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Sarkopenie: Altersbedingter Muskelschwund - Pro Patient online

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<strong>Sarkopenie</strong><br />

<strong>Altersbedingter</strong><br />

<strong>Muskelschwund</strong><br />

Die <strong>Sarkopenie</strong> bezeichnet<br />

den mit fortschreitendem Alter<br />

zunehmenden Muskelabbau<br />

und die damit einhergehenden<br />

funktionellen Einschränkungen<br />

des älteren Menschen.


Bei Betroffenen führt dies zu<br />

einer Häufung von Stürzen<br />

und damit verbundenen Ver -<br />

letzungen. Aufgrund der de -<br />

mografischen Entwicklung mit<br />

einer stetig wachsenden Grup -<br />

pe äl terer Menschen wird die<br />

<strong>Sarkopenie</strong> in den Industrie -<br />

nationen eine zuneh mend sozio -<br />

logische und ökonomi sche Rolle<br />

einnehmen.<br />

Der Begriff <strong>Sarkopenie</strong> wurde<br />

1988 von Irwin H. Rosenberg<br />

auf einer Konferenz in Albuquerque,<br />

New Mexico, geprägt.<br />

Ein verbreitetes und zu<br />

wenig bekanntes Syndrom<br />

<strong>Sarkopenie</strong> ist ein durch Alter, Krank -<br />

heit und/oder inadäquate Lebens- und<br />

Ernährungsgewohnheiten verursach -<br />

tes Syndrom, das im Abbau von ske -<br />

lettaler Muskelmasse in kritischem<br />

Aus maß und kritisch abgesenkter<br />

Mus kelkraft und/oder Muskelfunktionalität<br />

besteht.<br />

„<strong>Sarkopenie</strong> bedeutet erhöhte Krank -<br />

heits häufigkeit, häufigere Behinde -<br />

rung, erhöhtes Sturz- und Knochenbruch-Risiko,<br />

Invalidität, Verlust an Le -<br />

bensqualität, Einschränkungen einer<br />

selbstbestimmten Lebensführung und<br />

erhöhte Sterblichkeit“, erklärt Prim.<br />

Dr. Klaus Hohenstein MSc. (Institut<br />

für Physikalische Medizin und Rehabilitation,<br />

Geriatriezentrum Wienerwald,<br />

Wien).<br />

All das müsste nicht sein: <strong>Sarkopenie</strong><br />

ist gut diagnostizierbar und es gibt<br />

hinreichende Evidenz dafür, dass sie<br />

vor allem in frühen Stadien mit Bewegungs-<br />

und Ernährungstherapie, insbesondere<br />

mit der essentiellen Ami -<br />

nosäure Leucin, gut beeinflussbar ist.<br />

Allerdings ist die - seit 1989 so be -<br />

zeich nete - Krankheit noch recht<br />

unbekannt und wird viel zu selten<br />

diagnostiziert.<br />

Ein Team von Fachleuten hat jetzt das<br />

Experten-Papier „Altersassoziierter<br />

Muskelverlust“ er arbeitet, um Be -<br />

wuss tsein zu schaffen und die Diagnose<br />

und Behandlung der <strong>Sarkopenie</strong><br />

PRO PATIENT & GESUNDHEIT 2/11<br />

zu optimieren. Je nach Definition<br />

wird die Häufigkeit der <strong>Sarkopenie</strong><br />

(griechisch: „Fleischmangel“) bei 60-<br />

bis 70-Jährigen mit bis zu 13 <strong>Pro</strong>zent<br />

angegeben, demnach gibt es in Österreich<br />

in dieser Altersgruppe rund<br />

120.000 daran Er krankte.<br />

Die Häufigkeit steigt mit zunehmendem<br />

Alter an, bei den Über 80-Jährigen<br />

auf bis zu 50 <strong>Pro</strong>zent. Nach Schät -<br />

zungen sind heute weltweit mehr als<br />

50 Millionen Menschen davon betroffen,<br />

in 40 Jahren werden es mehr als<br />

200 Millionen sein. In den USA betragen<br />

die gesundheitlichen Gesamtausgaben<br />

für <strong>Sarkopenie</strong> 1,5 <strong>Pro</strong>zent der<br />

direkten Gesundheitsausgaben.<br />

Abbau von Muskelmasse mit<br />

massiv steigender Tendenz<br />

Es beginnt scheinbar harmlos mit<br />

<strong>Pro</strong>blemen beim Gehen oder Stiegen<br />

steigen.<br />

Die Wegstrecken, die bewäl tigt werden,<br />

werden immer kürzer, die Pausen<br />

dazwischen immer länger. Eine ge -<br />

füllte Einkauftasche zu tragen fällt<br />

schwer, ebenso wie jede anstrengende<br />

Tätigkeit im Haushalt, und selbst Stehen<br />

über 10 oder 15 Minuten kann<br />

zum kaum bewältigbaren <strong>Pro</strong>blem<br />

werden.<br />

Solche <strong>Pro</strong>bleme können erste Anzei -<br />

chen einer <strong>Sarkopenie</strong> sein. Prim.<br />

Hohenstein: „<strong>Sarkopenie</strong> ist ein multifaktorielles<br />

Geschehen, das durch<br />

genetische, allerdings zum Teil re -<br />

versible Alterungsprozesse ausgelöst<br />

und durch zusätzliche Faktoren verstärkt<br />

werden kann: Zum Beispiel<br />

durch Aktivitätsmangel, verschiedene<br />

Krankheiten und Defizite in der Er -<br />

näh rung, insbesondere die inadäquate<br />

Aufnahme von Energie und/oder <strong>Pro</strong>teinen.“<br />

Ab 40 liegt der natürliche Verlust der<br />

Muskelmasse zwischen 0,5 und 1 <strong>Pro</strong> -<br />

zent pro Jahr. Ab 50 nimmt die Mus -<br />

kelmasse im Bevölkerungsquerschnitt<br />

jährlich um ein bis 2 <strong>Pro</strong>zent ab.<br />

Die Muskelkraft reduziert sich um 1,5<br />

<strong>Pro</strong> zent, ab dem 70. Lebensjahr sogar<br />

um 3 <strong>Pro</strong>zent, insbesondere geht die<br />

Schnell-Kraft verloren.<br />

„Ursachen sind u.a. Fehlfunktionen<br />

zellulärer <strong>Pro</strong>zes se in den Muskel -<br />

fasern, ein altersbe dingtes Überge -<br />

Foto:<br />

Anna Rauchenberger<br />

Prim. Dr. Klaus Hohenstein MSc<br />

wicht, muskelabbau en de („katabole“)<br />

<strong>Pro</strong>zesse und die Ver rin gerung muskel -<br />

aufbauender („ana bo ler“) Vorgänge“,<br />

so Prim. Hohenstein.<br />

„Die Muskeln sprechen auf anabole<br />

Stimuli immer weniger an. Bei gleichbleibender<br />

Ernährung steht eine<br />

reduziert Sensitivität des Mus kels<br />

gegenüber den anabolischen Ef fekten<br />

von essentiellen Aminosäuren, insbesondere<br />

Leucin, einer geringeren<br />

Bioverfügbarkeit dieser Substanzen<br />

gegenüber.“<br />

<strong>Pro</strong>teinreiche Ernährung<br />

und Krafttraining<br />

Die Therapie basiert immer auf einer<br />

Kombination von proteinreicher Er -<br />

näh rung und physischer Aktivität.<br />

Zur Umkehr der sarkopenischen Dy -<br />

namik hat sich regelmäßiges Krafttraining<br />

(medizinisch Trainingstherapie)<br />

als wirksam erwiesen.<br />

Ist das nicht oder nur eingeschränkt<br />

möglich, kann inaktivitätsbedingter<br />

Muskelabbau durch funktionelle Elektrostimulation<br />

reduziert werden.<br />

Höherer <strong>Pro</strong>teinbedarf im<br />

Alter - Unterversorgung ist<br />

weit verbreitet<br />

„Ältere Menschen benötigen zur Bildung<br />

der gleichen Menge von Muskelproteinen<br />

eine höhere Eiweißzufuhr


als jüngere“, erklärt Prim. Univ.-<strong>Pro</strong>f.<br />

Dr. Monika Lechleitner (Fachärztin<br />

für Innere Medizin, Ärztliche Direktorin<br />

am LKH Hochzirl).<br />

In Bezug auf <strong>Sarkopenie</strong> verdient die<br />

Tatsache, dass ältere Menschen einen<br />

höheren <strong>Pro</strong>teinbedarf haben, besondere<br />

Beachtung, weil sie in den derzeit<br />

gängigen Ernährungsempfehlungen<br />

(RDA) nicht berücksichtigt wird:<br />

Dort wird undifferenziert eine Tagesdosis<br />

von 0,8 Gramm <strong>Pro</strong>tein pro Kilogramm<br />

Körpergewicht für alle Er -<br />

wachsenen ab dem 19. Lebensjahr als<br />

Minimum empfohlen. Prim. Lechleitner:<br />

„Studien ergaben allerdings, dass<br />

für ältere, speziell sarkopenische Menschen<br />

zur Aufrechterhaltung der<br />

Stickstoffbalance bzw. der fettfreien<br />

Körpermasse eine höhere Dosis erfor -<br />

derlich ist, etwa 1 bis 1,5 g/kg/Tag.“<br />

Doch selbst die täglichen 0,8 Gramm<br />

<strong>Pro</strong>tein pro Kilogramm Körperge -<br />

wicht werden von 25 <strong>Pro</strong>zent der älte -<br />

ren Menschen nicht erreicht, bei den<br />

über 70-Jährigen sind es bereits 40<br />

<strong>Pro</strong>zent.<br />

50 <strong>Pro</strong>zent der älteren Menschen<br />

weisen eine tägliche Zufuhr von unter<br />

einem Gramm <strong>Pro</strong>tein pro Kilogramm<br />

Körpergewicht auf.<br />

Prim. Lechleitner: „Es ist also eine<br />

weit verbreitete Unterversorgung mit<br />

<strong>Pro</strong>teinen zu diagnostizieren, die dra -<br />

ma tische Konsequenzen haben kann.“<br />

Prim. Univ.-<strong>Pro</strong>f. Dr. Monika Lechleitner<br />

Gleichmäßige Eiweißzufuhr -<br />

Zentraler<br />

Stellenwert von Leucin<br />

Erforderlich ist eine den Empfehlungen<br />

entsprechende, möglichst gleichmäßig<br />

über die drei Hauptmahlzeiten<br />

verteilte Eiweißzufuhr.<br />

Angesichts der Ernährungsgewohnheiten<br />

älterer Menschen ist häufig<br />

eine entsprechende Supplementie -<br />

rung der Eiweißzufuhr angezeigt.<br />

„Die Supplementierung von <strong>Pro</strong>tein<br />

und Aminosäuren, insbesondere Leu -<br />

cin, hat nachweisliche den Muskelabbau<br />

verringernde Effekte.<br />

Leucin ist beim Menschen eine essentielle<br />

Aminosäure, die für den Energie -<br />

haushalt im Muskelgewebe eine zentrale<br />

Rolle spielt.<br />

Unter den essenti ellen Aminosäuren<br />

dürfte die Ami nosäure Leucin der<br />

mächtigste Regulator der <strong>Pro</strong>tein -<br />

synthese des Skelett muskels sein“, so<br />

Prim. Lechleitner.<br />

Supplement-Mischungen aus essentiellen<br />

Aminosäuren wirken allerdings<br />

auf <strong>Sarkopenie</strong> nur dann anabolisch,<br />

wenn der Leucin-Anteil hoch ist (2,8 g<br />

bzw. 41 %), <strong>Pro</strong>dukte mit niedriger<br />

Leucin-Dosierung wirken nur bei Jüngeren<br />

muskelaufbauend.<br />

Vitamin D<br />

Neben <strong>Pro</strong>teinen äußert sich die aus -<br />

reichende Aufnahme von Vitamin D<br />

bei älteren Menschen in ei nem An -<br />

stieg von Kraft und Funktion sowie<br />

einer Reduktion von Stürzen.<br />

Bei <strong>Sarkopenie</strong> sollte deshalb die empfohlene<br />

Tagesdosis von 800-1.000 IU<br />

ein gehalten werden.<br />

Vitamin D-Quel len sind zum Beispiel<br />

Seefische, maß volle Sonnenexposition<br />

und Supplemente.<br />

„Es geht also darum, die <strong>Sarkopenie</strong><br />

als gefährliche Krankheit ernst zu<br />

nehmen, Risikopersonen oder Menschen<br />

mit den typischen Beschwerden<br />

eine kompetente Diagnose zu er -<br />

möglichen, und bei Vorliegen einer Sar -<br />

kopenie diese angemessen zu behandeln“,<br />

so Prim. Hohenstein.<br />

„Die Mög lichkeiten dafür gibt es, sie<br />

müssen nur konsequent genützt werden.“<br />

Quelle: B&K Bettschart & Kofler,<br />

Mag. Daniela Pedross<br />

Leucin-Gehalt einiger Lebensmittel<br />

Lebensmittel Gesamtprotein Leucin Anteil<br />

Rindfleisch, roh 21,26 g 1691 mg 8,0 %<br />

Hühnerbrustfilet, roh 23,09 g 1732 mg 7,5 %<br />

Lachs, roh 20,42 g 1615 mg 7,9 %<br />

Hühnerei 12,58 g 1088 mg 8,6 %<br />

Kuhmilch, 3,7 % Fett 3,28 g 321 mg 9,8 %<br />

Walnüsse 15,23 g 1170 mg 7,7 %<br />

Weizen-Vollkornmehl 13,70 g 926 mg 6,8 %<br />

Mais-Vollkornmehl 6,93 g 850 mg 12,3 %<br />

Reis, ungeschält 7,94 g 657 mg 8,3 %<br />

Erbsen, getrocknet 24,55 g 1760 mg 7,2 %<br />

Leucin ist Bestandteil tierischen und pflanzlichen <strong>Pro</strong>teins.<br />

Die oben stehenden Beispiele beziehen sich jeweils auf 100 g<br />

des Lebensmittels, zusätzlich ist der prozentuale Anteil von<br />

Leucin am Gesamtprotein angegeben.<br />

PRO PATIENT & GESUNDHEIT 2/11<br />

Foto:<br />

Anna Rauchenberger

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