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Betreutes Wohnen auf dem Bauernhof Soziale Dienstleistung

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MEDIEN-INFO<br />

13. Internationale Fachmesse für Nutztierhaltung, landwirtschaftliche<br />

Produktion, Spezialkulturen und Landtechnik<br />

St.Gallen, 21. – 24. Februar 2013<br />

Fachtext, Autor: Michael Götz, Eggersriet SG<br />

<strong>Betreutes</strong> <strong>Wohnen</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Bauernhof</strong><br />

<strong>Soziale</strong> <strong>Dienstleistung</strong><br />

Kleine Landwirtschaftsbetriebe sind oft <strong>auf</strong> einen Nebenverdienst angewiesen.<br />

Von Vorteil ist es, wenn man diesen zuhause ausüben kann. Noelle und Manfred<br />

Dürr betreuen zum Beispiel Menschen in der eigenen Familie.<br />

„Es wäre schön, wenn noch andere hier leben könnten“ Dieser Gedanke kam Noelle<br />

Dürr an einem der Wintertage, welche sie alleine zuhause verbrachte, weil ihr Mann<br />

auswärts am Skilift arbeitete. Als sie einen Artikel über die familiäre Betreuung von<br />

behinderten Menschen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Landwirtschaftsbetrieb las, nahm sie Kontakt mit der<br />

darin genannten Vermittlungsstelle <strong>auf</strong>. Vielleicht wäre das eine Möglichkeit einem Nebenverdienst<br />

nachgehen zu können, ohne täglich von zuhause weg zu müssen.<br />

Familiäre Atmosphäre<br />

Zurzeit wohnen Andreas (21) und Nicole (22), ein junges Paar, mit <strong>dem</strong> 2 jährigen Nino<br />

mit der Familie Noelle und Manfred Dürr in Gams. Nicole macht sich gerade einen Kaffee<br />

in der Küche, während ihr Sohn vor <strong>dem</strong> Haus spielt. Die Essküche ist geräumig<br />

und hell. Die grossen Fenster bieten einen weiten Blick über das St.Galler Rheintal.<br />

Andreas ist schon zwei Jahre <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Hof, und seit etwa einem Jahr lebt auch seine<br />

Freundin mit <strong>dem</strong> gemeinsamen Kind dort. Familie Dürr hilft <strong>dem</strong> jungen Paar, sich <strong>auf</strong><br />

die Selbständigkeit vorzubereiten. Dazu gehören, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erkennen,<br />

Ordnung zu halten und zu lernen, mit Geld umzugehen.<br />

Während Andreas, Nicole und Nino praktisch zur Familie zählen, kommen andere nur<br />

für kurze Zeit zur Familie, zum Beispiel kleine Kinder aus schwierigen Familiensituationen,<br />

die ihre Ferien <strong>auf</strong> einem <strong>Bauernhof</strong> verbringen dürfen. Meistens sind es jedoch<br />

Jugendliche mit einem „Time out“, das heisst Auszeit. Dies ist meistens kein freiwilliger<br />

Aufenthalt. Die Jugendlichen müssen an einen Ort, wo sie keinen Kontakt zur Aussenwelt<br />

haben. Es gelte ein Handy- und Ausgangverbot. Oft sind es junge Leute, welche<br />

die Schule verweigern, Probleme mit den Eltern haben oder Drogen nehmen. Das Time<br />

out bildet eine Massnahme der Jugendstaatsanwaltschaft, um einer Resozialisierung<br />

näher zu kommen, erklärt die Betreuerin. Die Reaktionen der Jugendlichen <strong>auf</strong><br />

ihren nicht ganz freiwilligen Aufenthalt seien sehr verschieden. Die einen seien froh,<br />

ein zu Hause zu haben, andere vermissten ihr soziales Umfeld und wollten wieder zurück.<br />

21_Zusatzverdienst_TT2013<br />

1


Es gibt immer etwas zu tun<br />

Was machen diese jungen Leute <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Hof? Die Burschen helfen vor allem im Stall<br />

und <strong>auf</strong> den Feldern. 60 Rinder sind im Winter im Stall zu versorgen, während im<br />

Sommer vor allem Arbeit <strong>auf</strong> den 16 ha Wiesen und Weiden anfallen. Nach <strong>dem</strong> Morgenessen<br />

um 8 Uhr heisst es für die Mädchen, die Wäsche machen. Manchmal gehe<br />

man gemeinsam zum Eink<strong>auf</strong>en, dann werde gekocht und am Nachmittag gehe es in<br />

den Garten. „Sie können überall mithelfen. Es gibt immer etwas zu tun“, erzählt die<br />

Bäuerin. Es werde aber nie jemand zu einer Arbeit gezwungen. Und es bleibe auch<br />

Zeit für einen Spaziergang in der Umgebung. So harmonisch, wie es klingt, scheint es<br />

jedoch nicht immer zu sein. Es brauche manchmal Geduld, gesteht die Betreuerin ein.<br />

Eine grosse Hilfe seien ihre eigenen drei Kinder im Alter von 7, 9 und 10 Jahren. „Ohne<br />

die Kinder würde ich es nicht machen.“, sagt Noelle Dürr. Sie bildeten den „Puffer“ zwischen<br />

den Jugendlichen und ihren Betreuern. Auch die Tiere <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Hof, seien es der<br />

Haushund Mäx, die Rinder oder die Hühner, sind wichtig für das Zusammenleben <strong>auf</strong><br />

<strong>dem</strong> Hof.<br />

Eine „Hausordnung“, um das tägliche Zusammenleben zu regeln, gibt es bei der Familie<br />

nicht. Doch gewisse „Spielregeln“ als Rahmenbedingungen gelte es zu beachten.<br />

Das Rauchen ist klar geregelt. Alkoholverbot gilt in der Familie für Jugendliche unter 18<br />

Jahren, und es wird eine angenehme Sprache gewünscht.<br />

Weiterbildung war Voraussetzung<br />

Nur mit gutem Willen ist die Betreuung von jungen Menschen nicht getan. Es braucht<br />

die Fähigkeit, mit deren Problemen und mit Krisensituationen umzugehen. Um sich die<br />

nötigen Kenntnisse anzueignen, hat sich Noelle Dürr während dreier Jahre in den Wintermonaten<br />

weitergebildet. Verschiedene „Platzierungsorganisationen“ vermitteln Jugendliche<br />

zur Familienbetreuung, zum Beispiel Caritas, Umsprung oder Uftriib. Noelle<br />

Dürr hat mit letzterer einen guten Kontakt gefunden. Die übergeordnete Betreuerin der<br />

vermittelten Personen kommt alle zwei Wochen zu einem Gespräch <strong>auf</strong> den Hof und<br />

ist während 24 Stunden erreichbar. Neben <strong>dem</strong> fachlichen Wissen sind auch persönliche<br />

Fähigkeiten ausschlaggebend, wie Offenheit für und Freude an den Menschen.<br />

Rückschläge muss man einstecken können, zum Beispiel, wenn jemand plötzlich „abhaut“.<br />

Man müsse die Jugendlichen gerne haben, aber sie so lassen, wie sie sind. “Wir<br />

wissen es meistens nicht, warum die jungen Leute zu uns kommen“, sagt Noelle Dürr.<br />

„So können wir sie nicht in eine Schublade stecken.“ Ein guter Schutz vor Vorurteilen.<br />

Zuhause sein können<br />

Gewachsen ist die Idee der Betreuungsleistung <strong>auf</strong> der Suche nach einem Nebenverdienst.<br />

Es sollte eine Tätigkeit sein, das der Bäuerin Freude machte, für ihren Mann<br />

„stimmte“ und welche sich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Hof ausüben liess. „Ich hätte vielleicht Tagesmutter<br />

gemacht“, meint die Bäuerin, wenn sich das nicht so gut entwickelt hätte. Uftriib, Sozialpädagogische<br />

Interventionsstelle für Familie, Kinder & Jugendliche, bezahlt die Leistung<br />

der Familie pro Tag, den die Betreuten bei der Familie verbringen. Diese Entlöhnung<br />

schafft der Familie ein zusätzliches Einkommen. „Früher konnten wir uns nicht<br />

leisten, eine Woche in Ferien zu gehen.“, sagt die Bäuerin und ihr Mann müsse nicht<br />

mehr auswärts am Skilift arbeiten. Heute denkt die Bäuerin darüber nach, auch ältere<br />

Menschen in ihrer Familie <strong>auf</strong>zunehmen, aber das könne man nicht erzwingen, das<br />

müsse sich ergeben.<br />

21_Zusatzverdienst_TT2013<br />

2


Selbständig werden<br />

„Für mich hat es hier oben gepasst. Die frische Bergluft….“ Alle lachen. So ganz romantisch<br />

dürfte es für Andreas nicht gewesen sein, als er zur Resozialisierung <strong>auf</strong> den<br />

abgelegenen Bergbetrieb kam. Doch er fühlt sich wohl hier. Sein Hobby ist es, exotische<br />

Tiere zu halten. In Terrarien, welche er zum Teil selbst erstellt und eingerichtet<br />

hat, befinden sich Reptilien, Skorpione und Schlangen. „Mit ihnen verbringe ich fast<br />

meine ganze Freizeit“, erzählt er. In nächster Zeit möchte er eine Prüfung als Reptilienfachmann<br />

ablegen. Auch Nicole, seine Freundin, fühlt sich in der Familie zu Hause.<br />

Nein, es sei kein „Muss“, sondern ein „Darf“, dass sie hier ist. „Nino ist mein Mittelpunkt“,<br />

sagt sie. In der Familie könne sie vieles lernen, wie kochen und Kinder erziehen.<br />

Ihr Ziel sei es, selbständig zu sein und eine eigene Familie <strong>auf</strong>zubauen.<br />

Uftriib<br />

ist eine sozialpädagogische Interventionsstelle für Kinder und Jugendliche mit Sitz in<br />

Altstätten SG und einer Niederlassung in der Stadt St. Gallen. Der Name leitet sich aus<br />

der Erkenntnis ab, dass, wer unten ist, Auftrieb braucht. Nur mit ausreichen<strong>dem</strong> Auftrieb<br />

– optimierte Rahmenbedingungen und Motivation – lassen sich Situationen verbessern,<br />

neue Perspektiven schaffen und Stabilität <strong>auf</strong> einem höheren Niveau sicherstellen.<br />

Wie bei einem Schiff oder einem Flugzeug bewegt sich ohne steten Auftrieb<br />

nichts.<br />

Es ist keine einfache Aufgabe<br />

Es ist nicht ganz neu, dass Bauernfamilien familienfremde Menschen bei sich <strong>auf</strong>nehmen;<br />

doch diese Art von sozialer <strong>Dienstleistung</strong> habe in den letzten zehn Jahren zugenommen,<br />

sagt Silvia Hohl vom Ressort Betrieb und Familie des Landwirtschaftlichen<br />

Zentrums St.Gallen LZSG am Rheinhof. Es sei keine einfache Aufgabe, welche eine<br />

Familie damit <strong>auf</strong> sich nehme. Um ihr gewachsen zu sein, müssen alle Familienmitglieder<br />

einverstanden sein. Auch die Kinder sind mit einzubeziehen. Ganz besonders<br />

müssen die Betreuer über soziale Fähigkeiten verfügen und mit Enttäuschungen umgehen<br />

können, zum Beispiel, wenn eine betreute Person dann doch einmal stiehlt oder<br />

lügt. Und nicht zuletzt braucht der soziale Dienst Zeit. Wenn der Betrieb voll <strong>auf</strong> Produktion<br />

ausgerichtet ist, dann bleibt zu wenig Zeit für die Betreuung von Menschen<br />

übrig. Nur dazu, um ein Nebeneinkommen zu generieren, eignet sich die soziale<br />

<strong>Dienstleistung</strong> nicht. Die Entschädigung pro Stunde ist im Verhältnis zur Verantwortung<br />

relativ klein, und es gibt keine Sicherheit, immer eine betreute Person <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Hof zu<br />

haben.<br />

Manche Bauernfamilien betreuen Menschen, welche ihnen von Gemeinden, Beiständen<br />

oder Vormundschaften vermittelt werden. „Wir raten, es über eine Zwischenstelle<br />

zu machen“, sagt Silvia Hohl. Sie meint damit Organisationen, welche für die betreute<br />

Person gerade stehen und bei Problemen helfen, meistens sogar während 24 Stunden<br />

erreichbar sind. Eine solche Zwischenstelle bilde eine grosse Entlastung für die Betreuenden.<br />

Das LZSG führt eine unverbindliche Liste von Vermittlungs-Organisationen<br />

und bietet eine Checkliste für Bauernfamilien an, welche sich einen Einstieg in soziale<br />

<strong>Dienstleistung</strong>en überlegen. Zusammen mit der Fachhochschule St.Gallen bietet sie im<br />

Kirchgemeindehaus in Rheineck den „Weiterbildungslehrgang für Betreuungsleistungen<br />

im ländlichen Raum WBL“ an. Er dauert insgesamt 30 Tage und ist über zwei Winter<br />

verteilt. Information dazu siehe: www.lzsg.ch<br />

21_Zusatzverdienst_TT2013<br />

3


Bildlegenden (Bilder <strong>auf</strong> CD-ROM "Zusatzverdienst")<br />

(Bei Abdruck bitte Fotograf angeben)<br />

Abb. 1: Andreas, Noelle, Nicole und Nino vor ihrem Wohnhaus. (Foto: M. Götz)<br />

Abb. 2a und b: Andreas, Noelle und Nicole (Foto: M. Götz)<br />

Abb. 3: Der <strong>Bauernhof</strong> befindet sich in schöner Lage über <strong>dem</strong> Rheintal unter den<br />

Kreuzbergen. (Foto: M. Götz)<br />

Abb. 4: Andreas mit einem seiner Leguane. Sein Hobby sind exotische Tiere. (Foto: M.<br />

Götz)<br />

Abb. 5: Blick in eines der Terrarien. (Foto: M. Götz)<br />

Abb. 6: Für Noelle und Manfred Dürr gehören die Betreuten zur Familie. (Foto: Fam.<br />

Dürr)<br />

Abb. 7: Gemeinsames Mittagessen (Foto: Fam. Dürr)<br />

Autor: Michael Götz (Dr. Ing. Agr.), Freier Agrarjournalist, LBB-GmbH,<br />

Säntisstrasse 2a, CH-9034 Eggersriet<br />

Tel. +41 71 877 22 29, migoetz@paus.ch, www.goetz-beratungen.ch<br />

Weitere Informationen<br />

Genossenschaft Olma Messen St.Gallen<br />

Tier&Technik<br />

Splügenstrasse 12, Postfach, CH-9008 St.Gallen<br />

Tel. +41 71 242 01 99 / Fax +41 71 242 02 32<br />

tier.technik@olma-messen.ch / www.tierundtechnik.ch<br />

St.Gallen, Januar 2013<br />

21_Zusatzverdienst_TT2013<br />

4

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