Albinos - Kontinente

Weitere Magazine

Empfehlungen

Info

REPORTAGE Gemischtes Duo: Auch schwarze Eltern können ein Albino zeugen. Früher wurden weiße Babys sofort getötet. Freunde: In Kabanga sind die Albinos unter ihresgleichen, aber sie finden auch Freunde unter den Behinderten. „Eine Albinohand soll bis zu 22000 Euro kosten. So viel Geld haben nur die Goldsucher im Kongo.“ Bruder Theo Call, 71, Missionar vom Orden der Weissen Väter K omm und setz dich”, sagt Semeni und bietet ein Eckchen auf ihrer Bettkante an. Das ist alles, was der jungen Frau an Privatsphäre geblieben ist. Zwei Quadratmeter Matratze in einem Massenschlafquartier. Aus den Latrinen am hinteren Ende des Raumes dringt beißender Uringeruch. Grüne Moskitonetze baumeln sorgfältig aufgefaltet über einer langen Reihe dicht aneinander geschobener Holzbetten. Hier schlafen Frauen und Kinder zu zweit oder dritt in einem Bett, Schwarze und Weiße, Blinde und Körperbehinderte. Hinter ihrem Kopfkissen hat Semeni, 18, sorgfältig ihre Kleidung, die Schuluniform, einen Spiegel und eine Tube Lotion verstaut. Ihre Schlafstatt teilt sie sich mit der 20-jährigen Pendo. Aber Semeni ist froh, hier zu sein. Die Fenster sind mit Gitterdraht und Eisenstangen gesichert. Bruder Theo Call vom Orden der Weissen Väter hat Straßenlampen installiert, damit die Albinos besser bewacht werden können. Jede Nacht patrouillieren Polizisten mit Maschinengewehren über das offene Gelände. Hier, in der Blinden- und Behindertenschule der katholischen Mission Kabanga, haben die tansanischen Behörden die bedrohten „weißen Schwarzen“ der Region einquartiert, um sie vor ihren Häschern zu schützen. Semeni mag nicht erzählen, was ihr passiert ist. Wie viele andere hier scheint sie traumatisiert. Die 35-jährige Peres dagegen ist gesprächiger. Sie stammt aus Kasumo, einem Dorf einige Dutzend Kilometer entfernt. Ihr Gesicht und ihre Ordnung: Jeden Morgen säubern die Albinos das Gelände. 1-2010 kontinente • 23
REPORTAGE Arme sind mit dunkelbraunen Flecken übersät: Melanome, Symptome von schwerem Hautkrebs. Ihr Hals ist rauh und faltig wie der einer alten Frau, permanente Sonnenbrände haben ihre Haut vorschnell altern lassen. Das krause, weißblonde Haar verbirgt Peres unter einem engen roten Kopftuch. Und auf ihrem Rücken schlummert selig ihr ganzer Stolz: ein schwarzes Baby. Peres nimmt die Welt aus halb geschlossenen, farblosen Augen wahr, die mühsam gegen die Sonne anblinzeln. Während sie einen Teller Reis dicht unter ihre Augen hält, um Spelzen und schadhafte Körner auszusortieren, erzählt sie, was am 12. Dezember 2008 geschah. Banditen dringen in ihr Haus ein. Sie schießen auf ihren Onkel und hacken ihm die rechte Hand ab. Peres rennt um ihr Leben bis zur nächsten Polizeistation. Ihr Onkel stirbt, die Behörden bringen seine Nichte und ihr Baby nach Kabanga. Hier ist sie nun seit mehr als einem Jahr. „Ich möchte nicht wieder heim. Ich habe Angst“, sagt Peres. „Aber ich fühle mich schlecht, weil ich zu Hause meine Felder nicht mehr bestellen kann.“ „Ich fühle micht schlecht, weil ich meine Felder nicht mehr bestellen kann.“ Peres Buchinhuri, 35, seit Dezember 2008 in Kabanga Lernen: Semeni, 18, lernt für ihren Schulabschluss. Viele Albinokinder haben in Kabanga das erste Mal Gelegenheit, eine Schule zu besuchen. Kochen: Die Frauen vertreiben sich die Zeit mit Reis lesen oder Kassava schälen, während ihre Felder zu Hause brach liegen bleiben. Die magischen Kräfte der weißen Schwarzen In Kabanga, wo die Behörden mittlerweile 50 Albinos aus der Region einquartiert haben, werden die Menschen zwar täglich mit Nahrung versorgt. Aber sie sind aus ihrem Alltag und ihren Familien seit mehr als einem Jahr herausgerissen. Ihre Tage vergehen mit Kochen, Waschen, Schlafen – und Warten auf bessere Zeiten. Tansania, aufstrebendes Urlaubsparadies für westliche Touristen, schockt die Welt mit Nachrichten über bestialische Ritualmorde. Seit Ende 2007 sind dort mindestens 50 Albinos ermordet worden. Die Angreifer hacken ihnen Arme und Beine ab, trennen Brüste und Genitalien ab, stechen ihnen die Augen aus. Die begehrten Körperteile bringen sie zu Heilern und Hexenmeistern, die daraus Pulver und Zaubertränke machen. Sie sollen Glück in der Liebe, im Leben und im Geschäft bringen. Fischer nageln Albinohaut an ihre Schiffsplanken oder weben Albinohaar in ihre Netze in der Hoffnung auf einen reichen Fischfang. Heiler versprechen Erfolg bei der Suche nach Gold oder anderen Bodenschätzen, wenn sie eine Tinktur aus Albinozutaten am Eingang einer Mine und in deren Stollen verspritzen. Sie versprechen ihren Kunden Reichtum, wenn sie Albinoblut trinken, aus Albinohaut gefertigte Schuhe oder ein Amulett mit dem Köperteil eines Albinos tragen. In Tansania und seinen Nachbarländern ist der alte Aberglaube an die magischen Kräfte der verfluchten Weißen neu erblüht und hat den makabren Handel mit ihren Körperteilen zu einem lukrativen Geschäft gemacht. „Mir hat man gesagt, dass eine Albinohand bis zu umgerechnet 22 000 Euro kosten kann”, erzählt Bruder Theo Call. „Aber hier hat wohl kaum jemand so viel Geld“, meint er. Solch einen Preis könnten allenfalls die Goldsucher im Kongo bezahlen. In Scherzen: Pendo, 20 (rechts), bringt die anderen Frauen gerne zum Lachen. 1-2010 kontinente • 25
Seite 1: REPORTAGE VERFLUCHT WEISS Ihre wei
Seite 5: REPORTAGE REPORTAGE Freundin über

Albinos - Kontinente

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

Template löschen?

Als Template speichern?