Forum Ernährung Heute
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ernährung heute<br />
Aktuelle Informationen für Meinungsbildner in 2_2010<br />
Ernährungsberatung, -erziehung und -wissenschaft<br />
Im Fokus<br />
Kulinarische Intelligenz<br />
Kompetent. Widersprüchliches, Unbestätigtes, Revidiertes,<br />
Neues, Verwirrendes – Informationsflut und Panikmache:<br />
In Zeiten des Überflusses an Nachrichten und Waren bedarf<br />
es eines kritischen Geistes und eines kritischen Gaumens.<br />
Der richtige Umgang mit Informationen – sei es auf der Verpackung,<br />
in Broschüren, Werbung, Illustrierten oder Kochbüchern<br />
– gepaart mit grundsätzlichem Wissen über Qualitäten<br />
und ihre Erzeugung sowie einer ausgebildeten Genussfähigkeit<br />
lassen einen den (Ess-)Alltag souverän und entspannt<br />
meistern. Dabei bezieht sich die kulinarische Intelligenz nicht<br />
bloß auf die Warenwelt, sondern richtet den Blick auf die Sozialisation,<br />
auf den Grund unseres Verhaltens. Sie hat daher<br />
auch enormes Potenzial, viele Aspekte des Lebens zu verändern.<br />
Erschließt sich so die Welt des Essens und Genießens in<br />
ihrer ganzen Breite, dann ist das großes Kino, sozusagen Abenteuer<br />
im Kopf. Im entsinnlichten Alltag fällt dies jedoch zunehmend<br />
schwerer und so müssen erst eigene Möglichkeiten<br />
wieder bewusst sowie Geruchs- und Geschmackssinne wiederentdeckt<br />
werden. Am besten von klein auf, im Kindergarten,<br />
in der Schule, eingebettet in die Esskultur. Denn kulinarische<br />
Intelligenz und die Fähigkeit, zu genießen, gehen Hand in<br />
Hand, steigern die Gesundheit und die subjektive Lebensqualität.<br />
Wenn das nicht zählt! [mg]<br />
Kulinaristik 03<br />
Genuss im Wort 05<br />
Essalltag mit Kindern<br />
in der Praxis 10<br />
Food-Pairing – SINNfonie<br />
des Geschmacks 12<br />
ernährung, diätetik<br />
Gewichtskriterium<br />
Darmflora 14<br />
bewegung<br />
Bewegter Zugang zur<br />
Seele 15<br />
lebensmittel, recht<br />
Neue süße Kraft 16<br />
Health Claims:<br />
Latest News 17<br />
serie:<br />
prosit leben!<br />
Satt und glücklich 18<br />
neue medien 20
Wissen ist auch beim Essen Macht. Wer sein Essen intelligent<br />
wählt (zubereitet) und genießt, tut seiner Gesundheit<br />
Gutes. Wissen allein bestimmt aber unser Verhalten<br />
nicht, dafür ist eine kräftige Portion Handlungskompetenz<br />
notwendig. Beides bedarf einer stimulierenden Umgebung,<br />
gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, einer gelebten<br />
Esskultur. Sie formen die kollektive Norm und prägen<br />
so das Essverhalten des Einzelnen. Kulturelle und praxisnahe<br />
Aspekte bilden deshalb die Ankerpunkte, um die<br />
Lebensverhältnisse für eine bildungsgerechte Entwicklung<br />
und einen genussvollen Umgang zu fördern. Denn „gesund“<br />
lockt weder Kinder oder Jugendliche noch Erwachsene<br />
hinter dem Ofen hervor: Die wichtigsten Motive für<br />
die Speisenwahl sind Genuss und Geschmack. Das Gesundheitsargument<br />
rangiert erst nach Convenience und<br />
Preis auf dem fünften Platz. Dabei ist das Genießen eine<br />
sinnliche, lustvolle Erfahrung, wobei das Erleben von Lust<br />
eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung ist.<br />
Denn wahren Genuss erlebt, wer mit den lustvoll wahrgenommenen<br />
Positiva reflexiv, also bewusst, umgeht.<br />
Der Schwerpunkt dieser Ausgabe liegt beim Thema unseres<br />
im März abgehaltenen Symposiums „Kulinarische Intelligenz<br />
– Genuss ist Lebensqualität“. Dabei wurden im<br />
wahrsten Sinne des Wortes „alle Sinne angesprochen“<br />
und bei den Workshops klar: Grundlagenkenntnisse, Neugierde,<br />
Kreativität, Raffinesse, die richtige Sprache und<br />
alltägliches Training sind notwendig, um sich schrittweise<br />
zum kulinarischen Genie zu entwickeln. Wie wir Jugendlichen<br />
diese Möglichkeiten vermitteln können, war<br />
die Fragestellung eines Workshops. Im sogenannten<br />
World-Cafe diskutierten die Teilnehmenden unter der Leitung<br />
von Mag. Andrea Lehner (give Servicestelle) und Dr.<br />
Rikki Lasser-Ginstl (xundessen) die wirkungsvollsten<br />
pädagogischen Ansätze für diese Zielgruppe: Als Erfolgseditorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser!<br />
impressum<br />
redaktion:<br />
Mag. Marlies Gruber,<br />
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faktoren wurden Tabubrüche und das Experimentieren<br />
mit unbekannten Lebensmitteln, Gewürzen und Zutaten<br />
sowie bewusste Genussmomente genannt, als wesentlicher<br />
Stolperstein bei Projekten oder Schulungen, dass die<br />
Welt der Jugend zu wenig berücksichtigt wird. Eine Verankerung<br />
im Lehrplan sahen die Teilnehmenden als wesentliches<br />
„Werkzeug“, um eine durchgängige Ernährungserziehung<br />
vom Kindergarten bis zur Matura wirksam<br />
umsetzen zu können. Für dieses Heft haben wir nun noch<br />
zwei Pädagoginnen um ihre Meinung zu den erfolgversprechendsten<br />
Ansätzen bei den Kleineren gefragt.<br />
Um zu den erwähnten kulturellen Aspekten zurückzukommen:<br />
Essen ist für viele zur Nebensache geworden,<br />
weil es omnipräsent, preiswert und ohne Aufwand zu haben<br />
ist. Besser mit sich und dem, was uns nährt, umzugehen,<br />
hieße jedoch, auf gesellschaftlicher Ebene dem Essen<br />
seinen zustehenden Platz einzuräumen sowie kulinarische<br />
Intelligenz und Genusskompetenz zu fördern.<br />
Marlies Gruber<br />
geschäftsführung:<br />
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Aufgrund der Lesefreundlichkeit wird auf die Anwendung der<br />
geschlechtergerechten Schreibung von Berufsbezeichnungen<br />
etc. verzichtet. Bei ausschließlicher Nennung der männlichen<br />
Form gilt diese immer gleichwertig für Frauen und Männer.<br />
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-wissenschaft und -wirtschaft<br />
Nachdruck, auch auszugsweise, nur<br />
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Es gilt österreichisches Recht.<br />
2_2010 ernährung heute<br />
02
im fokus<br />
Interdisziplinär. „Essen hält Leib und Seele zusammen.“ Das Sprichwort bringt auf<br />
den Punkt, was Kulinaristik erforschen und verdeutlichen will: Nicht nur die Ernährung,<br />
sondern auch die Kulturen und der Umgang miteinander nähren uns.<br />
Kulinaristik: von der Idee zum Programm<br />
Mag. Marlies Gruber<br />
Was kulinarisch bedeutet, ist jedem klar: Es kann köstlich,<br />
fein, genießbar, feinschmeckerisch, lukullisch, appetitlich,<br />
schmackhaft, deliziös, ... sein. Doch was genau<br />
steckt dahinter, wenn mit dem Suffix „-istik“ aus dem Adjektiv<br />
ein Substantiv gezaubert wird? Kulinar-istik. Der<br />
Wortstamm leitet sich von lateinisch „culina“, Küche, ab.<br />
Und Wörter, die auf „-istik“ enden, beziehen sich auf die<br />
Erscheinung, die Äußerungsform oder ein erlernbares<br />
Fach. Alois Wierlacher, Gründer des Internationalen Arbeitskreises<br />
für Kulturforschung des Essens, hat analog<br />
zu Logistik oder Linguistik den Begriff der Kulinaristik<br />
aus der Taufe gehoben. Soviel zur Wortkreation. Was<br />
heißt es nun?<br />
Kulinaristik versteht sich als fächerübergreifender Beitrag<br />
zu den Kultur- und Lebenswissenschaften und unterscheidet<br />
grundlegend zwischen Ernährung und Essen.<br />
Der Trias „Kultur – Kommunikation – Küche“ folgend,<br />
zielt die Kulinaristik darauf ab, praxisdienliches Wissen<br />
zur Bedeutung und Funktion des Essens und der Gastlichkeit<br />
zu vertiefen und in den Zusammenhang mit dem<br />
Aufbau der Kulturen, der Verständigung zwischen den<br />
Menschen und im Leben des Einzelnen zu stellen.<br />
Konzentrisches Strukturmodell<br />
Vereinfacht kann man sich die Thematik der Kulinaristik<br />
als drei konzentrische Kreise vorstellen: Im innersten<br />
Kreis steht die Ernährung, also die Notwendigkeit, zu essen<br />
und zu trinken. Daher arbeiten in der Kulinaristik Naturwissenschafter,<br />
Ernährungswissenschafter und Mediziner<br />
zusammen. Der zweite Kreis kennzeichnet die Kulturen,<br />
die aus der Notwendigkeit ein Reich der Vielfalt<br />
von Speisen und Getränken, Regeln, Zeichen, Normen,<br />
Redeweisen und Symbolen machen und auf diese Weise<br />
auf die Ernährung wirken. Deshalb arbeiten Naturwissenschafter,<br />
Ernährungswissenschafter und Mediziner mit<br />
den Kulturwissenschaftern zusammen. Der dritte Kreis<br />
repräsentiert die Gastlichkeit. Sie holt die Vielfalt der<br />
Menschen, Völker und Nationen kommunikativ an einen<br />
Tisch und ist das Rahmenthema der Kulinaristik.<br />
« Jede Nahrung ist ein Symbol. »<br />
(Jean Paul Satre)<br />
Ernährung und Essen gehören den beiden inneren Kreisen<br />
des Strukturmodells an. Während erstere sich als Akt<br />
der physiologisch bedingten Nahrungszufuhr beschreiben<br />
lässt, ist Essen immer eingebettet in eine soziale Situation.<br />
Essen inkludiert stets Ernährung, auch dann,<br />
wenn die Speisen vorrangig Erinnerungscharakter haben<br />
oder auf Einstellungen und Eigenschaften verweisen, die<br />
außerhalb ihrer selbst liegen. Essen und die Stiftung von<br />
Bedeutung hängen unmittelbar zusammen. Weder darf<br />
der nutritive Wert eines Gerichtes noch dessen semiotische,<br />
kulturelle Bedeutung zugunsten des jeweils anderen<br />
vernachlässigt werden. Schließlich wird die Doppelqualität<br />
der Speisen auch in Reden wie „Noch einen Löffel<br />
für die Oma“ klar – Essen wird zum Spiegel, Ausdruck<br />
oder Regulativ sozialer Verhältnisse.<br />
« Essenordnungen sind<br />
Offenbarungen über Kulturen. »<br />
(Friedrich Nietzsche)<br />
Verschiedene Gesellschaften und Kulturen definieren<br />
sich nicht bloß über ihre rechtlichen, sozio-ökonomischen<br />
und politischen Systeme, sondern auch über ihre<br />
Essensordnungen. Nationalgerichte stehen oft stellvertretend<br />
für das Savoir-vivre eines Landes. Weil Kulturen<br />
das Essen mitbestimmen, ist kulinarische Bildung auch<br />
keine rein private Angelegenheit, sondern gerade im Zeitalter<br />
der Globalisierung eine Frage der interkulturellen<br />
Bildung und somit eine Schlüsselqualifikation. Denn Essen<br />
und Trinken lassen sich nicht delegieren und die Auswahl<br />
muss letztendlich immer selbst verantwortet werden.<br />
Doch für viele Menschen ist die Auswahl der Speisen<br />
problematisch geworden, sie verfügen kaum noch über<br />
Basiskenntnisse der Lebensmittel und ihrer Herkunft.<br />
Kulinarische Bildung kann daher als Teil der Allgemeinbildung<br />
verstanden werden und umfasst Nahrungswissen<br />
sowie handlungsorientierende Grundkenntnisse über<br />
Küche und den modernen Lebensmittelmarkt.<br />
Essen und Reden: zwei Nachbarn<br />
Wir essen und reden mit demselben Organ – dem Mund.<br />
Kulinarische Bildung sollte daher nicht nur die Fähigkeit<br />
zu schmecken umfassen, sondern auch befähigen, über<br />
komplexe Nahrungsfunktionen und kulturrelevante Symboliken<br />
zu reden. Zu den kulturrelevanten Symboliken<br />
zählt zum Beispiel die Unterscheidung von kalten und<br />
warmen Speisen ebenso wie die von Endo- und Exo-Küche<br />
des Ethnologen Claude Lévi Strauss. Sprachlosigkeit gilt<br />
es aber auch zu überwinden, wenn es zum Beispiel um<br />
Antworten auf die Frage „Wie hat es geschmeckt?“ geht.<br />
„Danke“, „interessant“, „gut“, „sensationell“ oder „ausgezeichnet“<br />
dienen hier als Floskeln. Genaues und lustvolles<br />
Reden vom Essen verlangt jedoch abseits subjektiver<br />
Eindrücke eine klare und sachliche Sprache, die die Kritikfähigkeit<br />
stärkt. Zwar schließt die kulinaristische Sprache<br />
Leidenschaftlichkeit keineswegs aus, jedoch vermeidet<br />
sie fragwürdige Formen der Mythisierung und werbesprachliche<br />
Emotionalisierung von Speisen und Getränken.<br />
Es handelt sich um eine Wissenschafts- und Metasprache,<br />
die es ermöglicht, Speisen und Getränke sowie<br />
die Genusssituation selbst zum Thema einer produktiven<br />
Kommunikation zu machen. Dabei geht es auch um Nahrungskritik.<br />
»<br />
zum weiterlesen<br />
Wierlacher A, Bendix R (Hrsg.):<br />
Kulinaristik.<br />
Forschung – Lehre – Praxis.<br />
Verlag LIT, Münster (2008).<br />
ISBN 978-3-8258-1081-8,<br />
Preis: € 24,80.<br />
zum weiterlesen<br />
Die große TEUBNER Küchenpraxis.<br />
Teubner Verlag, München (2008).<br />
ISBN 978-3-8338-1178-4,<br />
Preis: € 102,70.<br />
info am rande<br />
Die Endo-Küche dient dem intimen<br />
Gebrauch in einer kleinen Gruppe,<br />
z. B. der Familie, die Exo-Küche<br />
wird bei öffentlichen Anlässen,<br />
Festen und Zeremonien verwendet.<br />
Exo heißt heute auch, sich mit<br />
Kochen zu beschäftigen, ohne zu<br />
kochen, im Gespräch, beim<br />
Fernsehen oder im Internet.<br />
ernährung heute 2_2010<br />
03
Kochen als kreative Kulturarbeit<br />
Niemand Geringerer als Alain Ducasse hat die kulturpolitische<br />
Rolle eines Kochs sehr deutlich gesehen und seine<br />
Tätigkeit damit beschrieben „die französische Tradition<br />
zu erhalten, die Vielfalt der Produkte, die regionalen<br />
Traditionen, die Gartechniken. Meine Restaurants sind lebendige<br />
Museen französischer Tradition.“ Soziologisch<br />
lassen sich drei Arten des Kochens unterscheiden: das<br />
alltägliche/familiäre Kochen, das berufliche Kochen und<br />
das Hobbykochen. Man könnte annehmen, dass das Kochen<br />
im Alltag infolge der Flexibilisierung von Arbeitszeiten,<br />
Individualisierung und generell des Zeitgeistes<br />
immer weniger geübt wird. Doch aktuelle Zahlen einer<br />
GfK-Studie über die Ernährungsgewohnheiten in Österreich<br />
zeigen, dass im Vergleich zu den vergangenen Untersuchungen<br />
1996 und 2002 stetig mehr zuhause gekocht<br />
wird, wobei für diesen Trend das zunehmende Interesse<br />
der Männer verantwortlich ist (siehe Tabelle). Daim<br />
fokus<br />
zum weiterlesen<br />
Frenzel R (Hrsg.):<br />
Küchenbibel. Enzyklopädie der<br />
Kulinaristik.<br />
Tre Torri Verlag, Wiesbaden (2009).<br />
ISBN 978-3-941641-07-5,<br />
Preis: € 51,30.<br />
http:// am rande<br />
Deutsche Akademie für Kulinaristik<br />
www.kulinaristik.de<br />
Selbst kochen<br />
Ja, und zwar<br />
Im Gegensatz zum ernährungswissenschaftlichen Diskurs<br />
über günstiges und ungünstiges Ernährungsverhalten<br />
oder zur Gastrokritik, deren Horizont oftmals beim Tellerrand<br />
endet, will die kulinaristische Nahrungskritik ausgehend<br />
von profunden Produktkenntnissen (inklusive ihrer<br />
Herstellung) Aspekte der kulturbezogenen Ernährungswissenschaft,<br />
der Ernährungsmedizin, des Lebensmittelrechts<br />
sowie der Nahrungssoziologie unter die<br />
Lupe nehmen.<br />
Frage: Kochen Sie selbst? Und wenn ja, wie oft?<br />
Jahr<br />
Total Männer Frauen<br />
2010<br />
2002<br />
1996<br />
77<br />
72<br />
71<br />
57<br />
50<br />
47<br />
95<br />
94<br />
95<br />
bei wird der Mehrwert des Selbstkochens darin gesehen,<br />
durch Eigenleistung ausgewählte Nahrungsmittel in Speisen<br />
zu verwandeln und diesen eine eigene Note in ihrem<br />
Charakter und Erscheinungsbild zu geben. So wird mit<br />
der Individualität der Speisen jener Mehrwert geschaffen,<br />
in dem die Nahrungsqualität und die Bedeutung der<br />
Speisen miteinander verknüpft sind. Kochen ist folglich<br />
Kulturarbeit.<br />
Wechselwirkung zwischen Gast und Gastgeber<br />
Welche Rolle spielt die Gastlichkeit? Sie kennzeichnet<br />
seit der Antike die Kulturtechniken des Umgangs mit Anderen<br />
und Fremden und impliziert die Bereitschaft für<br />
ausgangsoffene Begegnungen. Gastliches Handeln ist<br />
daher für kulturelle Wandlungsfähigkeit lebenswichtig.<br />
Es realisiert sich traditionell in Formen der Höflichkeit<br />
sowie in der Ästhetik des gedeckten Tisches, der die<br />
nicht alltägliche Außerordentlichkeit der Gastlichkeit<br />
spiegelt. Gerade im Zeitalter der Globalisierung gewinnt<br />
die kulinarische Gastlichkeit besondere kommunikative<br />
und politische Aktualität. Denn den Anderen in seinem<br />
Anderssein zu erkennen, gelingt am ehesten an fremden<br />
Tischen.<br />
Genuss als Toleranzfaktor<br />
Erst ein Gegenüber ermöglicht wahren Genuss, der eben<br />
nicht nur auf guten Produkten und einem angenehmen<br />
Ambiente beruht. Denn Genuss ist der zentrale Code gemeinsamen<br />
Essens und Ausdruck von Lebensbejahung.<br />
Umgekehrt: Einen lebensverneinden Genuss gibt es nicht<br />
(siehe auch Seite 5). Warum wir zum Genießen zumindest<br />
jemand Zweiten brauchen, lässt sich auch linguistisch<br />
ableiten. Genuss hängt unmittelbar mit Genosse<br />
zusammen und die Kollektivpartikel „ge“ der Wörter „Genuss“,<br />
aber auch „Geschmack“, weisen auf die Kollektivdimension<br />
des Genießens hin.<br />
Mindestens 4 Mal pro<br />
Woche/regelmäßig<br />
2 bis 3 Mal pro Woche<br />
Nur an arbeitsfreien<br />
Tagen/Wochenenden<br />
Nur zu besonderen Anlässen<br />
Nein, nie<br />
2010<br />
2002<br />
1996<br />
2010<br />
2002<br />
1996<br />
2010<br />
2002<br />
1996<br />
2010<br />
2002<br />
1996<br />
2010<br />
2002<br />
1996<br />
40<br />
38<br />
37<br />
17<br />
13<br />
16<br />
10<br />
11<br />
9<br />
11<br />
10<br />
9<br />
23<br />
28<br />
29<br />
Quelle: GfK Custom Research: Ernährungsgewohnheiten, November 2009 – Jänner 2010; Basis: n=1500<br />
13<br />
9<br />
9<br />
16<br />
12<br />
12<br />
12<br />
12<br />
11<br />
17<br />
16<br />
15<br />
42<br />
50<br />
53<br />
66<br />
67<br />
64<br />
17<br />
14<br />
14<br />
7<br />
9<br />
8<br />
5<br />
4<br />
4<br />
5<br />
6<br />
5<br />
Und gemeinsam essen dient dem Gedankenaustausch,<br />
wirkt vertrauensbildend und gemeinschaftsstiftend, wandelt<br />
das Zu- und Miteinander, schafft eine neue Beziehungsordnung.<br />
Im zugehörigen Reden mit dem Anderen<br />
werden eigene und gegenübersitzende Verschiedenartigkeit<br />
und Identität erfahren und akzeptiert – und sei es<br />
nur für die Zeit des gemeinsamen Essens. Denn Essen<br />
und das wechselseitige Erkennen der Essenden ist stets<br />
verschränkt und die Essenden bestätigen oder wandeln<br />
sich während der Mahlzeit zu Partnern (Kumpel, copain,<br />
compagno, von lat. Panis, Brot). Ein Essen gilt schließlich<br />
auch dann als besonders gelungen, wenn es zu einer lebendigen<br />
Verflechtung von Essen und Reden geführt hat.<br />
Genussfähigkeit und gemeinsames Essen gewinnen daher<br />
eine eminent gesellschaftliche Bedeutung, weil sie<br />
Identitäten zuweisen und diese stets aktualisieren. Genuss<br />
schärft also den Sinn für das Anderssein, stiftet soziale<br />
und lebensfreudige Kompetenz: Er gibt Kraft, Kontakte<br />
zu knüpfen, Distanzen zu verringern, Barrieren zwischen<br />
den Essenden abzubauen. Kurz: Genuss fördert<br />
auch die Toleranzfähigkeit und kann als Kulturstifter und<br />
Kommunikationsgenerator gesehen werden. «<br />
2_2010 ernährung heute<br />
04
im fokus<br />
Theorie & Praxis. Warum Genießen und kulinarische Bildung die Schlüsselkompetenzen im<br />
modernen Alltag sind, war Thema beim Symposium „Kulinarische Intelligenz – Genuss ist<br />
Lebensqualität“. Eine Retrospektive.<br />
Genuss im Wort<br />
Mag. Marlies Gruber<br />
Seit 25 Jahren gibt es sie: die „Kleine Schule des Genießens“.<br />
Sie kommt in psychiatrischen oder psychosomatischen<br />
Kliniken zum Einsatz und lehrt Patienten einen<br />
selbstfürsorglichen Umgang mit sich selbst und das<br />
„JA“-Sagen: JA zu sich, JA zu seinem eigenen Standpunkt,<br />
JA zu einem guten, erfüllten Leben. Ein „NEIN“ folgt dann<br />
zwangsläufig und selbstverständlich aus einem JA zu<br />
sich. Indirekt leiten dabei auch die Genussregeln zum<br />
„JA“-Sagen an und lockern (gesellschaftliche) Verbote.<br />
Denn gerade soziale Ge- und Verbote sind oft Ursache<br />
seelischer Störungen. Doch worin liegt nun der Konnex<br />
zwischen Genießen und seelischer Gesundheit? Für beides<br />
sind idente psychologische Abläufe bestimmend!<br />
Und für beides gilt es, den Wechsel von guten und<br />
schlechten Zeiten zu akzeptieren, mit dem Körperrhythmus<br />
zu schwingen und zeitweilig zu verzichten.<br />
Anhand der Erfahrungen der „Kleinen Schule des Genießens“<br />
entwickelte sich die Euthyme Therapie. Sie basiert<br />
auf der Auffassung, dass Gesundheit und Krankheit<br />
zwei voneinander unabhängige Dimensionen darstellen.<br />
Gesund sein oder krank sein funktioniert demnach nicht<br />
nach dem „Entweder-Oder“-Prinzip. Sondern „Kranke“<br />
können sehr wohl gesunde Anteile haben und „Gesunde“<br />
kranke Anteile.<br />
Diesem Unabhängigkeitsmodell zufolge bleibt der gesund,<br />
dessen Balance zwischen gesunderhaltenden und<br />
krankmachenden Anteilen zugunsten von Gesundheit<br />
verschoben ist. Der Fokus auf Positiva, Gesundheit und<br />
Alltäglichkeiten sowie auf seine individuellen „hedonistischen<br />
Nischen“ können dabei zur seelischen Gesundheit<br />
wesentlich beitragen. Genießen ist Gesundheitsförderung<br />
– resümiert daher Dr. Rainer Lutz (Marburg) in<br />
seinem Auftaktreferat.<br />
Der Sinn unserer Sinne<br />
Um positive Emotionen zu wecken und diese zu halten,<br />
bedarf es der Wieder-Entdeckung der Sinne. Denn seiner<br />
Sinne achtsam gewahr zu werden, steht im Mittelpunkt<br />
euthymen Verhaltens. Wesentlich dabei ist zu erkennen,<br />
dass die eigene Wahrnehmung nicht nur eine Realitätserfahrung<br />
ist, sondern auch immer eine Ich-Erfahrung<br />
einschließt. Diese subjektive Wahrnehmung gewinnt aufgrund<br />
der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft<br />
stetig an Bedeutung. Dabei verliert der ehemals<br />
„höchste“ und nach wie vor mächtigste Sinn, das Sehen,<br />
etwas von seiner Dominanz. Die Nahsinne Riechen und<br />
Schmecken geben zunehmend Orientierung im Leben,<br />
erklärt Mag. Hanni Rützler. Zu tun hat dies mit der Entsinnlichung<br />
des Alltags, die sich auch auf kulinarischen<br />
Ebenen spiegelt. Werden Lebensmittel und Getränke beurteilt,<br />
fungiert daher der eigene Geschmack und das damit<br />
mögliche Genussempfinden immer häufiger als Entscheidungskriterium.<br />
Machte es früher noch „Sinn“, zu essen, was und wann es<br />
zu essen gab, und galt die Genussfähigkeit als elitärer Luxus,<br />
so ändert sich in Zeiten des Lebensmittelüberflusses<br />
und der stetig steigenden Prävalenz ernährungsassoziierter<br />
Zivilisationskrankheiten die Rolle des Geschmacks und<br />
der Genussfähigkeit.<br />
Ein kritischer Gaumen dient als Orientierungshilfe für das<br />
paradiesische Angebot. Er wird zur Schlüsselkompetenz.<br />
Denn nur eine ausgeprägte Genussfähigkeit ermöglicht einen<br />
entspannten Umgang mit dem Lebensmittelüberfluss,<br />
noch dazu steigert sie direkt die subjektive Lebensqualität<br />
und das Wohlbefinden. Das belegen auch die Ergebnisse<br />
des Genussbarometers.<br />
Mit der vom forum. ernährung heute ausgerollten Studie,<br />
wurden in den Jahren 2009/10 in vier Wellen Online-<br />
Interviews mit jeweils 500 Personen zwischen 14 und<br />
69 Jahren durchgeführt, um das Genussverständnis, die<br />
Geschmacksvorlieben sowie die subjektive Lebensqualität<br />
der Österreicher repräsentativ zu erheben. »<br />
Regeln der kleinen Schule<br />
des Genießens<br />
Genuss braucht Zeit<br />
Schaffen Sie sich in Ihrem<br />
Tagesablauf "Genussinseln"!<br />
Genuss muss erlaubt sein<br />
Gönnen Sie sich Genusserlebnisse!<br />
Genießen geht nicht nebenbei<br />
Schenken Sie dem Genuss<br />
Aufmerksamkeit!<br />
Genuss ist individuell<br />
Hören Sie auf Ihren Körper!<br />
Weniger ist mehr<br />
Beschränken Sie sich zeitweilig<br />
in Ihrem Genusserleben!<br />
Genuss ist alltäglich<br />
Warten Sie nicht auf einen besonderen<br />
Moment, genießen Sie im Jetzt!<br />
Genuss braucht Erfahrung –<br />
Erleben Sie bewusst mit allen Sinnen<br />
und behalten Sie das Genusserlebnis<br />
in Erinnerung!<br />
Quelle: Lutz R, Sundheim D (2002).<br />
Rainer Lutz und Christopher Mayr (Moderation) im Gespräch. Rund 150 Personen besuchten das Symposium. Maria Wieser (re.) in einer gesunden Pause.<br />
ernährung heute 2_2010<br />
05
im fokus<br />
Genusstypologie in Österreich<br />
15 % Genießer ziehen bei genussvollem<br />
Verhalten eine positive<br />
Bilanz. Sie essen das, worauf sie<br />
Gusto haben, mit Freude – sei es<br />
eine Leberkässemmel, ein Schnitzel<br />
oder eine Malakofftorte – achten auf<br />
Qualität, nehmen sich Zeit und essen<br />
insgesamt ausgewogen.<br />
68 % Genusszweifler sind ambivalente<br />
Genießer, die eigentlich gerne<br />
genießen, aber mit schlechtem Gewissen.<br />
Sie essen entweder die<br />
Leberkässemmel, haben dabei aber<br />
Angst, zu gierig oder unkontrolliert<br />
zu handeln, oder essen widerwillig<br />
etwas ihrem Gusto nicht entsprechendes.<br />
17 % Genussunfähige können im<br />
Genießen keine Vorteile sehen,<br />
weder eine verbesserte Leistungsfähigkeit<br />
noch gesteigerte Lebensfreude<br />
– Genießen ist für sie ein<br />
überwiegend negatives Erlebnis.<br />
Ihnen ist es gleichgültig, was und<br />
wie sie essen.<br />
Quelle: forum. ernährung heute (2010)<br />
Workshop: Was hat<br />
Dieter Bohlen mit Zeitmanagement zu tun?<br />
„Wissen Sie, wer mein Vorbild ist? Dieter Bohlen! Dem<br />
Mann war langweilig, also fragte er sich: ‚Welche Nische<br />
ist in Deutschland noch nicht besetzt? Das deutsche<br />
Ekel.’ So setzte er sich drauf und ist bis heute unglaublich<br />
erfolgreich mit dieser Strategie“, erzählt Peter Gall,<br />
Experte für Zeitmanagement, Buchautor und Vortragender.<br />
Das ist bereits einer von sieben Schritten des Life<br />
Leaderships® nach Lothar J. Seiwert: Definieren Sie Ihre<br />
Schlüsselaufgaben! Denn strategisches Zeitmanagement<br />
bedeutet eine Konzentration der Kräfte auf das, was Sie<br />
am besten können, was Ihnen am meisten Spaß macht<br />
und womit Sie im Hinblick auf Ihre Lebensvision die<br />
größte Wirkung erzielen können. Schon war Peter Gall<br />
beim nächsten Schritt: Entwickeln Sie eine klare Vision,<br />
ein Leitbild und Lebensziel! „Wer Ziele hat, richtet auch<br />
seine unbewussten Kräfte und Handlungen danach aus“,<br />
informiert unser Workshopleiter und ist beim nächsten<br />
Schritt angelangt, bei der Zielformulierung. „Formulieren<br />
Sie Jahresziele nach dem SMART-Prinzip“, rät Gall:<br />
spezifisch, messbar, aktionsorientiert, realistisch und<br />
terminierbar. „Ich habe keine Zeit, gilt nicht“, ruft Gall.<br />
„Es muss heißen: Ich habe keine Zeit dafür! Jeder Tag<br />
hat 24 Stunden. Für jeden Menschen auf der Welt. Wenn<br />
Sie keine Zeit haben, dann haben Sie zu viel zu tun“,<br />
sagt Gall. Klingt einleuchtend. Also: Ballast abwerfen,<br />
aufhören, nichts mehr annehmen, Nein-Sagen lernen.<br />
Für Frauen schwieriger als für Männer. Doch wann sagt<br />
man nein und wann ja? Zeitprobleme sind in Wahrheit<br />
Prioritätenprobleme. Wenn die Möglichkeiten die Ressourcen<br />
übersteigen, muss man Prioritäten setzen. Das<br />
Wichtigste zuerst. Einige wenige wichtige Aufgaben tragen<br />
zu 80 % des Erfolges bei. Somit gilt es zu planen:<br />
Was ist wichtig? Was ist dringend? Was ist weder dringend<br />
noch wichtig? Viele kennen das, was Peter Gall als<br />
4-Quadranten-Modell beschreibt unter dem Namen<br />
ABC-Liste. Egal, die Folgerung ist die gleiche: Mehr Zeit<br />
für die Planung bedeutet weniger Zeit für die Durchführung,<br />
ergo: erfolgreichere Umsetzung. [am]<br />
Zum Weiterlesen<br />
Gall P: Kampf den Zeitdieben. Verlag Wirl, Wien (2006).<br />
ISBN 978-3-9502300-0-0, Preis: € 19,90.<br />
Workshop:<br />
Von Wikingersalz bis Röstzwiebelschokolade<br />
Bewusstes Hinschmecken ist Hanni Rützler, Ernährungswissenschafterin<br />
und Food-Trend-Expertin,<br />
ebenso wichtig wie gemeinschaftliches Genießen. So<br />
finden wir uns alle an einer langen Tafel ein und bekommen<br />
von ihr eine bunte Palette an kulinarischen<br />
und sinnlichen Überraschungen buchstäblich am Silbertablett<br />
serviert.<br />
„Der Liebhaber des guten Essens investiert in sich<br />
selbst und nicht in das Essen“, eröffnet sie uns, und so<br />
sind wir eingeladen, in angenehmer Atmosphäre mit<br />
unseren Sinnen zu spielen. Im „ersten Gang“ geht es<br />
vor allem darum, Geschmacksrichtungen zu erkennen<br />
und deren räumliche Wahrnehmung auf der Zunge zu<br />
beschreiben. Dabei lernen wir, wie vielfältig und selektiv<br />
unsere sensorischen Eindrücke sind. Selbst Wasser<br />
ruft unterschiedliche Empfindungen hervor: Für manche<br />
schmeckt es süß, für andere leicht bitter. Und auch<br />
beim Saft der Hirschbirne scheiden sich die Geister.<br />
Im „zweiten Gang“ versucht Hanni Rützler bewusst, unsere<br />
Geschmacksknospen zu irritieren und damit Diskussionen<br />
auszulösen. Das schafft sie virtuos und ohne<br />
große Mühen: Zum Beispiel mit Wikingersalz, einer eigenwilligen<br />
Verbindung von würzigen, scharfen und<br />
rauchigen Komponenten, mit süßem Dattelpüree oder<br />
simplem Glutamat, das, wie wir hören, in der italienischen<br />
Küche sehr präsent ist. Und zwar nicht in Pulverform,<br />
sondern ganz natürlich in aromatischen Lebensmitteln<br />
wie Tomaten oder Parmesan. Sie serviert uns in<br />
Essig eingelegte Lilienblüten und Mini-Paradeiser, nussig<br />
schmeckendes Tomatenkernöl, Sauerkrautbrot und<br />
Schokolade mit Röstzwiebeln bestreut. Dazwischen<br />
lässt sie uns immer wieder nachdenken, gibt Anregungen<br />
und holt Meinungen ein. „Was könnte man dazu<br />
essen?“, fragt sie, oder: „Welche Aromen schmecken<br />
Sie heraus?“<br />
Den Abschluss bildet ein kleines Stück edler Bitterschokolade.<br />
Wir lassen es am Gaumen zergehen, spüren<br />
der reichen Aromenvielfalt nach. Und freuen uns<br />
über die besondere Erkenntnis, dass der Schmelzpunkt<br />
von Kakaobutter genau unserer Körpertemperatur entspricht.<br />
Na dann muss es wohl so sein: Schokolade ist<br />
wie für uns gemacht … [mw]<br />
Emmerich Berghofer<br />
propagiert die Pflanzendiversität. „Und heute beginnt der Rest Ihres Lebens!“ erinnert Peter Gall. Mag. Hanni Rützler über den Sinn unserer Sinne.<br />
2_2010 ernährung heute<br />
06
im fokus<br />
Workshop:<br />
„Lust auf Genuss durch Vielfalt statt Einfalt“…<br />
Der Titel lässt einen kurz nachdenken: Vielfalt statt Einfalt?<br />
Wie ist das gemeint?<br />
Ist doch unsere Lebensmittelwahl so vielfältig wie noch<br />
nie. Zumindest die Lebensmittelauswahl: Ein vollsortierter<br />
Supermarkt bietet 30.000 bis 40.000 Artikel,<br />
ein Diskonter immer noch 10.000 Produkte. Das ist<br />
doch Vielfalt pur! Scheinbar.<br />
Univ.-Prof. Dr. Emmerich Berghofer zerstört diese Idylle<br />
durch harte Zahlen: 30.000 Supermarktartikel werden<br />
aus nur mehr 30 Pflanzenarten hergestellt. Das<br />
gibt zu denken. In Asien, speziell in Japan, ist die Situation<br />
anders. Dort werden deutlich mehr Rohstoffe<br />
genutzt. Berghofer lässt in diesem Zusammenhang ein<br />
Insekten-Kochbuch durch die Runde gehen. Naja, auf<br />
manchen Rohstoff können wir auch gerne verzichten …<br />
„In Indien gibt es 30.000 Reissorten, genutzt werden<br />
aber weniger als 50“, berichtet der Institutsleiter der<br />
Abteilung für Lebensmitteltechnologie an der Wiener<br />
Universität für Bodenkultur. „Drei Getreidearten<br />
decken hierzulande 50 % der Energieversorgung.<br />
Hülsenfrüchte liefern laut Ernährungsbericht im Durchschnitt<br />
etwa 6 kcal/d, Weizen dagegen 700 kcal/d“,<br />
zählt Berghofer auf und schwenkt im nächsten Atemzug<br />
zur Glutenunverträglichkeit: „Weltweit nimmt die Glutenunverträglichkeit<br />
immer mehr zu. Früher war das<br />
Verhältnis 1:1000, heute ist es in manchen Gegenden<br />
1:30.“ Eine Folge des massiven Weizenkonsums? Haben<br />
die diversen „Ernährungsberater“, Kinesiologen<br />
oder Metabolic-Balance-Berater also doch recht, wenn<br />
sie ihren Klienten pauschal von Weizen abraten? Das<br />
wäre eine interessante Diskussion. Doch heute geht es<br />
um Genuss durch Vielfalt. „Saatgutzüchter züchten auf<br />
hohen Ertrag, auf Resistenzen und auf Verarbeitungseigenschaften,<br />
aber nicht auf Geschmack“, kommt<br />
Berghofer dem Genussthema nun näher. Der Konsument<br />
bleibt in dieser Hinsicht auf der Strecke. Und<br />
muss sich auf drei Einkäufer verlassen. Denn in Österreich<br />
decken drei Lebensmittelketten 85 % des Marktes<br />
ab. Drei Einkäufer bestimmen also im Wesentlichen,<br />
was der Österreicher isst oder nicht zu essen bekommt.<br />
„Eigentlich hat der Konsument die stärkste Position in<br />
der Kette Agrarproduktion-Lebensmittelverarbeitung-<br />
Lebenmittelhandel-Konsument. Er müsste nur vehement<br />
und lange genug nachfragen.“ Doch kann ich etwas<br />
nachfragen, das ich nicht kenne? Nein, natürlich<br />
nicht. Was also tun? „Mehr Ernährungsbildung in die<br />
Schulen“, fordern manche Teilnehmer des Workshops.<br />
„Man muss die Wertigkeit von Essen stärken“, sagen<br />
andere Teilnehmer. Doch offensichtlich hat sich der europäische<br />
Verbraucher für den günstigeren Preis und<br />
gegen Vielfalt entschieden. Was aber auch bedeutet,<br />
dass der Konsument vieles selbst in der Hand hat.<br />
„Man fängt bei sich selbst an“, resümiert Berghofer.<br />
Und: „Werden Sie zu Food Huntern. Suchen Sie nach<br />
der Vielfalt und verlangen Sie sie. Steter Tropfen höhlt<br />
auch hier den Stein“, ist er überzeugt. [am]<br />
Genuss: eine ganzheitliche, intensive<br />
Sinnesempfindung, die mit körperlichem und<br />
geistigem Wohlbehagen verbunden ist.<br />
Was als Genuss empfunden wird, ist subjektiv und damit<br />
individuell verschieden. Was jedoch immer gilt: Diese Einheit<br />
aus körperlichen Reaktionen und kognitiven Vorgängen<br />
empfindet der Erlebende als angenehm. Vorausgesetzt,<br />
er ist zum Genießen fähig. Im Genussbarometer<br />
zeigt sich, dass der Großteil der Österreicher dies nur bedingt<br />
kann.<br />
Genießer fühlen sich gesünder und glücklicher<br />
Ob jemand fähig ist, zu genießen, hat Auswirkungen auf<br />
seine subjektive Lebensqualität, seine Gesundheit und<br />
sein Essverhalten. So sind Genießer signifikant öfter optimistisch<br />
und fühlen sich deutlich glücklicher, ausgeglichener<br />
und entspannter als Genusszweifler und -unfähige.<br />
Sie schätzen insgesamt ihre Gesundheit und ihr allgemeines<br />
Wohlbefinden höher ein. Kein Wunder, kommt es<br />
doch beim Genießen und bei der Vorfreude darauf zur<br />
Ausschüttung von Dopamin. Der Neurotransmitter hebt jedoch<br />
nicht nur die Stimmung, sondern stärkt auch das Immunsystem.<br />
Genusszweifler und Genussunfähige fühlen<br />
sich dagegen bedeutend öfter unsicher, mutlos, traurig<br />
oder niedergeschlagen, sind weitaus pessimistischer und<br />
erwarten deutlich häufiger, dass ihre Gesundheit nachlässt<br />
bzw. dass sie etwas leichter krank werden als andere.<br />
Eine deutsche Untersuchung bekräftigt die Ergebnisse<br />
des Genussbarometers und ergründete einen ebenfalls<br />
starken Zusammenhang zwischen Genussfähigkeit und<br />
Gesundheitsverhalten: Genießer treiben öfter Sport, ernähren<br />
sich gesünder, sind öfter an der frischen Luft, sind<br />
seltener einsam und ergreifen häufiger Maßnahmen zur<br />
Krankheitsprophylaxe.<br />
Im Genussbarometer wurde noch dazu festgestellt, dass<br />
47 % der Genießer Normalgewicht haben, während bei<br />
den Genusszweiflern und -unfähigen nur 38 % normalgewichtig<br />
sind.<br />
Anders und anderes essen<br />
Ein unterschiedliches Essverhalten beginnt bereits bei der<br />
Auswahl und hier zeigen die Genießer höhere Ansprüche:<br />
Ihnen ist es bedeutend wichtiger als den Genusszweiflern<br />
und -unfähigen, dass Lebensmittel<br />
_ qualitativ hochwertig sind,<br />
_ naturbelassen und frisch sind,<br />
_ aus fairem Handel stammen,<br />
_ aus Österreich und regional sind,<br />
_ gut schmecken und<br />
_ einen hohen Anteil an Nährstoffen, Vitaminen<br />
sowie Mineralstoffen aufweisen.<br />
Aber nicht nur die Auswahl ist unterschiedlich, auch die<br />
Gründe für das Essen differieren: Genießer essen deutlich<br />
häufiger dann, wenn sie Hunger haben, nicht dann – wie<br />
Genussunfähige –, wenn gerade etwas zu essen da ist.<br />
Noch dazu legen sie deutlich mehr Wert auf eine abwechslungsreiche<br />
Kost. Genießer essen zum Beispiel mit<br />
Freude eine Crème brûlée, haben aber dann wieder eine »<br />
zum weiterlesen<br />
Sievers GW:<br />
Genussland Österreich. Was Küche<br />
und Keller zu bieten haben.<br />
Leopold Stocker Verlag, Graz (2007).<br />
ISBN 978-3-7020-1166-6.<br />
Preis: € 39,90.<br />
zum weiterlesen<br />
Hildebrandt G:<br />
Geschmackswelten. Grundlagen der<br />
Lebensmittelsensorik.<br />
DLG Verlag, Frankfurt am Main<br />
(2008). ISBN 978-3-7690-0698-9.<br />
Preis: € 29,90.<br />
ernährung heute 2_2010<br />
07
im fokus<br />
Ich esse, ...<br />
weil ich Hunger<br />
habe, sagt der...<br />
Durchschnitt<br />
Genießer<br />
Zweifler<br />
Unfähige<br />
30,4 %<br />
46,8 %<br />
29,5 %<br />
17,1 %<br />
weil mir essen Vergnügen<br />
bereitet, sagt der...<br />
Durchschnitt 17,7 %<br />
Genießer<br />
36,7 %<br />
Zweifler 14,9 %<br />
Unfähige 10,5 %<br />
weil es schön, mit anderen<br />
Menschen, sagt der...<br />
Durchschnitt 16,3 %<br />
Genießer<br />
32,9 %<br />
Zweifler 13,2 %<br />
Unfähige 13,2 %<br />
Quelle: forum. ernährung heute (2010)<br />
Weile genug davon. Das führt zu einer ausgewogenen<br />
Kost. Sie essen auch im Vergleich zu Genussunfähigen<br />
deutlich häufiger – nicht zwingend mehr – Obst, Gemüse,<br />
Käse, Schinken, Fleisch und Wurst sowie Schokolade und<br />
trinken weitaus öfter Wasser und Obstsäfte. Und: Sie nehmen<br />
sich bedeutend mehr Zeit zum Essen und Genießen.<br />
All die Faktoren lassen erahnen, dass Genießer einen kritischeren<br />
Gaumen haben und über eine höhere kulinarische<br />
Kompetenz verfügen. Sie achten darauf, was ihnen<br />
gut tut, wissen sich im Überfluss zurechtzufinden und zeigen<br />
insgesamt ein gesundheitsorientiertes Verhalten. Kulinarische<br />
Bildung und Genusskompetenz zu fördern,<br />
muss daher das Ziel einer modernen Esskultur und der<br />
Ernährungsbildung sein.<br />
Ein Teil der Allgemeinbildung<br />
Sowohl der Ursprung von Geschmack als auch von Bildung<br />
liegt im Essen und Trinken. Das sitzt. Und ist dennoch<br />
klar nachvollziehbar. Denn die erste Stufe des Lernens<br />
führt über das sensorische Gedächtnis: Geruch und<br />
Geschmack werden emotional gefärbt und positive Ess-<br />
Erfahrungen verändern das Gehirn.<br />
Essen findet – vor allem im Kleinkindalter – üblicherweise<br />
in sozialer Umgebung statt und diese unterstützt wiederum<br />
die Synaptogenese sowie die neurobiologische<br />
Entwicklung wesentlich. Damit Kinder sich in einer Welt<br />
des Nahrungsüberflusses zurechtfinden, ist es daher notwendig,<br />
die angeborenen Sinnesfähigkeiten früh zu fördern<br />
und zu entwickeln, also früh in sozialer Gemeinschaft<br />
positive Körpergefühle mit Essen und Trinken zu<br />
erfahren.<br />
Dabei wird Ernährungsbildung „als das persönliche Bemühen<br />
des Menschen angesehen, eine sinnvolle und gesundheitsförderliche<br />
Ernährungsweise aufzubauen, worin<br />
er Unterstützung und Begleitung erfährt. Sie beschränkt<br />
sich nicht auf die Korrektur und Entfaltung des individuellen<br />
Essverhaltens, sondern berücksichtigt soziale,<br />
ökologische und ökonomische Aspekte eines selbst- »<br />
Workshop:<br />
Mit dem Essen darf man doch spielen<br />
Könnten Sie das, was Sie beim Essen erleben, in Worte<br />
kleiden? Natürlich: Oft ist es gar nicht möglich, sich intensiv<br />
mit dem auseinanderzusetzen, was da am Teller<br />
liegt. Dafür fehlt uns häufig die Zeit – oder auch die<br />
Muße. Aber es lohnt sich trotzdem, hin und wieder bewusste<br />
Geschmacksmomente in den Alltag einzubauen<br />
und alle Sinne dafür zu aktivieren. Anregungen dazu<br />
gibt es im „Parcours durch die Geschmackswelten“<br />
mehr als genug. Zuerst geht es um präzises Wahrnehmen<br />
und Erkennen. Die verschiedensten Alltagsgerüche<br />
wollen erschnüffelt, Obst und Gemüse ertastet, Süßes<br />
und Saures erschmeckt werden. Wir lernen: Das, was in<br />
der Sensorik als „flavour“ bezeichnet wird, ist nicht nur<br />
der Geschmack an sich, sondern der gesamte Sinneseindruck<br />
im Mund. Eine wichtige Komponente dabei ist<br />
die Wahrnehmung der Duftstoffe, die aus dem Lebensmittel<br />
freigesetzt werden, sobald wir es kosten. „Deshalb<br />
ist es für uns auch äußerst schwierig, mit zugehaltener<br />
Nase verschiedene Fruchtsäfte zu erkennen“, sagt<br />
Mag. Doris Walder, Ernährungswissenschafterin bei<br />
Nestlé. Weitere Komponenten des „flavour“ sind Tast-,<br />
Temperatur- und Schmerzeindrücke. Wir kommen ins<br />
Grübeln. Essen, das weh tut? „Die Schärfe von Chili<br />
oder das Prickeln von Kohlensäure nehmen wir über<br />
Schmerzrezeptoren wahr“, wird uns erklärt. Dann heißt<br />
es: Kreativ werden und uns über das Essen verständigen.<br />
So entsteht etwa unter fachkundiger Anleitung von<br />
Mag. Bernadette Arnoldner (Ernährungswissenschafterin<br />
bei Unilever) und Andrea Leitner (Kraft Foods)<br />
Schritt für Schritt ein immer komplexeres „Löffelgericht“<br />
und wir können beobachten, wie sich dabei unsere<br />
Wahrnehmung verändert. Einmal ist es ein bestimmtes<br />
Aroma, das im Vordergrund steht, dann eine<br />
Temperaturempfindung, dann wieder die Textur.<br />
Zu guter Letzt verkosten wir mit Dr. Eva Derndorfer,<br />
Sensorik-Spezialistin, drei Grüne Veltliner aus unterschiedlichen<br />
Anbauregionen (siehe Seite 13). [mw]<br />
Ines Heindl elaboriert die schulische<br />
Ernährungsbildung in Deutschland.<br />
Jürgen König erläutert das Genussbarometer.<br />
Bei der Veltliner-Verkostung mit Eva Derndorfer: Riechen,<br />
Schmecken und dafür Worte finden.<br />
2_2010 ernährung heute<br />
08
im fokus<br />
Workshop:<br />
Das „Wiener Rosinengugelhupfproblem“ lösen<br />
„Viele Menschen sind der Ansicht, dass der Sinn des<br />
Kochens darin liegt, Nahrung besser verdaubar zu machen“,<br />
sagt Werner Gruber, Experimentalphysiker mit<br />
Humor und Sinn für Lösungen praxisrelevanter (kulinarischer)<br />
Fragestellungen. Deshalb stellte er „Forderungen<br />
der Kochkunst“ auf: Neben Lebensmittel „genießbar<br />
machen“ (z. B. Sellerie oder Kartoffeln) und<br />
„bissgerecht zubereiten“ (z. B. Fleisch wird mürbe gekocht),<br />
soll auch Geschmack verliehen werden, und die<br />
Speisen sollen schön arrangiert sein, „Charme“ besitzen.<br />
Wichtig ist ihm auch das „Gesetz vom letzten Bissen“:<br />
Haubenköche achten darauf, dass sich Speisenkomponenten<br />
in einem ausgewogenen Verhältnis auf<br />
dem Teller befinden, damit der Gast auch beim letzten<br />
Bissen noch in den vollen Genuss des Gerichtes kommt.<br />
Was heißt das für den Kochalltag? Gulasch z. B. wird<br />
auch ohne sehniges Fleisch sämig (durch Zugeben von<br />
Ochsenschlepp oder ein paar Blättern Gelatine) und<br />
entfaltet sein volles Aroma.<br />
Darüber hinaus lüftet Gruber das Geheimnis, warum<br />
die Wurst am Würstelstand immer besser schmeckt als<br />
daheim und es sich lohnt, eine „Opferwurst“ zu spenden.<br />
Auch zum perfekten Kaffeegenuss gibt es Tipps:<br />
Die optimale Brühtemperatur für einen Filterkaffee<br />
liegt bei 92 °C. Der Clou: Gibt man ein Ei mittlerer<br />
Größe in den Filtereinsatz und lässt eine volle Kanne<br />
Wasser darüber laufen, ist dieses weich gekocht.<br />
Schließlich wird das „Wiener Rosinengugelhupfproblem“<br />
gelöst: Teig und Rosinen abwechselnd schichten,<br />
letztgenannte sinken nämlich entgegen des weit<br />
verbreiteten Glaubens aufgrund der höheren Viskosität<br />
des Teiges nicht nach unten. [aa]<br />
Zum Weiterlesen: Gruber W: Die Genussformel.<br />
Kulinarische Physik. Ecowin Verlag, Salzburg (2008).<br />
ISBN 9783902404596, Preis: € 21,90.<br />
bestimmten und mitverantwortlichen menschlichen Handelns“<br />
und ist daher in vielerlei Hinsicht grundlegend,<br />
sagt Univ.-Prof. Dr. Ines Heindl (PH Flensburg). Schließlich<br />
haben Essen und Ernährung einen direkten Einfluss<br />
auf Gesundheit und Ernährungssozialisation, Konzentrations-<br />
und Lernfähigkeit sowie (körperliche) Leistungen,<br />
individuelles Sozialverhalten und soziale Gemeinschaft<br />
– in Kindergärten oder Schulen ebenso wie im Familienoder<br />
Berufsleben. Ernährungs- und Verpflegungskonzepte<br />
nehmen folglich einen zentralen Stellenwert im Lebensraum<br />
der Kinder und Jugendlichen ein.<br />
Ästhetisch-kulinarischer Ansatz<br />
Kindergärten und Schulen sind ideale Settings, um das<br />
Essenlernen als eine der Kulturtechniken einzuüben.<br />
Eine Kindertageseinrichtung bzw. Schule, die das Zusammenspiel<br />
der Sinne und „sinnliche Intelligenz“ vermittelt,<br />
wird Aspekte der ästhetisch-kulinarischen Bildung verfolgen<br />
und damit unter anderem<br />
_ Schmecken lernen zum Bildungsauftrag erheben,<br />
_ geschmacklich anregende und dabei gesundheitsorientierte<br />
Essensangebote machen, Kinder und<br />
Jugendliche dann jedoch selbst wählen lassen,<br />
_ fachliche Botschaften, z. B. im Unterricht, und alltägliche<br />
Erlebnisse von Nahrungsangebot und -auswahl<br />
aufeinander abstimmen,<br />
_ eine fröhliche, gemütliche Essatmosphäre schaffen,<br />
in der alle gerne essen,<br />
_ dem Essen Aufmerksamkeit gewähren und Zeit zum<br />
Genießen lassen sowie<br />
_ für Essens- und Bewegungsangebote Qualitätsstandards<br />
entwickeln.<br />
Nahrungsqualität, Esskultur und kulinarische Kompetenz<br />
sind Fragen der sozialen Verantwortung für die Gesundheit.<br />
Dessen müssen sich schulische Ernährungsbildung<br />
und Verpflegungskonzepte gewahr werden. Denn was wir<br />
nicht frühzeitig in der Bildung leisten, kommt uns später<br />
teuer zu stehen. «<br />
zum weiterlesen<br />
Pini U:<br />
Das Gourmet Quiz.<br />
Fackelträger Verlag, Köln (2007).<br />
ISBN 978-3-7716-4354-6,<br />
Preis: € 10,95.<br />
zum weiterlesen<br />
Europaweit formuliert das Netzwerk<br />
Gesundheitsfördernder Schulen<br />
(ENHPS) in seinen Zielen Kriterien<br />
einer erfolgreichen Ernährungsbildung:<br />
Mehr dazu unter:<br />
www.schoolsforhealth.eu<br />
Werner Gruber bei der Lösung „kulinarischer Probleme“.<br />
Jugend lernt genießen... Wie? Das diskutierten Rikki Lasser-Ginstl<br />
und Andrea Lehner mit den Teilnehmerinnen.<br />
Aromen "erriechen" beim Parcours durch<br />
Geschmackswelten.<br />
ernährung heute 2_2010<br />
09
im fokus<br />
Schulen. Ernährungsbildung gilt als wesentliche Grundlage für kulinarisch kompetentes<br />
Verhalten. Welche Mechanismen in der Pädagogik notwendig sind, hat ernährung heute<br />
Sieglinde Mertlitz, Fachlehrerin für hauswirtschaftlichen Unterricht und Kinderkochbuch-<br />
Autorin, und Martina Backhausen, Diätologin und Therapeutin, gefragt.<br />
Essalltag mit Kindern in der Praxis<br />
porträt am rande<br />
Sieglinde Mertlitz<br />
_ 1982 Abschluss der Berufspädagogischen<br />
Akademie des Bundes in<br />
Wien<br />
_ seit 1989 Fachlehrerin für den<br />
hauswirtschaftlichen Fachunterricht<br />
an der Praxishauptschule und<br />
Neuen Mittelschule der Pädagogischen<br />
Hochschule in Klagenfurt<br />
sowie an der Bundesbildungsanstalt<br />
für Kindergartenpädagogik in<br />
Klagenfurt.<br />
_ Mutter von zwei Kindern und<br />
Autorin, u.a. ESSperimente 1 –3,<br />
erschienen im Heyn Verlag.<br />
ernährung heute: Wie können Erziehungsberechtigte –<br />
also Eltern, Kindergartenpädagogen und Lehrer – auf<br />
günstige Weise die Entwicklung des Essverhaltens beeinflussen?<br />
Mertlitz: Wie die Sprache wird auch das Essverhalten von<br />
den Eltern bzw. von jenem Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen,<br />
übernommen. Das Thema Essen und Trinken<br />
soll also ständig präsent sein. Neben der kontinuierlichen<br />
gemeinsamen Speisenzubereitung, einschließlich Sinnesschulung,<br />
können bei Kleinkindern Spiele, Geschichten<br />
und Lieder rund um das Thema Essen in die pädagogische<br />
Arbeit einfließen. Für Kinder ist das praktische Tun wichtiger<br />
als die Kenntnis von Nährstoffen.<br />
Ich unterrichte in der Neuen Mittelschule die unverbindliche<br />
Übung „ESSperimente – kindgerechte Tisch- und<br />
Esskultur“ und bemerke die Begeisterung der Kinder bei<br />
der praktischen Zubereitung. Begeistert hantieren sie mit<br />
den Lebensmitteln, bereiten kleine Gerichte zu und lieben<br />
es, diese zu verkosten. Das Wissen um unsere Lebensmittel<br />
verpacke ich in „kleinen Portionen“, wenn wir die<br />
Speisen besprechen.<br />
Weiters beeinflussen die verbalen Formen der Ernährungserziehung<br />
das Essverhalten von Kindern. Um nur ein<br />
Beispiel anzuführen: Kinder sollen nicht gezwungen werden,<br />
den Teller leer zu essen, damit morgen die Sonne<br />
scheint.<br />
Backhausen: Diese Frage ist seit vielen Jahren zentrales<br />
Thema meiner Arbeit . Die Vorbildwirkung beeinflusst sehr<br />
stark die Entwicklung des Essverhaltens. Die 100%ige<br />
häusliche Betreuung ist längst abgelöst – spätestens ab<br />
dem vierten Lebensjahr sind die Kinder tagsüber im Kindergarten<br />
und dann im Schulsystem. Dadurch bietet sich<br />
auch eine große Chance. Der unbändige Wissensdurst der<br />
Kinder kann auf spielerische Weise genährt werden, es<br />
gilt Wissenswertes über die Funktion ihres Körpers sowie<br />
die Auswirkungen von Ernährung so früh wie möglich zu<br />
vermitteln. Die Pädagogen sind die wichtigsten Partner,<br />
aber auch die Eltern müssen in den Entwicklungsprozess<br />
eingebunden werden.<br />
ernährung heute: Welche Werkzeuge benötigen Pädagogen<br />
für das Essen-Lehren?<br />
Mertlitz: Die Küche (Schulküche) ist ein idealer Lernort,<br />
wo Kinder den Umgang mit Lebensmitteln beobachten<br />
und erleben können. Aus Erfahrung weiß ich, dass Kinder<br />
auch einen großen Wert auf das „Drumherum“, wie bunte<br />
Teller, einfach gefaltete Servietten, farbige Tischsets, und<br />
eine angenehme Tischatmosphäre legen. Ist im Kindergarten<br />
oder in der Schule keine Küche vorhanden, heißt<br />
das noch lange nicht, dass nicht auch praktisch gearbeitet<br />
werden kann. Eine Mindestausstattung an Geschirr,<br />
Besteck und Kochutensilien reicht für den Anfang.<br />
Backhausen: Ich empfehle die unterschiedlichsten Werkzeuge:<br />
riechen, schmecken, fühlen, hören, mit allen Sinnen<br />
das Essen erfassen, den Körper nachspielen, Wahrnehmungsübungen<br />
und themenspezifische Spiele aufgebaut<br />
auf den Säulen: Ernährung, Bewegung und Entspannung.<br />
So macht Lernen Spaß und wirkt nachhaltig.<br />
ernährung heute: Das Gesundheitsargument für den<br />
(Nicht-)Verzehr bestimmter Lebensmittel ist problematisch.<br />
Mit „gesund“ werden häufig Speisen betitelt, die<br />
spontan eher nicht schmecken, außerdem handelt es sich<br />
meist um jene Lebensmittel, die „vorgeschrieben“ werden,<br />
zum weiterlesen<br />
Mertlitz S:<br />
ESSperimente 3. Mehr Fantasie<br />
für Pausenbrot und Kinderfest.<br />
Heyn Verlag, Klagenfurt (2009).<br />
ISBN 978-3-7084-0366-3,<br />
Preis: € 15,00.<br />
zum weiterlesen<br />
Mosettig-Astner L, Lotschak-Hubmer<br />
K, Jung AM: Märchenhafte Rezepte<br />
von Nellie & Nick. Verlag Johannes<br />
Heyn, Klagenfurt (2009).<br />
ISBN 978-3-7084-0359-5,<br />
Preis: € 15,00.<br />
zum weiterlesen<br />
Becker-Pröbstel S:<br />
Wie ist das mit ... dem Essen.<br />
Gabriel Verlag, Stuttgart/Wien (2009).<br />
ISBN 978-3-522-30170-1,<br />
Preis: € 11,90.<br />
2_2010 ernährung heute<br />
10
im fokus<br />
also mit Bevormundung assoziiert werden. Für Kinder ist<br />
noch dazu das stark zeitverzögerte Eintreten möglicher<br />
Folgen weder vorstell- noch erlebbar, so tritt die Drohung,<br />
„dick zu werden“, nicht gleich am nächsten Tag ein. Welche<br />
Motivationsstrategien für eine bunte Auswahl haben<br />
Sie parat?<br />
Kleinsten, wie viele Fit- und Schlappmacher der Körper<br />
benötigt. Meine Motivationsstrategie ist daher, immer wieder<br />
in die Wahrnehmungsebene der Kinder einzutauchen<br />
und auch andere schwierige Begriffe in Form von Spielen<br />
so unterschiedlich wie möglich für die Kinder erlebbar zu<br />
machen.<br />
Mertlitz: Es gibt keine „gesunden“ und „ungesunden“<br />
Nahrungsmittel. Entscheidend ist die Häufigkeit und Menge<br />
des Verzehrs, die Bekömmlichkeit des Lebensmittels<br />
oder des Gerichts für die jeweilige Person, in welcher<br />
Kombination es gegessen und ob es sachgemäß zubereitet<br />
wurde. Anstelle der Einteilung „gesund“ und „ungesund“,<br />
was ja so viel heißt wie „ja“ oder „nein“, versuche<br />
ich die Einteilung nach Lebensmitteln mit „mehr“ oder<br />
„weniger“, „öfter“ oder „seltener“ vorzunehmen. Dadurch<br />
kommt es zu keinem Nahrungsmittelverbot, denn Verbote<br />
sind in der modernen Ernährungserziehung verboten!<br />
Einzelne Lebensmittel bzw. daraus hergestellte Speisen<br />
verlangen eine sachliche Aufklärung, ohne das Gesundheitsmotiv<br />
emporzuheben oder Verzehrsverbote auszusprechen.<br />
Sinnvoll ist es, Alternativen gemeinsam zu finden<br />
und die Entscheidungsfreiheit des Kindes zu fördern.<br />
Erfolg verspricht die Vorbildwirkung der Eltern und Pädagogen,<br />
die dafür Sorge tragen müssen, dass gemeinsame<br />
Mahlzeiten in Ruhe und mit Genuss eingenommen werden<br />
können. Damit sind die besten Rahmenbedingungen für<br />
ein erfolgreiches Beobachtungslernen gegeben.<br />
Kinder sollen zum Einkauf oder auch zur Ernte mitgenommen<br />
werden und in die Entscheidungsfindung einbezogen<br />
werden. Das A und O ist, wenn Kinder in der Küche mithelfen<br />
können.<br />
Backhausen: „Mama, was gibt es denn heute, was Gesundes<br />
oder etwas Gutes?“ Diese zentrale Kinderfrage aus<br />
dem Alltag hat meine gesamte Tätigkeit geprägt. Zunächst<br />
galt es, das Wort gesund in die Kindersprache zu übersetzen<br />
– ich arbeite daher mit den Begriffen fit und schlapp.<br />
Und glauben Sie mir, kein Kind mag sich schlapp fühlen!<br />
Dennoch sind Schlappmacher erlaubt und mit einem lustigen<br />
Fingerpuppentheater zum Beispiel lernen schon die<br />
ernährung heute: Wie viel Fantasie ist im Essalltag mit<br />
Kindern gefragt?<br />
Mertlitz: In meinem Unterricht bemerke ich, dass Kinder<br />
zuerst einzelne Obst- und Gemüsesorten ablehnen, während<br />
der Zubereitung neugierig werden und dann bei Tisch<br />
erstaunt sind, wie gut es ihnen doch schmeckt. Ähnliche<br />
Erfolge konnte ich in einem Kindergarten sehen, als wir<br />
„farbenfrohe Suppentöpfe“ zubereitet haben. Die Kinder<br />
haben mit Begeisterung die rote, grüne, orange und weiße<br />
Suppe verkostet, obwohl es im Vorfeld geheißen hat, die<br />
Kinder mögen Gemüsecremesuppen nicht so gerne. Auch<br />
Obstspieße, Gemüsegesichter, Fingerfood … machen Kinder<br />
neugierig. Bei Kleinkindern kann das entsprechende<br />
Lebensmittel zusätzlich noch in eine Geschichte verpackt<br />
werden. Verkostungen und Sinnesschulungen sind bei allen<br />
Altersgruppen beliebt. Unbekanntes lässt sich z. B. gut<br />
in eine Blindverkostung verpacken. Wird mit den Kindern<br />
in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule gemeinsam<br />
gekocht, empfehle ich schon frühzeitig ein kleines<br />
Foto-/Kochbuch anzulegen. Die Freude an der Zubereitung,<br />
das gute Gelingen sowie die Zeit beim Genießen<br />
soll bildlich festgehalten werden. Die Ausgestaltung des<br />
Buches ist dann der Fantasie des Kindes überlassen.<br />
Backhausen: Fantasie macht den Alltag bunt, Feste<br />
außergewöhnlich und Mahlzeiten zu Erlebnissen. Kinder<br />
lieben die Verführung und die Welt der Fantasie! Im Programm<br />
„SCHMACKOFIT – Ernährung spielend leicht gemacht“,<br />
das für Kindergärten und Volksschulen entwickelt<br />
wurde, gibt es auch diesbezüglich viele Ideen, Anregungen<br />
und Tipps für den Alltag.«<br />
Die Interviews führte Mag. Marlies Gruber.<br />
porträt am rande<br />
Martina Backhausen<br />
diplomierte Diätologin und ernährungsmedizinische<br />
Beraterin, mehrjährige<br />
Tätigkeit an der Universitäts-<br />
Kinderklinik Wien, Diplomtherapeutin<br />
mit über 19 Jahren Berufserfahrung,<br />
Mutter von zwei Kindern,<br />
1999 Gründung einer eigenen Gemeinschaftspraxis.<br />
Seit 2002 Entwicklung<br />
der Kinderernährungserziehung<br />
SCHMACKOFIT<br />
zum weiterlesen<br />
Anger-Schmidt G, Habinger R:<br />
Das Buch gegen das kein Kraut<br />
gewachsen ist.<br />
Residenz Verlag, St. Pölten (2010).<br />
ISBN 978-3-7017-2065-1,<br />
Preis: € 19,90.<br />
zum weiterlesen<br />
schmackofit Arbeitshefte für Kinder<br />
von vier bis zehn Jahre.<br />
Schmackofit Eigenverlag Martina<br />
Backhausen, www.schmackofit.at<br />
zum weiterlesen<br />
schmackofit Arbeitshefte: Bauch-<br />
Achterbahn; Eiweiß, Fett + Co; Jause<br />
gut – alles gut!; Zähne mit Biss; Kau<br />
dich schlau; Nanu, was isst denn Du?<br />
ernährung heute 2_2010<br />
11
im fokus<br />
Harmonisch. Weißwein zu Fisch und weißem Fleisch, Rotwein zu dunklem Fleisch – diese<br />
allgemein gültigen Regeln waren gestern. <strong>Heute</strong> passt zusammen, was uns persönlich als<br />
Kombination schmeckt. Und doch gibt es einige Anhaltspunkte, warum Speisen und<br />
Getränke harmonieren oder nicht. Die Sensorik geht dem „Food Pairing“ auf den Grund.<br />
Food Pairing – eine SINNfonie des Geschmacks<br />
zum weiterlesen<br />
Derndorfer E:<br />
Weinsensorik. Österreichischer<br />
Agrarverlag, Wien (2009).<br />
ISBN 978-3-7040-2348-3,<br />
Preis: € 29,90.<br />
info am rande<br />
Adstringenz ist eine „trigeminale“<br />
Empfindung, d. h. sie wird durch freie<br />
Nervenenden des Nervus Trigeminus,<br />
des fünften Hirnnervs, weitergeleitet.<br />
Dieser auch als Drillingsnerv bezeichnete<br />
Nerv hat drei Hauptäste.<br />
Adstringenz ist ein zusammenziehendes,<br />
trockenes Mundgefühl, das z. B.<br />
oft bei Rotweinkonsum auftritt.<br />
Es entwickelt sich relativ langsam,<br />
verteilt sich im Mund und kann nur<br />
schwer lokalisiert werden. Verantwortlich<br />
für dieses Mundgefühl sind<br />
einerseits bestimmte Polyphenole<br />
aus Traubenkernen und Traubenhaut,<br />
die in Rotwein in höherer Konzentration<br />
als in Weißwein vorliegen. Bei<br />
Weißweinen können Säuren Adstringenz<br />
auslösen.<br />
http:// am rande<br />
www.foodpairing.be<br />
http://snoe.boku.ac.at<br />
Das Sensorik Netzwerk Österreich<br />
(SNÖ) wurde 2010 gegründet, um<br />
der wachsenden Sensorik-Szene<br />
Österreichs eine Plattform zur<br />
Vernetzung zu geben.<br />
Dr. Eva Derndorfer<br />
Werden Lebensmittel oder Zutaten miteinander kombiniert,<br />
so stoßen verschiedene Aromen und Geschmacksrichtungen<br />
aufeinander. Was dabei herauskommt, ist nur<br />
zum Teil abschätzbar. Einerseits kann beim Mischen verschiedener<br />
Geruchskomponenten der olfaktorische Charakter<br />
der Mischung nicht eindeutig vorhergesagt werden.<br />
Dazu kommt, dass der Geruch die Wahrnehmung des Geschmacks<br />
beeinflusst. Andererseits beeinflussen sich<br />
auch die Grundgeschmacksarten süß, sauer, salzig, bitter<br />
und umami. Wenngleich diese Wechselwirkungen vielfach<br />
untersucht sind, ist die Literatur zum Teil widersprüchlich<br />
und der biochemische Mechanismus der Interaktionen<br />
immer noch weitgehend unbekannt. Vor allem Bitterkeit<br />
ist sehr komplex, gibt es doch zahlreiche Substanzen mit<br />
unterschiedlicher Molekülstruktur und demgemäß eine<br />
größere Anzahl verschiedener Bitterrezeptoren. Letztlich<br />
kommt es auf die Temperatur einer Kombination an, da<br />
die Grundgeschmacksarten bei verschiedenen Temperaturen<br />
unterschiedlich intensiv wahrgenommen werden<br />
und die wahrgenommene Geruchsintensität ebenso von<br />
der Produkttemperatur abhängt.<br />
Dennoch ist das Kombinieren von Lebensmitteln bzw. von<br />
Speisen und Getränken keine völlige Fahrt ins Blaue. Wer<br />
Kochbücher studiert, stößt zwar auf zahlreiche unterschiedliche<br />
Rezepte, bemerkt aber immer wiederkehrende<br />
Kombinationen, die sich offenbar als harmonisch erwiesen<br />
haben. Gewürzhersteller geben als Orientierungshilfe<br />
an, für welche Lebensmittel ein Kraut oder Gewürz<br />
besonders gut passt, und mancher Winzer empfiehlt seine<br />
Weine zu bestimmten Speisen. Die Wissenschaft bietet<br />
ebenfalls Anhaltspunkte zur Harmonie. Sensorische<br />
Untersuchungen zeigen, welche Gewürze als ähnlich im<br />
Geruch empfunden werden, und welche einander am ehesten<br />
ersetzen können. Die Sensorik liefert aber auch Belege,<br />
anhand welcher Kriterien Harmonie festgemacht<br />
werden kann. Für Olivenöl kann die Paarharmonie von Öl<br />
und Speise etwa anhand der sensorischen Attribute grün,<br />
reif, fruchtiger Geruch und Geschmack, Schärfe, Bitterkeit<br />
und Süße bewertet werden. Für jedes Attribut reicht die<br />
Skala von 0 bis 10, wobei 5 eine perfekte Paarharmonie<br />
bedeutet, während Werte unter 5 zu geringe Intensität<br />
und Werte über 5 zu starke Dominanz bezeugen.<br />
Speis & Trank gesellt sich gern<br />
Warum trinken wir gelegentlich Wein zum Essen? Nicht<br />
nur wegen des Geschmacks des Weines, sondern weil<br />
Wein Speisen eine neue Dimension verleihen kann. Von<br />
allgemein gültigen Empfehlungen, welcher Wein zu welchem<br />
Essen passt, ist man aber wieder abgekommen.<br />
Neue Küchen- und Weinstile machen Patentrezepte<br />
schwer. Experimentieren unter Berücksichtigung individueller<br />
Vorlieben ist angesagt, nicht zuletzt deshalb, weil<br />
eine Kombination, die uns selber schmeckt, für uns in jedem<br />
Fall zusammenpasst. Wer sichergehen möchte, welcher<br />
Wein zum Essen passt, kann auf verallgemeinerte Regeln<br />
als Hilfestellung zurückgreifen. Probieren kommt oft<br />
im zweiten Schritt: Wer mehrfach gekostet und erfahren<br />
hat, welche Kombination harmoniert, kann Schritt für<br />
Schritt Abwandlungen wagen.<br />
Eine Grundregel, die jedoch immer gilt ist, dass Wein und<br />
Speise nicht konkurrieren sollen, sondern der Genuss des<br />
einen durch die Anwesenheit des anderen steigen soll.<br />
Die Harmonie von Wein und Speise hängt davon ab, ob Inhaltsstoffe<br />
miteinander reagieren, sich unterdrücken oder<br />
gegenseitig verstärken. Ein Beispiel für Unterdrückung ist<br />
die Kombination aus tanninreichen, adstringierenden Rotweinen<br />
und proteinreichen Lebensmitteln. Fast jeder gelegentliche<br />
Rotweintrinker weiß, dass das adstringierende<br />
Mundgefühl bei Verkostung mehrerer tanninreicher<br />
Rotweine zunimmt. Dieser Effekt tritt bei Kombination<br />
von Wein und Speise mit geringerer Wahrscheinlichkeit<br />
auf, da Tannine mit Proteinen des Lebensmittels reagieren<br />
können. In einer italienischen Studie wurde die Adstringenz<br />
von Rotweinen nach Konsum verschiedener Käsesorten<br />
geringer wahrgenommen. Die Ausnahme zur Regel<br />
stellt Mozzarella dar, er reduziert die Adstringenz von<br />
Rotweinen nicht.<br />
«Die schönste Harmonie entsteht durch<br />
Zusammenbringen der Gegensätze.» (Heraklit)<br />
Aus der Kombination von Wein und Speise können aber<br />
auch neue Komponenten, z. B. Aromastoffe, entstehen.<br />
So ist der Eisengehalt des Weines dafür mitverantwortlich,<br />
dass Rotwein und Fisch sehr oft nicht harmonieren.<br />
In einer japanischen Studie wurde die Kombination aus<br />
getrockneten Jakobsmuscheln und 69 Weinen – Rotweine,<br />
Weißweine, Sherry, Botrytiswein, Portwein und Madeira<br />
– getestet. Es wurde eine stark positive Korrelation<br />
zwischen unerwünschtem fischigen Nachgeschmack und<br />
Gesamteisengehalt der Weine als auch mit dem Fe2+-Gehalt<br />
gefunden. Bei Modellweinen, denen unterschiedliche<br />
Konzentrationen Eisensulfat zugesetzt wurden, korrelierte<br />
der fischige Nachgeschmack ebenso mit der Konzentration<br />
von Eisensulfat. Dieser fischige Nachgeschmack ist<br />
das Resultat einer Aromastoffbildung. Werden getrocknete<br />
Jakobsmuscheln in Rotwein eingeweicht, so entstehen<br />
flüchtige Verbindungen wie Hexanal, Heptanal, 1-Octen-<br />
3-on, (E,Z)-2,4-Heptadienal, Nonadienal und Decanal.<br />
1-Octen-3-on hat außerdem eine metallische Note. Die Bildung<br />
dieser flüchtigen Verbindungen ist vom Gehalt vorhandener<br />
Eisenionen abhängig.<br />
Dass Rotweine tendenziell weniger gut zu Fisch passen<br />
als Weißweine, hat mehrere Gründe: Erstens sind Qualitätsrotweine<br />
im Durchschnitt eisenreicher als Qualitäts-<br />
2_2010 ernährung heute<br />
12
im fokus<br />
weißweine. Zweitens können Säuren mit Eisenionen Chelate<br />
bilden – säurereiche Weißweine werden mitunter<br />
auch deshalb zu Fisch empfohlen. Drittens ist Fisch meist<br />
„leichter“ als dunkles Fleisch, wobei die Schwere von der<br />
Zubereitung abhängt, und es gibt mehr leichte, d. h. alkoholärmere<br />
Weißweine als Rotweine, wenngleich bei Rotwein<br />
derzeit weniger opulente Weine wieder verstärkt<br />
präsent sind. Dennoch gibt es auch ansprechende Kombinationen<br />
von Fisch und Rotwein.<br />
Biersommelier im Kommen<br />
Während bei Wein allgemein gültige Empfehlungen im<br />
Rückmarsch sind, hat der Verband der Brauereien Österreichs<br />
aktuell einen Bierfächer herausgebracht, anhand<br />
dessen ersichtlich ist, welche der 34 Biersorten zu welchem<br />
Essen empfehlenswert ist. Der Bierfächer kommt somit<br />
jenen Konsumenten entgegen, die zwar gerne verschiedene<br />
Biersorten probieren, aber keine Risiken eingehen<br />
wollen, was zum Essen mundet. Beispielsweise<br />
wird Pilsbier österreichischer Brauart – ein vollmundiges,<br />
hopfenbetontes, untergäriges Bier – zu Pasteten, Aufstrichen,<br />
Canapés, Braten, Eintopf, Geflügel, Schnittkäse, mildem<br />
Schimmelkäse, Torten und Kuchen empfohlen. Und<br />
ein helles Weizen – ein fruchtaromatisches, obergäriges<br />
Vollbier – passt zu Spargel und anderen Gemüsegerichten,<br />
Fisch und Meeresfrüchten, Geflügel, mildem Frischkäse,<br />
fruchtigen Desserts und sogar zum Eisbecher.<br />
Passender Tee zum Essen?<br />
In japanischen Restaurants ist es üblich, Tee zum Essen zu<br />
bestellen. Grüntee harmoniert mit Sushi und mit warmen<br />
asiatischen Gerichten. Dass auch herbe Kräutertees, etwa<br />
aus Brennnesseln, zu Sushi und Maki passen, und Früchtetees<br />
zu Käse, Wild und Lamm serviert werden können,<br />
schlägt ein niederösterreichischer Kräuterhersteller vor.<br />
Wasser – mehr als neutral<br />
Wasser kann viele, aber nicht alle Speisen neutralisieren,<br />
und hat somit eine Bedeutung als Gaumenneutralisationsmittel.<br />
Die Schärfe von Chili kann mit Wasser allerdings<br />
nicht „gelöscht“ werden, als lipophile Substanz<br />
kann Capsaicin nicht durch Wasser ausgeglichen werden.<br />
Hier bedarf es Milch, Joghurt oder Frischkäse als Neutralisationsmittel.<br />
Auch Zucker oder Honig können die Schärfe<br />
im Mund nach Chilikonsum reduzieren.<br />
Die Gaumenneutralisation, vor allem zwischen mehreren<br />
Gängen eines Menüs, ist aber nur ein Teil der Geschichte:<br />
In der Spitzengastronomie gibt es mittlerweile eigene<br />
Wasserkarten, und neben Weinsommeliers vereinzelt<br />
Wassersommeliers. Denn auch Wässer schmecken durchaus<br />
verschieden.<br />
Sensorik und Sprache<br />
Weine systematisch in Geruch und Geschmack zu beschreiben,<br />
wurde bereits im 17. Jahrhundert versucht.<br />
<strong>Heute</strong> zählt das „Mitreden können“ über Geruch und Geschmack<br />
von Wein für viele fast schon zur Allgemeinbildung.<br />
Dies ist vor allem insofern spannend, als es per se<br />
keine allgemein verständliche und einheitliche sensorische<br />
Sprache gibt. Es bedarf eines umfangreichen Trainings,<br />
um ein sensorisches Vokabular innerhalb einer<br />
Gruppe zu etablieren und zu standardisieren. Für objektive<br />
Beschreibungen werden idealerweise trainierte<br />
Gruppen aus sensorisch sensiblen Konsumenten eingesetzt,<br />
da diese keine Erwartungshaltung aufgrund von<br />
Fachwissen besitzen. Werden Experten mit Fachwissen<br />
herangezogen, sollte deren Vokabular ebenso standardisiert<br />
werden. Ohne gemeinsames Training liegen deutliche<br />
Unterschiede in den Beschreibungen einzelner Experten<br />
vor, wie mehrere Studien eindrucksvoll belegen.<br />
Die Sprachwissenschaft hat sich mittlerweile ebenso der<br />
Weinbeschreibungen angenommen. Der „Körper“ eines<br />
Weines steht konzeptionell mit Größe, Gewicht und Stärke<br />
in Verbindung. „Trocken“ ist eine metaphorische Beschreibung,<br />
während Aromaattribute Bezug auf andere<br />
Substanzen (Früchte, Honig etc.) nehmen. Hilfsmittel wie<br />
Aromaräder können unterstützen, Begriffe für das Weinaroma<br />
zu finden. Um einheitlich verstanden zu werden,<br />
sollten diese Begriffe mit Referenzen trainiert werden.<br />
Der Workshop „Wein am Aromarad“ beim Symposium<br />
Kulinarische Intelligenz – Genuss ist Lebensqualität<br />
beschäftigte sich mit Weinbeschreibungen. Die Teilnehmer<br />
erhielten drei Grüne Veltliner aus verschiedenen Regionen<br />
und versuchten anhand des Aromarades, die Weine<br />
zu beschreiben. Die Begriffe der Teilnehmer wurden<br />
gesammelt und anschließend den Beschreibungen verschiedener<br />
Händler gegenübergestellt. Wie zu erwarten,<br />
wurden unterschiedliche Begriffe genannt, manche aber<br />
durchaus wiederkehrend. Die Beschreibungen des Fachhandels<br />
waren ebenso variabel: So wurde ein Wein auf<br />
der Webseite eines Händlers als würzig, mit Veltlinerduft,<br />
pfeffrig und fruchtig angepriesen, bei einem anderen mit<br />
Birnen-Limetten-Aroma, Mineralität und schilfiger Säurestruktur<br />
beschrieben. Von den Teilnehmern kamen zum<br />
selben Wein bei der geruchlichen Beschreibung v. a. die<br />
Begriffe Zitrus, Apfel, Marille/Pfirsich, fruchtig, würzig,<br />
Pfeffer, grasig, blumig, Holunderblüte, Brennnessel vor.<br />
Häufige Geschmacksattribute waren Säure, bitter, Zitrusfrüchte<br />
und Pfeffer. Zur unterschiedlichen Wahrnehmung<br />
kommt hinzu, dass die mehrfache Verwendung desselben<br />
Begriffes nicht notwendigerweise mit demselben Verständnis<br />
einhergeht.<br />
Fazit: Geschmäcker sind verschieden. Und mit ihnen auch<br />
die Worte, die dafür gefunden werden. Aber es gibt Gründe,<br />
die eine Harmonie zwischen Speise und Getränk fördern<br />
oder erschweren. Dennoch kann ein gemeinsames<br />
Vokabular trainiert werden. «<br />
Caporale G, Carlucci A, Monteleone E: Wine and Cheese Combination: Effect on Sensory<br />
Perception. Pangborn Sensory Science Symposium, Minneapolis 2007, Poster<br />
P3.30.<br />
Cerretani L, Biasini G, Bonoli-Carbognin M, Bendini A: Harmonyof Virgin Olive Oil and<br />
Food Pairing: A Methodological Proposal. Journal of Sensory Studies 22: 403–416<br />
(2007).<br />
Derndorfer E, Baierl A: Development of an Aroma Map of Spices by Multidimensional<br />
Scaling. Journal of Herbs, Spices and Medicinal Plants, Vol 12: 39–50 (2006).<br />
Jackson RS: Wine Science. Principles Practice Perception. Academic Press, an Imprint<br />
of Elsevier, San Diego, 2. Auflage (2000).<br />
Madrigal-Galan B, Heymann H: Sensory Effects of Consuming Cheese Prior to Evaluating<br />
Red Wine Flavour. American Journal of Enology and Viticulture 57: 12–22 (2006).<br />
Tamura T et al.: Iron Is an Essential Cause of Fishy Aftertaste Formation in Wine and<br />
Seafood Pairing. Journal of Agricultural and Food Chemistry 57: 8550–8556 (2009).<br />
zum weiterlesen<br />
Donhauser RM, Riese JM:<br />
Die Welt des Wassers.<br />
Umschau Verlag, Neustadt an der<br />
Weinstraße (2009).<br />
ISBN 978-3-86528-666-6,<br />
Preis: € 20,50.<br />
zum weiterlesen<br />
Steinheuer HS:<br />
Harmonie der Aromen. Einklang von<br />
Küche und Wein.<br />
Tre Torri Verlag, Wiesbaden (2008).<br />
ISBN 9783937963-79-2,<br />
Preis: € 49,90.<br />
zum weiterlesen<br />
Verband der Brauereien Österreichs:<br />
Bierfächer. Biervielfalt mit allen<br />
Sinnen.<br />
Der Bierfächer kann kostenlos unter<br />
www.bierserver.at bestellt werden.<br />
ernährung heute 2_2010<br />
13
ernährung, diätetik<br />
Florierend. Keine Diät liefert bisher ein zufrieden stellendes Patentrezept zur dauerhaften<br />
Gewichtsabnahme. Aktuelle Forschungsansätze suchen die Lösung im Darm. Ein neuer<br />
Hoffnungsschimmer im Kampf gegen das Übergewicht?<br />
Gewichtskriterium Darmflora<br />
zum weiterlesen<br />
Bischoff St C (Hrsg.): Probiotika,<br />
Präbiotika und Synbiotika.<br />
Thieme, Stuttgart (2009).<br />
ISBN 978-3131448910,<br />
Preis: € 39,95.<br />
info am rande<br />
Das Mikrobiom bezeichnet die gesamte<br />
genetische Masse aller Mikroorganismen<br />
im Menschen. Es enthält<br />
100-fach mehr Gene als das menschliche<br />
Genom. Der Begriff wurde vom<br />
Molekularbiologen und Genetiker<br />
Joshua Lederberg geprägt. Er behauptete,<br />
dass im Humangenomprojekt<br />
auch die Mikroflora berücksichtigt<br />
werden müsse, da dieses als<br />
Teil des menschlichen Stoffwechselsystems<br />
maßgeblichen Einfluss<br />
habe. Erst 2007 wurde das „Human<br />
Project Microbiome“ zur Sequenzierung<br />
aller mikrobiellen Genome ins<br />
Leben gerufen.<br />
Kinder, die bereits im Alter von<br />
sieben Jahren übergewichtig sind,<br />
zeigen schon eine andere Darmflora<br />
(weniger Bifidobakterien, mehr<br />
Staphylococcus aureus) als normalgewichtige<br />
(n = 25 bzw. 24).<br />
Mag. Sabine Dämon<br />
Die Zunahme von Übergewicht und Adipositas während<br />
der vergangenen Jahrzehnte wird nun von Forschern in ein<br />
neues Licht gerückt: Sie sehen einen Zusammenhang mit<br />
einer veränderten Mikroflora im menschlichen Darm. Die<br />
Ausblicke scheinen vielversprechend – die Mechanismen<br />
dahinter jedoch noch etwas unklar.<br />
Gewichtiges Mikrobiom<br />
Die mikrobielle Lebensgemeinschaft im Darm umfasst<br />
rund 1000 Bakterienzellen mit 500 bis 1000 bisher bekannten,<br />
unterschiedlichen Spezies. Zusammen wiegen<br />
sie 1 bis 1,5 kg. Sie haben damit nicht nur einen unvermutet<br />
messbaren Anteil am Körpergewicht, sie können<br />
dieses abhängig von ihrer Zusammensetzung womöglich<br />
auch entscheidend beeinflussen. Eine viel zitierte Arbeit<br />
aus der Zeitschrift Nature 2006 legt nämlich Unterschiede<br />
in der Mikroflora von Schlanken und Übergewichtigen<br />
nahe. Die Gruppe um Peter Turnbaugh von der Washington<br />
University School of Medicine in St. Louis zeigte, dass<br />
von den beiden hauptsächlich im Darm vertretenen Stämmen,<br />
den bakteroiden und firmikuten Bakterien, die ersteren<br />
bei dicken Menschen niedrig und zweitere erhöht<br />
sind. Untersuchungen an Testmäusen konnten bei übergewichtigen<br />
20 % statt 40 % Bacteroides sowie 80 %<br />
statt 60 % Firmicutes im Vergleich zu normalgewichtigen<br />
quantifizieren. Zudem führte der Transfer eines „adipösen“<br />
Mikrobioms in den keimfreien Darm schlanker Testmäuse<br />
bei diesen zu einer Zunahme des Körperfetts.<br />
Unklar ist, ob die veränderte Mikroflora bedingt ist durch<br />
das Übergewicht, eine genetische Disposition für die Ansiedlung<br />
bestimmter Bakterien oder durch Ernährungsgewohnheiten.<br />
Oder ob sie Adipositas (mit-)verursacht.<br />
Dick durch fleißige Untermieter?<br />
Eine nahe liegende Erklärung scheint darin zu liegen, dass<br />
intestinale Bakterien die Nahrungsaufbereitung und den<br />
Energiehaushalt ihres menschlichen Gastgebers beeinflussen.<br />
Das metabolische Potential der dickmachenden<br />
Futterverwerter wird über eine gesteigerte Absorption<br />
von Monosacchariden und Energiebereitstellung über<br />
kurzkettige Fettsäuren durch Fermentation unverdaulicher<br />
Nahrungsbestandteile vermutet. Neben dieser höheren<br />
Kapazität zur Nutzung der Nahrungskalorien könnte<br />
auch die Förderung der Fettspeicherung in den Fettzellen<br />
über eine Lipoproteinlipase-Regulation sowie die Zunahme<br />
der hepatischen de-novo Lipogenese entscheidend<br />
sein. Der Fettsäureabbau werde auf der anderen Seite unterdrückt.<br />
Metabolische Erkrankungen und Adipositas<br />
werden zudem mit – von den Fettzellen ausgehenden –<br />
Entzündungsprozessen in Verbindung gebracht. Hier<br />
könnte auch die Mikroflora eine Rolle spielen. Experimentelle<br />
Daten zeigen, dass Endotoxine (Lipopolysaccharide)<br />
als Wandbestandteile gram-negativer Bakterien<br />
eine Schlüsselrolle in der Entwicklung von Fettmasse, Insulinresistenz<br />
sowie systemischen Entzündungsprozessen<br />
spielen. So kann durch fett- oder fructosereiche Mahlzeiten<br />
die Darmpermeabilität gesteigert und eine metabolische<br />
Endotoxemie im Blut induziert werden, die mit<br />
einer gestörten Glukosehomöostase einhergeht.<br />
Chef bleibt der Wirt<br />
Könnte es also sein, dass eine „adipöse“ Darmflora den<br />
Erfolg von Diäten und anderen gewichtreduzierenden<br />
Maßnahmen erschwert? Oder umgekehrt: Könnte es eine<br />
notwendige oder sogar präventive Maßnahme sein, das<br />
Wachstum bestimmter Bakterien zu stoppen? Diese Fragen<br />
werden derzeit in den Raum gestellt. Dennoch: Ausgeliefert<br />
sind wir unseren Untermietern nicht. Die gute<br />
Nachricht ist, dass die meisten Daten aus Extremvergleichen<br />
von keimfreien mit „konventionellen“ Mäusen stammen<br />
und dass es sich in der Praxis um ein komplexes<br />
Wechselspiel handelt. Die intestinale Mikroflora wird<br />
auch durch die Ernährung bestimmt. So zeigen Futterstudien,<br />
dass sich nachteilige Bakterien durch fett- und<br />
zuckerreiche Ernährung bereits nach einem Tag vermehren.<br />
Umgekehrt ermöglicht eine Gewichtsabnahme bzw.<br />
das Einhalten einer Diät – egal ob low fat oder low carb –<br />
einen Rückwärts-Shift der veränderten Mikroflora. Hier<br />
findet auch das Probiotika-Konzept eine Anwendung.<br />
Durch die Verabreichung von Bifidobakterien können<br />
Endotoxinspiegel und damit eine inflammatorische Aktivierung<br />
reduziert und die mukosale Barrierefunktion verbessert<br />
werden. Als frühe Maßnahme zur Diabetes- und<br />
Adipositasprävention können Probiotika zusätzlich zur<br />
allgemeinen ausgewogenen Ernährungsweise den Glukosemetabolismus<br />
bei Schwangeren verbessern und das Risiko<br />
für ein überhöhtes Geburtsgewicht bei Kindern reduzieren.<br />
Profitieren könnten auch Patienten aus der Adipositaschirurgie,<br />
die eine bakterielle Fehlbesiedelung in<br />
bestimmten Magen-Darm-Abschnitten aufweisen. Ähnliches<br />
können auch Prebiotika schaffen. Ergebnisse beim<br />
Menschen weisen darauf hin, dass durch eine Modulation<br />
endokriner Funktionen die Synthese von Darmpeptiden<br />
(glucagon-like Peptide, GLP) und damit die Sättigung erhöht<br />
bzw. eine Gewichtsabnahme erreicht werden kann.<br />
Die Effekte zeigen sich erst nach mehreren Wochen, was<br />
die physiologische Relevanz der Mikroflora-Adaption verdeutlicht.<br />
Fazit: Die Forschung zur mikrobiellen Komponente der<br />
Adipositas steckt noch in den Kinderschuhen. Humanstudien<br />
sind gefordert, um die Bedeutung ernährungsassoziierter<br />
Veränderungen der intestinalen Mikroflora für Gewichtsmanagement<br />
und Kontrolle von metabolischen<br />
Störungen in der Praxis zu enträtseln und therapeutische<br />
Schlüsse ziehen zu können. «<br />
2_2010 ernährung heute<br />
14
ewegung<br />
Körpersignale. Der Körper hat sein eigenständiges komplexes Kommunikationssystem,<br />
das Gesprochenes belegen, aber auch widerlegen kann. Die Bewegungsanalyse unterstützt,<br />
wenn der Sprache die Worte fehlen.<br />
Bewegter Zugang zur Seele<br />
Mag. Karin Lobner<br />
Sinnliche Phänomene wie Gefühle sprachlich zum Ausdruck<br />
zu bringen, ist schwierig. Das Gesprochene gibt oft<br />
nur unscharf wieder, was sich im Körper abspielt. Wir verwenden<br />
Metaphern wie „Schmetterlinge im Bauch haben“<br />
oder „Es liegt mir im Magen“. Ein Blick ins Gehirn zeigt:<br />
Das Sprachzentrum links im Cortex liegt denkbar weit<br />
vom limbischen System entfernt, das für die Gefühlswelt<br />
zuständig ist. Es wird vermutet, dass die Sprache sich deshalb<br />
so weit entfernt von den Affektzentren entwickelt<br />
hat, damit sie den affektiven Bewertungen und Schwankungen<br />
nicht so extrem unterliegt wie fast alles andere.<br />
Wenn emotionale Prozesse das Bewusstsein überschwemmen<br />
und dominieren, hat der sprachliche Verstand keine<br />
Chance.<br />
Die Körpersprache ist Ausdruck inneren Erlebens und eng<br />
an Bedürfnisse, Motivationen, Wünsche und Emotionen<br />
geknüpft. Erfahrungen im Laufe unseres Lebens prägen<br />
die individuelle Art, sich zu bewegen – bestimmte Bewegungen<br />
werden bevorzugt, andere vermieden. Ein eigenes<br />
Bewegungsrepertoire entsteht. Die Bewegungsanalyse<br />
macht sich diese unbewussten Körpersignale zunutze. Dabei<br />
wird Unaussprechliches bewusst und somit ein Zusammenhang<br />
zur Persönlichkeit hergestellt.<br />
Es geht ums Tun<br />
Die Bewegungsanalyse fasst Bewegung nicht als Sprache,<br />
sondern als Handlung auf und basiert auf der Annahme,<br />
dass die innere Vorstellung, die ein Mensch von seinem<br />
Körper hat, das persönliche Bewegungsmuster formt. Dadurch<br />
erschließt sich ein Zugang zum Unbewussten. Der<br />
Therapeut fordert auf, „sich zu bewegen“. Dabei geht es<br />
nicht um spezielle Bewegungen, sondern um Alltagsbewegungen<br />
wie liegen, gehen oder sitzen. Wie leicht fallen<br />
die Bewegungen? Was würde man gerne tun, traut sich<br />
aber nicht? Das sind Fragen, die im Nachgespräch gestellt<br />
werden. Warum ist das so schwierig, sich z. B. einfach hinzulegen,<br />
wenn man das gerne machen würde? Im Anschluss<br />
an die Bewegungssequenz wird im Gespräch das<br />
in Bewegung Erlebte mit der aktuellen Lebenssituation<br />
verknüpft, was zu neuen Lösungsmöglichkeiten führt. Dieses<br />
Lernen über Körperbewegung bewirkt eine neue Freiheit<br />
zu denken und zu handeln. Bewegungsanalyse ermöglicht<br />
das Erkennen und Optimieren eigener Ressourcen<br />
und initiiert dadurch einen Veränderungsprozess.<br />
Gehen, um zu überleben<br />
Viele Patienten mit Essstörungen, meist Frauen, haben<br />
eine verzerrte Wahrnehmung ihres Körpers, oder sie lehnen<br />
ihn prinzipiell ab. In den Bewegungssequenzen der<br />
Therapie werden zuerst jene Körperteile bewegt, „die ungefährlich<br />
erscheinen“. Bei Anorexie-Patienten ist gehen<br />
oft das vorherrschende motorische Phänomen. Denn sich<br />
auf andere einzulassen würde auch heißen, die eigene Autonomie<br />
aufzugeben, was für viele ängstigend ist. Die Anorexie<br />
kann prinzipiell als Autonomieversuch verstanden<br />
werden, der so weit reicht, sich von allem, und auch vom<br />
Essen, scheinbar unabhängig zu machen. Therapie wird<br />
als gefährlich erlebt, weil die Fantasie entsteht, dass „etwas“<br />
mit einem gemacht wird, das nicht kontrolliert werden<br />
kann. Die Abwehr jeglicher Hilfe unterstützt die<br />
Schein-Autonomie. Doch vielen ist auch klar, dass sie<br />
nicht weiter abnehmen können, da der Körper dies nicht<br />
mehr durchhält. Diese Ambivalenz wird in der Bewegungsanalyse<br />
spürbar.<br />
Bewegungsanalyse öffnet als non-verbale Methode den<br />
Zugang zu den unbewussten Anteilen der Psyche und ist<br />
daher gerade für Patienten mit Essstörungen sehr passend.<br />
Frauen, die Bulimie als „Konfliktlösungsmittel“ gewählt<br />
haben, orientieren sich sehr stark am anderen und<br />
sind in dieser Interaktionsform gefangen. Das Setting in<br />
der Bewegungsanalyse – meist wird in einer Kleingruppe<br />
gearbeitet – macht diese Abhängigkeit sehr schnell bewusst<br />
und trifft also ziemlich rasch den Punkt. Für manche<br />
ist es zu konflikthaft, Widerstände treten auf, für andere<br />
hingegen ist es eine gute Möglichkeit, zu beginnen,<br />
sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und andere Möglichkeiten<br />
zur Konfliktlösung zu finden.<br />
Integration der Arme<br />
Bewegungen mit den Armen sind oft vorherrschend, sie<br />
werden körpernah „zum Schutz“ oder körperfern „da bin<br />
ich präsent“ bewegt. Das Experimentieren mit zielgerichteten<br />
Armbewegungen zeigt vielen Patienten auf, dass sie<br />
Kraft in den Armen haben und sie diese Kraft auch für sich<br />
selbst einsetzen können, z. B. in Form von stützen, schieben<br />
oder ziehen.<br />
Bewegungsanalyse als Entwicklungsprozess<br />
Die Bewegungsanalyse wird seit den 1980er-Jahren in<br />
Wien angewendet. Sie wird sowohl in Schulen als auch in<br />
Kliniken und Privatpraxen angeboten und eignet sich sowohl<br />
als Therapie als auch zur Gesundheitserziehung. Im<br />
gesundheitsfördernden Setting kann sie zu einer Steigerung<br />
von sozialer Kompetenz führen und so einen Veränderungsprozess<br />
auslösen. Bewegungsanalyse wird gleichzeitig<br />
als nachhaltige Methode zur Persönlichkeitsbildung<br />
gesehen. Denn „um aus Dir herauszukommen, musst Du<br />
erst in Dich gehen“ (Almut Adler).<br />
Fazit: Es lohnt sich, auf Körpersignale zu achten. Bewegungsanalyse<br />
unterstützt dabei, einen besseren Umgang<br />
mit sich selbst anzuregen. Im therapeutischen Kontext<br />
werden psychische Prozesse initiiert, da die Bewegungsanalyse<br />
sehr unmittelbare Ebenen anspricht, die das Verbalisieren<br />
nicht erreicht. «<br />
zum weiterlesen<br />
Trautmann-Voigt S, Voigt B:<br />
Grammatik der Körpersprache.<br />
Körpersignale in Psychotherapie und<br />
Coaching entschlüsseln und nutzen.<br />
Verlag Schattauer, Stuttgart (2009).<br />
ISBN 978-3-7945-2556-0,<br />
Preis: € 45,00.<br />
info am rande<br />
Bewegungsanalyse wird angeboten<br />
im Therapiezentrum „intakt“.<br />
www.intakt.at<br />
ernährung heute 2_2010<br />
15
lebensmittel, recht<br />
Nachgesüßt. 2010 ist das Erfolgsjahr für Neotam und Stevia. Die neuen Süßstoffe haben<br />
die Prüfungen der EFSA siegreich hinter sich gebracht und werden Aspartam und Saccharin<br />
Konkurrenz machen.<br />
Neue süße Kraft<br />
info am rande<br />
Die durchschnittliche tägliche Aufnahmemenge<br />
von Steviol-Glykosiden<br />
wird auf 1,3 bis 3,5 mg/kg Körpergewicht<br />
geschätzt. Dies entspricht<br />
bei einer 70 kg schweren Person<br />
etwa 170 mg Steviol-Glykoside<br />
pro Tag.<br />
info am rande<br />
Steviol-Glykoside werden aus den<br />
Blättern der Stevia-Pflanze (Stevia<br />
rebaudiana Bertoni) extrahiert. Diese<br />
Substanzen, zu denen beispielsweise<br />
Steviosid und Rebau-diosid gehören,<br />
sind 40 bis 300 Mal süßer als<br />
Saccharose.<br />
Mag. Ulrike Keller<br />
Die Eustas-Anhänger (European Stevia Association) können<br />
sich zufrieden zurücklehnen: Nachdem Einzelgenehmigungen<br />
für Stevia in der Schweiz und Frankreich vor<br />
kurzem erteilt wurden, ist nun auch die erneute Risikobewertung<br />
des für Lebensmittelzusatzstoffe zuständigen<br />
ANS-Gremiums (The Panel on Food Additives and Nutrient<br />
Sources Added to Food) der Europäischen Behörde<br />
für Lebensmittelsicherheit (EFSA) positiv für Stevia ausgefallen.<br />
Für die aus der Pflanze mit südamerikanischen<br />
Wurzeln gewonnenen Steviol-Glykoside hat das Gremium<br />
eine täglich tolerierbare Aufnahmemenge (ADI) von<br />
4 mg/kg KG festgelegt. Dieser Wert harmoniert mit jenem<br />
des vom gemeinsamen FAO/WHO-Sachverständigenausschuss<br />
für Lebensmittelzusatzstoffe (JECFA) festgelegten.<br />
Die Glykoside sollen nach dem Gutachten in diesen Aufnahmemengen<br />
weder erbgutschädigend noch krebserregend<br />
sein und sich auch nicht negativ auf die Fortpflanzungsorgane<br />
des Menschen und auf das ungeborene Kind<br />
auswirken. Es ist zu erwarten, dass die Europäische Kommission<br />
Steviol-Glykoside für aromatisierte Getränke,<br />
Süßwaren ohne zugesetzten Zucker und Suppen mit einem<br />
niedrigen Brennwert zulassen wird.<br />
Aspartams Sprössling<br />
Auch Neotam (E 961), das aus der Reaktion der Aminosäure<br />
Aspartam mit 3,3-Dimethylbutyraldehyd entsteht,<br />
ist seit 20. Jänner 2010 als Süßungsmittel und Geschmacksverstärker<br />
für bestimmte Lebensmittel zugelassen.<br />
Darunter fallen u. a. alkoholfreie Getränke, Dessertspeisen,<br />
Süßwaren, Bier, Obst- und Gemüseerzeugnisse,<br />
Soßen, Backwaren und Nahrungsergänzungsmittel.<br />
Neotam ist etwa 8000 mal süßer als Zucker sowie 30 bis<br />
60 Mal süßer als Aspartam und wurde bei der JECFA-Bewertung<br />
2003 sowie 2007 durch die EFSA als unbedenklich<br />
eingestuft: Das im Körper rasch resorbierte und eliminierte<br />
Neotam wirkte in den vorliegenden Studien weder<br />
erbgutschädigend noch krebserregend und schadete<br />
den Fortpflanzungsorganen und dem Fötus nicht. Die Ergebnisse<br />
aus Studien an Menschen belegen, dass Neotam<br />
von Gesunden und Diabetikern in der höchsten geprüften<br />
Dosis von täglich 1,5 mg/kg Körpergewicht gut vertragen<br />
wurde. Zu den Vorzügen von Neotam, das weltweit in<br />
mehr als 35 Ländern zugelassen ist, zählt nicht nur sein<br />
zucker-ähnlicher Geschmack. Es intensiviert auch die Aromen<br />
von Früchten, insbesondere Zitrone, sowie von Minze,<br />
Vanille und Schokolade, und kann im Gegensatz zu Aspartam<br />
auch zum Kochen und Backen verwendet werden.<br />
Auch Patienten, die unter Phenylketonurie leiden, können<br />
mit Neotam süßen, da in diesem Süßstoff nur sehr geringe<br />
Mengen an Phenylalanin enthalten sind. Der ADI-Wert für<br />
Neotam wurde von der JECFA 2003 und von der EFSA<br />
2007 auf 0 bis 2 mg/kg Körpergewicht festgesetzt.<br />
Wie die neuen Süßstoffe bei den Konsumenten ankommen<br />
werden, wird sich noch zeigen. Denn der Stevia-Geschmack<br />
erinnert in größeren Aufnahmemengen an Lakritze<br />
oder Fenchel, während Neotam keinen Eigengeschmack<br />
aufweisen soll.<br />
Stevia statt Fruktose<br />
In den USA wollen Hersteller von Softdrinks künftig in<br />
ihren zuckerfreien Softdrinks auf Stevia setzen. Sie erhoffen<br />
sich damit jene Konsumenten anzusprechen, die<br />
Aspartam & Co bisher skeptisch gegenüberstanden und<br />
lieber zur natürlichen fruktosegesüßten Version griffen.<br />
Damit wird in Amerika möglicherweise der Trend gestoppt,<br />
mit Fruktose-Maissirup zu süßen. Gut so, denn<br />
Fruktose in hohen Mengen schmeckt nicht nur bei der belegten<br />
positiven Korrelation zwischen Fruktosekonsum<br />
und Gewichtszunahme, sondern auch bei den Blutfettwerten<br />
und der Insulinsensitivität bitter nach: In einer<br />
Studie mit übergewichtigen oder adipösen Erwachsenen<br />
(n = 39) wurde gezeigt, dass ein zehnwöchiger Fruktosekonsum<br />
über 25 % der täglichen Energieaufnahme die viszerale<br />
Adipositas erhöhte, den Lipidstoffwechsel beeinträchtigte<br />
und die Insulinsensitivität verminderte. Diese<br />
negativen Effekte des Fruktosekonsums können nicht alleinig<br />
auf eine positive Energiebilanz zurückzuführen<br />
sein, da sie in der Kontrollgruppe, die statt Fruktose Glukose<br />
in derselben Aufnahmemenge konsumierte, nicht in<br />
diesem Ausmaß beobachtet wurde.<br />
In einer anderen Studie mit 4500 US-Amerikanern zeigte<br />
sich zudem, dass jene Personen, die täglich mehr als<br />
75 g Fruktose aufnahmen, um 87 % häufiger von einem<br />
bedenklich hohen Blutdruck von 140/90 mmHg betroffen<br />
waren. Es liegt also nahe, dass ein hoher Fruktosekonsum<br />
mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
und Diabetes mellitus Typ 2 einhergehen.<br />
Fazit: Die neue Süßstoff-Generation hält auch in Europa<br />
Einzug: Während Neotam schon als Süßungsmittel und<br />
Geschmacksverstärker für bestimmte Lebensmittel zugelassen<br />
ist, wartet man bei Stevia nach dem grünen<br />
Licht der EFSA auf das Ja der Europäischen Kommission.<br />
In den USA macht das Honigkraut Fruktose bereits Konkurrenz.<br />
«<br />
European Food Safety Authority (EFSA): Neotam als Süßungsmittel und Geschmacksverstärker.<br />
Gutachten des Wissenschaftlichen Gremiums für Lebensmittelzusatzstoffe,<br />
Aromastoffe, Verarbeitungsstoffe und Materialien, die mit Lebensmitteln in<br />
Berührung kommen, auf Ersuchen der Europäischen Kommission zu Neotam als<br />
Süßungsmittel und Geschmacksverstärker. The EFSA Journal 581:1–4 (2007).<br />
EFSA Panel on Food Additives and Nutrient Sources Added to Food (ANS): Scientific<br />
Opinion on the Safety of Steviol Glycosides for the Proposed Uses as a Food Additive.<br />
EFSA Journal 8 (4): 1537 (2010).<br />
Tombek A: Update Süßstoffe – Neues über Nutzen und Risiko. Ernährungs Umschau<br />
4: 196–200 (2010).<br />
2_2010 ernährung heute<br />
16
lebensmittel, recht<br />
Update. Im Oktober 2009 hat die EFSA den ersten Teil der Gutachten über Angaben gemäß<br />
der Health-Claims-Verordnung veröffentlicht, den zweiten Teil im Februar 2010. Knapp ein<br />
Drittel ist positiv ausgefallen, der Großteil wurde zurückgewiesen. Was bedeutet das?<br />
Health Claims: Latest News<br />
Mag. Angela Mörixbauer<br />
Der 1. Juli 2007 war ein Sonntag. Kein gewöhnlicher. An<br />
diesem Tag ist die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über<br />
nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel,<br />
die sogenannte „Claims-Verordnung“, in Kraft<br />
getreten. Damit hat der europäische Gesetzgeber einen<br />
strikten Rechtsrahmen für die Kommunikation über Zusammensetzung<br />
oder Wirkung eines Lebensmittels geschaffen.<br />
Der 1. Juli 2007 bedeutete einen Paradigmenwechsel<br />
vom Missbrauchsprinzip zum Verbotsprinzip.<br />
Die Absicht der EU-Gesetzgeber ist ehrenhaft und sinnvoll.<br />
Falsche, irreführende oder wissenschaftlich nicht belegte<br />
nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die<br />
zum Kauf eines Lebensmittels anregen sollen, sind verboten.<br />
Damit sollen Gesundheit und Rechte der Konsumenten<br />
geschützt werden. Betroffen sind alle kommerziellen<br />
Mitteilungen, wie etwa Etikett, Webseite oder Broschüren.<br />
Nicht-kommerzielle Mitteilungen wie Ernährungsempfehlungen<br />
staatlicher Gesundheitsbehörden, Informationen<br />
in der Presse oder wissenschaftliche Veröffentlichungen<br />
sind ausgenommen. So weit, so gut.<br />
Die Verordnung sieht vor, dass alle gesundheitsbezogenen<br />
Angaben von den EU-Behörden bewilligt werden müssen.<br />
Um eine Bewilligung zu erhalten, müssen Lebensmittelunternehmen<br />
die behauptete Wirkung wissenschaftlich<br />
nachweisen. Hier kommt die EFSA, die Europäische<br />
Behörde für Lebensmittelsicherheit, ins Spiel. Expertengremien<br />
der EFSA sichten derzeit den Wulst an Claims-<br />
Einreichungen und beurteilen, ob eine behauptete Wirkung<br />
ausreichend belegt ist. Diese Beurteilungen sind<br />
wiederum Grundlage für die EU-Kommission, um zu entscheiden,<br />
welche Claims zugelassen werden und welche<br />
nicht. Für einige Claims wurde die Zulassung bzw. Ablehnung<br />
von der Kommission bereits per Verordnung veröffentlicht.<br />
Alle zugelassenen Claims werden in Positivlisten – den sogenannten<br />
Artikel-13- und Artikel-14-Listen – veröffentlicht.<br />
Diese Claims, und nur diese, dürfen dann verwendet<br />
werden. Bei Artikel-13-Claims unterscheidet man:<br />
_ Auslobung der Bedeutung eines Nährstoffes oder<br />
einer anderen Substanz für Wachstum, Entwicklung<br />
und Körperfunktionen<br />
_ Verweis auf psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen<br />
_ Beschreibung von schlankmachenden Eigenschaften<br />
Artikel-14-Claims beziehen sich auf die Risikoreduzierung<br />
einer Krankheit oder die Entwicklung und Gesundheit von<br />
Kindern. Dafür ist ein eigenes Zulassungsverfahren vorgesehen.<br />
Claims dieser Gemeinschaftsliste können schlussendlich<br />
ebenfalls von allen Lebensmittelherstellern verwendet<br />
werden.<br />
Die Veröffentlichung der Artikel-13-Liste wurde ursprünglich<br />
für Anfang 2010 angekündigt. Doch dieser Zeitplan ist<br />
längst Geschichte. Die überwältigende Anzahl von Einreichungen<br />
hat die EFSA ins Strudeln gebracht. Im Moment<br />
rechnen Insider, dass es 2012 wird, bis die vollständige<br />
Liste veröffentlicht wird.<br />
Mit 1. Oktober vergangenen Jahres wurden die ersten mit<br />
Spannung erwarteten Gutachten der EFSA veröffentlicht.<br />
Die Spannung wich aber rasch Verwunderung oder gar Ärger.<br />
Denn nur knapp ein Drittel der veröffentlichten Gutachten<br />
ist positiv. Für okay befunden wurden u. a. Kalzium<br />
und Vitamin D im Zusammenhang mit Knochengesundheit,<br />
Fluor im Zusammenhang mit Zahnmineralisation,<br />
Vitamin B12 im Zusammenhang mit Blutzellbildung,<br />
Magnesium in Verbindung mit Muskelfunktion sowie einige<br />
andere. Insgesamt scheint es, als hätte die EFSA in<br />
erster Linie einmal klassisches Lehrbuchwissen bestätigt.<br />
Zwei Drittel der bisher bewerteten Einreichungen wurden<br />
allerdings abgeschmettert. „Speziell Probiotika wurden<br />
regelrecht niedergemetzelt“, beschreibt es Sonja Reiselhuber-Schmölzer,<br />
Ernährungswissenschafterin und Claims-<br />
Expertin recht plastisch. Was sind die Gründe? „Teilweise<br />
lag es einfach daran, dass die zu bewertende Substanz<br />
nicht hinreichend charakterisiert war. Teilweise, weil die<br />
vom Einreicher mitgelieferte wissenschaftliche Dokumentation<br />
nicht ausreichte, um die behauptete Wirkung<br />
nach wissenschaftlichen Kriterien zu belegen. Oder ganz<br />
einfach, weil der Effekt nicht genau genug definiert war“,<br />
resümiert Reiselhuber-Schmölzer. Gerade im Falle von<br />
Probiotika wird vermutet, dass die EFSA sehr allgemeine,<br />
generische Claims möglichst verhindern möchte und<br />
stattdessen die Entwicklung eher in Richtung sehr konkreter,<br />
auf einzelne physiologische Details bezogene Wirkungen<br />
lenken möchte.<br />
Was heißt das für die Praxis? Wie setzt die Lebensmittelbehörde<br />
die neuen Erkenntnisse um? „Vorgesehen ist,<br />
dass erst mit Veröffentlichung der Artikel-13-Liste und einer<br />
abgelaufenen Übergangsfrist nicht enthaltene Claims<br />
verboten sind“, sagt Reiselhuber-Schmölzer.<br />
Diskutiert wird mittlerweile aber, ob die Artikel-13-Liste<br />
in Teilen veröffentlicht wird. Doch das wirft die Frage nach<br />
der Gerechtigkeit auf. Denn mit Veröffentlichung der Liste<br />
beginnt die sechsmonatige Übergangsfrist zu laufen. Dann<br />
wären jene Hersteller, deren Claims noch nicht bewertet<br />
wurden, im Vorteil: Sie könnten ihre Claims länger verwenden<br />
als diejenigen, deren Claims bereits abgelehnt<br />
wurden.<br />
Fazit: Die Intention der Claims-Verordnung ist grundsätzlich<br />
gut. Die Umsetzung in die Praxis wirft jedoch viele<br />
Fragen, Unklarheiten und Graubereiche auf. Und schießt<br />
in manchen Fällen auch über das Ziel hinaus. «<br />
zum weiterlesen<br />
Hartwig S, Schulz S: Alternativen<br />
zu Gesundheits- und Nährwertclaims.<br />
Werbung mit Frische, Natur, Bio und<br />
„ohne“-Angaben. Behr’s Verlag,<br />
Hamburg (2009).<br />
ISBN 978-89947-581-4,<br />
Preis: € 42,27.<br />
http:// am rande<br />
Claims, deren Zulassung bzw. Ablehnung<br />
von der Kommission bereits<br />
per Verordnung veröffentlicht wurde,<br />
finden Sie hier:<br />
http://ec.europa.eu/food/food/<br />
labellingnutrition/claims/community_<br />
register/health_claims_en.htm<br />
info am rande<br />
Alternative Werbemöglichkeiten?<br />
Ein Experiment zur Kaufbereitschaft<br />
von Lebensmitteln mit und ohne<br />
Claims zeigt, dass ausgelobte Produkte<br />
bevorzugt gewählt werden.<br />
Weil Konsumenten frische, natürliche,<br />
biologische oder gentechnikfreie<br />
Lebensmittel ebenso wie Lebensmittel,<br />
die frei von Zusatzstoffen<br />
sind, besonders schätzen, scheint es<br />
nur logisch, dass derartige Auslobungen<br />
ähnlich werbewirksam sein<br />
können wie Health Claims und nun<br />
verstärkt eingesetzt werden.<br />
ernährung heute 2_2010<br />
17
serie: prosit leben!<br />
Ersatzprogramm. Muttermilch garantiert den besten Start ins Leben. Doch wenn Mama<br />
nicht stillen kann oder mag, muss sie sich trotzdem keine Sorgen um Babys Gesundheit<br />
und Entwicklung machen. Die wichtigsten Fläschchen-Facts im Überblick.<br />
Satt und glücklich<br />
zum weiterlesen<br />
Hanreich I:<br />
Essen & Trinken im Säuglingsalter.<br />
Verlag Ingeborg Hanreich,<br />
Wien (2010).<br />
ISBN 978-3-901518-10-2,<br />
Preis: € 23,90.<br />
info am rande<br />
Die wichtigsten Vorteile der<br />
Fläschchenkost<br />
_ Das Baby ist immer ausreichend<br />
versorgt, auch dann, wenn es der<br />
Mutter an Nährstoffen fehlt.<br />
_ Die mütterliche Ernährung muss<br />
nicht auf die kindliche abgestimmt<br />
werden.<br />
_ Ein Fläschchen kann auch von<br />
anderen Bezugspersonen gegeben<br />
werden.<br />
_ Das Baby ist meist länger satt.<br />
_ Die Schadstoffbelastung durch<br />
Medikamente, Nikotin (!), Alkohol<br />
oder Umweltgifte ist geringer.<br />
info am rande<br />
Um die Augenkoordination des<br />
Säuglings zu unterstützen, sollte<br />
beim Füttern zwischendurch die<br />
Seite gewechselt werden. Und nicht<br />
zu vergessen: Körperwärme, Blickkontakt<br />
und Ansprache vermitteln<br />
Geborgenheit und Vertrauen.<br />
Mag. Maria Wieser<br />
Früher oder später hört es jede Schwangere einmal: „Stillen<br />
ist die natürlichste und einfachste Art, Ihr Baby zu<br />
ernähren.“ Dass „natürlich“ und „einfach“ nicht ganz dasselbe<br />
ist, merkt so manche Neo-Mami bereits in den ersten<br />
Tagen nach der Geburt. Sicher: Auch Anfangsschwierigkeiten<br />
sind natürlich und es lohnt sich, die Zähne zusammenzubeißen<br />
(was durchaus wörtlich gemeint sein<br />
kann). Schließlich ist keine Nahrung für den kleinen<br />
Schatz besser auf seine Bedürfnisse abgestimmt als Muttermilch.<br />
Doch was, wenn das Stillen trotz aller Bemühungen nicht<br />
funktionieren will? Oder die Frau, aus welchen Gründen<br />
auch immer, nicht stillen möchte? Oft sieht sie sich dadurch<br />
einem massiven gesellschaftlichen Druck ausgesetzt.<br />
Brust oder Flasche – diese Frage hat sich in den vergangenen<br />
Jahrzehnten moralisch und emotional sehr stark<br />
aufgeladen. Waren die 1970er-Jahre noch von Schadstoffdebatten<br />
und Stillmüdigkeit geprägt, so gilt heute:<br />
„Breast is best.“ Ist es demnach für die moderne Mutter<br />
ein Muss, ihrem Kind die Brust zu geben? Die Online-Ausgabe<br />
der „Zeit“ löste mit einem Beitrag zu diesem Thema<br />
einen wahren Glaubenskrieg unter den Lesern aus. Die<br />
eine Seite trauerte um die verloren gegangene Stillkultur,<br />
die andere entsetzte sich über den militanten Muttermilch-Dogmatismus.<br />
Wie so oft sind aber auch hier ein<br />
guter Mittelweg und gegenseitige Toleranz gefragt.<br />
Original und Kopie<br />
Was für eine Leistung: Das kleine Bündel, das von seinen<br />
frischgebackenen Eltern stolz aus der Entbindungsklinik<br />
getragen wird, verdoppelt in den nächsten fünf Monaten<br />
sein Geburtsgewicht. Und das bei noch unreifen und<br />
nicht voll funktionstüchtigen Organen! Dieser intensiven<br />
Entwicklung wird Muttermilch in besonderer Weise gerecht.<br />
Sie liefert alles, was das Baby dafür braucht. Die<br />
Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt daher<br />
ausschließliches Stillen während der ersten sechs Lebensmonate.<br />
Stehen dieser Empfehlung jedoch medizinische oder auch<br />
persönliche Gründe entgegen, so ist dies heutzutage kein<br />
Anlass mehr zur Sorge oder gar für ein schlechtes Gewissen.<br />
Denn ein optimales Wachsen und Gedeihen kann<br />
auch anders gelingen: Dank zeitgemäßer und qualitativ<br />
hochwertiger Muttermilchersatzprodukte, die in den vergangenen<br />
Jahrzehnten laufend ihrem natürlichen Vorbild<br />
sowie den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst<br />
wurden. Dabei lassen sich Säuglingsanfangsnahrungen<br />
und Folgenahrungen unterscheiden, die nach einem<br />
Stufenkonzept mit den Bezeichnungen „Pre“, „1“, „2“<br />
oder „3“ versehen sind.<br />
Füttern nach Zahlen<br />
Säuglingsanfangsnahrung ist für Babys Bäuchlein in den<br />
ersten vier bis sechs Lebensmonaten bestimmt und für die<br />
alleinige Ernährung von Geburt an geeignet. Zwei „Milchtypen“<br />
stehen dabei zur Verfügung: Die sogenannte Pre-<br />
Nahrung ist in ihrer Konsistenz und ihrer Eiweißzusammensetzung<br />
weitgehend der Muttermilch angepasst und<br />
enthält als Kohlenhydratquelle ausschließlich Laktose.<br />
Menge und Trinkzeit richten sich wie beim Stillen nach<br />
den Wünschen des Kindes. Im Gegensatz dazu enthält Anfangsnahrung<br />
mit der Ziffer „1“ neben Milchzucker auch<br />
kleine Mengen glutenfreier Stärke, teilweise auch Maltodextrine<br />
oder Saccharose. Das macht sie sämiger, aber<br />
auch kalorienreicher. 1er-Nahrungen sollen daher nicht ad<br />
libitum, sondern stets nur in angegebener Menge und Dosierung<br />
gefüttert werden. Bei gesunden Neugeborenen ist<br />
es vor allem eine individuelle Entscheidung, welches dieser<br />
beiden Produkte bevorzugt wird. In den ersten vier<br />
Monaten ist es für den Säugling jedoch schwer, Stärke zu<br />
verdauen, weshalb sie Blähungen und Bauchkoliken verursachen<br />
kann. Es erscheint daher sinnvoll, zu Beginn aufgrund<br />
der engen Verwandtschaft zur Muttermilch Pre-Nahrung<br />
zu füttern und auf 1er-Nahrung umzusteigen, wenn<br />
Babys Hunger größer wird.<br />
Mehr als die Natur verlangt?<br />
Hat der Sprössling sein sechstes Lebensmonat vollendet,<br />
stehen seine Eltern vor der nächsten Entscheidung. Ab<br />
diesem Zeitpunkt können nämlich Folgenahrungen zum<br />
Einsatz kommen. Sie haben meist einen geringfügig<br />
höheren Gehalt an Eiweiß, Kohlenhydraten und Mineralstoffen<br />
als die Pre- und 1er-Nahrung und dürfen nur als<br />
Teil einer Mischkost gegeben werden, da sie allein den<br />
Nährstoffbedarf des Säuglings nicht mehr decken können.<br />
Aus ernährungsphysiologischer Sicht besteht zwar<br />
keine Notwendigkeit für solche 2er- und 3er-Nahrungen<br />
und es könnten auch nach Beikosteinführung Pre- oder<br />
1er-Produkte zugefüttert werden. Vielfach wird trotzdem<br />
darauf gewechselt, weil die Folgenahrungen kostengünstiger<br />
sind. Mit dem Einstieg in die Familienkost im zweiten<br />
Lebensjahr können dann bereits pasteurisierte Kuhmilchprodukte<br />
verwendet werden. Ausgenommen sind<br />
Topfenprodukte, die aufgrund des relativ hohen Eiweißund<br />
Kaseingehalts sowie des niedrigen Kalziumgehalts<br />
nicht empfohlen werden. Denn eine exzessive Zufuhr von<br />
Eiweiß über Milch(-produkte) stellt in Österreich ein Problem<br />
dar und wird immer wieder in Zusammenhang mit<br />
späterem Übergewicht gebracht. In den vergangenen<br />
Jahren wurde daher sogenannte Kindermilch (Milch ab<br />
dem 1. Lebensjahr) entwickelt, um Kleinkinder mit ausreichend<br />
Eisen und Vitaminen zu versorgen, bei gleichzeitig<br />
– im Vergleich zu Kuhmilch – reduziertem Eiweißgehalt.<br />
2_2010 ernährung heute<br />
18
serie: prosit leben!<br />
Hausgemacht ist nicht immer besser<br />
Selbst hergestellter Milchersatz für die erste Lebensphase<br />
mag als gute und kostengünstige Alternative zum „Fertigprodukt“<br />
erscheinen. Er wird jedoch von Medizinern<br />
und Ernährungsexperten sehr kritisch beurteilt und überwiegend<br />
abgelehnt. Rein pflanzliche Mischungen wie etwa<br />
Frischkorn-, Mandel- oder Reismilch sind im Nährstoffgehalt<br />
völlig unzureichend, meist schwer verdaulich und oft<br />
mit Schadstoffen oder Schimmelpilzsporen belastet.<br />
Auch herkömmliche Kuhmilch ist nicht geeignet, da ihr<br />
hoher Eiweiß- und Mineralstoffgehalt die kindlichen Nieren<br />
zu stark belastet. Ein weiterer Nachteil ist das erhöhte<br />
Risiko für einen Eisenmangel beim Säugling, der sich<br />
vor allem durch ihren von Natur aus niedrigen Eisengehalt<br />
bei gleichzeitig geringer Bioverfügbarkeit ergibt.<br />
Immer wieder wird auch Ziegenmilch für die Ernährung<br />
nicht gestillter Babys in Betracht gezogen, da sie als besonders<br />
verträglich gilt. Zu ihrer Auswirkung auf das<br />
Wachstum des Kindes und seine Nährstoffversorgung gibt<br />
es jedoch keine kontrollierten Studien. Ziegenmilch ist daher<br />
auf EU-Ebene auch nicht für die Herstellung von Säuglingsnahrung<br />
zugelassen. Ebenso kann das am häufigsten<br />
strapazierte Argument, die geringere Allergenität im Vergleich<br />
zu Kuhmilch, weder durch In-vitro-Untersuchungen<br />
noch durch klinische Arbeiten bestätigt werden.<br />
„HA“ für Risikokinder<br />
Wo wir schon beim Thema Allergien sind: Leiden Mutter,<br />
Vater und/oder ältere Geschwister an einer atopischen Erkrankung,<br />
so besteht auch für das Baby ein erhöhtes Risiko,<br />
eine solche zu entwickeln. Dann müssen geeignete<br />
Maßnahmen zur Allergieprävention ergriffen werden.<br />
Falls das Kind nicht gestillt wird, steht hypoallergene<br />
Säuglingsnahrung, sogenannte HA-Nahrung, zur Verfügung,<br />
bei der die Eiweißkomponente so weit aufgespalten<br />
(hydrolysiert) ist, dass sie vom Körper nicht mehr als artfremd<br />
wahrgenommen wird. Dadurch besteht die Chance,<br />
die Entwicklung einer Allergie zu verhindern oder wenigstens<br />
hinauszuzögern. Die aktuelle Leitlinie zur Allergieprävention<br />
empfiehlt die Gabe von hydrolysierter Säuglingsnahrung<br />
bei Risikokindern zumindest bis zum vollendeten<br />
vierten Lebensmonat. Für einen zusätzlichen<br />
Effekt durch HA-Folgenahrungen gibt es jedoch derzeit<br />
keine Anhaltspunkte.<br />
die Shooting-Stars der Hormonersatztherapie, sind hinsichtlich<br />
ihrer medizinischen Auswirkungen auf den kindlichen<br />
Stoffwechsel keinesfalls ausreichend untersucht.<br />
Und auch der hohe Phytatgehalt steht in der Kritik, da er<br />
die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen wie Phosphor, Eisen,<br />
Zink und möglicherweise auch Jod wesentlich vermindert.<br />
Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt Sojanahrungen<br />
für Säuglinge daher nur in begründeten Ausnahmefällen<br />
und nach ärztlicher Empfehlung, nicht jedoch<br />
für die Ernährung gesunder Kinder.<br />
Die Milchmahlzeit mit dem Bifidus-Plus?<br />
Die Darmflora des voll gestillten Säuglings besteht zu<br />
90 bis 99 % aus Bifidobakterien. Sie schützen ihn vor<br />
Durchfällen, stärken sein Immunsystem und könnten auch<br />
bei der Allergievermeidung eine Rolle spielen. Wird das<br />
Baby mit dem Fläschchen ernährt, so entwickelt sich hingegen<br />
eine Mischflora mit wesentlich geringerem Bifidus-<br />
Anteil. Die Industrie hat dafür eine „Geheimwaffe“ parat:<br />
prebiotische und probiotische Säuglingsnahrungen. Prebiotika<br />
kommen immer öfter zum Einsatz, da sie das<br />
Wachstum der Bifidobakterien im Darm unterstützen. Probiotische<br />
Säuglingsnahrungen enthalten Keime zur möglichen<br />
Besiedelung der Darmflora. Sowohl für prebiotische<br />
als auch für probiotische Säuglingsnahrungen ist<br />
der gesundheitliche Nutzen aus heutiger Sicht noch nicht<br />
zweifelsfrei belegt. Die Sicherheit von Prebiotika steht<br />
außer Streit, bei der Sicherheit von Probiotika gibt es<br />
noch Fragezeichen. So wird bei Säuglingen mit gestörter<br />
Herz- oder Immunfunktion sowie bei Frühgeborenen sogar<br />
von Probiotika abgeraten. Aufgrund der zum Teil vielversprechenden<br />
Datenlage ist die weitere Forschung in<br />
diesem Bereich jedoch sicher lohnend und sinnvoll. Die<br />
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)<br />
prüft derzeit die Datenlage für die einzelnen Zusätze.<br />
Fazit: Babys können auch mit dem Fläschchen gesund<br />
groß werden. Deshalb benötigen Familien, die sich für<br />
diese Ernährungsform entscheiden (müssen), eine ebenso<br />
kompetente Beratung und Unterstützung für ihren individuellen<br />
Weg wie stillende Mütter. Dabei soll es nicht<br />
so sehr darum gehen, ob gestillt wird oder nicht, sondern<br />
vielmehr darum, was unter den gegebenen Umständen sowohl<br />
für die Frau als auch für ihr Kind das Beste ist. Satt<br />
und glücklich – diese zwei Lebensqualitäten lassen sich<br />
eben nicht nur auf eine Weise erreichen. «<br />
info am rande<br />
Frisches, abgekochtes Leitungswasser<br />
ist in der Regel für Fläschchen<br />
geeignet, sollte jedoch durch<br />
„babytaugliches“ Mineralwasser<br />
ohne Kohlensäure ersetzt werden,<br />
wenn der Nitratgehalt über 30 mg/l<br />
liegt. Wird Wasser mit mehr als<br />
60 mg Nitrat pro Liter verwendet,<br />
kann es zu „Blausucht“ (Methämoglobinämie)<br />
kommen. Das Nitrat bindet<br />
an die roten Blutkörperchen und<br />
stört dadurch den Sauerstofftransport<br />
im Blut.<br />
info am rande<br />
Babyfläschchen aus Kunststoff sind<br />
kürzlich aufgrund ihres Gehaltes an<br />
Bisphenol A in Verruf geraten.<br />
Experten der AGES geben jedoch<br />
Entwarnung. Nach derzeitigem<br />
Wissensstand und bei üblicher<br />
Verwendung sei keine Gesundheitsgefahr<br />
zu befürchten.<br />
Umstrittene Sojaphilie<br />
Säuglingsnahrungen dürfen laut EU-Richtlinie nicht nur<br />
aus Kuhmilch, sondern auch auf Basis von Sojaproteinisolaten<br />
hergestellt werden. Streng vegetarische Eltern<br />
greifen gern darauf zurück, sie werden aber auch eingesetzt,<br />
wenn eine laktose- und/oder galaktosefreie Kost<br />
eingehalten werden muss. Die Therapie einer Kuhmilcheiweißallergie<br />
hingegen gilt nicht mehr als Indikation, seit<br />
bekannt ist, dass sich bei bis zu 30 bis 50 % der kleinen<br />
Patienten auch eine Allergie gegen Sojaeiweiß entwickelt.<br />
Inzwischen gibt es aber auch noch andere gesundheitliche<br />
Bedenken: Die enthaltenen Phytoöstrogene etwa,<br />
Bundesinstitut für Risikobewertung: Säuglingsnahrung aus Sojaeiweiß ist kein Ersatz<br />
für Kuhmilchprodukte. Stellungnahme Nr. 043 (2007).<br />
Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin<br />
(DGKJ), Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde<br />
(ÖGKJ), Ernährungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für<br />
Pädiatrie (SGP): Empfehlungen zu Prä- und Probiotika in Säuglingsanfangsnahrungen.<br />
Monatsschreiben Kinderheilkunde 157: 267–270 (2009).<br />
Haller R, Rummel C, Henneberg S, Pollmer U, Köster EP: The Influence of Early Experience<br />
With Vanillin on Food Preference Later in Life. Chem Senses 24: 465–467<br />
(1999).<br />
Lakshman R, Ogilvie D, Ong KK: Mothers’ Experiences of Bottle Feeding: A Systematic<br />
Review of Qualitative and Quantitative Studies. Arch Dis Child 94: 596–601 (2009).<br />
Möller JC: Von Stillmüdigkeit bis Stillzwang. Aktueller Stand der Formelmilch-<br />
Ernährung. gynäkologie + geburtshilfe 1: 29–34 (2004).<br />
ernährung heute 2_2010<br />
19
neue medien<br />
Mit BABELUGA zum Normalgewicht<br />
BABELUGA, eine neue Methode für die<br />
Bekämpfung von Adipositas bei Kindern<br />
und Jugendlichen, entwickelt von Mitgliedern<br />
verschiedenster Berufsgruppen. Das<br />
Akronym steht für Berliner Adipositas-<br />
Therapieprogramm für Kinder und Jugendliche<br />
und ihre Familien; Bewegung,<br />
Beratung, Begleitung; Essen und Trinken;<br />
Lernen und Lebensqualität; Unterstützung<br />
der Familie; Gruppentherapie für<br />
Kinder und Eltern; Adipositas-Diagnostik.<br />
Dieses neue Konzept spricht vor allem<br />
adipöse Kinder, Jugendliche und Familien<br />
aus Risikogruppen an, die von anderen<br />
strukturierten Programmen nicht erreicht<br />
werden. Es soll helfen, den individuellen<br />
Weg in Richtung Normalgewicht zu finden<br />
und doch gemeinsam Spaß machen.<br />
BABELUGA ist als Baukastensystem aufgebaut<br />
und somit individuell anpassbar.<br />
Der Behandelnde, an den sich dieses<br />
Buch richtet, kann somit auf die Fragen<br />
und Bedürfnisse unterschiedlichster Klientel<br />
eingehen. Im ersten Abschnitt werden<br />
verschiedene Aspekte wie beispielsweise<br />
die Risikogruppen beleuchtet, die<br />
die Grundlage für das zweite Kapitel legen<br />
sollen. Hier gehen die Autoren dann<br />
genauer auf die Methode ein. Begleitet<br />
wird die Vorstellung des Konzepts von<br />
Darstellungen und Beispielen für Protokolle<br />
und Arbeitsbögen, die kindgerecht<br />
gestaltet sind. Der letzte Teil führt verschiedenste<br />
weiterführende Aspekte zum<br />
Thema Adipositas und ihrer Behandlung<br />
bei Kindern und Jugendlichen vor Augen.<br />
Im Anhang stellt das BABELUGA-Team<br />
außerdem Materialien zur Methode zur<br />
Verfügung. [wa]<br />
Gesund gelehrt<br />
Wie sieht die professionelle Gesundheitserziehung<br />
von morgen aus? – Mit dieser<br />
Frage beschäftigt sich das „Handbuch Gesundheitserziehung“.<br />
Die Gesundheitserziehung<br />
ist in vielen Ländern schon als<br />
festes Berufsbild etabliert und soll auch<br />
im deutschsprachigen Raum professionalisiert<br />
werden. Britta Wulfhorst und Klaus<br />
Hurrelmann leisten mit ihrem Buch einen<br />
Beitrag zu diesem zunehmend bedeutsamen<br />
Thema und behandeln es in all seinen<br />
Facetten. Sie ermöglichen so einen<br />
systematischen Zugang zum Handlungsfeld<br />
Gesundheitserziehung. Die Autoren<br />
stellen im ersten Teil die Beiträge verschiedenster<br />
Wissenschaften wie Medizin,<br />
Psychologie oder Humanbiologie zur<br />
Gesundheitserziehung vor. Im zweiten<br />
Teil geben sie einen Überblick über die<br />
Rolle der Gesundheitserziehung in unterschiedlichen<br />
Settings wie Familie, Kindertagesstätte,<br />
Betrieb oder Hochschule.<br />
So beschreiben die Verfasser zum Beispiel,<br />
auf welche Weise die Partner- oder<br />
Elternschaft die Familiengesundheit beeinflussen.<br />
Der Leser erfährt, wie sich die<br />
Gesundheitserziehung in Zukunft weiterentwickeln<br />
könnte. Im Serviceteil findet<br />
sich eine Zusammenfassung von Programmpapieren,<br />
Rahmenvorgaben und<br />
Leitlinien für gesundheitserzieherische<br />
Interventionen. Das „Handbuch Gesundheitserziehung“<br />
richtet sich nicht nur an<br />
Studierende, Lehrende, Forschende und<br />
Praktiker, sondern ebenso an alle anderen<br />
Berufsgruppen, denen im Rahmen ihrer<br />
Tätigkeit mehr oder weniger explizit<br />
Aufgaben der Gesundheitserziehung zugeschrieben<br />
werden. [wa]<br />
Im Reich der Sinne<br />
Sehen, riechen, schmecken, tasten, hören<br />
– Eva Derndorfer führt uns zu Beginn in<br />
die Welt der Sinne. Welche anatomischen<br />
und physiologischen Grundlagen sind<br />
Voraussetzung? Wie versucht uns die<br />
Packung zu verführen, indem sie uns mit<br />
bestimmten Farben lockt? Können wir<br />
Geschmäcker erlernen? Was hat der<br />
Schmerzsinn mit dem Ganzen zu tun?<br />
Bei einigen Tests wirkt nur geschultes<br />
Personal mit, um z. B. eigene Produkte<br />
mit denen der Konkurrenz zu vergleichen.<br />
Zur Erholung zwischen den regelmäßigen<br />
Tests stellt sich dann vielleicht die Frage,<br />
wie die Form von Eiskugeln unser Geschmacksempfinden<br />
beeinflusst. Dabei<br />
schafft der „A-Not-A-Test“ Abhilfe. Hier<br />
geht es darum, sich eine Probe A einzuprägen<br />
und, wie bei einem Memory-Spiel,<br />
aus einer zufälligen Reihenfolge von A-<br />
und Nicht-A-Proben diejenigen mit dem<br />
gleichen Geschmack wieder zu finden.<br />
Und wenn man nicht mit Eisschlecken beschäftigt<br />
ist, wird zum Beispiel der Triangeltest<br />
praktiziert. Dieser bedarf jedoch<br />
keiner rhythmischen Grundvoraussetzungen,<br />
sondern zielt darauf ab, aus drei<br />
Mustern jenes herauszufinden, das aus<br />
der Reihe tanzt. Statistische Grundlagen<br />
sind notwendig, um all diese Tests analysieren<br />
zu können, also sind auch diese<br />
mit im Bund. Die dritte Auflage dieses Buches<br />
bietet v. a. in den Bereichen Sinnesphysiologie<br />
und Testmethoden umfassende<br />
Ergänzungen.<br />
Ein Gesamtpaket, das uns verständlich<br />
und wissenschaftlich fundiert die Welt<br />
der Sensorik in der Lebensmittelindustrie<br />
näherbringt. [sf]<br />
Die Kunst des Genießens<br />
Wer oder was ist ein Sybarit? Er ist ein<br />
Genussmensch, ein Schlemmer und<br />
Schwelger. Er legt viel Wert auf Stil und<br />
Finesse und kennt sich hervorragend in<br />
Kulinarik, Trinkkultur und Umgangsformen<br />
aus. Wer diese Fähigkeiten besitzt,<br />
kann auch im Spiel „Sybarit“ ordentlich<br />
punkten. Ziel des Spiels ab 18 ist es, möglichst<br />
viele Fragen aus den Kategorien Essen,<br />
Trinken und Gesellschaftsleben zu<br />
beantworten und damit die meisten<br />
Punkte zu ergattern. Die Schwierigkeit<br />
der Fragen kann dabei selbst gewählt<br />
werden: Von „Wer schneidet die Hochzeitstorte<br />
an?“ und „Ist Buchweizen eine<br />
Getreideart?“, bis hin zu „Welcher Julia-<br />
Roberts-Film ist auch ein Sekt-Cocktail?“<br />
oder „Wie heißen die Gerbstoffe in der<br />
Schale von roten Trauben?“ ist für jeden<br />
etwas dabei. Allerdings kann man mit<br />
leichteren Fragen auch weniger Punkte<br />
erzielen. Die Spielregeln sind relativ simpel:<br />
Der erste Spieler zieht eine Spielkarte.<br />
Auf ihr ist ein Symbol, welches für eine<br />
der oben genannten Kategorien steht.<br />
Ein anderer Spieler nimmt nun eine Fragenkarte<br />
und stellt dem anderen entweder<br />
die leichtere oder schwerere Frage in<br />
dieser Kategorie. Wird die Frage richtig<br />
beantwortet, gibt es die jeweiligen Punkte.<br />
Das Spiel wird mit Jokern, die doppelte<br />
Punkte bringen oder abziehen, aufgelockert.<br />
In Gesellschaft von zwei bis<br />
acht Erwachsenen kann man mit diesem<br />
Wissensspiel zum Beispiel ein gutes<br />
Abendessen ausklingen lassen. Es verspricht<br />
eine Stunde lang jede Menge Spaß<br />
im Familien- oder Freundeskreis und ist<br />
ganz nebenbei auch lehrreich. [wa]<br />
P. b. b., Verlagspostamt 1030 Wien, Zul.-Nr. GZ02Z030130M<br />
Ernst M, Wiegand S:<br />
Wulfhorst B, Hurrelmann K:<br />
Derndorfer E:<br />
City Marketing Group:<br />
Adipositas bei Kindern und Jugendlichen<br />
einmal anders. Die BABELUGA-<br />
Methode, Prävention, Therapie,<br />
Selbstmanagement.<br />
Handbuch Gesundheitserziehung.<br />
Lebensmittelsensorik.<br />
Sybarit.<br />
Verlag Hans Huber (2010), 336 Seiten.<br />
ISBN 978-3-456-84703-0,<br />
Preis: € 39,95.<br />
Verlag Hans Huber (2009),<br />
304 Seiten.<br />
ISBN 978-3-456-84701-6,<br />
Preis: € 49,95.<br />
Facultas Verlags- und Buchhandels<br />
AG, Wien, 3. Auflage (2010).<br />
ISBN 978-3-7089-0588-4,<br />
Preis: € 19,00.<br />
Piatnik (2007), 300 Frage- und Antwortkarten,<br />
104 Spielkarten, 8 Joker,<br />
Punkteblock, Stift.<br />
Preis: € 49,00.<br />
2_2010 ernährung heute