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DAS SATIREMAGAZIN<br />
Unbestechlich, ab<strong>er</strong> käuflich!<br />
9/10 · € 2,80 · SFR 5,00<br />
www.eulenspiegel-zeitschrift.de<br />
57./65. Jahrgang • ISSN 0423-5975 86514<br />
Nach dem<br />
BV<strong>er</strong>fG-Urteil:<br />
<strong>Kriegt</strong> <strong>er</strong><br />
<strong>jetzt</strong> <strong>das</strong><br />
Sorg<strong>er</strong>echt?
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Zeit im<br />
Bild<br />
Es geht aufwärts<br />
Jüng<strong>er</strong> & Schlank<strong>er</strong><br />
EULENSPIEGEL 9/10 3
Haus mitteilung<br />
Liebe Les<strong>er</strong>in, lieb<strong>er</strong> Les<strong>er</strong>,<br />
als Guido West<strong>er</strong>welle vor einem Monat aufgrund<br />
des Urlaubs von Angela M<strong>er</strong>kel vorüb<strong>er</strong>gehend<br />
quasi Bundeskanzl<strong>er</strong> wurde und sogar<br />
eine Sitzung des Kabinetts leiten durfte, hielt<br />
ganz Deutschland den Atem an: Was würde d<strong>er</strong><br />
irre Lib<strong>er</strong>ale mit dies<strong>er</strong> Machtfülle anfangen?<br />
Würde <strong>er</strong> den Ausnahmezustand ausrufen und<br />
die Arbeitslosigkeit mit Hilfe mobil<strong>er</strong> Erschie -<br />
ßungskommandos auf Null bringen? Würde <strong>er</strong><br />
die Flagge d<strong>er</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />
neu gestalten (gelb-blau mit drei Punkten)?<br />
Würde <strong>er</strong> zum totalen Krieg gegen Unt<strong>er</strong>nehmenssteu<strong>er</strong>n<br />
aufrufen? Doch die Spannung v<strong>er</strong>flog<br />
schnell, denn West<strong>er</strong>welle tat – nichts. Und<br />
gab anschließend eine Pressekonf<strong>er</strong>enz. Bess<strong>er</strong><br />
hätte es, <strong>das</strong> muss man neidlos an<strong>er</strong>kennen,<br />
seine Chefin auch nicht machen können. Ist <strong>er</strong><br />
am Ende vielleicht doch reif für dieses Amt?<br />
★<br />
Es gibt so viel Streit und Unfrieden auf d<strong>er</strong> Welt<br />
– Christen gegen Moslems, Männ<strong>er</strong> gegen<br />
Frauen, Dortmund gegen Schalke ... Brauchen<br />
wir denn da wirklich noch den Kampf Journalisten<br />
gegen Regi<strong>er</strong>ung? Uns<strong>er</strong>e Politik<strong>er</strong> haben<br />
einen schw<strong>er</strong>en, undankbaren Job. Jeden Tag<br />
Anzeige<br />
w<strong>er</strong>den sie mit kniffligen Problemen konfronti<strong>er</strong>t,<br />
mit denen sie, so gut es geht, f<strong>er</strong>tig zu<br />
w<strong>er</strong>den v<strong>er</strong>suchen, und zwar zu uns<strong>er</strong> all<strong>er</strong><br />
Wohl. Das Letzte, was sie da gebrauchen können,<br />
sind irgendwelche üb<strong>er</strong>kritischen Schreib<strong>er</strong>linge,<br />
die nichts bess<strong>er</strong>es zu tun haben, als<br />
ständig »Affären« od<strong>er</strong> »Machenschaften« aufzudecken.<br />
Leid<strong>er</strong> gab es <strong>das</strong> in d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>gangenheit<br />
viel zu oft – ab<strong>er</strong> diese unschöne Zeit<br />
scheint zum Glück nun vorbei zu sein. Denn im<br />
Somm<strong>er</strong> des Jahres 2010 haben sich Journalismus<br />
und Politik in Deutschland öffentlich die<br />
Hand zum Friedensschluss g<strong>er</strong>eicht und dieses<br />
Abkommen durch einen gegenseitigen Austausch<br />
von P<strong>er</strong>sonal symbolisi<strong>er</strong>t: D<strong>er</strong> ehemalige<br />
Regi<strong>er</strong>ungssprech<strong>er</strong> wurde Intendant des<br />
Bay<strong>er</strong>ischen Rundfunks, während seine alte<br />
Stelle vom Mod<strong>er</strong>ator des ZDF-»Heute-Journals«<br />
besetzt wurde. Ein großartig<strong>er</strong> Vorgang, d<strong>er</strong><br />
übrigens auch <strong>das</strong> Potential aufzeigt, <strong>das</strong> in<br />
dies<strong>er</strong> V<strong>er</strong>bindung liegt. Mehr davon gibt’s<br />
auf Seite 26.<br />
★<br />
Als die Nachricht durch die Medien ging, <strong>das</strong>s<br />
div<strong>er</strong>se am<strong>er</strong>ikanische Milliardäre angekündigt<br />
hatten, beträchtliche Teile ihres V<strong>er</strong>mögens für<br />
wohltätige Zwecke spenden zu wollen, war es<br />
nur eine Frage d<strong>er</strong> Zeit, bis auch bei uns die<br />
ewig gestrigen Gleichmach<strong>er</strong> unt<strong>er</strong> ihren v<strong>er</strong>mutlich<br />
staatlich finanzi<strong>er</strong>ten Steinen h<strong>er</strong>vorgekrochen<br />
kamen und <strong>das</strong> gleiche auch von uns<strong>er</strong>en<br />
Leistungsträg<strong>er</strong>n ford<strong>er</strong>ten. Ab<strong>er</strong> zum einen<br />
müssen wir ja wohl nicht alles nachmachen,<br />
was aus Am<strong>er</strong>ika kommt, und zum and<strong>er</strong>en<br />
sollte man bedenken, <strong>das</strong>s allein schon die Vorstellung<br />
eines solchen Szenarios Deutschlands<br />
zweitreichsten Mann offenbar so <strong>er</strong>schreckt hat,<br />
<strong>das</strong>s <strong>er</strong> pünktlich zum Start dies<strong>er</strong> Debatte, ja<br />
genau genommen sogar noch kurz davor, in d<strong>er</strong><br />
Blüte sein<strong>er</strong> 88 Jahre plötzlich und un<strong>er</strong>wartet<br />
v<strong>er</strong>starb. Damit will ich keinesfalls andeuten,<br />
alle Anhäng<strong>er</strong> ein<strong>er</strong> V<strong>er</strong>mögenssteu<strong>er</strong> od<strong>er</strong> ähnlich<strong>er</strong><br />
Ideen wären Mörd<strong>er</strong>, ab<strong>er</strong> <strong>das</strong>s Blut an<br />
ihren Händen klebt, wird wohl kein v<strong>er</strong>nünftig<strong>er</strong><br />
Mensch bestreiten wollen. Darum rufe ich diesen<br />
fehlgeleiteten Subjekten zu: Haltet ein, ihr<br />
V<strong>er</strong>blendeten! Unt<strong>er</strong>drückt euren Neid, arbeitet<br />
fleißig und lest uns<strong>er</strong>en Artikel auf Seite 22,<br />
auf <strong>das</strong>s euch v<strong>er</strong>geben w<strong>er</strong>de, und zwar von<br />
mir p<strong>er</strong>sönlich.<br />
Spendet reichlich Grüße<br />
Chefredakteur
Inhalt<br />
Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arno Funke<br />
3 Zeit im Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jüng<strong>er</strong> & Schlank<strong>er</strong><br />
4 Hausmitteilung<br />
6 Les<strong>er</strong>post<br />
8 Zeitansagen<br />
12 D<strong>er</strong> Aufruhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Utz Bamb<strong>er</strong>g<br />
14 Wörtliche Betäubung: Stuss aus einem Guss . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Röhl<br />
16 Mod<strong>er</strong>nes Leben<br />
18 Vorwärts imm<strong>er</strong> – rückwärts nimm<strong>er</strong>! . . . . . . Mathias Wedel / Guido Sieb<strong>er</strong><br />
22 »Ich hab doch selb<strong>er</strong> nix!«<br />
24 Uns<strong>er</strong>e Besten: Knorpelschaden,<br />
schöne Zähne – Helmut Markwort . . . . . . Carlo Dippold / Frank Hoppmann<br />
26 Mit dem Zweiten regi<strong>er</strong>t man bess<strong>er</strong> . . . . . . . Sedlaczek / Füll<strong>er</strong> / Koristka<br />
28 Allein unt<strong>er</strong> Ossis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gregor Füll<strong>er</strong><br />
18 Vorwärts imm<strong>er</strong> – rückwärts nimm<strong>er</strong>!<br />
Das Feuilleton jubelt: Helmut Markwort<br />
spielt am Volkstheat<strong>er</strong> Frankfurt<br />
im Stück »D<strong>er</strong> hessische Jed<strong>er</strong>mann«<br />
den Tod. Ob <strong>das</strong>s die 60 Focus-Mitarbeit<strong>er</strong>,<br />
die sich kürzlich haben<br />
abfinden lassen müssen, auch<br />
so lustig finden, wurde nicht <strong>er</strong>mittelt.<br />
Schon d<strong>er</strong> große Poet Karl Marx<br />
dichtete:<br />
Denk imm<strong>er</strong> dran, oh Mittelschicht,<br />
v<strong>er</strong>schwende deine Mittel nicht!<br />
24 Knorpelschaden, schöne Zähne<br />
32 In Schutt und Asche<br />
30 Digitales. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beck<br />
32 In Schutt und Asche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pet<strong>er</strong> Köhl<strong>er</strong><br />
34 Dinn<strong>er</strong> for two . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barbara Hennig<strong>er</strong><br />
36 Lachen trägt die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Behl<strong>er</strong>t<br />
38 Ich und du und wir und die . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G<strong>er</strong>hard Henschel<br />
40 Halbinselwitze<br />
41 Buch: Wenn d<strong>er</strong> Urlaub<strong>er</strong><br />
in d<strong>er</strong> Lit<strong>er</strong>atur strandet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Biskupek<br />
42 Wahn & Sinn<br />
46 TV: Mein <strong>er</strong>stes Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Felice von Senkbeil<br />
47 Lebenshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Zak<br />
48 Kino: Toi, toi, toi – Toys!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Holland-Moritz<br />
49 Heimatkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G<strong>er</strong>hard Glück<br />
50 Funzel: Wied<strong>er</strong> Leben im Schlosspark<br />
52 Irgendwann wird <strong>er</strong> dann gehen. . . . . . . . Andreas Koristka / Petra Kast<strong>er</strong><br />
56 Mut zur Mücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rob<strong>er</strong>t Niemann / Kat Weidn<strong>er</strong><br />
58 Schwarz auf Weiß<br />
60 Jette Joop entgeht einem Klisti<strong>er</strong>. . . . . . . . . . . . . Frauke Baldrich-Brümm<strong>er</strong><br />
62 Fehlanzeig<strong>er</strong><br />
64 Rätsel / Les<strong>er</strong> machen mit / Meist<strong>er</strong>w<strong>er</strong>ke<br />
66 Impressum / ... und tschüs!<br />
Teilen d<strong>er</strong> Auflage ist eine Beilage d<strong>er</strong> ACDM GmbH beigefügt.<br />
<strong>Eulenspiegel</strong>-Post<strong>er</strong>s<strong>er</strong>vice<br />
Jeden Cartoon im <strong>Eulenspiegel</strong> können<br />
Sie als Post<strong>er</strong> auf hochw<strong>er</strong>tigem<br />
Papi<strong>er</strong> in den Formaten A2 und A3<br />
<strong>er</strong>w<strong>er</strong>ben.<br />
Im WWW od<strong>er</strong> telefonisch unt<strong>er</strong><br />
(030)29346319.<br />
Die Charta d<strong>er</strong> Grundrechte d<strong>er</strong> Europäischen<br />
Union – w<strong>er</strong> bish<strong>er</strong><br />
glaubte, dies sei ein staubtrocken<strong>er</strong><br />
juristisch<strong>er</strong> Text, wird nun eines<br />
bess<strong>er</strong>en belehrt. »Grundsätze d<strong>er</strong><br />
Am Sitzenbleiben in d<strong>er</strong> Schule muss<br />
festgehalten w<strong>er</strong>den, denn Sitzenzubleiben<br />
festigt den Charakt<strong>er</strong>, wie<br />
man an P<strong>er</strong>sönlichkeiten wie Edmund<br />
Stoib<strong>er</strong> und Adolf Hitl<strong>er</strong> sehen<br />
kann.<br />
Edgar Külow, wie ihn Harald Kretzschmar 1963 sah<br />
Den Ärzten geht es imm<strong>er</strong> schlecht<strong>er</strong>.<br />
Die meisten leben üb<strong>er</strong>haupt<br />
nur noch deshalb, weil sie sich von<br />
abgelaufenen Tabletten <strong>er</strong>nähren<br />
können.<br />
38 Ich und du und wir und die<br />
Gesetzmäßigkeit und d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>hältnismäßigkeit<br />
im Zusammenhang<br />
mit Straftaten und Strafen« sind<br />
nämlich nicht nur sexy, sond<strong>er</strong>n<br />
reinste Poesie.<br />
52 Irgendwann wird <strong>er</strong> dann gehen<br />
Die Beichte<br />
Als d<strong>er</strong> Postbote Norb<strong>er</strong>t Jablonski, v<strong>er</strong>heiratet,<br />
katholisch, zweiundvi<strong>er</strong>zig, vorsichtig<br />
einen Brief öffnete, in dem <strong>er</strong> etwas<br />
Geld v<strong>er</strong>mutete, sprach eine Kind<strong>er</strong>stimme<br />
aus d<strong>er</strong> Spüle: »Ich glaube, du<br />
musst mal wied<strong>er</strong> zur Beichte!« Er ging<br />
langsam zur sprechenden Spüle und fragte:<br />
»Hallo? Ist da jemand?«<br />
War ab<strong>er</strong> niemand da.<br />
Aus: Edgar Külow »Himmeldonn<strong>er</strong>wett<strong>er</strong>«<br />
<strong>Eulenspiegel</strong> V<strong>er</strong>lag 2010<br />
Mit diesem Text, d<strong>er</strong> in sein<strong>er</strong> dunkel raunenden<br />
Metaphorik die Lit<strong>er</strong>aturwissenschaft,<br />
die Theologie, die Humankapitaltheorie<br />
und die DDR-Alltags-Forschung noch<br />
lange beschäftigen wird, grüßt uns d<strong>er</strong> große<br />
kommunistische Humorist und humoristische<br />
Kommunist Edgar Külow zu seinem<br />
85. Geburtstag am 10. Septemb<strong>er</strong>.<br />
<strong>Eulenspiegel</strong> nimmt dankend an.<br />
EULENSPIEGEL 9/10 5
D<strong>er</strong> Les<strong>er</strong><br />
Zum Titel Heft 8/10<br />
Ihr Titelbild zeigt sehr deutlich die<br />
Situation in d<strong>er</strong> Regi<strong>er</strong>ung. Leid<strong>er</strong><br />
stimmt die Inschrift nicht. Es muss<br />
heißen, »die Anpassungsfähigen<br />
üb<strong>er</strong>leben«. Und da ist Frau M<strong>er</strong>kel<br />
ein Must<strong>er</strong> dafür. Vom FDJ-Sekretär<br />
zum Hätschelkind eines Kohl, zum<br />
Liebling des Kapitals (Ack<strong>er</strong>mann).<br />
G<strong>er</strong>d Schulz, Waldau<br />
Eben ein Mädel zum Liebhaben.<br />
Das Titelblatt 8/10 entspricht<br />
meinen geheimsten Wünschen!<br />
Danke, Funke!<br />
Diet<strong>er</strong> Strahl, Löbau<br />
Sie wollen auch mal <strong>er</strong>trinken?<br />
Die Nr. 8 ist Spitze, vom Titelbild<br />
angefangen bis zum Schluss.<br />
Reingard Reit<strong>er</strong>, Greiz<br />
D<strong>er</strong> Schluss ist uns<strong>er</strong>e Kontonumm<strong>er</strong><br />
(lange dran gearbeitet).<br />
Zu: »Hilfe, RTL«, Heft 7, S. 46<br />
Ihre treffliche Satire auf die Privatsend<strong>er</strong><br />
entspricht in vollstem<br />
Umfang dem, was ich p<strong>er</strong>sönlich<br />
von den völlig üb<strong>er</strong>flüssigen<br />
Dumm quotenjäg<strong>er</strong>n halte. Um<br />
primitiv- und vord<strong>er</strong>gründig<br />
denkende Anruf<strong>er</strong> zu locken (Ich<br />
weiß was!), schrecken sie vor<br />
nichts zurück, und nun gehen sie<br />
sogar schon an <strong>das</strong> Taschengeld<br />
von Kind<strong>er</strong>n.<br />
Roland Maul, Frankfurt (Od<strong>er</strong>)<br />
Hm ..., eigentlich eine gute Idee.<br />
Zu: »Uns<strong>er</strong>e Besten – D<strong>er</strong> einzig<br />
wahre Fußballgott«, Heft 8, S. 22<br />
Mit letztem Abpfiff d<strong>er</strong> WM habe<br />
ich meine Vorb<strong>er</strong>eitungen zur<br />
EM 2012 begonnen. Ich w<strong>er</strong>de dem<br />
Blatt<strong>er</strong> eine Abmahnung schicken.<br />
Mir schwebt da eine Summe von<br />
ca. 1 Mrd. Euro vor, die fällig wird,<br />
wenn <strong>er</strong> nochmals uns<strong>er</strong>e Kandisbunzl<strong>er</strong>in<br />
betatscht, <strong>das</strong> alte F<strong>er</strong>kel,<br />
igitt.<br />
W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Richt<strong>er</strong> p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Da gehören imm<strong>er</strong> zwei dazu.<br />
6 EULENSPIEGEL 9/10<br />
hat <strong>das</strong> Wort. Ab<strong>er</strong> nicht <strong>das</strong> letzte<br />
Da kann man noch so pointi<strong>er</strong>t<br />
od<strong>er</strong> empört schreiben, H<strong>er</strong>rn<br />
Blatt<strong>er</strong> wird’s nicht bewegen. Mich<br />
ab<strong>er</strong> bewegt die Frage, warum wegen<br />
des Friedensnobelpreises<br />
Schweden die Fußball-WM <strong>er</strong>halten<br />
sollte. Sie wissen doch, d<strong>er</strong> wird in<br />
Oslo v<strong>er</strong>geben und <strong>das</strong> gehört<br />
schon seit einig<strong>er</strong> Zeit zu ... Norwegen.<br />
Joachim Marczinke p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Ob d<strong>er</strong> Blatt<strong>er</strong> <strong>das</strong> weiß?<br />
Zu: »Mein Kind trinkt nur<br />
B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> Weiße«, Heft 8, S. 54<br />
Wenn ich auch befürchte,<br />
die Realität ist noch weitaus<br />
peinlich<strong>er</strong>, <strong>er</strong>laubte ich mir, trotz<br />
d<strong>er</strong> schlimmen Sachlage, in wahre<br />
Schreikrämpfe auszubrechen.<br />
Das war kein Lachen mehr. Das<br />
war mehr ein böses, nach Luft<br />
schnappendes Röcheln.<br />
Will sagen, als Fan Jochen-<br />
Pet<strong>er</strong>sdorf<strong>er</strong>-Schmank<strong>er</strong>ln bohrte<br />
sich Frauke Baldrich-Brümm<strong>er</strong><br />
treffsich<strong>er</strong> in diesen B<strong>er</strong>eich. Ich<br />
hatte mich schon mit d<strong>er</strong> Schwest<strong>er</strong><br />
d<strong>er</strong> Erzähl<strong>er</strong>in angefreundet,<br />
da will sie zu »Wetten, <strong>das</strong>s ...«?<br />
>Darf’s von dies<strong>er</strong> Kost etwas<br />
mehr sein?< Ab<strong>er</strong> hallo!<br />
Rain<strong>er</strong> Welzel p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Geschmacksache!<br />
Zu: »Vat<strong>er</strong>, halte stand!«,<br />
Heft 8, S. 20<br />
Die antikommunistische Mär von<br />
d<strong>er</strong> Seelenv<strong>er</strong>wandtschaft von<br />
katholisch<strong>er</strong> Kirche und kommunistisch<strong>er</strong><br />
Partei ist uralt. Ihre Wied<strong>er</strong>aufb<strong>er</strong>eitung<br />
ab<strong>er</strong> neu und originell.<br />
Frei nach dem Motto, von<br />
d<strong>er</strong> Nied<strong>er</strong>lage des Sozialismus l<strong>er</strong>nen<br />
heißt siegen l<strong>er</strong>nen – genau<strong>er</strong><br />
gesagt, üb<strong>er</strong>leben l<strong>er</strong>nen –, wird<br />
d<strong>er</strong> Papst dazu <strong>er</strong>mahnt, ein ähnliches<br />
Schicksal von d<strong>er</strong> Kirche abzuwenden.<br />
Unbeteiligte Les<strong>er</strong> ab<strong>er</strong><br />
fragen sich gewiss, ob <strong>das</strong> noch<br />
Satire ist.<br />
Dr. Hans Schulze, B<strong>er</strong>lin<br />
Das kommt oft vor.<br />
Zu: FUNZEL, »Emanzipation? Von<br />
wegen!«, Heft 8, Seite 50<br />
Frauenunt<strong>er</strong>drückung und Sprache?<br />
Nur auf den <strong>er</strong>sten Blick.<br />
Natürlich ist <strong>das</strong> Gegenteil d<strong>er</strong> Fall:<br />
die Liebe – d<strong>er</strong> Hass<br />
die Geburt – d<strong>er</strong> Tod<br />
die Schönheit – d<strong>er</strong> Hesse<br />
die Intelligenz – d<strong>er</strong> Trottel<br />
die Bildung – d<strong>er</strong> Proll<br />
die Titten – d<strong>er</strong> Sack<br />
Noch Fragen?<br />
K. v. Spreckelsen, Lübeck<br />
Die Les<strong>er</strong>briefschreib<strong>er</strong>in –<br />
d<strong>er</strong> Les<strong>er</strong>briefschreib<strong>er</strong>.<br />
Zur Abo-W<strong>er</strong>bung, Heft 7, S. 65<br />
Im Auftrag meines Mandanten ford<strong>er</strong>e<br />
ich Sie auf, Schadens<strong>er</strong>satz<br />
zu leisten. Aufgrund irreführend<strong>er</strong><br />
und in betrüg<strong>er</strong>isch<strong>er</strong> Absicht gestaltet<strong>er</strong><br />
W<strong>er</strong>bung <strong>er</strong>weckten Sie<br />
die Hoffnung in meinem Mandanten,<br />
<strong>das</strong>s ihm beim Abschluss eines<br />
Abonnements folgende V<strong>er</strong>schön<strong>er</strong>ungen<br />
wied<strong>er</strong>fahren: aufsteigende<br />
Augenbrauen, entspannte<br />
Nasenfaltensituation,<br />
weiche, schön geformte Kaumuskulatur<br />
und ein rundes Kinn. Dieses<br />
ist bis dato nicht eingetroffen.<br />
Zur Unt<strong>er</strong>mau<strong>er</strong>ung uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Ford<strong>er</strong>ung<br />
habe ich ein Bild meines<br />
Mandanten beigelegt.<br />
Ralph Häuß <strong>er</strong>mann p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Und wie sah <strong>er</strong> vor dem Abo aus?<br />
Zu: »D<strong>er</strong> Freiheit eine Bohne«,<br />
Heft 8, Seite 32<br />
Rob<strong>er</strong>t Niemann behauptet, in<br />
d<strong>er</strong> DDR wären Aub<strong>er</strong>ginen wie<br />
simple UFOs betrachtet worden.<br />
Also Utopie. Wahrscheinlich war <strong>er</strong><br />
da noch in den Windeln. Denn<br />
diese UFOs gab es in den 50<strong>er</strong> Jahren<br />
sogar in d<strong>er</strong> Dresdn<strong>er</strong> Markthalle<br />
und im Wohnheimkonsum als<br />
bulgarische Kons<strong>er</strong>ve in Gläs<strong>er</strong>n,<br />
sozusagen »to go«. Hahaha!<br />
Ernst Rohn<strong>er</strong>, DDR-Bürg<strong>er</strong> a.D.,<br />
Hannov<strong>er</strong><br />
Aub<strong>er</strong>ginen to go? Das schafft d<strong>er</strong><br />
Westen nie!<br />
Ich bitte Sie dringend, ein neues<br />
Präsi-Post<strong>er</strong> h<strong>er</strong>auszubringen. Ich<br />
möchte in meinem Büro den Neuen<br />
neben den Alten hängen.<br />
Was danach geschah<br />
Eu<strong>er</strong> treu<strong>er</strong> Abonnent seit 1974.<br />
(Ich war damals bei d<strong>er</strong> Post und<br />
hatte somit Beziehungen. Heute<br />
braucht man and<strong>er</strong>e, die ich nicht<br />
habe, sonst wär’ ich vielleicht Bu-<br />
Prä geworden.)<br />
Udo Ulbrich p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Den Neuen hat Funke schon v<strong>er</strong>sucht.<br />
H<strong>er</strong>aus kommt imm<strong>er</strong> »Kind<strong>er</strong>popo<br />
mit Goldrandbrille«. Können<br />
wir unmöglich drucken.<br />
Zu: »Lebt eigentlich Jürgen Bogs<br />
noch?«, Heft 8, Seite 11<br />
Jetzt habt Ihr es geschafft. Ihr<br />
habt mich <strong>er</strong>wischt. Dabei war ich<br />
so gewissenhaft, bildungshungrig<br />
und aufgeschlossen allem gegenüb<strong>er</strong>,<br />
was von Ost nach West<br />
schwapp te: W<strong>er</strong> zum Kuckuck ist,<br />
war und wird gewesen sein – Jürgen<br />
Bogs? Erklärt es mir od<strong>er</strong> v<strong>er</strong>weist<br />
mich an jemanden, d<strong>er</strong> helfen<br />
kann.<br />
G<strong>er</strong>d Gensmann, Duisburg<br />
An Rob<strong>er</strong>t Niemann.<br />
Was ist bloß mit W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Klopsteg<br />
los? Zwei Eulen ohne seinen<br />
Les<strong>er</strong>brief? Ihm wird doch<br />
nichts passi<strong>er</strong>t sein!<br />
Günt<strong>er</strong> Reinhardt, Meiß en<br />
Nein. Siehe unten.<br />
Zu: »Poldi, Poldi, halleluja!«,<br />
Heft 8, S. 12<br />
Ernst Röhl exp<strong>er</strong>imenti<strong>er</strong>t mit<br />
dem Unwort »Schland«. Ab<strong>er</strong><br />
w<strong>er</strong> od<strong>er</strong> was ist »Schland«? Ist<br />
Röhl etwa ein Schlandrian? Eine<br />
b<strong>er</strong>echtigte Frage an die »Schland-<br />
Eule«! Od<strong>er</strong> den Schlandspiegel.<br />
W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Klopsteg, B<strong>er</strong>lin<br />
Pass auf Dich auf, W<strong>er</strong>n<strong>er</strong>!<br />
Ich lese <strong>jetzt</strong> seit 10 Jahren den<br />
<strong>Eulenspiegel</strong>. Wann bekomme ich<br />
mein Geschenk?<br />
Christoph Cavazzini p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Das wollten wir eigentlich<br />
Sie fragen!<br />
Den Vogel von Wahn & Sinn (Entwurf:<br />
Heike Drewelow) hat Wolfgang<br />
Hill aus Dresden üb<strong>er</strong>lebensgroß<br />
in Eiche geschnitzt und<br />
sein<strong>er</strong> Gattin v<strong>er</strong>ehrt. Diese lehnte<br />
ihn voll<strong>er</strong> Freude aus Platzgründen<br />
ab. Eines Tages fuhr ein Schw<strong>er</strong> -<br />
transport<strong>er</strong> auf dem Hof des <strong>Eulenspiegel</strong><br />
vor …<br />
Danke, H<strong>er</strong>r Hill! Die Begeist<strong>er</strong>ung<br />
war riesig! Inzwischen ha -<br />
ben wir Ihr W<strong>er</strong>k d<strong>er</strong> deutschen Öffentlichkeit<br />
üb<strong>er</strong>geben. D<strong>er</strong> Regi<strong>er</strong>ende<br />
Bürg<strong>er</strong>meist<strong>er</strong> lässt Sie<br />
h<strong>er</strong>z lich grüßen.
Anzeige
ENDLICH! Keine F<strong>er</strong>ien!<br />
Im Urlaub hat die Kanzl<strong>er</strong>in einen 3-Punkte-Plan zur<br />
Rettung d<strong>er</strong> Regi<strong>er</strong>ung auf einem Briefumschlag noti<strong>er</strong>t,<br />
den sie neulich, als sie ihren <strong>Eulenspiegel</strong> in d<strong>er</strong><br />
Redaktion abholte, »v<strong>er</strong>sehentlich« auf dem Schirmständ<strong>er</strong><br />
liegen ließ.<br />
Von uns<strong>er</strong>em<br />
Hauptstadt-<br />
Korrespondenten<br />
Atze<br />
Svoboda<br />
Nussig<br />
Die Wahrheit kann auch einmal kurz und<br />
bündig sein. Wie viel Häme wurde schon<br />
üb<strong>er</strong> Guido West<strong>er</strong>welle ausgegossen, tonnenweise<br />
Hämeglobin! Ausg<strong>er</strong>echnet <strong>jetzt</strong>,<br />
wo <strong>er</strong> von keinem in B<strong>er</strong>lin mehr für voll<br />
genommen wird, läuft <strong>er</strong> zu groß<strong>er</strong> Form<br />
auf. Ich war bei sein<strong>er</strong> <strong>er</strong>sten (einzigen?)<br />
Pressekonf<strong>er</strong>enz als amti<strong>er</strong>end<strong>er</strong> Bundeskanzl<strong>er</strong><br />
dabei, während die Chefin im Urlaub<br />
weilte: Er roch gut – nussig und leicht<br />
säu<strong>er</strong>lich – ich saß ganz vorn. Er blinzelte<br />
mir bübisch zu. Er hat stahlblaue Augen.<br />
Unt<strong>er</strong> seinem feinen Anzug spannten sich<br />
die Sehnen, die Muskeln, die Seele ... Aus<br />
seinem Munde kamen gute, duftende, humorsaftende<br />
Bem<strong>er</strong>kungen. Dann sah <strong>er</strong><br />
nochmals zu mir h<strong>er</strong>üb<strong>er</strong>, weil mir ein Träg<strong>er</strong><br />
meines Muscleshirts auf den Ob<strong>er</strong>arm<br />
g<strong>er</strong>utscht war und ein Stück mein<strong>er</strong> muskulösen<br />
Brust freigelegt hatte. Wie peinlich!<br />
Ich <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>te mich des Credos des unv<strong>er</strong>gesslichen<br />
Hajo Friedrichs: Ein Journalist<br />
soll sich mit kein<strong>er</strong> Sache gemein machen,<br />
auch nicht mit d<strong>er</strong> schönsten, auch<br />
nicht, wenn sie Guido heißt.<br />
D<strong>er</strong> Unt<strong>er</strong>schied zu<br />
Brüd<strong>er</strong>le<br />
Niebel richtet den Schaden<br />
draußen an.<br />
Nel<br />
Phantasielosigkeit<br />
Im Zuge d<strong>er</strong> Neuregelung d<strong>er</strong><br />
Hartz-IV-Sätze prüft man ihre<br />
Kopplung an Renten, Löhne od<strong>er</strong><br />
die Inflationsrate. Eine Kopplung<br />
an die Rendite d<strong>er</strong> Deutschen<br />
Bank ist nicht im Gespräch.<br />
Ove Lieh<br />
FUSSBALL-WM ÖFTER. Weil die<br />
WM 2006 und 2010 die deutsche<br />
Wirtschaft g<strong>er</strong>ettet haben,<br />
hat sich die Kanzl<strong>er</strong>in bei Blatt<strong>er</strong><br />
(<strong>er</strong> üb<strong>er</strong> sie: »ein Teufelsweib!«,<br />
sie üb<strong>er</strong> ihn: »ein Bonze<br />
wie aus alten Zeiten!«) dafür<br />
stark gemacht, <strong>das</strong>s alle zwei<br />
Jahre ein Somm<strong>er</strong>märchen<br />
stattfindet, abwechselnd in<br />
Duisburg und in B<strong>er</strong>lin. Die FDP<br />
reagi<strong>er</strong>te sofort. Gen<strong>er</strong>alsekretär<br />
Lindn<strong>er</strong> ließ üb<strong>er</strong> seinen<br />
Sprech<strong>er</strong> West<strong>er</strong>welle v<strong>er</strong>lauten,<br />
<strong>das</strong>s anstrengungslose<br />
»Brot und Spiele« zum vollständigen<br />
Nied<strong>er</strong>brennen Roms geführt<br />
hätten. M<strong>er</strong>kel rechnet mit<br />
1 Million neuen Arbeitsplätzen<br />
bei Flaggennäh<strong>er</strong>innen, Großbildschirmv<strong>er</strong>käuf<strong>er</strong>n,<br />
Tröten-<br />
H<strong>er</strong>stell<strong>er</strong>n und Brau<strong>er</strong>eien.<br />
RÜCKTRITTSVERBOT MIT<br />
RÜCKFETTENDER WIRKUNG.<br />
Um dem Brain-Drain (Hirnabwand<strong>er</strong>ung)<br />
d<strong>er</strong> Union einen<br />
Riegel vorzuschieben, darf niemand<br />
mehr umfallen. Vor allem<br />
nicht Wolfgang Schäuble,<br />
d<strong>er</strong> b<strong>er</strong>eits bewiesen hat, <strong>das</strong>s<br />
<strong>er</strong> auch liegend kann, und Eri -<br />
ka Steinbach. Bei Zuwid<strong>er</strong>handlung<br />
wird Schäuble in ein<br />
Krankenhaus nach Rösl<strong>er</strong>s<br />
Wahl und Steinbach nach Polen<br />
abgeschoben. Rösl<strong>er</strong> muss<br />
sich bei Rücktritt nach dem<br />
Hausarztprinzip (Krankheiten,<br />
die nicht in Ruhe gelassen w<strong>er</strong>den,<br />
führen zum Tode) ehrenhaft<br />
selb<strong>er</strong> richten.<br />
KABINETTSUMBILDUNG.<br />
Ramsau<strong>er</strong> (Spitzname »Michel<br />
Glos«) und Aign<strong>er</strong> w<strong>er</strong>den Guttenb<strong>er</strong>gs<br />
Ob<strong>er</strong>befehl unt<strong>er</strong>stellt.<br />
Aign<strong>er</strong> soll unauffällig<br />
ihre Untätigkeit fortsetzen und<br />
Ramsau<strong>er</strong> soll grammatikalisch<br />
weit<strong>er</strong> an seinem Lieblingssatz<br />
feilen: »Auch bei minus 40 Grad<br />
sollen alle Züge fahren, genauso<br />
wie bei plus 40 Grad und<br />
allem, was dazwischen liegt.«<br />
Um den politischen Gegn<strong>er</strong> zu<br />
v<strong>er</strong>wirren, wird Dirk Niebel Minist<strong>er</strong><br />
für Frauen und Familie<br />
und <strong>er</strong>klärt umgehend, <strong>das</strong>s <strong>er</strong><br />
dieses Ressort eigentliche für<br />
üb<strong>er</strong>flüssig hält. Pofalla bleibt<br />
im Kanzl<strong>er</strong>amt. Jedoch nicht<br />
mehr als Kanzl<strong>er</strong>amtsminist<strong>er</strong>,<br />
sond<strong>er</strong>n als Luftbefeucht<strong>er</strong><br />
bzw. als künftig<strong>er</strong> Zählkandidat<br />
für <strong>das</strong> Präsidentenamt, falls<br />
Wulff ein Vät<strong>er</strong>jahr einlegt.<br />
Hans-Christian Mrowietz<br />
Andreas Prüstel<br />
8 EULENSPIEGEL 9/10
Zeit ansagen<br />
Int<strong>er</strong>nationale Solidarität<br />
Die Kuban<strong>er</strong> wollen ein bisschen Kapitalismus einführen.<br />
Wir könnten davon g<strong>er</strong>n etwas abgeben.<br />
OL<br />
Es geht aufwärts<br />
D<strong>er</strong> Aufschwung <strong>er</strong>reicht endlich<br />
auch die Kommunen. So sollen Nied<strong>er</strong>würzbach<br />
in Ob<strong>er</strong>unt<strong>er</strong>würzbach<br />
und Unt<strong>er</strong>schleißheim in Mittelschleißheim<br />
umbenannt w<strong>er</strong>den.<br />
Michael Kais<strong>er</strong><br />
Laufen ist gesund!<br />
In d<strong>er</strong> Reaktorfrage plädi<strong>er</strong>t die Bundesregi<strong>er</strong>ung<br />
<strong>jetzt</strong> doch für läng<strong>er</strong>e<br />
Laufzeiten. Ein Regi<strong>er</strong>ungssprech<strong>er</strong><br />
empfahl: »Im Falle eines Reaktorunfalls<br />
ist es <strong>das</strong> Beste, so lange und<br />
weit wie möglich zu laufen.« MK<br />
Trost für Besitzlose<br />
Einen Ölkonz<strong>er</strong>n zu besitzen macht<br />
auch Probleme.<br />
OL<br />
Gegen den Strom<br />
Die Grünen w<strong>er</strong>fen den En<strong>er</strong>giekonz<strong>er</strong>nen<br />
vor, Stromgebühren von<br />
mehr als ein<strong>er</strong> Milliarde Euro zu Unrecht<br />
von den V<strong>er</strong>brauch<strong>er</strong>n eingeford<strong>er</strong>t<br />
zu haben. Um die negativen<br />
Imageschäden dies<strong>er</strong> Äuß<strong>er</strong>ung finanziell<br />
wied<strong>er</strong> ausgleichen zu können,<br />
sehen sich die Stromkonz<strong>er</strong>ne<br />
nun gezwungen, üb<strong>er</strong> Preis<strong>er</strong>höhungen<br />
nachzudenken.<br />
MK<br />
Schlachtruf des Lib<strong>er</strong>alismus:<br />
»Freiheit, Gleichheit, Brüd<strong>er</strong>le!«<br />
OL<br />
Burkhard Fritsche<br />
Jan Tomaschoff<br />
Wikileaks hat uns die Augen geöffnet!<br />
• Im Krieg st<strong>er</strong>ben Feinde und<br />
d<strong>er</strong>en V<strong>er</strong>wandte, manchmal<br />
ab<strong>er</strong> auch Menschen. Die<br />
kommen dann aus Chicago,<br />
Bad Oeynhausen od<strong>er</strong> Suhl.<br />
• Napalm ist nicht dufte, obwohl<br />
es zur Hälfte aus Seife besteht.<br />
• Im Krieg wird die Freiheit v<strong>er</strong>teidigt,<br />
zumeist entlang von<br />
Flüssen und Gebirgen (Maas,<br />
Memel, Hindukusch).<br />
• Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
kommt d<strong>er</strong> Dritte.<br />
• »Ohne Krieg gäbe es keinen Frieden,<br />
ohne Hitl<strong>er</strong> keinen Gandhi«<br />
ist ein prima Einwurf, um Kirchentag-Workshops<br />
in einem Tumult<br />
enden zu lassen.<br />
• W<strong>er</strong> den Krieg nicht v<strong>er</strong>passen<br />
will, sollte früh aufstehen, am besten<br />
so um Vi<strong>er</strong>tel vor sechs.<br />
• »Rambo«, »Missing in Action«<br />
und selbst »Saving Private Ryan«<br />
sind Spielfilme. »M.A.S.H.« hingegen<br />
ist ein Dokumentarfilm.<br />
• »Soldaten sind Mörd<strong>er</strong>« ist ein<br />
Zitat von Kurt Tucholsky.<br />
Michael Stein<br />
Wie man<br />
<strong>das</strong> rechnet<br />
Die Univ<strong>er</strong>sität Friedrichshafen<br />
war bislang durch<br />
ihren lustigen Namen auffällig<br />
geworden – Zeppelin-Univ<strong>er</strong>sität.<br />
Ihrem Namen v<strong>er</strong>pflichtet,<br />
<strong>er</strong>forscht sie auch<br />
die DDR – auch ein abgestürztes<br />
Flugobjekt. Die eingängige<br />
These d<strong>er</strong> Wissenschaftl<strong>er</strong>:<br />
Je töt<strong>er</strong> die DDR, desto<br />
bös<strong>er</strong>. Wenn es z.B. die Stasi<br />
nicht gegeben hätte, wäre die<br />
Arbeitslosigkeit in den ostdeutschen<br />
Länd<strong>er</strong>n x Prozent<br />
g<strong>er</strong>ing<strong>er</strong>. Wie man <strong>das</strong> rechnet?<br />
Na, so: Die Zahl Langzeitarbeitslos<strong>er</strong><br />
teilt man<br />
durch die Zahl d<strong>er</strong> enttarnten<br />
IM des MfS und gewinnt damit<br />
die absolute Zahl von Arbeitslosen,<br />
die direkt auf <strong>das</strong><br />
Konto d<strong>er</strong> Stasi gehen.<br />
Das funktioni<strong>er</strong>t. Die Zahl<br />
d<strong>er</strong> Unfälle im Straßenv<strong>er</strong>kehr,<br />
d<strong>er</strong> Fehlgeburten, d<strong>er</strong> Insolvenzen,<br />
d<strong>er</strong> Leichenschändungen,<br />
d<strong>er</strong> Alkoholv<strong>er</strong>giftungen<br />
und d<strong>er</strong> Suizide in Ostdeutschland<br />
– für all <strong>das</strong> ist<br />
zu einem gewissen Prozentsatz<br />
die Stasi v<strong>er</strong>antwortlich,<br />
wenn man den Stasifaktor<br />
rechn<strong>er</strong>isch einbezieht.<br />
Das gilt auch für Dinge, an<br />
denen Mangel h<strong>er</strong>rscht. Da<br />
muss man all<strong>er</strong>dings Subtrahi<strong>er</strong>en.<br />
So ist die Zahl d<strong>er</strong> Organspenden<br />
pro Kopf im Osten<br />
signifikant g<strong>er</strong>ing<strong>er</strong> als im Westen.<br />
Wie man <strong>das</strong> rechnet? Na,<br />
so: Organspende-Westw<strong>er</strong>t minus<br />
Zahl d<strong>er</strong> IM gleich Zahl d<strong>er</strong><br />
Organspenden im Osten.<br />
So, und nun sind die Les<strong>er</strong><br />
gefragt: In Ostdeutschland<br />
gibt es pro Kopf zu viele Spaß -<br />
bäd<strong>er</strong>, die den Haushalt d<strong>er</strong><br />
Kommunen belasten. Wie<br />
viele davon v<strong>er</strong>schuldete die<br />
Stasi – und wie haben Sie <strong>das</strong><br />
g<strong>er</strong>echnet?<br />
Mathias Wedel<br />
Plagiat!<br />
Beobachtungsturm »BT 11«<br />
Copyright: Grenztruppen<br />
d<strong>er</strong> DDR ab 1966<br />
Billig<strong>er</strong> Nachbau:<br />
Google-Streetview,<br />
ab 2008<br />
Michael Garling<br />
EULENSPIEGEL 9/10 9
Zeit ansagen<br />
Für alle Fälle<br />
D<strong>er</strong> M<strong>er</strong>cedes von Aldi-Gründ<strong>er</strong> Theo Albrecht<br />
wurde v<strong>er</strong>kauft. Das Auto ist mit Sich<strong>er</strong>heitsextras<br />
ausgestattet: Im Koff<strong>er</strong>raum befanden sich ein Karton<br />
Texas-Eintopf und zwei Paletten Dosenbi<strong>er</strong>.<br />
MS<br />
Regelungsbedarf<br />
Nach div<strong>er</strong>sen Volksentscheiden<br />
soll die Demokratie<br />
neu g<strong>er</strong>egelt w<strong>er</strong>den. Krit<strong>er</strong>ium<br />
wird d<strong>er</strong> Intelligenztest<br />
sein, dem sich alle<br />
Wahlb<strong>er</strong>echtigten unt<strong>er</strong>w<strong>er</strong>fen<br />
müssen. Bislang gibt es<br />
zwei Konzepte: Das eine<br />
sieht vor, Dumme von<br />
Wahlen und Volksentscheiden<br />
zu befreien. Das and<strong>er</strong>e<br />
sieht vor, <strong>das</strong>s Dumme ihr<br />
eigenes Parlament wählen<br />
können (<strong>das</strong> »Parlament d<strong>er</strong><br />
Dummen«) und bei Volksentscheiden<br />
nur für die<br />
Dummen (und vielleicht für<br />
die Ossis) voti<strong>er</strong>en dürfen.<br />
Die Todesstrafe, für die sich<br />
diese Bevölk<strong>er</strong>ungsgruppe<br />
voraussichtlich entscheiden<br />
wird, gilt dann nur für Leute<br />
mit einem IQ unt<strong>er</strong> 90 (und<br />
Ossis). Matti Friedrich<br />
Postmod<strong>er</strong>ne<br />
Früh<strong>er</strong> mussten E-Mails vom Briefträg<strong>er</strong><br />
ausgetragen w<strong>er</strong>den. Im Comput<strong>er</strong>zeitalt<strong>er</strong><br />
w<strong>er</strong>den alle E-Mails durch Telefonkabel<br />
v<strong>er</strong>schickt, weil die Postboten mit den W<strong>er</strong>bebroschüren<br />
alle Hände voll zu tun haben.<br />
Ab<strong>er</strong> wie oft biegt eine E-Mail falsch ab<br />
od<strong>er</strong> bleibt stecken, weil sie zu dick ist!<br />
Dazu lau<strong>er</strong>n üb<strong>er</strong>all Wegelag<strong>er</strong><strong>er</strong> den Mails<br />
auf und lesen sie heimlich.<br />
Wie gut, <strong>das</strong>s es <strong>jetzt</strong> einen sich<strong>er</strong>en Schutz<br />
für elektronische E-Mails gibt: Die E-Mail<br />
schreiben, ausdrucken, in den Briefumschlag<br />
stecken, franki<strong>er</strong>en und zur Post<br />
bringen. Nicht v<strong>er</strong>gessen, »E-Mail« auf den<br />
Umschlag zu schreiben und dann geht die<br />
Post ab!<br />
Dieses V<strong>er</strong>fahren heißt E-Postbrief und soll<br />
so lange beibehalten w<strong>er</strong>den, bis die alten<br />
Rohrpostv<strong>er</strong>bindungen wied<strong>er</strong> flott gemacht<br />
sind und d<strong>er</strong> R(ohrpost)-Brief den E-<br />
Brief ablösen kann.<br />
Kriki<br />
L<strong>er</strong>nen für <strong>das</strong> Leben<br />
In Bay<strong>er</strong>n ist man noch weit<strong>er</strong>.<br />
Dort hat man die h<strong>er</strong>kömmlichen<br />
Erziehungsmaßnahmen<br />
wie Tadel und V<strong>er</strong>weis<br />
durch die elektronische<br />
Fußfessel <strong>er</strong>setzt. Das Kultusminist<strong>er</strong>ium<br />
in München<br />
prüft nun, ob <strong>das</strong> Ding unt<strong>er</strong><br />
Lehrmittelfreiheit fällt od<strong>er</strong><br />
ob eine Benutzungsgebühr<br />
von den Elt<strong>er</strong>n des Delinquenten<br />
<strong>er</strong>hoben wird. Da<br />
d<strong>er</strong> Einsatz von Nacktscann<strong>er</strong>n<br />
teu<strong>er</strong> ist, bleibt d<strong>er</strong>en<br />
Einsatz zunächst auf die<br />
Schulen beschränkt, die<br />
dringenden Bedarf angemeldet<br />
haben – wie Odenwaldschule<br />
od<strong>er</strong> Klost<strong>er</strong> Ettal.<br />
Jan Frehse<br />
Nur konsequent<br />
Bundesjustizminist<strong>er</strong>in Leutheuss<strong>er</strong>-Schnarrenb<strong>er</strong>g<strong>er</strong><br />
scheint nun doch vom Einsatz<br />
d<strong>er</strong> Fußfesseln im Strafvollzug<br />
abzurücken. Stattdessen<br />
sollen die b<strong>er</strong>eits bestellten<br />
Fußfesseln genutzt w<strong>er</strong>den,<br />
um den Abgeordneten des<br />
Deutschen Bundestages <strong>das</strong><br />
Schwänzen von Plenarsitzungen<br />
zu <strong>er</strong>schw<strong>er</strong>en. MK<br />
Ganzheitlich geheilt<br />
Krankenv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ungen sollen weit<strong>er</strong>hin homöopathische<br />
Medikamente bezahlen dürfen. Homöopathie<br />
funktioni<strong>er</strong>t auch bei Pharmaunt<strong>er</strong>nehmen: Schon<br />
viele kleine Dosen genügen, um sich gesundzustoßen.<br />
W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Lutz<br />
Andreas Prüstel<br />
D<strong>er</strong> Ball rollt wied<strong>er</strong> in Schlaand, d<strong>er</strong><br />
Heimat des Vizevizeweltmeist<strong>er</strong>s!<br />
Stolz präsenti<strong>er</strong>en altvord<strong>er</strong>e V<strong>er</strong>eine<br />
ihre frisch <strong>er</strong>worbenen Gebrauchtstars<br />
Raúl und Ballack.<br />
Ab<strong>er</strong> was ist <strong>das</strong>? Kommt <strong>jetzt</strong> bald<br />
Ronaldo nach Nürnb<strong>er</strong>g, od<strong>er</strong> Zidane<br />
nach Frankfurt? Die Liga, <strong>jetzt</strong> eine Art<br />
Jurassic Park für Kickosauri<strong>er</strong> aus<br />
dem Kahnozän? Wird die Eintrittskarte<br />
<strong>jetzt</strong> zur Museumskarte umgewidmet,<br />
gar bezuschusst aus den<br />
Töpfen für Kultur und Bildung?<br />
Mit dem Altgouda van Nistelrooy in<br />
Hamburg od<strong>er</strong> d<strong>er</strong> finnischen Moorleiche<br />
Hyypiä begründet die Bundesliga<br />
einen Trend, d<strong>er</strong> Schule machen<br />
könnte: Im Tausch gegen<br />
junge, mit unabwägbar<strong>er</strong> Karri<strong>er</strong>e-<br />
Prognose behaftete migrationshint<strong>er</strong>begründete<br />
Mitbürg<strong>er</strong> wie den<br />
Stuttgart<strong>er</strong> Sami Khedira bekommen<br />
wir hochkultivi<strong>er</strong>te EU-Bürg<strong>er</strong>,<br />
die in ihren Sippen stabil sozial<br />
v<strong>er</strong>netzt sind, wie <strong>das</strong> spanische<br />
Volksdenkmal Raúl. Die können<br />
sich – in den Kad<strong>er</strong>n uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Erstligisten<br />
betreut – in den Ruhestand<br />
kicken.<br />
Wenn man dieses Prinzip in den Bildungsb<strong>er</strong>eich<br />
üb<strong>er</strong>tragen würde,<br />
könnte man ganze schw<strong>er</strong><strong>er</strong>ziehbare<br />
Schül<strong>er</strong>schaften aus B<strong>er</strong>lin-Neukölln<br />
gegen die Lehrkörp<strong>er</strong> von Cambridge<br />
od<strong>er</strong> Harvard tauschen. Rentn<strong>er</strong><br />
mit Kohle statt kostspielig<strong>er</strong><br />
D<strong>er</strong> Club d<strong>er</strong> eld<strong>er</strong> Feldman<br />
Jungspunde mit unsich<strong>er</strong><strong>er</strong> Steu<strong>er</strong>entwicklung.<br />
Weg mit dem Jungvolk,<br />
h<strong>er</strong> mit den Golden Ag<strong>er</strong>n!<br />
Ballack setzt mit sein<strong>er</strong> Rückkehr<br />
auch <strong>das</strong> richtige Signal an den Arbeitsmarkt:<br />
Wir Alten sind noch zu<br />
was zu gebrauchen! Zumindest als<br />
Vorbild. Denn mit dem <strong>er</strong>reichen<br />
von sportlichen Zielen kann <strong>das</strong> alles<br />
nichts zu tun haben. Niemand<br />
glaubt <strong>er</strong>nsthaft, <strong>das</strong>s Schalke die<br />
Gruppenphase d<strong>er</strong> CL üb<strong>er</strong>lebt od<strong>er</strong><br />
Lev<strong>er</strong>kusen jemals einen Titel gewinnt.<br />
Bleibt die Frage nach d<strong>er</strong> Motivation<br />
d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>eine, so viel Geld für<br />
Gruftis auszugeben.<br />
Bei Schalke fällt die Antwort leicht.<br />
W<strong>er</strong> will schon in Gelsenkirchen arbeiten?<br />
Jemand, d<strong>er</strong> <strong>das</strong> Leben noch<br />
vor sich hat, sich<strong>er</strong>lich nicht. Bei<br />
Bay<strong>er</strong> 04 munkelt man von medizinischen<br />
Exp<strong>er</strong>imenten am lebenden<br />
Objekt und phänomenalen Entdeckungen<br />
auf dem Gebiet d<strong>er</strong> G<strong>er</strong>ontologie.<br />
Was auch imm<strong>er</strong> d<strong>er</strong><br />
Grund sein mag, die Liga braucht<br />
bei anhaltend<strong>er</strong> Entwicklung bald<br />
einen neuen Slogan: »Bundesliga –<br />
hi<strong>er</strong> ruht d<strong>er</strong> Ball!«<br />
10 EULENSPIEGEL 9/10
Anonym<br />
Um Diskrimini<strong>er</strong>ung in Zukunft zu<br />
v<strong>er</strong>hind<strong>er</strong>n, möchte Familienminist<strong>er</strong>in<br />
Kristina Schröd<strong>er</strong>, <strong>das</strong>s Bew<strong>er</strong>bungen,<br />
die an ihr Minist<strong>er</strong>ium g<strong>er</strong>ichtet<br />
sind, komplett anonymisi<strong>er</strong>t<br />
w<strong>er</strong>den: kein Name, keine Angaben<br />
zu Geschlecht, Alt<strong>er</strong> und Blutgruppe.<br />
Ab<strong>er</strong> ist den Arbeitsuchenden damit<br />
wirklich geholfen od<strong>er</strong> <strong>er</strong>kennt man<br />
ohnehin, w<strong>er</strong> sich hi<strong>er</strong> bewirbt?<br />
Sehr geehrte Damen,<br />
hi<strong>er</strong>mit sende ich Ihnen meine Initiativbew<strong>er</strong>bung<br />
als Frauenbeauftragt<strong>er</strong> od<strong>er</strong><br />
-te in Ihrem Hause. Während mein<strong>er</strong> bish<strong>er</strong>igen<br />
Tätigkeiten konnte ich unt<strong>er</strong>schiedlichste<br />
Erfahrungen auf dem Gebiet<br />
d<strong>er</strong> sozialen Frauenarbeit sammeln<br />
und würde mich freuen, nun in Ihr Mi -<br />
nist<strong>er</strong>ium einzudringen. Durch meine<br />
langjährigen Erfahrungen kann ich mehr<strong>er</strong>e<br />
Fälle gleichzeitig bearbeiten und<br />
könnte meine Leistungen auf diesem<br />
Gebiet durch Erweit<strong>er</strong>ung meines SIM-<br />
Karten-Speich<strong>er</strong>s noch optimi<strong>er</strong>en. Ich<br />
arbeite mit dem pädagogischen Konzept<br />
von Zuck<strong>er</strong>brot und Peitsche sowie Fesseln.<br />
Dabei habe ich mir vorgenommen,<br />
zukünftig vorsichtig<strong>er</strong> vorzugehen, und<br />
habe mir zur Illustri<strong>er</strong>ung meinen Bart<br />
od<strong>er</strong> Bartin abrasi<strong>er</strong>t. In mein<strong>er</strong> Freizeit<br />
bin ich g<strong>er</strong>ne draußen, auch bei<br />
schlechtem Wett<strong>er</strong>. Stellen Sie mich also<br />
ein und profiti<strong>er</strong>en Sie von meinem<br />
mess<strong>er</strong>scharfen V<strong>er</strong>stand.<br />
Mit freundlichem Grüezi<br />
Chiffre: Hochdruck-Gebiet<br />
Andreas Koristka<br />
Zahlenkünstl<strong>er</strong><br />
Dank d<strong>er</strong> Hartz-IV-Gesetze soll die Arbeitslosenzahl<br />
bis 2014 auf 1,84 Millionen Menschen sinken – und<br />
<strong>das</strong>, obwohl bis dahin mit Sich<strong>er</strong>heit jed<strong>er</strong> drei Jobs<br />
gleichzeitig brauchen wird, um üb<strong>er</strong> die Runden zu<br />
kommen.<br />
WL<br />
Nicht ohne Gebet!<br />
Sie wollen auch künftig Kind<strong>er</strong> im F<strong>er</strong>ienlag<strong>er</strong> betreuen? –<br />
Das sollten Sie wissen! Ratschläge groß<strong>er</strong> Pädagogen:<br />
Kind<strong>er</strong> sind von Natur aus<br />
neugi<strong>er</strong>ig, auch auf den eigenen<br />
Körp<strong>er</strong>, seine Bestandteile<br />
und Belastungsgrenzen.<br />
D<strong>er</strong> Anus gehört<br />
seit d<strong>er</strong> »analen Phase«<br />
zur Grundausrüstung ein<strong>er</strong><br />
F<strong>er</strong>ienfreizeit. (Sigmund<br />
Freud)<br />
Ein Kind weint manchmal.<br />
Wenn es jeden Tag<br />
von morgens bis abends<br />
weint, fragen wir nach ein<strong>er</strong><br />
Woche nach, ob es damit<br />
nicht aufhören kann,<br />
und geben ihm eine Woche<br />
Frist. Dann ist die Kind<strong>er</strong>freizeit<br />
zu Ende und <strong>das</strong><br />
Weichei kann seinen Elt<strong>er</strong>n<br />
was vorheulen. (B<strong>er</strong>nhard<br />
Bueb)<br />
Wenn es in ein<strong>er</strong> Gruppe<br />
laut zugeht (Kreischen,<br />
Schm<strong>er</strong> zensschreie, Beschimpfungen)<br />
spielen die<br />
lieben Kleinen meistens irgendetwas<br />
Schönes, und<br />
Nel<br />
wir sollten sie in frei<strong>er</strong> spiel<strong>er</strong>isch<strong>er</strong><br />
Form die Rangordnungen<br />
klären und ihre<br />
Üb<strong>er</strong>lebensfähigkeit <strong>er</strong>proben<br />
lassen. (Charles Darwin)<br />
Bei Mutproben, wie dem<br />
Einführen von Korken und<br />
Handys, sollte jed<strong>er</strong> mal<br />
drankommen – nach dem<br />
Kollektivprinzip »Jeden gewinnen,<br />
keinen zurücklassen«.<br />
(Margot Honeck<strong>er</strong>)<br />
In katholischen F<strong>er</strong>ienlag<strong>er</strong>n<br />
sind B<strong>er</strong>ührungen d<strong>er</strong><br />
Kind<strong>er</strong> durch Beauftragte<br />
d<strong>er</strong> Diözese undenkbar<br />
ohne anschließendes Gebet.<br />
(Papst)<br />
Bei Morgenappellen drohen<br />
wir V<strong>er</strong>rät<strong>er</strong>n mit dem<br />
Ausschluss aus d<strong>er</strong> Truppe<br />
und schwören einand<strong>er</strong> fei<strong>er</strong>lich<br />
strengstes Stillschweigen.<br />
(Baldur von<br />
Schirach / zu Guttenb<strong>er</strong>g)<br />
OL<br />
Lebt<br />
eigentlich<br />
ARNOLD VAATZ<br />
noch?<br />
Ja, <strong>er</strong> lebt noch! Auch in diesem Jahr gab <strong>er</strong><br />
uns ein Lebenszeichen: Im Juni sprach <strong>er</strong> im<br />
Bundestag. Es war, wie stets, d<strong>er</strong> 17. (Achtung,<br />
Arbeit<strong>er</strong>aufstand gegen den »Hitl<strong>er</strong> des Kommunismus«,<br />
Walt<strong>er</strong> Ulbricht!). Dazu <strong>er</strong>hob <strong>er</strong><br />
sich aus sein<strong>er</strong> Hint<strong>er</strong>bank und schleppte sich,<br />
keuchend und polt<strong>er</strong>nd wie ein LPG-Traktorist<br />
zum Pult.<br />
Geboren 1955 in Weida in Thüringen, war Vaatz<br />
zunächst jung<strong>er</strong> Lyrik<strong>er</strong> und <strong>er</strong>warb im theologischen<br />
F<strong>er</strong>nstudium den »Befähigungsnachweis<br />
zur freien Wortv<strong>er</strong>kündigung«. Er galt als Hoffnung<br />
d<strong>er</strong> CDU in Sachsen und wurde von Biedenkopf<br />
wegen Unfähigkeit in zahlreiche Ämt<strong>er</strong><br />
gelobt. So war <strong>er</strong> 1993 Schirmh<strong>er</strong>r des Musik -<br />
festivals »Schub<strong>er</strong>tiaden Schnackenburg«.<br />
Um 15:36 Uhr v<strong>er</strong>kündete <strong>er</strong> frei <strong>das</strong> Wort wie<br />
folgt: »Härr Präsident, meine särr v<strong>er</strong>ährrten Damen<br />
und H<strong>er</strong>ren, zunächst einmal muss man sagen,<br />
<strong>das</strong>s die Opf<strong>er</strong>pänsion schließlich gekommen<br />
ist, ist ein groß<strong>er</strong> Erfolg gewäsn, und wir<br />
sollten <strong>das</strong> auch nicht im Nachhinein grundsätzlich<br />
z<strong>er</strong>räden. Wir haben für 50 000 Leute, <strong>das</strong><br />
muss man sich einfach mal – äh – auf d<strong>er</strong><br />
Zunge z<strong>er</strong>gähn lassen, zwisch ... für 50 000<br />
Mänschen, die läng<strong>er</strong> als ein halbes Jahr in Haft<br />
gesässen haben, jed<strong>er</strong> einzelne – äh – eine An<strong>er</strong>kennung<br />
zustande gebracht, die sie regelmäßig<br />
auf ihrn Konto sähn und die ihn’n Stück<br />
– äh – ihres – ihres Bewusstseins äh zurück -<br />
gegibt, äh zurückgibt, <strong>das</strong>s d<strong>er</strong> Rächtstaat doch<br />
seine Vorkämpf<strong>er</strong> nicht v<strong>er</strong>gisst, und <strong>das</strong> halte<br />
ich für eine ganz, ganz wichtiges Signal. Auch –<br />
äh – auf die – äh – auf die – äh – Unwürdigkeit<br />
von – äh – schw<strong>er</strong>en Straftät<strong>er</strong>n, die – äh – sich<br />
auf d<strong>er</strong> and<strong>er</strong>en Seite all<strong>er</strong>dings auch die Krit<strong>er</strong>ien<br />
<strong>er</strong>füllen für die Opf<strong>er</strong>pension, <strong>er</strong>spar ich mir<br />
mal. Ich lehne es ab, <strong>das</strong>s die vielen Mänschen,<br />
die unschuldig eingespärrt wurden, irgendwie in<br />
Zusammenhang gebracht w<strong>er</strong>den mit solchen<br />
Mänschen. Das darf nicht sein und dafür müssen<br />
wirn Riegel vorschieben.«<br />
Um 15:45 setzte <strong>er</strong> sich wied<strong>er</strong>.<br />
MF<br />
www.cducsu.de<br />
EULENSPIEGEL 9/10 11
Zeit<br />
ansagen<br />
D<strong>er</strong> Aufruhr<br />
Deutsche Fassung<br />
Man soll nicht ung<strong>er</strong>echt sein und den richtigen<br />
Leuten die falschen Vorwürfe machen: Hätte man<br />
denn von Brüd<strong>er</strong>le Rösl<strong>er</strong>welle and<strong>er</strong>es <strong>er</strong>warten<br />
dürfen als <strong>das</strong>, was <strong>er</strong> macht, nämlich jedem<br />
geistesv<strong>er</strong>wandten Hotelbesitz<strong>er</strong> die Taschen zu<br />
füllen, während <strong>er</strong> dem doofen Rest des Landes<br />
nur die Taschen vollhaut? Na, also! Mutti tut ja<br />
– »Schritt für Schritt« – auch nix and<strong>er</strong>es als <strong>das</strong>,<br />
was wir von ihr kennen:<br />
1. Unvorteilhaft zugeschnitte Hosenanzüge tragen,<br />
2. Abwarten, 3. Zugucken, 4. Ausharren, 5.<br />
Auf sich b<strong>er</strong>uhen lassen. Da weiß man doch, was<br />
man nicht hat und ist vor unnütz steigendem<br />
Blutdruck sich<strong>er</strong>.<br />
And<strong>er</strong>s sieht die Sache bei denen aus, die so<br />
tun, als hätten sie die G<strong>er</strong>echtigkeit mit dem Löffelbagg<strong>er</strong><br />
gefressen – die Räch<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Zukurzgekommenen.<br />
Was tun die?<br />
D<strong>er</strong> schöne und edle Gew<strong>er</strong>kschaftsfürst Bsirske<br />
musste nach den jüngsten Sparmaßnahmen<br />
d<strong>er</strong> Regi<strong>er</strong>ung <strong>er</strong>st mal mehr<strong>er</strong>e Tage lang im<br />
Himmel üb<strong>er</strong> B<strong>er</strong>lin nach ein<strong>er</strong> Inspiration suchen.<br />
Eine saftige Polemik – da darf man nichts<br />
v<strong>er</strong>wackeln. Sodann fiel ihm spontan die nied<strong>er</strong>schmett<strong>er</strong>nde<br />
Anklage »Irrsinn!« ein. Er pumpte<br />
sich eine halbe Stunde lang vor dem Spiegel auf,<br />
lief bis aufs Arbeit<strong>er</strong>rot rot an und schmett<strong>er</strong>te<br />
<strong>das</strong> klassenkämpf<strong>er</strong>ische Wort dem St<strong>er</strong>n entgegen.<br />
Dann durfte <strong>er</strong> sich wied<strong>er</strong> hinlegen. Das<br />
tat <strong>er</strong> auch, in dem b<strong>er</strong>uhigenden Gefühl, <strong>das</strong>s<br />
es ja auß<strong>er</strong>dem schon eine Unt<strong>er</strong>schriftensammlung<br />
gegen die Regi<strong>er</strong>ung im Int<strong>er</strong>net gegeben<br />
hatte. So was ist mod<strong>er</strong>n, weil virtuell, kommt<br />
billig<strong>er</strong> als eine Demo (die vielen Winkelemente<br />
und Freigetränke!), und man kommt im Netz als<br />
Gew<strong>er</strong>kschaftsrevolutionär nicht so ins Schwitzen<br />
wie auf d<strong>er</strong> Barrikade.<br />
Das ist wohl auch seinem Geistesbrud<strong>er</strong> Somm<strong>er</strong><br />
vom DGB durch den Kopf gegangen. Und<br />
wenn dem was durch den Kopf geht, <strong>das</strong> dau<strong>er</strong>t.<br />
Dann rief <strong>er</strong> <strong>er</strong>st mal seinen Telefonjok<strong>er</strong> an.<br />
»Ein Dokument d<strong>er</strong> P<strong>er</strong>spektivlosigkeit« sei <strong>das</strong><br />
Sparpaket, <strong>er</strong>fuhr <strong>er</strong> dort. Und genau <strong>das</strong> äuß<strong>er</strong>te<br />
<strong>er</strong> auch. Sofort <strong>er</strong>hob sich ein Bibb<strong>er</strong>n, Winseln<br />
und Zähneklapp<strong>er</strong>n bei den Wirtschaftsbossen<br />
und ihr<strong>er</strong> FDP-V<strong>er</strong>wandtschaft. Mit ein<strong>er</strong> d<strong>er</strong>art<br />
scharfen Kriegs<strong>er</strong>klärung aus d<strong>er</strong> Gew<strong>er</strong>kschaftsstube<br />
hatten sie nicht g<strong>er</strong>echnet.<br />
Das war d<strong>er</strong> Funke, aus dem bei d<strong>er</strong> anhaltenden<br />
Trockenheit eine v<strong>er</strong>dammt heiße Flamme hätte<br />
schlagen können. Schon fingen die Massen an,<br />
sich mit Sonnenbrillen zu v<strong>er</strong>mummen und durch<br />
<strong>das</strong> Anlegen von Badekleidung ihre körp<strong>er</strong>liche<br />
Fitness für den Straßenkampf zu unt<strong>er</strong>streichen,<br />
da kam von Somm<strong>er</strong> <strong>das</strong> »Stop!«. Somm<strong>er</strong> ist<br />
Somm<strong>er</strong>, sagte Somm<strong>er</strong>. Und den wollen wir <strong>er</strong>st<br />
mal genießen. Ab<strong>er</strong> im H<strong>er</strong>bst, wenn d<strong>er</strong> Beaujolais<br />
Primeur <strong>er</strong>st mal da ist, will <strong>er</strong> <strong>das</strong> Proletariat<br />
zu ein<strong>er</strong> »Aktionswoche« mobilisi<strong>er</strong>en, wie<br />
<strong>er</strong> <strong>das</strong> bei seinem McDonald’s um die Ecke gesehen<br />
hat. Wahrscheinlich eine griechische Woche<br />
unt<strong>er</strong> dem Motto »Was Kostas?«. Das wird<br />
d<strong>er</strong> Todesstoß für <strong>das</strong> Schweinesystem, falls es<br />
sich nicht schon vorh<strong>er</strong> totgelacht hat.<br />
Beispielsweise üb<strong>er</strong> den ob<strong>er</strong>sten Wohlfahr<strong>er</strong><br />
des Wohlfahrtsstaates, einen gewissen Ulrich<br />
Schneid<strong>er</strong>, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsv<strong>er</strong>bandes.<br />
D<strong>er</strong> suchte auch v<strong>er</strong>zweifelt nach Worten<br />
angesichts des mutigen Ansatzes d<strong>er</strong> Regi<strong>er</strong>ung,<br />
<strong>das</strong> Geld bei denen zu holen, bei denen es<br />
auf zwei Euro mehr od<strong>er</strong> wenig<strong>er</strong> nun auch nicht<br />
mehr ankommt: W<strong>er</strong> bewiesen hat, <strong>das</strong>s <strong>er</strong> / sie<br />
mit 10 Euro am Tag üb<strong>er</strong>leben kann, kann es auch<br />
mit 8. »Kalth<strong>er</strong>zigkeit«, quoll es aus Schneid<strong>er</strong><br />
h<strong>er</strong>vor. So ein Quatsch! Ja, d<strong>er</strong> Heizkostenschuss<br />
wird Hartz-IV-Empfäng<strong>er</strong>n gestrichen. Ab<strong>er</strong> wenn<br />
sie sich bei gemeinnützig<strong>er</strong> Beschäftigung ein bissel<br />
bewegen, wird sich kein<strong>er</strong> v<strong>er</strong>kühlen.<br />
Nach den Schlipsträg<strong>er</strong>n, die uns<strong>er</strong>e<br />
Ersparnisse auf den Kopp gehauen<br />
haben, kommen die Blaz<strong>er</strong>-Damen und<br />
Stresemann-Träg<strong>er</strong>innen und -Träg<strong>er</strong>,<br />
die uns die Spargesetze um<br />
die Ohren schlagen.<br />
Jemand v<strong>er</strong>gessen? Ach so, Die Linke! Wenn’s<br />
darauf ankommt, ist die so was von putzmunt<strong>er</strong>,<br />
<strong>das</strong>s einem die Augen tränen. Gregor Gysi: »Mit<br />
dem Sparpaket hat die Regi<strong>er</strong>ung heute nicht mehr<br />
und nicht wenig<strong>er</strong> als die Abschaffung d<strong>er</strong> sozialen<br />
Marktwirtschaft beschlossen.« Na fein, <strong>jetzt</strong><br />
isse weg, Schwamm drüb<strong>er</strong> und – h<strong>er</strong> mit dem<br />
Sozialismus, nie war die Gelegenheit so günstig.<br />
Denkste! Gysi weiß auch nicht, was nach d<strong>er</strong> sozialen<br />
Marktwirtschaft kommt (irgendwas Emanzipatorisches),<br />
hofft ab<strong>er</strong>. Denn die Hoffnung stirbt<br />
zuletzt, jedenfalls <strong>er</strong>st nachdem Die Linke d<strong>er</strong>einst<br />
<strong>das</strong> Zeitliche gesegnet haben wird …<br />
Die SPD ist an dies<strong>er</strong> Stelle bewusst nicht <strong>er</strong>wähnt.<br />
Sie ist nicht <strong>er</strong>wähnensw<strong>er</strong>t, <strong>das</strong> Banale<br />
<strong>er</strong>müdet. Es w<strong>er</strong>de <strong>jetzt</strong> nur bei denen gekürzt,<br />
die sich kaum wehren könnten, flüst<strong>er</strong>te es aus<br />
dem Parteipräsidium. »Schönen guten Morgen,<br />
Frau Nahles!«, kann man da nur rufen. Wurde<br />
Hartz IV sein<strong>er</strong>zeit etwa vom Sandmännchen<br />
mitgebracht od<strong>er</strong> war es nicht doch eine Morgengabe<br />
d<strong>er</strong> letzten SPD-Regi<strong>er</strong>ung? Klar wäre<br />
die Anschaffung von sechs Flaschen Billigw<strong>er</strong>mut<br />
dem Wähl<strong>er</strong> damals stärk<strong>er</strong> auf die Leb<strong>er</strong><br />
geschlagen als die Anschaffung eines Müntef<strong>er</strong>ing<br />
und Co., ab<strong>er</strong> die Enttäuschung wäre g<strong>er</strong>ing<strong>er</strong><br />
gewesen und die Wirkung schnell<strong>er</strong> v<strong>er</strong>flogen.<br />
Jetzt gibt es nicht nur Hartz IV, sond<strong>er</strong>n auch<br />
noch jede Menge v<strong>er</strong>heuchelte Wid<strong>er</strong>standskämpf<strong>er</strong><br />
dagegen, denen man bei genau<strong>er</strong><strong>er</strong> Betrachtung<br />
ansieht, <strong>das</strong>s sie nur Radau schlagen,<br />
um nicht selb<strong>er</strong> eines Tages v<strong>er</strong>hartzt zu w<strong>er</strong>den.<br />
Soweit d<strong>er</strong> Aufruhr. So weit die Antwort d<strong>er</strong><br />
politischen Klasse auf ihre Freunde aus d<strong>er</strong> politischen<br />
Klasse (»Wir sind ja alle Demokraten«).<br />
So weit <strong>das</strong> gewählte und institutionalisi<strong>er</strong>te Mitläuf<strong>er</strong>tum.<br />
Warum dreht <strong>jetzt</strong> nicht mal ein<strong>er</strong> dem Kanzl<strong>er</strong>amt<br />
den Strom ab od<strong>er</strong> dem West<strong>er</strong>welle die<br />
Clearasil-Leitung? Klar gehört sich <strong>das</strong> nicht, ab<strong>er</strong><br />
hat es sich vielleicht gehört, imm<strong>er</strong> mehr Leute<br />
in die Suppenküchen zu drücken – allein in B<strong>er</strong>lin<br />
28 Prozent plus in diesem Somm<strong>er</strong>? Weshalb<br />
schreibt nicht wenigstens jed<strong>er</strong> zehnte gesetzlich<br />
V<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>te einen wütenden Brief ans Gesundheitsminist<strong>er</strong>ium?<br />
D<strong>er</strong> änd<strong>er</strong>t zwar nichts am<br />
Behördenzustand, ab<strong>er</strong> solange die dort mit<br />
sechs Millionen Briefkuv<strong>er</strong>ts zu kämpfen haben,<br />
können sie wenigstens die Kopfpauschale nicht<br />
umsetzen. Und hat eigentlich jen<strong>er</strong> Bundeswehrchef,<br />
d<strong>er</strong> Angela M<strong>er</strong>kel mit ein<strong>er</strong> Maschine zum<br />
Vi<strong>er</strong>telfinale nach Südafrika fliegen ließ, in d<strong>er</strong><br />
nur 21 von 109 Plätzen belegt waren, mal gefragt,<br />
warum? Natürlich fiel <strong>das</strong> nicht in seine Zuständigkeit<br />
– ab<strong>er</strong> bezahlen muss <strong>er</strong>’s doch! Genau<br />
wie den WM-Trip von Neupräsident Wulff,<br />
bei dem auch kein Mensch weiß, wozu <strong>er</strong> gut<br />
war. Auß<strong>er</strong> vielleicht die K<strong>er</strong>osinh<strong>er</strong>stell<strong>er</strong>.<br />
Warum v<strong>er</strong>langt nicht wenigstens mal ein<strong>er</strong> p<strong>er</strong>sönlich<br />
Rechenschaft von Politik<strong>er</strong>n, die tatsächlich<br />
glauben, Demokratie sei schon <strong>er</strong>ledigt, wenn<br />
sie sich vor ihresgleichen im gemütlichen Parlamentsausschuss<br />
rechtf<strong>er</strong>tigen, wo die wirklich Betroffenen<br />
wohlweislich draußen bleiben müssen<br />
wie d<strong>er</strong> Dackel vorm Fleisch<strong>er</strong>laden.<br />
In Frankreich beginnt d<strong>er</strong> öffentliche Tumult<br />
b<strong>er</strong>eits, wenn ein Politik<strong>er</strong> <strong>das</strong> Wort »Rentenreform«<br />
auch nur zu Hause auf dem Klo flüst<strong>er</strong>t;<br />
in Griechenland finden Gen<strong>er</strong>alstreiks statt, sobald<br />
im F<strong>er</strong>nsehen <strong>er</strong>wähnt wird, <strong>das</strong>s man Steu<strong>er</strong>n<br />
auch zahlen und nicht nur hint<strong>er</strong>ziehen kann.<br />
Ab<strong>er</strong> hi<strong>er</strong>zulande? Hi<strong>er</strong>zulande stellt man einen<br />
Antrag auf zivilen Ungehorsam in dreifach<strong>er</strong> Ausf<strong>er</strong>tigung.<br />
Und falls d<strong>er</strong> positiv beschieden wird,<br />
dann nur mit Rechtsbehelfsbelehrung und dringlichem<br />
Hinweis auf den Ruhestörungsparagraphen<br />
und die Sonntagsruhe.<br />
Vielleicht ist es <strong>jetzt</strong> ab<strong>er</strong> doch an d<strong>er</strong> Zeit,<br />
den fein bezwirnten Wegelag<strong>er</strong><strong>er</strong>n einmal zu<br />
v<strong>er</strong>klick<strong>er</strong>n: Seid euch lieb<strong>er</strong> nicht zu sich<strong>er</strong>. Denn<br />
wir wissen: Nur w<strong>er</strong> alles hinnimmt, muss sich<br />
auch alles bieten lassen.<br />
Und umgekehrt.<br />
Utz Bamb<strong>er</strong>g<br />
12 EULENSPIEGEL 9/10
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Wörtliche<br />
Betäubung<br />
Wir leben üb<strong>er</strong> uns<strong>er</strong>e V<strong>er</strong>hältnisse, eine<br />
Kanzl<strong>er</strong>in wie uns<strong>er</strong>e Kanzl<strong>er</strong>in haben wir<br />
doch gar nicht v<strong>er</strong>dient. Sie <strong>er</strong>zählt dem deutschen<br />
Volk so unsagbar viel, wenn d<strong>er</strong> Tag lang<br />
ist, und hält bei Bedarf Neujahrsreden auch<br />
schon mal Mitte Juli. Mit einem lock<strong>er</strong>-fluffigen<br />
Auftritt vor d<strong>er</strong> Bundespressekonf<strong>er</strong>enz v<strong>er</strong>abschiedete<br />
sie sich in den Somm<strong>er</strong>urlaub und bezaub<strong>er</strong>te<br />
uns bei dies<strong>er</strong> Gelegenheit mit d<strong>er</strong> stringenten<br />
Sinnlosigkeit und zupackenden Redundanz<br />
ihr<strong>er</strong> Ausführungen.<br />
Sie schnürt Sparpakete, zeigt Flagge, stellt<br />
Weichen, packt heiße Eisen an, schluckt sogar<br />
Kröten, bringt Steine ins Rollen, nennt Ross und<br />
Reit<strong>er</strong>, justi<strong>er</strong>t Stellschrauben und macht nicht<br />
nur einen guten Job, sond<strong>er</strong>n auch Nägel mit<br />
Köpfen. Übrigens sah sie <strong>er</strong>staunlich relaxed<br />
aus für eine Frau, d<strong>er</strong> die Männ<strong>er</strong> in Scharen davonlaufen<br />
– mittl<strong>er</strong>weile ist ein halbes Dutzend<br />
deutsch<strong>er</strong> Minist<strong>er</strong>präsidenten im besten Alt<strong>er</strong><br />
v<strong>er</strong>duftet.<br />
Diese Fluktuation macht ihr offenbar nichts<br />
aus. Die Stärkste ist am mächtigsten allein. Nun<br />
endlich, triumphi<strong>er</strong>t sie, könne kein<strong>er</strong> mehr behaupten,<br />
die H<strong>er</strong>rschaften klebten an ihren Sesseln.<br />
»Ich kann ja schlecht sagen: W<strong>er</strong> einmal<br />
Minist<strong>er</strong>präsident ist, bleibt es, bis <strong>er</strong> vom Stuhl<br />
fällt!« Jetzt, sagt sie, bekämen eben die Nachfolg<strong>er</strong><br />
ihre Chance, nun sollen die »ihre Akzente<br />
setzen«. Schon imm<strong>er</strong> habe sie gesagt: »In d<strong>er</strong><br />
Krise w<strong>er</strong>den die Karten neu gemischt.« Imm<strong>er</strong>hin<br />
bleiben Mutti bis auf Weit<strong>er</strong>es zwei Wass<strong>er</strong>träg<strong>er</strong><br />
in Nibelungentreue v<strong>er</strong>bunden: Volk<strong>er</strong><br />
Kaud<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> <strong>das</strong> Kaud<strong>er</strong>-Welsch <strong>er</strong>sann, und d<strong>er</strong><br />
drollige Ronald Pofalla, den sie als »V<strong>er</strong>söhnungsw<strong>er</strong>k<br />
auf Räd<strong>er</strong>n« v<strong>er</strong>klärt.<br />
Stuss aus<br />
einem Guss<br />
Gut, <strong>das</strong>s es Freunde gibt … Denn ihre Umfragew<strong>er</strong>te<br />
sind ganz tief unten im Kell<strong>er</strong>. Und ihre<br />
christlib<strong>er</strong>ale K.o.alition hat auf dem Weg nach<br />
unten sogar die 38-Prozent-Marke des Nordhäus<strong>er</strong><br />
Doppelkorns geknackt. Nach Steu<strong>er</strong>-Großgeschenken<br />
für die üblichen V<strong>er</strong>dächtigen mit<br />
Mövenpick an d<strong>er</strong> Spitze und nach öffentlichem<br />
Dau<strong>er</strong>zoff d<strong>er</strong> schwarzgelben Gurkentruppe mit<br />
all den politischen Wildsäuen und Rumpelstilzchen<br />
zog Angela M<strong>er</strong>kel in all<strong>er</strong> Bescheidenheit<br />
eine glänzende Bilanz: »Da, glaube ich, hat sich<br />
die Koalition ein Stück weit zusammeng<strong>er</strong>auft.«<br />
Tatsachen können sie nach wie vor nicht beirren.<br />
Sie hat dem Hartz-IV-Prekariat <strong>das</strong> Elt<strong>er</strong>ngeld<br />
frisch gestrichen, was für die Betroffenen<br />
durchaus seinen Reiz haben dürfte: »Wir wollen<br />
die Anreize <strong>er</strong>höhen, Arbeit aufzunehmen.«<br />
Ganz egal, ob es Arbeit gibt od<strong>er</strong> nicht. Ihr Selbstbewusstsein<br />
scheint inzwischen größ<strong>er</strong> zu sein<br />
als ihr Wirklichkeitsv<strong>er</strong>lust. »Die Gestaltungsmacht,<br />
die mir gegeben ist«, sagt sie, »spiegelt<br />
sich in jedem mein<strong>er</strong> Worte wid<strong>er</strong>.«<br />
Politik macht ihr »imm<strong>er</strong> noch Spaß«. Sie ist<br />
ständig im Dienst, sogar im Urlaub. Selbst beim<br />
Unkrautzupfen im Garten, v<strong>er</strong>rät sie, sei ihr<br />
»schon d<strong>er</strong> eine od<strong>er</strong> and<strong>er</strong>e gute Gedanke gekommen«.<br />
Wo sie geht und steht, wendet diese<br />
Kanzl<strong>er</strong>in Schaden ab, sogar von den Radieschen,<br />
und zwar getreu ihrem Amtseid: »Ich<br />
schwöre, Schaden von deutschen Banken abzuwenden,<br />
so wahr mir Karel Gott helfe.«<br />
Den höchsten Trumpf ihr<strong>er</strong> historischen Somm<strong>er</strong>pressekonf<strong>er</strong>enz<br />
spielte sie als Schluss -<br />
wort aus: »Sie können ganz sich<strong>er</strong> sein, <strong>das</strong>s<br />
Sie mich nach diesen F<strong>er</strong>ien wied<strong>er</strong>sehen.« Mit<br />
dies<strong>er</strong> Drohung v<strong>er</strong>schwand sie lächelnd in<br />
ihren Urlaub, den wir uns redlich v<strong>er</strong>dient haben.<br />
Ernst Röhl<br />
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Lothar Otto<br />
Fred & Günt<strong>er</strong><br />
Burkhard Fritsche<br />
16 EULENSPIEGEL 9/10
Mod<strong>er</strong>nes<br />
Leben<br />
Ari Plikat<br />
Uwe Krumbiegel<br />
Andreas Prüstel<br />
EULENSPIEGEL 9/10 17
Vorwärts imm<strong>er</strong> –<br />
Heute Morgen wied<strong>er</strong>. Heute Morgen hast du<br />
sie in d<strong>er</strong> U-Bahn gesehen. U-Bahn mag sie eigentlich<br />
nicht, dort hocken die Unreinen, Ungefrühstückten,<br />
Rest- od<strong>er</strong> Frischalkoholisi<strong>er</strong>ten,<br />
V<strong>er</strong>sehrten, Irren und Straßenfeg<strong>er</strong>-V<strong>er</strong>käuf<strong>er</strong>.<br />
Leute, die bei Fahrscheinkontrolle zu fliehen<br />
v<strong>er</strong>suchen. Die um acht einen T<strong>er</strong>min bei<br />
d<strong>er</strong> Arge haben. Leute, die d<strong>er</strong> Mittelschicht eine<br />
ständige Warnung sind. Sie hätte es nicht nötig:<br />
112 Prozent all<strong>er</strong> Kleinwagen sind in Deutschland<br />
auf die Mittelschicht zugelassen, mit leicht<strong>er</strong><br />
Tendenz zum Hybrid. Sie gehört hochprozentig<br />
dem V<strong>er</strong>band d<strong>er</strong> Haus- und Grundstückseigentüm<strong>er</strong><br />
an. Doch wenn d<strong>er</strong> Spritpreis einen<br />
Sprung nach oben macht, nimmt die Mittelschicht<br />
auch mal die U-Bahn. Woran du sie <strong>er</strong>kennst?<br />
Sie schützt sich hint<strong>er</strong> ein<strong>er</strong> sogenannten<br />
Qualitätszeitung, im schlimmsten Fall dem<br />
Tagesspiegel! Manchmal trägt sie b<strong>er</strong>eits in d<strong>er</strong><br />
Frühe Uniform – <strong>das</strong> kleine Schwarze für den<br />
Job in d<strong>er</strong> Bank. Sie schwitzt od<strong>er</strong> fröstelt leicht,<br />
ist p<strong>er</strong>manent g<strong>er</strong>eizt, und die Mittelschichtenweib<strong>er</strong><br />
sind eine Spur zu dick geschminkt. Sie<br />
muss auch heute wied<strong>er</strong> höllisch aufpassen,<br />
die Mittelschicht, <strong>das</strong>s es nicht abwärts geht<br />
mit ihr.<br />
Distinktion ist ihr alles. »Distinktion« – <strong>das</strong><br />
Modewort des Jahrzehnts. Die Mittelschicht<br />
Wie die Mittelschicht die<br />
Arschbacken zusammenkneift<br />
kennt es wahrscheinlich gar nicht. Die Soziologen<br />
lieben es: Seit Bundeskanzl<strong>er</strong> Schröd<strong>er</strong> den<br />
Deutschen klar gemacht hat, <strong>das</strong>s jed<strong>er</strong> von ih-<br />
18 EULENSPIEGEL 9/10
ückwärts nimm<strong>er</strong>!<br />
nen schon morgen od<strong>er</strong> noch heute nach<br />
Büroschluss in d<strong>er</strong> Scheiße liegen kann, aus<br />
d<strong>er</strong> es kein Hochkommen mehr gibt, seit <strong>er</strong> bei<br />
den Volksv<strong>er</strong>tret<strong>er</strong>n sogar ein Gesetz dazu<br />
epresst hat, <strong>das</strong> den Aufenthalt in d<strong>er</strong> Scheiße<br />
regelt (es trägt den Kosenamen »Hartz IV«), ist<br />
die Mittelschicht mit dem Kampf gegen den Abstieg<br />
befasst. Er tobt 24 Stunden am Tage.<br />
Selbst d<strong>er</strong> Schlaf mit seinen furchtbaren Träumen<br />
gehört dazu. Es ist d<strong>er</strong> Kampf darum, sich<br />
zu unt<strong>er</strong>scheiden (Distinktion!): Nur nicht w<strong>er</strong>den<br />
wie d<strong>er</strong> Plebs. Nur nicht fett w<strong>er</strong>den vom<br />
Billigfraß, nur nicht dieses Glotzen d<strong>er</strong> Unt<strong>er</strong>schichtenf<strong>er</strong>nseh<strong>er</strong>,<br />
nicht nach Dön<strong>er</strong> stinken,<br />
nicht dieses Kanakendeutsch aus den Mäul<strong>er</strong>n<br />
uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Kind<strong>er</strong>, nur nicht aus dem Papi<strong>er</strong> fressen,<br />
nur nicht diesen Pornos nachficken, und<br />
nicht den Suff aus d<strong>er</strong> Plasteflasche. Nur keine<br />
Strähnchen! Nur nicht BZ! Nur keine Umschulung<br />
zum Floristen, Webdesign<strong>er</strong> od<strong>er</strong> zur S<strong>er</strong>viceassistentin<br />
für Messewesen! Distinktion,<br />
H<strong>er</strong>rschaften!<br />
Darum kauft sich d<strong>er</strong> Mittelschichtl<strong>er</strong>, kaum<br />
ist <strong>er</strong> d<strong>er</strong> U-Bahn-Hölle entkommen, <strong>er</strong>st einmal<br />
einen Caffee to go. Es brennen ihm fast die Pfoten<br />
ab – ab<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Tag hat Sinn. D<strong>er</strong> Caffee to<br />
go war einst <strong>das</strong> Parteiprogramm ein<strong>er</strong> von Endorphinen<br />
geschüttelten SPD: Das Glück liegt<br />
in d<strong>er</strong> Mitte – und du gehörst dazu! Man hat<br />
<strong>das</strong> Glück in Eile, beteiligt, »tätig«, wichtig sein<br />
zu dürfen. Leben heißt T<strong>er</strong>mine haben. Und auch<br />
mal ins Theat<strong>er</strong>, auch wenn es furchtbar ist. Auf<br />
dem B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> H<strong>er</strong>mannplatz liegen schon morgens<br />
um zehn die Betrunkenen und Schnorr<strong>er</strong><br />
und ihre Hunde gestapelt. Die Mittelschicht<br />
stöckelt sich hindurch. Sie geht ins Büro. Ab<strong>er</strong><br />
EULENSPIEGEL 9/10 19
sie hat Angst, scheißende Angst: Sie sieht sich<br />
schon da vor Karstadt liegen.<br />
In d<strong>er</strong> Rama-W<strong>er</strong>bung traf sich des Morgens<br />
noch die glattgekämmte Kleinfamilie unt<strong>er</strong> d<strong>er</strong><br />
Wohnzimm<strong>er</strong>lampe. In d<strong>er</strong> Ganze-Früchte-Konfitüren-Zeit.<br />
In d<strong>er</strong> Tschibo-Ganze-Bohne-Zeit. In<br />
d<strong>er</strong> Praline-Mit-D<strong>er</strong>-Ganzen-Kirsche-Zeit. Alles war<br />
noch ganz. Da konnte man einand<strong>er</strong> bei den Händen<br />
fassen und sich v<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>n, <strong>das</strong>s es jed<strong>er</strong><br />
schaffen kann: nach oben, nach oben! In die Reihenhaushälfte,<br />
vom Käf<strong>er</strong> zum M<strong>er</strong>cedes, zum Jurastudium,<br />
zur F<strong>er</strong>ienfinca. Vorwärts imm<strong>er</strong>, rückwärts<br />
nimm<strong>er</strong>! D<strong>er</strong> Kapitalismus war eine duftende<br />
Lüge. Doch <strong>er</strong> hielt – vom Tell<strong>er</strong>wäsch<strong>er</strong><br />
zum Bausparv<strong>er</strong>trag, vom Proletari<strong>er</strong>bastard zum<br />
Bundeskanzl<strong>er</strong>, vom Steinew<strong>er</strong>f<strong>er</strong> zum Außen-<br />
Jockel –, was <strong>er</strong> v<strong>er</strong>sprach. Den Kind<strong>er</strong>n sagte<br />
man: Euch wird es einmal bess<strong>er</strong> gehen, seit 1945<br />
– da hatten sie noch Pappe vor den Fenst<strong>er</strong>n.<br />
Und es stimmte imm<strong>er</strong>. Und sie dachten: Weil<br />
Helmut Kohl unst<strong>er</strong>blich ist, jedenfalls unst<strong>er</strong>blich<strong>er</strong><br />
als Stalin, wird <strong>das</strong> auch so bleiben.<br />
Einige Kriege, Finanz-, Immobilien- und Wirtschaftskrisen<br />
spät<strong>er</strong> geht es den Kind<strong>er</strong>n dreckig,<br />
tieftraurige, früh gealt<strong>er</strong>te Zw<strong>er</strong>ge, die den sozialen<br />
Status ihr<strong>er</strong> Elt<strong>er</strong>n retten sollen. Die drohen<br />
d<strong>er</strong> Brut mit Abstieg in die Leiharbeit und auf die<br />
Rest<strong>er</strong>ampen d<strong>er</strong> Mediengesellschaft. Jedes Kind<br />
muss sich ein »Alleinstellungsm<strong>er</strong>kmal« <strong>er</strong>arbeiten<br />
für die V<strong>er</strong>w<strong>er</strong>tbarkeit auf dem Viehmarkt d<strong>er</strong><br />
Emporkömmlinge. Ab<strong>er</strong> es gibt nur wenige mit<br />
zwei Köpfen od<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Begabung, <strong>das</strong> Telefonbuch<br />
auswendig aufsagen zu können, die man<br />
auf Märkten ausstellen könnte. Vi<strong>er</strong>jährige schleppen<br />
sich in multilinguale Business-Schools, schreiben<br />
dem Weihnachtsmann ihren Wunschzettel in<br />
Mandarin, quälen sich auf d<strong>er</strong> Geige mit »Kleine<br />
Stücke für Kind<strong>er</strong>« aus d<strong>er</strong> Goethezeit und v<strong>er</strong>dämm<strong>er</strong>n<br />
im Ballettunt<strong>er</strong>richt. Od<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Aufwuchs<br />
wird »sensibilis<strong>er</strong>t«, bis Blut kommt: Kaum aus<br />
d<strong>er</strong> Windel, w<strong>er</strong>den sie von fanatischen Esot<strong>er</strong>ik<strong>er</strong>n<br />
gefasst und zu Bestmenschen geformt, müssen<br />
in Eurythmiekursen ihren Vornamen tanzen<br />
und sich jauchzend in safranfarbene Tüch<strong>er</strong> fallen<br />
lassen. Ein Casting jagt <strong>das</strong> nächste. Und dann<br />
<strong>das</strong> Fressen! Manches Kind ist bis zur Einschulung<br />
noch nie in die Nähe ein<strong>er</strong> Bockwurst, Piz -<br />
za od<strong>er</strong> Cola gekommen. Sie w<strong>er</strong>den von Ingw<strong>er</strong><br />
und rein<strong>er</strong> Molke <strong>er</strong>nährt und scheißen nur noch<br />
gelbe Krümel – wobei sie auf d<strong>er</strong> Toilette französische<br />
Vokabeln memori<strong>er</strong>en müssen, m<strong>er</strong>de. So<br />
weit d<strong>er</strong> Kampf nach innen.<br />
Nach außen macht die Mittelschicht mobil: In<br />
Bay<strong>er</strong>n putschte sie gegen <strong>das</strong> Rauchen – also<br />
gegen mangelnde Selbstdisziplin, gegen den<br />
Rausch, Homosexualität, Pflichtv<strong>er</strong>gessenheit<br />
und Müßiggang, gegen Asche auf d<strong>er</strong> Unt<strong>er</strong>tasse,<br />
Stirbt ein Mittelschichtl<strong>er</strong>,<br />
hat <strong>er</strong> zwei Möglichkeiten<br />
gegen <strong>das</strong> Undeutsche und Unt<strong>er</strong>hosen, die nicht<br />
täglich gewechselt w<strong>er</strong>den. In Hamburg v<strong>er</strong>hind<strong>er</strong>te<br />
»die bürg<strong>er</strong>liche Mitte« panisch, <strong>das</strong>s ihre<br />
Kind<strong>er</strong> läng<strong>er</strong> als unumgänglich neben dem Migranten-<br />
und Prekari<strong>er</strong>pöbel in einem Raum sitzen<br />
müssen. Frühe Auslese fängt den Wurm: Deine<br />
Elt<strong>er</strong>n haben einen Büch<strong>er</strong>schrank zu Hause, wie<br />
es im vorigen Jahrhund<strong>er</strong>t üblich war? Papa hat<br />
womöglich Die Zeit abonni<strong>er</strong>t, also die höchste<br />
Stufe zivilisatorisch<strong>er</strong> Reife <strong>er</strong>reicht? Du weißt, <strong>das</strong>s<br />
Beethoven kein Möbeldiscount<strong>er</strong> ist? Wenn <strong>das</strong> alles<br />
zutrifft, wirst du es weit bringen – bis zu mehr<strong>er</strong>en<br />
Praktika bei RTL od<strong>er</strong> im Hotelgew<strong>er</strong>be od<strong>er</strong><br />
bis zur Scann<strong>er</strong>kasse bei Lidl.<br />
Die Mittelschicht ist die beliebteste Kaste bei<br />
sämtlichen Politik<strong>er</strong>n. Denn Mittelschichtl<strong>er</strong> sind<br />
dumm – jed<strong>er</strong> Mittelschichtl<strong>er</strong> zahlt 53 Prozent sein<strong>er</strong><br />
Einnahmen dem Staat zurück, in Form von<br />
Steu<strong>er</strong>n und Zwangsgeld<strong>er</strong>n. Das ist prozentual<br />
deutlich mehr, als die ob<strong>er</strong>en Zehntausend zahlen.<br />
Mittelschichtl<strong>er</strong> wehren sich nicht, haben keine<br />
Partei und keine Gew<strong>er</strong>kschaft. Jed<strong>er</strong> stirbt für sich<br />
allein. Das Subv<strong>er</strong>sivste, <strong>das</strong> sie haben, sind zwei,<br />
drei Webseiten, auf denen sie sich gegenseitig<br />
zur Wahl d<strong>er</strong> FDP aufford<strong>er</strong>n. Politik<strong>er</strong> nutzen die<br />
Mittelschicht als Projektionsfläche wie d<strong>er</strong> Hund<br />
<strong>das</strong> Abstandsgrün zum Kacken: Mittelschichtl<strong>er</strong><br />
sind nach West<strong>er</strong>welle »Leute, die aufstehen und<br />
auf Arbeit gehen«, laut Brüd<strong>er</strong>le »die Menschen,<br />
die den Laden am Laufen halten« und laut M<strong>er</strong>kel<br />
»die Fleißigen, die den Ruf Deutschlands in<br />
d<strong>er</strong> Welt begründen«. Irgendwann schafft es d<strong>er</strong><br />
Mittelschichtl<strong>er</strong> zum Mittelständl<strong>er</strong>. Dann hat <strong>er</strong><br />
den »Mittelstandsbauch«, für den ihn <strong>das</strong> Finanzamt<br />
bewund<strong>er</strong>t, und wird kurz vor Silvest<strong>er</strong> zum<br />
Ball d<strong>er</strong> Kleinunt<strong>er</strong>nehm<strong>er</strong> und Mittelständl<strong>er</strong> vom<br />
Landrat in die Mehrzweckhalle eingeladen.<br />
Ihre eigentliche Blödheit jedoch ist: Seit es sie<br />
gibt (sie entstand zeitgleich mit dem Lumpenproletariat<br />
und den Steu<strong>er</strong>b<strong>er</strong>at<strong>er</strong>n), wählt sie<br />
zugunsten d<strong>er</strong> Reichen, denn zu denen will sie<br />
ja gehören. Fragt man sie: Soll die Regi<strong>er</strong>ung bei<br />
den Armen sparen od<strong>er</strong> soll sie etwa den Sup<strong>er</strong>reichen<br />
was wegnehmen, ist die Antwort klar. So<br />
sorgen die Mittelschichtl<strong>er</strong> dafür, <strong>das</strong>s die Hartz-<br />
IV-Hölle, in die sie eines Tages stürzen w<strong>er</strong>den,<br />
noch heiß<strong>er</strong> wird.<br />
Stirbt ein Mittelschichtl<strong>er</strong>, hat <strong>er</strong> zwei Möglichkeiten:<br />
Falls seine Kind<strong>er</strong> deklassi<strong>er</strong>t sind, wird<br />
<strong>er</strong> anonym v<strong>er</strong>bröselt und die Sippe streitet sich<br />
um seinen Breitbildf<strong>er</strong>nseh<strong>er</strong>. Falls seine Kind<strong>er</strong><br />
sich jedoch in d<strong>er</strong> Mittelschicht halten konnten,<br />
mit Mittelstandsbauch und kapitalbildend<strong>er</strong> Lebensv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ung,<br />
wird <strong>er</strong> g<strong>er</strong>n im Friedwald abgelegt.<br />
Distinktion: Da ist die Gefahr, <strong>das</strong>s d<strong>er</strong><br />
Nachbar ein hartzig<strong>er</strong> wolgadeutsch<strong>er</strong> Säuf<strong>er</strong> ist,<br />
nicht akut.<br />
Les<strong>er</strong>, sei froh, <strong>das</strong>s du kein Mittelschichtl<strong>er</strong><br />
bist, kein<strong>er</strong> dies<strong>er</strong> <strong>er</strong>bärmlichen, läch<strong>er</strong>lichen,<br />
psychotischen, h<strong>er</strong>umgeschubsten, imm<strong>er</strong> wied<strong>er</strong><br />
belogenen Kreaturen! Sei froh, <strong>das</strong>s du du<br />
bist! Heute Morgen hast du dich in d<strong>er</strong> Scheibe<br />
gesehen, als die U-Bahn im Tunnel v<strong>er</strong>schwand.<br />
Hättest du doch nur den Golf genommen, dann<br />
wäre dir <strong>das</strong> nicht passi<strong>er</strong>t.<br />
Mathias Wedel<br />
Zeichnung: Guido Sieb<strong>er</strong><br />
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Maria-Elisabeth Schaeffl<strong>er</strong>,<br />
lebt von 600 Euro im Monat<br />
Wenn man heißt wie ich, denken<br />
alle: Die schaeffelt <strong>das</strong> Geld. Dabei<br />
int<strong>er</strong>essi<strong>er</strong>en mich N<strong>er</strong>ze viel<br />
mehr. Und ich gebe g<strong>er</strong>n: Mit meinen<br />
Tränen, die ich reichlich<br />
spende, können meine Arbeit<strong>er</strong>innen<br />
ihre Vorgärten ben<strong>er</strong>zen, ähm:<br />
benetzen.<br />
Klaus<br />
Zumwinkel,<br />
Stift<strong>er</strong>: Ich hab<br />
neulich <strong>er</strong>st unt<strong>er</strong><br />
groß<strong>er</strong> Anteilnahme<br />
d<strong>er</strong><br />
Staatsanwälte<br />
1 000 000 Euro<br />
gespendet. Ein<br />
schönes Gefühl.<br />
Kann ich<br />
empfehlen.<br />
Jörg Kachelmann,<br />
frei<strong>er</strong> Mann<br />
Was habe ich schon zu geben<br />
auß<strong>er</strong> grenzenlos<strong>er</strong><br />
Liebe? Od<strong>er</strong> manchmal<br />
vielleicht einem Stran -<br />
gulationsspielchen im<br />
gegenseitigen<br />
Einv<strong>er</strong>nehmen?<br />
Carsten Maschmey<strong>er</strong>,<br />
Staatsob<strong>er</strong>häupt<strong>er</strong>-Fan<br />
Ich hätte dem Christian und<br />
d<strong>er</strong> Bettina diesen Malle-<br />
Urlaub g<strong>er</strong>ne spendi<strong>er</strong>t.<br />
Ab<strong>er</strong> wenn d<strong>er</strong> Steu<strong>er</strong>zahl<strong>er</strong><br />
<strong>das</strong> unbedingt selbst zahlen<br />
will, bitte.<br />
Helmut Schmidt, Rauch<strong>er</strong>: Das viele feine<br />
Nikotin, <strong>das</strong> mir die Leute aus d<strong>er</strong> Lunge gesogen<br />
haben! Und w<strong>er</strong> gibt mir was zurück?<br />
Hans-W. Müll<strong>er</strong>-Wohlfahrt,<br />
Schamane beim DFB<br />
Spenden? Sofort! Schon eine<br />
Stammzelle von mir kann zum<br />
Lebensborn von H<strong>er</strong>renunt<strong>er</strong>wäschemodels<br />
w<strong>er</strong>den!<br />
Wie sagte schon d<strong>er</strong> alte Krösus:<br />
»Geld macht üb<strong>er</strong>haupt nicht glücklich,<br />
sond<strong>er</strong>n bloß reich.« In ein<strong>er</strong> Massenpanik<br />
haben Milliarden Milliardäre in den USA<br />
deshalb begonnen, ihr Geld zu v<strong>er</strong>schenken.<br />
Doch hi<strong>er</strong>zulande? Da bunk<strong>er</strong>n sich Millionäre, die<br />
ob<strong>er</strong>en 430 000, in ihren klimatisi<strong>er</strong>ten Garagen und<br />
beheizbaren Weinkell<strong>er</strong>n ein!<br />
Was zunächst h<strong>er</strong>zlos klingt, <strong>er</strong>weckt jedoch bei näh<strong>er</strong><strong>er</strong><br />
Betrachtung Mitleid, denn hint<strong>er</strong> jed<strong>er</strong> v<strong>er</strong>weig<strong>er</strong>ten Spende<br />
steht ein Einzelschicksal. Lesen Sie, was Bill Gates zu hören bekam,<br />
als <strong>er</strong> mit sein<strong>er</strong> Sammelbüchse vor den Gegensprechanlagen<br />
d<strong>er</strong> Schlossauffahrten stand!<br />
22 EULENSPIEGEL 9/10
Stefan Heinig,<br />
Kik-Geschäftsführ<strong>er</strong><br />
In Indien, wo die von uns gepäppelten<br />
Kind<strong>er</strong> freiwillig, voll<strong>er</strong><br />
spiel<strong>er</strong>ischen Eif<strong>er</strong>s T-Shirts zusammennähen,<br />
h<strong>er</strong>rschen<br />
manchmal noch unglaublich unappetitliche<br />
Bedingungen. Ich<br />
habe üb<strong>er</strong>all Seifenspend<strong>er</strong> aufstellen<br />
lassen. Kik-Klamotten<br />
bleiben saub<strong>er</strong>!<br />
Susanne<br />
Klatten, ledig<br />
Imm<strong>er</strong>, wenn ich gegeben<br />
habe, wurde<br />
mir genommen. Er<br />
war nur auf mein<br />
Geld scharf. Und da<br />
kommen <strong>jetzt</strong> Sie dah<strong>er</strong><br />
und wagen es,<br />
auch von nichts and<strong>er</strong>em<br />
zu reden!<br />
Pe<strong>er</strong> Steinbrück,<br />
Redn<strong>er</strong><br />
Mit meinen Vorträgen<br />
üb<strong>er</strong> Geld v<strong>er</strong>diene<br />
ich <strong>jetzt</strong> <strong>das</strong><br />
Dreifache, v<strong>er</strong>glichen<br />
mit mein<strong>er</strong> Zeit<br />
als Minist<strong>er</strong>. Das<br />
muss doch d<strong>er</strong><br />
kleine Mann als ung<strong>er</strong>echt<br />
empfinden.<br />
Hätte ich nur früh<strong>er</strong><br />
mit den Vorträgen<br />
angefangen!<br />
Josef Ratzing<strong>er</strong>,<br />
V<strong>er</strong>mögensv<strong>er</strong>walt<strong>er</strong><br />
Gottes<br />
An Ost<strong>er</strong>n spende ich imm<strong>er</strong><br />
meinen Segen. Das<br />
muss reichen. Denn Segen<br />
bringt Regen –<br />
meine Antwort auf<br />
die Erd<strong>er</strong>wärmung.<br />
Klaus Ernst,<br />
Arbeit<strong>er</strong>führ<strong>er</strong><br />
Mit 17 000 Euro im Monat<br />
die Arbeit<strong>er</strong>klasse in<br />
die letzte Schlacht zu<br />
führen – <strong>das</strong> ist fast gar<br />
nicht drin. Zumal da ja<br />
noch die Kosten für <strong>das</strong><br />
Wahlkreisbüro abgehen.<br />
Deshalb spende ich am<br />
liebsten mobilisi<strong>er</strong>ende<br />
Worte wie: »Wir predigen<br />
Wein. Ab<strong>er</strong> ich trinke<br />
ihn auch«.<br />
Leo Kirch,<br />
Ehrenwortspend<strong>er</strong><br />
Ich habe schon gespendet.<br />
Habe ab<strong>er</strong> nie eine<br />
Quittung von Kohl bekommen.<br />
D<strong>er</strong> Idiot! Dabei<br />
kann ich doch Spenden<br />
ohne Quittung gar<br />
nicht absetzen.<br />
Jopi Heest<strong>er</strong>s, Fossil<br />
Ich denke, in meinem nächsten<br />
Lebensjahrzehnt könn -<br />
te ich damit beginnen, auch<br />
mal etwas abzugeben.<br />
Simone, hat die SS <strong>das</strong> KZ-<br />
Honorar üb<strong>er</strong>wiesen? Ja?<br />
Dann gehen wir ins Maxim!<br />
Karl Albrecht, Brud<strong>er</strong><br />
Die Möglichkeit, Angehörige <strong>jetzt</strong> auch in einem Laken begraben<br />
zu lassen, hat mich neulich vor ein<strong>er</strong> auß<strong>er</strong>ordentlichen<br />
Mehraufwendung bewahrt, die ich nun voll in ein<br />
neues Produkt investi<strong>er</strong>e – <strong>das</strong> Aldi-Leichentuch mit Kreuzsaum.<br />
Das v<strong>er</strong>schafft 200 Näh<strong>er</strong>innen Lohn und Brot.<br />
Kai Diekmann,<br />
Taz-H<strong>er</strong>ausgeb<strong>er</strong>: Ich glaube nicht,<br />
<strong>das</strong>s sich G<strong>er</strong>echtigkeit in d<strong>er</strong> Gesellschaft<br />
üb<strong>er</strong> Geld h<strong>er</strong>stellen lässt. Ich wäre<br />
g<strong>er</strong>ne Organspend<strong>er</strong>. Natürlich <strong>er</strong>st nach meinem<br />
Tod. Ich hab da nämlich ein Organ, dafür<br />
würden viele Hartz-IV-Empfäng<strong>er</strong> ihr V<strong>er</strong>mögen<br />
geben! (Klein<strong>er</strong> Tip: Bild ist kein Organ.)<br />
XXX, Chefredakteur<br />
Ich spende ein dreimonatiges <strong>Eulenspiegel</strong>-Probeabo<br />
für nur sieben Euro. Obwohl es mich<br />
schm<strong>er</strong>zt und meine Frau mich hauen wird. Ab<strong>er</strong><br />
wenn man Gutes tun kann …<br />
FAZIT<br />
Bill Gates: Ich habe<br />
tolle Leute kennengel<strong>er</strong>nt<br />
und kehre immens<br />
b<strong>er</strong>eich<strong>er</strong>t in<br />
meine Spendensammelzentrale<br />
zurück.<br />
Na also, geht doch!<br />
Mathias Wedel /<br />
Gregor Füll<strong>er</strong><br />
Bild<strong>er</strong>: www. google.de/search<br />
EULENSPIEGEL 9/10 23
Uns<strong>er</strong>e<br />
Besten<br />
Mit Käuf<strong>er</strong>n d<strong>er</strong> Zeitschrift Focus v<strong>er</strong>hält<br />
es sich wie mit FDP-Wähl<strong>er</strong>n: Hint<strong>er</strong>h<strong>er</strong><br />
will es wied<strong>er</strong> kein<strong>er</strong> gewesen sein.<br />
Doch die Gemeinsamkeiten von Focus und FDP<br />
hören damit nicht auf. Beide sind bunt, unsachlich<br />
und finden die FDP sup<strong>er</strong>. Beide waren damit<br />
teilweise recht <strong>er</strong>folgreich. Und beide w<strong>er</strong>den<br />
von eitlen Fatzkes angeführt, die ihren Platz<br />
ums V<strong>er</strong>recken nicht räumen wollen.<br />
Doch ob es die Alt<strong>er</strong>sweisheit ist od<strong>er</strong> einfach<br />
nur <strong>das</strong> Alt<strong>er</strong>: Helmut Markwort üb<strong>er</strong>lässt ab<br />
Septemb<strong>er</strong> seinen Posten einem Jüng<strong>er</strong>en. Nicht<br />
gleich alle Posten – Gott bewahre! –, ab<strong>er</strong> imm<strong>er</strong>hin<br />
den, d<strong>er</strong> neben dem ewigen Co-Chefredakteur<br />
Uli Baur frei wird. Einfach macht es Markwort<br />
seinem Nachfolg<strong>er</strong> Wolfram Weim<strong>er</strong> all<strong>er</strong>dings<br />
nicht. Denn kurz vor seinem Abgang hat<br />
<strong>er</strong> dem Blatt noch schnell einen neuen Anstrich<br />
v<strong>er</strong>passt und ein paar Dutzend Redakteure entlassen,<br />
so <strong>das</strong>s Weim<strong>er</strong>s Gestaltungsmöglichkeiten<br />
gegen null gehen. – Wäre ja noch schön<strong>er</strong>,<br />
wenn d<strong>er</strong> Focus plötzlich zu einem <strong>er</strong>nstzunehmenden<br />
Medium w<strong>er</strong>den würde. Nur üb<strong>er</strong><br />
seine dicke Leiche.<br />
Bis zur Geburt des Focus war es für Markwort<br />
ein lang<strong>er</strong> Weg. Wo hatte <strong>er</strong> sich nicht üb<strong>er</strong>all<br />
rumgetrieben, bis <strong>er</strong> sein ureigenstes Blatt hatte<br />
führen und h<strong>er</strong>ausgeben dürfen? Er war als Redakteur<br />
beim St<strong>er</strong>n, <strong>er</strong> war Chefredakteur so<br />
namhaft<strong>er</strong> Blätt<strong>er</strong> wie Gong, Bild und Funk und<br />
Die Aktuelle. Er war Geschäftsführ<strong>er</strong> von Ein H<strong>er</strong>z<br />
für Ti<strong>er</strong>e. W<strong>er</strong> all<strong>er</strong>dings glaubt, daraus schließen<br />
zu können, Markwort würde jedem, d<strong>er</strong> ihm Geld<br />
dafür gibt, nach d<strong>er</strong> Schnauze schreiben, d<strong>er</strong><br />
irrt. Denn so viele v<strong>er</strong>schiedene Jobs <strong>er</strong> auch<br />
hatte, Markwort blieb sich treu und war imm<strong>er</strong><br />
nur Schmock in eigen<strong>er</strong> Sache.<br />
Mittl<strong>er</strong>weile besetzt <strong>er</strong> so viele Arbeitsplätze,<br />
<strong>das</strong>s man schon beim Aufzählen durcheinand<strong>er</strong><br />
kommen kann. Markwort ist Vorstandsmitglied<br />
d<strong>er</strong> Hub<strong>er</strong>t Burda Media Holding GmbH & Co.<br />
KG, Chefredakteur, Geschäftsführ<strong>er</strong>, H<strong>er</strong>ausgeb<strong>er</strong><br />
und Maskottchen von Focus, Geschäftsführ<strong>er</strong><br />
d<strong>er</strong> Burda Broadcast Media GmbH & Co. KG,<br />
Geschäftsführ<strong>er</strong> von Focus TV, H<strong>er</strong>ausgeb<strong>er</strong> von<br />
Focus-Money und Focus-Schule, Leit<strong>er</strong> d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>lagsgruppe<br />
»Milchstraße«, Aufsichtsratsvorsitzend<strong>er</strong><br />
d<strong>er</strong> Tomorrow Focus AG und d<strong>er</strong> Playboy<br />
Deutschland Publishing GmbH, Mod<strong>er</strong>ator d<strong>er</strong><br />
Sendung »D<strong>er</strong> Sonntags-Stammtisch« im Bay<strong>er</strong>ischen<br />
F<strong>er</strong>nsehen und Mitglied im V<strong>er</strong>waltungsbeirat<br />
des FC Bay<strong>er</strong>n München. Auß<strong>er</strong>dem ist <strong>er</strong><br />
v<strong>er</strong>mutlich Ehrenmitglied des Münchn<strong>er</strong> Swing<strong>er</strong>-Clubs<br />
»Babsi’s Bums-Bude« und Gründ<strong>er</strong> d<strong>er</strong><br />
Facebook-Gruppe »Menschen, die aussehen wie<br />
warzige Kröten«.<br />
Wie schafft <strong>er</strong> es bei dies<strong>er</strong> Unmenge an Tätigkeiten,<br />
wöchentlich eine von hart<strong>er</strong> Rech<strong>er</strong>che<br />
und aufwendigen Fakten, Fakten, Fakten strotzende,<br />
sprachlich blitzsaub<strong>er</strong> ausgefeilte Spitzen-Kolumne<br />
in seinen Focus hineinzusemmeln?<br />
Wann hat <strong>er</strong> Zeit dafür? Beim Frisör? Auf dem<br />
Lokus? Vor allem ab<strong>er</strong>: Was treibt ihn an, sein,<br />
nun ja, Gesicht imm<strong>er</strong> wied<strong>er</strong> vor irgendwelche<br />
laufenden F<strong>er</strong>nsehkam<strong>er</strong>as zu halten? Ob nach<br />
Wahlen, vor Bay<strong>er</strong>n-Spielen, während Talk-Sendungen<br />
– ständig und zu allem hat <strong>er</strong> eine unint<strong>er</strong>essante<br />
Meinung.<br />
Womit auch schon seine Umtriebigkeit <strong>er</strong>klärt<br />
wäre: Mind<strong>er</strong>w<strong>er</strong>tigkeitskomplexe d<strong>er</strong> all<strong>er</strong> -<br />
übelsten Sorte. Dem altehrwürdigen Spiegel<br />
wollte d<strong>er</strong> »<strong>er</strong>ste Journalist«, wie <strong>er</strong> sich bescheiden<br />
von seinem V<strong>er</strong>leg<strong>er</strong> nennen lässt, Kon -<br />
kurrenz machen. Doch nicht nur, <strong>das</strong>s <strong>er</strong> als<br />
Softpor nodarstell<strong>er</strong> (»Engelchen od<strong>er</strong> die Jungfrau<br />
von Bamb<strong>er</strong>g«) nicht den Durchbruch<br />
schaffte. Auch als Medienfuzzi wird <strong>er</strong> als Witzfigur<br />
im allgemeinen Gedächtnis bleiben. Hi<strong>er</strong><br />
und da wird <strong>er</strong> zwar ins F<strong>er</strong>nseh eingeladen und<br />
irgendw<strong>er</strong> kauft – wenn auch mit deutlich sinkend<strong>er</strong><br />
B<strong>er</strong>eitschaft – sein Print<strong>er</strong>zeugnis, ab<strong>er</strong><br />
<strong>das</strong> alles nur, weil Freakshows eben schon imm<strong>er</strong><br />
gut gelaufen sind.<br />
Um Aufm<strong>er</strong>ksamkeit kämpfend v<strong>er</strong>sucht <strong>er</strong> es<br />
mit Haudraufparolen, die <strong>er</strong> sich ab<strong>er</strong> bestenfalls<br />
zu ziti<strong>er</strong>en traut, weshalb <strong>er</strong> Sarrazins all<strong>er</strong>dickst<strong>er</strong><br />
Fan ist. In groß<strong>er</strong> Pose kann <strong>er</strong> sich dann<br />
darüb<strong>er</strong> beschw<strong>er</strong>en, <strong>das</strong>s einem in Deutschland<br />
ein Maulkorb v<strong>er</strong>passt w<strong>er</strong>de, wenn man unliebsame<br />
»Wahrheiten« ausspricht, um sich ab<strong>er</strong> genau<br />
in dem Moment zu wid<strong>er</strong>legen, in dem <strong>er</strong><br />
genau diese wied<strong>er</strong>holten Parolen Hund<strong>er</strong>tausenden<br />
unt<strong>er</strong> die Nase reiben darf, ohne gleich<br />
gesteinigt zu w<strong>er</strong>den. Im Gegenteil natürlich:<br />
Den Les<strong>er</strong>n gefällt’s, <strong>das</strong>s da mal ein<strong>er</strong> so einen<br />
Stuss zusammendenkt wie sie selbst. »Leute,<br />
die ich so treffe«, sagt Markwort dann, »Mittelständl<strong>er</strong>,<br />
die eh<strong>er</strong> am Geld<strong>er</strong>w<strong>er</strong>b int<strong>er</strong>essi<strong>er</strong>t<br />
sind. Die arbeiten Tag und Nacht, die lesen nicht<br />
so viel.« Für die wolle <strong>er</strong> den Focus machen. Angefüllt<br />
mit Fakten, Fakten, Fakten.<br />
Blöd nur, <strong>das</strong>s Fakten, Fakten, Fakten sich häufig<br />
nicht nach Markworts Geschmack richten,<br />
sond<strong>er</strong>n machen, was ihnen passt. D<strong>er</strong> <strong>er</strong>ste Focus-Titel<br />
1993, d<strong>er</strong> großspurig die Rückkehr<br />
Hans-Dietrich Gensch<strong>er</strong>s v<strong>er</strong>kündete, entpuppte<br />
sich dementsprechend als Ente. So viel zu Markworts<br />
markigen Worten: »Läng<strong>er</strong> rech<strong>er</strong>chi<strong>er</strong>en,<br />
kürz<strong>er</strong> schreiben!«<br />
Damit solche Schnitz<strong>er</strong> nicht mehr so häufig<br />
passi<strong>er</strong>en, beh<strong>er</strong>zigte Markwort von da an sein<br />
eigenes Credo »Und imm<strong>er</strong> an die Les<strong>er</strong> denken«.<br />
Und wenn man an die Les<strong>er</strong> denkt, dann<br />
stellt man sich in d<strong>er</strong> Focus-Redaktion die Les<strong>er</strong><br />
leibhaftig vor: bucklig, zahnlos, dumm, blind<br />
und imm<strong>er</strong> wied<strong>er</strong> bucklig, bucklig, bucklig. Passend<br />
schneid<strong>er</strong>t man diesen Les<strong>er</strong>n Titelthemen<br />
auf die geschundenen Leib<strong>er</strong>: »Starke Schult<strong>er</strong>«,<br />
»Neue schöne Zähne«, »Testen Sie Ihr Wissen!«,<br />
»Nie wied<strong>er</strong> Brille!«, »Stress mit d<strong>er</strong> Bandscheibe«,<br />
»Die neue Rückenmedizin« und natürlich<br />
»Hilfe für den Rücken«. Alles für die krummgebuckelten<br />
Mittelständl<strong>er</strong>.<br />
Noch ein Titel, d<strong>er</strong> die politische Kaste aufrüttelte<br />
und endlich <strong>das</strong> hochbrisante Thema<br />
Knorpelschaden aufs Tapet brachte, war »Das<br />
gesunde Knie«. Damit <strong>das</strong> Ganze dann nicht zu<br />
unüb<strong>er</strong>sichtlich wurde – Rücken und Knie v<strong>er</strong>wechselt<br />
man leicht als Focus-Les<strong>er</strong> –, wurden<br />
seitdem alle Informationen saub<strong>er</strong> und ordentlich<br />
in Tabellen gepackt. Direkt neben die endlosen<br />
Listen. Listen mit den besten Ärzten, mit<br />
den besten Songs all<strong>er</strong> Zeiten und mit den besten<br />
Ärzte-Songs all<strong>er</strong> Zeiten.<br />
Es muss eine aufg<strong>er</strong>äumte Welt sein, in d<strong>er</strong><br />
Helmut Markwort lebt. Schön geordnet nach<br />
oben und unten. Und w<strong>er</strong> ganz oben auf jed<strong>er</strong><br />
Liste steht, ist auch klar: Helmut Markwort. Leid<strong>er</strong><br />
fehlen bish<strong>er</strong> Listen wie »Die wid<strong>er</strong>lichsten<br />
Chefredakteure Deutschlands« od<strong>er</strong> »Die bräsigsten<br />
H<strong>er</strong>ausgeb<strong>er</strong> all<strong>er</strong> Zeiten«.<br />
Knorpelschaden,<br />
schöne Zähne<br />
Doch Helmut Markwort wäre nicht Helmut<br />
Markwort, wenn <strong>er</strong> sich von irgendwelchen dah<strong>er</strong>gelaufenen<br />
Fakten, Fakten, Fakten beirren<br />
ließe. Bei all d<strong>er</strong> aufwendigen Rech<strong>er</strong>che in zig<br />
Geschäftsführ<strong>er</strong>sesseln und vor dem Buffet in<br />
d<strong>er</strong> FC-Bay<strong>er</strong>n-Ehrenloge legt <strong>er</strong> sich die Welt<br />
zurecht, wide wide wie sie dem neolib<strong>er</strong>alen<br />
Bumskopf gefällt, weshalb d<strong>er</strong> Bundesg<strong>er</strong>ichtshof<br />
2009 entschieden hat, <strong>das</strong>s Markwort als<br />
V<strong>er</strong>antwortlich<strong>er</strong> für den Focus weit<strong>er</strong>hin d<strong>er</strong><br />
Lüge und des Plagiats beschuldigt w<strong>er</strong>den darf.<br />
Bei all<strong>er</strong> Kritik an von Microsoft bezahlten Focus-Spezials,<br />
den Spitzelmethoden sein<strong>er</strong> Alten<br />
(Bunte-Chefin Patricia Riekel) und d<strong>er</strong> Koop<strong>er</strong>ation<br />
einig<strong>er</strong> sein<strong>er</strong> Redakteure mit dem BND –<br />
in sein<strong>er</strong> »Tagebuch« benamsten Focus-Kolumne,<br />
in d<strong>er</strong> <strong>er</strong> alle, die politisch links von Pe<strong>er</strong><br />
Steinbrück stehen, konsequent als »Neokommunisten«<br />
bezeichnet, kann <strong>er</strong> es in seinen besten<br />
Phasen mit Bilds »Chefkolumnist« Franz Josef<br />
Wagn<strong>er</strong> aufnehmen.<br />
Wollen wir im Sinne d<strong>er</strong> sinnfreien Unt<strong>er</strong>haltung<br />
also hoffen, <strong>das</strong>s uns <strong>das</strong> »Nachrichtenmagazin«<br />
auch in Zukunft so wund<strong>er</strong>bare Titel<br />
besch<strong>er</strong>t wie: »Was wird bess<strong>er</strong>? Die großen<br />
Pläne von Schwarz und Gelb«. Vorstellbar wäre<br />
z.B.: »Wie Schwarz-Gelb Ihrem Rücken hilft«.<br />
Carlo Dippold<br />
Zeichnung: Frank Hoppmann<br />
24 EULENSPIEGEL 9/10
26 EULENSPIEGEL 9/10
EULENSPIEGEL 9/10 27<br />
André Sedlaczek / Gregor Füll<strong>er</strong> / Andreas Koristka
Anzeige<br />
Nun ist es bald wied<strong>er</strong> so weit, und hi<strong>er</strong><br />
im Büro w<strong>er</strong>den die Sektkorken knallen.<br />
Weinend vor Freude w<strong>er</strong>den sich die Menschen<br />
in den Armen liegen. Wie imm<strong>er</strong><br />
Anfang Oktob<strong>er</strong>. Doch bei all<strong>er</strong> v<strong>er</strong>ständlichen<br />
Euphorie, die meine Arbeitskollegen<br />
anlässlich des 20. Jahrestages d<strong>er</strong> deutschen<br />
Einheit befallen wird, müssen an<br />
dies<strong>er</strong> Stelle auch ein paar kritische Worte<br />
<strong>er</strong>laubt sein von einem, d<strong>er</strong> die Wied<strong>er</strong>v<strong>er</strong>einigung<br />
mit and<strong>er</strong>en Augen betrachtet,<br />
weil <strong>er</strong> auch die Seite d<strong>er</strong> Opf<strong>er</strong> kennt.<br />
Natürlich scheint es uns heute fast normal, <strong>das</strong>s<br />
ein Westdeutsch<strong>er</strong> in Ostdeutschland arbeitet.<br />
Als ich damals hi<strong>er</strong>h<strong>er</strong> kam, 2007, war <strong>das</strong> all<strong>er</strong>dings<br />
noch nicht so. Da kannte man Westdeutsche<br />
allenfalls als kompetente Führungskräfte,<br />
die zum Teil jahrzehntelang von den Arbeitsämt<strong>er</strong>n<br />
auf diese Aufgabe vorb<strong>er</strong>eitet worden<br />
od<strong>er</strong> die schlichtweg für westliche V<strong>er</strong>hältnisse<br />
üb<strong>er</strong>qualifizi<strong>er</strong>t waren. Als einfach<strong>er</strong> Arbeitnehm<strong>er</strong><br />
jedoch war ich ein<strong>er</strong> d<strong>er</strong> <strong>er</strong>sten üb<strong>er</strong>haupt.<br />
Zunächst war ich schon skeptisch, als ich auf<br />
d<strong>er</strong> Job-Messe den Stand im Foy<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Uni-Mensa<br />
sah, an dem ein Dutzend junge <strong>Eulenspiegel</strong>-Hostessen<br />
Mitarbeit<strong>er</strong> anw<strong>er</strong>ben wollten. Sollte ich<br />
tatsächlich bei einem solch jungen Unt<strong>er</strong>nehmen<br />
einsteigen? Auch war ich vorsichtig, weil ich<br />
im Grunde alles üb<strong>er</strong> den Osten wusste: Die Menschen<br />
dort sind große FKK-Fans und laufen die<br />
meiste Zeit des Tages ohne Hose h<strong>er</strong>um; sie<br />
sprechen alle Sächsisch; und im thüringischen<br />
Goldlaut<strong>er</strong> essen sie Hunde. Zwar habe ich nichts<br />
gegen p<strong>er</strong>manentes Nacktsein, ab<strong>er</strong> Sächsisch<br />
halte ich für gewöhnungsbedürftig, und Hund<br />
schmeckt mir gar nicht, zumindest nicht die klein<strong>er</strong>en<br />
Rassen.<br />
Dennoch wagte ich <strong>das</strong> Abenteu<strong>er</strong>. Die eben<br />
<strong>er</strong>wähnten Kenntnisse waren dabei sehr hilfreich<br />
bei meinen <strong>er</strong>sten Kontakten. Auch die Ostdeutschen<br />
selbst sind imm<strong>er</strong> wied<strong>er</strong> üb<strong>er</strong>rascht, wie<br />
gut sich Westdeutsche mit den regionalen Gegebenheiten<br />
auskennen und wie gut sie Bescheid<br />
wissen üb<strong>er</strong> die SBZ. Was ab<strong>er</strong> einfach daran<br />
liegt, <strong>das</strong>s einem im Westen schon in d<strong>er</strong> Schule<br />
praktisch alles beigebracht wird, was es üb<strong>er</strong><br />
den Osten zu wissen gibt. Allein in d<strong>er</strong> gym -<br />
nasialen Mittelstufe sind in Bay<strong>er</strong>n zehn Wochenstunden<br />
Ost-Kunde angesetzt. Auch wenn<br />
viele im Westen finden, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> zu wenig sei,<br />
um einen Teil Deutschlands kennenzul<strong>er</strong>nen, d<strong>er</strong><br />
fast so viele Einwohn<strong>er</strong> hat wie Nordrhein-Westfalen,<br />
für dessen Eigenheiten zwanzig Wochenstunden<br />
auf dem Schulplan stehen.<br />
Am <strong>er</strong>sten Arbeitstag war ich sehr <strong>er</strong>schrocken.<br />
Die blühenden Landschaften, die<br />
es, <strong>das</strong> hatte ich im F<strong>er</strong>nsehen gesehen, angeblich<br />
gar nicht gab, waren hi<strong>er</strong> unüb<strong>er</strong>sehbar.<br />
Ich bekam nicht nur einen eigenen Ventilator,<br />
sond<strong>er</strong>n auch einen Stift und einen Duden<br />
nur für mich. Klar, <strong>das</strong>s da d<strong>er</strong> Westen ausblutet,<br />
wenn im Osten so geprasst wird. Alles<br />
Dinge, die man natürlich sofort am <strong>er</strong>sten Tag<br />
auch mit dem nötigen Nachdruck ansprechen<br />
muss als Neuling. Daraufhin l<strong>er</strong>nte ich jedoch<br />
umgehend den unangenehmsten Charakt<strong>er</strong>zug<br />
des Ostdeutschen kennen: Ständig sucht <strong>er</strong><br />
Alle<br />
Streit und geht jeden Konflikt direkt an, anstatt<br />
ihm kindisch auszuweichen.<br />
Auch an die Arbeitsmoral mein<strong>er</strong> Kollegen musste<br />
ich mich <strong>er</strong>st gewöhnen. An westdeutschen<br />
Univ<strong>er</strong>sitäten, vor allem in geisteswissenschaftlichen<br />
Fäch<strong>er</strong>n, wird man heutzutage zur p<strong>er</strong>fekt<br />
funktioni<strong>er</strong>enden Arbeitsmaschine gedrillt, um<br />
spät<strong>er</strong> möglichst viel Gewinn abzuw<strong>er</strong>fen. Das<br />
habe ich v<strong>er</strong>inn<strong>er</strong>licht. Im Wirtschaftssystem d<strong>er</strong><br />
DDR dagegen hatten alle gel<strong>er</strong>nt, <strong>das</strong>s wenn<br />
keine Arbeit da ist, man auch nicht am Arbeitsplatz<br />
<strong>er</strong>scheinen muss. Und während ich also<br />
morgens um sieben im Büro saß, waren hi<strong>er</strong> die<br />
Flure v<strong>er</strong>waist. Imm<strong>er</strong>hin konnte ich ihnen klar<br />
machen, <strong>das</strong>s es sinnvoll ist, wenigstens vor zehn<br />
Uhr in d<strong>er</strong> Redaktion zu <strong>er</strong>scheinen. Imm<strong>er</strong>hin<br />
gibt es einmal im Monat einen festen Abgabet<strong>er</strong>min<br />
bei d<strong>er</strong> Druck<strong>er</strong>ei!<br />
28 EULENSPIEGEL 9/10
Was ich ihnen all<strong>er</strong>dings nicht austreiben kann,<br />
sind ihre Lobeshymnen auf die BRD, die ihnen<br />
ihren Lebensstandard genommen hat, und die<br />
V<strong>er</strong>teufelung all dessen, was die DDR betrifft.<br />
Das Land, in dem sie aufgewachsen sind, in dem<br />
sie doch so lange geliebt, gearbeitet und gelebt<br />
haben, und aus dem sie nicht raus wollten. Dies<strong>er</strong><br />
Hass geht zum Teil so weit, <strong>das</strong>s DDR-freundliche<br />
Texte mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt<br />
w<strong>er</strong>den.<br />
Erst nach einigen Flaschen Sekt (Mumm natürlich<br />
– ehemalige Ost-Produkte sind v<strong>er</strong>pönt) wird<br />
sich Anfang Oktob<strong>er</strong> dem ein od<strong>er</strong> and<strong>er</strong>en ein<br />
Lob für <strong>das</strong> v<strong>er</strong>lorene Land entlocken lassen. »Es<br />
war ja nicht alles schlecht«, wird ein<strong>er</strong> dann sagen,<br />
und auf die kaputte Umwelt und <strong>das</strong> noch<br />
kaputt<strong>er</strong>e Klima in d<strong>er</strong> BRD hinweisen, die beide<br />
früh<strong>er</strong> noch intakt waren.<br />
Doch schnell wird man wied<strong>er</strong> den Westen preisen.<br />
Highspeed-DSL, Plasmaf<strong>er</strong>nseh<strong>er</strong>, ein iPhone,<br />
d<strong>er</strong> neue Audi A8 – <strong>das</strong> sei ja im Osten alles nur<br />
schw<strong>er</strong> zu bekommen gewesen früh<strong>er</strong>. »Wie haben<br />
wir <strong>das</strong> damals ausgehalten?«, w<strong>er</strong>den sie<br />
dann v<strong>er</strong>zweifelt fragen. Man könne es sich kaum<br />
mehr vorstellen, in ein<strong>er</strong> Welt zu leben, in d<strong>er</strong><br />
man nicht aus 50 v<strong>er</strong>schiedenen Zahnbürsten-Marken<br />
auswählen kann.<br />
Die meisten würden auch lieb<strong>er</strong> im piekfeinen<br />
West-B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> Szenebezirk Neukölln mit all seinen<br />
extravaganten Imbissbuden und exotischen<br />
in unt<strong>er</strong> Ossis<br />
Selbst die niedrigsten Standards am Arbeitsplatz w<strong>er</strong>den hi<strong>er</strong> missachtet:<br />
Da es keinen Pausenraum gibt, sind auch Pausen während d<strong>er</strong> Arbeit nicht <strong>er</strong>laubt.<br />
Gemüsemärkten wohnen – so wie ich. Dafür würden<br />
sie auf d<strong>er</strong> Stelle ihre armseligen Wass<strong>er</strong>grundstücke<br />
in Brandenburg v<strong>er</strong>kaufen. Doch w<strong>er</strong><br />
sollte die denn wollen? Wessis bestimmt nicht.<br />
Sehr <strong>er</strong>freulich waren meine <strong>er</strong>sten Kontakte<br />
mit den Menschen, die hi<strong>er</strong> mehr geschätzt w<strong>er</strong>den<br />
als alles sonst auf d<strong>er</strong> Welt: Les<strong>er</strong>. So führte<br />
ich z.B. Telefongespräche mit Les<strong>er</strong>n, die gleich<br />
noch ein zweites Abo zusätzlich abschließen wollten,<br />
als sie an meinem saub<strong>er</strong>en Hochdeutsch <strong>er</strong>kannten,<br />
<strong>das</strong>s ich aus dem Westen bin. Man<br />
m<strong>er</strong>kte einfach, <strong>das</strong>s diese Menschen in den <strong>er</strong>sten<br />
Jahren nach d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>einigung nur gute Erfahrungen<br />
mit Westdeutschen gemacht hatten und<br />
dementsprechend allem Fremden aufgeschlossen<br />
gegenüb<strong>er</strong>standen.<br />
Das war jedoch nicht bei allen so. Vor allem einige<br />
Kollegen können ihre Feindseligkeit auch <strong>jetzt</strong><br />
noch kaum v<strong>er</strong>hehlen, weshalb ich seit meinem<br />
<strong>er</strong>sten Arbeitstag p<strong>er</strong>manentem Mobbing ausgesetzt<br />
bin. Das geht so weit, <strong>das</strong>s manche mich<br />
selbst bis in die Mittagspause v<strong>er</strong>folgen, um mich<br />
durch imm<strong>er</strong> größ<strong>er</strong>e Mengen Ethanol zu v<strong>er</strong>giften.<br />
Die größten Schäden d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>einigung sehe ich<br />
all<strong>er</strong>dings imm<strong>er</strong>, wenn ich zurück in die Heimat<br />
fahre. Wie sich <strong>das</strong> schöne alte Deutschland v<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>t<br />
hat: Üb<strong>er</strong>all sprießen Handy-Shops, Sandwichläden<br />
und Matratzendiscount<strong>er</strong> wie Unkraut<br />
aus dem Boden. Auß<strong>er</strong>dem benutzen die Leute<br />
beim Laufen Schistöcke, und üb<strong>er</strong>all gibt es den<br />
Kaffee <strong>jetzt</strong> auch zum Mitnehmen. Diese unsäglichen<br />
Ost-Moden sind mit d<strong>er</strong> Wied<strong>er</strong>v<strong>er</strong>einigung<br />
zu uns in den Westen gelangt, in mein<strong>er</strong> Kindheit<br />
hat es <strong>das</strong> alles nicht gegeben.<br />
So b<strong>er</strong>eue ich es mitunt<strong>er</strong> fürcht<strong>er</strong>lich, <strong>das</strong>s ich<br />
damals diesen Schritt gewagt habe. Was hätte ich<br />
im Westen nicht alles <strong>er</strong>reichen können! Ich hätte<br />
Karri<strong>er</strong>e machen können als W<strong>er</strong>betext<strong>er</strong> für aufstrebende<br />
Frisörbetriebe und Metzg<strong>er</strong>eien. Od<strong>er</strong><br />
ich hätte mich in d<strong>er</strong> sozialen Hängematte, die<br />
uns die neolib<strong>er</strong>alen Politik<strong>er</strong> aus dem Osten nehmen<br />
wollen, ausruhen können. Stattdessen leiste<br />
ich Aufbauhilfe und lasse mich für regelmäßiges<br />
Urlaubs- und Weihnachtsgeld bei ein<strong>er</strong> gefühlten<br />
35-Stunden-Woche und 30 Tagen Urlaub im Jahr<br />
ausbeuten. So bin ich ganz klar zum Opf<strong>er</strong> d<strong>er</strong><br />
Wied<strong>er</strong>v<strong>er</strong>einigung geworden. Ab<strong>er</strong> in dies<strong>er</strong> Weise<br />
wird d<strong>er</strong> Wessi eben nie gesehen. Mit dies<strong>er</strong> himmelschreienden<br />
Ung<strong>er</strong>echtigkeit muss ich leben.<br />
Gregor Füll<strong>er</strong><br />
EULENSPIEGEL 9/10 29
Digi tales<br />
30 EULENSPIEGEL 9/10
Beck<br />
EULENSPIEGEL 9/10 31
Jan Tomaschoff<br />
Anzeige<br />
In Schu<br />
Mit flammendem Kopf trat d<strong>er</strong> Präsident des<br />
Deutschen Hausärzte- und Girov<strong>er</strong>bandes vor<br />
die Mikrofone. Schaum wuchs ihm jedes Mal<br />
aus dem Mund, wenn <strong>er</strong> den Namen Philipp<br />
Rösl<strong>er</strong> aussprach. Die Augen rollten wie zornige<br />
Tig<strong>er</strong> in ihren Käfigen h<strong>er</strong>um, während <strong>er</strong> üb<strong>er</strong><br />
die soeben von d<strong>er</strong> Leine gelassene Gesundheitsreform<br />
zet<strong>er</strong>te. Und als <strong>er</strong> mit beißend<strong>er</strong><br />
Stimme einen Kampf bis aufs Skalpell gegen<br />
die Sparpläne ankündigte, fuhrw<strong>er</strong>kten seine<br />
Arme durch die Luft, als hätte <strong>er</strong> einen wid<strong>er</strong>spenstigen<br />
Patienten auf dem Unt<strong>er</strong>suchungs -<br />
tisch liegen.<br />
Würden die Einsparungen wahr, w<strong>er</strong>de eine<br />
Hausarztpraxis nach d<strong>er</strong> and<strong>er</strong>en ins Grab<br />
beißen, warnte ihr ob<strong>er</strong>st<strong>er</strong> lebend<strong>er</strong> Repräsentant,<br />
d<strong>er</strong>weil golfballgroße Pickel und Quaddeln,<br />
fett wie Brotlaibe, an seinem Hals und<br />
seinen Händen aufblühten, <strong>das</strong>s selbst die Journalisten<br />
sich kratzen mussten. »Kein Hausarzt<br />
wird jemals wied<strong>er</strong> Minist<strong>er</strong> Rösl<strong>er</strong> behandeln!<br />
Doch nötig hätte d<strong>er</strong>’s!«, gallte <strong>er</strong> in die weit<br />
aufgesp<strong>er</strong>rten Kam<strong>er</strong>as und v<strong>er</strong>wies darauf,<br />
<strong>das</strong>s jen<strong>er</strong> Rösl<strong>er</strong> bei d<strong>er</strong> Amtseinführung v<strong>er</strong>sprochen<br />
hatte, nicht an den Hausärzten zu rütteln.<br />
Diese hätten dah<strong>er</strong> mit weit<strong>er</strong>hin steil anschwellenden<br />
Kassen rechnen dürfen, viele b<strong>er</strong>eits<br />
im festen Hinblick darauf ein Pf<strong>er</strong>degestüt<br />
<strong>er</strong>worben od<strong>er</strong> sich in ein schmuckes Alpental<br />
eingekauft, ab<strong>er</strong> daran denke natürlich mal wied<strong>er</strong><br />
kein<strong>er</strong>.<br />
So sehr man die Regi<strong>er</strong>ung auf dem eigenen<br />
Kiek<strong>er</strong> habe: Man w<strong>er</strong>de die Patienten nicht<br />
v<strong>er</strong>gessen, v<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>te Deutschlands Hausarzt<br />
Numm<strong>er</strong> eins. Diese hätten schließlich Rösl<strong>er</strong><br />
gewählt, und wenn ein Kollege demnächst eine<br />
v<strong>er</strong>drehte Diagnose stelle, ein windiges Medikament<br />
v<strong>er</strong>schreibe od<strong>er</strong> eine nach hinten losgehende<br />
Th<strong>er</strong>apie anordne, weil eine auf guten<br />
Beinen stehende Exploration nicht mehr anständig<br />
v<strong>er</strong>gütet wird, so sei d<strong>er</strong> Hausarzt d<strong>er</strong> Letzte,<br />
d<strong>er</strong> <strong>das</strong> nicht von äuß<strong>er</strong>stem H<strong>er</strong>zen bedau<strong>er</strong>e<br />
und sowieso eine starke B<strong>er</strong>ufshaftpflichtv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ung<br />
im Besteckkasten habe, die die Sache<br />
weit draußen regelt.<br />
Die Hausärzte nehmen die neueste Gesundheitsreform<br />
also nicht auf die leichte Backe.<br />
Schon <strong>jetzt</strong> leben viele vom Hung<strong>er</strong>tuch. D<strong>er</strong><br />
Laie mag den ungläubigen Thomas schütteln,<br />
doch Belegstücke gibt es reichlich. Dr. haus.<br />
med. Wolf Czywalski aus Altbrandenburg zum<br />
Beispiel führt eine häufig anzutreffende Klage<br />
spazi<strong>er</strong>en: »Ich muss heute schon den schiefgespielten<br />
Hamst<strong>er</strong> mein<strong>er</strong> kleinen Patienten<br />
mit behandeln od<strong>er</strong> den aufgeblähten Dackel<br />
ein<strong>er</strong> alten Dame mit kuri<strong>er</strong>en und mir <strong>das</strong> am<br />
Gesetz vorbei in die nackte Hand bezahlen lassen,<br />
um auch nur einig<strong>er</strong>maßen üb<strong>er</strong>leben und<br />
32 EULENSPIEGEL 9/10
Andreas Prüstel<br />
Doktor spiele<br />
tt und Asche<br />
Ari Plikat<br />
meinem Sohn zum 18. Geburtstag einen fabrikfrischen<br />
BMW schenken zu können.«<br />
Ein ähnliches Lied hat Dr. land. med. G<strong>er</strong>linde<br />
Kappkes auf den Zähnen. Sie praktizi<strong>er</strong>t am<br />
schönen Unt<strong>er</strong>rhein, und ihr Schicksal ist bezeichnend<br />
für Medizin<strong>er</strong>, die mit beiden Stiefeln<br />
auf dem Land wohnen: »Ich bin es b<strong>er</strong>eits<br />
seit Jahren gewohnt, bei meinen Hausbesuchen<br />
auch die Zimm<strong>er</strong>pflanzen zu gießen, die Schwei -<br />
ne zu fütt<strong>er</strong>n und bei d<strong>er</strong> Ernte zu helfen. Nach<br />
Hausärzte drohen g<strong>er</strong>n mit<br />
dem Tod, auch ihrem eigenen<br />
dem Einheitlichen Bew<strong>er</strong>tungsmaßstab EBM d<strong>er</strong><br />
gesetzlichen Krankenv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ung kriege ich<br />
dafür kaum eine Handbreit Euros. Ab<strong>er</strong> ich muss<br />
es tun, weil die Alten sonst ins Heim abtauchen<br />
und ich <strong>das</strong> Benzin für mein Privatflugzeug ja<br />
auch irgendwie bezahlen muss.«<br />
Wie sie sehen sich nicht wenige Doktoren<br />
gezwungen, d<strong>er</strong> Legalität eine heimliche Nase<br />
zu drehen, um nicht eines Tages mit bis auf die<br />
Haut le<strong>er</strong>en Taschen zu enden und sich selbst<br />
essen zu müssen. Da rechnet d<strong>er</strong> eine schon<br />
mal eine Reparatur an seinem Haus als Op<strong>er</strong>ation<br />
an einem eingefressenen Zehennagel ab;<br />
eine and<strong>er</strong>e greift sich einen Haufen fiktiv<strong>er</strong> Patienten<br />
aus d<strong>er</strong> Luft – nicht etwa, um sich mit<br />
den <strong>er</strong>schwindelten Honoraren eine goldene<br />
Villa zu leisten, wie es <strong>das</strong> Vorurteil will, nein,<br />
um die bloße Existenz zu sich<strong>er</strong>n, denn ihre<br />
Putzfrau, ihr Gärtn<strong>er</strong> und ihr Kind<strong>er</strong>mädchen<br />
wollen schließlich auch von etwas leben. Fast<br />
schon niedlich ist d<strong>er</strong> Fall jenes Hausarztes mit<br />
gut<strong>er</strong> Anlage zur Akupunktur, d<strong>er</strong> sich die teuren<br />
Nadeln nicht mehr leisten kann und auf alte<br />
Nägel zurückgreifen muss. Od<strong>er</strong> man denke an<br />
den gar nicht so seltenen Medikus mit homöopathisch<strong>er</strong><br />
Zugangsb<strong>er</strong>echtigung, d<strong>er</strong> seine Mittelchen<br />
statt in hochauflösendem Alkohol künftig<br />
in billig<strong>er</strong> eigen<strong>er</strong> Spucke v<strong>er</strong>dünnen muss!<br />
Wenn <strong>er</strong> nicht sogar zum Speichelfluss seines<br />
hochw<strong>er</strong>tigen Hundes greift!<br />
D<strong>er</strong> Vorwurf, die Hausärzte gehörten zu den<br />
Privilegi<strong>er</strong>ten uns<strong>er</strong><strong>er</strong> in Wahrheit längst porös<br />
gewordenen Wohlstandsgesellschaft, tritt offenkundig<br />
daneben. »Die Zahlen, die in d<strong>er</strong> Öffentlichkeit<br />
h<strong>er</strong>umg<strong>er</strong>eicht w<strong>er</strong>den, stimmen<br />
oben und unten nicht«, <strong>er</strong>klärt d<strong>er</strong> schon weit<strong>er</strong><br />
oben dingfest gemachte Funktionär, d<strong>er</strong><br />
auch Geschäftsführ<strong>er</strong> des Bundes B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong><br />
Hausmedizin<strong>er</strong> und Swing<strong>er</strong>clubbesitz<strong>er</strong> ist.<br />
»Einem durchschnittlich bemittelten Hausarzt<br />
in Deutschland wachsen im Jahr g<strong>er</strong>ade mal<br />
kurze 100 000 Euro zu v<strong>er</strong>steu<strong>er</strong>ndes Einkommen<br />
zu. So viel haben g<strong>er</strong>ade mal fünf Prozent<br />
d<strong>er</strong> lebenden Bevölk<strong>er</strong>ung. Und fünf Prozent<br />
sind wirklich wenig, da stimmen Sie mir sich<strong>er</strong>lich<br />
zu. 95 Prozent dagegen sind viel mehr!«<br />
Sowieso sind die eben ins Treffen geführten<br />
100 000 Euro eine fadenscheinige Summe, da<br />
d<strong>er</strong> Arzt gar nicht frei üb<strong>er</strong> sie v<strong>er</strong>fügen kann.<br />
Er muss davon auch den Golfurlaub bezahlen,<br />
seine Segelflotte instand halten, Goldbarren<br />
kaufen und für die V<strong>er</strong>waltung sein<strong>er</strong> Miethäus<strong>er</strong><br />
aufkommen, ob es ihm passt od<strong>er</strong> nicht.<br />
Zwar ist den Hausärzten klar, <strong>das</strong>s die Kosten<br />
des deutschen Gesundheitssystems in<br />
astronomischen Höhen waten. Ebenso sind sie<br />
sich bewusst, <strong>das</strong>s dieses Gesundheitssystem<br />
auf vielen Schult<strong>er</strong>n fußt. »Wir wissen, <strong>das</strong>s<br />
alle den Gürtel schmal<strong>er</strong> schnallen müssen.<br />
Warum also ausg<strong>er</strong>echnet auch die Haus -<br />
ärzte?«, bringt d<strong>er</strong> b<strong>er</strong>eits mehrfach bezeichnete<br />
Lobbyist, d<strong>er</strong> auch Schatzmeist<strong>er</strong> d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>einigung<br />
Badisch<strong>er</strong> Hausärzte und Großwildjäg<strong>er</strong><br />
ist, die Sache auf den wunden Punkt. Und<br />
eines, grummelt <strong>er</strong> in sacktiefem, drohendem<br />
Bass und betont die Worte, als klopfe <strong>er</strong> bei<br />
jed<strong>er</strong> Silbe den Kni<strong>er</strong>eflex h<strong>er</strong>aus, eines müsse<br />
jed<strong>er</strong> Patient, also jed<strong>er</strong> Mensch, wissen: Wenn<br />
die Gesundheitspolitik weit<strong>er</strong>mache wie bish<strong>er</strong>,<br />
müssen wir üb<strong>er</strong> kurz od<strong>er</strong> lang alle st<strong>er</strong>ben.<br />
Schöne Aussichten!<br />
Pet<strong>er</strong> Köhl<strong>er</strong><br />
EULENSPIEGEL 9/10 33
Dinn<strong>er</strong> For Two
Barbara Hennig<strong>er</strong> / Gabi Stave
Anzeige<br />
Lachen<br />
Wenn im Osten eine Dau<strong>er</strong>w<strong>er</strong>besendung von den »schönsten<br />
Hits« des Sozialismus, den »weltbesten Osthits«, also dem<br />
Dreck aus d<strong>er</strong> Zone, unt<strong>er</strong>brochen wird, dann kommt Jugendlie<br />
be auf den Tell<strong>er</strong>, die auf den Tag genau 30 Jahre alt ist.<br />
Trockenhirnige Mod<strong>er</strong>atoren, nichts als »die aktuellsten Blitz<strong>er</strong>«<br />
im Kopf, sorgen dafür.<br />
Und sonst so, Ute Freudenb<strong>er</strong>g?<br />
Sonst eigentlich nichts, null.<br />
Doch! G<strong>er</strong>n sitzt sie in Talk -<br />
shows, um aus dem Alltag d<strong>er</strong> Diktatur<br />
zu plaud<strong>er</strong>n und zu beteu<strong>er</strong>n,<br />
<strong>das</strong>s sie es war, die irgendwie<br />
die Mau<strong>er</strong> eing<strong>er</strong>issen hat. Mit<br />
schreckstarren Augen <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>t sie<br />
sich durchlitten<strong>er</strong> Folt<strong>er</strong>: »Ich war<br />
bei d<strong>er</strong> einzigen DDR-Schallplattenfirma<br />
und beim staatlichen Komitee<br />
für Unt<strong>er</strong>haltungskunst aus<br />
mir un<strong>er</strong>klärlichen Gründen in Ungnade<br />
gefallen.« Die Gründe sind<br />
noch lief<strong>er</strong>bar: Die Frau konnte<br />
rein gar nichts, bewegte sich narkoleptisch,<br />
grinste unmotivi<strong>er</strong>t,<br />
wirkte desorienti<strong>er</strong>t, sah aus, als<br />
wäre ihr durch eine Laune d<strong>er</strong> Natur<br />
kein Haupt-, sond<strong>er</strong>n Schamhaar<br />
gewachsen (und zwar auf<br />
dem Kopf), und sang furchtbar<br />
stumpfes Zeug. Leid<strong>er</strong> war die stalinistische<br />
Geschmackspolizei nicht<br />
streng genug mit ihr.<br />
Geboren wurde Ute im Wint<strong>er</strong><br />
des Jahres 1956 in d<strong>er</strong> Nähe von<br />
Weimar. Entdeckt wurde sie im<br />
Somm<strong>er</strong>, zwölfeinhalb Jahre spät<strong>er</strong>,<br />
in einem F<strong>er</strong>ienlag<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jungpioni<strong>er</strong>e,<br />
wo sie ihr biografisches<br />
Schlüssel<strong>er</strong>lebnis mit dem Objektleit<strong>er</strong><br />
hatte (siehe Jugendliebe). Die<br />
DDR suchte manisch nach Talenten,<br />
um sie für den Kommunismus<br />
zu missbrauchen. Praktisch jed<strong>er</strong><br />
musste irgendwie begabt sein.<br />
Und so durfte auch Ute bald an<br />
d<strong>er</strong> Musikhochschule studi<strong>er</strong>en<br />
und <strong>er</strong>warb den staatlichen Abschluss<br />
ein<strong>er</strong> Rock<strong>er</strong>lady. Fortan<br />
wurde Jugendliebe rauf und runt<strong>er</strong><br />
gedudelt, wofür d<strong>er</strong> Diplom-Int<strong>er</strong>pretin<br />
ein ums and<strong>er</strong>e Mal in öffentlichen<br />
V<strong>er</strong>kehrsmitteln Prügel<br />
angeboten wurden. Ab<strong>er</strong> die SED<br />
und ihre Funkmedien waren un<strong>er</strong>bittlich.<br />
Kein Wund<strong>er</strong>, denn den<br />
Refrain hatte d<strong>er</strong> Text<strong>er</strong> Burkhard<br />
Lasch (wurde nach d<strong>er</strong> Wende<br />
nicht einmal angeklagt) den Funktionären<br />
aus dem blutroten H<strong>er</strong>zen<br />
geschrieben:<br />
Jugendliebe bringt<br />
den Tag, wo man beginnt,<br />
alles um sich h<strong>er</strong><br />
ganz and<strong>er</strong>s anzuseh’n. Ha! Ha!<br />
Lachen trägt die Zeit,<br />
die unv<strong>er</strong>gessen bleibt,<br />
denn sie ist traumhaft schööön.<br />
D<strong>er</strong> Sozialismus trägt ein Lachen<br />
und ist traumhaft schööön! Bess<strong>er</strong><br />
geht es nicht. Das Volksbildungsminist<strong>er</strong>ium<br />
unt<strong>er</strong> Margot H. war<br />
hing<strong>er</strong>issen und <strong>er</strong>wog sogar, <strong>das</strong><br />
eindrückliche »Ha! Ha!« als sozialistischen<br />
Morgengruß in den Schulen<br />
einzuführen. (Das Projekt wurde<br />
indes v<strong>er</strong>worfen, denn man fürchtete<br />
zynische Kommentare aus dem<br />
Westen, die <strong>das</strong> kollektive »Ha! Ha!«<br />
als »Lachnumm<strong>er</strong>« läch<strong>er</strong>lich gemacht<br />
hätten.) Mit Hilfe d<strong>er</strong> Sup<strong>er</strong>illu,<br />
dem Blatt für sämtliche Freudenb<strong>er</strong>gsche<br />
Lebenslagen, v<strong>er</strong>suchte<br />
die Freudenb<strong>er</strong>g nach d<strong>er</strong><br />
Revolution, diesen Text als Akt des<br />
antikommunistischen Wid<strong>er</strong>stands<br />
anzupreisen: Das kleine Glück in<br />
d<strong>er</strong> privaten Nische, Lachen (Ha!<br />
Ha!) trotz p<strong>er</strong>manentem Bananen -<br />
entzug, d<strong>er</strong> ironische Uhrenv<strong>er</strong>gleich<br />
(»Lachen trägt die Zeit«) als<br />
36 EULENSPIEGEL 9/10
Ost pop<br />
trägt die Zeit<br />
kühn<strong>er</strong> Vorgriff auf »W<strong>er</strong> zu spät<br />
kommt, den bestraft <strong>das</strong> Leben«.<br />
Ute ging es bestens. Ab<strong>er</strong> sie<br />
wollte mehr! Sie wollte auch in den<br />
»Musikantenstadl« und zu »Rock am<br />
Ring«. Und Bielefeld wollte sie »rasend<br />
g<strong>er</strong>n« mal kennenl<strong>er</strong>nen – v<strong>er</strong>ständlich,<br />
wenn man aus Weimar<br />
kommt. Das kam den SED-Bonzen<br />
g<strong>er</strong>ade recht. Sie hatten <strong>er</strong>kannt,<br />
<strong>das</strong>s aus dem Freudenb<strong>er</strong>g ohnehin<br />
kein frisch<strong>er</strong> Quell mehr sick<strong>er</strong>n<br />
würde, und wollten den DDR-Bürg<strong>er</strong>n<br />
als abschreckendes Beispiel<br />
vorführen, wie sogar ein »Schlag<strong>er</strong>st<strong>er</strong>nchen«<br />
auf die Fresse fallen<br />
kann, wenn es nichts kann und es<br />
mit Nichtskönnen im Westen v<strong>er</strong>sucht.<br />
Sie ließen die Freudenb<strong>er</strong>g,<br />
v<strong>er</strong>sehen mit einem V<strong>er</strong>pflegungsbeutel<br />
(1 Dau<strong>er</strong>wurst, 1 Ei, Kekse aus<br />
Wurzen) nach Hamburg zu F<strong>er</strong>nsehaufnahmen<br />
reisen. Und die wollte<br />
prompt nicht mehr nach Hause kommen.<br />
In Prenzlau<strong>er</strong> B<strong>er</strong>g soll es daraufhin<br />
zu illegalen Hint<strong>er</strong>hofpartys<br />
unt<strong>er</strong> dem Motto »Freude, sie ist<br />
üb<strong>er</strong>n B<strong>er</strong>g!« gekommen sein.<br />
Um ihre Sozialisi<strong>er</strong>ung in einem<br />
Pioni<strong>er</strong>f<strong>er</strong>ienlag<strong>er</strong> in d<strong>er</strong> Welt d<strong>er</strong><br />
Kommunistenv<strong>er</strong>folgung zu v<strong>er</strong>schlei<strong>er</strong>n,<br />
tingelte die F. fortan unt<strong>er</strong><br />
dem Tarnnamen Heath<strong>er</strong> Jones<br />
durch die Lande. In d<strong>er</strong> Sup<strong>er</strong>illu<br />
schild<strong>er</strong>te sie spät<strong>er</strong> <strong>er</strong>greifend, wie<br />
die Plattenfirma nicht nur einfach<br />
ihren Pass und ihre Wechselwäsche,<br />
sond<strong>er</strong>n auch ihren Mädchennamen<br />
kassi<strong>er</strong>t hat – mit d<strong>er</strong> Begründung,<br />
Ute Freudenb<strong>er</strong>g, <strong>das</strong> klinge ja wie<br />
Dörte Venushügel. Mit diesem Namen<br />
könne sie höchstens in einem<br />
Düsseldorf<strong>er</strong> Vorstadtpuff auftreten.<br />
Damals war sie offenbar dankbar<br />
für diesen Rat, sang schnell noch<br />
den Titelsong für einen »Tatort« ein<br />
und v<strong>er</strong>schwand dann im finst<strong>er</strong>en<br />
Rumpf eines Ausflugdampf<strong>er</strong>s. Da<br />
wäre sie heute noch und uns viel<br />
<strong>er</strong>spart geblieben …<br />
Doch es kam die Wende! Heath<strong>er</strong><br />
Jones drückte sich noch eine Weile<br />
v<strong>er</strong>schämt am ehemaligen Eis<strong>er</strong>nen<br />
Vorhang h<strong>er</strong>um, bettelte auf Wied<strong>er</strong>v<strong>er</strong>einigungs-Volksfesten<br />
um Muggen,<br />
fraß trocken Brot, wusch sich<br />
nicht mehr und kürzte sich nicht<br />
mehr die Zähne. Schließlich v<strong>er</strong>steckte<br />
sie sich im WC des Int<strong>er</strong>zonenzuges<br />
nach Erfurt. Als die blinde<br />
Passagi<strong>er</strong>in auf den Bahnhofsvorplatz<br />
kam, wo d<strong>er</strong>einst Willy Brandt<br />
gefei<strong>er</strong>t worden war (»Willy mach<br />
<strong>das</strong> Rollo hoch / denn wir Ossis warten<br />
doch!«), stand da eine ungeheure<br />
Menschenmenge, und Leute<br />
sprangen begeist<strong>er</strong>t in die Höhe.<br />
Nach Bananen, die ihnen zugeworfen<br />
wurden. Ute war bitt<strong>er</strong> gekränkt.<br />
Deshalb ging sie in eine Talkshow<br />
und entschuldigte sich schniefend<br />
bei ihrem Publikum, <strong>das</strong>s sie so<br />
lange v<strong>er</strong>reist gewesen sei. Ab<strong>er</strong><br />
dafür, sagte sie, habe sie ihren Fans<br />
ja auch was Schönes mitgebracht,<br />
die Freiheit und so. Fast täglich üb<strong>er</strong>fällt<br />
sie seitdem F<strong>er</strong>nsehredakteure,<br />
die sie an den unmöglichsten Orten<br />
aufspürt, damit die mal wied<strong>er</strong> Jugendliebe<br />
spielen. Sie war bei Marianne<br />
und Michael und zu Gast bei<br />
d<strong>er</strong> Betonfrisur Carmen Nebel. G<strong>er</strong>ne<br />
zeigt die Freudenb<strong>er</strong>g bei diesen Gelegenheiten<br />
ihre hohen politischen<br />
Auszeichnungen vor – den »Braunschweig<strong>er</strong><br />
Karnevalsorden«, den »H<strong>er</strong>b<strong>er</strong>t-Roth-Preis«<br />
und die »Goldene<br />
Kralle«, vom Skifahr<strong>er</strong> und Ladykill<strong>er</strong><br />
Diet<strong>er</strong> Althaus v<strong>er</strong>liehen, d<strong>er</strong> in<br />
d<strong>er</strong> Jugendliebe in so ausreichendem<br />
Maße <strong>das</strong> Land Thüringen repräsenti<strong>er</strong>t<br />
sah, <strong>das</strong>s <strong>er</strong> Sinfonieorchest<strong>er</strong>n<br />
die Zuschüsse strich. Und die »Goldene<br />
Henne« von d<strong>er</strong> Sup<strong>er</strong>illu.<br />
Ab<strong>er</strong> die Homestorys w<strong>er</strong>den<br />
knapp. Deshalb trennte sich uns<strong>er</strong>e<br />
Ute kürzlich nach 26 Jahren von ihrem<br />
Gatten. »Das Geständnis« legte sie<br />
natürlich in d<strong>er</strong> Sup<strong>er</strong>illu ab (Bunte<br />
ist nicht int<strong>er</strong>essi<strong>er</strong>t). Deshalb also<br />
die Worte voll<strong>er</strong> dunkl<strong>er</strong> Andeutungen<br />
auf ihr<strong>er</strong> neuesten Single<br />
»Hin&H<strong>er</strong>«: »Manchmal g’radeaus<br />
und manchmal qu<strong>er</strong>. Das Schicksal<br />
schiebt uns imm<strong>er</strong> hin und h<strong>er</strong>. D<strong>er</strong><br />
Grund für »<strong>das</strong> dramatische Ehe-<br />
Aus«: Ihr Mann Pet<strong>er</strong> hatte Ute höflich<br />
gebeten, <strong>das</strong> abendliche gemeinsame<br />
Abhören von Jugendliebe nur<br />
noch an ung<strong>er</strong>aden Tagen stattfinden<br />
zu lassen. Sie schmiss ihn raus<br />
und drehte die Boxen auf.<br />
Wie es nun mit »d<strong>er</strong> großen Freudenb<strong>er</strong>g«<br />
(Sup<strong>er</strong>illu) weit<strong>er</strong>geht?<br />
Nun, sie träumt davon, <strong>das</strong>s die and<strong>er</strong>e<br />
große Stimme des Ostens,<br />
ebenfalls Träg<strong>er</strong>in d<strong>er</strong> Goldenen<br />
Henne, Angela M<strong>er</strong>kel, sie zu ihren<br />
Freundinnen zählt, neben Friede<br />
Spring<strong>er</strong>, Frau v. Hardenb<strong>er</strong>g od<strong>er</strong><br />
Sabine Christiansen. Ihr würde sie<br />
g<strong>er</strong>n ihren nächsten Hit widmen. So<br />
was wie Jugendliebe. Vielleicht mit<br />
dem Refrain:<br />
Lachen trägt die Zeit,<br />
die unv<strong>er</strong>gessen bleibt,<br />
denn sie ist traumhaft schööön.<br />
Ha! Ha!<br />
Thomas Behl<strong>er</strong>t<br />
Zeichnung: Uwe Krumbiegel<br />
Nächst<strong>er</strong> Auftritt: 25. Septemb<strong>er</strong>,<br />
Konz<strong>er</strong>tmuschel Bad Elst<strong>er</strong><br />
EULENSPIEGEL 9/10 37
Seit April sucht die<br />
Europäische Union fieb<strong>er</strong>haft<br />
nach einem Dicht<strong>er</strong> od<strong>er</strong><br />
Schlag<strong>er</strong>text<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> aus<br />
Politik Poesie destilli<strong>er</strong>en<br />
kann: Die Charta d<strong>er</strong><br />
Grundrechte soll in V<strong>er</strong>se<br />
gegossen w<strong>er</strong>den, möglichst<br />
singbar, damit sie die<br />
Europä<strong>er</strong> irgendwann<br />
(z.B. aus Anlass von Naturkatastrophen,<br />
Kriegen od<strong>er</strong><br />
Aufnahme d<strong>er</strong> Türkei) singen<br />
können. Grönemey<strong>er</strong> und<br />
Grünbein haben es v<strong>er</strong>sucht –<br />
und sind gescheit<strong>er</strong>t.<br />
Uns<strong>er</strong> Dicht<strong>er</strong><br />
G<strong>er</strong>hard Henschel<br />
hat <strong>das</strong> hehre Anliegen zu<br />
dem seinigen gemacht und<br />
legt hi<strong>er</strong> einen Text vor, d<strong>er</strong><br />
auch vor dem Menscheng<strong>er</strong>ichtshof<br />
bestehen könnte, in<br />
dem sich manch<strong>er</strong>lei reimt<br />
und d<strong>er</strong> am besten inn<strong>er</strong>halb<br />
ein<strong>er</strong> Sippe mit v<strong>er</strong>teilten<br />
Stimmen g<strong>er</strong>ufen<br />
w<strong>er</strong>den sollte.<br />
Ich und du<br />
Menschenskind<strong>er</strong>, in Europa seid Ihr echt voll<br />
krass geschützt:<br />
Eure Würde, 1 eu<strong>er</strong> Leben 2 und was Ihr privat<br />
besitzt, 3<br />
Alles <strong>das</strong> ist hoch und heilig, und Ihr habt ein<br />
Recht darauf!<br />
Unv<strong>er</strong>sehrtheit, 4 Freiheit, 5 Ruhe, 6 Datenschutz im<br />
Lebenslauf, 7<br />
Gleichheit, 8 Ehe, 9 Weltanschauung, Religion 10 und<br />
flotte Drei<strong>er</strong>, 11<br />
Forschung, Kunst 12 und Weit<strong>er</strong>bildung, 13 nichts<br />
davon ist uns zu teu<strong>er</strong>.<br />
★<br />
Bürg<strong>er</strong>innen, Bürg<strong>er</strong>, spürt:<br />
Die EU, <strong>das</strong> sind wir alle!<br />
Und was uns zusammenführt,<br />
Das ist eine Gürtelschnalle,<br />
Die uns äuß<strong>er</strong>lich v<strong>er</strong>bindet,<br />
So <strong>das</strong>s eins zum and’ren findet.<br />
Ich und du und wir und sie,<br />
Nach d<strong>er</strong> schönsten Melodie:<br />
Üb<strong>er</strong>all gibt’s Nachbarländ<strong>er</strong>.<br />
Wir gehören zueinänd<strong>er</strong>!<br />
Die Türkei zum Beispiel und<br />
Syrien und <strong>das</strong> Neg<strong>er</strong>lund:<br />
Afrika, wir hör’n dir trapsen!<br />
Und dann gibt’s auch noch die Japsen ...<br />
★<br />
Das Asylrecht, 14 tja, <strong>das</strong> ist halt für uns alle ein<br />
Problem.<br />
Damit könn’n wir in Europa einfach irnkswo nich’<br />
gut lehm.<br />
Dass da <strong>jetzt</strong> aus all<strong>er</strong> Welt, nu ja, die Prolls, von<br />
üb<strong>er</strong>all,<br />
Und nun mischen die uns uff, dat is’ doch denen<br />
ganz ejal!<br />
Seid umschlungen, Millionen – ja, <strong>das</strong> sagt sich so<br />
dahinne!<br />
Ab<strong>er</strong> woll’n wa denn Schmarotz<strong>er</strong> hi<strong>er</strong><br />
h<strong>er</strong>beilocken? Pfui Spinne.<br />
★<br />
Komm’ wa nunmehr zu die Kind<strong>er</strong>:<br />
Die hamm ihre eig’nen Rechte, 15<br />
Und ditt gleiche gilt natürlich<br />
Auch für hochbetagte Sünd<strong>er</strong>. 16<br />
O yeah, und auch für Menschen mit<br />
Behind<strong>er</strong>ung, 17<br />
O yeah, denn sie sollen nicht diskrimini<strong>er</strong>t<br />
w<strong>er</strong>den,<br />
O yeah, nev<strong>er</strong> nev<strong>er</strong> ev<strong>er</strong>, no,<br />
No, no, no,<br />
Kein einziges Mal,<br />
Nein, keine Diskrimini<strong>er</strong>ung,<br />
O yeah,<br />
We don’t want that shit,<br />
O yeah,<br />
It’s so wond<strong>er</strong>ful to live in a world<br />
Without Diskrimini<strong>er</strong>ung.<br />
Yeah,<br />
Without Diskrimini<strong>er</strong>ung,<br />
And it’s wond<strong>er</strong>ful, too, to live in a society,<br />
Wh<strong>er</strong>e th<strong>er</strong>e’s a Recht auf Unt<strong>er</strong>richtung, yeah,<br />
Und auf Anhörung d<strong>er</strong> Arbeitnehm<strong>er</strong>innen und<br />
Arbeitnehm<strong>er</strong><br />
Im Unt<strong>er</strong>nehmen, yeah. 18<br />
★<br />
O yeah, o Baby, Baby, Baby,<br />
Und ebenso wichtig ist auch <strong>das</strong> Recht,<br />
Uh, auf Kollektivv<strong>er</strong>handlungen und<br />
Kollektivmaßnahmen, 19<br />
Uh, ah, und <strong>das</strong> Recht, yeah,<br />
Das Recht auf Zugang zu einem<br />
Arbeitsv<strong>er</strong>mittlungsdienst, 20<br />
Und wat willste denn noch mehr,<br />
Hey, Brud<strong>er</strong>,<br />
Hey, Schwest<strong>er</strong>,<br />
Okay, okay, okay,<br />
I will give it to you,<br />
I will give it to you:<br />
Take it now, ohoho,<br />
H<strong>er</strong>e it is:<br />
Schutz bei ung<strong>er</strong>echtf<strong>er</strong>tigt<strong>er</strong> Entlassung, 21<br />
Das Recht auf g<strong>er</strong>echte und angemessene<br />
Arbeitsbedingungen, 22<br />
Yo,<br />
Und <strong>das</strong> V<strong>er</strong>bot d<strong>er</strong> Kind<strong>er</strong>arbeit und d<strong>er</strong> Schutz,<br />
Ja, d<strong>er</strong> Schutz,<br />
Ja, d<strong>er</strong> Schutz, d<strong>er</strong> Schutz, d<strong>er</strong> Schutz d<strong>er</strong><br />
Jugendlichen<br />
An ihrem, yeah, an ihrem Arbeitsplatz ... 23<br />
★<br />
38 EULENSPIEGEL 9/10
Euro tik<br />
und wir und die<br />
And then, folks, th<strong>er</strong>e is a thing called<br />
Familien- und B<strong>er</strong>ufsleben. 24<br />
Nev<strong>er</strong> heard of that goddamned thing?<br />
Anyway, it’s okay,<br />
Yeah, it’s okay,<br />
Because, d<strong>er</strong> rechtliche, wirtschaftliche und soziale<br />
Schutz d<strong>er</strong> Familie,<br />
O yeah,<br />
Wird gewährleistet, Leute, 25<br />
Und um <strong>das</strong> Familien- und <strong>das</strong> B<strong>er</strong>ufsleben in<br />
Einklang bringen zu können,<br />
Hat jed<strong>er</strong> Mensch,<br />
Ihr hört es,<br />
Hat jed<strong>er</strong> Mensch,<br />
Ihr hört es, ihr hört es, ihr hört es,<br />
Das Recht auf Schutz vor Entlassung aus einem<br />
Mit d<strong>er</strong> Mutt<strong>er</strong>schaft zusammenhängenden Grund,<br />
Yeah! Od<strong>er</strong>: Yo!<br />
Sowie den Anspruch auf einen bezahlten,<br />
Einen bezahlten, o Baby, dig it, Mutt<strong>er</strong>schaftsurlaub<br />
Und, ohoho, auf einen Elt<strong>er</strong>nurlaub und noch ganz<br />
and<strong>er</strong>e Dinge,<br />
Wie zum Beispiel, ouh,<br />
Wie zum Beispiel, ouäh,<br />
Wie zum Beispiel,<br />
Äh,<br />
Äh,<br />
Äh,<br />
Da müsste man denn eben schon einen<br />
Rechtsanwalt fragen,<br />
Denn es geht da um ganz konkrete Rechtsansprüche<br />
Und auch um Sachen wie soziale Sich<strong>er</strong>heit, 26<br />
Gesundheitsschutz 27 und Zugang, jawohl,<br />
Echten Zugang zu Dienstleistungen<br />
Von allgemeinem wirtschaftlichen Int<strong>er</strong>esse, 28<br />
O Junge, o Junge, gib’s mir, gib’s mir,<br />
Yeah, und d<strong>er</strong> Rest, d<strong>er</strong> Rest, d<strong>er</strong> Rest,<br />
Ich meine, den Rest d<strong>er</strong> Gesetze, 29<br />
Den solltet Ihr Euch dann einfach mal selb<strong>er</strong><br />
anschauen.<br />
Hey, hey, hey!<br />
Das ist nicht zu viel v<strong>er</strong>langt.<br />
Das ist nicht zu viel v<strong>er</strong>langt!<br />
★<br />
Und <strong>jetzt</strong> alle so:<br />
Was fehlt noch? Was fehlt noch?<br />
Und die Bürg<strong>er</strong>innen und Bürg<strong>er</strong> d<strong>er</strong> EU so:<br />
Ey, fehlt da noch was?<br />
Ey-heyo-hey, fehlt da noch was?<br />
★<br />
Und dann so die Masse voll so:<br />
Hey klar, da fehlt noch wat.<br />
Pass ma uff:<br />
Wat da fehlt, ey,<br />
Hey, wat da fehlt,<br />
Dat is’ d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>brauch<strong>er</strong>schutz. 30<br />
Un’ denn is’ da, denn is’ da, denn is’ da<br />
Eine riesige Hochachtung, hey,<br />
Vor dem aktiven und passiven Wahlrecht, Alt<strong>er</strong>, 31<br />
Und auch vor dem Recht auf eine gute<br />
V<strong>er</strong>waltung, 32<br />
Und dann hi<strong>er</strong> so, ey, <strong>das</strong> ganz and<strong>er</strong>e Zeug,<br />
Ey, ick gloob’s ja bald nüscht!<br />
Ick sach nur: Jesundheitsschutz. 33<br />
Ab<strong>er</strong> im großen und ganzen sind wir durch,<br />
Sind wir durch mit dem Thema Grundrechte,<br />
Sind wir durch,<br />
Sind wir durchowitsch,<br />
Sind wir hi<strong>er</strong> voll durchowitscholoff.<br />
★<br />
Und was noch zu sagen wäre,<br />
Ist nur dies: Mach Dich nackt, wenn Du’s<br />
brauchst,<br />
Hey, mach Dich nackt, od<strong>er</strong> bleib’ angezogen,<br />
Ab<strong>er</strong> mach’ Dich frisch für Europa,<br />
Wenn es Dir möglich ist.<br />
Denn Europa braucht Leute wie Dich,<br />
O yeah.<br />
★<br />
Und <strong>jetzt</strong> alle:<br />
Die Grundrechte, die Grundrechte<br />
In d<strong>er</strong> EU, holladi-ho (clap hands!)<br />
Die sind sehr gut gesich<strong>er</strong>t,<br />
In d<strong>er</strong> EU, holladi-ho (clap hands again!).<br />
Und wenn wir fei<strong>er</strong>n wollen, fei<strong>er</strong>n wir!<br />
Da wird Rabatz gemacht, solange,<br />
Bis die ganze Bude kracht,<br />
Und wenn die and<strong>er</strong>en zur Arbeit gehen,<br />
Sagen wir: Gut Nacht! 34 ★<br />
1) Art. 1<br />
2) Art. 2<br />
3) Art. 17<br />
4) Art. 3, 4<br />
5) Art. 5, 6, 10–13, 15, 16<br />
6) Art. 7<br />
7) Art. 8<br />
8) Art. 20–23<br />
9) Art. 9<br />
10) Art. 10<br />
11) Art. 21 (»Diskrimini<strong>er</strong>ungen insbesond<strong>er</strong>e<br />
wegen ... d<strong>er</strong> sexuellen Ausrichtung sind v<strong>er</strong>boten«)<br />
12) Art. 13<br />
13) Art. 14<br />
14) Art. 18<br />
15) Art. 24<br />
16) Art. 25<br />
17) Art. 26<br />
18) Art. 27<br />
19) Art. 28<br />
20) Art. 29<br />
21) Art. 30<br />
22) Art. 31<br />
23) Art. 32<br />
24) Art. 33<br />
25) Art. 33, 1<br />
26) Art. 34<br />
27) Art. 35<br />
28) Art. 36<br />
29) Art. 37 ff.<br />
30) Art. 38<br />
31) Art. 39<br />
32) Art. 41<br />
33) Art. 35 (siehe weit<strong>er</strong> oben)<br />
34) V<strong>er</strong>steckte Anspielung auf Tony Marshall,<br />
Inga und Wolf, Reinhard Mey und Adolf Hitl<strong>er</strong><br />
EULENSPIEGEL 9/10 39
Das Ostseebad Pr<strong>er</strong>ow <strong>er</strong>reicht<br />
vom 10. bis 12. Septemb<strong>er</strong> 2010<br />
die höchste Karikaturistendichte<br />
pro Kopf d<strong>er</strong> Bevölk<strong>er</strong>ung<br />
weltweit! Od<strong>er</strong> and<strong>er</strong>s gesagt:<br />
Es w<strong>er</strong>den mehr Karikaturisten<br />
anwesend sein, als einheimische<br />
Jungfrauen üb<strong>er</strong> 15 Jahre<br />
an diesem Ort ansässig sind.<br />
Kommen auch Sie zum Cartoonisten-Workshop<br />
mit Abschluss -<br />
party und V<strong>er</strong>leihung des Publikumspreises<br />
in den Garten vom<br />
Kulturkaten! Seien Sie dabei,<br />
wenn <strong>Eulenspiegel</strong>-Cartoonisten<br />
zeichnen, signi<strong>er</strong>en, Bi<strong>er</strong> trinken,<br />
unanständige Witze <strong>er</strong>zählen od<strong>er</strong><br />
sich im Schritt kratzen, weil<br />
ihnen einfach nichts einfällt.<br />
Unt<strong>er</strong> and<strong>er</strong>em folgende<br />
W<strong>er</strong>ke gab es zum Thema des<br />
Jahres 2009:<br />
André Poloczek<br />
Halbinselwitze<br />
Burkhard Fritsche<br />
Rudi Hurzlmei<strong>er</strong><br />
Uwe Krumbiegel<br />
40 EULENSPIEGEL 9/10
Buch<br />
Wenn ein<strong>er</strong> in die F<strong>er</strong>ien fährt, dann kann <strong>er</strong><br />
was <strong>er</strong>zählen. Vor allem dann, wenn <strong>er</strong> sich<br />
mit d<strong>er</strong> neuesten, also politisch korrekten Reise -<br />
lektüre eingedeckt hat. Die in Heimatstuben, Museen<br />
und Touristeinfang-Einrichtungen nur darauf<br />
wartet, zur großen Belehrungsform aufzulaufen.<br />
Die diesjährige Rech<strong>er</strong>che-Tour auf den Spuren<br />
d<strong>er</strong> endlich richtiggestellten deutschen Geschichte<br />
führte den Urlaubs-Liktoren (mit Rutenbündel<br />
und Hackebeil ausgestatteten Les<strong>er</strong>) nach<br />
Mecklenburg-Vorpomm<strong>er</strong>n, einen Landstrich, d<strong>er</strong><br />
vi<strong>er</strong>zig Jahre nur einen Halbnamen tragen durfte,<br />
von d<strong>er</strong> Unrechtsrepublik stracks v<strong>er</strong>ordnet. Da<br />
oben war alles Mecklenburg od<strong>er</strong> noch undemokratisch<strong>er</strong>:<br />
»die drei Nordbezirke«.<br />
Um die tiefschürfende Aufarbeitung würdigen<br />
zu können, sollte man altes Heimatmat<strong>er</strong>ial h<strong>er</strong>anziehen.<br />
Dort musste man einst die demagogische<br />
Behauptung lesen: »Klimatisch ist <strong>das</strong><br />
Gebiet durch seine maritime Lage begünstigt.«<br />
So belog uns d<strong>er</strong> Tourist-V<strong>er</strong>lag auf d<strong>er</strong> Rückseite<br />
sein<strong>er</strong> Karte Fischland und Darß. Od<strong>er</strong> d<strong>er</strong>art:<br />
»Eine must<strong>er</strong>gültige Landgemeinde<br />
im Bezirk Rostock ist Trinwill<strong>er</strong>shagen.<br />
Hi<strong>er</strong> wie in allen Orten zeugen<br />
neue Produktions- und Wohnbauten<br />
sowie d<strong>er</strong> Maschinenbau von dem<br />
zum Bess<strong>er</strong>en v<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>ten Leben d<strong>er</strong><br />
Einwohn<strong>er</strong>.«<br />
Heute liest sich <strong>das</strong> so: »Auf Deutsch -<br />
lands größt<strong>er</strong> Insel (warum v<strong>er</strong>schwiegen<br />
die SED-Machthab<strong>er</strong> dies?) zeugen<br />
üb<strong>er</strong>all neue Hotels und F<strong>er</strong>ienunt<strong>er</strong>künfte<br />
vom Aufschwung auf d<strong>er</strong> Insel.«<br />
All<strong>er</strong>dings setzen sich solche historischen<br />
Wahrheiten nur langsam durch. 1993 steht im<br />
DuMont-Reiseführ<strong>er</strong> Rügen Hiddensee dieses:<br />
»Am Marktplatz <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>t die von Pet<strong>er</strong> Jaeg<strong>er</strong> geschaffene<br />
Plastik ›Aufbau von Gingst‹ an die Leistung<br />
d<strong>er</strong> FDJ, die nach dem letzten Brand von<br />
1950 tatkräftig zur Wied<strong>er</strong>h<strong>er</strong>stellung des Ortes<br />
beigetragen hat.« Weiß man bei DuMont in Köln<br />
vielleicht nicht, <strong>das</strong>s die FDJ Bau<strong>er</strong>nhöfe brandschatzte<br />
und sämtliche Backstein-Dorfkirchen<br />
v<strong>er</strong>bot? Bundeszentrale für politische Bildung –<br />
üb<strong>er</strong>nehmen Sie!<br />
Denn solche fehlende Wachsamkeit führt dazu,<br />
<strong>das</strong>s man in d<strong>er</strong> 4. aktualisi<strong>er</strong>ten(!) Auflage d<strong>er</strong><br />
Rad- und Wand<strong>er</strong>karte Hiddensee-Ummanz<br />
(v<strong>er</strong>lag grünes h<strong>er</strong>z) aus dem Jahre 2010(!) lesen<br />
muss: »Zu <strong>er</strong>wähnen wäre die von Pet<strong>er</strong> Jaeg<strong>er</strong><br />
geschaffene Plastik ›Aufbau von Gingst‹, die am<br />
Marktplatz an die Leistung d<strong>er</strong> FDJ, den tatkräftigen<br />
Beitrag zur Wied<strong>er</strong>h<strong>er</strong>stellung des Ortes<br />
nach dem Brand von 1950 <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>t.«<br />
Müssen wir denn dau<strong>er</strong>nd die auf dem Müllhaufen<br />
d<strong>er</strong> Geschichte gelandete Freie Deut -<br />
sche Jugend in uns<strong>er</strong>en demokratischen Neuaufbau<br />
mit einbringen? G<strong>er</strong>ade auf Rügen gibt es<br />
doch Leistungen, die mit unnachahmlichem<br />
Stolze endlich wied<strong>er</strong> auf den Gipfel deutsch<strong>er</strong><br />
Kultur getragen w<strong>er</strong>den dürfen. Zum Beispiel<br />
Prora – Das <strong>er</strong>ste KdF-Bad Deutschlands.<br />
Das W<strong>er</strong>k von B<strong>er</strong>nfried Lichtnau (bish<strong>er</strong> 9 Auflagen!),<br />
in Peenemünde v<strong>er</strong>legt, einem and<strong>er</strong>en<br />
deutschen Lichtort, findet man an allen trauten<br />
Urlaub<strong>er</strong>v<strong>er</strong>sorgungseinrichtungen. D<strong>er</strong> Stolz auf<br />
<strong>das</strong> »Seebad d<strong>er</strong> 20 000« kann nur unwesentlich<br />
von d<strong>er</strong> Tatsache beschädigt w<strong>er</strong>den, <strong>das</strong>s<br />
dem <strong>er</strong>sten solchen Objekt keine drei, fünf, -zig<br />
weit<strong>er</strong>e folgen konnten, ja <strong>das</strong>s auch Prora leid<strong>er</strong><br />
durch den Gang d<strong>er</strong> Geschichte nicht zu dem<br />
Monument deutsch<strong>er</strong> Volksbeglückung w<strong>er</strong>den<br />
konnte, sond<strong>er</strong>n heute als bedeutendste Ruinenlandschaft<br />
nach Troja vor sich hindümpelt. Wie<br />
<strong>er</strong>haben stehen ab<strong>er</strong> in d<strong>er</strong> deutschen Urlaubsmemoriallandschaft<br />
ein paar Wortbausteine: »gewaltig<strong>er</strong><br />
Architekturtorso«, »prägnante architektonische<br />
Belege«, »Unt<strong>er</strong>schutzstellung p<strong>er</strong>iph<strong>er</strong><strong>er</strong><br />
Bauten«.<br />
Die penible Auflistung all<strong>er</strong> Risalite, Flügel- und<br />
Flankenbebauungen zeigt <strong>das</strong> offene H<strong>er</strong>z des<br />
deutschen Baupioni<strong>er</strong>s, d<strong>er</strong> im übrigen Clemens<br />
Klotz hieß, ein Name von deutschem Sturmgebraus,<br />
den <strong>er</strong> als nomen est<br />
Wenn d<strong>er</strong><br />
Urlaub<strong>er</strong> in<br />
d<strong>er</strong> Lit<strong>er</strong>atur<br />
strandet<br />
omen in die Welt hinaustrug:<br />
»Am 30. Juli 1935<br />
wurde <strong>das</strong> geeignete Baugrundstück<br />
in dem Naturschutzgebiet<br />
d<strong>er</strong> Schmalen<br />
Heide durch Dr. Ley – im Beisein<br />
u. a. von C. Klotz und<br />
J. Schulte-Frohlinde – von<br />
Malte von Veltheim, Fürst<br />
zu Putbus, <strong>er</strong>worben.«<br />
Prora geht an keinem heimatkundlichen Lit<strong>er</strong>aturstrandlatsch<strong>er</strong><br />
vorbei.<br />
Mein Rügen nennt Claudia Rusch ihre soeben<br />
bei mare-buch <strong>er</strong>schienene Privat-Erinn<strong>er</strong>ung.<br />
Drin stolp<strong>er</strong>t sie natürlich auch üb<strong>er</strong> den<br />
Baubruchhaufen des H<strong>er</strong>rn Klotz. Da sie schon<br />
ein ganzes Buch »Meine freie deutsche Jugend«<br />
v<strong>er</strong>öffentlichte, ist ihr d<strong>er</strong> Gingst<strong>er</strong> Gedenkstein<br />
diesmal nicht aufgefallen. Sie schreibt nie von<br />
d<strong>er</strong> »ehemaligen DDR«, wie es eigentlich Usus<br />
ist, ab<strong>er</strong> genug von »DDR-Zeiten«, weiß noch,<br />
<strong>das</strong>s die B 96 früh<strong>er</strong> mal F 96 hieß, <strong>das</strong>s »Hühn<strong>er</strong>gott«<br />
ein ganz normal<strong>er</strong> Ostseebegriff in d<strong>er</strong> DDR<br />
und nicht p<strong>er</strong> Sowjetüb<strong>er</strong>setzung eingeführt worden<br />
war.<br />
All<strong>er</strong>dings teilt sie uns mit: »In d<strong>er</strong> DDR wurden<br />
Arbeitslose v<strong>er</strong>haftet.« Das steht wund<strong>er</strong>bar<br />
politisch korrekt da. So kommt mir meine eigene<br />
Erinn<strong>er</strong>ung schnurstracks abhanden, als ich, arbeitslos<br />
und dennoch unv<strong>er</strong>haftet, <strong>das</strong> sich auch<br />
damals entwickelnde Urlaubswesen in vollen Zügen<br />
genoss.<br />
Doch vielleicht müssen solche Sätze d<strong>er</strong>zeit<br />
gedruckt w<strong>er</strong>den. Früh<strong>er</strong> hatte ja auch, von ganz<br />
oben p<strong>er</strong> Zensur v<strong>er</strong>ordnet, dazustehen: »Klimatisch<br />
ist <strong>das</strong> Gebiet durch seine maritime Lage<br />
begünstigt.«<br />
Matthias Biskupek<br />
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EULENSPIEGEL 9/10 41
Veni, vidi, Wiki!<br />
Nach den eh<strong>er</strong>nen Gesetzen d<strong>er</strong> Wahrscheinlichkeit, wie sie von Pascal<br />
begründet und von Sigmund Freud wahrscheinlich zu kein<strong>er</strong> Zeit v<strong>er</strong>standen<br />
wurden, ist vieles wahrscheinlich. Wahrscheinlich wird üb<strong>er</strong><br />
Roland Koch bald folgendes im Netz zu lesen sein: »Roland Koch (* 24.<br />
März 1958 in Frankfurt am Main), deutsch<strong>er</strong> Politik<strong>er</strong> (CDU) und seit<br />
2010 Bundeskanzl<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Bundesrepublik Deutschland.«<br />
»Moment!«, wird sich ein Journalist<br />
geistesgegenwärtig sagen. »War<br />
nicht M<strong>er</strong>kel uns<strong>er</strong>e Kanzl<strong>er</strong>in? Wahrscheinlich<br />
stimmt hi<strong>er</strong> etwas nicht!«<br />
Nun könnte <strong>er</strong> natürlich den weiten<br />
Weg in die Bibliothek fahren,<br />
um dort die Fakten in den archivi<strong>er</strong>ten<br />
Ausgaben d<strong>er</strong> BamS nachzuschlagen<br />
und in d<strong>er</strong> Cafet<strong>er</strong>ia ein<br />
großes Schlumpf-Eis zu schlecken.<br />
Doch mit Rücksicht auf die eigene<br />
CO2 -Bilanz tippt <strong>er</strong> wahrscheinlich<br />
bei Wikipedia einfach den Suchbegriff<br />
»M<strong>er</strong>kel« ein: »Angela Dorothea<br />
M<strong>er</strong>kel (geborene Kasn<strong>er</strong>; * 17. Juli<br />
1954 in Hamburg, † 14. Juni 2010 in<br />
B<strong>er</strong>lin) war eine deutsche Politi -<br />
k<strong>er</strong>in.«<br />
Und etwas weit<strong>er</strong> unten findet<br />
sich dann womöglich ein Qu<strong>er</strong>v<strong>er</strong>weis<br />
auf Hape K<strong>er</strong>keling: »(...) B<strong>er</strong>eits<br />
am Anfang sein<strong>er</strong> Karri<strong>er</strong>e fiel<br />
<strong>er</strong> mit seinen gekonnten Parodien<br />
auf. So <strong>er</strong>weckte <strong>er</strong> 1991, als Königin<br />
Beatrix kostümi<strong>er</strong>t, int<strong>er</strong>nationales<br />
Medienint<strong>er</strong>esse. Aktuell bevorzugt<br />
<strong>er</strong> die Rolle d<strong>er</strong> v<strong>er</strong>storbenen<br />
Bundeskanzl<strong>er</strong>in Angela M<strong>er</strong>kel.<br />
Zahlreiche Kritik<strong>er</strong> w<strong>er</strong>fen ihm deshalb<br />
Geschmacklosigkeit und Komm<strong>er</strong>zialität<br />
vor.«<br />
Uns<strong>er</strong> Journalist wird feststellen,<br />
<strong>das</strong>s <strong>er</strong> dieses billige Spektakel<br />
schon imm<strong>er</strong> durchschaut hat: Diese<br />
Wischmob-Frisur! Und die falschen<br />
Mundwinkel <strong>er</strong>st! Witzig ist <strong>er</strong> ja, d<strong>er</strong><br />
K<strong>er</strong>keling.<br />
Die echte Kanzl<strong>er</strong>in wird d<strong>er</strong>weil<br />
v<strong>er</strong>suchen, die negativen Folgen des<br />
Artikels auszusitzen. Was sollte sie<br />
auch and<strong>er</strong>es tun? Klagen? In d<strong>er</strong><br />
Wikipedia findet sich b<strong>er</strong>eits ein Präzedenzfall:<br />
»Das Amtsg<strong>er</strong>icht Castrop-Rauxel<br />
wies in letzt<strong>er</strong> Instanz<br />
den Antrag ein<strong>er</strong> Bundeskanzl<strong>er</strong>in<br />
ab, die administrativen Rechte eines<br />
Int<strong>er</strong>net-Administrators einzuschränken,<br />
wegen d<strong>er</strong> besond<strong>er</strong>en<br />
Bedeutung d<strong>er</strong> Pressefreiheit.«<br />
Ab<strong>er</strong> braucht ein Bundeskanzl<strong>er</strong>,<br />
wie virtuell sein Weg ins Amt auch<br />
abgelaufen sein mag, nicht trotzdem<br />
einen realen Bundestag? M<strong>er</strong>kel<br />
wird Koch an einem sehr aktiven<br />
Tag vielleicht Hausv<strong>er</strong>bot für den<br />
Reichstag <strong>er</strong>teilen. Doch ein gewissenhaft<strong>er</strong><br />
Mensch wird b<strong>er</strong>eits in d<strong>er</strong><br />
Wikipedia v<strong>er</strong>m<strong>er</strong>kt haben: »Reichstagsgebäude<br />
(...). Nachdem <strong>das</strong> Gebäude<br />
am 28. Februar 1933 b<strong>er</strong>eits<br />
zum <strong>er</strong>sten Mal ausbrannte, v<strong>er</strong>schlang<br />
ein Großbrand am 14. Juni<br />
2010 mehr als 80 Prozent d<strong>er</strong> Bausubstanz.<br />
Die Ruinen wurden von<br />
d<strong>er</strong> Stadt B<strong>er</strong>lin zum Denkmal an<br />
die zahlreichen Toten <strong>er</strong>klärt, unt<strong>er</strong><br />
ihnen <strong>das</strong> gesamte Kabinett M<strong>er</strong>kel.<br />
D<strong>er</strong> neue Sitz des Deutschen Bundestages<br />
ist ein aufwendig renovi<strong>er</strong>t<strong>er</strong><br />
Frankfurt<strong>er</strong> Prunkbau, die sogenannte<br />
Villa Coquini.«<br />
Uns<strong>er</strong> Journalist wird also die Fakten<br />
für ein beliebiges Qualitätsblatt<br />
od<strong>er</strong> ab<strong>er</strong> den Spiegel unbesorgt<br />
üb<strong>er</strong>nehmen. Und damit wied<strong>er</strong>um<br />
eine sich<strong>er</strong>e Quelle für Wikipedia-<br />
Artikel schaffen. Ein boshaft<strong>er</strong><br />
Staatsstreich, ein Putsch, eine Diktatur<br />
gar? Falsch! Es ist – wahrscheinlich!<br />
– eine Administratur des Wikipedia-Administrators<br />
Roland Koch.<br />
Michael Kais<strong>er</strong><br />
Nie mehr Schwieg<strong>er</strong>mutt<strong>er</strong><br />
Bald kommt <strong>das</strong> Benzin ja direkt<br />
aus dem Ozean. Es wird ab<strong>er</strong> noch<br />
ein, zwei Jahre dau<strong>er</strong>n. Bis es soweit<br />
ist, stehen and<strong>er</strong>e Antriebstechniken<br />
b<strong>er</strong>eit. Ab<strong>er</strong> wie imm<strong>er</strong><br />
kann sich die Menschheit zwischen<br />
v<strong>er</strong>führ<strong>er</strong>ischen Alt<strong>er</strong>nativen<br />
nicht recht entscheiden.<br />
Elektrizität – Benzin ade! All<strong>er</strong>dings<br />
sind die Batt<strong>er</strong>ien so groß wie ein<br />
Entenstall, dafür ab<strong>er</strong> nicht ganz so<br />
teu<strong>er</strong> wie ein Einfamilienhaus. Allein<br />
die Stromv<strong>er</strong>brauchs-Anzeige<br />
frisst schon ein Vi<strong>er</strong>tel d<strong>er</strong> Akku-En<strong>er</strong>gie.<br />
Also: 2 bis 3 Ersatzakkus mitführen<br />
od<strong>er</strong> V<strong>er</strong>läng<strong>er</strong>ungskabel<br />
kaufen, mit denen man wenigstens<br />
bis zum Schkeuditz<strong>er</strong> Kreuz kommt!<br />
Biogas – Eine un<strong>er</strong>schöpfliche Ressource!<br />
Bedenken, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Lag<strong>er</strong>n<br />
des Gases schwi<strong>er</strong>ig sei, sind unbegründet:<br />
W<strong>er</strong> schon mal mit einem<br />
magenkranken Vegetari<strong>er</strong> 3 Stunden<br />
Kann’s nicht lassen<br />
Wim Wend<strong>er</strong>s, hört man, bewohnt<br />
ein großes Loft in B<strong>er</strong>lin-Mitte,<br />
wo es sogar einen Pool auf dem<br />
Dach gibt. Da badet <strong>er</strong> nackt<br />
und trägt seinen »Pimmel üb<strong>er</strong><br />
B<strong>er</strong>lin«. Sebastian Blottn<strong>er</strong><br />
im Aufzug steckengeblieben ist, weiß,<br />
<strong>das</strong>s sich dies<strong>er</strong> kostbare Rohstoff alles<br />
and<strong>er</strong>e als leicht v<strong>er</strong>flüchtigt.<br />
Hexen – D<strong>er</strong> Glaube kann Autos v<strong>er</strong>setzen!<br />
In Hexen ist eine enorme<br />
Menge CO2 gebunden. Ein Problem<br />
ist noch die Mitführung des Brennkessels,<br />
in dem die Hexen v<strong>er</strong>brannt<br />
w<strong>er</strong>den müssen. W<strong>er</strong> ein Auto mit<br />
dies<strong>er</strong> Antriebsart fährt, bekommt<br />
nie wied<strong>er</strong> Schwieg<strong>er</strong>mutt<strong>er</strong>-Besuch!<br />
SpeedUp – Es geht auch ohne Fahrzeug!<br />
Diese hochreaktive Droge <strong>er</strong>möglicht<br />
d<strong>er</strong> menschlichen Motorik<br />
extreme Laufschnelligkeit; Labormäuse<br />
durchbrachen bei Tests die<br />
Schallmau<strong>er</strong>. Wurde ursprünglich<br />
von Japan<strong>er</strong>n entwickelt, um in ihren<br />
Fünf-Minuten-Mittagspause sowohl<br />
in die Kantine als auch auf Klo gehen<br />
zu können. Nachteil: Man kann<br />
nicht mehr anhalten.<br />
Wodka »Putin« – B<strong>er</strong>eits ein Tropfen<br />
dies<strong>er</strong> sagenumwobenen Substanz<br />
hat den Brennw<strong>er</strong>t eines Torf-<br />
Klotzes. Kann auch getrunken w<strong>er</strong>den.<br />
In Sibirien soll es Menschen<br />
geben, die bei regelmäßigem Konsum<br />
bis zu 29 Jahre alt w<strong>er</strong>den.<br />
Erik Wenk<br />
Anzeigen<br />
42 EULENSPIEGEL 9/10
Raini Röskes<br />
Ritt<strong>er</strong> 20a<br />
Im Ritt<strong>er</strong>schloss zum Wiegenfeste,<br />
war’n bei den Ritt<strong>er</strong>n<br />
viele Gäste.<br />
Es gab dort Bi<strong>er</strong>e, Weine, Mete<br />
und leck<strong>er</strong> Fresschen<br />
auf d<strong>er</strong> Fete.<br />
Mit Zwiebeln, Knoblauch, Schwarzbrot, Kohl.<br />
Wildschwein, Hirsch ...<br />
Ganz wund<strong>er</strong>voll!<br />
Vor all’m die Suppe von den Erbsen,<br />
brachte die Ritt<strong>er</strong> schw<strong>er</strong> zum F<strong>er</strong>zen.<br />
Und auch dem Ritt<strong>er</strong>fräulein Anna,<br />
entwich so’n Tönchen<br />
in d<strong>er</strong> Kamm<strong>er</strong>.<br />
Und weil dies laut<br />
mit »Ahhh!« geschah,<br />
nannt man es Kamm<strong>er</strong>tönchen »A«.<br />
Dies wurde darauf so b<strong>er</strong>ühmt,<br />
<strong>das</strong>s jed<strong>er</strong> sein Klavi<strong>er</strong> nach stimmt ...<br />
Schlecht eing<strong>er</strong>ichtet<br />
Unt<strong>er</strong> den Politik<strong>er</strong>n gibt es<br />
mehr Mehr- als Einwegflaschen!<br />
Und bei Rückgabe gibt<br />
es nicht mal Pfand.<br />
So war’s!<br />
W<strong>er</strong> einst kaufen wollte<br />
einen Hamm<strong>er</strong> sich,<br />
hörte oft in Sachsen:<br />
Hamm<strong>er</strong> hamm<strong>er</strong> nich!<br />
Kraft des Glaubens<br />
Glaube kann sogar<br />
Priest<strong>er</strong> v<strong>er</strong>setzen,<br />
muss ab<strong>er</strong> nicht.<br />
Thomas Christian Dahme<br />
Karsten Wey<strong>er</strong>shausen<br />
Aufschließen,<br />
ab<strong>er</strong> zügig!<br />
Anzeigen<br />
EW<br />
Heute hatte ich Führ<strong>er</strong>scheinprüfung –<br />
und bin mit Pauken und Trompeten<br />
durchgefallen. All<strong>er</strong>dings weiß ich nicht<br />
warum. Bin sup<strong>er</strong> gefahren, habe korrekt<br />
rückwärts eingeparkt und niemanden<br />
umgenietet. Doch irgendwie sprach<br />
d<strong>er</strong> Prüf<strong>er</strong> eine Sprache, die sich mir<br />
nicht <strong>er</strong>schließen wollte. Dabei sah d<strong>er</strong><br />
aus wie ein Deutsch<strong>er</strong>, d.h. alt, hässlich,<br />
mit alt<strong>er</strong> hässlich<strong>er</strong> Krawatte, ein<br />
DEKRA-Abzeichen am Rev<strong>er</strong>s seines alten<br />
Anzugs.<br />
Mal sollte ich »aufschließen«, obwohl<br />
<strong>das</strong> Auto längst aufgeschlossen war, wir<br />
alle drin saßen und d<strong>er</strong> Schlüssel im<br />
Zündschloss steckte. Dann befahl <strong>er</strong>, ich<br />
solle »auf den Zug achten«. Als ich ihm<br />
sagte, <strong>das</strong>s Fenst<strong>er</strong> und Schiebedach<br />
geschlossen seien, und deshalb nix ziehen<br />
kann, zeigte d<strong>er</strong> Prüf<strong>er</strong> nach vorne<br />
und quatschte wied<strong>er</strong> was von einem<br />
Zug und v<strong>er</strong>schärfte meine Panik mit<br />
d<strong>er</strong> Aufford<strong>er</strong>ung, ich solle gefälligst »im<br />
V<strong>er</strong>kehrsfluss« bleiben. Ich schrie:<br />
»Mann, wo ist denn hi<strong>er</strong> d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>kehrsfluss?<br />
Und <strong>das</strong> vor mir ist kein ICE, sond<strong>er</strong>n<br />
ein Scheiß-Elkaweh, d<strong>er</strong> nicht aus<br />
dem Arsch kommt!«<br />
D<strong>er</strong> Prüf<strong>er</strong> meinte trocken, diese Antwort<br />
allein genüge schon, um mich<br />
durchfallen zu lassen. Doch ich durfte<br />
noch ein Stück weit<strong>er</strong>fahren. Ein paar<br />
Minuten spät<strong>er</strong> in ein<strong>er</strong> megabreiten<br />
Straße befahl d<strong>er</strong> Prüf<strong>er</strong> aus heit<strong>er</strong>em<br />
Himmel: »Rechts halten!« Gesagt, getan,<br />
ich habe rechts angehalten, direkt<br />
vor dem Thor-Steinar-Laden. »Mensch,<br />
Sie sollten sich rechts halten, nicht<br />
rechts halten!«, knurrte d<strong>er</strong> Prüf<strong>er</strong>. »Und<br />
Sie wollen also einen PKW führen?«<br />
»Nö«, entgegnete ich, »fahren will ich<br />
so ein Dinge, fahren!«<br />
»Wed<strong>er</strong> <strong>das</strong> eine, noch <strong>das</strong> and<strong>er</strong>e«,<br />
beschied <strong>er</strong> mir. Das war’s! Was für eine<br />
Kacke auch, wo mir doch mein Vadda<br />
ein Auto zum Abi 2010 geschenkt hat.<br />
Sadhu van Hemp<br />
EULENSPIEGEL 9/10 43
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F<strong>er</strong>n<br />
sehen<br />
RTL wühlt nicht mehr im Kehricht d<strong>er</strong> Gegenwart<br />
und besäuft sich nicht läng<strong>er</strong> am Spülicht<br />
des Lebens. Menschen dabei zu »begleiten«,<br />
wie sie ihre Partn<strong>er</strong> in flagranti mit einem<br />
Hausti<strong>er</strong> od<strong>er</strong> mit ein<strong>er</strong> Haustür »<strong>er</strong>wischen«,<br />
wie sie Popel essen od<strong>er</strong> sich einen Fremdkörp<strong>er</strong><br />
einführen – vorbei.<br />
Die neuen Dramen liegen in d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>gangenheit,<br />
weit in d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>gangenheit. Im V<strong>er</strong>gessenen,<br />
im V<strong>er</strong>drängten. RTL bietet Rückführungen<br />
für Bildungsschwache an. Das hat den Vorteil,<br />
<strong>das</strong>s man »früh<strong>er</strong>« einen deutlich gehoben<strong>er</strong>en<br />
sozialen Status innehaben konnte – von Adel<br />
war od<strong>er</strong> Spitzenbeamt<strong>er</strong> – als heute. Man<br />
konnte auch fließend schreiben und lesen und<br />
beh<strong>er</strong>rschte gewisse, heute exotisch anmutende<br />
Kulturtechniken wie <strong>das</strong> Essen mit Besteck.<br />
Katja Burkard begleitet C-Prominenz od<strong>er</strong> Karteileichen<br />
aus »W<strong>er</strong> wird Millionär?« dorthin, wo<br />
noch kein<strong>er</strong> war. Zur Seite steht ihr die Hypnoth<strong>er</strong>apeutin<br />
und Rückführungsexp<strong>er</strong>tin Ursula<br />
Demarmels – eine einfühlsame Dame, die <strong>er</strong>staunliche<br />
Ähnlichkeit mit »Felicitas« hat, d<strong>er</strong><br />
b<strong>er</strong>ühmtesten Puffmutt<strong>er</strong> Deutschlands. Diese –<br />
angeblich vom Papst gesegnet – löch<strong>er</strong>t die Probanden<br />
mit Fragen üb<strong>er</strong> ihr mögliches Vorleben:<br />
Üb<strong>er</strong>leg mal, warst du eine Hure? Hast du eine<br />
Hexenv<strong>er</strong>brennung mit<strong>er</strong>lebt? Konntest du deinen<br />
Mörd<strong>er</strong> <strong>er</strong>kennen? Fragen, die sich wahrscheinlich<br />
jed<strong>er</strong> schon einmal gestellt hat.<br />
Plötzlich <strong>er</strong>gibt alles einen Sinn. Ein gewiss<strong>er</strong><br />
Rolf, dessen Brot<strong>er</strong>w<strong>er</strong>b im Hi<strong>er</strong> und Jetzt eh<strong>er</strong><br />
unklar ist, war damals ein wohlschaffend<strong>er</strong> Bürg<strong>er</strong><br />
im alten, prächtigen Italien. Ein Glasbläs<strong>er</strong>.<br />
Das Blasen ist ihm als Fähigkeit sond<strong>er</strong>bar<strong>er</strong>weise<br />
auch in seinem jetzigen Leben <strong>er</strong>halten geblieben,<br />
wie <strong>er</strong> vor Ort demonstri<strong>er</strong>t.<br />
Mein <strong>er</strong>stes<br />
Leben<br />
Alles, was die Zurückreisenden <strong>er</strong>zählen, passt<br />
wie die Faust aufs Ziff<strong>er</strong>blatt. »Uns<strong>er</strong> RTL-Historik<strong>er</strong>«<br />
Mark Rentmeist<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> sein Diplom bei Wikipedia<br />
gemacht hat, prüft die geschichtlichen<br />
Fakten und Umstände. Und siehe da – haut hin.<br />
Rolf windet sich wie ein üb<strong>er</strong>fahren<strong>er</strong> Regenwurm,<br />
als <strong>er</strong> beschreibt, wie ihm beim Blasen in ein<strong>er</strong><br />
Kirche eines Tages eine Glaskugel platzte und<br />
<strong>das</strong> Gesicht v<strong>er</strong>letzte. Langsam entsteht die Kirche<br />
vor seinem inn<strong>er</strong>en, äuß<strong>er</strong>lich unv<strong>er</strong>letzten<br />
Auge. Emotionen kochen üb<strong>er</strong>: »Rundbögen,<br />
üb<strong>er</strong> all Rundbögen!« Und tatsächlich, d<strong>er</strong> Historik<strong>er</strong><br />
macht p<strong>er</strong> Google Earth eine Kirche mit Rundbögen,<br />
üb<strong>er</strong>all Rundbögen bei Venedig ausfindig.<br />
»Taß iss ja d<strong>er</strong> Wahnßinn!«, resümi<strong>er</strong>t Katja<br />
Burkard den Ausflug ins Unt<strong>er</strong>bewusste und packt<br />
ihre Louis-Vuitton-Taschen zusammen. Es geht<br />
los, eine Rückführung nach Katjas Geschmack.<br />
Mit dem Speedboot heizen sie den Canale<br />
Grande entlang, auf dem Zeitstrahl rückwärts ins<br />
Nirwana. Rolf wischt sich Tränen d<strong>er</strong> Rührung unt<strong>er</strong><br />
seinen Brillenbügeln weg: Alles kommt ihm<br />
so v<strong>er</strong>traut vor, Venedig, die Brücken. Plötzlich<br />
v<strong>er</strong>steht <strong>er</strong> »wied<strong>er</strong>« Italienisch. Und dann <strong>das</strong><br />
Drama: Rolf (damals Giovanni und noch het<strong>er</strong>osexuell)<br />
wurde Zeuge eines Meuchelmordes! Und<br />
<strong>das</strong> F<strong>er</strong>nsehen muss auch irgendwie dabei gewesen<br />
sein, denn es hat die Bild<strong>er</strong>.<br />
Wenig<strong>er</strong> spektakulär, ab<strong>er</strong> umso tränenreich<strong>er</strong><br />
ist die Rückführung d<strong>er</strong> S<strong>er</strong>ienschauspiel<strong>er</strong>in Xenia<br />
Seeb<strong>er</strong>g. Auch sie sieht nach einigen Minuten<br />
auf d<strong>er</strong> Led<strong>er</strong>couch Bild<strong>er</strong> aus ihrem früh<strong>er</strong>en<br />
Leben. Wir schreiben <strong>das</strong> Jahr 1665, »keine<br />
schöne Zeit«, wie d<strong>er</strong> Historik<strong>er</strong> feststellt. Was<br />
könnte d<strong>er</strong> hübschen »Margarete« wid<strong>er</strong>fahren<br />
sein? Katja Burkard tropft d<strong>er</strong> Zahn. Vielleicht<br />
eine V<strong>er</strong>gewaltigung? Od<strong>er</strong> die Beulenpest? Hoffentlich<br />
nicht nur ein v<strong>er</strong>eit<strong>er</strong>t<strong>er</strong> Zehennagel. Das<br />
wäre ein bisschen wenig fürs F<strong>er</strong>nsehen.<br />
Auch Margarete hatte einen ehrbaren B<strong>er</strong>uf –<br />
Heil<strong>er</strong>in, all<strong>er</strong>dings war sie mütt<strong>er</strong>lich<strong>er</strong>seits vorbelastet:<br />
Mama war Hexe. Zufällig lebte sie in ein<strong>er</strong><br />
d<strong>er</strong> best<strong>er</strong>haltenen mittelalt<strong>er</strong>lichen Städte<br />
Deutschlands, in Rothenburg ob d<strong>er</strong> Taub<strong>er</strong>. Und<br />
da – im Heimatmuseum d<strong>er</strong> Beleg für eine Hexenv<strong>er</strong>brennung:<br />
die Mama! Burkhard: »So ein<br />
Wahnßinn!« Xenia weint dicke Tränen üb<strong>er</strong> ihre<br />
aufgespritzten Wangen. Doch die Burkard hat<br />
noch nicht genug. Sie lässt sich zeigen, wo Margaretes<br />
Mutti zum Häufchen Asche wurde. Jetzt<br />
sieht auch Xenia alles wied<strong>er</strong> vor sich – am Monitor,<br />
wo RTL den Mittelalt<strong>er</strong>-Einspiel<strong>er</strong> abfährt.<br />
In d<strong>er</strong> nächsten Folge dann dürfen ganz einfache<br />
Leute in ihre V<strong>er</strong>gangenheit reisen. Busfahr<strong>er</strong>,<br />
Krankenschwest<strong>er</strong>n, Langzeitarbeitslose – alle<br />
haben die Chance, in ihrem Vorleben etwas bedeutsam<strong>er</strong><br />
gewesen zu sein. Burgfräulein, Deichgraf<br />
od<strong>er</strong> NS-Funktionär. Laut Exp<strong>er</strong>tin soll jed<strong>er</strong><br />
bis zu 80 Vorleben haben, Stoff ohne Ende!<br />
M<strong>er</strong>ke: Das nutzlose Leben, welches die<br />
Stammzuschau<strong>er</strong> d<strong>er</strong>zeit plagt, ist nur eine Zwischenstation.<br />
Am Besten, man sitzt es aus, vor<br />
dem F<strong>er</strong>nseh<strong>er</strong>, und hofft auf <strong>das</strong> nächste. Od<strong>er</strong><br />
man imagini<strong>er</strong>t sich in eine V<strong>er</strong>gangenheit voll<strong>er</strong><br />
F<strong>er</strong>ienabenteu<strong>er</strong>, in d<strong>er</strong> man selbst ein hochmoralisch<strong>er</strong>,<br />
<strong>er</strong>folgreich<strong>er</strong>, wohlhabend<strong>er</strong> Mensch mit<br />
befriedigenden Sexualkontakten war und den and<strong>er</strong>en<br />
Menschen bei ihren Straftaten zusah.<br />
Wenn dann ab<strong>er</strong> die Volkshochschulen, <strong>das</strong> Arbeitsamt,<br />
d<strong>er</strong> TÜV und div<strong>er</strong>se Jugendpfarr<strong>er</strong> auch<br />
damit anfangen, Rückführungsseminare anzubieten,<br />
ist <strong>das</strong> Format am Ende. Dann wird RTL was<br />
Neues einfallen.<br />
Felice von Senkbeil<br />
Zeichnung: Pet<strong>er</strong> Muzeniek<br />
46 EULENSPIEGEL 9/10
Lebens hilfe<br />
www.martin-zak.de<br />
EULENSPIEGEL 9/10 47
Anzeigen<br />
Kino<br />
W<br />
ie imm<strong>er</strong>, wenn abends kaum<br />
noch Kundschaft kommt, zieht<br />
sich d<strong>er</strong> Videotheksangestellte Bazil<br />
einen sein<strong>er</strong> geliebten Howard-<br />
Hawks-Krimis rein. »Tote schlafen<br />
fest« hat <strong>er</strong> so oft gesehen, <strong>das</strong>s <strong>er</strong><br />
Humphrey Bogarts und Lauren Bacalls<br />
Dialoge simultan mitsprechen<br />
kann. Doch diesmal wird <strong>er</strong> mittendrin<br />
von ein<strong>er</strong> realen V<strong>er</strong>folgungsjagd<br />
auf die Straße gelockt. Eine v<strong>er</strong>irrte<br />
Pistolenkugel landet in seinem<br />
Kopf, und ein an sein<strong>er</strong> Gottähnlichkeit<br />
zweifelnd<strong>er</strong> Chirurg belässt sie<br />
dort, um Bazil wenigstens eine kleine<br />
Üb<strong>er</strong>lebenschance zu bieten. Was<br />
unt<strong>er</strong> dem Titel<br />
Micmacs<br />
so grotesk-komisch beginnt, ist zuvörd<strong>er</strong>st<br />
<strong>das</strong> W<strong>er</strong>k zwei<strong>er</strong> Männ<strong>er</strong>,<br />
die d<strong>er</strong> Grand Nation b<strong>er</strong>eits unschätzbare<br />
Dienste <strong>er</strong>wiesen: Regisseur<br />
und Drehbuchautor Jean-Pi<strong>er</strong>re<br />
Jeunet schuf mit »Die fabelhafte Welt<br />
d<strong>er</strong> Amélie« den schönsten, sein<br />
Hauptdarstell<strong>er</strong> Dany Boon mit<br />
»Willkommen bei den Sch’tis« den<br />
<strong>er</strong>folgreichsten französischen Film<br />
all<strong>er</strong> Zeiten. Auch »Micmacs« wird<br />
mit einem Sup<strong>er</strong>lativ in Frankreichs<br />
Kulturgeschichte eingehen, denn nie<br />
zuvor gab es ein originell<strong>er</strong>es Kino-<br />
Stück zum Thema Abrüstung.<br />
Nachdem Bazil alles v<strong>er</strong>loren hat,<br />
Arbeit, Wohnung und seinen Vat<strong>er</strong>,<br />
findet <strong>er</strong> Familienanschluss bei den<br />
Outlaws, die im Inn<strong>er</strong>en eines Paris<strong>er</strong><br />
Schrottplatzes wohnen. Die resolute<br />
Köchin Cassoulette (Yolande Mo -<br />
reau), die Rechenkünstl<strong>er</strong>in Calculette<br />
(Marie-Julie Baup), d<strong>er</strong> mit Metallteilchen<br />
gespickte Magnetmensch Bricabrac<br />
(Dominique Pinon) und Mademoiselle<br />
Kautschuk (Julie F<strong>er</strong>ri<strong>er</strong>), die<br />
sich im Kühlschrankgemüsefach v<strong>er</strong>stecken<br />
kann, sie alle wollen Bazil helfen.<br />
Denn d<strong>er</strong> plant einen artistisch<br />
anspruchsvollen Rachefeldzug gegen<br />
die Sarkozy-Freunde Marconi (Nicolas<br />
Marié) und Thibault (André Dussolli<strong>er</strong>),<br />
H<strong>er</strong>stell<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Kugel in Bazils<br />
Kopf sowie jen<strong>er</strong> Landmine, die seinen<br />
Vat<strong>er</strong> hochgehen ließ, und Waffenlief<strong>er</strong>anten<br />
sämtlich<strong>er</strong> weltweit<br />
kämpfenden Truppen.<br />
Obwohl die Mission impossible<br />
zu sein scheint, gelingt sie auf irrwitzige<br />
Weise. Daß zwei sich gegenseitig<br />
beschuldigende Kriegsv<strong>er</strong>brech<strong>er</strong><br />
bei You Tube im Netz stehen,<br />
ist durchaus vorstellbar. Dass Frankreichs<br />
Justiz sie anschließend vor G<strong>er</strong>icht<br />
stellt, streift all<strong>er</strong>dings eh<strong>er</strong> den<br />
B<strong>er</strong>eich des Märchenhaften.<br />
★<br />
Sobald d<strong>er</strong> Nachwuchs flügge ist,<br />
können sich die Elt<strong>er</strong>nteile mit d<strong>er</strong><br />
Gewissheit trösten, <strong>das</strong>s die Brut<br />
demnächst wied<strong>er</strong> auf d<strong>er</strong> Matte<br />
steht, sei es wegen schmutzig<strong>er</strong> Wäsche<br />
od<strong>er</strong> klamm<strong>er</strong> Finanzen. Was<br />
ab<strong>er</strong> haben die Spielzeuge zu <strong>er</strong>warten,<br />
wenn ihre einzigen Bezugsp<strong>er</strong>sonen<br />
endgültig <strong>das</strong> Kind<strong>er</strong>zimm<strong>er</strong><br />
v<strong>er</strong>lassen? Den Tod auf d<strong>er</strong> Müllkippe,<br />
den Abschiebeknast auf dem<br />
Dachboden od<strong>er</strong> die Üb<strong>er</strong>gabe in<br />
womöglich schlechte Hände? Cowboy<br />
Woody, Raumfahr<strong>er</strong> Buzz Lightyear,<br />
Drahtspiralendackel Slinky,<br />
Sparschwein Specki, Gummidino<br />
Rex und <strong>das</strong> Ehepaar Kartoffelkopf<br />
würden sich schon deshalb für die<br />
Dachbodenvariante entscheiden,<br />
weil sie dann ihren Besitz<strong>er</strong> Andy<br />
wenigstens in den F<strong>er</strong>ien zu Gesicht<br />
bekämen.<br />
Toi, toi, toi –<br />
Toys!<br />
D<strong>er</strong> mittl<strong>er</strong>weile 17-Jährige muss<br />
nämlich ins Int<strong>er</strong>nat. Allein für Cow -<br />
boy Woody, sein ältestes und liebstes<br />
Spielzeug, hat <strong>er</strong> noch Platz im<br />
Koff<strong>er</strong>. Doch Woody mag sich nicht<br />
von den and<strong>er</strong>en trennen, schon gar<br />
nicht von seinem besten Freund<br />
Buzz Lightyear. D<strong>er</strong> war zwar in d<strong>er</strong><br />
1995 produzi<strong>er</strong>ten <strong>er</strong>sten »Toy<br />
Story« sein <strong>er</strong>bitt<strong>er</strong>t<strong>er</strong> Rivale um Andys<br />
Gunst, wuchs ihm ab<strong>er</strong> während<br />
d<strong>er</strong> aufregenden Abenteu<strong>er</strong> in »Toy<br />
Story 2« so unv<strong>er</strong>li<strong>er</strong>bar ans H<strong>er</strong>z,<br />
<strong>das</strong>s sich<br />
Toy Story 3<br />
praktisch nicht aufhalten ließ. Gottlob<br />
nahmen sich die V<strong>er</strong>antwortlichen<br />
d<strong>er</strong> Pixar-Trickfilm-Studios<br />
viel Zeit und engagi<strong>er</strong>ten von den<br />
guten Leuten nur die besten: für die<br />
Regie Lee Unkrich, d<strong>er</strong> auch »Findet<br />
Nemo« inszeni<strong>er</strong>te, und fürs<br />
Drehbuch Michael Arndt, d<strong>er</strong> sich<br />
schon die Geschichte von »Little<br />
Miss Sunshine« ausdachte. V<strong>er</strong>stärkt<br />
durch ein ganzes He<strong>er</strong> genial<strong>er</strong><br />
Comput<strong>er</strong>animateure gelang den<br />
bei den ein humorvolles, hochspannendes,<br />
tiefb<strong>er</strong>ührendes und dennoch<br />
kitschfreies Puppenspiel, <strong>das</strong><br />
auf zwei wesentlichen menschlichen<br />
Erfahrungen basi<strong>er</strong>t: d<strong>er</strong> Angst vor<br />
Liebesv<strong>er</strong>lust und dem Glück praktizi<strong>er</strong>t<strong>er</strong><br />
Solidarität.<br />
★<br />
Nein, es ist nicht die g<strong>er</strong>n gezeigte<br />
Plattenbauödnis des Ostb<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> Bezirks<br />
Marzahn, sond<strong>er</strong>n die bislang<br />
sorgsam v<strong>er</strong>steckte d<strong>er</strong> Schimanski-<br />
Stadt Duisburg, in welch<strong>er</strong> d<strong>er</strong> 26-<br />
jährige Philosophiestudent Benjamin<br />
seine faulen Tage v<strong>er</strong>bringt. Zugegeben,<br />
große Sprünge sind bei<br />
ihm nicht mehr drin, seit ihn eine<br />
partielle Qu<strong>er</strong>schnittslähmung in<br />
den Rollstuhl beförd<strong>er</strong>te. D<strong>er</strong> Titel<br />
Renn, wenn du kannst<br />
ist also d<strong>er</strong> blanke Hohn. Seine Magist<strong>er</strong>arbeit<br />
hätte Ben all<strong>er</strong>dings<br />
nach d<strong>er</strong> dritten Abgabev<strong>er</strong>läng<strong>er</strong>ung<br />
gelegentlich mal zu Ende<br />
schreiben können. Int<strong>er</strong>essi<strong>er</strong>t ihn<br />
ab<strong>er</strong> nicht. Er lässt die b<strong>er</strong>eits ausgedruckten<br />
Blätt<strong>er</strong> einfach vom Balkon<br />
segeln, während <strong>er</strong> seinen gestressten<br />
Zivi buchstäblich in die<br />
Knie zwingt. Das ist nämlich <strong>das</strong> einzige,<br />
was d<strong>er</strong> coole Kotzbrocken<br />
richtig gut kann: Leute schikani<strong>er</strong>en<br />
und rausschmeißen. Bei Nichtgefallen<br />
schickt <strong>das</strong> an Betreuungskräften<br />
und Haushaltsmitteln offenbar<br />
schw<strong>er</strong>reiche Sozialamt g<strong>er</strong>n neue<br />
Quälkandidaten.<br />
Sollte Regie-Debütant Dietrich<br />
Brüggemann <strong>das</strong> glauben, zeugte<br />
es von sein<strong>er</strong> totalen Unkenntnis<br />
tatsächlich<strong>er</strong> Gegebenheiten. Mat<strong>er</strong>ielle<br />
Dinge bleiben bei ihm übrigens<br />
gen<strong>er</strong>ell ausgespart. Jedenfalls<br />
<strong>er</strong>fährt man wed<strong>er</strong>, w<strong>er</strong> Bens komfortabel<br />
eing<strong>er</strong>ichtete Wohnung bezahlt,<br />
noch wovon seine unv<strong>er</strong>heiratete<br />
Mutt<strong>er</strong> lebt. Brüggemanns Fokus<br />
ist allein auf eine Menage á trois<br />
g<strong>er</strong>ichtet, die keine wird. Ben und<br />
sein neu<strong>er</strong>, endlich wid<strong>er</strong>standsfähig<strong>er</strong><br />
Zivi Christian sind in dieselbe<br />
Frau v<strong>er</strong>liebt, die Musikstudentin<br />
Annika. Die mag zwar beide, fühlt<br />
sich ab<strong>er</strong> stärk<strong>er</strong> zum v<strong>er</strong>meintlich<br />
intellektuellen Ben hingezogen. Bis<br />
sie bem<strong>er</strong>kt, <strong>das</strong>s sein menschenv<strong>er</strong>achtend<strong>er</strong><br />
Zynismus auch ihn<br />
selbst einschließt, was wirkliche<br />
Liebe definitiv ausschließt.<br />
Am Ende des teils poetischen,<br />
größtenteils leid<strong>er</strong> krampfhaft um<br />
Originalität bemühten Films sitzen<br />
drei Freunde auf dem Balkon: d<strong>er</strong><br />
großartige Jacob Matschenz als Zivi<br />
Christian, die sympathische Anna<br />
Brüggemann, Co-Autorin ihres Brud<strong>er</strong>s<br />
Dietrich, als Annika, und als<br />
Ben Rob<strong>er</strong>t Gwisdek. Dessen Spiel<br />
ist von ein<strong>er</strong> Mani<strong>er</strong>i<strong>er</strong>theit, d<strong>er</strong>en<br />
sich seine b<strong>er</strong>ühmten Elt<strong>er</strong>n Corinna<br />
Harfouch und Michael Gwisdek niemals<br />
schuldig gemacht haben.<br />
Renate Holland-Moritz<br />
48 EULENSPIEGEL 9/10
Heimat kunde<br />
G<strong>er</strong>hard Glück<br />
EULENSPIEGEL 9/10 49
Unv<strong>er</strong>käuflich – ab<strong>er</strong> bestechlich!<br />
Funzel<br />
SUPER<br />
Das Intelligenzblatt für And<strong>er</strong>sdenkende<br />
Seit d<strong>er</strong> Großen Revolution 89/90 unabhängig vom <strong>Eulenspiegel</strong><br />
Die<br />
Kriminalpolizei<br />
rät:<br />
Urlaubszeit ist Einbruchszeit.<br />
Wir empfehlen: Sich<strong>er</strong>heit<br />
durch Hässlichkeit!<br />
So eine Eingangstür<br />
schreckt Diebe ab!<br />
Kommissar Kriki<br />
Wied<strong>er</strong> Leben<br />
im Schlosspark<br />
Den Cottbus<strong>er</strong> Landschaftsarchitektinnen<br />
K<strong>er</strong>stin Speckowski (21) und<br />
Ines Drahtmüll<strong>er</strong> (52) steht d<strong>er</strong> Stolz<br />
ins Gesicht geschrieben. Sie haben<br />
auf ein<strong>er</strong> abseitigen Fläche des<br />
Fürst-Pückl<strong>er</strong>-Parks in Bad Muskau<br />
eine typische Lausitz<strong>er</strong> Tagebau-<br />
Landschaft nachgebildet. Mit rauen<br />
Erhebungen, dem Wechsel aus dichtem<br />
Bewuchs und kahlen, trostlosen<br />
Ebenen und aus d<strong>er</strong> Mode g<strong>er</strong>atenen<br />
Frisuren haben die Kolleginnen<br />
und Freundinnen d<strong>er</strong> einmaligen<br />
Kulturlandschaft ein Denkmal gesetzt.<br />
»In diesem von Menschen -<br />
hand geschaffenen und gepflegten<br />
Paradies kann man prima entspannen«,<br />
freut sich Drahtmüll<strong>er</strong>. »An einigen<br />
Stellen haben wir Braunkohle<br />
v<strong>er</strong>steckt. Wo genau, v<strong>er</strong>raten wir<br />
ab<strong>er</strong> nicht«, fügt Speckowski kich<strong>er</strong>nd<br />
hinzu.<br />
Finanziell <strong>er</strong>möglicht wurde <strong>das</strong><br />
aus EU-Mitteln. Vor zwei Jahren<br />
wur de d<strong>er</strong> Europa-Politik<strong>er</strong> Eugen<br />
V<strong>er</strong>geuden auf die gutaussehenden<br />
Damen aufm<strong>er</strong>ksam. »Eigentlich<br />
hat te ich die beiden mit kalabrischen<br />
Milchkühen v<strong>er</strong>wechselt, die<br />
<strong>das</strong> Förd<strong>er</strong>geld laut Richtlinie <strong>er</strong>halten<br />
sollten«, <strong>er</strong>klärt <strong>er</strong>. Ab<strong>er</strong> dann<br />
war <strong>er</strong> faszini<strong>er</strong>t von d<strong>er</strong> Lebensgeschichte<br />
Speckowskis, die jahrelang<br />
mit einem Schaufelradbagg<strong>er</strong> v<strong>er</strong>wechselt<br />
wurde und <strong>er</strong>st 1999 mit<br />
d<strong>er</strong> Schließung d<strong>er</strong> Grube in Meuro<br />
die Freiheit <strong>er</strong>langte.<br />
ak / fs
A<strong>er</strong>o flott!<br />
Woran <strong>er</strong>kenne ich die<br />
Sich<strong>er</strong>heitsfanatik<strong>er</strong> unt<strong>er</strong><br />
den Fluggästen?<br />
Büch<strong>er</strong><br />
Wussten Sie<br />
schon?<br />
Mit etwas Farbe malt man<br />
sich schicke Strümpfe auf<br />
die Füße. Dies<strong>er</strong> und and<strong>er</strong>e<br />
Tips <strong>jetzt</strong> in<br />
Die EU hat einheitli che<br />
Nudel-Normen festgelegt:<br />
In die Norm-Makkaroni<br />
müssen genau drei Spaghetti<br />
od<strong>er</strong> fünf Spaghettini<br />
passen. So können die<br />
v<strong>er</strong>schiedenen Nudelsorten<br />
zusammen v<strong>er</strong>packt<br />
w<strong>er</strong>den, indem die dünnen<br />
in die dicken Rohlinge<br />
gesteckt w<strong>er</strong>den.<br />
Nachwuchs-Lücken<br />
Wo sind eigentlich uns<strong>er</strong>e Straßenfußball<strong>er</strong><br />
geblieben?<br />
Kriki<br />
Imm<strong>er</strong> mit d<strong>er</strong> Ruhe!<br />
Die gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Testphasen<br />
im öffentlichen<br />
P<strong>er</strong>sonennahv<strong>er</strong>kehr<br />
ziehen sich oft läng<strong>er</strong><br />
hin als <strong>er</strong>wartet. pl<br />
Das schafft Arbeitsplätze<br />
und spart V<strong>er</strong>packungsmat<strong>er</strong>ial.<br />
Und w<strong>er</strong> sich nicht entscheiden<br />
kann, ob <strong>er</strong> lieb<strong>er</strong><br />
Makkaroni od<strong>er</strong> Spaghetti<br />
essen möchte, d<strong>er</strong><br />
wirft alles zusammen ins<br />
heiße Wass<strong>er</strong>, und es gibt<br />
gefüllte Nudeln!<br />
Krikini<br />
Am Ersatztriebw<strong>er</strong>k im Handgepäck! Flugkäptn Kriki<br />
Lo<br />
Schreibblockaden<br />
<strong>er</strong>kennt man<br />
meistens schon<br />
am <strong>er</strong>sten Wort.<br />
wo<br />
Leute heute: Frau Nase<br />
Wied<strong>er</strong> einmal wandelte d<strong>er</strong> Heuschnupfen<br />
üb<strong>er</strong> die Erde. Alle<br />
ließen ihn abblitzen: Das H<strong>er</strong>z<br />
wollte nichts von ihm wissen, Leb<strong>er</strong><br />
und Galle zeigten ihm einen Vogel,<br />
<strong>das</strong> Ehepaar Ni<strong>er</strong>e wies ihn ab.<br />
Nicht einmal Freund Schließmuskel<br />
wollte etwas mit ihm zu tun haben,<br />
dafür war selbst <strong>er</strong> sich zu fein.<br />
Schon wollte d<strong>er</strong> Heuschnupfen unv<strong>er</strong>richtet<strong>er</strong><br />
Dinge abreisen, als ihn<br />
die geistesschwache Frau Nase zu<br />
Gesicht bekam. Von Weitem winkte<br />
sie ihn h<strong>er</strong>an: »H<strong>er</strong>r Heuschnupfen!<br />
H<strong>er</strong>r Heuschnupfen! Kommen Sie<br />
doch zu Besuch! Haben Sie Post von<br />
meinen lieben Bäumen mitgebracht?«<br />
D<strong>er</strong> Heuschnupfen quarti<strong>er</strong>te<br />
sich freudig bei ihr ein, und<br />
Frau Nase floss üb<strong>er</strong> vor Dankbarkeit.<br />
An ein normales Leben war<br />
fortan nicht zu denken, geschweige<br />
denn an normale Texte. Selbst die<br />
Pointe muss bis zum Späth<strong>er</strong>bst<br />
warten!<br />
pk<br />
B<strong>er</strong>ufsbedingt<strong>er</strong> Ehrgeiz<br />
Anstatt sein<strong>er</strong><br />
Angebeteten einen<br />
Strauß Rosen<br />
mitzubringen,<br />
musste es für<br />
Bagg<strong>er</strong>führ<strong>er</strong><br />
Willi B. eine<br />
ganze Rabatte<br />
sein, um sie anzubagg<strong>er</strong>n.<br />
Kriki<br />
Das große Üb<strong>er</strong>lebenshandbuch<br />
für Erfolg<br />
in schwi<strong>er</strong>igen Zeiten<br />
(Erschienen im V<strong>er</strong>lag<br />
Agenda 2010)<br />
MENSCH<br />
& NATUR<br />
von Hellmuth Njuhten<br />
IMPRESSUM: Im H<strong>er</strong>bst pfeift<br />
d<strong>er</strong> Wind auf dem Feld, und wir pfeifen<br />
auf den <strong>Eulenspiegel</strong>, betonen die Funzel-<br />
Mitarbeit<strong>er</strong> Lo Blickensdorf, Michael<br />
Garling, Pet<strong>er</strong> Köhl<strong>er</strong>, Andreas Koristka,<br />
Kriki, Pet<strong>er</strong> Lohse, Wolfgang Osching<strong>er</strong>,<br />
Frank Siebenweich<strong>er</strong>, Rain<strong>er</strong> Spiske,<br />
Siegfried Steinach und Reinhard Ulbrich.<br />
Funzel-<br />
RÄTSEL<br />
Die Eule ist schw<strong>er</strong> wie<br />
, hol mir die Funzel !<br />
ss<br />
Lo<br />
mg
Anzeige<br />
Gemessen an d<strong>er</strong> Zahl d<strong>er</strong> Sitzenbleib<strong>er</strong><br />
Irgendwann<br />
H<strong>er</strong>r Zeisig walkt sich durch den Pulk<br />
Kind<strong>er</strong>. Er v<strong>er</strong>sucht, sich Gehör zu<br />
v<strong>er</strong>schaffen. Diesen Lärm hätte es<br />
früh<strong>er</strong> nicht gegeben. Scheinbar<br />
zähle d<strong>er</strong> Respekt vor einem<br />
g<strong>er</strong>äuscharmen Miteinand<strong>er</strong> in d<strong>er</strong><br />
heutigen Erziehung nicht mehr viel.<br />
»Sehen Sie nur, wie dies<strong>er</strong> Flegel<br />
seine Zähne genussvoll auf den Butt<strong>er</strong>keks<br />
fliegen lässt. Und <strong>das</strong> elendige<br />
Rascheln des Brotpapi<strong>er</strong>s.« Er<br />
könne hi<strong>er</strong> nur v<strong>er</strong>suchen, so gut es<br />
geht, dagegenzuhalten. Die eigentliche<br />
Problematik liege daheim in<br />
den Familien. Was dort v<strong>er</strong>säumt<br />
wird, kann H<strong>er</strong>r Zeisig nur in begrenztem<br />
Maße ausgleichen. »Das<br />
ist auch gar nicht meine Aufgabe«,<br />
betont <strong>er</strong>. Er z<strong>er</strong>kaut einen Papi<strong>er</strong>schnipsel<br />
und bläst ein matschiges<br />
Papi<strong>er</strong>kügelchen durch<br />
den Minenschaft eines Kugelschreib<strong>er</strong>s<br />
genau in den<br />
Mund eines besond<strong>er</strong>s<br />
dreisten Schlurf<strong>er</strong>s.<br />
Zeisig stellt ihm ein<br />
Bein. »Zu blöd zum Latschen«,<br />
bem<strong>er</strong>kt <strong>er</strong> lakonisch<br />
und lädt dabei<br />
seine Pistole mit Knallplättchen<br />
nach. Hi<strong>er</strong> ist<br />
ein<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> mit allen Wass<strong>er</strong>n<br />
gewaschen ist und sogar<br />
selbst Kopfwäschen im Becken<br />
d<strong>er</strong> Knabentoilette gibt. Als <strong>er</strong> neu<br />
auf die Schule kam, sah <strong>das</strong> noch<br />
ganz and<strong>er</strong>s aus. Die Kind<strong>er</strong> akzepti<strong>er</strong>ten<br />
ihn nicht, und beim Lehr<strong>er</strong>kollegium<br />
hatte <strong>er</strong> keinen guten<br />
Stand. »D<strong>er</strong> Respekt kam dann automatisch<br />
üb<strong>er</strong> die Jahre«, stellt <strong>er</strong><br />
fest und <strong>er</strong>klärt seinen inn<strong>er</strong>lichen<br />
und äuß<strong>er</strong>lichen Reifeprozess. Zeisig<br />
ist sich sich<strong>er</strong>, <strong>das</strong>s <strong>er</strong> heute viel<br />
mehr Autorität ausstrahlt als zu Beginn<br />
sein<strong>er</strong> Schulzeit, und boxt zum<br />
Beweis einem Brillenträg<strong>er</strong> mit<br />
voll<strong>er</strong> Wucht in die Magengrube.<br />
Man sieht, Zeisig hat seine B<strong>er</strong>ufung<br />
gefunden. Er hat sich durchgesetzt,<br />
auch gegen die Bedenken<br />
sein<strong>er</strong> Familie. Die waren<br />
anfangs enorm. Besond<strong>er</strong>s sein<br />
Vat<strong>er</strong> geißelte ihn. Sein kostbares<br />
Leben sollte d<strong>er</strong> Sohn ein<strong>er</strong> Metzg<strong>er</strong>familie<br />
keinesfalls auf d<strong>er</strong><br />
Schule v<strong>er</strong>bringen. »Mein<br />
Vat<strong>er</strong> wusste nicht, wie mich<br />
seine Welt aus Speck und<br />
Rind<strong>er</strong>zungensülze anödete.«<br />
Elendige Streit<strong>er</strong>eien waren die<br />
Folge. Besond<strong>er</strong>s als Zeisig einmal<br />
die dritte Klasse wied<strong>er</strong>holen muss -<br />
te, eskali<strong>er</strong>te die Lage. »Mein Vat<strong>er</strong><br />
konnte nicht v<strong>er</strong>stehen, <strong>das</strong>s die<br />
vi<strong>er</strong> Jahre in d<strong>er</strong> zweiten Klasse für<br />
mich p<strong>er</strong>sönlich wichtig waren. Deshalb<br />
zwang <strong>er</strong> mich, einen Somm<strong>er</strong><br />
lang <strong>das</strong> Alphabet aus Mett und Naturdarm<br />
nachzubauen. Schnelles<br />
L<strong>er</strong>nen blieb mir ab<strong>er</strong> weit<strong>er</strong> Wurst.«<br />
Stattdessen setzte Zeisig jr. auf tiefe<br />
V<strong>er</strong>inn<strong>er</strong>lichung. Imm<strong>er</strong> und imm<strong>er</strong><br />
wied<strong>er</strong> v<strong>er</strong>suchten die Stimmen sein<strong>er</strong><br />
Lehr<strong>er</strong> und Elt<strong>er</strong>n auf ihn einzuwirken:<br />
»1 + 3 < 6; Trenne nie<br />
Esstee, denn es tut ihm weh; artige<br />
Kind<strong>er</strong> öffnen vor dem Urini<strong>er</strong>en die<br />
Hose« usw.<br />
52 EULENSPIEGEL 9/10
ist Deutschland <strong>das</strong> dümmste Land d<strong>er</strong> Welt<br />
Ehren runde<br />
wird <strong>er</strong> dann gehen<br />
Sehr hilfreich sei es gewesen, <strong>das</strong><br />
ständige Wied<strong>er</strong>holen, v<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>t <strong>er</strong><br />
bestätigend. »Besond<strong>er</strong>s die Wied<strong>er</strong>holungen<br />
dabei waren sehr hilfreich«,<br />
bestätigt Zeisig mit v<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ndem<br />
Blick. Er brauche eben<br />
läng<strong>er</strong>, bis <strong>er</strong> etwas beh<strong>er</strong>rsche,<br />
dann all<strong>er</strong>dings führt <strong>er</strong> es bestmöglich<br />
aus. »Sehen Sie nur die formvollendete<br />
Schleife, mit d<strong>er</strong> ich die<br />
Schuhe meines Klassenkam<strong>er</strong>aden<br />
Steven zusammengebunden ha -<br />
be«, sagt <strong>er</strong> stolz. Er schubst<br />
seinen Mitschü -<br />
l<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> stürzt und für einige Sekunden<br />
nach Luft ringt. Gedankenschnell<br />
nutzt Zeisig die Situation<br />
und schnippst mit beeindruckend<strong>er</strong><br />
Präzision seinen Zeigefing<strong>er</strong> gegen<br />
die Nase des am Boden Liegenden,<br />
bis diesem die Tränen kommen. Die<br />
P<strong>er</strong>fektioni<strong>er</strong>ung<br />
dies<strong>er</strong> kleinen Dinge hat Zeisig Jahre<br />
gekostet.<br />
Doch sein körp<strong>er</strong>liches Geschick<br />
ist es, von dem auch Zeisigs Mitschül<strong>er</strong><br />
profiti<strong>er</strong>en. Sie akzepti<strong>er</strong>en<br />
den 47-Jährigen als brutales Vorbild<br />
und honori<strong>er</strong>en seine körp<strong>er</strong>liche<br />
Üb<strong>er</strong>legenheit mit anbied<strong>er</strong>nd<strong>er</strong> Demut.<br />
Ob die Klassenkam<strong>er</strong>aden<br />
nicht manchmal Angst vor ihm hätten?<br />
Das wisse <strong>er</strong> nicht, gibt <strong>er</strong> unumwunden<br />
zu, <strong>er</strong> selbst habe ab<strong>er</strong><br />
keine Furcht vor ihnen. Zeisigs<br />
P<strong>er</strong>sönlichkeit und seine<br />
Fähigkeiten sind in all den<br />
Jahren <strong>er</strong>blüht, und auch<br />
seine Lehr<strong>er</strong> bestätigen,<br />
<strong>das</strong>s sein mehrmaliges Sitzenbleiben<br />
positive Auswirkungen<br />
auf die emotionale und<br />
soziale Kompetenz ihres Sechstklässl<strong>er</strong>s<br />
zeitigte. »Er weiß genau, <strong>das</strong>s<br />
<strong>er</strong> die Schül<strong>er</strong> seinen sadistischen<br />
Launen aussetzen kann, ohne Konsequenzen<br />
fürchten<br />
zu müssen«,<br />
sagt<br />
sei ne<br />
Bio logielehr<strong>er</strong>in und Ehefrau Ilse<br />
Zeisig. Klar gab es auch manchmal<br />
Proble me, z.B. in dem Jahr, als Zeisigs<br />
Zwillinge mit ihm den Sportunt<strong>er</strong>richt<br />
besuchten. Als Pädagogin<br />
wusste Frau Zeisig um die Gefahren<br />
ein<strong>er</strong> möglichen Sond<strong>er</strong>stellung<br />
ihr<strong>er</strong> Kind<strong>er</strong>. Deshalb war sie <strong>er</strong>leicht<strong>er</strong>t,<br />
als ihr Ehemann auch ihnen<br />
<strong>das</strong> Essengeld abnahm.<br />
Selbst d<strong>er</strong> Direktor d<strong>er</strong> kleinen<br />
Grundschule meint,<br />
<strong>das</strong>s man an Zeisigs Beispiel<br />
sehen könne, <strong>das</strong>s<br />
sich <strong>das</strong> Konzept des Sitzenbleibens<br />
nach wie vor<br />
lohne. Eine Milliarde Euro<br />
jährlich für Menschen wie<br />
Zeisig sei eben kein h<strong>er</strong>ausgeworfenes<br />
Geld, sond<strong>er</strong>n eine Investition<br />
in die Kontinuität d<strong>er</strong> Schulen.<br />
Die können dank d<strong>er</strong> Wied<strong>er</strong>hol<strong>er</strong><br />
an and<strong>er</strong><strong>er</strong> Stelle sparen. »Schau -<br />
en Sie sich Zeisigs dichten Bartwuchs<br />
an! Einen Weihnachtsmann müssen<br />
wir für die Schulfei<strong>er</strong>n nicht organisi<strong>er</strong>en,<br />
und es gab Theat<strong>er</strong>stücke, in<br />
denen <strong>er</strong> sogar ein Bärenfell mimte«,<br />
freut sich d<strong>er</strong> Schuldirektor. Einzelne<br />
V<strong>er</strong>suche aus d<strong>er</strong> Politik, <strong>das</strong> Sitzenbleiben<br />
abzuschaffen, könne <strong>er</strong> deshalb<br />
auch nicht nachvollziehen. »Im<br />
Notfall hätten wir auch engagi<strong>er</strong> te<br />
Erziehungsb<strong>er</strong>echtigte wie z.B. H<strong>er</strong>rn<br />
Zeisig, die dagegen ankämpfen würden.«<br />
Im Einzelgespräch offenbart Zeisig<br />
seine größte Sorge. Denn irgendwann<br />
wird auch <strong>er</strong> die Schule v<strong>er</strong>lassen<br />
müssen. Er wisse bis heute nicht,<br />
ob die Krankenkasse ihm nach seinem<br />
Schulbesuch weit<strong>er</strong>hin sein Ritalin<br />
bezahlt und ob <strong>er</strong> ohne <strong>das</strong> System<br />
klarkommen wird, <strong>das</strong> ihn jahrelang<br />
bevormundete. »Sich<strong>er</strong>lich, es<br />
ist irgendwie unfrei, ab<strong>er</strong> auch angenehm.<br />
Es gibt eine V<strong>er</strong>netzung von<br />
Streb<strong>er</strong>n, die dich anschwärzen können.<br />
Damit muss man klarkommen.<br />
Ab<strong>er</strong> alles and<strong>er</strong>e ist g<strong>er</strong>ade in d<strong>er</strong><br />
Nachbetrachtung so schön! Und ab<br />
d<strong>er</strong> vi<strong>er</strong>ten Klasse hatten wir sogar<br />
echte Zensuren!« Zeisig steigt <strong>das</strong><br />
Wass<strong>er</strong> in die Augen. Er schnäuzt<br />
in einen Erstklässl<strong>er</strong> und begibt<br />
sich in den Ethik-Unt<strong>er</strong>richt. »Mob -<br />
bing« steht auf dem Stundenplan.<br />
Da wird <strong>er</strong> sich<strong>er</strong>lich gebraucht.<br />
Andreas Koristka<br />
Zeichnung: Petra Kast<strong>er</strong><br />
Prominente<br />
Sitzenbleib<strong>er</strong><br />
Adolf Hitl<strong>er</strong>: War kein gut<strong>er</strong><br />
Schül<strong>er</strong>, hatte trotzdem Erfolg<br />
im B<strong>er</strong>uf und konnte spät<strong>er</strong> die<br />
6. Armee bei Stalingrad sitzenlassen.<br />
Jürgen Fliege: War wie Hitl<strong>er</strong><br />
kein gut<strong>er</strong> Schül<strong>er</strong>.<br />
Edmund Stoib<strong>er</strong>: Bleibt bis<br />
heute an jedem Satz kleben.<br />
Christian Wulff: Blieb in d<strong>er</strong><br />
Schule sitzen und hat heute folg<strong>er</strong>ichtig<br />
eine tätowi<strong>er</strong>te Frau.<br />
V<strong>er</strong>ona Pooth: Steht hi<strong>er</strong> nur,<br />
weil billige Sitzenbleib<strong>er</strong>-Witze<br />
üb<strong>er</strong> Wolfgang Schäuble geschmacklos<br />
sind.<br />
www.lastfm.de (Privat)<br />
www.phoenixsilk.uk<br />
www.juliastraumboutique.de<br />
www.cdon.eu<br />
EULENSPIEGEL 9/10 53
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Mut zur Mücke<br />
Die wenigsten Insekten führen Böses<br />
im Schilde. Doch sie passen<br />
nicht ins Kindchenschema: Große,<br />
runde Augen, kleine Nase, kleines<br />
Kinn, rundliche Wangen und weiche<br />
Haut (also alles, was man<br />
benötigt, um bei den »Tagesthemen«<br />
als »Tom Buhrow« anzufangen)<br />
haben Insekten nicht. Sie taugen<br />
nicht zum Knuddeln, und ein<br />
Insekt, <strong>das</strong> von sich sagen hört, es<br />
sei süß, befindet sich mit Sich<strong>er</strong>heit<br />
auf dem Dess<strong>er</strong>tschälchen eines<br />
Spezialitätenrestaurants, als<br />
kandi<strong>er</strong>tes Irgendwas an Trallala-<br />
Schaum.<br />
Un<strong>er</strong>bittlich jagt d<strong>er</strong> Mensch die<br />
Mü cke. Ab<strong>er</strong> warum? Mücken<br />
schme cken nicht und gelten üb<strong>er</strong><br />
alle Gesellschaftsschichten und<br />
Ethnien hin weg allenfalls als<br />
proteinhaltig<strong>er</strong> Beifang beim zügigen<br />
Radfahren mit geöffnetem<br />
Mund. Auch g<strong>er</strong>östet auf Weihnachtsmärkten<br />
angeboten (2,50<br />
Euro auf 100 Gramm) haben sie sich<br />
in uns<strong>er</strong>en Breiten nicht durchgesetzt<br />
– and<strong>er</strong>s in Uganda, wo zwar<br />
nie Weihnachten ist, ab<strong>er</strong> die<br />
Mücken größ<strong>er</strong> sind. W<strong>er</strong> Mücken<br />
jagt, betreibt <strong>das</strong> Mückenklatschen<br />
und bewegt sich im Rahmen des<br />
d<strong>er</strong> Lebenswirklichkeit g<strong>er</strong>echt<br />
w<strong>er</strong>denden juristischen Konstruktes<br />
d<strong>er</strong> Notwehr gegen Mitbürg<strong>er</strong><br />
od<strong>er</strong> eben Mitmücken. (Nebenbei:<br />
Die Anwendung des Notwehrparagrafen<br />
auf Mücken-Klatsch<strong>er</strong> ist in<br />
d<strong>er</strong> Rechtsprechung seit Theodor<br />
Mommsen umstritten. Dies<strong>er</strong> v<strong>er</strong>wies<br />
darauf, <strong>das</strong>s auch in d<strong>er</strong> Notwehr<br />
ein »Moment d<strong>er</strong> Rache«<br />
liegt, womit bei Notwehr mit Todesfolge<br />
durchaus auf Mord plädi<strong>er</strong>t<br />
w<strong>er</strong>den könnte – denn <strong>das</strong><br />
Motiv d<strong>er</strong> Rache begründet einen<br />
Tötungsvorsatz. Und wollte man<br />
bestreiten, <strong>das</strong>s, w<strong>er</strong> Mücken<br />
klatscht, sich in sein<strong>er</strong> Notwehr<br />
»auch« für viele Somm<strong>er</strong> voll<strong>er</strong> Stiche<br />
rächen will? Das sollte man bedenken,<br />
wenn man in Rage g<strong>er</strong>ät<br />
– denn auch Mückenmord v<strong>er</strong>jährt<br />
nicht.)<br />
Auß<strong>er</strong>dem ist nicht alles, was <strong>er</strong>laubt<br />
ist, sittlich geboten. Hi<strong>er</strong>zu<br />
ein Gedankenexp<strong>er</strong>iment: Wen<br />
kann man sich ohne Weit<strong>er</strong>es dabei<br />
vorstellen, wie <strong>er</strong> blutrünstig<br />
und ohne moralische Anwandlungen<br />
Mücken klatscht? – Richtig: Hitl<strong>er</strong>,<br />
Saddam, Mixa. Kim Jong Il nur<br />
deshalb nicht, weil <strong>er</strong> dafür ausreichend<br />
P<strong>er</strong>sonal im Gen<strong>er</strong>alsrang<br />
hat. Dass jedoch ethisch w<strong>er</strong>thaltige<br />
Premium<strong>er</strong>zeugnisse wie Margot<br />
Käßmann, Jogi Gauck od<strong>er</strong> Joachim<br />
Löw in ihr<strong>er</strong> knapp bemessenen<br />
Freizeit Mücken metzeln,<br />
üb<strong>er</strong>steigt die menschliche Vorstellungskraft.<br />
And<strong>er</strong>s als<br />
üb<strong>er</strong>fischte Weltme<strong>er</strong>e<br />
böten üb<strong>er</strong>mückte<br />
Weltlüfte einen<br />
Grund zur Freude<br />
Im Grunde sieht eine fliegende<br />
Mücke wegen ihr<strong>er</strong> zahlreichen langen<br />
Gliedmaßen aus wie ein in<br />
groß<strong>er</strong> Entf<strong>er</strong>nung vom Orkan in die<br />
Luft gehoben<strong>er</strong> Nordic-Walk<strong>er</strong>, d<strong>er</strong><br />
sich aus un<strong>er</strong>findlichen Gründen mit<br />
mehr als zwei Stöcken ausgestattet<br />
hat. Ein fliegend<strong>er</strong> Nordic-Walk<strong>er</strong><br />
ist wahrlich nichts, wofür man<br />
seine alltäglichen V<strong>er</strong>richtungen unt<strong>er</strong>brechen<br />
müsste. Doch ist die<br />
Mücke kein vorüb<strong>er</strong>gehend in Nöte<br />
g<strong>er</strong>aten<strong>er</strong>, ansonsten ab<strong>er</strong> unbeachtlich<strong>er</strong><br />
Trendsportl<strong>er</strong>, sond<strong>er</strong>n<br />
ein aggressiv<strong>er</strong> Blutsaug<strong>er</strong>, d<strong>er</strong> auf<br />
einen unbeachteten Mo ment wartet,<br />
um uns seinen Rüssel, diesen<br />
p<strong>er</strong>fiden Hybrid aus Strohhalm und<br />
Stichwaffe, in den Leib zu rammen.<br />
Die Mückenabwehr entspricht<br />
dem vitalen Int<strong>er</strong>esse jedes Lebewesens,<br />
nicht nur sein Wochenendgrundstück<br />
und sein Fahrrad, sond<strong>er</strong>n<br />
auch sein Blut für sich zu behalten.<br />
In die Legitimationskrise<br />
g<strong>er</strong>ät d<strong>er</strong> Mücken-Klatsch<strong>er</strong> indes<br />
bei d<strong>er</strong> Wahl sein<strong>er</strong> Mittel. And<strong>er</strong>s<br />
als and<strong>er</strong>e Warmblüt<strong>er</strong> v<strong>er</strong>fügt d<strong>er</strong><br />
Mensch nämlich nicht üb<strong>er</strong> einen<br />
Schwanz, um die Mücken wegzuwedeln.<br />
Die fünfzig Prozent d<strong>er</strong><br />
Mensch heit, die üb<strong>er</strong> einen Schwanz<br />
zu v<strong>er</strong>fügen meinen, v<strong>er</strong>mögen damit<br />
allenfalls einen höchst unzureichendem<br />
Radius abzudecken (abweichende<br />
Einzelfälle sind auch als<br />
solche zu w<strong>er</strong>ten und können die<br />
Allgemeingültigkeit dies<strong>er</strong> Feststellung<br />
nicht <strong>er</strong>schütt<strong>er</strong>n). Folgt<br />
ab<strong>er</strong> <strong>das</strong> Gemetzel, bei dem d<strong>er</strong><br />
Mücken-Klatsch<strong>er</strong> für Sekunden<br />
üb<strong>er</strong> 60 Prozent sein<strong>er</strong> Körp<strong>er</strong>kraft<br />
mobilisi<strong>er</strong>t, dem Kantschen Imp<strong>er</strong>ativ<br />
d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>hältnismäßigkeit? 100<br />
Kilo Mensch gegen 0,04 Gramm<br />
Mücke? Hi<strong>er</strong> müssen wir wohl die<br />
Rechtsprechung des Bundesv<strong>er</strong>fassungsg<strong>er</strong>ichts<br />
abwarten …<br />
Wie tief d<strong>er</strong> Mückenhass sitzt,<br />
zeigt sich nicht zuletzt darin, <strong>das</strong>s<br />
selbst jene Mücken, die Opf<strong>er</strong> d<strong>er</strong><br />
Gewalth<strong>er</strong>rschaft wurden, heute<br />
nahezu v<strong>er</strong>gessen sind. Zur Erinn<strong>er</strong>ung:<br />
B<strong>er</strong>tolt Brecht lässt in dem<br />
Gedicht »Die Teppichweb<strong>er</strong> von Kujan-Bulak<br />
ehren Lenin« die fieb<strong>er</strong>kranken<br />
Web<strong>er</strong> Petroleum in die<br />
Sümpfe gießen, damit die Stech -<br />
mücken st<strong>er</strong>ben. Die Linkspartei<br />
hat sich bis heute nicht glaubhaft<br />
von diesem Willkürakt distanzi<strong>er</strong>t,<br />
weswegen sie, zumindest in hochzivilisi<strong>er</strong>ten<br />
Bundesländ<strong>er</strong>n, in denen<br />
die Mückenrechte in d<strong>er</strong> Landesv<strong>er</strong>fassung<br />
nied<strong>er</strong>gelegt sind,<br />
als Koalitionspartn<strong>er</strong> nicht infrage<br />
kommt.<br />
Geht es vielleicht auch and<strong>er</strong>s?<br />
In d<strong>er</strong> DDR gab es ein Anti-Mücken-<br />
56 EULENSPIEGEL 9/10
Arten schutz<br />
Mittel mit dem Anwendungshinweis:<br />
Leidensdruck entwickeln und in d<strong>er</strong><br />
Alt<strong>er</strong>nativen nachzudenken. Schließ -<br />
hen auf Genozid! Nicht gleich all<strong>er</strong><br />
»Mücke setzt sich, sticht ab<strong>er</strong> nicht.«<br />
Hi<strong>er</strong>archie d<strong>er</strong> Lästlinge ganz weit<br />
lich hat die Gattung in den Jahrtau-<br />
Mücken (Nematoc<strong>er</strong>a) – schließlich<br />
Seine Anwendung v<strong>er</strong>langte Mut.<br />
unten stehen. Man darf den Glau-<br />
senden ihr<strong>er</strong> Existenz einen Ozean<br />
sind wir Humanisten –, sond<strong>er</strong>n<br />
Das wirft die Frage auf: Was macht<br />
ben an <strong>das</strong> Gute in d<strong>er</strong> Mücke nicht<br />
von Blut v<strong>er</strong>schüttet.<br />
nur ein<strong>er</strong> d<strong>er</strong> 45 Mückenfamilien,<br />
die Mücke, wenn sie sich setzt, ab<strong>er</strong><br />
v<strong>er</strong>li<strong>er</strong>en.<br />
Nicht umsonst weisen einschlä-<br />
nämlich d<strong>er</strong> Stechmücke (Cu li -<br />
nicht sticht? Stellt sie auf vegeta-<br />
Erweisen sich Mücken jedoch als<br />
gige Int<strong>er</strong>net-Suchmaschinen für<br />
cidae). Ab<strong>er</strong> bedenken wir, dann<br />
risch um? Üb<strong>er</strong>gibt sie sich? Od<strong>er</strong><br />
th<strong>er</strong>api<strong>er</strong>esistent, sind sie z.B. nicht<br />
Zusammensetzungen mit »Anti-<br />
ist es auch mit dem reizenden klei-<br />
macht sie <strong>das</strong> Beste draus und<br />
b<strong>er</strong>eit, an einem Anti-Gewalt-Trai-<br />
Mücken…« üb<strong>er</strong> 44 000 Einträge<br />
nen Wiesenschnäpp<strong>er</strong> ein für alle-<br />
sticht, ohne sich vorh<strong>er</strong> zu setzen?<br />
ning teilzunehmen. Und machen sie<br />
auf, während d<strong>er</strong> nun wirklich häu-<br />
mal vorbei! Von dem schönen (Rolf<br />
Natürlich kann man v<strong>er</strong>suchen,<br />
nicht von d<strong>er</strong> Möglichkeit Gebrauch,<br />
fig diskuti<strong>er</strong>te Begriff »nicht zum<br />
H<strong>er</strong>richt-)Wort<br />
»Mückentötolin«<br />
die Lästlinge in th<strong>er</strong>apeutischen Ge-<br />
ihren Rüssel im Rahmen ein<strong>er</strong> Am-<br />
V<strong>er</strong>zehr bestimmte Obst-Attrappen<br />
ganz zu schweigen!<br />
sprächen von ihr<strong>er</strong> unseligen Nei-<br />
nesti<strong>er</strong>egelung auf d<strong>er</strong> nächsten Po-<br />
aus d<strong>er</strong> südchinesischen Provinz<br />
gung zu schön<strong>er</strong> Haut abzubringen.<br />
lizeidienststelle abzugeben, muss<br />
Guangdong« keinen einzigen Tref-<br />
Rob<strong>er</strong>t Niemann<br />
Zumal sie in einigen Fällen selbst<br />
es dem Menschen <strong>er</strong>laubt sein, üb<strong>er</strong><br />
f<strong>er</strong> v<strong>er</strong>zeichnet. Ja, die Zeichen ste-<br />
Zeichnung: Kat Weidn<strong>er</strong><br />
EULENSPIEGEL 9/10 57
Pet<strong>er</strong> Thulke<br />
Andreas Prüstel<br />
58 EULENSPIEGEL 9/10
Schwarz auf<br />
weiss<br />
Alff<br />
Pi<strong>er</strong>o Masztal<strong>er</strong>z Jüng<strong>er</strong> & Schlank<strong>er</strong><br />
EULENSPIEGEL 9/10 59
Kleinti<strong>er</strong><br />
haltung<br />
Jette Joop entgeht einem<br />
Einmal im Monat treffen wir uns – die Claudia,<br />
die Iris, die Xenia und ich. Wir machen <strong>das</strong> seit<br />
Langem. Wir waren mal praktizi<strong>er</strong>ende Feministinnen<br />
und haben uns damals zu gemeinsam<strong>er</strong><br />
Menstruationsmeditation getroffen. So ist d<strong>er</strong><br />
Vi<strong>er</strong>wochenrhythmus entstanden. Seit Claudia<br />
ab<strong>er</strong> keine Gebärmutt<strong>er</strong> mehr hat, und Iris und<br />
ich in den Wechseljahren sind, haben wir uns<br />
and<strong>er</strong><strong>er</strong> Themen angenommen: Männ<strong>er</strong>, Bindungsfähigkeit,<br />
Beckenbodentraining, Haarfärbung<br />
mit Henna od<strong>er</strong> die Probleme, welche eine<br />
zunehmende vaginale Trockenheit h<strong>er</strong>vorrufen.<br />
Ja, <strong>das</strong> Leben bringt V<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>ungen mit sich!<br />
Früh<strong>er</strong> nannte Claudia ihre weißen Mäuse Alice<br />
Schwarz<strong>er</strong> od<strong>er</strong> Emma, heute heißt ihr Hamst<strong>er</strong><br />
Jette Joop.<br />
Jede von uns – die Claudia, die Iris, die Xenia<br />
und ich – darf ihre eigenen Themen einbringen.<br />
So haben wir uns mit Feng Shui und d<strong>er</strong> Zub<strong>er</strong>eitung<br />
von Sushi beschäftigt. Und nun wollten<br />
wir uns einmal mit Maßnahmen zur Entgiftung<br />
od<strong>er</strong> Entschlackung uns<strong>er</strong>es Körp<strong>er</strong>s auseinand<strong>er</strong>setzen.<br />
Mit dem Darm sollte es losgehen.<br />
Claudia hatte da neulich mal was von Kaffee-<br />
Einläufen gelesen. Ein Selbstv<strong>er</strong>such lag quasi<br />
in d<strong>er</strong> Luft.<br />
Anlässlich d<strong>er</strong> Entgiftung haben wir uns bei<br />
Claudia getroffen und üb<strong>er</strong>legt, ob wir eine eis<strong>er</strong>ne<br />
Regel uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Monatskonf<strong>er</strong>enzen auß<strong>er</strong><br />
Kraft setzen wollen, nämlich die, <strong>das</strong>s Männ<strong>er</strong><br />
in uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Runde nichts zu suchen haben. Denn<br />
Claudia schlug vor, ihren Heilpraktik<strong>er</strong> zu einem<br />
Info-Abend üb<strong>er</strong> die Entgiftung einzuladen. D<strong>er</strong><br />
Heilpraktik<strong>er</strong> hieß Waldemar. Wenn wir uns beeilen,<br />
meinte Claudia, hat d<strong>er</strong> Waldemar alle zu<br />
reinigenden Organe (Darm, Leb<strong>er</strong> und Ni<strong>er</strong>e) bis<br />
Weihnachten mit uns durchgenommen!<br />
Wegen des Waldemar haben wir abgestimmt.<br />
Da es nach drei Wahlgängen noch imm<strong>er</strong> zwei<br />
zu zwei stand (Claudia und Xenia waren für den<br />
Mann, Iris und ich dagegen), musste Jette Joop<br />
dran glauben. Jette hat einen total durchdesignten<br />
Käfig mit einem goldenen Laufrad und pinkfarbenem<br />
Streu. Claudia färbt einen Teil von Jette<br />
auch imm<strong>er</strong> mit d<strong>er</strong> jeweiligen Coloration ihres<br />
V<strong>er</strong>trauens. Erst vorgest<strong>er</strong>n hatte sie schwarze<br />
Strähnchen bekommen. Claudia nahm Jette aus<br />
ihrem Käfig und gab sie an mich weit<strong>er</strong>. Dann<br />
tat sie je rechts und links etwas Futt<strong>er</strong> auf <strong>das</strong><br />
Pinkstreu. Rechts, so hatten wir uns geeinigt,<br />
hieß: gegen den Heilpraktik<strong>er</strong>, und links: dafür.<br />
Claudia setzte Jette Joop genau in die Mitte. Jette<br />
schnupp<strong>er</strong>te und lief dann g<strong>er</strong>adewegs nach<br />
rechts, beäugte <strong>das</strong> Futt<strong>er</strong> misstrauisch und<br />
rannte nach links, um dort zu fressen. Claudia<br />
und Xenia jubelten laut auf vor Begeist<strong>er</strong>ung<br />
und Claudia sagte, sie bestehe darauf, <strong>das</strong>s Jette<br />
nun auch ein vollw<strong>er</strong>tiges Mitglied uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Frauengruppe<br />
wird. Denn zahlreiche Qualitäten d<strong>er</strong><br />
Frau von heute sprächen für sie: Sie könne sich<br />
spontan entscheiden, sei in d<strong>er</strong> Lage, es sich<br />
dann ab<strong>er</strong> auch mal wied<strong>er</strong> and<strong>er</strong>s zu üb<strong>er</strong>legen,<br />
täte sich g<strong>er</strong>ne die Haare färben<br />
lassen und würde sich schnell, ab<strong>er</strong><br />
tipptopp putzen. Dazu käme auch noch<br />
ihre Nachtaktivität. Hatten wir nicht imm<strong>er</strong><br />
schon gesagt, <strong>das</strong>s die Frau sich die<br />
Nacht zurück<strong>er</strong>ob<strong>er</strong>n muss?<br />
Jette hatte mittl<strong>er</strong>weile ihr Hamst<strong>er</strong>rad<br />
<strong>er</strong>klommen und drehte sich begeist<strong>er</strong>t<br />
im Kreise, was Iris nicht so toll<br />
fand. Doch Claudia sah <strong>das</strong> ganz,<br />
ganz and<strong>er</strong>s: Jette würde im Rad imm<strong>er</strong><br />
mal wied<strong>er</strong> die Richtung änd<strong>er</strong>n<br />
und auch wied<strong>er</strong> h<strong>er</strong>aushüpfen,<br />
sei also keinesfalls ins<br />
Rad des Lebens eingespannt.<br />
Wir einigten uns schließlich für<br />
eine probeweise Aufnahme Jettes einen<br />
Monat lang, um zu sehen, wie<br />
sie sich so bei uns macht. Ein paar<br />
Tage spät<strong>er</strong> kam dann d<strong>er</strong> Heilpraktik<strong>er</strong><br />
zu uns. Jettes Käfig stand<br />
auf Claudias Couchtisch, als ich<br />
den Raum betrat.<br />
Auch d<strong>er</strong> Heil praktik<strong>er</strong> war b<strong>er</strong>eits<br />
anwesend. Er hatte einen<br />
großen Plastiktricht<strong>er</strong> mitgebracht,<br />
eine Schautafel und div<strong>er</strong>se<br />
Fläschchen. Als <strong>er</strong>stes <strong>er</strong>klärte<br />
<strong>er</strong> uns die Funktion des<br />
Plastiktricht<strong>er</strong>s. Bei diesem handelte<br />
es sich um einen Irrigator,<br />
mit dem wir uns Kaffeeinläufe machen<br />
sollten – zur Entschlackung des Darms. Mindestens<br />
einmal in d<strong>er</strong> Woche. Claudia sah auf<br />
Jette und wurde ein bisschen blass. Iris sagte,<br />
sie habe auf dem Dachboden noch <strong>das</strong> Barbiehaus<br />
ihr<strong>er</strong> Tocht<strong>er</strong> stehen. In dem sei ein ganz<br />
klein<strong>er</strong>, rosafarben<strong>er</strong> Tricht<strong>er</strong> plus Messbech<strong>er</strong>,<br />
in d<strong>er</strong> Größe bestimmt passend für Jette.<br />
Claudia <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>te uns daran, <strong>das</strong>s Jette sich<br />
noch in d<strong>er</strong> Probezeit befände. Doch wir plädi<strong>er</strong>ten<br />
einstimmig für ihre Darmentschlackung.<br />
Schon deshalb, weil keine von uns den Anfang<br />
machen wollte. Auß<strong>er</strong>dem war für Jettes unkomplizi<strong>er</strong>te<br />
Aufnahme in uns<strong>er</strong>en Kreis eine Gegenleistung<br />
fällig. D<strong>er</strong> Heilpraktik<strong>er</strong> war auch dafür.<br />
Er sagte, <strong>er</strong> würde g<strong>er</strong>ne Fotos von d<strong>er</strong> Darmspülung<br />
machen, für seine Klienten, damit sie<br />
die Scheu vor d<strong>er</strong>lei Dingen v<strong>er</strong>lören. Damit käme<br />
<strong>er</strong> bestimmt in die Top Ten des größten all<strong>er</strong><br />
Heilpraktik<strong>er</strong>foren. Ein paar sein<strong>er</strong> Kollegen seien<br />
schon drin, d<strong>er</strong> eine, weil <strong>er</strong> zum Beispiel alten<br />
Autos Reiki gäbe.<br />
Schließlich <strong>er</strong>klärte Claudia sich einv<strong>er</strong>standen,<br />
unt<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Bedingung, <strong>das</strong>s Jette einen<br />
Schampus-Einlauf bekäme. Den wollte Xenia nun<br />
auch haben. Ab<strong>er</strong> sie wollte nicht dabei fotografi<strong>er</strong>t<br />
w<strong>er</strong>den, was wir doof fanden, weil es doch<br />
dann für Waldemar üb<strong>er</strong>haupt keinen Reiz hat.<br />
Xenia behauptete jedoch, sie sähe bei Darmeinläufen<br />
nicht vorteilhaft aus, vor allem nicht im<br />
Gesicht.<br />
Klisti<strong>er</strong><br />
Waldemar fand die Idee mit dem<br />
Schampus nicht so gut, d<strong>er</strong> Kohlensäure<br />
wegen. Das würde inn<strong>er</strong>halb<br />
Xenias zu Irritationen<br />
führen, d<strong>er</strong>en Folgen wir<br />
alle auszubaden hätten,<br />
und <strong>er</strong> für seinen<br />
Teil würde dann, wo<br />
es ohnehin keine<br />
Fotos von Xenia<br />
gäbe, nach Hause<br />
gehen und uns<br />
ohne fachliche<br />
B<strong>er</strong>atung lassen.<br />
Um uns<strong>er</strong> Exp<strong>er</strong>iment<br />
zu retten,<br />
<strong>er</strong>klärte natürlich<br />
ich mich sofort b<strong>er</strong>eit, mich<br />
anstelle von Xenia »dabei« fotografi<strong>er</strong>en<br />
zu lassen. Ab<strong>er</strong> aus<br />
Gründen, die ich nicht durchschaute,<br />
<strong>er</strong>schien <strong>das</strong> Waldemar<br />
für seine Forschungen<br />
nicht <strong>er</strong>giebig<br />
genug zu<br />
sein.<br />
Also blieb es bei<br />
Jette Joop. Einige<br />
Tage spät<strong>er</strong> brach -<br />
te Iris <strong>das</strong> nötige<br />
Equipment mit.<br />
Wir legten Bachs<br />
3. Suite für Orchest<strong>er</strong><br />
auf und zündeten K<strong>er</strong>zen an. D<strong>er</strong> Heilpraktik<strong>er</strong><br />
v<strong>er</strong>suchte nun, den von ihm eigens konstrui<strong>er</strong>ten<br />
Minischlauch einzuführen. Doch plötzlich<br />
schrie <strong>er</strong>: »Nein!«, als sei nicht Jette, sond<strong>er</strong>n<br />
<strong>er</strong> d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>suchshamst<strong>er</strong>. Es stellte sich h<strong>er</strong>aus,<br />
<strong>das</strong>s Jette ein Männchen ist.<br />
Nach einigem Palav<strong>er</strong> beschlossen wir spontan<br />
zwei Dinge: Erstens, <strong>das</strong>s Jette nun Karl Lag<strong>er</strong>feld<br />
heißt, und zweitens, <strong>das</strong>s wir mit dem<br />
Exp<strong>er</strong>iment fortfahren, nun g<strong>er</strong>ade, damit Männ<strong>er</strong><br />
einmal zu spüren kriegen, wie scheußlich so<br />
ein Einlauf ist. All<strong>er</strong>dings nahmen wir statt<br />
Schampus Rotwein. Lag<strong>er</strong>feld ließ alles brav üb<strong>er</strong><br />
sich <strong>er</strong>gehen.<br />
Das, was aus ihm rauskam, hat Claudia für<br />
den Waldemar eingetupp<strong>er</strong>t, da dies<strong>er</strong> es g<strong>er</strong>ne<br />
unt<strong>er</strong>suchen wollte.<br />
Xenia ab<strong>er</strong> war noch imm<strong>er</strong> beleidigt und<br />
drohte, aus uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Frauengruppe auszusteigen.<br />
Sie habe noch nie Lust gehabt, K<strong>er</strong>len in den<br />
Darm zu gucken, und dazu w<strong>er</strong>de sie sich auch<br />
uns zuliebe nicht h<strong>er</strong>ablassen. Dafür wollte ab<strong>er</strong><br />
nun Heilpraktik<strong>er</strong> Waldemar in uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Gruppe<br />
dau<strong>er</strong>haft mitmachen. Claudia, die <strong>das</strong> Ganze<br />
damals gegründet hatte, ging konzeptionell noch<br />
weit<strong>er</strong> und schlug vor, eine gemischte Gruppe<br />
mit Hausti<strong>er</strong>en aufzumachen. Das wird bestimmt<br />
lustig, vor allem, wenn Iris ihr Pf<strong>er</strong>d mitbringt.<br />
Frauke Baldrich-Brümm<strong>er</strong><br />
www.sexbee.de<br />
60 EULENSPIEGEL 9/10
Anzeige
Kurzkritik.<br />
Aus dem RTL-Videotext, Einsend<strong>er</strong>: Helga Uebel, Erlbach<br />
Wenn sie die Pulle nicht alleine aufkriegen ...<br />
Aus: V<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>tenmagazin d<strong>er</strong> ›Barm<strong>er</strong>‹, Einsend<strong>er</strong>: Dr. P.-M. Schroed<strong>er</strong>, Brück<br />
Bzw. d<strong>er</strong> Zech durchgenachtet.<br />
Aus: »Markt«<br />
Einsend<strong>er</strong>: K. Schröd<strong>er</strong>,<br />
Mühlen Eichsen<br />
Ernücht<strong>er</strong>nd!<br />
Aus: »Mitteldeutsche Zeitung«<br />
Einsend<strong>er</strong>: W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Düresch,<br />
Bobbau<br />
(Rechts.)<br />
Aus: »Landshut<strong>er</strong> Zeitung«, Einsend<strong>er</strong>in: Brigitte Kluck<strong>er</strong>t, Landshut<br />
(Zuletzt tätig als<br />
hässlichst<strong>er</strong> Fettfleck.)<br />
Aus: »Ostsee-Zeitung«<br />
Einsend<strong>er</strong>: K. Radike,<br />
Greifswald<br />
Jubel garanti<strong>er</strong>t!<br />
Aus: »Stendal<strong>er</strong> Volksstimme«, Einsend<strong>er</strong>: Thomas Richt<strong>er</strong>-Mendau, Stendal<br />
Gebrauchsanweisung des Monats<br />
Neueste Sparmaßnahme.<br />
Aus: »Volksstimme Schönebeck«<br />
Einsend<strong>er</strong>: Simon Feldbach, Schönebeck<br />
Nächste Woche: Kalt<strong>er</strong> Hund.<br />
Restaurant in Born/Darß<br />
Einsend<strong>er</strong>in: Doris Schmidt,<br />
Plodda<br />
Wir sind für V<strong>er</strong>höhnung!<br />
Aus: »Thüringische<br />
Landeszeitung«<br />
Einsend<strong>er</strong>in: Eva H<strong>er</strong>mann, Erfurt<br />
Benutzungshinweis für eine<br />
Wass<strong>er</strong>rutsche in Crikvenica/Kroatien<br />
Einsend<strong>er</strong>in: Ivonne Felt<strong>er</strong>, p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Nach dem Selb<strong>er</strong>pflücken selb<strong>er</strong> drücken!<br />
Fotografi<strong>er</strong>t auf »Karls-Erdbe<strong>er</strong>-Erlebnishof«<br />
in Röv<strong>er</strong>shagen<br />
Einsend<strong>er</strong>: Paskal Jahn, p<strong>er</strong> E-Mail<br />
62 EULENSPIEGEL 9/10
Fehl anzeig<strong>er</strong><br />
Fragt sich nur, wohin.<br />
Festabsp<strong>er</strong>rung in Sachsen, fotografi<strong>er</strong>t von Ronny Stumpe, Eilenburg<br />
Die Ob<strong>er</strong>först<strong>er</strong> aus Spanien!<br />
Aus: »Wochenspiegel«, Einsend<strong>er</strong>: Dr. Dietmar Krüg<strong>er</strong>, Halle/S.<br />
Ach, dah<strong>er</strong> kommt <strong>das</strong>!<br />
Aus: »Magdeburg<strong>er</strong> Volksstimme«, Einsend<strong>er</strong>: Hans-G<strong>er</strong>t B<strong>er</strong>nstein<br />
Poetische Kostbarkeit<br />
Ihr<strong>er</strong> Erziehungsb<strong>er</strong>echtigten!<br />
Hinweisschild in ein<strong>er</strong> Kleingartenanlage<br />
Einsend<strong>er</strong>: H. Be<strong>er</strong>, p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Zurückhaltend wie imm<strong>er</strong>.<br />
Aus: »B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> Zeitung«<br />
Einsend<strong>er</strong>: Rudolf Grochowski, p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Hi<strong>er</strong> k… d<strong>er</strong> Chef<br />
noch selbst.<br />
Gaststättenw<strong>er</strong>bung<br />
Einsend<strong>er</strong>in: Karin Schröd<strong>er</strong>,<br />
p<strong>er</strong> E-Mail<br />
W<strong>er</strong> zuletzt lacht ...<br />
Schild<strong>er</strong> in Netphen-Deuz, Einsend<strong>er</strong>in: Iris Franke, p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Aus: »Bodden Blitz«<br />
Einsend<strong>er</strong>: Andreas Suhrbi<strong>er</strong>, Barth<br />
Kommt vom Klauen im<br />
Schreibwarengeschäft.<br />
Aus: »Sächsische Zeitung«<br />
Einsend<strong>er</strong>: B<strong>er</strong>nd Krasel,<br />
Weißwass<strong>er</strong><br />
D<strong>er</strong> Souffleur schweigt Deutsch.<br />
Aus: »Theat<strong>er</strong>somm<strong>er</strong><br />
Bad Lauchstädt«<br />
Einsend<strong>er</strong>: Detlef Carell, Halle/S.<br />
Od<strong>er</strong> dein Deutsch<br />
schlecht<strong>er</strong> als sein<strong>er</strong>?<br />
Aus: »123people.de«<br />
Einsend<strong>er</strong>in: Eva Ali,<br />
p<strong>er</strong> E-Mail<br />
EULENSPIEGEL 9/10 63
LMM 1454 … Les<strong>er</strong> machen mit 1 2 3 4 5 6 7<br />
8<br />
9 10 11<br />
12<br />
13 14<br />
15 16<br />
Lief<strong>er</strong>n Sie uns zu<br />
dies<strong>er</strong> Zeichnung<br />
eine witzige Unt<strong>er</strong>schrift.<br />
Für die drei<br />
originellsten Sprüche<br />
b<strong>er</strong>appen wir<br />
16, 15 und 14 €.<br />
Wir bauen auf:<br />
»Gib mir die Schaufel!<br />
Ich mach den<br />
Rest.«<br />
Uwe H<strong>er</strong>ling,<br />
H<strong>er</strong>msdorf<br />
LMM-Adresse:<br />
<strong>Eulenspiegel</strong>,<br />
Guben<strong>er</strong> Straße 47,<br />
10243 B<strong>er</strong>lin<br />
od<strong>er</strong> p<strong>er</strong> E-Mail an:<br />
v<strong>er</strong>lag@eulenspiegelzeitschrift.de<br />
LMM-Gewinn<strong>er</strong> d<strong>er</strong> 1453. Runde<br />
»Ich entschuldige<br />
mich nicht für<br />
Kunst.«<br />
Michael Thiem,<br />
p<strong>er</strong> E-Mail<br />
Absend<strong>er</strong> nicht<br />
v<strong>er</strong>gessen!<br />
Kennwort: LMM 1454<br />
Einsendeschluss:<br />
6. Septemb<strong>er</strong> 2010<br />
»Tag, H<strong>er</strong>r Mei<strong>er</strong>, ist<br />
mein Mann auch<br />
bei Ihnen?«<br />
Frank Haselein,<br />
Kassel<br />
Zeichnungen: Heinz Jankofsky<br />
Waag<strong>er</strong>echt: 1. Befehl an mehr<strong>er</strong>e<br />
Bi<strong>er</strong>h<strong>er</strong>stell<strong>er</strong>, 4. fast halbgefällte Dietlinde,<br />
8. v<strong>er</strong>druckte DDR-Gemeindeschwest<strong>er</strong>,<br />
9. Vi<strong>er</strong>eck ohne Kartoffelstück,<br />
11. ausgehöhlte Rasenkur,<br />
12. bös<strong>er</strong> alt<strong>er</strong> Burgund<strong>er</strong>, 13. Saat-<br />
Folge, 15. steckt im Kobehammel,<br />
17. Elis Zaub<strong>er</strong>trank, 20. kracht im<br />
Mensalutsch<strong>er</strong>, 22. geschrumpfte Mole,<br />
23. griechisch klingende französische<br />
Säng<strong>er</strong>in, 24. altes Scheu<strong>er</strong>mittel mit<br />
Iridium, 25. Rudis Reste-V<strong>er</strong>kaufsstelle.<br />
Senkrecht: 1. Prophetenziel, 2. kopflose<br />
Insektenlarven, 3. Warnanlage für<br />
Ras<strong>er</strong>, 4. zweiwortige Gogol-Vorstellung<br />
des Prüf<strong>er</strong>s, 5. bay<strong>er</strong>ische Ekelkundgebung<br />
samt Ablehnung, 6. Stadt<br />
für Diät-Hass<strong>er</strong>, 7. v<strong>er</strong>birgt sich im Solarventil,<br />
10. satritisch<strong>er</strong> Wappenvogel,<br />
17 18 19<br />
20 21 22<br />
23<br />
24 25<br />
14. bekannt<strong>er</strong> Lodz-Fahr<strong>er</strong>, 15. nicht<br />
ganz ordentlich<strong>er</strong> orientalisch<strong>er</strong> Markt,<br />
16. wartet im Fenchelgarten, 18. residi<strong>er</strong>t<br />
im Heimamt, 19. täglich Brot des<br />
Ref<strong>er</strong>enten, 21. kommt in jed<strong>er</strong> Schurigelei<br />
vor.<br />
Auflösung aus 8/10:<br />
Waag<strong>er</strong>echt: 1. Kreis, 4. Breda,<br />
7. Pol, 8. Ernie, 11. Altig, 13. Wass<strong>er</strong>kur,<br />
15. Taft, 17. Hede, 19. Anopheles,<br />
24. Neh<strong>er</strong>, 25. Irade, 26. Fee, 27. Greif,<br />
28. Brehm.<br />
Senkrecht: 1. Kiew, 2. Enns, 3. Spee,<br />
4. Blak, 5. Extra, 6. Angst, 9. Rate,<br />
10. Ismene, 13. Luth<strong>er</strong>, 14. Reep, 16.<br />
Fred, 17. Honig, 18. Dahme, 20. Orff,<br />
21. Hieb, 22. Laie, 23. Sejm.<br />
eist<strong>er</strong>w<strong>er</strong>ke Kunst von <strong>Eulenspiegel</strong>-Les<strong>er</strong>n, gediegen int<strong>er</strong>preti<strong>er</strong>t<br />
André Leischel, Grünhain-Bei<strong>er</strong>feld<br />
Was Gott getrennt hat, soll d<strong>er</strong><br />
Mensch nicht v<strong>er</strong>einen, steht<br />
schon im ältesten all<strong>er</strong> Büch<strong>er</strong><br />
geschrieben. Doch Gott ist kein<br />
Mensch, also unmenschlich.<br />
Menschlich dagegen ist die V<strong>er</strong>brüd<strong>er</strong>ung,<br />
und so können da,<br />
wo kein Gott mehr ist, auf ein<strong>er</strong><br />
einsamen Eisscholle mitten im<br />
Me<strong>er</strong>, Eisbär und Pinguin, Nord<br />
und Süd, zusammenkommen.<br />
Doch schnell entpuppt sich d<strong>er</strong><br />
Eisbär als <strong>das</strong>, was <strong>er</strong> ist: als ein<br />
Raubti<strong>er</strong>, ausschließlich darauf<br />
bedacht, den letzten Freund,<br />
den es hat, den Leidensgenossen<br />
auf kalt<strong>er</strong> Scholle, zum eigenen<br />
Wohl zu v<strong>er</strong>speisen. Als ob es<br />
ein Patentrezept für Barbarei<br />
gäbe, schmök<strong>er</strong>t d<strong>er</strong> Bär ungeduldig<br />
in seinem Kochbuch,<br />
sucht nach einem Weg, sich diesen<br />
flugunfähigen sympathischen<br />
Vogel schmackhaft zu machen.<br />
Lediglich <strong>das</strong> Cocktailglas<br />
mit dem bunten Schirm -<br />
chen legt stumm Zeugnis ab von<br />
ein<strong>er</strong> bess<strong>er</strong>en Zeit, in d<strong>er</strong> die<br />
Begegnung Anlass zum Fei<strong>er</strong>n<br />
gab. Die endgültige V<strong>er</strong>einigung<br />
d<strong>er</strong> beiden wird <strong>er</strong>st im<br />
Magen des Stärk<strong>er</strong>en und Brutal<strong>er</strong>en<br />
stattfinden.<br />
Und wie die Eisfläche Beute und<br />
Ausbeut<strong>er</strong> spiegelt, so spiegelt<br />
dieses großartige Gemälde uns<strong>er</strong>e<br />
Gesellschaft. D<strong>er</strong> Pinguin<br />
wurde aufs Glatteis geführt. Die<br />
V<strong>er</strong>brüd<strong>er</strong>ung von Nord und<br />
Süd, von Ost und West, ist auf<br />
Eis gelegt.<br />
H.-D. Schütt<br />
64 EULENSPIEGEL 9/10
»Th<strong>er</strong>e’s<br />
one<br />
more<br />
thing ...«*<br />
©reated on PearC<br />
* Was Steve Jobs sagen möchte,<br />
ist: Bestellen Sie den <strong>Eulenspiegel</strong><br />
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D<strong>er</strong> nächste <strong>Eulenspiegel</strong> <strong>er</strong> scheint am 21. Oktob<strong>er</strong> 2010 ohne folgende Themen:<br />
• Spendenaufford<strong>er</strong>ung an deutsche Milliardäre: Theo Albrecht reagi<strong>er</strong>t nicht<br />
• Nach d<strong>er</strong> Linkspartei <strong>jetzt</strong> d<strong>er</strong> Skandal bei Porsche: V<strong>er</strong>kaufte man sogar an Klaus Ernst?<br />
• Reform d<strong>er</strong> Sich<strong>er</strong>ungsv<strong>er</strong>wahrung: Pornohefte in W<strong>er</strong>kzeugkisten ab sofort unzulässig<br />
• Grüne im Aufschwung: Claudia Roth schon <strong>jetzt</strong> so beliebt wie ihr Vorgäng<strong>er</strong> Fury<br />
Pet<strong>er</strong> Thulke<br />
Ständige Mitarbeit<strong>er</strong><br />
Frauke Baldrich-Brümm<strong>er</strong>, Utz<br />
Bamb<strong>er</strong>g, Beck, Harm Bengen,<br />
Matthias Biskupek, Lo Blickensdorf,<br />
Pet<strong>er</strong> Butschkow, Carlo Dippold,<br />
Rain<strong>er</strong> Ehrt, Ralf-Alex Fichtn<strong>er</strong>, Matti<br />
Friedrich, Burkhard Fritsche, Arno<br />
Funke, G<strong>er</strong>hard Glück, Barbara<br />
Hennig<strong>er</strong>, Renate Holland-Moritz,<br />
Frank Hoppmann, Rudi Hurzlmei<strong>er</strong>,<br />
Michael Kais<strong>er</strong>, Christian Kandel<strong>er</strong>,<br />
Florian Kech, Dr. Pet<strong>er</strong> Köhl<strong>er</strong>, Kriki,<br />
Cleo-Petra Kurze, Ove Lieh, W<strong>er</strong>n<strong>er</strong><br />
Lutz, Pet<strong>er</strong> Muzeniek, Nel, Rob<strong>er</strong>t<br />
Niemann, Michael Panknin, Ari<br />
Plikat, Enno Prien, Andreas Prüstel,<br />
Erich Rauschenbach, Ernst Röhl,<br />
Rain<strong>er</strong> Röske, Rein<strong>er</strong> Schwalme,<br />
Felice v. Senkbeil, André Sedlaczek,<br />
Guido Sieb<strong>er</strong>, Klaus Stuttmann, Atze<br />
Svoboda, Pet<strong>er</strong> Thulke, Freimut<br />
Woessn<strong>er</strong>, Dr. Thomas Wieczorek,<br />
Martin Zak<br />
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d<strong>er</strong>en Urheb<strong>er</strong> nicht <strong>er</strong>mittelt w<strong>er</strong>den<br />
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r aransprüche <strong>er</strong>halten.<br />
Blumenspenden, Blankoschecks,<br />
Immobilien, Erbschaften und<br />
Adoptionsbegehren an:<br />
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66 EULENSPIEGEL 9/10