12.07.2015 Aufrufe

Trauma und Körper; Autorin Dami Charf - Traumaheilung

Trauma und Körper; Autorin Dami Charf - Traumaheilung

Trauma und Körper; Autorin Dami Charf - Traumaheilung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Trauma</strong> <strong>und</strong> <strong>Körper</strong>wurde etwas ruhiger <strong>und</strong> freute sich auf die Zeit mit demHeiler. Eines Tages dachte der Heiler, dass es nun an der Zeitsei, Hänsel auf jene Tage im Wald anzusprechen. Hänselhatte Angst darüber zu reden, aber er mochte den Heiler<strong>und</strong> vertraute ihm. So begann er die Fragen zu beantworten,die er gestellt bekam. Er sollte sich genau erinnern,denn das sollte ihm helfen das Erlebte zu verarbeiten. Erbeschrieb dem Heiler jedes Detail das ihm einfiel, er weinte<strong>und</strong> litt unter den Erinnerungen <strong>und</strong> nachts begannen wiederdie Albträume. Er wurde wieder unruhiger <strong>und</strong> trankwieder mehr. Manchmal fing er einfach an zu zittern, versuchtejedoch sich zusammenzureißen. Er fing an mehr <strong>und</strong>mehr zu verstehen, woher seine Probleme kamen <strong>und</strong> versuchtesein Leben zu ändern, sich anseine Symptome zu gewöhnen. Irgendwannwar der Heiler zufrieden <strong>und</strong> sagteHänsel, dass es ihm jetzt besser gehenwürde. Hänsel schaffte es auch nacheiner Weile nicht mehr zu trinken <strong>und</strong> erhatte das Gefühl, sein Leben wieder imGriff zu haben. Nur manchmal überfluteteihn die Erinnerung an seine Hilflosigkeit,dann lief er aus dem Haus <strong>und</strong>irrte so lange herum, bis er vor Müdigkeitkaum noch laufen konnte.So gingen die Jahre ins Land, als GretelEnde zwanzig war, beschloss auch sie,dass ihr Leben besser werden müsste. Ihr Leben glich einerAchterbahn von himmelhochjauchzend zu zu Tode betrübt.Sie suchte sich eine Heilerin <strong>und</strong> erzählte dieser ihreGeschichte. Diese Heilerin war dafür bekannt, dass sieungewöhnliche <strong>und</strong> suspekte Methoden benutzte. Siearbeitete manchmal mit Berührung <strong>und</strong> glaubte, dass der<strong>Körper</strong> bei der Heilung von seelischen Problemen ein Rollespielte. Dadurch wurde sie von anderen HeilerInnen oftkomisch angeschaut <strong>und</strong> nicht ganz ernst genommen. Mancheversuchten sogar sie aus der Heilergemeinschaft auszuschließen.Sie hatte jedoch oft gute Erfolge erzielt <strong>und</strong> deshalbging Gretel zu ihr.Die Heilerin erkannte, dass die Probleme Gretels durchdie Vernachlässigung ihrer Eltern <strong>und</strong> durch das furchtbareErlebnis im Wald verursacht wurden. Sie erklärte Gretel,dass es wichtig war, dies aufzuarbeiten <strong>und</strong> der <strong>Körper</strong>dabei ein wichtiger Schlüssel wäre.Sie ging davon aus, dass jede Erfahrung im <strong>Körper</strong>gespeichert ist. Deshalb arbeitete sie sowohl mit Gesprächenals auch mit <strong>Körper</strong>arbeit.Gretel erspürte ihre Verletzungen, betrauerte ihre Kindheit<strong>und</strong> stellte sich ihren Erinnerungen. Nach manchenschweren St<strong>und</strong>en war sie fast euphorisch auf dem Heimweg.Nur von Zeit zu Zeit, wenn sie nach Hause kam fiel siewieder in diese Stumpfheit <strong>und</strong> Leere breitete sich in ihraus. An anderen Tagen hatte sie nur noch Angst, schlief beiFre<strong>und</strong>innen, weil sie nicht alleine sein konnte. Ihre Heilerinbeteuerte jedoch, dass dies alles zum Prozess gehöre <strong>und</strong>sich bald Besserung einstelle. Sie hättenjetzt nur noch einen wichtigen Punkt vorsich. Es wäre ein guter Schritt, wenn Gretelan ihre Wut kommen würde. Diese Wutsollte sie ausdrücken <strong>und</strong> so schrie Gretel<strong>und</strong> manchmal prügelte sie mit einemStock auf die Matratze ein. Meist fühltesie dabei gar nichts, manchmal fing sie anzu zittern, zu schwitzen <strong>und</strong> bekamunkontrollierte Weinkrämpfe. Katharsisnannte man das. Nach einiger Zeit wurdevieles in ihrem Leben besser. Sie konntesich leichter ausdrücken <strong>und</strong> konnte mehrZeit mit anderen Menschen verbringen.Sie fühlte sich selbst auch viel mehr, aber manchmaltauchte sie innerlich einfach in dieses schwarze Loch. Dannfühlte sie nichts mehr, was dann gut war. Eine Weile nachdem Ende der Behandlung bekam sie ihre erste Panikattacke.Es folgten weitere, die durchschnittlich 15 Minutendauerten <strong>und</strong> sie dachte in dieser Zeit, sie müsse sterben.Danach fühlte sie sich allerdings wie neu geboren, weil siewusste, dass sie nun eine Weile in Frieden Leben konnte. Sogewöhnte sie sich auch an diese Heimsuchung.Und so lebten Hänsel <strong>und</strong> Gretel <strong>und</strong> machten das besteaus ihrem Leben.Wir wissen heute wesentlich mehr als damals über die Arbeitmit traumatisierten Menschen, aber sie gehört bis heute zuden größten Herausforderungen einer psychotherapeutischenoder beratenden Praxis. Die Heilung von <strong>Trauma</strong> voranzubringenist m.E. nach einer der wichtigsten Herausforderungen vorder wir als Gesellschaft stehen. <strong>Trauma</strong> verändert die Einzelnen<strong>und</strong> die Gesellschaft. Es rüttelt an unseren Gr<strong>und</strong>festen<strong>und</strong> fordert uns auf, hinzuschauen, was tagtäglich passiert.Erkenntnisse aus der NeurobiologieInzwischen hat die Neurobiologie mindestens genauso viel zurBehandlung von <strong>Trauma</strong>ta beizutragen, wie einzelne psychotherapeutischeVerfahren. An dieser Stelle möchte ich einigeErgebnisse vorstellen <strong>und</strong> ihren Bezug zur <strong>Trauma</strong>-Arbeit insbesonderezur Wichtigkeit des <strong>Körper</strong>s im Heilungsprozessherstellen.Ein <strong>Trauma</strong> wird von verschiedenen AutorInnen sehr unterschiedlichdefiniert, an dieser Stelle zwei Beispiele:„Wir nennen traumatisch ein Erlebnis, welches dem Seelenlebeninnerhalb kurzer Zeit einen so starken Reizzuwachs24 prävention 1-2/2003 ©2001 B<strong>und</strong>esverein zur Prävention von sexuellem Missbrauch e.V.


<strong>Trauma</strong> <strong>und</strong> <strong>Körper</strong>Man kann also feststellen, dass das Stammhirn für das Überlebensorgt <strong>und</strong> dabei das Verhalten auswählt, das sichbewährt hat. Es lernt durch Wiederholung <strong>und</strong> Angst. Logik<strong>und</strong> Gespräche haben keinen Zugang zu diesem uralten Teildes Gehirns.Reaktivierung des <strong>Trauma</strong>sMan kann das Stammhirn jedoch über Umwege erreichen.Durch Sprache können Bilder erzeugt werden. Diese bildhaftenErinnerungen oder Phantasien haben eine Wirkung im Stammhirn.Dieser Zusammenhang kann in der Therapie negativeAuswirkungen haben oder positive, je nachdem wie diesgenutzt wird. Das Zusammenspiel von Vorstellungskraft<strong>und</strong> Stammhirn können wirimmer spüren, wenn wir uns unangenehmeSituationen vorstellen. Dabei nehmen wirwahr, wie unser <strong>Körper</strong> vegetative Symptomeentwickelt, wie z.B. Herzrasen,Magenschmerzen, Schwitzen etc.Bei der Aufarbeitung oder Bezeugung/Protokollierung traumatischer Ereignissebemerken wir immer wieder die starke Wirkung,die das Erzählen der traumatischenAbläufe für die Betroffenen hat. Das Ereignisscheint wieder so lebendig zu werden,als würde es gerade passieren. Darauf reagierenMenschen unterschiedlich. Wir können Betroffenebeobachten, die das Ereignis scheinbar unberührt erzählen,d.h. sie haben die Gefühle abgespalten (dissoziiert) <strong>und</strong> anderewerden beim Erzählen derartig von den Gefühlen überflutet,dass sie zusammenbrechen. Sehr oft dissoziieren sie daraufhinals Folge der Überflutung.Mit jeder Reaktivierung des <strong>Trauma</strong>s wird wieder Adrenalin<strong>und</strong> Endorphine in den <strong>Körper</strong> gepumpt. Endorphine sind körpereigeneMorphine <strong>und</strong> so stark, dass sie den Schmerzschwerer Verletzungen dämpfen können. Endorphine könnenzu einem euphorischen Gefühl führen (z.B. das Runners High)<strong>und</strong> dem Gefühl einer scheinbaren "Entspannung" nach einerStress-Situation. Hänsel wurde dadurch zum Adrenalinjunkie.Gretel konnte das Phänomen fühlen, als sie in ihrer Therapiemit Wut arbeitete oder so strapaziert wurde, dass sie emotionalzusammenbrach. Durch die Freisetzung dieses Hormonswerden manche Klienten durch die therapeutische Arbeitpraktisch zu Therapie-junkies. Diese Menschen suchen in derFolge das Drama der großen Gefühle, um die Wirkung desEndorphins zu fühlen.Der <strong>Körper</strong> als Speicher <strong>und</strong> SprachrohrDer <strong>Körper</strong> ist demnach der wichtigste Teil in einem<strong>Trauma</strong>. Einige Autoren gehen davon aus, dass jede Emotionersteinmal im <strong>Körper</strong> entsteht. Der <strong>Körper</strong> ordnet organischenZustände Gefühlen zu. Die entstehenden Emotionen sind aberkörperlicher Natur, z.B. wenn man in einer unheimlichenGegend spazieren geht, fühlt man im <strong>Körper</strong> vielleicht einenKnoten im Bauch, man fühlt das Herz schlagen <strong>und</strong> schwitzt.Würde man in diesem Augenblick nach Gefühlen gefragt werden,würde man wahrscheinlich sagen, man hätte Angst oderFurcht. Bei einem ersten Rendevouz kann man evtl. dieselben<strong>Körper</strong>sensationen wahrnehmen, würde aber sagen, dass manfreudig erregt ist. So interpretieren wir <strong>Körper</strong>empfindungensehr unterschiedlich, je nach Vorerfahrung, Gr<strong>und</strong>stimmung<strong>und</strong> Umfeld.Schockenergie <strong>und</strong> biologische ReflexeDie Arbeit mit den Gefühlen traumatisierter Menschen ist sehrheikel, da sie sehr schnell zu viel werden <strong>und</strong> der Sog in dastraumatische Erleben unendlich stark ist. Ausdiesen Gründen ist das Erzählenlassen desGeschehenen ein zweischneidiges Schwert.Psychisch kann es für manche Menschenwichtig sein das erlebte Grauen einmal mitzuteilen<strong>und</strong> es bezeugen zu lassen. Das Problemist, dass jedes Erzählen die inneren Bilder wiedererzeugt <strong>und</strong> damit die erlebten Gefühlereaktiviert. In der Folge werden die Bahnungen<strong>und</strong> Vernetzungen im Nervensystem immerstärker. Das kann bedeuten, dass die Personimmer schneller in den Sog des <strong>Trauma</strong>s gezogenwird <strong>und</strong> immer mehr Auslöser sie daranerinnern. Die menschlichen Gefühlsvariationen,die ohne Angst (<strong>und</strong> Angst vor der Angst) erlebt werdenkönnen, können in der Folge immer weniger werden, bzw. eswerden immer mehr Dinge im Lebensalltag vermieden.Einer der Schlüssel zur Auflösung von <strong>Trauma</strong> scheint dasNervensystem in unserem <strong>Körper</strong> zu sein. Im Nervensystem istdie Schockenergie eingeschlossen bis die biologischen Reflexeabgeschlossen sind. Erst dann kann tief im Inneren gespürtwerden, dass die bedrohliche Situation zu Ende ist <strong>und</strong> manwirklich überlebt hat. Das aktive Handeln <strong>und</strong> die Möglichkeitsich während der Gefangenschaft zu bewegen, hatte wahrscheinlichdazu beigetragen, dass Gretel etwas weniger"Symptome" hatte als Hänsel, der bewegungslos seine Hilflosigkeitaushalten musste. Gretel konnte so einen Teil derbereitgestellten Energie nutzen <strong>und</strong> dadurch aus dem Nervensystementlassen.Bis dahin bleibt das symphatische Nervensystem (zuständigfür Anspannung, Aktivität) überaktiv. Da der Organismus diesnicht lange aushält wird als Gegenreaktion das parasymphatischeNervensystem (zuständig für Entspannung,Ruhe) ebenfallsaktiviert. Dies läßt sich beschreiben als würde man ineinem Auto Gas <strong>und</strong> Bremse zeitgleich betätigen. Sichtbar <strong>und</strong>spürbar wird dies durch das Vorhandensein von "gegenläufigen"Symptomen im <strong>Körper</strong>, wie z.B. Übererregbarkeit <strong>und</strong>chronische Müdigkeit, niedriger Blutdruck <strong>und</strong> kalte Hände<strong>und</strong> Füße, Schlafstörungen <strong>und</strong> Durchfall etc. So bleibt dieEnergie im <strong>Körper</strong> wirksam <strong>und</strong> wird nur zu hohen Kosten fürden Menschen "in Schach" gehalten.Erst, wenn die Energie aus dem Nervensystem entlassenwurde, kann sich das Nervensystem wieder regulieren <strong>und</strong>damit verschwinden auch viele psychische Probleme.prävention 1-2/200327


<strong>Trauma</strong> <strong>und</strong> <strong>Körper</strong>Ausblick<strong>Trauma</strong>tisierungen werdenzunehmend als <strong>Körper</strong>-Seele-Prozess gesehen, dies ist einespannende <strong>und</strong> noch neueEntwicklung, die im Laufe dernächsten Jahre sicher nochviele Erkenntnisse bringenwird. Diese werden die Arbeitmit traumatisierten Menschen bestimmt sehr verändern <strong>und</strong>die Heilungszeiten verkürzen. Letztendlich werden wir vielleichteine Heilungsfähigkeit zurückgewinnen, die wir voreiniger Zeit noch besaßen <strong>und</strong> die freilebende Tiere immernoch besitzen. In dem wir wieder lernen dem <strong>Körper</strong> zu vertrauen<strong>und</strong> ihm die Möglichkeit geben die bedrohliche Situationfür sich zu einem Ende zu bringen, ist er fähig, die eingefroreneEnergie sanft freizusetzen <strong>und</strong> wieder für das Leben<strong>und</strong> die Gesellschaft verfügbar zu machen.Mit diesem Artikel möchte ich einen kurzen Einblick gebenin die Prozesse, die im <strong>Körper</strong> stattfinden, während einer traumatischenSituation. In Anbetracht der Kürze des Artikelskann es nur ein unvollständiger Einblick sein. Wer mehr überdie Zusammenhänge erfahren möchte, kann dies sicher durchdie u.g. Literatur .Literatur:Peter Levine, <strong>Trauma</strong>heilung, das Erwachen des TigersSynthesis, 1998Van der Kolk, <strong>Trauma</strong>tic StressJunfermann, 2000Robert Scaer, The body bears the burdenHaworth Medical Press, 2001Babette Rothschild, The body remembersNorton & Company, 2000Piet Vroon, Drei Hirne im KopfKreuz, 1998Antonio K. Damasio, Ich fühle also bin ichEcon Ullstein List, 2000Joachim Bauer, Das Gedächtnis des <strong>Körper</strong>sEichborn, 2002van der Kolk / McFarlane Weisaeth (Hg.)<strong>Trauma</strong>tic StressGr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong>BehandlungsansätzeJunfermann, 2000International führende Spezialisten der <strong>Trauma</strong>arbeit habendurch ihre Mitarbeit dieses Buch bereits zum klassischenHandbuch werden lassen.Das umfassende Material zeigt die Forschungslage <strong>und</strong> wiewenig abgesichert manche Behandlungsstrategien sind.Beeindruckend ist, wie viele Aspekte berücksichtigt wurden:die geschichtliche Dimension, Fragen differenzierter <strong>Trauma</strong>diagnostik<strong>und</strong> Psychophysiologie <strong>und</strong> mehr.Die AutorInnen konfrontieren mit Konzepten, die auch tradierteVorstellungen <strong>und</strong> Schulen in Frage stellen <strong>und</strong> neueModelle vorlegen.28 prävention 1-2/2003 ©2001 B<strong>und</strong>esverein zur Prävention von sexuellem Missbrauch e.V.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!