abend sinnlichsten Hörgenuß <strong>als</strong> Höhepunkt des ersten<br />
Tages in der Klosterkirche mit den Klara-Gesängen.<br />
Die neue Gregorianik-CD des Offiziums und der Messe der hl.<br />
Klara wurde erstmalig vorgestellt.<br />
Mitten in Graz gab es vom 17. bis ins 18. Jahrhundert in unmittelbarer<br />
Nachbarschaft zum Franziskanerkloster ein beeindruckendes<br />
Klarissenkloster mit wechselhafter Geschichte, die P.<br />
Dr. Paul Zahner OFM eindrucksvoll und bildhaft darstellte.<br />
Das Bedürfnis nach Spiritualität steigt nicht nur beim Gottsuchenden<br />
Menschen stetig an. Konzepte weiblicher Spiritualität<br />
im 13. Jahrhundert und heute präsentierte Prof. DDr. Theresia<br />
Heimerl, Universität Graz.<br />
Das Leben der hl. Klara im frühen San Damiano, ihre Klausur<br />
und ihre Regeln, die spannungsvolle Gründungsgeschichte der<br />
Klarissen im Licht der neuesten Forschung, sowie Klaras Spuren<br />
nördlich der Alpen, Themen, die Br. Dr. Niklaus Kuster OFMCap<br />
aus der Schweiz und P. Dr. Johannes Schneider OFM aus Salzburg<br />
aufarbeiteten.<br />
Daß die hl. Klara auch in Predigten, u. a. des Berthold von Regensburg,<br />
im Mittelpunkt stand, erforschte P. Mag. Oliver Ruggenthaler<br />
OFM aus Salzburg in seinem Referat.<br />
Ein abschließendes Podiumsgespräch, das, wie alle Vorträge,<br />
von Radio Maria live übertragen wurde, rundete das vielfältige<br />
Symposium zusammenfassend ab.<br />
Schattenfrau und Lichtgestalt nannte sie Dr. Martina Kreidler-<br />
Kos, eine der ausgewiesenen Experten zur Klara-Forschung,<br />
die die Heilige von Assisi zwischen Bettelarmut und Beziehungsreichtum<br />
ansiedelte.<br />
Daß es wahre Schätze in der Bibliothek des Franziskanerklosters<br />
Graz gibt, stellte P.Mag. Irenäus Toczydlowski OFM aus<br />
Graz unter Beweis, indem er die Liturgie zum Fest der hl. Klara<br />
eindrucksvoll präsentierte.<br />
Das in diesem Zusammenhang neu erschienene Buch aus der<br />
Werkstatt Franziskanische Forschung Die heilige Klara in Kult<br />
und Liturgie, Leonhard Lehmann OFMCap und Johannes<br />
Schneider OFM, konnte nebst vielen anderen Werken am Büchertisch<br />
erworben werden.<br />
Der Beitrag zur visuellen Spiritualität kam von Sabine Zgraggen-Weiss aus der Schweiz mit sieben Bildfotographien<br />
einer jungen Frau in der Betrachtung zur hl. Klara von Assisi, unterlegt mit Texten Klaras.<br />
Musikalische Spiritualität die Klara-Vesper am Abschlußabend des Symposiums und die sonntägliche Eucharistiefeier<br />
mit Weihbischof Dr. Franz Lackner OFM ließen die strahlende Lichtgestalt der hl. Klara auch im<br />
Heute mehr denn je aufleuchten.<br />
Bilder: Gert Janusch, Graz / Text: Claudia Elisabeth Frieser, Graz<br />
Zu Großem sind wir berufen: Spiegel des Lichtes zu sein.<br />
So lasst uns Gott lobpreisen und den Menschen Gutes tun.<br />
Text: Klara von Assisi, Testament 19-21. Übertragung: Helmut Schlegel OFM<br />
Musik: Winfried Heurich. © Strube, München, Sonnenmusikant Nr. 98
Seite 11 Ausgabe 4 2010<br />
Charisma 2010 2012<br />
Leben träumen Träume leben<br />
Klara von Assisi nimmt die Spur ihrer Sehnsucht auf - und folgt ihr<br />
Das Mittelalter ist eine nicht gerade leichte Zeit für Frauen, deren Wert fast nur im familiären Kontext gesehen<br />
wird. Im Raum der Aristokratie dienen sie <strong>als</strong> Investitionsobjekt politischen oder finanziellen Zielen<br />
der Familienoberhäupter und gelten oft <strong>als</strong> Vermittlungsgestalten zwischen manchmal bis dahin verfeindeten<br />
Familiengeschlechtern. Dabei ist ihr guter Ruf und ihr Bemühen, sich nichts zuschulden kommen zu lassen,<br />
ihr Hauptbeitrag. Was eine Frau wissen und können muss, um diese Rolle auszufüllen, lernt sie im Lebensraum<br />
der Frauen im Wohnturm und in der Kirche. Man könnte es sich leicht ausmalen, wie die Stunden gemeinsamen<br />
Handarbeitens belebt werden durch die Geschichten von Menschen und Ereignissen, die aus der<br />
Stadt hereingetragen werden. Heiligenlegenden, Rittererzählungen und Predigten bestimmen den Horizont<br />
ihrer Träume.<br />
Während die adligen Frauen eingeschlossen in ihren Wohntürmen leben, entstehen in den Städten ganz<br />
neue Strukturen, in denen Frauen mit ihren Männern am Aufbau der Geschäfte mitarbeiten und am wirtschaftlichen<br />
und sozialen Wachstum ihrer Stadt Anteil nehmen. Zugleich liegt im religiösen Leben der Frauen<br />
einiges in der Luft: Aufbruchsbewegungen in der Spur des Evangeliums, ein neues Wahrnehmen der Armut<br />
und der Armen, die Lebensform der Beginen, neue geistliche Ahnungen, die den frommen Blick verändern.<br />
Klaras Familie gehört zum Adel, und so sind ihr von Kindheit an die Grenzen des Wohnturms, in dem die<br />
Frauen leben, <strong>als</strong> Lebensraum vertraut. Doch was nach außen hin begrenzt ist, hat nach innen ungeahnte<br />
Möglichkeiten: Sie hat die <strong>Chance</strong>, eine gute Bildung zu bekommen, was man nicht nur an ihren späteren<br />
Schriften erkennen kann. Die Klugheit, mit der sie so manche spätere ordenspolitische Entscheidung trifft,<br />
spricht von intelligentem Unterscheidungsvermögen und Entschlussfreudigkeit, die vermutlich schon in ihrer<br />
Kindheit grundgelegt worden sind. Klara hört aufmerksam hin, spricht aber nicht einfach nach, was alle sagen.<br />
Klara denkt offensichtlich eigenständig und unabhängig über das Gehörte nach. Und sie kommt zu<br />
Fragen, die sich nicht einfach aus ihrem Alltag in der Abgeschlossenheit der adligen Frauen wie von selbst<br />
ergeben.<br />
Sie hört mit den anderen jungen Frauen zusammen die Erzählungen von den Heldentaten der Ritter; doch<br />
sie lässt sich nicht vom Glanz blenden, sondern bekommt einen Blick für die Besiegten und Verlierer. Sie<br />
lebt <strong>als</strong> Kind, Jugendliche und ihr ganzes Leben hindurch in begrenzten Räumen; doch lässt sie ihren Geist<br />
nicht eingrenzen, sondern durch all ihre Schriften hindurch zieht sich das Motiv des Weges. Sie hat offensichtlich<br />
die <strong>Chance</strong> genutzt, Bildung zu erwerben; doch hält sie Wissen nicht für das Höchste, sondern lenkt<br />
später den Blick ihrer Schwestern immer wieder auf die Einheit der Liebe. Ihr Testament und ihre Regel<br />
sprechen davon, wie tief eingeprägt ihr die Verpflichtung des guten Rufes ist; und doch wagt sie es, ganz<br />
allein auszubrechen und gerade diesen Ruf aufs Spiel zu setzen.<br />
Wahrscheinlich hat ihre Mutter Hortulana den stärksten Einfluss auf sie. Hortulana erfüllt <strong>als</strong> verheiratete<br />
Frau die Erwartungen ihrer Familie. Und zugleich behält sie ihr eigenes Leben im Blick. Ihre Pilgerfahrten<br />
bringen sie bis ins Heilige Land. Dass sie sich später der Gemeinschaft ihrer Tochter anschließt, spricht noch<br />
einmal von dem Wunsch, ihr Leben selbst zu ordnen und nicht die Rolle der in der Familie geduldeten Witwe<br />
übernehmen zu wollen. Vielleicht hat Klara von ihrer Mutter die Vitalität geerbt, die Kraft, ihr Leben anzupacken<br />
und über die Mauern hinaus zu denken. Die Erzählungen der Mutter von ihren Pilgerreisen wohl auch<br />
von den Gefahren der Reise , haben im Herzen der kleinen Klara vermutlich Widerhall gefunden. Denn ohne<br />
einen gewissen Abenteuergeist hätte sie den Ausbruch aus dem Elternhaus nie gewagt.<br />
Klara lässt den Horizont ihrer Träume nicht von anderen bestimmen. Und schon in der Exilszeit in Perugia <br />
<strong>als</strong>o <strong>als</strong> Jugendliche hat sie ihre Träume mit anderen geteilt. Wie sonst könnte eine ihrer ersten Gefährtinnen<br />
in San Damiano aus Perugia kommen?<br />
Leben träumen, um dann Träume zu leben. Habe ich einen Lebenstraum? Wer bestimmt den Horizont meiner<br />
Träume?<br />
Tief bewegt ist Klara, von der Armut Gottes, von diesem Gott, der in der Menschwerdung so klein und unscheinbar<br />
geworden ist. Und was sie zutiefst angerührt hat, will Gestalt gewinnen in ihrer konkreten Lebensform.<br />
Schon von Jugend an unterstützt sie die Armen mit dem, was sie sich selbst vom Leben abzieht.<br />
Klara entwickelt kein Programm, sie denkt sich keine Struktur aus. Sie folgt dem, was in ihr glüht und immer<br />
stärker zu brennen beginnt. Das, was in ihr lebt, bricht sich Bahn und sie folgt dieser Spur ohne Kompromisse.
Seite 12 Ausgabe 4 2010<br />
In jedem von uns glüht etwas, das zum Brennen kommen möchte. Wir brauchen keine Programme zu entwickeln,<br />
keine Strukturen zu schaffen oder zu erneuern. Es genügt, die Spur der eigenen Sehnsucht aufzunehmen<br />
und ihr zu folgen. Dann bricht sich das Leben Bahn. Trauen wir dem, was in uns lebt! Dann können<br />
auch in unserem Leben Träume wahr werden.<br />
Sr. Ancilla Röttger OSC, Münster<br />
Lebendiger Spiegel des Lichtes: Klara von Assisi<br />
Clarae Claritas - zum Offizium der heiligen Klara<br />
Die CD Clarae Claritas wurde von der Chor<strong>als</strong>chola<br />
des Instituts für Kirchenmusik und Orgel der<br />
Kunstuniversität Graz von 11 Musikstudentinnen<br />
unter Leitung von Prof. Franz Karl Praßl gesungen.<br />
Sie enthält die Klara-Liturgie des Offiziums<br />
(Stundengebet) und der Eucharistiefeier zum Hochfest<br />
der heiligen Klara von Assisi. Die Texte sind<br />
lateinisch. Die Musik ist gregorianisch. Die Texte<br />
selber stammen aus der Bibliothek des Franziskanerklosters<br />
Graz, mehrheitlich aus der Musiktradition<br />
der Franziskaner. Ein Text stammt aus der Musiktradition<br />
der Klarissen. Zusammengestellt hat die<br />
CD das Franziskanerkloster Graz, wo sie auch intern<br />
verkauft wird. Wahrscheinlich ist dies die erste professionelle<br />
CD-Aufnahme der lateinischen Klara-<br />
Liturgie.<br />
Die empfehlenswerte CD wurde aufgenommen, um<br />
die hl. Klara zu ehren und zu feiern.<br />
Preis: 10,-- /Stück<br />
Sie kann gegen Spende von 5,-- in der INFAG-<br />
Geschäftsstelle bestellt werden.<br />
Buchtipp<br />
Klaras Weg findet sich etappenweise nachgezeichnet in der Toposbiografie:<br />
Martina Kreidler-Kos - Ancilla Röttger - Niklaus Kuster,<br />
Klara von Assisi. Freundin der Stille - Schwester der Stadt,<br />
Kevelaer 2006 (Butzon & Bercker, ISBN 3-7867-8561-9).<br />
Eine Drittauflage erscheint 2011.<br />
Die Klaraforschung hat im deutschen Sprachraum eine ungeahnte Dynamik erlebt.<br />
Alle bedeutsamen Beiträge erscheinen 2011 aktualisiert in einem Sammelband:<br />
Klara von Assisi. Zwischen Bettelarmut und Beziehungsreichtum.<br />
Beiträge zur neueren deutschsprachigen Klara-Forschung, hg. von Bernd SCHMIES,<br />
Münster 2010 (Aschendorff, ISBN 978-3-402-18687-9)<br />
INFAG-Veranstaltungen und Angebote<br />
Das Jahresprogramm 2011 kann von der Homepage herunter geladen werden.