15.02.2014 Aufrufe

Predigt Heilig Abend - St. Michaelis

Predigt Heilig Abend - St. Michaelis

Predigt Heilig Abend - St. Michaelis

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Predigt</strong>en – von Pastor Dr. Martin Illertt<br />

<strong>Predigt</strong><br />

an <strong>Heilig</strong> <strong>Abend</strong>, 24. . Dezemberr 2010, 21 Uhr<br />

Über ein<br />

Jahr hatten wir zusammen studiert; in dieser Zeit waren wir Freunde geworden.<br />

Kurz vor Weihnachten fuhr er mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn wieder in seine Hei-<br />

wa-<br />

mat zurück. Am Tag seiner Abreise begleitete ich die Drei zum Flughafen. Viele Hände<br />

ren nötig, um das schwere Gepäck zu transportieren. Ich schob einen Rollenkoffer voller<br />

Bücher,<br />

wunderschöner Ausgaben, um die ich, wie viele andere <strong>St</strong>udenten auch, den<br />

Freund nicht wenig<br />

beneidete.<br />

Kaum kamen wir am Flughafen an, eiltenn wir zur Gepäckaufgabe. Dort stellte eine Dame<br />

hinter dem Schalter mit Bestimmtheit fest, dass die Drei viel zu viele Dingee mitgenommen<br />

hatten. Selbst mit Übergepäck<br />

seien nur drei Viertel dieses riesigen Umfanges und Gewich-<br />

tes erlaubt; sie müssten jetzt entscheiden<br />

n, was sie mitnehmen wollten w - und das schnell,<br />

denn die<br />

Schlange<br />

hinter ihnen nahm stetig zu. „Mach dir keinee Sorgen“, beruhigte ich meijetzt<br />

nen Freund; „Ich kümmere mich darum, dass Euch alles nachgeschickt wird, was ihr<br />

nicht mehr mitnehmen könnt.“ “ Er nickte nur kurz, wechselte einige Sätze mit seiner Frau und<br />

sagte mir dann: Den Koffer mit den Büchern kannst<br />

du behalten, ich schenke sie dir, und<br />

unser Gepäckproblem ist gelöst.“ „Das geht wirklich nicht“, stammelte ich verlegen „das kann<br />

ich nicht annehmen“. Doch er duldete keinen Widerspruch, nahm die übrigen Koffer und<br />

stellte sie auf das Laufband. Nein, nein, ich solle sie<br />

ihm nicht nachsendenn<br />

n, ja, gewiss, ich<br />

möge sie wirklich behalten, als<br />

ein Andenken an ihn. Mir war das unangenehm, ich stand da<br />

mit einem Gefühl zwischen Peinlichkeit und unerwartetem Glück, doch er erklärte mirr nur,<br />

das Wichtigste sei ohnehin die<br />

Erinnerung, die er mitnehme von Zeit hier. „Was zählen da-<br />

gegen die Bücher!“<br />

„<strong>St</strong>ell dir mal vor“ sagte er, „alle meine Koffer wären anstatt mit Dingen gefüllt mit Erinnerun-<br />

gen, und ich dürfte<br />

nicht alles mitnehmen, müsste auswählen, das d wäre doch viel schwieri-<br />

trage ich ja sowieso mit mir.“ „Das„<br />

fällt mir schwer zu<br />

verstehen“, wandte ich ein. „Wenn alle<br />

ger. Jetzt aber kann ich einfach etwas hier zurück lassen, das wichtigste, w die Erinnerung,<br />

meine Erinnerungen vor mir stünden wie diese Koffer, da könnte ich sehr wohl auswählen.<br />


<strong>Predigt</strong>en – von Pastor Dr. Martin Illert Seite 2<br />

Ich würde doch die nur nehmen, die sich beschränken auf die perfekten, die magischen Momente<br />

der Liebe, in denen ich mich des Lebens freute, die <strong>St</strong>unden voller Glück, sie allein<br />

würde ich nehmen, auf den Rest könnte ich leichter verzichten als du auf deine Bücher.<br />

Denn was soll ich mit dem Rest? Mit allem Unerfreulichen, allem Schweren, allem Leid? Ich<br />

fände es schön, die Vorstellung, das alles einfach zurück zu lassen wie einige Koffer, die mir<br />

zu schwer sind und nur die leichten, schönen Taschen voller Freude und Glück mitzunehmen.“<br />

„Ich glaube, du täuscht dich, Glück und Erfüllung kann man nicht sammeln wie Briefmarken<br />

oder Bücher!“<br />

Und auf mein verwundertes, „ja, aber“ fuhr er fort: „Weißt du vor ein paar Jahren war ich sehr<br />

krank. Ich lag im Krankenhaus und sehnte mich nach all dem, was ich nicht mehr tun konnte.<br />

Meine Frau besuchte mich jeden Tag, sie tröstete mich und hörte mir zu, doch ich redete<br />

immer nur davon, was wir alles nicht mehr machen könnten, was alles Schönes in der Vergangenheit<br />

gewesen sei. So ging das jeden Tag, keiner außer mir konnte es wohl mehr hören<br />

und ertragen, bis mich eines Tages mein Zimmernachbar zur Rede stellte und mich fragte,<br />

ob mir eigentlich klar sei, dass ich, der ich dauernd klagte, ein äußerst beneidenswerter<br />

Mann sei. Warum denn das, fragte ich verärgert und fast wütend, voller Sicherheit, dass es<br />

niemand so schwer hätte wie ich. „Du bist beneidenswert und klagst du nur immerzu!“ rief er<br />

mir zu. „Aber wieso denn“, erwiderte ich entrüstet. „Weil du einen Menschen hast! Einen<br />

Menschen hast du, der dir tagtäglich Liebe erweist und merkst es noch nicht einmal.“<br />

Die Worte meines Zimmernachbarn erstaunten mich, denn die Besucher meiner Frau waren<br />

mir ja doch zur Selbstverständlichkeit geworden, zur einzigen Abwechslung im Einerlei des<br />

Krankenhaus-Tages und zur einzigen Möglichkeit, mich endlich voller Wut zu beschwerten<br />

und zu klagen über das Leben, wie schwer und wie ungerecht es sei. Kann man Liebe übersehen?<br />

Eigentlich doch nicht und doch war mir genau das passiert, weil ich dachte, dass<br />

noch immer etwas fehlt, sah ich überhaupt nicht, dass ich schon etwas hatte, das man nicht<br />

mehr übertreffen kann. Da ist jemand neben mir, der mich nicht mit Dingen beschenkt, sondern<br />

mir etwas von sich selbst gibt. Und deshalb will ich nicht nur die scheinbar perfekten<br />

Momente des Schönen sammeln, die erfüllten Wünsche; nein, ich weiß, die Liebe ist größer<br />

als dass sie nur für die schönen <strong>St</strong>unden reicht, mein ganzes Leben, Schönes und Schweres,<br />

alles gleichermaßen will ich immer durchwebt wissen von ihr, wie ein Gewand, durch<br />

das sich feine Fäden ziehen.“<br />

Kurz darauf fuhren sie ab. Ich stand da mit einem Koffer wertvollster Bücher, um die ich ihn<br />

immer beneidet hatte, die mir plötzlich gehörten und schaute ihnen nach, wie sie gingen,<br />


<strong>Predigt</strong>en – von Pastor Dr. Martin Illert Seite 3<br />

seiner Frau, dem Kind und ihm schaute ich nach und spürte auf einmal, dass ich beschenkt<br />

worden war mit noch etwas anderem, das größer ist als alles, was da in den Koffern vor mir<br />

stand. Ja, mir war, als seien wir beiden nur Zuschauer gewesen von etwas, das an uns geschah.<br />

Denn wie wunderbar wäre das, so dachte ich seinen Gedanken nach, mein ganzes<br />

Leben durchwebt zu sehen von den Fäden der Liebe, wie wunderbar, darauf zu vertrauen,<br />

dass mein und dein und jedes Leben aus guter Quelle stammt, und bestimmt ist, durchwebt<br />

zu sein von der Liebe. …und wann ist solch ein Gedanke besser zu verstehen als am <strong>Heilig</strong>en<br />

<strong>Abend</strong>, wo Gott sich selbst verschenkt im Kind zu Bethlehem? Damit nicht länger Kälte<br />

und Leere und Mangel bestimmen, wer wir sind und wie wir sind, sondern Liebe, die alles<br />

umfasst, und deshalb alles verschenkt, die das Größte gibt hinein bis ins Kleinste dieser<br />

Welt.Das will der Glaube dir schenken, dass du dich hineinversetzt in die anderen und sie<br />

und dich und die Welt so neu verstehst! Im Advent, der Zeit der einkehr, ist das nicht schwer<br />

zu verstehen, denn was mit allem Hineinversetzen, Einkehren und wohnen doch abbilden<br />

und feiern, ist doch, dass Gott selbst sich hineinversetzt in uns Menschen in der Geburt Jesu<br />

Christi und mit ihm den Raum der Lieben schafft in unseren Herzen und damit alles verändert.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!