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Scham und Traum, Autorin Dami Charf - Traumaheilung

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dami<br />

charf<br />

Zentrum für<br />

<strong>Traum</strong>a- <strong>und</strong> Konfliktbewältigung<br />

Psychotherapie - Coaching - Fortbildung<br />

<strong>Scham</strong> <strong>und</strong> <strong>Traum</strong>a<br />

Schuld <strong>und</strong> <strong>Scham</strong> sind die Schwestern von <strong>Traum</strong>a. Oftmals werden beide Begriffe synonym benutzt.<br />

<strong>Scham</strong> ist jedoch eine auf sich selbst bezogene Emotion, bei der man sich selbst als unwert, falsch<br />

<strong>und</strong> im schlimmsten Falle nicht lebenswert fühlt. Schuld ist dagegen auf andere bezogen. Man fühlt<br />

sich schuldig gegenüber einem Dritten, „ ich habe etwas Falsches getan“. Schuldempfinden geht Hand<br />

in Hand mit unserer Fähigkeit für Empathie. Ich muss fühlen können, was ich dem anderen angetan<br />

habe, um selbst Schuld zu empfinden. Schuld ist im Gegensatz zu <strong>Scham</strong> tilgbar, da sie auf eine dritte<br />

Person bezogen ist. Schuld entsteht manchmal auch erst rückblickend. Vergangene Entscheidungen<br />

<strong>und</strong> Handlungen werden durch neue Erfahrungen, neue Möglichkeiten <strong>und</strong> Einsichten neu interpretiert<br />

<strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> der hinzugewonnenen Erfahrung als „schlecht“ gewertet. Man hat den Bezug verloren<br />

zu seinem früheren Ich, das keine andere Handlungsalternativen gesehen hat.<br />

Schuldfähigkeit entsteht lebensgeschichtlich relativ spät, erst mit der Pubertät <strong>und</strong> der Adoleszenz<br />

wird diese voll ausgeprägt. Davor weiß man nur, dass man Normen verletzt hat, die als Regeln wahr<br />

genommen werden.<br />

<strong>Scham</strong> entsteht dagegen recht früh, ca. ab dem 14. Lebensmonat. Davor ist dieser Affekt nicht zu<br />

beobachten. Im ersten Lebensjahr sind 90 % der Kommunikation mit dem Säugling positiv <strong>und</strong><br />

unterstützend. Zwischen dem 11 – 17 Monat ändert sich dies jedoch gr<strong>und</strong>legend. Untersuchungen<br />

haben gezeigt, dass Eltern dann im Schnitt alle 9 min ein Verbot oder Tadel aussprechen.<br />

Diese Veränderung geschieht, da das Kind sich nun ausprobiert, selbst in die Welt hinaus krabbelt <strong>und</strong><br />

läuft <strong>und</strong> nun deswegen auch beschränkt werden muss, um sich nicht zu gefährden. Das Kind zeigt<br />

immer mehr Arten von Verhalten <strong>und</strong> davon werden einige Verhaltensweisen von anderen, besonders<br />

natürlich von den Bezugspersonen, als unangemessen, unangenehm oder gefährlich angesehen.<br />

Um die Dynamik <strong>und</strong> Wirkung von <strong>Scham</strong> zu verstehen ist es notwendig einen Blick auf die<br />

Entwicklung von Kindern zu werfen.<br />

Babys kommen mit einem nicht vollständigen Nervensystem auf die Welt <strong>und</strong> sind im ersten Jahr<br />

vollständig darauf angewiesen, dass die Mutter die Erregungszustände des Kindes in interaktionalen<br />

Dyaden reguliert. Beide befinden sich in einem aufeinander eingestimmten Zustand <strong>und</strong> die Mutter<br />

sorgt für eine angemessene Energetisierung des Kindes <strong>und</strong> einen Wechsel von einem<br />

© <strong>Dami</strong> <strong>Charf</strong>


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parasympathischen Zustand in einem sympathischen <strong>und</strong> wieder zurück. Durch die Energetisierung<br />

lernt das Kind Erregungszustände mit positiven Gefühlen zu assoziieren, es ist freudig, neugierig <strong>und</strong><br />

interessiert. Es lernt mit der Zeit immer mehr Erregung in sich halten <strong>und</strong> regulieren zu können. Bei<br />

zu hohen Erregungszuständen hilft im Optimalfall die Mutter dem Kind, sich wieder auf ein<br />

angenehmes Niveau zu regulieren.<br />

Diese Dyade erfolgt vorwiegend über Blickkontakt, Berührung <strong>und</strong> Babysprache <strong>und</strong> ist fein<br />

aufeinander abgestimmt. Man nennt dies rechtshemisphärische Interaktion.<br />

Im zweiten Jahr erlebt das Kind plötzlich eine Veränderung im Verhalten der Mutter. Es erforscht <strong>und</strong><br />

entdeckt selbständig seine Umgebung, dabei ist es aufgeregt <strong>und</strong> freudig. Wenn es etwas Neues<br />

entdeckt hat, beispielsweise dass man die Tischdecke vom Tisch ziehen kann, schaut es voller Stolz<br />

<strong>und</strong> Begeisterung zur Mutter in Erwartung der positiven Spiegelung, die es immer bekommen hat. Es<br />

erwartet, dass die Mutter eingestimmt ist auf die eigene Emotion, <strong>und</strong> die eigene Freude <strong>und</strong><br />

Aufregung spiegelt. Plötzlich sieht das Kind in ein Gesicht, das Missbilligung, Ärger oder im<br />

schlimmsten Falle Ekel oder Verachtung ausdrückt.<br />

Die Mutter wird zur Fremden <strong>und</strong> es entsteht eine Unterbrechung der Bindung. Diese Emotionen der<br />

Mutter werden sehr stark visioaffektiv vermittelt, da bei Ekel oder Abneigung die Pupillen enger<br />

werden.<br />

Das Kind fällt in ein energetisches Loch <strong>und</strong> erfährt einen massiven Rückgang des inneren<br />

Hochgefühls. Es entsteht ein schneller Übergang zwischen einem Hyperarousal zu einem<br />

Hypoaraousal. Das Kind lässt den Kopf hängen, der Körper wird bewegungslos, Blickkontakt wird<br />

abgebrochen <strong>und</strong> das Kind beendet jede Tätigkeit. Es zieht sich in sich zurück <strong>und</strong> verliert das<br />

Interesse an seiner Umwelt.<br />

Die Gesichtsausdrücke der Mutter werden vom Kind selbst als Mikroemotionen erfasst <strong>und</strong> es entsteht<br />

der Zustand der <strong>Scham</strong>, der mit einer hohen Erregung des Parasympathikus einhergeht. Diesen<br />

Zustand kann das Kind nicht alleine bewältigen <strong>und</strong> regulieren. Es ist hier von höchster Bedeutung,<br />

dass die Mutter dem Kind nach kürzester Zeit aus diesem Zustand wieder heraushilft.<br />

Meist zeigt das Kind dann ein Suchen des Blickkontaktes <strong>und</strong> streckt die Arme aus, um wieder Kontakt<br />

zu bekommen. Durch eine Wiedereinstimmung der Dyade kann das Kind sich wieder regulieren <strong>und</strong> in<br />

einen angenehmen Erregungszustand zurückkehren.<br />

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<strong>Scham</strong> wird als der primäre soziale Affekt bezeichnet <strong>und</strong> dient der Sozialisation des Kindes. Die Rolle<br />

der Mutter wechselt im zweiten Jahr zur Sozialisationsagentin, um dem Kind beizubringen Affekte<br />

<strong>und</strong> Impulse zurückhalten zu können <strong>und</strong> unerwünschte Tätigkeiten <strong>und</strong> Verhalten nicht zu zeigen.<br />

Diese Art der Selbstregulation entsteht durch die Verinnerlichung von <strong>Scham</strong> <strong>und</strong><br />

Beziehungsinteraktionen.<br />

<strong>Scham</strong> führt zu:<br />

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Regulation von unerwünschten Affekten <strong>und</strong> Verhalten<br />

Kontrolliert das explorative Verhalten<br />

Formt das infantile Selbst<br />

Hat einen hohen Sozialisationseffekt<br />

Führt zu weiterer ontogenetischer Entwicklung <strong>und</strong> Reifung des orbitofrontalen Kortex<br />

Zu sozioemotionaler Entwicklung, schränkt Selbstbezogenheit <strong>und</strong> Egoismus ein<br />

Adaption <strong>und</strong> Wachstum in den Frontolimbischen Strukturen<br />

Das Kind lernt, dass es wichtig ist, aber nicht wichtiger als andere<br />

„Interaktiver Stress durch dyadische Fehleinstimmung führt zu der Entwicklung von<br />

interaktionalen <strong>und</strong> selbstregulierenden Fähigkeiten.“ Ed Tronick<br />

„Die ultimative Funktion der Neuronen des präfrontalen Kortex ist, die Aktivität in anderen<br />

Hirnteilen zu forcieren oder zu unterbinden.“ Goldman-Rakie<br />

<strong>Scham</strong> fühlt sich allerdings so verletzend für ein Kind an, dass die Intensität <strong>und</strong> Dauer dieses Gefühls<br />

unbedingt begrenzt <strong>und</strong> reguliert werden muss. <strong>Scham</strong> ist zu toxisch für Kleinkinder, als dass sie diese<br />

länger aushalten könnten. Das Kind kann diesen inneren Zustand nicht alleine regulieren <strong>und</strong> braucht<br />

Hilfe.<br />

<strong>Scham</strong> ist ein machtvoller Modulator von interpersoneller Bezogenheit <strong>und</strong> zerreißt die Verbindung<br />

zwischen Individuen. Das Kind wird in einen einsamen <strong>und</strong> in sich zurückgezogenen Zustand<br />

katapultiert <strong>und</strong> kommuniziert mit der Welt in einem mehr oder weniger großen Zustand der<br />

Hilflosigkeit <strong>und</strong> des Flehens.<br />

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Das Kind versucht die Bindung wiederherzustellen, indem es sich zur Mutter orientiert, zu ihr<br />

aufschaut <strong>und</strong> die Arme nach ihr ausstreckt. Es will gehalten <strong>und</strong> versichert werden. Dadurch kann<br />

das Kind sich wieder regulieren <strong>und</strong> aus dem Zustand des Hypoarousal kommen. Durch Wiederholung<br />

dieser Interaktionen erlernt das Kind Erholungsmechanismen von Stress <strong>und</strong> erfährt, dass man Stress<br />

überwinden kann. Es lernt, dass nach Stress <strong>und</strong> Unterbrechung des Kontaktes wieder die<br />

Rückbindung <strong>und</strong> ein Wiederverbinden mit Regulation <strong>und</strong> Erholung folgen. Dadurch kann die <strong>Scham</strong><br />

metabolisiert <strong>und</strong> reguliert werden.<br />

Der körperliche Kontakt führt kurzfristig zu einer Unterbrechung <strong>und</strong> Verhinderung des Stressreflex.<br />

Das Kind kann nun seine Exploration der Umwelt wieder aufnehmen <strong>und</strong> ausweiten.<br />

Langfristig führt positiver Körperkontakt bei kleinen Kindern zu mehr Resilienz. Sie haben eine<br />

größere Kapazität von positiven zu negativen <strong>und</strong> wieder hin zu positiven Zuständen zu wechseln.<br />

Außerdem führt es langfristig zu größerer Stressresistenz.<br />

Diese Interaktionen werden als interaktive Repräsentationen abgespeichert, d.h. die Interaktionen<br />

<strong>und</strong> Beziehungen werden internalisiert <strong>und</strong> dienen als affektregulierende interaktive<br />

Regulationsmuster. Wenn <strong>Scham</strong> allerdings nicht frühzeitig von der Bezugsperson reguliert wird, dient<br />

sie nicht mehr der Reifung des Selbst, sondern verhindert Reifung. Sie führt zu toxischer <strong>Scham</strong> <strong>und</strong><br />

zu Schwierigkeiten Affekte <strong>und</strong> Impulse zu regulieren <strong>und</strong> im schlimmsten Fall zu späteren<br />

Persönlichkeitsstörungen.<br />

<strong>Scham</strong> entsteht in dem Moment, in dem das Kind mit seiner Freude <strong>und</strong> der freudigen Erwartung zu<br />

seiner Mutter schaut <strong>und</strong> es auf einmal eine Fremde erblickt. Im schlimmsten Falle schaut die Mutter<br />

mit Wut, Verachtung <strong>und</strong> narzisstischer Kränkung auf das Kind <strong>und</strong> hilft ihm nicht den Zustand der<br />

Beschämung, des Rückzugs <strong>und</strong> Kollaps wieder aufzulösen, sondern belässt das Kind in seinem Zustand<br />

oder beschämt es weiter. Bei diesen nicht-eingestimmten Begegnungen entsteht bei dem Kind ein<br />

Selbstbild, dass emotionale Bedürfnisse generell unakzeptabel <strong>und</strong> beschämend sind.<br />

Das Kind bleibt im Hypoarousal stecken <strong>und</strong> glaubt, dass die eigenen Defizite der Gr<strong>und</strong> für das<br />

Gefühl der erlebten Hilflosigkeit ist. Auf Dauer führt nicht aufgelöste <strong>Scham</strong> zu einer Auflösung der<br />

Bindung. Die erlebte Isolation wird verstärkt <strong>und</strong> führt zu weiterer <strong>Scham</strong>, die weitere Isolation<br />

erzeugt (Retzinger).<br />

Das Kind entscheidet sich durch solche Erfahrungen oft für eine unangemessene Autonomie, eine<br />

Ablehnung der eigenen Bedürftigkeit <strong>und</strong> eine Aufgabe von Beziehung, um seine Würde zu wahren. Es<br />

wird zu einer Person, die sich nur sehr wenig regulieren kann <strong>und</strong> dies meist nur durch Rückzug<br />

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(Autoregulation). Häufg ist es diesen Menschen kaum möglich, um Hilfe zu bitten oder zuzugeben<br />

etwas nicht zu können bzw. überfordert zu sein.<br />

Eine Steigerung dessen <strong>und</strong> die äußerste Zurückweisung sind für das Kind, wenn das Gesicht der<br />

Mutter Ekel oder Verachtung gepaart mit Wut <strong>und</strong> Ärger spiegelt. Dies führt beim Kind zu<br />

Demütigung, chronischer Beschämung <strong>und</strong> wenn die Mutter das Kind nicht in Ruhe lässt, zu <strong>Scham</strong>-<br />

Rage. Wird dies oft genug wiederholt, so entwickelt das Kind eine gewalttätige Objekt-Beziehung.<br />

Durch die anhaltende Stimulation der Mutter, die das Kind weiter demütigt, entsteht im Kind<br />

gleichzeitig zum Hypoaroausal ein Hyperarousal. Die mütterlichen Augen sind dabei die<br />

Hauptüberbringer der emotionalen Botschaften <strong>und</strong> diese terrorisierenden Augen erzeugen ein<br />

<strong>Scham</strong>-Feuer im Kind.<br />

Das Kind bleibt in vollkommen unregulierbaren Zuständen gefangen, was auf Dauer zu einer späteren<br />

Unterregulation von Aggression führt.<br />

Diese Kreisläufe toxischer <strong>Scham</strong> durch Demütigung <strong>und</strong> mütterliche narzisstische Wut sind meist<br />

Begleitumstände von Kindesmisshandlung. Narzisstische Persönlichkeitsstörungen haben fast immer<br />

einen Hintergr<strong>und</strong> einer demütigenden <strong>und</strong> andauernden Exposition massiver <strong>Scham</strong>.<br />

© <strong>Dami</strong> <strong>Charf</strong><br />

Niederschrift des Vortrags bei der Fachtagung für Ergotherapeuten zu dem Thema „<strong>Scham</strong>“ im<br />

Landeskrankenhaus Moringen im Oktober 2010.<br />

Literatur:<br />

„Affect Regulation and the Origins of the Self“, Allan Schore<br />

“Wie wir werden, die wir sind”, Daniel Siegel<br />

© <strong>Dami</strong> <strong>Charf</strong>

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