Zum Jahresbericht 2012/13 - BHAK/BHAS Horn
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JAHRESBERICHT <strong>BHAK</strong>/<strong>BHAS</strong> HORN <strong>2012</strong>/<strong>13</strong><br />
ZEIT ONLINE: Und diese Sensibilisierung wollen Sie mit Ihren besonderen Spaziergängen leisten?<br />
Weisshaar: Die ersten Spaziergänge habe ich Mitte der neunziger Jahre in einem der<br />
Braunkohletagebaue 7 in Ostdeutschland gemacht. Sie galten damals als die Altlast der DDR und<br />
wurden als Drecklöcher bezeichnet. Ich dagegen fand es wunderschön darin!<br />
ZEIT ONLINE: Wie haben Sie es geschafft, aus einem Dreckloch eine Landschaft zu machen?<br />
Weisshaar: Die Teilnehmer an diesen promenadologischen Spaziergängen brachten im Kopf medial<br />
verbreitete Bilder und vorgefasste Bewertungen mit. Es dauert jedes Mal etwa eine halbe Stunde, bis<br />
sie diese losgeworden sind. Man muss diese Bilder beiseite legen und neue zulassen. Es gab auch<br />
Anfragen von Busreiseunternehmen, die für eine halbe oder eine Stunde in den Tagebau kommen<br />
wollten. Mehr Zeit hätten sie nicht, sagten sie. Ich habe das immer abgelehnt: Man muss sich eine<br />
gewisse Dauer durch den Raum bewegen, sonst begreift man ihn nicht.<br />
ZEIT ONLINE: Halten Technik und Geschwindigkeit uns zunehmend fern von so einer direkten<br />
Raumerfahrung?<br />
Weisshaar: Zu Fuß, im ICE 8 , oder in 10.000 Metern Höhe: Die Erlebnisdichte ist jeweils anders. Es gibt<br />
aber eine komische Entwicklung: Man reist nicht mehr – man kommt an. Man spricht nicht mehr von<br />
der Reise, sondern von Ankunft und Abflug. Der Schriftsteller Johann Gottfried Seume, der im Jahre<br />
1802 seinen Spaziergang nach Syrakus unternahm, postulierte 9 , dass vieles besser gehen würde,<br />
wenn man mehr ginge. Er bedauert das Fahren, man sehe anthropologisch weniger. Und damals gab<br />
es nur Kutschen! Das kommt uns heute gemächlich 10 vor. Die Art und Weise, wie wir uns durch den<br />
Raum bewegen, bedingt unsere Wahrnehmung.<br />
ZEIT ONLINE: Wie bewegen Sie sich noch fort, um einen anderen Blick zu bekommen?<br />
Weisshaar: Ich bin 2009 mit dem Eurolines-Fernbusnetz gefahren, über Wien und Budapest nach<br />
Kiew und zurück nach Paris. 2011 bin ich von Paris nach London mit dem Bus gefahren. Diese<br />
Recherche Go by bus 11 will ich sukzessive 12 fortführen.<br />
ZEIT ONLINE: Warum ausgerechnet im Bus?<br />
Weisshaar: Mit dem Bus fährt man über Autobahnen, aber man hat einen anderen Blick als aus dem<br />
PKW: Man sitzt höher, vor allem aber fährt der Bus langsamer. Viele Strecken würde man heute<br />
deshalb fliegen: <strong>Zum</strong> Beispiel dauert der Flug nach Istanbul zwei oder drei Stunden, der Bus braucht<br />
zwei Tage und ist teurer.<br />
ZEIT ONLINE: Viele Reisende suchen Muße <strong>13</strong> . Die Anfahrt zählt da aber eher nicht dazu, und schon<br />
gar keine Fernreise mit dem Bus.<br />
Weisshaar: Bei so einer Busfahrt muss man sich auf den langen Weg einlassen. Die Muße haben, die<br />
Zeit abzuwarten – nichts zu tun als aus dem Fenster zu schauen. Auf meiner Busreise dachte ich<br />
zuerst, ich müsse aktiv sein und die Mitreisenden porträtieren. Aber dann habe ich gemerkt: Im Bus<br />
sitzen einsame Menschen dicht zusammen. Ich begann, die Landschaft zu fotografieren, den Blick auf<br />
die Landschaft aus der Autobahnfahrt heraus.<br />
ZEIT ONLINE: Sie suchen also andere Bilder als die, die Sie vor einer Reise im Kopf hatten.<br />
7 Braunkohletagebaue: Die Abbaugebiete von Braunkohle. Im eigentlichen Sinn aufgerissene Böden, Erdkrater, zerstörte Landschaften.<br />
8 ICE: Intercity-Express. Bahn, Hochgeschwindigkeitszug<br />
9 postulieren: behaupten, feststellen<br />
10 gemächlich: ruhig, friedlich, langsam<br />
11 die Recherche Go by bus: Er meint seinen Versuch, auf diese Art, per Bus, zu reisen, um neue Erfahrungen daraus zu ziehen<br />
12 sukzessive: mehr und mehr, ausbauend<br />
<strong>13</strong> die Muße: entspannte Zeit, Spielraum für ganz persönlich gewählte Tätigkeiten<br />
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