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Forum Ernährung Heute

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ernährung heute<br />

Aktuelle Informationen für Meinungsbildner in 2_2010<br />

Ernährungsberatung, -erziehung und -wissenschaft<br />

Im Fokus<br />

Kulinarische Intelligenz<br />

Kompetent. Widersprüchliches, Unbestätigtes, Revidiertes,<br />

Neues, Verwirrendes – Informationsflut und Panikmache:<br />

In Zeiten des Überflusses an Nachrichten und Waren bedarf<br />

es eines kritischen Geistes und eines kritischen Gaumens.<br />

Der richtige Umgang mit Informationen – sei es auf der Verpackung,<br />

in Broschüren, Werbung, Illustrierten oder Kochbüchern<br />

– gepaart mit grundsätzlichem Wissen über Qualitäten<br />

und ihre Erzeugung sowie einer ausgebildeten Genussfähigkeit<br />

lassen einen den (Ess-)Alltag souverän und entspannt<br />

meistern. Dabei bezieht sich die kulinarische Intelligenz nicht<br />

bloß auf die Warenwelt, sondern richtet den Blick auf die Sozialisation,<br />

auf den Grund unseres Verhaltens. Sie hat daher<br />

auch enormes Potenzial, viele Aspekte des Lebens zu verändern.<br />

Erschließt sich so die Welt des Essens und Genießens in<br />

ihrer ganzen Breite, dann ist das großes Kino, sozusagen Abenteuer<br />

im Kopf. Im entsinnlichten Alltag fällt dies jedoch zunehmend<br />

schwerer und so müssen erst eigene Möglichkeiten<br />

wieder bewusst sowie Geruchs- und Geschmackssinne wiederentdeckt<br />

werden. Am besten von klein auf, im Kindergarten,<br />

in der Schule, eingebettet in die Esskultur. Denn kulinarische<br />

Intelligenz und die Fähigkeit, zu genießen, gehen Hand in<br />

Hand, steigern die Gesundheit und die subjektive Lebensqualität.<br />

Wenn das nicht zählt! [mg]<br />

Kulinaristik 03<br />

Genuss im Wort 05<br />

Essalltag mit Kindern<br />

in der Praxis 10<br />

Food-Pairing – SINNfonie<br />

des Geschmacks 12<br />

ernährung, diätetik<br />

Gewichtskriterium<br />

Darmflora 14<br />

bewegung<br />

Bewegter Zugang zur<br />

Seele 15<br />

lebensmittel, recht<br />

Neue süße Kraft 16<br />

Health Claims:<br />

Latest News 17<br />

serie:<br />

prosit leben!<br />

Satt und glücklich 18<br />

neue medien 20


Wissen ist auch beim Essen Macht. Wer sein Essen intelligent<br />

wählt (zubereitet) und genießt, tut seiner Gesundheit<br />

Gutes. Wissen allein bestimmt aber unser Verhalten<br />

nicht, dafür ist eine kräftige Portion Handlungskompetenz<br />

notwendig. Beides bedarf einer stimulierenden Umgebung,<br />

gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, einer gelebten<br />

Esskultur. Sie formen die kollektive Norm und prägen<br />

so das Essverhalten des Einzelnen. Kulturelle und praxisnahe<br />

Aspekte bilden deshalb die Ankerpunkte, um die<br />

Lebensverhältnisse für eine bildungsgerechte Entwicklung<br />

und einen genussvollen Umgang zu fördern. Denn „gesund“<br />

lockt weder Kinder oder Jugendliche noch Erwachsene<br />

hinter dem Ofen hervor: Die wichtigsten Motive für<br />

die Speisenwahl sind Genuss und Geschmack. Das Gesundheitsargument<br />

rangiert erst nach Convenience und<br />

Preis auf dem fünften Platz. Dabei ist das Genießen eine<br />

sinnliche, lustvolle Erfahrung, wobei das Erleben von Lust<br />

eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung ist.<br />

Denn wahren Genuss erlebt, wer mit den lustvoll wahrgenommenen<br />

Positiva reflexiv, also bewusst, umgeht.<br />

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe liegt beim Thema unseres<br />

im März abgehaltenen Symposiums „Kulinarische Intelligenz<br />

– Genuss ist Lebensqualität“. Dabei wurden im<br />

wahrsten Sinne des Wortes „alle Sinne angesprochen“<br />

und bei den Workshops klar: Grundlagenkenntnisse, Neugierde,<br />

Kreativität, Raffinesse, die richtige Sprache und<br />

alltägliches Training sind notwendig, um sich schrittweise<br />

zum kulinarischen Genie zu entwickeln. Wie wir Jugendlichen<br />

diese Möglichkeiten vermitteln können, war<br />

die Fragestellung eines Workshops. Im sogenannten<br />

World-Cafe diskutierten die Teilnehmenden unter der Leitung<br />

von Mag. Andrea Lehner (give Servicestelle) und Dr.<br />

Rikki Lasser-Ginstl (xundessen) die wirkungsvollsten<br />

pädagogischen Ansätze für diese Zielgruppe: Als Erfolgseditorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser!<br />

impressum<br />

redaktion:<br />

Mag. Marlies Gruber,<br />

mg@forum-ernaehrung.at<br />

autorinnenteam:<br />

Mag. Alexandra Andrä<br />

Wiebke Arnold<br />

Mag. Sabine Dämon<br />

Dr. Eva Derndorfer<br />

Stephanie Fenz<br />

Mag. Marlies Gruber<br />

Mag. Ulrike Keller<br />

Mag. Karin Lobner<br />

Mag. Angela Mörixbauer<br />

Mag. Maria Wieser<br />

layout und grafik:<br />

office@designbuerowien.at<br />

lektorat: Conny Vrbicky<br />

druck: Schmidbauer, Oberwart<br />

foto: istock.com S. 1<br />

offenlegung<br />

medieninhaber, herausgeber:<br />

forum. ernährung heute<br />

Verein zur Förderung von<br />

Ernährungsinformationen<br />

Schwarzenbergplatz 6<br />

1037 Wien, Austria<br />

+43.1.712 33 44 t<br />

+43.1.712 33 04 f<br />

office@forum-ernaehrung.at<br />

www.forum-ernaehrung.at<br />

faktoren wurden Tabubrüche und das Experimentieren<br />

mit unbekannten Lebensmitteln, Gewürzen und Zutaten<br />

sowie bewusste Genussmomente genannt, als wesentlicher<br />

Stolperstein bei Projekten oder Schulungen, dass die<br />

Welt der Jugend zu wenig berücksichtigt wird. Eine Verankerung<br />

im Lehrplan sahen die Teilnehmenden als wesentliches<br />

„Werkzeug“, um eine durchgängige Ernährungserziehung<br />

vom Kindergarten bis zur Matura wirksam<br />

umsetzen zu können. Für dieses Heft haben wir nun noch<br />

zwei Pädagoginnen um ihre Meinung zu den erfolgversprechendsten<br />

Ansätzen bei den Kleineren gefragt.<br />

Um zu den erwähnten kulturellen Aspekten zurückzukommen:<br />

Essen ist für viele zur Nebensache geworden,<br />

weil es omnipräsent, preiswert und ohne Aufwand zu haben<br />

ist. Besser mit sich und dem, was uns nährt, umzugehen,<br />

hieße jedoch, auf gesellschaftlicher Ebene dem Essen<br />

seinen zustehenden Platz einzuräumen sowie kulinarische<br />

Intelligenz und Genusskompetenz zu fördern.<br />

Marlies Gruber<br />

geschäftsführung:<br />

DI Rudolf Fila<br />

Aufgrund der Lesefreundlichkeit wird auf die Anwendung der<br />

geschlechtergerechten Schreibung von Berufsbezeichnungen<br />

etc. verzichtet. Bei ausschließlicher Nennung der männlichen<br />

Form gilt diese immer gleichwertig für Frauen und Männer.<br />

grundlegende richtung:<br />

Informationsdienst für Ernährungsberatung,<br />

-wissenschaft und -wirtschaft<br />

Nachdruck, auch auszugsweise, nur<br />

mit genauer Quellenangabe.<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel<br />

liegen im Verantwortungsbereich der<br />

Autorinnen und geben nicht unbedingt<br />

die Meinung des Vorstandes<br />

oder der Redaktion wieder.<br />

forum. ernährung heute übernimmt<br />

keinerlei Haftung für inhaltliche oder<br />

drucktechnische Fehler.<br />

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1. Mindestbezugsdauer Die Mindestbezugsdauer für ein<br />

Abonnement [vier Ausgaben] beträgt ein Jahr.<br />

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mpoltner@wdm.co.at, forum-shop@wdm.co.at<br />

4. Verrechnung Die Rechnungslegung erfolgt jährlich, im<br />

Voraus, zum jeweils gültigen Tarif. Das in Rechnung gestellte<br />

Entgelt ist innerhalb von 14 Tagen ohne Abzug fällig und<br />

auf das vom forum. ernährung heute genannte Konto einzuzahlen.<br />

forum. ernährung heute ist berechtigt, Leistungen<br />

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sind postalisch oder per E-Mail an die Adresse<br />

unserer Abo-Verwaltung zu richten. Die Kündigung kann jeweils<br />

drei Monate vor Ende des Bezugsjahres, nicht jedoch<br />

vor Ablauf der vereinbarten Mindestbezugsdauer erfolgen.<br />

6. Erfüllungsort Erfüllungsort und Gerichtsstand ist Wien.<br />

Es gilt österreichisches Recht.<br />

2_2010 ernährung heute<br />

02


im fokus<br />

Interdisziplinär. „Essen hält Leib und Seele zusammen.“ Das Sprichwort bringt auf<br />

den Punkt, was Kulinaristik erforschen und verdeutlichen will: Nicht nur die Ernährung,<br />

sondern auch die Kulturen und der Umgang miteinander nähren uns.<br />

Kulinaristik: von der Idee zum Programm<br />

Mag. Marlies Gruber<br />

Was kulinarisch bedeutet, ist jedem klar: Es kann köstlich,<br />

fein, genießbar, feinschmeckerisch, lukullisch, appetitlich,<br />

schmackhaft, deliziös, ... sein. Doch was genau<br />

steckt dahinter, wenn mit dem Suffix „-istik“ aus dem Adjektiv<br />

ein Substantiv gezaubert wird? Kulinar-istik. Der<br />

Wortstamm leitet sich von lateinisch „culina“, Küche, ab.<br />

Und Wörter, die auf „-istik“ enden, beziehen sich auf die<br />

Erscheinung, die Äußerungsform oder ein erlernbares<br />

Fach. Alois Wierlacher, Gründer des Internationalen Arbeitskreises<br />

für Kulturforschung des Essens, hat analog<br />

zu Logistik oder Linguistik den Begriff der Kulinaristik<br />

aus der Taufe gehoben. Soviel zur Wortkreation. Was<br />

heißt es nun?<br />

Kulinaristik versteht sich als fächerübergreifender Beitrag<br />

zu den Kultur- und Lebenswissenschaften und unterscheidet<br />

grundlegend zwischen Ernährung und Essen.<br />

Der Trias „Kultur – Kommunikation – Küche“ folgend,<br />

zielt die Kulinaristik darauf ab, praxisdienliches Wissen<br />

zur Bedeutung und Funktion des Essens und der Gastlichkeit<br />

zu vertiefen und in den Zusammenhang mit dem<br />

Aufbau der Kulturen, der Verständigung zwischen den<br />

Menschen und im Leben des Einzelnen zu stellen.<br />

Konzentrisches Strukturmodell<br />

Vereinfacht kann man sich die Thematik der Kulinaristik<br />

als drei konzentrische Kreise vorstellen: Im innersten<br />

Kreis steht die Ernährung, also die Notwendigkeit, zu essen<br />

und zu trinken. Daher arbeiten in der Kulinaristik Naturwissenschafter,<br />

Ernährungswissenschafter und Mediziner<br />

zusammen. Der zweite Kreis kennzeichnet die Kulturen,<br />

die aus der Notwendigkeit ein Reich der Vielfalt<br />

von Speisen und Getränken, Regeln, Zeichen, Normen,<br />

Redeweisen und Symbolen machen und auf diese Weise<br />

auf die Ernährung wirken. Deshalb arbeiten Naturwissenschafter,<br />

Ernährungswissenschafter und Mediziner mit<br />

den Kulturwissenschaftern zusammen. Der dritte Kreis<br />

repräsentiert die Gastlichkeit. Sie holt die Vielfalt der<br />

Menschen, Völker und Nationen kommunikativ an einen<br />

Tisch und ist das Rahmenthema der Kulinaristik.<br />

« Jede Nahrung ist ein Symbol. »<br />

(Jean Paul Satre)<br />

Ernährung und Essen gehören den beiden inneren Kreisen<br />

des Strukturmodells an. Während erstere sich als Akt<br />

der physiologisch bedingten Nahrungszufuhr beschreiben<br />

lässt, ist Essen immer eingebettet in eine soziale Situation.<br />

Essen inkludiert stets Ernährung, auch dann,<br />

wenn die Speisen vorrangig Erinnerungscharakter haben<br />

oder auf Einstellungen und Eigenschaften verweisen, die<br />

außerhalb ihrer selbst liegen. Essen und die Stiftung von<br />

Bedeutung hängen unmittelbar zusammen. Weder darf<br />

der nutritive Wert eines Gerichtes noch dessen semiotische,<br />

kulturelle Bedeutung zugunsten des jeweils anderen<br />

vernachlässigt werden. Schließlich wird die Doppelqualität<br />

der Speisen auch in Reden wie „Noch einen Löffel<br />

für die Oma“ klar – Essen wird zum Spiegel, Ausdruck<br />

oder Regulativ sozialer Verhältnisse.<br />

« Essenordnungen sind<br />

Offenbarungen über Kulturen. »<br />

(Friedrich Nietzsche)<br />

Verschiedene Gesellschaften und Kulturen definieren<br />

sich nicht bloß über ihre rechtlichen, sozio-ökonomischen<br />

und politischen Systeme, sondern auch über ihre<br />

Essensordnungen. Nationalgerichte stehen oft stellvertretend<br />

für das Savoir-vivre eines Landes. Weil Kulturen<br />

das Essen mitbestimmen, ist kulinarische Bildung auch<br />

keine rein private Angelegenheit, sondern gerade im Zeitalter<br />

der Globalisierung eine Frage der interkulturellen<br />

Bildung und somit eine Schlüsselqualifikation. Denn Essen<br />

und Trinken lassen sich nicht delegieren und die Auswahl<br />

muss letztendlich immer selbst verantwortet werden.<br />

Doch für viele Menschen ist die Auswahl der Speisen<br />

problematisch geworden, sie verfügen kaum noch über<br />

Basiskenntnisse der Lebensmittel und ihrer Herkunft.<br />

Kulinarische Bildung kann daher als Teil der Allgemeinbildung<br />

verstanden werden und umfasst Nahrungswissen<br />

sowie handlungsorientierende Grundkenntnisse über<br />

Küche und den modernen Lebensmittelmarkt.<br />

Essen und Reden: zwei Nachbarn<br />

Wir essen und reden mit demselben Organ – dem Mund.<br />

Kulinarische Bildung sollte daher nicht nur die Fähigkeit<br />

zu schmecken umfassen, sondern auch befähigen, über<br />

komplexe Nahrungsfunktionen und kulturrelevante Symboliken<br />

zu reden. Zu den kulturrelevanten Symboliken<br />

zählt zum Beispiel die Unterscheidung von kalten und<br />

warmen Speisen ebenso wie die von Endo- und Exo-Küche<br />

des Ethnologen Claude Lévi Strauss. Sprachlosigkeit gilt<br />

es aber auch zu überwinden, wenn es zum Beispiel um<br />

Antworten auf die Frage „Wie hat es geschmeckt?“ geht.<br />

„Danke“, „interessant“, „gut“, „sensationell“ oder „ausgezeichnet“<br />

dienen hier als Floskeln. Genaues und lustvolles<br />

Reden vom Essen verlangt jedoch abseits subjektiver<br />

Eindrücke eine klare und sachliche Sprache, die die Kritikfähigkeit<br />

stärkt. Zwar schließt die kulinaristische Sprache<br />

Leidenschaftlichkeit keineswegs aus, jedoch vermeidet<br />

sie fragwürdige Formen der Mythisierung und werbesprachliche<br />

Emotionalisierung von Speisen und Getränken.<br />

Es handelt sich um eine Wissenschafts- und Metasprache,<br />

die es ermöglicht, Speisen und Getränke sowie<br />

die Genusssituation selbst zum Thema einer produktiven<br />

Kommunikation zu machen. Dabei geht es auch um Nahrungskritik.<br />

»<br />

zum weiterlesen<br />

Wierlacher A, Bendix R (Hrsg.):<br />

Kulinaristik.<br />

Forschung – Lehre – Praxis.<br />

Verlag LIT, Münster (2008).<br />

ISBN 978-3-8258-1081-8,<br />

Preis: € 24,80.<br />

zum weiterlesen<br />

Die große TEUBNER Küchenpraxis.<br />

Teubner Verlag, München (2008).<br />

ISBN 978-3-8338-1178-4,<br />

Preis: € 102,70.<br />

info am rande<br />

Die Endo-Küche dient dem intimen<br />

Gebrauch in einer kleinen Gruppe,<br />

z. B. der Familie, die Exo-Küche<br />

wird bei öffentlichen Anlässen,<br />

Festen und Zeremonien verwendet.<br />

Exo heißt heute auch, sich mit<br />

Kochen zu beschäftigen, ohne zu<br />

kochen, im Gespräch, beim<br />

Fernsehen oder im Internet.<br />

ernährung heute 2_2010<br />

03


Kochen als kreative Kulturarbeit<br />

Niemand Geringerer als Alain Ducasse hat die kulturpolitische<br />

Rolle eines Kochs sehr deutlich gesehen und seine<br />

Tätigkeit damit beschrieben „die französische Tradition<br />

zu erhalten, die Vielfalt der Produkte, die regionalen<br />

Traditionen, die Gartechniken. Meine Restaurants sind lebendige<br />

Museen französischer Tradition.“ Soziologisch<br />

lassen sich drei Arten des Kochens unterscheiden: das<br />

alltägliche/familiäre Kochen, das berufliche Kochen und<br />

das Hobbykochen. Man könnte annehmen, dass das Kochen<br />

im Alltag infolge der Flexibilisierung von Arbeitszeiten,<br />

Individualisierung und generell des Zeitgeistes<br />

immer weniger geübt wird. Doch aktuelle Zahlen einer<br />

GfK-Studie über die Ernährungsgewohnheiten in Österreich<br />

zeigen, dass im Vergleich zu den vergangenen Untersuchungen<br />

1996 und 2002 stetig mehr zuhause gekocht<br />

wird, wobei für diesen Trend das zunehmende Interesse<br />

der Männer verantwortlich ist (siehe Tabelle). Daim<br />

fokus<br />

zum weiterlesen<br />

Frenzel R (Hrsg.):<br />

Küchenbibel. Enzyklopädie der<br />

Kulinaristik.<br />

Tre Torri Verlag, Wiesbaden (2009).<br />

ISBN 978-3-941641-07-5,<br />

Preis: € 51,30.<br />

http:// am rande<br />

Deutsche Akademie für Kulinaristik<br />

www.kulinaristik.de<br />

Selbst kochen<br />

Ja, und zwar<br />

Im Gegensatz zum ernährungswissenschaftlichen Diskurs<br />

über günstiges und ungünstiges Ernährungsverhalten<br />

oder zur Gastrokritik, deren Horizont oftmals beim Tellerrand<br />

endet, will die kulinaristische Nahrungskritik ausgehend<br />

von profunden Produktkenntnissen (inklusive ihrer<br />

Herstellung) Aspekte der kulturbezogenen Ernährungswissenschaft,<br />

der Ernährungsmedizin, des Lebensmittelrechts<br />

sowie der Nahrungssoziologie unter die<br />

Lupe nehmen.<br />

Frage: Kochen Sie selbst? Und wenn ja, wie oft?<br />

Jahr<br />

Total Männer Frauen<br />

2010<br />

2002<br />

1996<br />

77<br />

72<br />

71<br />

57<br />

50<br />

47<br />

95<br />

94<br />

95<br />

bei wird der Mehrwert des Selbstkochens darin gesehen,<br />

durch Eigenleistung ausgewählte Nahrungsmittel in Speisen<br />

zu verwandeln und diesen eine eigene Note in ihrem<br />

Charakter und Erscheinungsbild zu geben. So wird mit<br />

der Individualität der Speisen jener Mehrwert geschaffen,<br />

in dem die Nahrungsqualität und die Bedeutung der<br />

Speisen miteinander verknüpft sind. Kochen ist folglich<br />

Kulturarbeit.<br />

Wechselwirkung zwischen Gast und Gastgeber<br />

Welche Rolle spielt die Gastlichkeit? Sie kennzeichnet<br />

seit der Antike die Kulturtechniken des Umgangs mit Anderen<br />

und Fremden und impliziert die Bereitschaft für<br />

ausgangsoffene Begegnungen. Gastliches Handeln ist<br />

daher für kulturelle Wandlungsfähigkeit lebenswichtig.<br />

Es realisiert sich traditionell in Formen der Höflichkeit<br />

sowie in der Ästhetik des gedeckten Tisches, der die<br />

nicht alltägliche Außerordentlichkeit der Gastlichkeit<br />

spiegelt. Gerade im Zeitalter der Globalisierung gewinnt<br />

die kulinarische Gastlichkeit besondere kommunikative<br />

und politische Aktualität. Denn den Anderen in seinem<br />

Anderssein zu erkennen, gelingt am ehesten an fremden<br />

Tischen.<br />

Genuss als Toleranzfaktor<br />

Erst ein Gegenüber ermöglicht wahren Genuss, der eben<br />

nicht nur auf guten Produkten und einem angenehmen<br />

Ambiente beruht. Denn Genuss ist der zentrale Code gemeinsamen<br />

Essens und Ausdruck von Lebensbejahung.<br />

Umgekehrt: Einen lebensverneinden Genuss gibt es nicht<br />

(siehe auch Seite 5). Warum wir zum Genießen zumindest<br />

jemand Zweiten brauchen, lässt sich auch linguistisch<br />

ableiten. Genuss hängt unmittelbar mit Genosse<br />

zusammen und die Kollektivpartikel „ge“ der Wörter „Genuss“,<br />

aber auch „Geschmack“, weisen auf die Kollektivdimension<br />

des Genießens hin.<br />

Mindestens 4 Mal pro<br />

Woche/regelmäßig<br />

2 bis 3 Mal pro Woche<br />

Nur an arbeitsfreien<br />

Tagen/Wochenenden<br />

Nur zu besonderen Anlässen<br />

Nein, nie<br />

2010<br />

2002<br />

1996<br />

2010<br />

2002<br />

1996<br />

2010<br />

2002<br />

1996<br />

2010<br />

2002<br />

1996<br />

2010<br />

2002<br />

1996<br />

40<br />

38<br />

37<br />

17<br />

13<br />

16<br />

10<br />

11<br />

9<br />

11<br />

10<br />

9<br />

23<br />

28<br />

29<br />

Quelle: GfK Custom Research: Ernährungsgewohnheiten, November 2009 – Jänner 2010; Basis: n=1500<br />

13<br />

9<br />

9<br />

16<br />

12<br />

12<br />

12<br />

12<br />

11<br />

17<br />

16<br />

15<br />

42<br />

50<br />

53<br />

66<br />

67<br />

64<br />

17<br />

14<br />

14<br />

7<br />

9<br />

8<br />

5<br />

4<br />

4<br />

5<br />

6<br />

5<br />

Und gemeinsam essen dient dem Gedankenaustausch,<br />

wirkt vertrauensbildend und gemeinschaftsstiftend, wandelt<br />

das Zu- und Miteinander, schafft eine neue Beziehungsordnung.<br />

Im zugehörigen Reden mit dem Anderen<br />

werden eigene und gegenübersitzende Verschiedenartigkeit<br />

und Identität erfahren und akzeptiert – und sei es<br />

nur für die Zeit des gemeinsamen Essens. Denn Essen<br />

und das wechselseitige Erkennen der Essenden ist stets<br />

verschränkt und die Essenden bestätigen oder wandeln<br />

sich während der Mahlzeit zu Partnern (Kumpel, copain,<br />

compagno, von lat. Panis, Brot). Ein Essen gilt schließlich<br />

auch dann als besonders gelungen, wenn es zu einer lebendigen<br />

Verflechtung von Essen und Reden geführt hat.<br />

Genussfähigkeit und gemeinsames Essen gewinnen daher<br />

eine eminent gesellschaftliche Bedeutung, weil sie<br />

Identitäten zuweisen und diese stets aktualisieren. Genuss<br />

schärft also den Sinn für das Anderssein, stiftet soziale<br />

und lebensfreudige Kompetenz: Er gibt Kraft, Kontakte<br />

zu knüpfen, Distanzen zu verringern, Barrieren zwischen<br />

den Essenden abzubauen. Kurz: Genuss fördert<br />

auch die Toleranzfähigkeit und kann als Kulturstifter und<br />

Kommunikationsgenerator gesehen werden. «<br />

2_2010 ernährung heute<br />

04


im fokus<br />

Theorie & Praxis. Warum Genießen und kulinarische Bildung die Schlüsselkompetenzen im<br />

modernen Alltag sind, war Thema beim Symposium „Kulinarische Intelligenz – Genuss ist<br />

Lebensqualität“. Eine Retrospektive.<br />

Genuss im Wort<br />

Mag. Marlies Gruber<br />

Seit 25 Jahren gibt es sie: die „Kleine Schule des Genießens“.<br />

Sie kommt in psychiatrischen oder psychosomatischen<br />

Kliniken zum Einsatz und lehrt Patienten einen<br />

selbstfürsorglichen Umgang mit sich selbst und das<br />

„JA“-Sagen: JA zu sich, JA zu seinem eigenen Standpunkt,<br />

JA zu einem guten, erfüllten Leben. Ein „NEIN“ folgt dann<br />

zwangsläufig und selbstverständlich aus einem JA zu<br />

sich. Indirekt leiten dabei auch die Genussregeln zum<br />

„JA“-Sagen an und lockern (gesellschaftliche) Verbote.<br />

Denn gerade soziale Ge- und Verbote sind oft Ursache<br />

seelischer Störungen. Doch worin liegt nun der Konnex<br />

zwischen Genießen und seelischer Gesundheit? Für beides<br />

sind idente psychologische Abläufe bestimmend!<br />

Und für beides gilt es, den Wechsel von guten und<br />

schlechten Zeiten zu akzeptieren, mit dem Körperrhythmus<br />

zu schwingen und zeitweilig zu verzichten.<br />

Anhand der Erfahrungen der „Kleinen Schule des Genießens“<br />

entwickelte sich die Euthyme Therapie. Sie basiert<br />

auf der Auffassung, dass Gesundheit und Krankheit<br />

zwei voneinander unabhängige Dimensionen darstellen.<br />

Gesund sein oder krank sein funktioniert demnach nicht<br />

nach dem „Entweder-Oder“-Prinzip. Sondern „Kranke“<br />

können sehr wohl gesunde Anteile haben und „Gesunde“<br />

kranke Anteile.<br />

Diesem Unabhängigkeitsmodell zufolge bleibt der gesund,<br />

dessen Balance zwischen gesunderhaltenden und<br />

krankmachenden Anteilen zugunsten von Gesundheit<br />

verschoben ist. Der Fokus auf Positiva, Gesundheit und<br />

Alltäglichkeiten sowie auf seine individuellen „hedonistischen<br />

Nischen“ können dabei zur seelischen Gesundheit<br />

wesentlich beitragen. Genießen ist Gesundheitsförderung<br />

– resümiert daher Dr. Rainer Lutz (Marburg) in<br />

seinem Auftaktreferat.<br />

Der Sinn unserer Sinne<br />

Um positive Emotionen zu wecken und diese zu halten,<br />

bedarf es der Wieder-Entdeckung der Sinne. Denn seiner<br />

Sinne achtsam gewahr zu werden, steht im Mittelpunkt<br />

euthymen Verhaltens. Wesentlich dabei ist zu erkennen,<br />

dass die eigene Wahrnehmung nicht nur eine Realitätserfahrung<br />

ist, sondern auch immer eine Ich-Erfahrung<br />

einschließt. Diese subjektive Wahrnehmung gewinnt aufgrund<br />

der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft<br />

stetig an Bedeutung. Dabei verliert der ehemals<br />

„höchste“ und nach wie vor mächtigste Sinn, das Sehen,<br />

etwas von seiner Dominanz. Die Nahsinne Riechen und<br />

Schmecken geben zunehmend Orientierung im Leben,<br />

erklärt Mag. Hanni Rützler. Zu tun hat dies mit der Entsinnlichung<br />

des Alltags, die sich auch auf kulinarischen<br />

Ebenen spiegelt. Werden Lebensmittel und Getränke beurteilt,<br />

fungiert daher der eigene Geschmack und das damit<br />

mögliche Genussempfinden immer häufiger als Entscheidungskriterium.<br />

Machte es früher noch „Sinn“, zu essen, was und wann es<br />

zu essen gab, und galt die Genussfähigkeit als elitärer Luxus,<br />

so ändert sich in Zeiten des Lebensmittelüberflusses<br />

und der stetig steigenden Prävalenz ernährungsassoziierter<br />

Zivilisationskrankheiten die Rolle des Geschmacks und<br />

der Genussfähigkeit.<br />

Ein kritischer Gaumen dient als Orientierungshilfe für das<br />

paradiesische Angebot. Er wird zur Schlüsselkompetenz.<br />

Denn nur eine ausgeprägte Genussfähigkeit ermöglicht einen<br />

entspannten Umgang mit dem Lebensmittelüberfluss,<br />

noch dazu steigert sie direkt die subjektive Lebensqualität<br />

und das Wohlbefinden. Das belegen auch die Ergebnisse<br />

des Genussbarometers.<br />

Mit der vom forum. ernährung heute ausgerollten Studie,<br />

wurden in den Jahren 2009/10 in vier Wellen Online-<br />

Interviews mit jeweils 500 Personen zwischen 14 und<br />

69 Jahren durchgeführt, um das Genussverständnis, die<br />

Geschmacksvorlieben sowie die subjektive Lebensqualität<br />

der Österreicher repräsentativ zu erheben. »<br />

Regeln der kleinen Schule<br />

des Genießens<br />

Genuss braucht Zeit<br />

Schaffen Sie sich in Ihrem<br />

Tagesablauf "Genussinseln"!<br />

Genuss muss erlaubt sein<br />

Gönnen Sie sich Genusserlebnisse!<br />

Genießen geht nicht nebenbei<br />

Schenken Sie dem Genuss<br />

Aufmerksamkeit!<br />

Genuss ist individuell<br />

Hören Sie auf Ihren Körper!<br />

Weniger ist mehr<br />

Beschränken Sie sich zeitweilig<br />

in Ihrem Genusserleben!<br />

Genuss ist alltäglich<br />

Warten Sie nicht auf einen besonderen<br />

Moment, genießen Sie im Jetzt!<br />

Genuss braucht Erfahrung –<br />

Erleben Sie bewusst mit allen Sinnen<br />

und behalten Sie das Genusserlebnis<br />

in Erinnerung!<br />

Quelle: Lutz R, Sundheim D (2002).<br />

Rainer Lutz und Christopher Mayr (Moderation) im Gespräch. Rund 150 Personen besuchten das Symposium. Maria Wieser (re.) in einer gesunden Pause.<br />

ernährung heute 2_2010<br />

05


im fokus<br />

Genusstypologie in Österreich<br />

15 % Genießer ziehen bei genussvollem<br />

Verhalten eine positive<br />

Bilanz. Sie essen das, worauf sie<br />

Gusto haben, mit Freude – sei es<br />

eine Leberkässemmel, ein Schnitzel<br />

oder eine Malakofftorte – achten auf<br />

Qualität, nehmen sich Zeit und essen<br />

insgesamt ausgewogen.<br />

68 % Genusszweifler sind ambivalente<br />

Genießer, die eigentlich gerne<br />

genießen, aber mit schlechtem Gewissen.<br />

Sie essen entweder die<br />

Leberkässemmel, haben dabei aber<br />

Angst, zu gierig oder unkontrolliert<br />

zu handeln, oder essen widerwillig<br />

etwas ihrem Gusto nicht entsprechendes.<br />

17 % Genussunfähige können im<br />

Genießen keine Vorteile sehen,<br />

weder eine verbesserte Leistungsfähigkeit<br />

noch gesteigerte Lebensfreude<br />

– Genießen ist für sie ein<br />

überwiegend negatives Erlebnis.<br />

Ihnen ist es gleichgültig, was und<br />

wie sie essen.<br />

Quelle: forum. ernährung heute (2010)<br />

Workshop: Was hat<br />

Dieter Bohlen mit Zeitmanagement zu tun?<br />

„Wissen Sie, wer mein Vorbild ist? Dieter Bohlen! Dem<br />

Mann war langweilig, also fragte er sich: ‚Welche Nische<br />

ist in Deutschland noch nicht besetzt? Das deutsche<br />

Ekel.’ So setzte er sich drauf und ist bis heute unglaublich<br />

erfolgreich mit dieser Strategie“, erzählt Peter Gall,<br />

Experte für Zeitmanagement, Buchautor und Vortragender.<br />

Das ist bereits einer von sieben Schritten des Life<br />

Leaderships® nach Lothar J. Seiwert: Definieren Sie Ihre<br />

Schlüsselaufgaben! Denn strategisches Zeitmanagement<br />

bedeutet eine Konzentration der Kräfte auf das, was Sie<br />

am besten können, was Ihnen am meisten Spaß macht<br />

und womit Sie im Hinblick auf Ihre Lebensvision die<br />

größte Wirkung erzielen können. Schon war Peter Gall<br />

beim nächsten Schritt: Entwickeln Sie eine klare Vision,<br />

ein Leitbild und Lebensziel! „Wer Ziele hat, richtet auch<br />

seine unbewussten Kräfte und Handlungen danach aus“,<br />

informiert unser Workshopleiter und ist beim nächsten<br />

Schritt angelangt, bei der Zielformulierung. „Formulieren<br />

Sie Jahresziele nach dem SMART-Prinzip“, rät Gall:<br />

spezifisch, messbar, aktionsorientiert, realistisch und<br />

terminierbar. „Ich habe keine Zeit, gilt nicht“, ruft Gall.<br />

„Es muss heißen: Ich habe keine Zeit dafür! Jeder Tag<br />

hat 24 Stunden. Für jeden Menschen auf der Welt. Wenn<br />

Sie keine Zeit haben, dann haben Sie zu viel zu tun“,<br />

sagt Gall. Klingt einleuchtend. Also: Ballast abwerfen,<br />

aufhören, nichts mehr annehmen, Nein-Sagen lernen.<br />

Für Frauen schwieriger als für Männer. Doch wann sagt<br />

man nein und wann ja? Zeitprobleme sind in Wahrheit<br />

Prioritätenprobleme. Wenn die Möglichkeiten die Ressourcen<br />

übersteigen, muss man Prioritäten setzen. Das<br />

Wichtigste zuerst. Einige wenige wichtige Aufgaben tragen<br />

zu 80 % des Erfolges bei. Somit gilt es zu planen:<br />

Was ist wichtig? Was ist dringend? Was ist weder dringend<br />

noch wichtig? Viele kennen das, was Peter Gall als<br />

4-Quadranten-Modell beschreibt unter dem Namen<br />

ABC-Liste. Egal, die Folgerung ist die gleiche: Mehr Zeit<br />

für die Planung bedeutet weniger Zeit für die Durchführung,<br />

ergo: erfolgreichere Umsetzung. [am]<br />

Zum Weiterlesen<br />

Gall P: Kampf den Zeitdieben. Verlag Wirl, Wien (2006).<br />

ISBN 978-3-9502300-0-0, Preis: € 19,90.<br />

Workshop:<br />

Von Wikingersalz bis Röstzwiebelschokolade<br />

Bewusstes Hinschmecken ist Hanni Rützler, Ernährungswissenschafterin<br />

und Food-Trend-Expertin,<br />

ebenso wichtig wie gemeinschaftliches Genießen. So<br />

finden wir uns alle an einer langen Tafel ein und bekommen<br />

von ihr eine bunte Palette an kulinarischen<br />

und sinnlichen Überraschungen buchstäblich am Silbertablett<br />

serviert.<br />

„Der Liebhaber des guten Essens investiert in sich<br />

selbst und nicht in das Essen“, eröffnet sie uns, und so<br />

sind wir eingeladen, in angenehmer Atmosphäre mit<br />

unseren Sinnen zu spielen. Im „ersten Gang“ geht es<br />

vor allem darum, Geschmacksrichtungen zu erkennen<br />

und deren räumliche Wahrnehmung auf der Zunge zu<br />

beschreiben. Dabei lernen wir, wie vielfältig und selektiv<br />

unsere sensorischen Eindrücke sind. Selbst Wasser<br />

ruft unterschiedliche Empfindungen hervor: Für manche<br />

schmeckt es süß, für andere leicht bitter. Und auch<br />

beim Saft der Hirschbirne scheiden sich die Geister.<br />

Im „zweiten Gang“ versucht Hanni Rützler bewusst, unsere<br />

Geschmacksknospen zu irritieren und damit Diskussionen<br />

auszulösen. Das schafft sie virtuos und ohne<br />

große Mühen: Zum Beispiel mit Wikingersalz, einer eigenwilligen<br />

Verbindung von würzigen, scharfen und<br />

rauchigen Komponenten, mit süßem Dattelpüree oder<br />

simplem Glutamat, das, wie wir hören, in der italienischen<br />

Küche sehr präsent ist. Und zwar nicht in Pulverform,<br />

sondern ganz natürlich in aromatischen Lebensmitteln<br />

wie Tomaten oder Parmesan. Sie serviert uns in<br />

Essig eingelegte Lilienblüten und Mini-Paradeiser, nussig<br />

schmeckendes Tomatenkernöl, Sauerkrautbrot und<br />

Schokolade mit Röstzwiebeln bestreut. Dazwischen<br />

lässt sie uns immer wieder nachdenken, gibt Anregungen<br />

und holt Meinungen ein. „Was könnte man dazu<br />

essen?“, fragt sie, oder: „Welche Aromen schmecken<br />

Sie heraus?“<br />

Den Abschluss bildet ein kleines Stück edler Bitterschokolade.<br />

Wir lassen es am Gaumen zergehen, spüren<br />

der reichen Aromenvielfalt nach. Und freuen uns<br />

über die besondere Erkenntnis, dass der Schmelzpunkt<br />

von Kakaobutter genau unserer Körpertemperatur entspricht.<br />

Na dann muss es wohl so sein: Schokolade ist<br />

wie für uns gemacht … [mw]<br />

Emmerich Berghofer<br />

propagiert die Pflanzendiversität. „Und heute beginnt der Rest Ihres Lebens!“ erinnert Peter Gall. Mag. Hanni Rützler über den Sinn unserer Sinne.<br />

2_2010 ernährung heute<br />

06


im fokus<br />

Workshop:<br />

„Lust auf Genuss durch Vielfalt statt Einfalt“…<br />

Der Titel lässt einen kurz nachdenken: Vielfalt statt Einfalt?<br />

Wie ist das gemeint?<br />

Ist doch unsere Lebensmittelwahl so vielfältig wie noch<br />

nie. Zumindest die Lebensmittelauswahl: Ein vollsortierter<br />

Supermarkt bietet 30.000 bis 40.000 Artikel,<br />

ein Diskonter immer noch 10.000 Produkte. Das ist<br />

doch Vielfalt pur! Scheinbar.<br />

Univ.-Prof. Dr. Emmerich Berghofer zerstört diese Idylle<br />

durch harte Zahlen: 30.000 Supermarktartikel werden<br />

aus nur mehr 30 Pflanzenarten hergestellt. Das<br />

gibt zu denken. In Asien, speziell in Japan, ist die Situation<br />

anders. Dort werden deutlich mehr Rohstoffe<br />

genutzt. Berghofer lässt in diesem Zusammenhang ein<br />

Insekten-Kochbuch durch die Runde gehen. Naja, auf<br />

manchen Rohstoff können wir auch gerne verzichten …<br />

„In Indien gibt es 30.000 Reissorten, genutzt werden<br />

aber weniger als 50“, berichtet der Institutsleiter der<br />

Abteilung für Lebensmitteltechnologie an der Wiener<br />

Universität für Bodenkultur. „Drei Getreidearten<br />

decken hierzulande 50 % der Energieversorgung.<br />

Hülsenfrüchte liefern laut Ernährungsbericht im Durchschnitt<br />

etwa 6 kcal/d, Weizen dagegen 700 kcal/d“,<br />

zählt Berghofer auf und schwenkt im nächsten Atemzug<br />

zur Glutenunverträglichkeit: „Weltweit nimmt die Glutenunverträglichkeit<br />

immer mehr zu. Früher war das<br />

Verhältnis 1:1000, heute ist es in manchen Gegenden<br />

1:30.“ Eine Folge des massiven Weizenkonsums? Haben<br />

die diversen „Ernährungsberater“, Kinesiologen<br />

oder Metabolic-Balance-Berater also doch recht, wenn<br />

sie ihren Klienten pauschal von Weizen abraten? Das<br />

wäre eine interessante Diskussion. Doch heute geht es<br />

um Genuss durch Vielfalt. „Saatgutzüchter züchten auf<br />

hohen Ertrag, auf Resistenzen und auf Verarbeitungseigenschaften,<br />

aber nicht auf Geschmack“, kommt<br />

Berghofer dem Genussthema nun näher. Der Konsument<br />

bleibt in dieser Hinsicht auf der Strecke. Und<br />

muss sich auf drei Einkäufer verlassen. Denn in Österreich<br />

decken drei Lebensmittelketten 85 % des Marktes<br />

ab. Drei Einkäufer bestimmen also im Wesentlichen,<br />

was der Österreicher isst oder nicht zu essen bekommt.<br />

„Eigentlich hat der Konsument die stärkste Position in<br />

der Kette Agrarproduktion-Lebensmittelverarbeitung-<br />

Lebenmittelhandel-Konsument. Er müsste nur vehement<br />

und lange genug nachfragen.“ Doch kann ich etwas<br />

nachfragen, das ich nicht kenne? Nein, natürlich<br />

nicht. Was also tun? „Mehr Ernährungsbildung in die<br />

Schulen“, fordern manche Teilnehmer des Workshops.<br />

„Man muss die Wertigkeit von Essen stärken“, sagen<br />

andere Teilnehmer. Doch offensichtlich hat sich der europäische<br />

Verbraucher für den günstigeren Preis und<br />

gegen Vielfalt entschieden. Was aber auch bedeutet,<br />

dass der Konsument vieles selbst in der Hand hat.<br />

„Man fängt bei sich selbst an“, resümiert Berghofer.<br />

Und: „Werden Sie zu Food Huntern. Suchen Sie nach<br />

der Vielfalt und verlangen Sie sie. Steter Tropfen höhlt<br />

auch hier den Stein“, ist er überzeugt. [am]<br />

Genuss: eine ganzheitliche, intensive<br />

Sinnesempfindung, die mit körperlichem und<br />

geistigem Wohlbehagen verbunden ist.<br />

Was als Genuss empfunden wird, ist subjektiv und damit<br />

individuell verschieden. Was jedoch immer gilt: Diese Einheit<br />

aus körperlichen Reaktionen und kognitiven Vorgängen<br />

empfindet der Erlebende als angenehm. Vorausgesetzt,<br />

er ist zum Genießen fähig. Im Genussbarometer<br />

zeigt sich, dass der Großteil der Österreicher dies nur bedingt<br />

kann.<br />

Genießer fühlen sich gesünder und glücklicher<br />

Ob jemand fähig ist, zu genießen, hat Auswirkungen auf<br />

seine subjektive Lebensqualität, seine Gesundheit und<br />

sein Essverhalten. So sind Genießer signifikant öfter optimistisch<br />

und fühlen sich deutlich glücklicher, ausgeglichener<br />

und entspannter als Genusszweifler und -unfähige.<br />

Sie schätzen insgesamt ihre Gesundheit und ihr allgemeines<br />

Wohlbefinden höher ein. Kein Wunder, kommt es<br />

doch beim Genießen und bei der Vorfreude darauf zur<br />

Ausschüttung von Dopamin. Der Neurotransmitter hebt jedoch<br />

nicht nur die Stimmung, sondern stärkt auch das Immunsystem.<br />

Genusszweifler und Genussunfähige fühlen<br />

sich dagegen bedeutend öfter unsicher, mutlos, traurig<br />

oder niedergeschlagen, sind weitaus pessimistischer und<br />

erwarten deutlich häufiger, dass ihre Gesundheit nachlässt<br />

bzw. dass sie etwas leichter krank werden als andere.<br />

Eine deutsche Untersuchung bekräftigt die Ergebnisse<br />

des Genussbarometers und ergründete einen ebenfalls<br />

starken Zusammenhang zwischen Genussfähigkeit und<br />

Gesundheitsverhalten: Genießer treiben öfter Sport, ernähren<br />

sich gesünder, sind öfter an der frischen Luft, sind<br />

seltener einsam und ergreifen häufiger Maßnahmen zur<br />

Krankheitsprophylaxe.<br />

Im Genussbarometer wurde noch dazu festgestellt, dass<br />

47 % der Genießer Normalgewicht haben, während bei<br />

den Genusszweiflern und -unfähigen nur 38 % normalgewichtig<br />

sind.<br />

Anders und anderes essen<br />

Ein unterschiedliches Essverhalten beginnt bereits bei der<br />

Auswahl und hier zeigen die Genießer höhere Ansprüche:<br />

Ihnen ist es bedeutend wichtiger als den Genusszweiflern<br />

und -unfähigen, dass Lebensmittel<br />

_ qualitativ hochwertig sind,<br />

_ naturbelassen und frisch sind,<br />

_ aus fairem Handel stammen,<br />

_ aus Österreich und regional sind,<br />

_ gut schmecken und<br />

_ einen hohen Anteil an Nährstoffen, Vitaminen<br />

sowie Mineralstoffen aufweisen.<br />

Aber nicht nur die Auswahl ist unterschiedlich, auch die<br />

Gründe für das Essen differieren: Genießer essen deutlich<br />

häufiger dann, wenn sie Hunger haben, nicht dann – wie<br />

Genussunfähige –, wenn gerade etwas zu essen da ist.<br />

Noch dazu legen sie deutlich mehr Wert auf eine abwechslungsreiche<br />

Kost. Genießer essen zum Beispiel mit<br />

Freude eine Crème brûlée, haben aber dann wieder eine »<br />

zum weiterlesen<br />

Sievers GW:<br />

Genussland Österreich. Was Küche<br />

und Keller zu bieten haben.<br />

Leopold Stocker Verlag, Graz (2007).<br />

ISBN 978-3-7020-1166-6.<br />

Preis: € 39,90.<br />

zum weiterlesen<br />

Hildebrandt G:<br />

Geschmackswelten. Grundlagen der<br />

Lebensmittelsensorik.<br />

DLG Verlag, Frankfurt am Main<br />

(2008). ISBN 978-3-7690-0698-9.<br />

Preis: € 29,90.<br />

ernährung heute 2_2010<br />

07


im fokus<br />

Ich esse, ...<br />

weil ich Hunger<br />

habe, sagt der...<br />

Durchschnitt<br />

Genießer<br />

Zweifler<br />

Unfähige<br />

30,4 %<br />

46,8 %<br />

29,5 %<br />

17,1 %<br />

weil mir essen Vergnügen<br />

bereitet, sagt der...<br />

Durchschnitt 17,7 %<br />

Genießer<br />

36,7 %<br />

Zweifler 14,9 %<br />

Unfähige 10,5 %<br />

weil es schön, mit anderen<br />

Menschen, sagt der...<br />

Durchschnitt 16,3 %<br />

Genießer<br />

32,9 %<br />

Zweifler 13,2 %<br />

Unfähige 13,2 %<br />

Quelle: forum. ernährung heute (2010)<br />

Weile genug davon. Das führt zu einer ausgewogenen<br />

Kost. Sie essen auch im Vergleich zu Genussunfähigen<br />

deutlich häufiger – nicht zwingend mehr – Obst, Gemüse,<br />

Käse, Schinken, Fleisch und Wurst sowie Schokolade und<br />

trinken weitaus öfter Wasser und Obstsäfte. Und: Sie nehmen<br />

sich bedeutend mehr Zeit zum Essen und Genießen.<br />

All die Faktoren lassen erahnen, dass Genießer einen kritischeren<br />

Gaumen haben und über eine höhere kulinarische<br />

Kompetenz verfügen. Sie achten darauf, was ihnen<br />

gut tut, wissen sich im Überfluss zurechtzufinden und zeigen<br />

insgesamt ein gesundheitsorientiertes Verhalten. Kulinarische<br />

Bildung und Genusskompetenz zu fördern,<br />

muss daher das Ziel einer modernen Esskultur und der<br />

Ernährungsbildung sein.<br />

Ein Teil der Allgemeinbildung<br />

Sowohl der Ursprung von Geschmack als auch von Bildung<br />

liegt im Essen und Trinken. Das sitzt. Und ist dennoch<br />

klar nachvollziehbar. Denn die erste Stufe des Lernens<br />

führt über das sensorische Gedächtnis: Geruch und<br />

Geschmack werden emotional gefärbt und positive Ess-<br />

Erfahrungen verändern das Gehirn.<br />

Essen findet – vor allem im Kleinkindalter – üblicherweise<br />

in sozialer Umgebung statt und diese unterstützt wiederum<br />

die Synaptogenese sowie die neurobiologische<br />

Entwicklung wesentlich. Damit Kinder sich in einer Welt<br />

des Nahrungsüberflusses zurechtfinden, ist es daher notwendig,<br />

die angeborenen Sinnesfähigkeiten früh zu fördern<br />

und zu entwickeln, also früh in sozialer Gemeinschaft<br />

positive Körpergefühle mit Essen und Trinken zu<br />

erfahren.<br />

Dabei wird Ernährungsbildung „als das persönliche Bemühen<br />

des Menschen angesehen, eine sinnvolle und gesundheitsförderliche<br />

Ernährungsweise aufzubauen, worin<br />

er Unterstützung und Begleitung erfährt. Sie beschränkt<br />

sich nicht auf die Korrektur und Entfaltung des individuellen<br />

Essverhaltens, sondern berücksichtigt soziale,<br />

ökologische und ökonomische Aspekte eines selbst- »<br />

Workshop:<br />

Mit dem Essen darf man doch spielen<br />

Könnten Sie das, was Sie beim Essen erleben, in Worte<br />

kleiden? Natürlich: Oft ist es gar nicht möglich, sich intensiv<br />

mit dem auseinanderzusetzen, was da am Teller<br />

liegt. Dafür fehlt uns häufig die Zeit – oder auch die<br />

Muße. Aber es lohnt sich trotzdem, hin und wieder bewusste<br />

Geschmacksmomente in den Alltag einzubauen<br />

und alle Sinne dafür zu aktivieren. Anregungen dazu<br />

gibt es im „Parcours durch die Geschmackswelten“<br />

mehr als genug. Zuerst geht es um präzises Wahrnehmen<br />

und Erkennen. Die verschiedensten Alltagsgerüche<br />

wollen erschnüffelt, Obst und Gemüse ertastet, Süßes<br />

und Saures erschmeckt werden. Wir lernen: Das, was in<br />

der Sensorik als „flavour“ bezeichnet wird, ist nicht nur<br />

der Geschmack an sich, sondern der gesamte Sinneseindruck<br />

im Mund. Eine wichtige Komponente dabei ist<br />

die Wahrnehmung der Duftstoffe, die aus dem Lebensmittel<br />

freigesetzt werden, sobald wir es kosten. „Deshalb<br />

ist es für uns auch äußerst schwierig, mit zugehaltener<br />

Nase verschiedene Fruchtsäfte zu erkennen“, sagt<br />

Mag. Doris Walder, Ernährungswissenschafterin bei<br />

Nestlé. Weitere Komponenten des „flavour“ sind Tast-,<br />

Temperatur- und Schmerzeindrücke. Wir kommen ins<br />

Grübeln. Essen, das weh tut? „Die Schärfe von Chili<br />

oder das Prickeln von Kohlensäure nehmen wir über<br />

Schmerzrezeptoren wahr“, wird uns erklärt. Dann heißt<br />

es: Kreativ werden und uns über das Essen verständigen.<br />

So entsteht etwa unter fachkundiger Anleitung von<br />

Mag. Bernadette Arnoldner (Ernährungswissenschafterin<br />

bei Unilever) und Andrea Leitner (Kraft Foods)<br />

Schritt für Schritt ein immer komplexeres „Löffelgericht“<br />

und wir können beobachten, wie sich dabei unsere<br />

Wahrnehmung verändert. Einmal ist es ein bestimmtes<br />

Aroma, das im Vordergrund steht, dann eine<br />

Temperaturempfindung, dann wieder die Textur.<br />

Zu guter Letzt verkosten wir mit Dr. Eva Derndorfer,<br />

Sensorik-Spezialistin, drei Grüne Veltliner aus unterschiedlichen<br />

Anbauregionen (siehe Seite 13). [mw]<br />

Ines Heindl elaboriert die schulische<br />

Ernährungsbildung in Deutschland.<br />

Jürgen König erläutert das Genussbarometer.<br />

Bei der Veltliner-Verkostung mit Eva Derndorfer: Riechen,<br />

Schmecken und dafür Worte finden.<br />

2_2010 ernährung heute<br />

08


im fokus<br />

Workshop:<br />

Das „Wiener Rosinengugelhupfproblem“ lösen<br />

„Viele Menschen sind der Ansicht, dass der Sinn des<br />

Kochens darin liegt, Nahrung besser verdaubar zu machen“,<br />

sagt Werner Gruber, Experimentalphysiker mit<br />

Humor und Sinn für Lösungen praxisrelevanter (kulinarischer)<br />

Fragestellungen. Deshalb stellte er „Forderungen<br />

der Kochkunst“ auf: Neben Lebensmittel „genießbar<br />

machen“ (z. B. Sellerie oder Kartoffeln) und<br />

„bissgerecht zubereiten“ (z. B. Fleisch wird mürbe gekocht),<br />

soll auch Geschmack verliehen werden, und die<br />

Speisen sollen schön arrangiert sein, „Charme“ besitzen.<br />

Wichtig ist ihm auch das „Gesetz vom letzten Bissen“:<br />

Haubenköche achten darauf, dass sich Speisenkomponenten<br />

in einem ausgewogenen Verhältnis auf<br />

dem Teller befinden, damit der Gast auch beim letzten<br />

Bissen noch in den vollen Genuss des Gerichtes kommt.<br />

Was heißt das für den Kochalltag? Gulasch z. B. wird<br />

auch ohne sehniges Fleisch sämig (durch Zugeben von<br />

Ochsenschlepp oder ein paar Blättern Gelatine) und<br />

entfaltet sein volles Aroma.<br />

Darüber hinaus lüftet Gruber das Geheimnis, warum<br />

die Wurst am Würstelstand immer besser schmeckt als<br />

daheim und es sich lohnt, eine „Opferwurst“ zu spenden.<br />

Auch zum perfekten Kaffeegenuss gibt es Tipps:<br />

Die optimale Brühtemperatur für einen Filterkaffee<br />

liegt bei 92 °C. Der Clou: Gibt man ein Ei mittlerer<br />

Größe in den Filtereinsatz und lässt eine volle Kanne<br />

Wasser darüber laufen, ist dieses weich gekocht.<br />

Schließlich wird das „Wiener Rosinengugelhupfproblem“<br />

gelöst: Teig und Rosinen abwechselnd schichten,<br />

letztgenannte sinken nämlich entgegen des weit<br />

verbreiteten Glaubens aufgrund der höheren Viskosität<br />

des Teiges nicht nach unten. [aa]<br />

Zum Weiterlesen: Gruber W: Die Genussformel.<br />

Kulinarische Physik. Ecowin Verlag, Salzburg (2008).<br />

ISBN 9783902404596, Preis: € 21,90.<br />

bestimmten und mitverantwortlichen menschlichen Handelns“<br />

und ist daher in vielerlei Hinsicht grundlegend,<br />

sagt Univ.-Prof. Dr. Ines Heindl (PH Flensburg). Schließlich<br />

haben Essen und Ernährung einen direkten Einfluss<br />

auf Gesundheit und Ernährungssozialisation, Konzentrations-<br />

und Lernfähigkeit sowie (körperliche) Leistungen,<br />

individuelles Sozialverhalten und soziale Gemeinschaft<br />

– in Kindergärten oder Schulen ebenso wie im Familienoder<br />

Berufsleben. Ernährungs- und Verpflegungskonzepte<br />

nehmen folglich einen zentralen Stellenwert im Lebensraum<br />

der Kinder und Jugendlichen ein.<br />

Ästhetisch-kulinarischer Ansatz<br />

Kindergärten und Schulen sind ideale Settings, um das<br />

Essenlernen als eine der Kulturtechniken einzuüben.<br />

Eine Kindertageseinrichtung bzw. Schule, die das Zusammenspiel<br />

der Sinne und „sinnliche Intelligenz“ vermittelt,<br />

wird Aspekte der ästhetisch-kulinarischen Bildung verfolgen<br />

und damit unter anderem<br />

_ Schmecken lernen zum Bildungsauftrag erheben,<br />

_ geschmacklich anregende und dabei gesundheitsorientierte<br />

Essensangebote machen, Kinder und<br />

Jugendliche dann jedoch selbst wählen lassen,<br />

_ fachliche Botschaften, z. B. im Unterricht, und alltägliche<br />

Erlebnisse von Nahrungsangebot und -auswahl<br />

aufeinander abstimmen,<br />

_ eine fröhliche, gemütliche Essatmosphäre schaffen,<br />

in der alle gerne essen,<br />

_ dem Essen Aufmerksamkeit gewähren und Zeit zum<br />

Genießen lassen sowie<br />

_ für Essens- und Bewegungsangebote Qualitätsstandards<br />

entwickeln.<br />

Nahrungsqualität, Esskultur und kulinarische Kompetenz<br />

sind Fragen der sozialen Verantwortung für die Gesundheit.<br />

Dessen müssen sich schulische Ernährungsbildung<br />

und Verpflegungskonzepte gewahr werden. Denn was wir<br />

nicht frühzeitig in der Bildung leisten, kommt uns später<br />

teuer zu stehen. «<br />

zum weiterlesen<br />

Pini U:<br />

Das Gourmet Quiz.<br />

Fackelträger Verlag, Köln (2007).<br />

ISBN 978-3-7716-4354-6,<br />

Preis: € 10,95.<br />

zum weiterlesen<br />

Europaweit formuliert das Netzwerk<br />

Gesundheitsfördernder Schulen<br />

(ENHPS) in seinen Zielen Kriterien<br />

einer erfolgreichen Ernährungsbildung:<br />

Mehr dazu unter:<br />

www.schoolsforhealth.eu<br />

Werner Gruber bei der Lösung „kulinarischer Probleme“.<br />

Jugend lernt genießen... Wie? Das diskutierten Rikki Lasser-Ginstl<br />

und Andrea Lehner mit den Teilnehmerinnen.<br />

Aromen "erriechen" beim Parcours durch<br />

Geschmackswelten.<br />

ernährung heute 2_2010<br />

09


im fokus<br />

Schulen. Ernährungsbildung gilt als wesentliche Grundlage für kulinarisch kompetentes<br />

Verhalten. Welche Mechanismen in der Pädagogik notwendig sind, hat ernährung heute<br />

Sieglinde Mertlitz, Fachlehrerin für hauswirtschaftlichen Unterricht und Kinderkochbuch-<br />

Autorin, und Martina Backhausen, Diätologin und Therapeutin, gefragt.<br />

Essalltag mit Kindern in der Praxis<br />

porträt am rande<br />

Sieglinde Mertlitz<br />

_ 1982 Abschluss der Berufspädagogischen<br />

Akademie des Bundes in<br />

Wien<br />

_ seit 1989 Fachlehrerin für den<br />

hauswirtschaftlichen Fachunterricht<br />

an der Praxishauptschule und<br />

Neuen Mittelschule der Pädagogischen<br />

Hochschule in Klagenfurt<br />

sowie an der Bundesbildungsanstalt<br />

für Kindergartenpädagogik in<br />

Klagenfurt.<br />

_ Mutter von zwei Kindern und<br />

Autorin, u.a. ESSperimente 1 –3,<br />

erschienen im Heyn Verlag.<br />

ernährung heute: Wie können Erziehungsberechtigte –<br />

also Eltern, Kindergartenpädagogen und Lehrer – auf<br />

günstige Weise die Entwicklung des Essverhaltens beeinflussen?<br />

Mertlitz: Wie die Sprache wird auch das Essverhalten von<br />

den Eltern bzw. von jenem Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen,<br />

übernommen. Das Thema Essen und Trinken<br />

soll also ständig präsent sein. Neben der kontinuierlichen<br />

gemeinsamen Speisenzubereitung, einschließlich Sinnesschulung,<br />

können bei Kleinkindern Spiele, Geschichten<br />

und Lieder rund um das Thema Essen in die pädagogische<br />

Arbeit einfließen. Für Kinder ist das praktische Tun wichtiger<br />

als die Kenntnis von Nährstoffen.<br />

Ich unterrichte in der Neuen Mittelschule die unverbindliche<br />

Übung „ESSperimente – kindgerechte Tisch- und<br />

Esskultur“ und bemerke die Begeisterung der Kinder bei<br />

der praktischen Zubereitung. Begeistert hantieren sie mit<br />

den Lebensmitteln, bereiten kleine Gerichte zu und lieben<br />

es, diese zu verkosten. Das Wissen um unsere Lebensmittel<br />

verpacke ich in „kleinen Portionen“, wenn wir die<br />

Speisen besprechen.<br />

Weiters beeinflussen die verbalen Formen der Ernährungserziehung<br />

das Essverhalten von Kindern. Um nur ein<br />

Beispiel anzuführen: Kinder sollen nicht gezwungen werden,<br />

den Teller leer zu essen, damit morgen die Sonne<br />

scheint.<br />

Backhausen: Diese Frage ist seit vielen Jahren zentrales<br />

Thema meiner Arbeit . Die Vorbildwirkung beeinflusst sehr<br />

stark die Entwicklung des Essverhaltens. Die 100%ige<br />

häusliche Betreuung ist längst abgelöst – spätestens ab<br />

dem vierten Lebensjahr sind die Kinder tagsüber im Kindergarten<br />

und dann im Schulsystem. Dadurch bietet sich<br />

auch eine große Chance. Der unbändige Wissensdurst der<br />

Kinder kann auf spielerische Weise genährt werden, es<br />

gilt Wissenswertes über die Funktion ihres Körpers sowie<br />

die Auswirkungen von Ernährung so früh wie möglich zu<br />

vermitteln. Die Pädagogen sind die wichtigsten Partner,<br />

aber auch die Eltern müssen in den Entwicklungsprozess<br />

eingebunden werden.<br />

ernährung heute: Welche Werkzeuge benötigen Pädagogen<br />

für das Essen-Lehren?<br />

Mertlitz: Die Küche (Schulküche) ist ein idealer Lernort,<br />

wo Kinder den Umgang mit Lebensmitteln beobachten<br />

und erleben können. Aus Erfahrung weiß ich, dass Kinder<br />

auch einen großen Wert auf das „Drumherum“, wie bunte<br />

Teller, einfach gefaltete Servietten, farbige Tischsets, und<br />

eine angenehme Tischatmosphäre legen. Ist im Kindergarten<br />

oder in der Schule keine Küche vorhanden, heißt<br />

das noch lange nicht, dass nicht auch praktisch gearbeitet<br />

werden kann. Eine Mindestausstattung an Geschirr,<br />

Besteck und Kochutensilien reicht für den Anfang.<br />

Backhausen: Ich empfehle die unterschiedlichsten Werkzeuge:<br />

riechen, schmecken, fühlen, hören, mit allen Sinnen<br />

das Essen erfassen, den Körper nachspielen, Wahrnehmungsübungen<br />

und themenspezifische Spiele aufgebaut<br />

auf den Säulen: Ernährung, Bewegung und Entspannung.<br />

So macht Lernen Spaß und wirkt nachhaltig.<br />

ernährung heute: Das Gesundheitsargument für den<br />

(Nicht-)Verzehr bestimmter Lebensmittel ist problematisch.<br />

Mit „gesund“ werden häufig Speisen betitelt, die<br />

spontan eher nicht schmecken, außerdem handelt es sich<br />

meist um jene Lebensmittel, die „vorgeschrieben“ werden,<br />

zum weiterlesen<br />

Mertlitz S:<br />

ESSperimente 3. Mehr Fantasie<br />

für Pausenbrot und Kinderfest.<br />

Heyn Verlag, Klagenfurt (2009).<br />

ISBN 978-3-7084-0366-3,<br />

Preis: € 15,00.<br />

zum weiterlesen<br />

Mosettig-Astner L, Lotschak-Hubmer<br />

K, Jung AM: Märchenhafte Rezepte<br />

von Nellie & Nick. Verlag Johannes<br />

Heyn, Klagenfurt (2009).<br />

ISBN 978-3-7084-0359-5,<br />

Preis: € 15,00.<br />

zum weiterlesen<br />

Becker-Pröbstel S:<br />

Wie ist das mit ... dem Essen.<br />

Gabriel Verlag, Stuttgart/Wien (2009).<br />

ISBN 978-3-522-30170-1,<br />

Preis: € 11,90.<br />

2_2010 ernährung heute<br />

10


im fokus<br />

also mit Bevormundung assoziiert werden. Für Kinder ist<br />

noch dazu das stark zeitverzögerte Eintreten möglicher<br />

Folgen weder vorstell- noch erlebbar, so tritt die Drohung,<br />

„dick zu werden“, nicht gleich am nächsten Tag ein. Welche<br />

Motivationsstrategien für eine bunte Auswahl haben<br />

Sie parat?<br />

Kleinsten, wie viele Fit- und Schlappmacher der Körper<br />

benötigt. Meine Motivationsstrategie ist daher, immer wieder<br />

in die Wahrnehmungsebene der Kinder einzutauchen<br />

und auch andere schwierige Begriffe in Form von Spielen<br />

so unterschiedlich wie möglich für die Kinder erlebbar zu<br />

machen.<br />

Mertlitz: Es gibt keine „gesunden“ und „ungesunden“<br />

Nahrungsmittel. Entscheidend ist die Häufigkeit und Menge<br />

des Verzehrs, die Bekömmlichkeit des Lebensmittels<br />

oder des Gerichts für die jeweilige Person, in welcher<br />

Kombination es gegessen und ob es sachgemäß zubereitet<br />

wurde. Anstelle der Einteilung „gesund“ und „ungesund“,<br />

was ja so viel heißt wie „ja“ oder „nein“, versuche<br />

ich die Einteilung nach Lebensmitteln mit „mehr“ oder<br />

„weniger“, „öfter“ oder „seltener“ vorzunehmen. Dadurch<br />

kommt es zu keinem Nahrungsmittelverbot, denn Verbote<br />

sind in der modernen Ernährungserziehung verboten!<br />

Einzelne Lebensmittel bzw. daraus hergestellte Speisen<br />

verlangen eine sachliche Aufklärung, ohne das Gesundheitsmotiv<br />

emporzuheben oder Verzehrsverbote auszusprechen.<br />

Sinnvoll ist es, Alternativen gemeinsam zu finden<br />

und die Entscheidungsfreiheit des Kindes zu fördern.<br />

Erfolg verspricht die Vorbildwirkung der Eltern und Pädagogen,<br />

die dafür Sorge tragen müssen, dass gemeinsame<br />

Mahlzeiten in Ruhe und mit Genuss eingenommen werden<br />

können. Damit sind die besten Rahmenbedingungen für<br />

ein erfolgreiches Beobachtungslernen gegeben.<br />

Kinder sollen zum Einkauf oder auch zur Ernte mitgenommen<br />

werden und in die Entscheidungsfindung einbezogen<br />

werden. Das A und O ist, wenn Kinder in der Küche mithelfen<br />

können.<br />

Backhausen: „Mama, was gibt es denn heute, was Gesundes<br />

oder etwas Gutes?“ Diese zentrale Kinderfrage aus<br />

dem Alltag hat meine gesamte Tätigkeit geprägt. Zunächst<br />

galt es, das Wort gesund in die Kindersprache zu übersetzen<br />

– ich arbeite daher mit den Begriffen fit und schlapp.<br />

Und glauben Sie mir, kein Kind mag sich schlapp fühlen!<br />

Dennoch sind Schlappmacher erlaubt und mit einem lustigen<br />

Fingerpuppentheater zum Beispiel lernen schon die<br />

ernährung heute: Wie viel Fantasie ist im Essalltag mit<br />

Kindern gefragt?<br />

Mertlitz: In meinem Unterricht bemerke ich, dass Kinder<br />

zuerst einzelne Obst- und Gemüsesorten ablehnen, während<br />

der Zubereitung neugierig werden und dann bei Tisch<br />

erstaunt sind, wie gut es ihnen doch schmeckt. Ähnliche<br />

Erfolge konnte ich in einem Kindergarten sehen, als wir<br />

„farbenfrohe Suppentöpfe“ zubereitet haben. Die Kinder<br />

haben mit Begeisterung die rote, grüne, orange und weiße<br />

Suppe verkostet, obwohl es im Vorfeld geheißen hat, die<br />

Kinder mögen Gemüsecremesuppen nicht so gerne. Auch<br />

Obstspieße, Gemüsegesichter, Fingerfood … machen Kinder<br />

neugierig. Bei Kleinkindern kann das entsprechende<br />

Lebensmittel zusätzlich noch in eine Geschichte verpackt<br />

werden. Verkostungen und Sinnesschulungen sind bei allen<br />

Altersgruppen beliebt. Unbekanntes lässt sich z. B. gut<br />

in eine Blindverkostung verpacken. Wird mit den Kindern<br />

in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule gemeinsam<br />

gekocht, empfehle ich schon frühzeitig ein kleines<br />

Foto-/Kochbuch anzulegen. Die Freude an der Zubereitung,<br />

das gute Gelingen sowie die Zeit beim Genießen<br />

soll bildlich festgehalten werden. Die Ausgestaltung des<br />

Buches ist dann der Fantasie des Kindes überlassen.<br />

Backhausen: Fantasie macht den Alltag bunt, Feste<br />

außergewöhnlich und Mahlzeiten zu Erlebnissen. Kinder<br />

lieben die Verführung und die Welt der Fantasie! Im Programm<br />

„SCHMACKOFIT – Ernährung spielend leicht gemacht“,<br />

das für Kindergärten und Volksschulen entwickelt<br />

wurde, gibt es auch diesbezüglich viele Ideen, Anregungen<br />

und Tipps für den Alltag.«<br />

Die Interviews führte Mag. Marlies Gruber.<br />

porträt am rande<br />

Martina Backhausen<br />

diplomierte Diätologin und ernährungsmedizinische<br />

Beraterin, mehrjährige<br />

Tätigkeit an der Universitäts-<br />

Kinderklinik Wien, Diplomtherapeutin<br />

mit über 19 Jahren Berufserfahrung,<br />

Mutter von zwei Kindern,<br />

1999 Gründung einer eigenen Gemeinschaftspraxis.<br />

Seit 2002 Entwicklung<br />

der Kinderernährungserziehung<br />

SCHMACKOFIT<br />

zum weiterlesen<br />

Anger-Schmidt G, Habinger R:<br />

Das Buch gegen das kein Kraut<br />

gewachsen ist.<br />

Residenz Verlag, St. Pölten (2010).<br />

ISBN 978-3-7017-2065-1,<br />

Preis: € 19,90.<br />

zum weiterlesen<br />

schmackofit Arbeitshefte für Kinder<br />

von vier bis zehn Jahre.<br />

Schmackofit Eigenverlag Martina<br />

Backhausen, www.schmackofit.at<br />

zum weiterlesen<br />

schmackofit Arbeitshefte: Bauch-<br />

Achterbahn; Eiweiß, Fett + Co; Jause<br />

gut – alles gut!; Zähne mit Biss; Kau<br />

dich schlau; Nanu, was isst denn Du?<br />

ernährung heute 2_2010<br />

11


im fokus<br />

Harmonisch. Weißwein zu Fisch und weißem Fleisch, Rotwein zu dunklem Fleisch – diese<br />

allgemein gültigen Regeln waren gestern. <strong>Heute</strong> passt zusammen, was uns persönlich als<br />

Kombination schmeckt. Und doch gibt es einige Anhaltspunkte, warum Speisen und<br />

Getränke harmonieren oder nicht. Die Sensorik geht dem „Food Pairing“ auf den Grund.<br />

Food Pairing – eine SINNfonie des Geschmacks<br />

zum weiterlesen<br />

Derndorfer E:<br />

Weinsensorik. Österreichischer<br />

Agrarverlag, Wien (2009).<br />

ISBN 978-3-7040-2348-3,<br />

Preis: € 29,90.<br />

info am rande<br />

Adstringenz ist eine „trigeminale“<br />

Empfindung, d. h. sie wird durch freie<br />

Nervenenden des Nervus Trigeminus,<br />

des fünften Hirnnervs, weitergeleitet.<br />

Dieser auch als Drillingsnerv bezeichnete<br />

Nerv hat drei Hauptäste.<br />

Adstringenz ist ein zusammenziehendes,<br />

trockenes Mundgefühl, das z. B.<br />

oft bei Rotweinkonsum auftritt.<br />

Es entwickelt sich relativ langsam,<br />

verteilt sich im Mund und kann nur<br />

schwer lokalisiert werden. Verantwortlich<br />

für dieses Mundgefühl sind<br />

einerseits bestimmte Polyphenole<br />

aus Traubenkernen und Traubenhaut,<br />

die in Rotwein in höherer Konzentration<br />

als in Weißwein vorliegen. Bei<br />

Weißweinen können Säuren Adstringenz<br />

auslösen.<br />

http:// am rande<br />

www.foodpairing.be<br />

http://snoe.boku.ac.at<br />

Das Sensorik Netzwerk Österreich<br />

(SNÖ) wurde 2010 gegründet, um<br />

der wachsenden Sensorik-Szene<br />

Österreichs eine Plattform zur<br />

Vernetzung zu geben.<br />

Dr. Eva Derndorfer<br />

Werden Lebensmittel oder Zutaten miteinander kombiniert,<br />

so stoßen verschiedene Aromen und Geschmacksrichtungen<br />

aufeinander. Was dabei herauskommt, ist nur<br />

zum Teil abschätzbar. Einerseits kann beim Mischen verschiedener<br />

Geruchskomponenten der olfaktorische Charakter<br />

der Mischung nicht eindeutig vorhergesagt werden.<br />

Dazu kommt, dass der Geruch die Wahrnehmung des Geschmacks<br />

beeinflusst. Andererseits beeinflussen sich<br />

auch die Grundgeschmacksarten süß, sauer, salzig, bitter<br />

und umami. Wenngleich diese Wechselwirkungen vielfach<br />

untersucht sind, ist die Literatur zum Teil widersprüchlich<br />

und der biochemische Mechanismus der Interaktionen<br />

immer noch weitgehend unbekannt. Vor allem Bitterkeit<br />

ist sehr komplex, gibt es doch zahlreiche Substanzen mit<br />

unterschiedlicher Molekülstruktur und demgemäß eine<br />

größere Anzahl verschiedener Bitterrezeptoren. Letztlich<br />

kommt es auf die Temperatur einer Kombination an, da<br />

die Grundgeschmacksarten bei verschiedenen Temperaturen<br />

unterschiedlich intensiv wahrgenommen werden<br />

und die wahrgenommene Geruchsintensität ebenso von<br />

der Produkttemperatur abhängt.<br />

Dennoch ist das Kombinieren von Lebensmitteln bzw. von<br />

Speisen und Getränken keine völlige Fahrt ins Blaue. Wer<br />

Kochbücher studiert, stößt zwar auf zahlreiche unterschiedliche<br />

Rezepte, bemerkt aber immer wiederkehrende<br />

Kombinationen, die sich offenbar als harmonisch erwiesen<br />

haben. Gewürzhersteller geben als Orientierungshilfe<br />

an, für welche Lebensmittel ein Kraut oder Gewürz<br />

besonders gut passt, und mancher Winzer empfiehlt seine<br />

Weine zu bestimmten Speisen. Die Wissenschaft bietet<br />

ebenfalls Anhaltspunkte zur Harmonie. Sensorische<br />

Untersuchungen zeigen, welche Gewürze als ähnlich im<br />

Geruch empfunden werden, und welche einander am ehesten<br />

ersetzen können. Die Sensorik liefert aber auch Belege,<br />

anhand welcher Kriterien Harmonie festgemacht<br />

werden kann. Für Olivenöl kann die Paarharmonie von Öl<br />

und Speise etwa anhand der sensorischen Attribute grün,<br />

reif, fruchtiger Geruch und Geschmack, Schärfe, Bitterkeit<br />

und Süße bewertet werden. Für jedes Attribut reicht die<br />

Skala von 0 bis 10, wobei 5 eine perfekte Paarharmonie<br />

bedeutet, während Werte unter 5 zu geringe Intensität<br />

und Werte über 5 zu starke Dominanz bezeugen.<br />

Speis & Trank gesellt sich gern<br />

Warum trinken wir gelegentlich Wein zum Essen? Nicht<br />

nur wegen des Geschmacks des Weines, sondern weil<br />

Wein Speisen eine neue Dimension verleihen kann. Von<br />

allgemein gültigen Empfehlungen, welcher Wein zu welchem<br />

Essen passt, ist man aber wieder abgekommen.<br />

Neue Küchen- und Weinstile machen Patentrezepte<br />

schwer. Experimentieren unter Berücksichtigung individueller<br />

Vorlieben ist angesagt, nicht zuletzt deshalb, weil<br />

eine Kombination, die uns selber schmeckt, für uns in jedem<br />

Fall zusammenpasst. Wer sichergehen möchte, welcher<br />

Wein zum Essen passt, kann auf verallgemeinerte Regeln<br />

als Hilfestellung zurückgreifen. Probieren kommt oft<br />

im zweiten Schritt: Wer mehrfach gekostet und erfahren<br />

hat, welche Kombination harmoniert, kann Schritt für<br />

Schritt Abwandlungen wagen.<br />

Eine Grundregel, die jedoch immer gilt ist, dass Wein und<br />

Speise nicht konkurrieren sollen, sondern der Genuss des<br />

einen durch die Anwesenheit des anderen steigen soll.<br />

Die Harmonie von Wein und Speise hängt davon ab, ob Inhaltsstoffe<br />

miteinander reagieren, sich unterdrücken oder<br />

gegenseitig verstärken. Ein Beispiel für Unterdrückung ist<br />

die Kombination aus tanninreichen, adstringierenden Rotweinen<br />

und proteinreichen Lebensmitteln. Fast jeder gelegentliche<br />

Rotweintrinker weiß, dass das adstringierende<br />

Mundgefühl bei Verkostung mehrerer tanninreicher<br />

Rotweine zunimmt. Dieser Effekt tritt bei Kombination<br />

von Wein und Speise mit geringerer Wahrscheinlichkeit<br />

auf, da Tannine mit Proteinen des Lebensmittels reagieren<br />

können. In einer italienischen Studie wurde die Adstringenz<br />

von Rotweinen nach Konsum verschiedener Käsesorten<br />

geringer wahrgenommen. Die Ausnahme zur Regel<br />

stellt Mozzarella dar, er reduziert die Adstringenz von<br />

Rotweinen nicht.<br />

«Die schönste Harmonie entsteht durch<br />

Zusammenbringen der Gegensätze.» (Heraklit)<br />

Aus der Kombination von Wein und Speise können aber<br />

auch neue Komponenten, z. B. Aromastoffe, entstehen.<br />

So ist der Eisengehalt des Weines dafür mitverantwortlich,<br />

dass Rotwein und Fisch sehr oft nicht harmonieren.<br />

In einer japanischen Studie wurde die Kombination aus<br />

getrockneten Jakobsmuscheln und 69 Weinen – Rotweine,<br />

Weißweine, Sherry, Botrytiswein, Portwein und Madeira<br />

– getestet. Es wurde eine stark positive Korrelation<br />

zwischen unerwünschtem fischigen Nachgeschmack und<br />

Gesamteisengehalt der Weine als auch mit dem Fe2+-Gehalt<br />

gefunden. Bei Modellweinen, denen unterschiedliche<br />

Konzentrationen Eisensulfat zugesetzt wurden, korrelierte<br />

der fischige Nachgeschmack ebenso mit der Konzentration<br />

von Eisensulfat. Dieser fischige Nachgeschmack ist<br />

das Resultat einer Aromastoffbildung. Werden getrocknete<br />

Jakobsmuscheln in Rotwein eingeweicht, so entstehen<br />

flüchtige Verbindungen wie Hexanal, Heptanal, 1-Octen-<br />

3-on, (E,Z)-2,4-Heptadienal, Nonadienal und Decanal.<br />

1-Octen-3-on hat außerdem eine metallische Note. Die Bildung<br />

dieser flüchtigen Verbindungen ist vom Gehalt vorhandener<br />

Eisenionen abhängig.<br />

Dass Rotweine tendenziell weniger gut zu Fisch passen<br />

als Weißweine, hat mehrere Gründe: Erstens sind Qualitätsrotweine<br />

im Durchschnitt eisenreicher als Qualitäts-<br />

2_2010 ernährung heute<br />

12


im fokus<br />

weißweine. Zweitens können Säuren mit Eisenionen Chelate<br />

bilden – säurereiche Weißweine werden mitunter<br />

auch deshalb zu Fisch empfohlen. Drittens ist Fisch meist<br />

„leichter“ als dunkles Fleisch, wobei die Schwere von der<br />

Zubereitung abhängt, und es gibt mehr leichte, d. h. alkoholärmere<br />

Weißweine als Rotweine, wenngleich bei Rotwein<br />

derzeit weniger opulente Weine wieder verstärkt<br />

präsent sind. Dennoch gibt es auch ansprechende Kombinationen<br />

von Fisch und Rotwein.<br />

Biersommelier im Kommen<br />

Während bei Wein allgemein gültige Empfehlungen im<br />

Rückmarsch sind, hat der Verband der Brauereien Österreichs<br />

aktuell einen Bierfächer herausgebracht, anhand<br />

dessen ersichtlich ist, welche der 34 Biersorten zu welchem<br />

Essen empfehlenswert ist. Der Bierfächer kommt somit<br />

jenen Konsumenten entgegen, die zwar gerne verschiedene<br />

Biersorten probieren, aber keine Risiken eingehen<br />

wollen, was zum Essen mundet. Beispielsweise<br />

wird Pilsbier österreichischer Brauart – ein vollmundiges,<br />

hopfenbetontes, untergäriges Bier – zu Pasteten, Aufstrichen,<br />

Canapés, Braten, Eintopf, Geflügel, Schnittkäse, mildem<br />

Schimmelkäse, Torten und Kuchen empfohlen. Und<br />

ein helles Weizen – ein fruchtaromatisches, obergäriges<br />

Vollbier – passt zu Spargel und anderen Gemüsegerichten,<br />

Fisch und Meeresfrüchten, Geflügel, mildem Frischkäse,<br />

fruchtigen Desserts und sogar zum Eisbecher.<br />

Passender Tee zum Essen?<br />

In japanischen Restaurants ist es üblich, Tee zum Essen zu<br />

bestellen. Grüntee harmoniert mit Sushi und mit warmen<br />

asiatischen Gerichten. Dass auch herbe Kräutertees, etwa<br />

aus Brennnesseln, zu Sushi und Maki passen, und Früchtetees<br />

zu Käse, Wild und Lamm serviert werden können,<br />

schlägt ein niederösterreichischer Kräuterhersteller vor.<br />

Wasser – mehr als neutral<br />

Wasser kann viele, aber nicht alle Speisen neutralisieren,<br />

und hat somit eine Bedeutung als Gaumenneutralisationsmittel.<br />

Die Schärfe von Chili kann mit Wasser allerdings<br />

nicht „gelöscht“ werden, als lipophile Substanz<br />

kann Capsaicin nicht durch Wasser ausgeglichen werden.<br />

Hier bedarf es Milch, Joghurt oder Frischkäse als Neutralisationsmittel.<br />

Auch Zucker oder Honig können die Schärfe<br />

im Mund nach Chilikonsum reduzieren.<br />

Die Gaumenneutralisation, vor allem zwischen mehreren<br />

Gängen eines Menüs, ist aber nur ein Teil der Geschichte:<br />

In der Spitzengastronomie gibt es mittlerweile eigene<br />

Wasserkarten, und neben Weinsommeliers vereinzelt<br />

Wassersommeliers. Denn auch Wässer schmecken durchaus<br />

verschieden.<br />

Sensorik und Sprache<br />

Weine systematisch in Geruch und Geschmack zu beschreiben,<br />

wurde bereits im 17. Jahrhundert versucht.<br />

<strong>Heute</strong> zählt das „Mitreden können“ über Geruch und Geschmack<br />

von Wein für viele fast schon zur Allgemeinbildung.<br />

Dies ist vor allem insofern spannend, als es per se<br />

keine allgemein verständliche und einheitliche sensorische<br />

Sprache gibt. Es bedarf eines umfangreichen Trainings,<br />

um ein sensorisches Vokabular innerhalb einer<br />

Gruppe zu etablieren und zu standardisieren. Für objektive<br />

Beschreibungen werden idealerweise trainierte<br />

Gruppen aus sensorisch sensiblen Konsumenten eingesetzt,<br />

da diese keine Erwartungshaltung aufgrund von<br />

Fachwissen besitzen. Werden Experten mit Fachwissen<br />

herangezogen, sollte deren Vokabular ebenso standardisiert<br />

werden. Ohne gemeinsames Training liegen deutliche<br />

Unterschiede in den Beschreibungen einzelner Experten<br />

vor, wie mehrere Studien eindrucksvoll belegen.<br />

Die Sprachwissenschaft hat sich mittlerweile ebenso der<br />

Weinbeschreibungen angenommen. Der „Körper“ eines<br />

Weines steht konzeptionell mit Größe, Gewicht und Stärke<br />

in Verbindung. „Trocken“ ist eine metaphorische Beschreibung,<br />

während Aromaattribute Bezug auf andere<br />

Substanzen (Früchte, Honig etc.) nehmen. Hilfsmittel wie<br />

Aromaräder können unterstützen, Begriffe für das Weinaroma<br />

zu finden. Um einheitlich verstanden zu werden,<br />

sollten diese Begriffe mit Referenzen trainiert werden.<br />

Der Workshop „Wein am Aromarad“ beim Symposium<br />

Kulinarische Intelligenz – Genuss ist Lebensqualität<br />

beschäftigte sich mit Weinbeschreibungen. Die Teilnehmer<br />

erhielten drei Grüne Veltliner aus verschiedenen Regionen<br />

und versuchten anhand des Aromarades, die Weine<br />

zu beschreiben. Die Begriffe der Teilnehmer wurden<br />

gesammelt und anschließend den Beschreibungen verschiedener<br />

Händler gegenübergestellt. Wie zu erwarten,<br />

wurden unterschiedliche Begriffe genannt, manche aber<br />

durchaus wiederkehrend. Die Beschreibungen des Fachhandels<br />

waren ebenso variabel: So wurde ein Wein auf<br />

der Webseite eines Händlers als würzig, mit Veltlinerduft,<br />

pfeffrig und fruchtig angepriesen, bei einem anderen mit<br />

Birnen-Limetten-Aroma, Mineralität und schilfiger Säurestruktur<br />

beschrieben. Von den Teilnehmern kamen zum<br />

selben Wein bei der geruchlichen Beschreibung v. a. die<br />

Begriffe Zitrus, Apfel, Marille/Pfirsich, fruchtig, würzig,<br />

Pfeffer, grasig, blumig, Holunderblüte, Brennnessel vor.<br />

Häufige Geschmacksattribute waren Säure, bitter, Zitrusfrüchte<br />

und Pfeffer. Zur unterschiedlichen Wahrnehmung<br />

kommt hinzu, dass die mehrfache Verwendung desselben<br />

Begriffes nicht notwendigerweise mit demselben Verständnis<br />

einhergeht.<br />

Fazit: Geschmäcker sind verschieden. Und mit ihnen auch<br />

die Worte, die dafür gefunden werden. Aber es gibt Gründe,<br />

die eine Harmonie zwischen Speise und Getränk fördern<br />

oder erschweren. Dennoch kann ein gemeinsames<br />

Vokabular trainiert werden. «<br />

Caporale G, Carlucci A, Monteleone E: Wine and Cheese Combination: Effect on Sensory<br />

Perception. Pangborn Sensory Science Symposium, Minneapolis 2007, Poster<br />

P3.30.<br />

Cerretani L, Biasini G, Bonoli-Carbognin M, Bendini A: Harmonyof Virgin Olive Oil and<br />

Food Pairing: A Methodological Proposal. Journal of Sensory Studies 22: 403–416<br />

(2007).<br />

Derndorfer E, Baierl A: Development of an Aroma Map of Spices by Multidimensional<br />

Scaling. Journal of Herbs, Spices and Medicinal Plants, Vol 12: 39–50 (2006).<br />

Jackson RS: Wine Science. Principles Practice Perception. Academic Press, an Imprint<br />

of Elsevier, San Diego, 2. Auflage (2000).<br />

Madrigal-Galan B, Heymann H: Sensory Effects of Consuming Cheese Prior to Evaluating<br />

Red Wine Flavour. American Journal of Enology and Viticulture 57: 12–22 (2006).<br />

Tamura T et al.: Iron Is an Essential Cause of Fishy Aftertaste Formation in Wine and<br />

Seafood Pairing. Journal of Agricultural and Food Chemistry 57: 8550–8556 (2009).<br />

zum weiterlesen<br />

Donhauser RM, Riese JM:<br />

Die Welt des Wassers.<br />

Umschau Verlag, Neustadt an der<br />

Weinstraße (2009).<br />

ISBN 978-3-86528-666-6,<br />

Preis: € 20,50.<br />

zum weiterlesen<br />

Steinheuer HS:<br />

Harmonie der Aromen. Einklang von<br />

Küche und Wein.<br />

Tre Torri Verlag, Wiesbaden (2008).<br />

ISBN 9783937963-79-2,<br />

Preis: € 49,90.<br />

zum weiterlesen<br />

Verband der Brauereien Österreichs:<br />

Bierfächer. Biervielfalt mit allen<br />

Sinnen.<br />

Der Bierfächer kann kostenlos unter<br />

www.bierserver.at bestellt werden.<br />

ernährung heute 2_2010<br />

13


ernährung, diätetik<br />

Florierend. Keine Diät liefert bisher ein zufrieden stellendes Patentrezept zur dauerhaften<br />

Gewichtsabnahme. Aktuelle Forschungsansätze suchen die Lösung im Darm. Ein neuer<br />

Hoffnungsschimmer im Kampf gegen das Übergewicht?<br />

Gewichtskriterium Darmflora<br />

zum weiterlesen<br />

Bischoff St C (Hrsg.): Probiotika,<br />

Präbiotika und Synbiotika.<br />

Thieme, Stuttgart (2009).<br />

ISBN 978-3131448910,<br />

Preis: € 39,95.<br />

info am rande<br />

Das Mikrobiom bezeichnet die gesamte<br />

genetische Masse aller Mikroorganismen<br />

im Menschen. Es enthält<br />

100-fach mehr Gene als das menschliche<br />

Genom. Der Begriff wurde vom<br />

Molekularbiologen und Genetiker<br />

Joshua Lederberg geprägt. Er behauptete,<br />

dass im Humangenomprojekt<br />

auch die Mikroflora berücksichtigt<br />

werden müsse, da dieses als<br />

Teil des menschlichen Stoffwechselsystems<br />

maßgeblichen Einfluss<br />

habe. Erst 2007 wurde das „Human<br />

Project Microbiome“ zur Sequenzierung<br />

aller mikrobiellen Genome ins<br />

Leben gerufen.<br />

Kinder, die bereits im Alter von<br />

sieben Jahren übergewichtig sind,<br />

zeigen schon eine andere Darmflora<br />

(weniger Bifidobakterien, mehr<br />

Staphylococcus aureus) als normalgewichtige<br />

(n = 25 bzw. 24).<br />

Mag. Sabine Dämon<br />

Die Zunahme von Übergewicht und Adipositas während<br />

der vergangenen Jahrzehnte wird nun von Forschern in ein<br />

neues Licht gerückt: Sie sehen einen Zusammenhang mit<br />

einer veränderten Mikroflora im menschlichen Darm. Die<br />

Ausblicke scheinen vielversprechend – die Mechanismen<br />

dahinter jedoch noch etwas unklar.<br />

Gewichtiges Mikrobiom<br />

Die mikrobielle Lebensgemeinschaft im Darm umfasst<br />

rund 1000 Bakterienzellen mit 500 bis 1000 bisher bekannten,<br />

unterschiedlichen Spezies. Zusammen wiegen<br />

sie 1 bis 1,5 kg. Sie haben damit nicht nur einen unvermutet<br />

messbaren Anteil am Körpergewicht, sie können<br />

dieses abhängig von ihrer Zusammensetzung womöglich<br />

auch entscheidend beeinflussen. Eine viel zitierte Arbeit<br />

aus der Zeitschrift Nature 2006 legt nämlich Unterschiede<br />

in der Mikroflora von Schlanken und Übergewichtigen<br />

nahe. Die Gruppe um Peter Turnbaugh von der Washington<br />

University School of Medicine in St. Louis zeigte, dass<br />

von den beiden hauptsächlich im Darm vertretenen Stämmen,<br />

den bakteroiden und firmikuten Bakterien, die ersteren<br />

bei dicken Menschen niedrig und zweitere erhöht<br />

sind. Untersuchungen an Testmäusen konnten bei übergewichtigen<br />

20 % statt 40 % Bacteroides sowie 80 %<br />

statt 60 % Firmicutes im Vergleich zu normalgewichtigen<br />

quantifizieren. Zudem führte der Transfer eines „adipösen“<br />

Mikrobioms in den keimfreien Darm schlanker Testmäuse<br />

bei diesen zu einer Zunahme des Körperfetts.<br />

Unklar ist, ob die veränderte Mikroflora bedingt ist durch<br />

das Übergewicht, eine genetische Disposition für die Ansiedlung<br />

bestimmter Bakterien oder durch Ernährungsgewohnheiten.<br />

Oder ob sie Adipositas (mit-)verursacht.<br />

Dick durch fleißige Untermieter?<br />

Eine nahe liegende Erklärung scheint darin zu liegen, dass<br />

intestinale Bakterien die Nahrungsaufbereitung und den<br />

Energiehaushalt ihres menschlichen Gastgebers beeinflussen.<br />

Das metabolische Potential der dickmachenden<br />

Futterverwerter wird über eine gesteigerte Absorption<br />

von Monosacchariden und Energiebereitstellung über<br />

kurzkettige Fettsäuren durch Fermentation unverdaulicher<br />

Nahrungsbestandteile vermutet. Neben dieser höheren<br />

Kapazität zur Nutzung der Nahrungskalorien könnte<br />

auch die Förderung der Fettspeicherung in den Fettzellen<br />

über eine Lipoproteinlipase-Regulation sowie die Zunahme<br />

der hepatischen de-novo Lipogenese entscheidend<br />

sein. Der Fettsäureabbau werde auf der anderen Seite unterdrückt.<br />

Metabolische Erkrankungen und Adipositas<br />

werden zudem mit – von den Fettzellen ausgehenden –<br />

Entzündungsprozessen in Verbindung gebracht. Hier<br />

könnte auch die Mikroflora eine Rolle spielen. Experimentelle<br />

Daten zeigen, dass Endotoxine (Lipopolysaccharide)<br />

als Wandbestandteile gram-negativer Bakterien<br />

eine Schlüsselrolle in der Entwicklung von Fettmasse, Insulinresistenz<br />

sowie systemischen Entzündungsprozessen<br />

spielen. So kann durch fett- oder fructosereiche Mahlzeiten<br />

die Darmpermeabilität gesteigert und eine metabolische<br />

Endotoxemie im Blut induziert werden, die mit<br />

einer gestörten Glukosehomöostase einhergeht.<br />

Chef bleibt der Wirt<br />

Könnte es also sein, dass eine „adipöse“ Darmflora den<br />

Erfolg von Diäten und anderen gewichtreduzierenden<br />

Maßnahmen erschwert? Oder umgekehrt: Könnte es eine<br />

notwendige oder sogar präventive Maßnahme sein, das<br />

Wachstum bestimmter Bakterien zu stoppen? Diese Fragen<br />

werden derzeit in den Raum gestellt. Dennoch: Ausgeliefert<br />

sind wir unseren Untermietern nicht. Die gute<br />

Nachricht ist, dass die meisten Daten aus Extremvergleichen<br />

von keimfreien mit „konventionellen“ Mäusen stammen<br />

und dass es sich in der Praxis um ein komplexes<br />

Wechselspiel handelt. Die intestinale Mikroflora wird<br />

auch durch die Ernährung bestimmt. So zeigen Futterstudien,<br />

dass sich nachteilige Bakterien durch fett- und<br />

zuckerreiche Ernährung bereits nach einem Tag vermehren.<br />

Umgekehrt ermöglicht eine Gewichtsabnahme bzw.<br />

das Einhalten einer Diät – egal ob low fat oder low carb –<br />

einen Rückwärts-Shift der veränderten Mikroflora. Hier<br />

findet auch das Probiotika-Konzept eine Anwendung.<br />

Durch die Verabreichung von Bifidobakterien können<br />

Endotoxinspiegel und damit eine inflammatorische Aktivierung<br />

reduziert und die mukosale Barrierefunktion verbessert<br />

werden. Als frühe Maßnahme zur Diabetes- und<br />

Adipositasprävention können Probiotika zusätzlich zur<br />

allgemeinen ausgewogenen Ernährungsweise den Glukosemetabolismus<br />

bei Schwangeren verbessern und das Risiko<br />

für ein überhöhtes Geburtsgewicht bei Kindern reduzieren.<br />

Profitieren könnten auch Patienten aus der Adipositaschirurgie,<br />

die eine bakterielle Fehlbesiedelung in<br />

bestimmten Magen-Darm-Abschnitten aufweisen. Ähnliches<br />

können auch Prebiotika schaffen. Ergebnisse beim<br />

Menschen weisen darauf hin, dass durch eine Modulation<br />

endokriner Funktionen die Synthese von Darmpeptiden<br />

(glucagon-like Peptide, GLP) und damit die Sättigung erhöht<br />

bzw. eine Gewichtsabnahme erreicht werden kann.<br />

Die Effekte zeigen sich erst nach mehreren Wochen, was<br />

die physiologische Relevanz der Mikroflora-Adaption verdeutlicht.<br />

Fazit: Die Forschung zur mikrobiellen Komponente der<br />

Adipositas steckt noch in den Kinderschuhen. Humanstudien<br />

sind gefordert, um die Bedeutung ernährungsassoziierter<br />

Veränderungen der intestinalen Mikroflora für Gewichtsmanagement<br />

und Kontrolle von metabolischen<br />

Störungen in der Praxis zu enträtseln und therapeutische<br />

Schlüsse ziehen zu können. «<br />

2_2010 ernährung heute<br />

14


ewegung<br />

Körpersignale. Der Körper hat sein eigenständiges komplexes Kommunikationssystem,<br />

das Gesprochenes belegen, aber auch widerlegen kann. Die Bewegungsanalyse unterstützt,<br />

wenn der Sprache die Worte fehlen.<br />

Bewegter Zugang zur Seele<br />

Mag. Karin Lobner<br />

Sinnliche Phänomene wie Gefühle sprachlich zum Ausdruck<br />

zu bringen, ist schwierig. Das Gesprochene gibt oft<br />

nur unscharf wieder, was sich im Körper abspielt. Wir verwenden<br />

Metaphern wie „Schmetterlinge im Bauch haben“<br />

oder „Es liegt mir im Magen“. Ein Blick ins Gehirn zeigt:<br />

Das Sprachzentrum links im Cortex liegt denkbar weit<br />

vom limbischen System entfernt, das für die Gefühlswelt<br />

zuständig ist. Es wird vermutet, dass die Sprache sich deshalb<br />

so weit entfernt von den Affektzentren entwickelt<br />

hat, damit sie den affektiven Bewertungen und Schwankungen<br />

nicht so extrem unterliegt wie fast alles andere.<br />

Wenn emotionale Prozesse das Bewusstsein überschwemmen<br />

und dominieren, hat der sprachliche Verstand keine<br />

Chance.<br />

Die Körpersprache ist Ausdruck inneren Erlebens und eng<br />

an Bedürfnisse, Motivationen, Wünsche und Emotionen<br />

geknüpft. Erfahrungen im Laufe unseres Lebens prägen<br />

die individuelle Art, sich zu bewegen – bestimmte Bewegungen<br />

werden bevorzugt, andere vermieden. Ein eigenes<br />

Bewegungsrepertoire entsteht. Die Bewegungsanalyse<br />

macht sich diese unbewussten Körpersignale zunutze. Dabei<br />

wird Unaussprechliches bewusst und somit ein Zusammenhang<br />

zur Persönlichkeit hergestellt.<br />

Es geht ums Tun<br />

Die Bewegungsanalyse fasst Bewegung nicht als Sprache,<br />

sondern als Handlung auf und basiert auf der Annahme,<br />

dass die innere Vorstellung, die ein Mensch von seinem<br />

Körper hat, das persönliche Bewegungsmuster formt. Dadurch<br />

erschließt sich ein Zugang zum Unbewussten. Der<br />

Therapeut fordert auf, „sich zu bewegen“. Dabei geht es<br />

nicht um spezielle Bewegungen, sondern um Alltagsbewegungen<br />

wie liegen, gehen oder sitzen. Wie leicht fallen<br />

die Bewegungen? Was würde man gerne tun, traut sich<br />

aber nicht? Das sind Fragen, die im Nachgespräch gestellt<br />

werden. Warum ist das so schwierig, sich z. B. einfach hinzulegen,<br />

wenn man das gerne machen würde? Im Anschluss<br />

an die Bewegungssequenz wird im Gespräch das<br />

in Bewegung Erlebte mit der aktuellen Lebenssituation<br />

verknüpft, was zu neuen Lösungsmöglichkeiten führt. Dieses<br />

Lernen über Körperbewegung bewirkt eine neue Freiheit<br />

zu denken und zu handeln. Bewegungsanalyse ermöglicht<br />

das Erkennen und Optimieren eigener Ressourcen<br />

und initiiert dadurch einen Veränderungsprozess.<br />

Gehen, um zu überleben<br />

Viele Patienten mit Essstörungen, meist Frauen, haben<br />

eine verzerrte Wahrnehmung ihres Körpers, oder sie lehnen<br />

ihn prinzipiell ab. In den Bewegungssequenzen der<br />

Therapie werden zuerst jene Körperteile bewegt, „die ungefährlich<br />

erscheinen“. Bei Anorexie-Patienten ist gehen<br />

oft das vorherrschende motorische Phänomen. Denn sich<br />

auf andere einzulassen würde auch heißen, die eigene Autonomie<br />

aufzugeben, was für viele ängstigend ist. Die Anorexie<br />

kann prinzipiell als Autonomieversuch verstanden<br />

werden, der so weit reicht, sich von allem, und auch vom<br />

Essen, scheinbar unabhängig zu machen. Therapie wird<br />

als gefährlich erlebt, weil die Fantasie entsteht, dass „etwas“<br />

mit einem gemacht wird, das nicht kontrolliert werden<br />

kann. Die Abwehr jeglicher Hilfe unterstützt die<br />

Schein-Autonomie. Doch vielen ist auch klar, dass sie<br />

nicht weiter abnehmen können, da der Körper dies nicht<br />

mehr durchhält. Diese Ambivalenz wird in der Bewegungsanalyse<br />

spürbar.<br />

Bewegungsanalyse öffnet als non-verbale Methode den<br />

Zugang zu den unbewussten Anteilen der Psyche und ist<br />

daher gerade für Patienten mit Essstörungen sehr passend.<br />

Frauen, die Bulimie als „Konfliktlösungsmittel“ gewählt<br />

haben, orientieren sich sehr stark am anderen und<br />

sind in dieser Interaktionsform gefangen. Das Setting in<br />

der Bewegungsanalyse – meist wird in einer Kleingruppe<br />

gearbeitet – macht diese Abhängigkeit sehr schnell bewusst<br />

und trifft also ziemlich rasch den Punkt. Für manche<br />

ist es zu konflikthaft, Widerstände treten auf, für andere<br />

hingegen ist es eine gute Möglichkeit, zu beginnen,<br />

sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und andere Möglichkeiten<br />

zur Konfliktlösung zu finden.<br />

Integration der Arme<br />

Bewegungen mit den Armen sind oft vorherrschend, sie<br />

werden körpernah „zum Schutz“ oder körperfern „da bin<br />

ich präsent“ bewegt. Das Experimentieren mit zielgerichteten<br />

Armbewegungen zeigt vielen Patienten auf, dass sie<br />

Kraft in den Armen haben und sie diese Kraft auch für sich<br />

selbst einsetzen können, z. B. in Form von stützen, schieben<br />

oder ziehen.<br />

Bewegungsanalyse als Entwicklungsprozess<br />

Die Bewegungsanalyse wird seit den 1980er-Jahren in<br />

Wien angewendet. Sie wird sowohl in Schulen als auch in<br />

Kliniken und Privatpraxen angeboten und eignet sich sowohl<br />

als Therapie als auch zur Gesundheitserziehung. Im<br />

gesundheitsfördernden Setting kann sie zu einer Steigerung<br />

von sozialer Kompetenz führen und so einen Veränderungsprozess<br />

auslösen. Bewegungsanalyse wird gleichzeitig<br />

als nachhaltige Methode zur Persönlichkeitsbildung<br />

gesehen. Denn „um aus Dir herauszukommen, musst Du<br />

erst in Dich gehen“ (Almut Adler).<br />

Fazit: Es lohnt sich, auf Körpersignale zu achten. Bewegungsanalyse<br />

unterstützt dabei, einen besseren Umgang<br />

mit sich selbst anzuregen. Im therapeutischen Kontext<br />

werden psychische Prozesse initiiert, da die Bewegungsanalyse<br />

sehr unmittelbare Ebenen anspricht, die das Verbalisieren<br />

nicht erreicht. «<br />

zum weiterlesen<br />

Trautmann-Voigt S, Voigt B:<br />

Grammatik der Körpersprache.<br />

Körpersignale in Psychotherapie und<br />

Coaching entschlüsseln und nutzen.<br />

Verlag Schattauer, Stuttgart (2009).<br />

ISBN 978-3-7945-2556-0,<br />

Preis: € 45,00.<br />

info am rande<br />

Bewegungsanalyse wird angeboten<br />

im Therapiezentrum „intakt“.<br />

www.intakt.at<br />

ernährung heute 2_2010<br />

15


lebensmittel, recht<br />

Nachgesüßt. 2010 ist das Erfolgsjahr für Neotam und Stevia. Die neuen Süßstoffe haben<br />

die Prüfungen der EFSA siegreich hinter sich gebracht und werden Aspartam und Saccharin<br />

Konkurrenz machen.<br />

Neue süße Kraft<br />

info am rande<br />

Die durchschnittliche tägliche Aufnahmemenge<br />

von Steviol-Glykosiden<br />

wird auf 1,3 bis 3,5 mg/kg Körpergewicht<br />

geschätzt. Dies entspricht<br />

bei einer 70 kg schweren Person<br />

etwa 170 mg Steviol-Glykoside<br />

pro Tag.<br />

info am rande<br />

Steviol-Glykoside werden aus den<br />

Blättern der Stevia-Pflanze (Stevia<br />

rebaudiana Bertoni) extrahiert. Diese<br />

Substanzen, zu denen beispielsweise<br />

Steviosid und Rebau-diosid gehören,<br />

sind 40 bis 300 Mal süßer als<br />

Saccharose.<br />

Mag. Ulrike Keller<br />

Die Eustas-Anhänger (European Stevia Association) können<br />

sich zufrieden zurücklehnen: Nachdem Einzelgenehmigungen<br />

für Stevia in der Schweiz und Frankreich vor<br />

kurzem erteilt wurden, ist nun auch die erneute Risikobewertung<br />

des für Lebensmittelzusatzstoffe zuständigen<br />

ANS-Gremiums (The Panel on Food Additives and Nutrient<br />

Sources Added to Food) der Europäischen Behörde<br />

für Lebensmittelsicherheit (EFSA) positiv für Stevia ausgefallen.<br />

Für die aus der Pflanze mit südamerikanischen<br />

Wurzeln gewonnenen Steviol-Glykoside hat das Gremium<br />

eine täglich tolerierbare Aufnahmemenge (ADI) von<br />

4 mg/kg KG festgelegt. Dieser Wert harmoniert mit jenem<br />

des vom gemeinsamen FAO/WHO-Sachverständigenausschuss<br />

für Lebensmittelzusatzstoffe (JECFA) festgelegten.<br />

Die Glykoside sollen nach dem Gutachten in diesen Aufnahmemengen<br />

weder erbgutschädigend noch krebserregend<br />

sein und sich auch nicht negativ auf die Fortpflanzungsorgane<br />

des Menschen und auf das ungeborene Kind<br />

auswirken. Es ist zu erwarten, dass die Europäische Kommission<br />

Steviol-Glykoside für aromatisierte Getränke,<br />

Süßwaren ohne zugesetzten Zucker und Suppen mit einem<br />

niedrigen Brennwert zulassen wird.<br />

Aspartams Sprössling<br />

Auch Neotam (E 961), das aus der Reaktion der Aminosäure<br />

Aspartam mit 3,3-Dimethylbutyraldehyd entsteht,<br />

ist seit 20. Jänner 2010 als Süßungsmittel und Geschmacksverstärker<br />

für bestimmte Lebensmittel zugelassen.<br />

Darunter fallen u. a. alkoholfreie Getränke, Dessertspeisen,<br />

Süßwaren, Bier, Obst- und Gemüseerzeugnisse,<br />

Soßen, Backwaren und Nahrungsergänzungsmittel.<br />

Neotam ist etwa 8000 mal süßer als Zucker sowie 30 bis<br />

60 Mal süßer als Aspartam und wurde bei der JECFA-Bewertung<br />

2003 sowie 2007 durch die EFSA als unbedenklich<br />

eingestuft: Das im Körper rasch resorbierte und eliminierte<br />

Neotam wirkte in den vorliegenden Studien weder<br />

erbgutschädigend noch krebserregend und schadete<br />

den Fortpflanzungsorganen und dem Fötus nicht. Die Ergebnisse<br />

aus Studien an Menschen belegen, dass Neotam<br />

von Gesunden und Diabetikern in der höchsten geprüften<br />

Dosis von täglich 1,5 mg/kg Körpergewicht gut vertragen<br />

wurde. Zu den Vorzügen von Neotam, das weltweit in<br />

mehr als 35 Ländern zugelassen ist, zählt nicht nur sein<br />

zucker-ähnlicher Geschmack. Es intensiviert auch die Aromen<br />

von Früchten, insbesondere Zitrone, sowie von Minze,<br />

Vanille und Schokolade, und kann im Gegensatz zu Aspartam<br />

auch zum Kochen und Backen verwendet werden.<br />

Auch Patienten, die unter Phenylketonurie leiden, können<br />

mit Neotam süßen, da in diesem Süßstoff nur sehr geringe<br />

Mengen an Phenylalanin enthalten sind. Der ADI-Wert für<br />

Neotam wurde von der JECFA 2003 und von der EFSA<br />

2007 auf 0 bis 2 mg/kg Körpergewicht festgesetzt.<br />

Wie die neuen Süßstoffe bei den Konsumenten ankommen<br />

werden, wird sich noch zeigen. Denn der Stevia-Geschmack<br />

erinnert in größeren Aufnahmemengen an Lakritze<br />

oder Fenchel, während Neotam keinen Eigengeschmack<br />

aufweisen soll.<br />

Stevia statt Fruktose<br />

In den USA wollen Hersteller von Softdrinks künftig in<br />

ihren zuckerfreien Softdrinks auf Stevia setzen. Sie erhoffen<br />

sich damit jene Konsumenten anzusprechen, die<br />

Aspartam & Co bisher skeptisch gegenüberstanden und<br />

lieber zur natürlichen fruktosegesüßten Version griffen.<br />

Damit wird in Amerika möglicherweise der Trend gestoppt,<br />

mit Fruktose-Maissirup zu süßen. Gut so, denn<br />

Fruktose in hohen Mengen schmeckt nicht nur bei der belegten<br />

positiven Korrelation zwischen Fruktosekonsum<br />

und Gewichtszunahme, sondern auch bei den Blutfettwerten<br />

und der Insulinsensitivität bitter nach: In einer<br />

Studie mit übergewichtigen oder adipösen Erwachsenen<br />

(n = 39) wurde gezeigt, dass ein zehnwöchiger Fruktosekonsum<br />

über 25 % der täglichen Energieaufnahme die viszerale<br />

Adipositas erhöhte, den Lipidstoffwechsel beeinträchtigte<br />

und die Insulinsensitivität verminderte. Diese<br />

negativen Effekte des Fruktosekonsums können nicht alleinig<br />

auf eine positive Energiebilanz zurückzuführen<br />

sein, da sie in der Kontrollgruppe, die statt Fruktose Glukose<br />

in derselben Aufnahmemenge konsumierte, nicht in<br />

diesem Ausmaß beobachtet wurde.<br />

In einer anderen Studie mit 4500 US-Amerikanern zeigte<br />

sich zudem, dass jene Personen, die täglich mehr als<br />

75 g Fruktose aufnahmen, um 87 % häufiger von einem<br />

bedenklich hohen Blutdruck von 140/90 mmHg betroffen<br />

waren. Es liegt also nahe, dass ein hoher Fruktosekonsum<br />

mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

und Diabetes mellitus Typ 2 einhergehen.<br />

Fazit: Die neue Süßstoff-Generation hält auch in Europa<br />

Einzug: Während Neotam schon als Süßungsmittel und<br />

Geschmacksverstärker für bestimmte Lebensmittel zugelassen<br />

ist, wartet man bei Stevia nach dem grünen<br />

Licht der EFSA auf das Ja der Europäischen Kommission.<br />

In den USA macht das Honigkraut Fruktose bereits Konkurrenz.<br />

«<br />

European Food Safety Authority (EFSA): Neotam als Süßungsmittel und Geschmacksverstärker.<br />

Gutachten des Wissenschaftlichen Gremiums für Lebensmittelzusatzstoffe,<br />

Aromastoffe, Verarbeitungsstoffe und Materialien, die mit Lebensmitteln in<br />

Berührung kommen, auf Ersuchen der Europäischen Kommission zu Neotam als<br />

Süßungsmittel und Geschmacksverstärker. The EFSA Journal 581:1–4 (2007).<br />

EFSA Panel on Food Additives and Nutrient Sources Added to Food (ANS): Scientific<br />

Opinion on the Safety of Steviol Glycosides for the Proposed Uses as a Food Additive.<br />

EFSA Journal 8 (4): 1537 (2010).<br />

Tombek A: Update Süßstoffe – Neues über Nutzen und Risiko. Ernährungs Umschau<br />

4: 196–200 (2010).<br />

2_2010 ernährung heute<br />

16


lebensmittel, recht<br />

Update. Im Oktober 2009 hat die EFSA den ersten Teil der Gutachten über Angaben gemäß<br />

der Health-Claims-Verordnung veröffentlicht, den zweiten Teil im Februar 2010. Knapp ein<br />

Drittel ist positiv ausgefallen, der Großteil wurde zurückgewiesen. Was bedeutet das?<br />

Health Claims: Latest News<br />

Mag. Angela Mörixbauer<br />

Der 1. Juli 2007 war ein Sonntag. Kein gewöhnlicher. An<br />

diesem Tag ist die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über<br />

nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel,<br />

die sogenannte „Claims-Verordnung“, in Kraft<br />

getreten. Damit hat der europäische Gesetzgeber einen<br />

strikten Rechtsrahmen für die Kommunikation über Zusammensetzung<br />

oder Wirkung eines Lebensmittels geschaffen.<br />

Der 1. Juli 2007 bedeutete einen Paradigmenwechsel<br />

vom Missbrauchsprinzip zum Verbotsprinzip.<br />

Die Absicht der EU-Gesetzgeber ist ehrenhaft und sinnvoll.<br />

Falsche, irreführende oder wissenschaftlich nicht belegte<br />

nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die<br />

zum Kauf eines Lebensmittels anregen sollen, sind verboten.<br />

Damit sollen Gesundheit und Rechte der Konsumenten<br />

geschützt werden. Betroffen sind alle kommerziellen<br />

Mitteilungen, wie etwa Etikett, Webseite oder Broschüren.<br />

Nicht-kommerzielle Mitteilungen wie Ernährungsempfehlungen<br />

staatlicher Gesundheitsbehörden, Informationen<br />

in der Presse oder wissenschaftliche Veröffentlichungen<br />

sind ausgenommen. So weit, so gut.<br />

Die Verordnung sieht vor, dass alle gesundheitsbezogenen<br />

Angaben von den EU-Behörden bewilligt werden müssen.<br />

Um eine Bewilligung zu erhalten, müssen Lebensmittelunternehmen<br />

die behauptete Wirkung wissenschaftlich<br />

nachweisen. Hier kommt die EFSA, die Europäische<br />

Behörde für Lebensmittelsicherheit, ins Spiel. Expertengremien<br />

der EFSA sichten derzeit den Wulst an Claims-<br />

Einreichungen und beurteilen, ob eine behauptete Wirkung<br />

ausreichend belegt ist. Diese Beurteilungen sind<br />

wiederum Grundlage für die EU-Kommission, um zu entscheiden,<br />

welche Claims zugelassen werden und welche<br />

nicht. Für einige Claims wurde die Zulassung bzw. Ablehnung<br />

von der Kommission bereits per Verordnung veröffentlicht.<br />

Alle zugelassenen Claims werden in Positivlisten – den sogenannten<br />

Artikel-13- und Artikel-14-Listen – veröffentlicht.<br />

Diese Claims, und nur diese, dürfen dann verwendet<br />

werden. Bei Artikel-13-Claims unterscheidet man:<br />

_ Auslobung der Bedeutung eines Nährstoffes oder<br />

einer anderen Substanz für Wachstum, Entwicklung<br />

und Körperfunktionen<br />

_ Verweis auf psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen<br />

_ Beschreibung von schlankmachenden Eigenschaften<br />

Artikel-14-Claims beziehen sich auf die Risikoreduzierung<br />

einer Krankheit oder die Entwicklung und Gesundheit von<br />

Kindern. Dafür ist ein eigenes Zulassungsverfahren vorgesehen.<br />

Claims dieser Gemeinschaftsliste können schlussendlich<br />

ebenfalls von allen Lebensmittelherstellern verwendet<br />

werden.<br />

Die Veröffentlichung der Artikel-13-Liste wurde ursprünglich<br />

für Anfang 2010 angekündigt. Doch dieser Zeitplan ist<br />

längst Geschichte. Die überwältigende Anzahl von Einreichungen<br />

hat die EFSA ins Strudeln gebracht. Im Moment<br />

rechnen Insider, dass es 2012 wird, bis die vollständige<br />

Liste veröffentlicht wird.<br />

Mit 1. Oktober vergangenen Jahres wurden die ersten mit<br />

Spannung erwarteten Gutachten der EFSA veröffentlicht.<br />

Die Spannung wich aber rasch Verwunderung oder gar Ärger.<br />

Denn nur knapp ein Drittel der veröffentlichten Gutachten<br />

ist positiv. Für okay befunden wurden u. a. Kalzium<br />

und Vitamin D im Zusammenhang mit Knochengesundheit,<br />

Fluor im Zusammenhang mit Zahnmineralisation,<br />

Vitamin B12 im Zusammenhang mit Blutzellbildung,<br />

Magnesium in Verbindung mit Muskelfunktion sowie einige<br />

andere. Insgesamt scheint es, als hätte die EFSA in<br />

erster Linie einmal klassisches Lehrbuchwissen bestätigt.<br />

Zwei Drittel der bisher bewerteten Einreichungen wurden<br />

allerdings abgeschmettert. „Speziell Probiotika wurden<br />

regelrecht niedergemetzelt“, beschreibt es Sonja Reiselhuber-Schmölzer,<br />

Ernährungswissenschafterin und Claims-<br />

Expertin recht plastisch. Was sind die Gründe? „Teilweise<br />

lag es einfach daran, dass die zu bewertende Substanz<br />

nicht hinreichend charakterisiert war. Teilweise, weil die<br />

vom Einreicher mitgelieferte wissenschaftliche Dokumentation<br />

nicht ausreichte, um die behauptete Wirkung<br />

nach wissenschaftlichen Kriterien zu belegen. Oder ganz<br />

einfach, weil der Effekt nicht genau genug definiert war“,<br />

resümiert Reiselhuber-Schmölzer. Gerade im Falle von<br />

Probiotika wird vermutet, dass die EFSA sehr allgemeine,<br />

generische Claims möglichst verhindern möchte und<br />

stattdessen die Entwicklung eher in Richtung sehr konkreter,<br />

auf einzelne physiologische Details bezogene Wirkungen<br />

lenken möchte.<br />

Was heißt das für die Praxis? Wie setzt die Lebensmittelbehörde<br />

die neuen Erkenntnisse um? „Vorgesehen ist,<br />

dass erst mit Veröffentlichung der Artikel-13-Liste und einer<br />

abgelaufenen Übergangsfrist nicht enthaltene Claims<br />

verboten sind“, sagt Reiselhuber-Schmölzer.<br />

Diskutiert wird mittlerweile aber, ob die Artikel-13-Liste<br />

in Teilen veröffentlicht wird. Doch das wirft die Frage nach<br />

der Gerechtigkeit auf. Denn mit Veröffentlichung der Liste<br />

beginnt die sechsmonatige Übergangsfrist zu laufen. Dann<br />

wären jene Hersteller, deren Claims noch nicht bewertet<br />

wurden, im Vorteil: Sie könnten ihre Claims länger verwenden<br />

als diejenigen, deren Claims bereits abgelehnt<br />

wurden.<br />

Fazit: Die Intention der Claims-Verordnung ist grundsätzlich<br />

gut. Die Umsetzung in die Praxis wirft jedoch viele<br />

Fragen, Unklarheiten und Graubereiche auf. Und schießt<br />

in manchen Fällen auch über das Ziel hinaus. «<br />

zum weiterlesen<br />

Hartwig S, Schulz S: Alternativen<br />

zu Gesundheits- und Nährwertclaims.<br />

Werbung mit Frische, Natur, Bio und<br />

„ohne“-Angaben. Behr’s Verlag,<br />

Hamburg (2009).<br />

ISBN 978-89947-581-4,<br />

Preis: € 42,27.<br />

http:// am rande<br />

Claims, deren Zulassung bzw. Ablehnung<br />

von der Kommission bereits<br />

per Verordnung veröffentlicht wurde,<br />

finden Sie hier:<br />

http://ec.europa.eu/food/food/<br />

labellingnutrition/claims/community_<br />

register/health_claims_en.htm<br />

info am rande<br />

Alternative Werbemöglichkeiten?<br />

Ein Experiment zur Kaufbereitschaft<br />

von Lebensmitteln mit und ohne<br />

Claims zeigt, dass ausgelobte Produkte<br />

bevorzugt gewählt werden.<br />

Weil Konsumenten frische, natürliche,<br />

biologische oder gentechnikfreie<br />

Lebensmittel ebenso wie Lebensmittel,<br />

die frei von Zusatzstoffen<br />

sind, besonders schätzen, scheint es<br />

nur logisch, dass derartige Auslobungen<br />

ähnlich werbewirksam sein<br />

können wie Health Claims und nun<br />

verstärkt eingesetzt werden.<br />

ernährung heute 2_2010<br />

17


serie: prosit leben!<br />

Ersatzprogramm. Muttermilch garantiert den besten Start ins Leben. Doch wenn Mama<br />

nicht stillen kann oder mag, muss sie sich trotzdem keine Sorgen um Babys Gesundheit<br />

und Entwicklung machen. Die wichtigsten Fläschchen-Facts im Überblick.<br />

Satt und glücklich<br />

zum weiterlesen<br />

Hanreich I:<br />

Essen & Trinken im Säuglingsalter.<br />

Verlag Ingeborg Hanreich,<br />

Wien (2010).<br />

ISBN 978-3-901518-10-2,<br />

Preis: € 23,90.<br />

info am rande<br />

Die wichtigsten Vorteile der<br />

Fläschchenkost<br />

_ Das Baby ist immer ausreichend<br />

versorgt, auch dann, wenn es der<br />

Mutter an Nährstoffen fehlt.<br />

_ Die mütterliche Ernährung muss<br />

nicht auf die kindliche abgestimmt<br />

werden.<br />

_ Ein Fläschchen kann auch von<br />

anderen Bezugspersonen gegeben<br />

werden.<br />

_ Das Baby ist meist länger satt.<br />

_ Die Schadstoffbelastung durch<br />

Medikamente, Nikotin (!), Alkohol<br />

oder Umweltgifte ist geringer.<br />

info am rande<br />

Um die Augenkoordination des<br />

Säuglings zu unterstützen, sollte<br />

beim Füttern zwischendurch die<br />

Seite gewechselt werden. Und nicht<br />

zu vergessen: Körperwärme, Blickkontakt<br />

und Ansprache vermitteln<br />

Geborgenheit und Vertrauen.<br />

Mag. Maria Wieser<br />

Früher oder später hört es jede Schwangere einmal: „Stillen<br />

ist die natürlichste und einfachste Art, Ihr Baby zu<br />

ernähren.“ Dass „natürlich“ und „einfach“ nicht ganz dasselbe<br />

ist, merkt so manche Neo-Mami bereits in den ersten<br />

Tagen nach der Geburt. Sicher: Auch Anfangsschwierigkeiten<br />

sind natürlich und es lohnt sich, die Zähne zusammenzubeißen<br />

(was durchaus wörtlich gemeint sein<br />

kann). Schließlich ist keine Nahrung für den kleinen<br />

Schatz besser auf seine Bedürfnisse abgestimmt als Muttermilch.<br />

Doch was, wenn das Stillen trotz aller Bemühungen nicht<br />

funktionieren will? Oder die Frau, aus welchen Gründen<br />

auch immer, nicht stillen möchte? Oft sieht sie sich dadurch<br />

einem massiven gesellschaftlichen Druck ausgesetzt.<br />

Brust oder Flasche – diese Frage hat sich in den vergangenen<br />

Jahrzehnten moralisch und emotional sehr stark<br />

aufgeladen. Waren die 1970er-Jahre noch von Schadstoffdebatten<br />

und Stillmüdigkeit geprägt, so gilt heute:<br />

„Breast is best.“ Ist es demnach für die moderne Mutter<br />

ein Muss, ihrem Kind die Brust zu geben? Die Online-Ausgabe<br />

der „Zeit“ löste mit einem Beitrag zu diesem Thema<br />

einen wahren Glaubenskrieg unter den Lesern aus. Die<br />

eine Seite trauerte um die verloren gegangene Stillkultur,<br />

die andere entsetzte sich über den militanten Muttermilch-Dogmatismus.<br />

Wie so oft sind aber auch hier ein<br />

guter Mittelweg und gegenseitige Toleranz gefragt.<br />

Original und Kopie<br />

Was für eine Leistung: Das kleine Bündel, das von seinen<br />

frischgebackenen Eltern stolz aus der Entbindungsklinik<br />

getragen wird, verdoppelt in den nächsten fünf Monaten<br />

sein Geburtsgewicht. Und das bei noch unreifen und<br />

nicht voll funktionstüchtigen Organen! Dieser intensiven<br />

Entwicklung wird Muttermilch in besonderer Weise gerecht.<br />

Sie liefert alles, was das Baby dafür braucht. Die<br />

Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt daher<br />

ausschließliches Stillen während der ersten sechs Lebensmonate.<br />

Stehen dieser Empfehlung jedoch medizinische oder auch<br />

persönliche Gründe entgegen, so ist dies heutzutage kein<br />

Anlass mehr zur Sorge oder gar für ein schlechtes Gewissen.<br />

Denn ein optimales Wachsen und Gedeihen kann<br />

auch anders gelingen: Dank zeitgemäßer und qualitativ<br />

hochwertiger Muttermilchersatzprodukte, die in den vergangenen<br />

Jahrzehnten laufend ihrem natürlichen Vorbild<br />

sowie den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst<br />

wurden. Dabei lassen sich Säuglingsanfangsnahrungen<br />

und Folgenahrungen unterscheiden, die nach einem<br />

Stufenkonzept mit den Bezeichnungen „Pre“, „1“, „2“<br />

oder „3“ versehen sind.<br />

Füttern nach Zahlen<br />

Säuglingsanfangsnahrung ist für Babys Bäuchlein in den<br />

ersten vier bis sechs Lebensmonaten bestimmt und für die<br />

alleinige Ernährung von Geburt an geeignet. Zwei „Milchtypen“<br />

stehen dabei zur Verfügung: Die sogenannte Pre-<br />

Nahrung ist in ihrer Konsistenz und ihrer Eiweißzusammensetzung<br />

weitgehend der Muttermilch angepasst und<br />

enthält als Kohlenhydratquelle ausschließlich Laktose.<br />

Menge und Trinkzeit richten sich wie beim Stillen nach<br />

den Wünschen des Kindes. Im Gegensatz dazu enthält Anfangsnahrung<br />

mit der Ziffer „1“ neben Milchzucker auch<br />

kleine Mengen glutenfreier Stärke, teilweise auch Maltodextrine<br />

oder Saccharose. Das macht sie sämiger, aber<br />

auch kalorienreicher. 1er-Nahrungen sollen daher nicht ad<br />

libitum, sondern stets nur in angegebener Menge und Dosierung<br />

gefüttert werden. Bei gesunden Neugeborenen ist<br />

es vor allem eine individuelle Entscheidung, welches dieser<br />

beiden Produkte bevorzugt wird. In den ersten vier<br />

Monaten ist es für den Säugling jedoch schwer, Stärke zu<br />

verdauen, weshalb sie Blähungen und Bauchkoliken verursachen<br />

kann. Es erscheint daher sinnvoll, zu Beginn aufgrund<br />

der engen Verwandtschaft zur Muttermilch Pre-Nahrung<br />

zu füttern und auf 1er-Nahrung umzusteigen, wenn<br />

Babys Hunger größer wird.<br />

Mehr als die Natur verlangt?<br />

Hat der Sprössling sein sechstes Lebensmonat vollendet,<br />

stehen seine Eltern vor der nächsten Entscheidung. Ab<br />

diesem Zeitpunkt können nämlich Folgenahrungen zum<br />

Einsatz kommen. Sie haben meist einen geringfügig<br />

höheren Gehalt an Eiweiß, Kohlenhydraten und Mineralstoffen<br />

als die Pre- und 1er-Nahrung und dürfen nur als<br />

Teil einer Mischkost gegeben werden, da sie allein den<br />

Nährstoffbedarf des Säuglings nicht mehr decken können.<br />

Aus ernährungsphysiologischer Sicht besteht zwar<br />

keine Notwendigkeit für solche 2er- und 3er-Nahrungen<br />

und es könnten auch nach Beikosteinführung Pre- oder<br />

1er-Produkte zugefüttert werden. Vielfach wird trotzdem<br />

darauf gewechselt, weil die Folgenahrungen kostengünstiger<br />

sind. Mit dem Einstieg in die Familienkost im zweiten<br />

Lebensjahr können dann bereits pasteurisierte Kuhmilchprodukte<br />

verwendet werden. Ausgenommen sind<br />

Topfenprodukte, die aufgrund des relativ hohen Eiweißund<br />

Kaseingehalts sowie des niedrigen Kalziumgehalts<br />

nicht empfohlen werden. Denn eine exzessive Zufuhr von<br />

Eiweiß über Milch(-produkte) stellt in Österreich ein Problem<br />

dar und wird immer wieder in Zusammenhang mit<br />

späterem Übergewicht gebracht. In den vergangenen<br />

Jahren wurde daher sogenannte Kindermilch (Milch ab<br />

dem 1. Lebensjahr) entwickelt, um Kleinkinder mit ausreichend<br />

Eisen und Vitaminen zu versorgen, bei gleichzeitig<br />

– im Vergleich zu Kuhmilch – reduziertem Eiweißgehalt.<br />

2_2010 ernährung heute<br />

18


serie: prosit leben!<br />

Hausgemacht ist nicht immer besser<br />

Selbst hergestellter Milchersatz für die erste Lebensphase<br />

mag als gute und kostengünstige Alternative zum „Fertigprodukt“<br />

erscheinen. Er wird jedoch von Medizinern<br />

und Ernährungsexperten sehr kritisch beurteilt und überwiegend<br />

abgelehnt. Rein pflanzliche Mischungen wie etwa<br />

Frischkorn-, Mandel- oder Reismilch sind im Nährstoffgehalt<br />

völlig unzureichend, meist schwer verdaulich und oft<br />

mit Schadstoffen oder Schimmelpilzsporen belastet.<br />

Auch herkömmliche Kuhmilch ist nicht geeignet, da ihr<br />

hoher Eiweiß- und Mineralstoffgehalt die kindlichen Nieren<br />

zu stark belastet. Ein weiterer Nachteil ist das erhöhte<br />

Risiko für einen Eisenmangel beim Säugling, der sich<br />

vor allem durch ihren von Natur aus niedrigen Eisengehalt<br />

bei gleichzeitig geringer Bioverfügbarkeit ergibt.<br />

Immer wieder wird auch Ziegenmilch für die Ernährung<br />

nicht gestillter Babys in Betracht gezogen, da sie als besonders<br />

verträglich gilt. Zu ihrer Auswirkung auf das<br />

Wachstum des Kindes und seine Nährstoffversorgung gibt<br />

es jedoch keine kontrollierten Studien. Ziegenmilch ist daher<br />

auf EU-Ebene auch nicht für die Herstellung von Säuglingsnahrung<br />

zugelassen. Ebenso kann das am häufigsten<br />

strapazierte Argument, die geringere Allergenität im Vergleich<br />

zu Kuhmilch, weder durch In-vitro-Untersuchungen<br />

noch durch klinische Arbeiten bestätigt werden.<br />

„HA“ für Risikokinder<br />

Wo wir schon beim Thema Allergien sind: Leiden Mutter,<br />

Vater und/oder ältere Geschwister an einer atopischen Erkrankung,<br />

so besteht auch für das Baby ein erhöhtes Risiko,<br />

eine solche zu entwickeln. Dann müssen geeignete<br />

Maßnahmen zur Allergieprävention ergriffen werden.<br />

Falls das Kind nicht gestillt wird, steht hypoallergene<br />

Säuglingsnahrung, sogenannte HA-Nahrung, zur Verfügung,<br />

bei der die Eiweißkomponente so weit aufgespalten<br />

(hydrolysiert) ist, dass sie vom Körper nicht mehr als artfremd<br />

wahrgenommen wird. Dadurch besteht die Chance,<br />

die Entwicklung einer Allergie zu verhindern oder wenigstens<br />

hinauszuzögern. Die aktuelle Leitlinie zur Allergieprävention<br />

empfiehlt die Gabe von hydrolysierter Säuglingsnahrung<br />

bei Risikokindern zumindest bis zum vollendeten<br />

vierten Lebensmonat. Für einen zusätzlichen<br />

Effekt durch HA-Folgenahrungen gibt es jedoch derzeit<br />

keine Anhaltspunkte.<br />

die Shooting-Stars der Hormonersatztherapie, sind hinsichtlich<br />

ihrer medizinischen Auswirkungen auf den kindlichen<br />

Stoffwechsel keinesfalls ausreichend untersucht.<br />

Und auch der hohe Phytatgehalt steht in der Kritik, da er<br />

die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen wie Phosphor, Eisen,<br />

Zink und möglicherweise auch Jod wesentlich vermindert.<br />

Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt Sojanahrungen<br />

für Säuglinge daher nur in begründeten Ausnahmefällen<br />

und nach ärztlicher Empfehlung, nicht jedoch<br />

für die Ernährung gesunder Kinder.<br />

Die Milchmahlzeit mit dem Bifidus-Plus?<br />

Die Darmflora des voll gestillten Säuglings besteht zu<br />

90 bis 99 % aus Bifidobakterien. Sie schützen ihn vor<br />

Durchfällen, stärken sein Immunsystem und könnten auch<br />

bei der Allergievermeidung eine Rolle spielen. Wird das<br />

Baby mit dem Fläschchen ernährt, so entwickelt sich hingegen<br />

eine Mischflora mit wesentlich geringerem Bifidus-<br />

Anteil. Die Industrie hat dafür eine „Geheimwaffe“ parat:<br />

prebiotische und probiotische Säuglingsnahrungen. Prebiotika<br />

kommen immer öfter zum Einsatz, da sie das<br />

Wachstum der Bifidobakterien im Darm unterstützen. Probiotische<br />

Säuglingsnahrungen enthalten Keime zur möglichen<br />

Besiedelung der Darmflora. Sowohl für prebiotische<br />

als auch für probiotische Säuglingsnahrungen ist<br />

der gesundheitliche Nutzen aus heutiger Sicht noch nicht<br />

zweifelsfrei belegt. Die Sicherheit von Prebiotika steht<br />

außer Streit, bei der Sicherheit von Probiotika gibt es<br />

noch Fragezeichen. So wird bei Säuglingen mit gestörter<br />

Herz- oder Immunfunktion sowie bei Frühgeborenen sogar<br />

von Probiotika abgeraten. Aufgrund der zum Teil vielversprechenden<br />

Datenlage ist die weitere Forschung in<br />

diesem Bereich jedoch sicher lohnend und sinnvoll. Die<br />

Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)<br />

prüft derzeit die Datenlage für die einzelnen Zusätze.<br />

Fazit: Babys können auch mit dem Fläschchen gesund<br />

groß werden. Deshalb benötigen Familien, die sich für<br />

diese Ernährungsform entscheiden (müssen), eine ebenso<br />

kompetente Beratung und Unterstützung für ihren individuellen<br />

Weg wie stillende Mütter. Dabei soll es nicht<br />

so sehr darum gehen, ob gestillt wird oder nicht, sondern<br />

vielmehr darum, was unter den gegebenen Umständen sowohl<br />

für die Frau als auch für ihr Kind das Beste ist. Satt<br />

und glücklich – diese zwei Lebensqualitäten lassen sich<br />

eben nicht nur auf eine Weise erreichen. «<br />

info am rande<br />

Frisches, abgekochtes Leitungswasser<br />

ist in der Regel für Fläschchen<br />

geeignet, sollte jedoch durch<br />

„babytaugliches“ Mineralwasser<br />

ohne Kohlensäure ersetzt werden,<br />

wenn der Nitratgehalt über 30 mg/l<br />

liegt. Wird Wasser mit mehr als<br />

60 mg Nitrat pro Liter verwendet,<br />

kann es zu „Blausucht“ (Methämoglobinämie)<br />

kommen. Das Nitrat bindet<br />

an die roten Blutkörperchen und<br />

stört dadurch den Sauerstofftransport<br />

im Blut.<br />

info am rande<br />

Babyfläschchen aus Kunststoff sind<br />

kürzlich aufgrund ihres Gehaltes an<br />

Bisphenol A in Verruf geraten.<br />

Experten der AGES geben jedoch<br />

Entwarnung. Nach derzeitigem<br />

Wissensstand und bei üblicher<br />

Verwendung sei keine Gesundheitsgefahr<br />

zu befürchten.<br />

Umstrittene Sojaphilie<br />

Säuglingsnahrungen dürfen laut EU-Richtlinie nicht nur<br />

aus Kuhmilch, sondern auch auf Basis von Sojaproteinisolaten<br />

hergestellt werden. Streng vegetarische Eltern<br />

greifen gern darauf zurück, sie werden aber auch eingesetzt,<br />

wenn eine laktose- und/oder galaktosefreie Kost<br />

eingehalten werden muss. Die Therapie einer Kuhmilcheiweißallergie<br />

hingegen gilt nicht mehr als Indikation, seit<br />

bekannt ist, dass sich bei bis zu 30 bis 50 % der kleinen<br />

Patienten auch eine Allergie gegen Sojaeiweiß entwickelt.<br />

Inzwischen gibt es aber auch noch andere gesundheitliche<br />

Bedenken: Die enthaltenen Phytoöstrogene etwa,<br />

Bundesinstitut für Risikobewertung: Säuglingsnahrung aus Sojaeiweiß ist kein Ersatz<br />

für Kuhmilchprodukte. Stellungnahme Nr. 043 (2007).<br />

Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin<br />

(DGKJ), Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde<br />

(ÖGKJ), Ernährungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für<br />

Pädiatrie (SGP): Empfehlungen zu Prä- und Probiotika in Säuglingsanfangsnahrungen.<br />

Monatsschreiben Kinderheilkunde 157: 267–270 (2009).<br />

Haller R, Rummel C, Henneberg S, Pollmer U, Köster EP: The Influence of Early Experience<br />

With Vanillin on Food Preference Later in Life. Chem Senses 24: 465–467<br />

(1999).<br />

Lakshman R, Ogilvie D, Ong KK: Mothers’ Experiences of Bottle Feeding: A Systematic<br />

Review of Qualitative and Quantitative Studies. Arch Dis Child 94: 596–601 (2009).<br />

Möller JC: Von Stillmüdigkeit bis Stillzwang. Aktueller Stand der Formelmilch-<br />

Ernährung. gynäkologie + geburtshilfe 1: 29–34 (2004).<br />

ernährung heute 2_2010<br />

19


neue medien<br />

Mit BABELUGA zum Normalgewicht<br />

BABELUGA, eine neue Methode für die<br />

Bekämpfung von Adipositas bei Kindern<br />

und Jugendlichen, entwickelt von Mitgliedern<br />

verschiedenster Berufsgruppen. Das<br />

Akronym steht für Berliner Adipositas-<br />

Therapieprogramm für Kinder und Jugendliche<br />

und ihre Familien; Bewegung,<br />

Beratung, Begleitung; Essen und Trinken;<br />

Lernen und Lebensqualität; Unterstützung<br />

der Familie; Gruppentherapie für<br />

Kinder und Eltern; Adipositas-Diagnostik.<br />

Dieses neue Konzept spricht vor allem<br />

adipöse Kinder, Jugendliche und Familien<br />

aus Risikogruppen an, die von anderen<br />

strukturierten Programmen nicht erreicht<br />

werden. Es soll helfen, den individuellen<br />

Weg in Richtung Normalgewicht zu finden<br />

und doch gemeinsam Spaß machen.<br />

BABELUGA ist als Baukastensystem aufgebaut<br />

und somit individuell anpassbar.<br />

Der Behandelnde, an den sich dieses<br />

Buch richtet, kann somit auf die Fragen<br />

und Bedürfnisse unterschiedlichster Klientel<br />

eingehen. Im ersten Abschnitt werden<br />

verschiedene Aspekte wie beispielsweise<br />

die Risikogruppen beleuchtet, die<br />

die Grundlage für das zweite Kapitel legen<br />

sollen. Hier gehen die Autoren dann<br />

genauer auf die Methode ein. Begleitet<br />

wird die Vorstellung des Konzepts von<br />

Darstellungen und Beispielen für Protokolle<br />

und Arbeitsbögen, die kindgerecht<br />

gestaltet sind. Der letzte Teil führt verschiedenste<br />

weiterführende Aspekte zum<br />

Thema Adipositas und ihrer Behandlung<br />

bei Kindern und Jugendlichen vor Augen.<br />

Im Anhang stellt das BABELUGA-Team<br />

außerdem Materialien zur Methode zur<br />

Verfügung. [wa]<br />

Gesund gelehrt<br />

Wie sieht die professionelle Gesundheitserziehung<br />

von morgen aus? – Mit dieser<br />

Frage beschäftigt sich das „Handbuch Gesundheitserziehung“.<br />

Die Gesundheitserziehung<br />

ist in vielen Ländern schon als<br />

festes Berufsbild etabliert und soll auch<br />

im deutschsprachigen Raum professionalisiert<br />

werden. Britta Wulfhorst und Klaus<br />

Hurrelmann leisten mit ihrem Buch einen<br />

Beitrag zu diesem zunehmend bedeutsamen<br />

Thema und behandeln es in all seinen<br />

Facetten. Sie ermöglichen so einen<br />

systematischen Zugang zum Handlungsfeld<br />

Gesundheitserziehung. Die Autoren<br />

stellen im ersten Teil die Beiträge verschiedenster<br />

Wissenschaften wie Medizin,<br />

Psychologie oder Humanbiologie zur<br />

Gesundheitserziehung vor. Im zweiten<br />

Teil geben sie einen Überblick über die<br />

Rolle der Gesundheitserziehung in unterschiedlichen<br />

Settings wie Familie, Kindertagesstätte,<br />

Betrieb oder Hochschule.<br />

So beschreiben die Verfasser zum Beispiel,<br />

auf welche Weise die Partner- oder<br />

Elternschaft die Familiengesundheit beeinflussen.<br />

Der Leser erfährt, wie sich die<br />

Gesundheitserziehung in Zukunft weiterentwickeln<br />

könnte. Im Serviceteil findet<br />

sich eine Zusammenfassung von Programmpapieren,<br />

Rahmenvorgaben und<br />

Leitlinien für gesundheitserzieherische<br />

Interventionen. Das „Handbuch Gesundheitserziehung“<br />

richtet sich nicht nur an<br />

Studierende, Lehrende, Forschende und<br />

Praktiker, sondern ebenso an alle anderen<br />

Berufsgruppen, denen im Rahmen ihrer<br />

Tätigkeit mehr oder weniger explizit<br />

Aufgaben der Gesundheitserziehung zugeschrieben<br />

werden. [wa]<br />

Im Reich der Sinne<br />

Sehen, riechen, schmecken, tasten, hören<br />

– Eva Derndorfer führt uns zu Beginn in<br />

die Welt der Sinne. Welche anatomischen<br />

und physiologischen Grundlagen sind<br />

Voraussetzung? Wie versucht uns die<br />

Packung zu verführen, indem sie uns mit<br />

bestimmten Farben lockt? Können wir<br />

Geschmäcker erlernen? Was hat der<br />

Schmerzsinn mit dem Ganzen zu tun?<br />

Bei einigen Tests wirkt nur geschultes<br />

Personal mit, um z. B. eigene Produkte<br />

mit denen der Konkurrenz zu vergleichen.<br />

Zur Erholung zwischen den regelmäßigen<br />

Tests stellt sich dann vielleicht die Frage,<br />

wie die Form von Eiskugeln unser Geschmacksempfinden<br />

beeinflusst. Dabei<br />

schafft der „A-Not-A-Test“ Abhilfe. Hier<br />

geht es darum, sich eine Probe A einzuprägen<br />

und, wie bei einem Memory-Spiel,<br />

aus einer zufälligen Reihenfolge von A-<br />

und Nicht-A-Proben diejenigen mit dem<br />

gleichen Geschmack wieder zu finden.<br />

Und wenn man nicht mit Eisschlecken beschäftigt<br />

ist, wird zum Beispiel der Triangeltest<br />

praktiziert. Dieser bedarf jedoch<br />

keiner rhythmischen Grundvoraussetzungen,<br />

sondern zielt darauf ab, aus drei<br />

Mustern jenes herauszufinden, das aus<br />

der Reihe tanzt. Statistische Grundlagen<br />

sind notwendig, um all diese Tests analysieren<br />

zu können, also sind auch diese<br />

mit im Bund. Die dritte Auflage dieses Buches<br />

bietet v. a. in den Bereichen Sinnesphysiologie<br />

und Testmethoden umfassende<br />

Ergänzungen.<br />

Ein Gesamtpaket, das uns verständlich<br />

und wissenschaftlich fundiert die Welt<br />

der Sensorik in der Lebensmittelindustrie<br />

näherbringt. [sf]<br />

Die Kunst des Genießens<br />

Wer oder was ist ein Sybarit? Er ist ein<br />

Genussmensch, ein Schlemmer und<br />

Schwelger. Er legt viel Wert auf Stil und<br />

Finesse und kennt sich hervorragend in<br />

Kulinarik, Trinkkultur und Umgangsformen<br />

aus. Wer diese Fähigkeiten besitzt,<br />

kann auch im Spiel „Sybarit“ ordentlich<br />

punkten. Ziel des Spiels ab 18 ist es, möglichst<br />

viele Fragen aus den Kategorien Essen,<br />

Trinken und Gesellschaftsleben zu<br />

beantworten und damit die meisten<br />

Punkte zu ergattern. Die Schwierigkeit<br />

der Fragen kann dabei selbst gewählt<br />

werden: Von „Wer schneidet die Hochzeitstorte<br />

an?“ und „Ist Buchweizen eine<br />

Getreideart?“, bis hin zu „Welcher Julia-<br />

Roberts-Film ist auch ein Sekt-Cocktail?“<br />

oder „Wie heißen die Gerbstoffe in der<br />

Schale von roten Trauben?“ ist für jeden<br />

etwas dabei. Allerdings kann man mit<br />

leichteren Fragen auch weniger Punkte<br />

erzielen. Die Spielregeln sind relativ simpel:<br />

Der erste Spieler zieht eine Spielkarte.<br />

Auf ihr ist ein Symbol, welches für eine<br />

der oben genannten Kategorien steht.<br />

Ein anderer Spieler nimmt nun eine Fragenkarte<br />

und stellt dem anderen entweder<br />

die leichtere oder schwerere Frage in<br />

dieser Kategorie. Wird die Frage richtig<br />

beantwortet, gibt es die jeweiligen Punkte.<br />

Das Spiel wird mit Jokern, die doppelte<br />

Punkte bringen oder abziehen, aufgelockert.<br />

In Gesellschaft von zwei bis<br />

acht Erwachsenen kann man mit diesem<br />

Wissensspiel zum Beispiel ein gutes<br />

Abendessen ausklingen lassen. Es verspricht<br />

eine Stunde lang jede Menge Spaß<br />

im Familien- oder Freundeskreis und ist<br />

ganz nebenbei auch lehrreich. [wa]<br />

P. b. b., Verlagspostamt 1030 Wien, Zul.-Nr. GZ02Z030130M<br />

Ernst M, Wiegand S:<br />

Wulfhorst B, Hurrelmann K:<br />

Derndorfer E:<br />

City Marketing Group:<br />

Adipositas bei Kindern und Jugendlichen<br />

einmal anders. Die BABELUGA-<br />

Methode, Prävention, Therapie,<br />

Selbstmanagement.<br />

Handbuch Gesundheitserziehung.<br />

Lebensmittelsensorik.<br />

Sybarit.<br />

Verlag Hans Huber (2010), 336 Seiten.<br />

ISBN 978-3-456-84703-0,<br />

Preis: € 39,95.<br />

Verlag Hans Huber (2009),<br />

304 Seiten.<br />

ISBN 978-3-456-84701-6,<br />

Preis: € 49,95.<br />

Facultas Verlags- und Buchhandels<br />

AG, Wien, 3. Auflage (2010).<br />

ISBN 978-3-7089-0588-4,<br />

Preis: € 19,00.<br />

Piatnik (2007), 300 Frage- und Antwortkarten,<br />

104 Spielkarten, 8 Joker,<br />

Punkteblock, Stift.<br />

Preis: € 49,00.<br />

2_2010 ernährung heute

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