Eulenspiegel Eulenspiegel 4 + Literatur Eule (Vorschau)
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DAS SATIREMAGAZIN<br />
Unbestechlich, aber käuflich!<br />
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58./66. Jahrgang • ISSN 0423-5975 86514<br />
Er steht<br />
zu seiner<br />
großen Liebe!<br />
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<strong>Literatur</strong>-<strong>Eule</strong>
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Zeit im<br />
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EULENSPIEGEL 4/12 3<br />
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Highlights<br />
im Frühjahr<br />
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Inhalt<br />
Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arno Funke<br />
3 Zeit im Bild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Zak<br />
7 Hausmitteilung<br />
8 Leserpost<br />
10 Modernes Leben<br />
12 Zeitansagen<br />
14 Hutzelfeuer für die Kameraden . . . . . . . . Gregor Füller / André Sedlaczek<br />
16 Süüüß!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tobias Prüwer / Andreas Koristka<br />
18 Wird der Globus gelb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Köhler / Guido Sieber<br />
Gudrun Dietze:<br />
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Neue Rezepte & Geschichten<br />
152 Seiten | 16,5 x 20 cm | März 2012 | <br />
ISBN 978-3-89798-344-1<br />
Mit<br />
Zentralregister<br />
aller<br />
Dietze-Titel<br />
20 Leute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Krumbiegel<br />
22 Unsere Besten: Mit Zornespurpur in den Nasenlöchern –<br />
Rainer Maria Woelki . . . . . . . . . . . . . . Andreas Koristka / Frank Hoppmann<br />
24 Abgesägte Vaterfinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning H. Wenzel<br />
26 Zeitgeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beck<br />
28 Kleines h im kulturpessimistischen Überbiss . . . . . . . . . . . . Anke Behrend<br />
30 Die dunkle Seite der Macht . . . . . . . . Reinhard Ulbrich / Reiner Schwalme<br />
32 Vergessen hat sie gar nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mathias Wedel<br />
34 Der kleine Unterschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hannes Richert<br />
36 Hup doch, wenn du schwul bist! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erik Wenk<br />
38 Aller guten Dinge sind drei<br />
40 Der Einfall mit der Ösenficke . . . . . . . . . . . . . . . Frauke Baldrich-Brümmer<br />
42 Widerstandskämpfer und schwerst missgebildete Spätzle. . . . Florian Kech<br />
44 TV: Unverfälschte Leidenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Felice von Senkbeil<br />
45 Schöner wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Glück<br />
46 Kino: Das Glück ist keinem treu . . . . . . . . . . . . . . . Renate Holland-Moritz<br />
49 Artenvielfalt: Das Hausmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Frehse<br />
50 Der Heiland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barbara Henniger<br />
52 Wie blöd ist blöd? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martina Brandl<br />
54 Funzel: Fritz in Gefahr<br />
58 Fehlanzeiger<br />
50. Auflage<br />
zum<br />
50. Geburtstag<br />
60 Wahn & Sinn<br />
62 Schwarz auf Weiß<br />
64 Rätsel / Leser machen mit / Meisterwerke<br />
66 Impressum / ... und tschüs!<br />
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Rezepte mit Traditon<br />
224 Seiten | 14 x 21 cm | <br />
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68 <strong>Literatur</strong>-Spezial<br />
Teilen der Auflage sind Beilagen der Tema-GmbH und des Freitag beigefügt.<br />
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4 EULENSPIEGEL 4/12
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Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
Haus mitteilung<br />
ich war entsetzt, als ich die vielen empörten Leserbriefe las, die das<br />
Titelbild des letzten Heftes kritisierten. Kann es sein, fragte ich mich,<br />
dass meine von mir so sorgfältig zusammengestellte Zeitschrift Sie,<br />
meine höchst verehrten Käufer, auf so schäbige Weise beleidigt? Sofort<br />
beauftragte ich den nächstbesten Redakteur, mir ein Exemplar der<br />
März-Ausgabe zu besorgen. Fröhliche Menschen und putziges Getier<br />
stehen darauf vor einer kitschigen Panorama-Landschaft und grüßen<br />
freundlich Richtung Betrachter. Darunter steht »Sachsen grüßt seine<br />
Gäste« – eine muntere Momentaufnahme aus einem der schönsten<br />
Bundesländer. Das ist natürlich nicht der Anspruch, den man an ein<br />
Satiremagazin stellen kann. Deshalb möchte ich mich insbesondere bei<br />
unseren sächsischen Lesern entschuldigen. Ihre nette Art und Ihre<br />
wundervolle Heimat verführten einige meiner Ex-Mitarbeiter, ein harmloses<br />
Postkartenmotiv auf den Titel zu setzen. Sie, liebe Sachsen, wissen<br />
aber: Nicht alles im Freistaat ist wunderbar, einiges ist gerademal<br />
gut. Der EULENSPIEGEL wird sich bemühen, künftig auch kritische Töne<br />
aus Ihrem Bundesland einzufangen und mit spitzer Feder bzw. Zunge<br />
aufzuspießen. Die Zeichner habe ich angewiesen, auf grüßende Hasen<br />
gänzlich zu verzichten. Versteht sich von selbst, dass Sie von Reiner<br />
Schwalme in unserem Blatt nie wieder eine Zeichnung finden werden.<br />
★<br />
Wie Sie vielleicht wissen, haben wir in Deutschland einen sogenannten<br />
»Ethikrat«, dessen Aufgabe es ist, Entscheidungen zu bestimmten Themen<br />
zu treffen, die für Politiker zu kompliziert sind. Ich will mich darüber<br />
gar nicht mokieren, denn auch ich verstehe meistens nicht, worüber<br />
der Ethikrat gerade diskutiert. Vor Kurzem ging es zum Beispiel um<br />
die sogenannte »Präimplantationsdiagnostik«. Ich hatte mir fest vorgenommen,<br />
mich gründlich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, um<br />
anschließend die öffentliche Diskussion dazu vollständig verstehen und<br />
mich womöglich auch selbst als mündiger Bürger einbringen zu können.<br />
Aber als ich den Fernseher einschaltete, um eine diesbezügliche<br />
Dokumentation auf Arte anzuschauen, stellte ich fest, dass auf Nickel -<br />
odeon gerade ein Spongebob-Marathon lief – da war das Wochenende<br />
natürlich gelaufen, und das Thema PID blieb mir weiterhin fremd.<br />
Das sollte mir aber nicht noch einmal passieren, weshalb ich beim<br />
aktuellen Thema »Zwischengeschlechtlichkeit« extra gut aufgepasst<br />
habe. Und zwar ist das Problem folgendes: Hin und wieder kommen<br />
Kinder zur Welt, die untenrum ein bisschen verwachsen sind. Bisher<br />
hat man das von Ärzten zurechtschnippeln lassen, doch davon kommt<br />
man aus Kostengründen immer mehr ab. Stattdessen soll jetzt für die<br />
betroffenen Menschen ein »drittes Geschlecht« eingeführt werden, um<br />
ihre idiosynkratische Genitalkonstruktion juristisch zu untermauern.<br />
Aber ist das denn letztlich wirklich günstiger? Es müssen doch Abermillionen<br />
von Personalausweisen und Reisepässen umgestellt werden,<br />
von der Software in den Finanzämtern ganz zu schweigen! Gut, dass es<br />
unsere Zeichnungen auf Seite 38 gibt, die die ganze Angelegenheit von<br />
allen Seiten gründlich beleuchten (aber nicht zu gründlich!).<br />
★<br />
Berlin ist voll von ihnen. Sie tragen merkwürdige Kleidung, sprechen<br />
ein absurdes Kauderwelsch und verwandeln ehemals respektierte<br />
Stadtteile in Problembezirke. Die Rede ist natürlich von den sogenannten<br />
»Schwaben«. Aber wo kommen sie eigentlich her? Bis vor Kurzem<br />
war noch völlig unbekannt, wo sich das ursprüngliche Siedlungsgebiet<br />
dieser Ethnie befindet. Irgendwann jedoch bemerkte ein Soziologieprofessor<br />
der Humboldt-Universität, dass jeden Freitag gegen Mittag etwa<br />
die Hälfte seiner Studenten fluchtartig den Hörsaal verließ. Neugierig<br />
geworden, beschloss er, ihnen zu folgen, und entdeckte am Ende einer<br />
langen Reise Erstaunliches: Anscheinend, so das Ergebnis seiner Forschungen,<br />
gibt es ein ganzes Land, in dem ausschließlich Schwaben<br />
wohnen. Es soll »Baden-Württemberg« heißen und tief im Südwesten<br />
liegen. Kurioserweise bestreiten übrigens viele der dortigen Einwohner,<br />
überhaupt Schwaben zu sein – nur eine von vielen ulkigen Eigenheiten<br />
dieses Völkchens.<br />
Tja, und dieses »Baden-Württemberg« erreicht nun, kurz nach seiner<br />
Entdeckung, eigenen Angaben zufolge das stolze Alter von 60 Jahren,<br />
was wir mit einem Artikel auf Seite 42 feiern. Warum? Also das kann ja<br />
nun wirklich nur jemand fragen, der noch nie Monat für Monat eine<br />
Zeitschrift vollschreiben musste.<br />
Mit freundlichem Grüßle<br />
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Angefangene Sätze<br />
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Vor kurzem wartete ich geschlagene 3 Stunden<br />
auf den Bus. Ich gebe zu, da war keine Haltestelle.<br />
Trotzdem, hier geht’s ums Prinzip!<br />
Unterwäsche aus Papier hat den Vorteil, man<br />
kann die verschmutze Wäsche der Wäscherei zufaxen.<br />
Fußball ist in nicht unerheblichem Maße eine<br />
Frage der Hirnrinde, eh, Hinrunde ...!<br />
»Piet Klocke beherrscht die Kunst der<br />
immerwährenden Assoziation. Ein Meister<br />
des gebrochenen Wort-Versprechens.«<br />
Süddeutsche Zeitung<br />
Chefredakteur<br />
EULENSPIEGEL 4/12 7
www.eulenspiegel-zeitschrift.de<br />
58./66. Jahrgang • ISSN 0423-5975 86514<br />
Post<br />
Zum Titel:<br />
DAS SATIREMAGAZIN<br />
3/12 · € 2,80 · SFR 5,00<br />
<br />
<br />
<br />
Unbestechlich, aber käuflich!<br />
Seit geraumer Zeit habe ich im<br />
EULENSPIEGEL unausgewogen<br />
viele antisächsische Beiträge festgestellt.<br />
Der Gipfel ist aber nun<br />
das Titelblatt, mit welchem er ein<br />
gesamtdeutsches Problem auf<br />
Sachsen fokussiert. Damit verfehlt<br />
diese Karikatur ihr Ziel völlig und<br />
ist eine Beleidigung für unser Land.<br />
Dr. Wolfgang Dietzsch, Leipzig<br />
So schnell kann’s gehen!<br />
Welche stinkende Pestbeule von<br />
Wessi hat Euch denn zu dieser<br />
Titelseite geraten? Wenn ich ein<br />
Sachse wäre, ich würde Euch diese<br />
Seite um die Ohren hauen. Diese<br />
Seite hat nichts mehr mit Satire zu<br />
tun, das ist eine maßlose Beleidigung<br />
aller Ossis.<br />
Gerd Mikler per E-Mail<br />
Und der Tiere des Waldes!<br />
Reiner Schwalme hat in seinem<br />
Titelbild etwas vergessen: Nicht<br />
nur Nazis, Hasen und Vögel erheben<br />
in Sachsen die Hand zum völkischen<br />
Gruß, sondern auch die<br />
Fichten.<br />
Horst Gläser, Pobershau<br />
Jetzt übertreiben Sie aber!<br />
Was machten die vielen Ostberliner<br />
Glatzen im Elbsandsteingebirge?<br />
Die machen doch sonst<br />
immer in Mecklenburg Urlaub. Wohin<br />
wollten die zwei Häschen per<br />
Anhalter fahren? Dann entdeckte<br />
ich die Statue auf dem Felsen! Das<br />
ist Lenin, der mit gestrecktem Arm<br />
in die Zukunft weist! Und plötzlich<br />
war alles klar: Der Hubschrauber,<br />
der am Ende von Good bye, Lenin!<br />
mit dem Denkmal davonflog, hatte<br />
Lenin dort abgestellt.<br />
Lutz Hornig, Jessen<br />
Wahre Kunst ist nie eindeutig.<br />
Wenn 15 Bundesländer nicht in<br />
der Lage sind, eine rechte Terrorzelle<br />
auszuheben, und alle auf<br />
die Sachsen warten, damit die die<br />
ausgeklüngelte Drecksarbeit machen,<br />
ist das Titelbild eigentlich<br />
schon wieder positiver zu sehen.<br />
Anett Felsner per E-Mail<br />
Das wollten wir auf keinen Fall.<br />
Die Zeichnung passt so richtig in<br />
das Klischee: Ossi = undankbar,<br />
faul, dumm und gefräßig –<br />
und nun auch noch braun. Übrigens<br />
heilgrüßende haar- und hirnlose<br />
Glatzen gibt es in ganz<br />
Deutschland und nicht nur (seit einiger<br />
Zeit) in Sachsen.<br />
Dieter Struppert per E-Mail<br />
Dann ist ja gut.<br />
Zu: Zeit im Bild, »Muttis Liebling«:<br />
Seit wann hat Hannelore Hoger<br />
was mit Sarkozy?<br />
M. Adamczewski, Berlin<br />
Wussten Sie das nicht?<br />
Jetzt, wo die kalten Winde durch<br />
die leeren Hallen vom Bellevue<br />
wehen, hätte ich in der Bundespräsidentenfrage<br />
einen Vorschlag von<br />
Euch gehört! Und da gibt es ja nur<br />
einen Namen: Werner Klopsteg,<br />
Berlin.<br />
Gerhard Heruth, Döbeln<br />
Oder Gerhard Heruth, Döbeln<br />
Ex-Bundespräsidenten – auch zurückgetretene<br />
– erhalten einen<br />
Ehrensold, und das Geld fehlt dem<br />
Staat bei der Versorgung der kleinen<br />
Leute.<br />
Werner Klopsteg, Berlin<br />
Die können nicht genug kriegen.<br />
Eine böse Zeitung. Hab’ sie nur<br />
kurz aufgeschlagen und stieß<br />
auf die Beiträge zu Wulff und Assauer.<br />
Ich war entsetzt und werde<br />
die EULE nach 33-jähriger Leserschaft<br />
weiter abonnieren, denn<br />
meine Ehre heißt Lesertreue.<br />
Mario Eichhorn per E-Mail<br />
Und wie heißt Ihr Hund?<br />
Zu: »Kauderopoulus, du Oktopus!«,<br />
Da habt Ihr mit »Ja, der Kauderopoulus<br />
stinkt wie ein Oktopus«<br />
einen wahren Ohrwurm in die Eurovision-Song-Contest-Welt<br />
gesetzt!<br />
Ich singe den Hit jedenfalls die<br />
ganze Zeit begeistert vor mich hin,<br />
auf eine selbstverfasste Sirtaki-Melodie<br />
nebst Rhythmus. Schließlich<br />
habe ich schon als Thälmann-Pionier<br />
gemalte Blumen an Theodorakis<br />
in den Akropolis-Knast geschickt.<br />
Danke, dass Ihr den Spitzenpolitiker<br />
Kauder so verdient<br />
würdigt!<br />
Bernd C . Langnickel, Leipzig<br />
Gern geschehen.<br />
Also da verstehe einer uns Deutsche:<br />
Erst bringen wir einen<br />
Bundespräsidenten zum Rücktritt,<br />
weil wir unzufrieden sind, dass er<br />
die Wahrheit sagt, und nun hat<br />
sein Nachfolger den Rücktritt erklärt,<br />
weil wir unzufrieden damit<br />
sind, dass er nicht die Wahrheit gesagt<br />
haben soll. Am besten, wir<br />
wählen einen, der sich gar nicht<br />
mehr äußern kann.<br />
Heiner Bargel, Berlin<br />
Das wäre ein Segen!<br />
Zu: Artenvielfalt, »Das Opi«,<br />
Ich muss mich bei Euch bitterlichst<br />
beklagen. Die Erwähnung,<br />
dass das Opi stundenlang mit einer<br />
Zeitung auf dem Klo sitzt, erinnerte<br />
mich (warum auch immer) an<br />
meinen Therapeuten ... Oder bin<br />
ich einfach nur ein durchgeknallter<br />
schlechter Mensch, weil ich solche<br />
Phantasien entwickeln kann?<br />
Steffi Albrecht, Altötting<br />
Vermutlich ja.<br />
Als Neuleser des EULENSPIEGEL<br />
bin ich begeistert über die Artenvielfalt<br />
in unserer Landschaft.<br />
Vom Vati bis zum Opi kenn ich<br />
jetzt alle. Ich bin »das Opi«. Viele<br />
Charaktereigenschaften muss ich<br />
mir noch erarbeiten, aber wo Norden<br />
ist, das weiß ich, und Halma<br />
kann ich auch.<br />
Jürgen Uhrhan, Wernigerode<br />
Toll! Halma kann heute keiner mehr.<br />
Bei der lästerzüngigen Großmäuligkeit<br />
kann das Anke nur das<br />
Enkelin von das beschriebene Opi<br />
sein: In seiner Jugend war das genauso<br />
... nur mit das berühmte<br />
kleine Zipfelchen mehr dran. Ansonsten<br />
ist das Anke genetisch<br />
aber bestens positioniert, ein exakt<br />
zu dieses Opi passendes Omi zu<br />
werden. Allein, meine humanistische<br />
Prägung verbietet mir, ihr zu<br />
wünschen, gar nicht erst alt genug<br />
zu werden, um nicht am eigenen<br />
Leib erfahren zu müssen, wie<br />
man/frau zu solchen alten, stinkenden,<br />
stänkernden und höchst unbeliebten<br />
Zuwiderwurzn/Bissgurrn<br />
heranreift.<br />
Dietrich Prehl, München<br />
Zu spät. Sie geht stramm auf 30 zu.<br />
Ich hoffe inständig, dass die geschätzte<br />
Frau von Senkbeil sich<br />
den am Montag (6.2.) im ZDF gezeigten<br />
Pseudokrimi Mord in Ludwigslust<br />
in der nächsten EULE vornimmt.<br />
So viel Kacke in 90 Minuten,<br />
kaum zu glauben.<br />
Peter Dietrich, Chemnitz<br />
Das hätte Felice nicht klarer sagen<br />
können.<br />
Zu: »Der Fuchs ist immer ein Fuchs«<br />
Der Beitrag ist geschmacklos.<br />
So viel Scheiß zu diesem<br />
(Heft-)Preis.<br />
Bernd Winter, Wurzen<br />
Reime drucken wir grundsätzlich<br />
nicht.<br />
Die Kuh ist immer eine Kuh. Es<br />
wird aber nie eine Kuh zu finden<br />
sein, die ihrer inneren Gesinnung<br />
nach etwa humane Anwandlungen<br />
Grashalmen gegenüber haben<br />
könnte. Aber der Nazi ist immer<br />
ein Nazi. Und somit dümmer<br />
als jedes Rindvieh!<br />
Sandra Kurth, Chemnitz<br />
Und sonst so?<br />
Dein Versuch mit der Frakturschrift<br />
ist buchstäblich ins<br />
Auge gegangen. Erstens erschien<br />
Mein Kampf während der NS-Zeit<br />
grundsätzlich in Antiqua, zweitens<br />
ließ Hitler die Frakturschrift 1941<br />
verbieten (als angebliche »Judenlettern«).<br />
Für einen Bibliophilen wie<br />
mich einfach Horror!<br />
Dr. Arno Pielenz, Cottbus<br />
Mein Kampf ist Horror.<br />
Zu: »Fiaskos, Flops und<br />
Fehlanzeiger«<br />
Mit der Platzierung der OTZ in<br />
den Top Ten 2011 des Fehlanzeigers<br />
bin ich sehr unzufrieden.<br />
OTZ hat auf Rückfrage bestätigt,<br />
dass sich das 2012 ändern soll.<br />
Jürgen Kausch,<br />
Vogtländisches Oberland<br />
Die schafft das!<br />
Ich lag heute Mittag ewig in der<br />
Badewanne und hab dabei den<br />
EULENSPIEGEL gelesen – kann ich<br />
nur weiterempfehlen. Mein Kater<br />
war danach wie weggeblasen!<br />
René per E-Mail<br />
Was haben Sie mit dem Tier<br />
gemacht?<br />
Biete: EULENSPIEGEL-Jahrgänge<br />
1990 bis 2010 (komplett)<br />
Herr Spaniol, Tel.: 030-6458 533<br />
8 EULENSPIEGEL 4/12
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Uwe Krumbiegel<br />
Ari Plikat André Poloczek<br />
10 EULENSPIEGEL 4/12
Modernes Leben<br />
EULENSPIEGEL 4/12 11<br />
Sobe
Von unserem<br />
Hauptstadt-<br />
Korrespondenten<br />
Atze<br />
Svoboda<br />
Auch das Tier ...<br />
... hat eine Würde (nicht nur das Bundespräsidentenamt)!<br />
Das sieht man z.B.<br />
daran, dass eine Sau vor dem Schlachten<br />
betäubt werden muss. Die Würde des<br />
Tieres darf nicht angetastet werden. Das<br />
Tier selbst natürlich schon, also Hunde,<br />
die gaaanz lieb sind, und Tiere im Streichelzoo.<br />
Auch Frau Merkel hat eine<br />
Würde. Auch sie muss vor dem Schlachten<br />
– aber das ist jetzt Quatsch. Sie darf<br />
jedoch auch nicht angetastet werden,<br />
und ich wüsste ehrlich gesagt auch niemanden,<br />
der das tun würde. Wie das der<br />
Herr Sauer für sich löst, ist seine Sache.<br />
Wenn das Tier – sagen wir: ein Frosch<br />
– eine Würde hat, und Frau Merkel hat<br />
von Hause aus auch eine, dann stoßen<br />
unweigerlich zwei Würdenträger aufeinander.<br />
Der Frosch könnte beispielsweise<br />
sagen: »Ich bin noch nie mit Ihnen verglichen<br />
worden, Frau Merkel, obwohl es<br />
mir eine Ehre wäre.«<br />
»Ich mit Ihnen schon«, würde Frau Merkel<br />
wahrheitsgemäß erwidern, »aber wissen<br />
Sie, der Rösler kann mich mal, diese<br />
chinesische Ratte!«<br />
Nach Erich Brehm gibt es drei Arten<br />
von Tieren: erstens eklige, die oft Krankheiten<br />
übertragen, zweitens Tiere, die für<br />
uns arbeiten bzw. Nahrungsmittel liefern,<br />
und drittens Tiere, die unser Herz erfreuen.<br />
Neben Knut (†) und dem Golden<br />
Retriever gehört auch der Frosch dazu,<br />
der ein lustiges Geräusch macht, wenn<br />
man ihn überfährt. Mit der Gruppe der<br />
Herzenstiere dürfen wir Journalisten die<br />
Politiker vergleichen, ohne die Würde der<br />
Tiere anzutasten: Gabriel war Knut, Beck<br />
war der Problembär, und Frau Merkel ist<br />
eben die Kröte, die zu spät merkt, wenn<br />
das Wasser zu heiß wird. Etwas problematisch<br />
ist es mit der Gruppe der Nutztiere:<br />
Frau Merkel schuftet für die Eurorettung<br />
wie ein Pferd. Das geht in Ordnung.<br />
Sie beschützte den Karl-Theodor<br />
wie eine Orang-Utan-Mama ihr Junges.<br />
Auch gut. Aber mit einer Ziege darf man<br />
eine Politikerin nicht vergleichen, nicht<br />
mal Frau Nahles, weil die Ziege, wenn sie<br />
lange mit dem Hirten auf der Alm ist,<br />
schlimme Krankheiten überträgt.<br />
Frau Merkel dürfen wir Hauptstadtjournalisten<br />
jedoch getrost auch Hasenmutti<br />
nennen. Die frisst gelegentlich dieses<br />
oder jenes ihrer Jungen. Philipp Rösler,<br />
der kleine Rammler, sollte also besser<br />
den Schwanz einziehen – bzw. die Blume.<br />
Korane sachgemäß kompostieren<br />
Nur weil sie bei der Mülltrennung<br />
einen Moment unachtsam waren,<br />
bekamen amerikanische Soldaten<br />
kurz nach Bekanntwerden der Verbrennung<br />
mehrerer Korane in der<br />
afghanischen Basis Bagram heftige<br />
Proteste zu spüren. Dabei zeigt<br />
schon die öffentliche Entschuldigung<br />
von Kommandant John R. Allen,<br />
dass es sich um eine Verkettung<br />
ebenso unglücklicher wie unvermeidlicher<br />
Ereignisse gehandelt<br />
hatte: »Um uns mehr mit der<br />
muslimischen Kultur zu beschäftigen,<br />
probten unsere Jungs gerade<br />
›Jihad – das Musical‹ mit dem Propheten<br />
Mohammed in der Hauptrolle.<br />
Für den Höhepunkt, bei dem<br />
mehrere Soldaten auf den Koran<br />
onanieren, um ihre Liebe zum Islam<br />
zu verdeutlichen, brauchten<br />
wir noch ein Exemplar der Schrift.«<br />
Leider waren die einzigen Korane,<br />
die man auftreiben konnte,<br />
nicht mehr verwendbar, da die<br />
letzte Lieferung Toilettenpapier<br />
ausgeblieben war. Doch Allen beschwichtigt<br />
die Gemüter: »Es waren<br />
ohnehin nur Übersetzungen ins<br />
Hebräische, die in billiges Schweineleder<br />
eingebunden waren.« Was<br />
sollte man also mit den unbrauchbaren<br />
Schriften tun? »Nachdem wir<br />
die Buchseiten für unseren Integrationszeichenkurs<br />
›How To Draw The<br />
Prophet‹ genutzt hatten, hatten wir<br />
einfach keine Verwendung mehr<br />
dafür«, zuckt Allen mit den Achseln.<br />
Ein paar Exemplare habe man<br />
danach an Moscheen verteilt, aber<br />
es waren immer noch Hunderte übrig.<br />
»Wir haben sie einfach zur Bücherlieferung<br />
getan, die jeden Freitag<br />
zur Müllverbrennungsanlage<br />
geht«, so Allen. Da ein Großteil<br />
der Insassen der US-Basis des Lesens<br />
unkundig ist, war dieser<br />
Dienst eingerichtet worden, um<br />
nutzlose Bücher, Zeitungen und<br />
Drohnen-Betriebsanleitungen zu<br />
verbrennen.<br />
Als die Soldaten die LKW-Ladung<br />
Korane in die Flammen kippten,<br />
kamen ihnen ob der Reaktionen<br />
afghanischer Mitarbeiter erstmals<br />
leise Zweifel, ob Kompostieren<br />
nicht doch sinnvoller gewesen<br />
wäre. Allen ringt die Hände: »Dabei<br />
hatten unsere Soldaten sogar<br />
noch versucht, die brennenden Bücher<br />
durch gemeinsames Draufurinieren<br />
zu retten!« Doch die edle<br />
Geste versickerte ungehört. In einem<br />
Punkt kennt Allen jedoch kein<br />
Pardon: »Die Verbrennung erfolgte<br />
eine ganze Woche vor dem amerikanischen<br />
International Burn-A-<br />
Koran-Day – dieser Fauxpas ist<br />
nicht entschuldbar!«<br />
Erik Wenk<br />
Zeichnung: Andreas Prüstel<br />
Wahre Liebe<br />
Veronika Ferres und Carsten<br />
Maschmeyer wollen<br />
heiraten. Und allen, die<br />
jetzt schon wieder behaupten,<br />
die beiden<br />
seien nur zusammen,<br />
weil sie neureich und berühmt<br />
sind, sei gesagt:<br />
Sie zumindest spielt ihm<br />
nichts vor.<br />
Carlo Dippold<br />
Jo mei<br />
Innenminister Friedrich<br />
(CSU) tönte neulich in der<br />
Bild: »Die Multikulti-Illusion<br />
ist gescheitert.« Dabei<br />
sah es bislang so aus,<br />
als sei die Integration der<br />
Bayern auf einem guten<br />
Wege.<br />
Jan Frehse<br />
Etikette<br />
Agrarministerin Aigner<br />
plant die Einführung eines<br />
Etiketts, das die Herkunft<br />
des Lebensmittels<br />
anzeigt. Noch nicht entschieden<br />
hat sie, ob es<br />
reicht, wenn z.B. »BASF«<br />
draufsteht oder ob die gesamte<br />
Postanschrift des<br />
Unternehmens aufs Etikett<br />
muss.<br />
JF<br />
12 EULENSPIEGEL 4/12
Mit zweierlei Maß entschädigt<br />
Frühere Heimkinder, die nun endlich<br />
für ihre unbezahlte Arbeit in Industrie<br />
und Landwirtschaft entschädigt<br />
werden, müssen diese Zahlungen<br />
nicht auf ihre Hartz-IV-Bezüge anrechnen<br />
lassen. Das gilt natürlich nicht<br />
für unentgeltliche Arbeit in Industrie<br />
und Landwirtschaft, die ihnen das Job-<br />
Center seitdem in Form einer Maßnahme<br />
aufgezwungen hat.<br />
Michael Kaiser<br />
Mondgesicht<br />
Russland stellt sich ehrgeizige Ziele:<br />
Bis 2020 will man Menschen auf den<br />
Mond schicken. Derzeit werden Freiwillige<br />
für die Mission gesucht. Angeblich<br />
soll sogar Wladimir Putin Interesse<br />
haben. Allerdings will er nur<br />
mit, wenn er sich auf dem Mond mit<br />
freiem Oberkörper zeigen darf.<br />
Frank B. Klinger<br />
Zeit ansagen<br />
Kriki<br />
Drachme oder Euro?<br />
Eigentlich ist es doch völlig egal, in welcher Währung die Griechen<br />
kein Geld haben.<br />
FBK<br />
Mario Lars<br />
Im Umkehrschluss<br />
Der zurückgetretene Bundespräsident Christian<br />
Wulff bekommt seinen Ehrensold. Das<br />
Bundespräsidialamt bescheinigte ihm, dass<br />
er »aus politischen Gründen aus seinem Amt<br />
ausgeschieden« sei. Falls diese politischen<br />
Gründe dazu führen sollten, dass er vor einem<br />
ordentlichen Gericht wegen »Vorteilsannahme<br />
im Amt« verurteilt wird, darf er sich zudem offiziell<br />
als »politischer Gefangener« bezeichnen.<br />
MK<br />
Böse Schwiegermutter?<br />
Man kennt das ja als Frau: Die Mutter kommt<br />
zu Weihnachten vorbei und sagt: »Mädchen,<br />
du heiratest ja bald einen Ministerpräsidenten,<br />
hier haste 2500 Euro in bar. Kauft euch<br />
mal was zu Essen! – Oder lasst das Geld ein<br />
Dreivierteljahr unter der Matratze liegen und<br />
macht dann Urlaub auf Sylt, wobei ihr euch<br />
die Hotelkosten erst von einem Freund auslegen<br />
lasst, um sie ihm anschließend in bar von<br />
meinem Weihnachtsgeschenk zurückzuerstatten.«<br />
So jedenfalls war es 2007 bei Bettina<br />
Körner (jetzt Wulff).<br />
Das hat sich Wulffs Schwiegermutter fein<br />
ausgedacht: Denn dank dieses Geldgeschenkes<br />
und der sich daran anschließenden staatsanwaltlichen<br />
Ermittlungen hat der Christian<br />
jetzt mehr Zeit für ihre Enkelkinder und kann<br />
ihrer Tochter mit seiner Monatsrente von<br />
16 583 Euro ein finanziell abgesichertes Leben<br />
bieten. – Er war eben schon immer der<br />
Traum aller Schwiegermütter.<br />
CD<br />
Bernd Zeller<br />
Honorig<br />
Wulff bekommt seinen Ehrensold völlig zu<br />
recht! Er hat einen wichtigen Baustein dafür<br />
gelegt, das Amt des Bundespräsidenten abzuschaffen.<br />
EW<br />
EULENSPIEGEL 4/12 13
Brauch tum<br />
Die Zeit, meint Verteidigungsminister<br />
Thomas de Maizière,<br />
sei reif für eine neue Tradition,<br />
und er würde gerne Stifter dieser<br />
Tradition sein. Inzwischen<br />
sind mehr als 300 000 deutsche<br />
Soldaten an Einsätzen<br />
weltweit beteiligt gewesen –<br />
und das allein in jüngster<br />
Zeit –, und manche von ihnen<br />
haben sich aus dem Geschäft<br />
zurückgezogen. Diesen Menschen<br />
soll ein Tag gewidmet<br />
werden, ein Veteranentag.<br />
Hutzelfeuer für<br />
die Kameraden<br />
Spätestens im Herbst möchte de Maizière ein sogenanntes<br />
Veteranenkonzept vorlegen. Geplant<br />
sind deutschlandweite Aufmärsche, die von Veteranen<br />
organisiert werden. Inklusive Blumen<br />
streuende Kinder, Fahnen schwenkende Witwen<br />
und Geschnetzeltes to go. Fröhliche Umzüge<br />
eben, im Stechschritt oder wahlweise Rollstuhl.<br />
Auch könne sich de Maizière gut eine Medaillen-Verleihung<br />
durch die Kanzlerin vorstellen.<br />
Entweder im Reichstag oder irgendwo im Südosten<br />
Nürnbergs, falls da zufällig ein passendes<br />
Gelände zur Verfügung stünde. Angedacht<br />
ist neben den üblichen Auszeichnungen – Nahkampfspange<br />
und Leistungsrune – ein Horst-<br />
Köhler-Orden für das Freihalten von Handelswegen.<br />
Als Krönung soll zum Abschluss der Feierlichkeiten<br />
die Oberst-Georg-Klein-Medaille »für<br />
besondere Präzision und Effizienz bei der dauerhaften<br />
Immobilisierung eventueller Feind-Sympathisanten<br />
im und außerhalb des Rahmens des<br />
deutschen Völkerstrafgesetzbuches« verliehen<br />
werden.<br />
Einen passenden Termin zu finden scheint bisher<br />
die größte Hürde zu sein. Gegen den von<br />
der Bundeswehrführung favorisierten 21. Februar,<br />
den Beginn der Schlacht um Verdun, wehrt<br />
sich der Bundesverband der Gästeführer in<br />
Deutschland, denn der Tag fällt zusammen mit<br />
dem Welttag des Fremdenführers. Ebenfalls im<br />
Gespräch ist der 16. März, der ehemalige Heldengedenktag<br />
der Nationalsozialisten. Doch dieses<br />
Datum lehnt die Bundeswehrführung selbstverständlich<br />
ab, da an diesem Tag auch Markus<br />
Lanz Geburtstag hat, mit dem die Bundeswehr<br />
keinesfalls in Verbindung gebracht werden<br />
möchte.<br />
Ein Horst-Köhler-Orden für das<br />
Freihalten von Handelswegen<br />
Die besten Chancen hat bisher der 1. September.<br />
Da nämlich ruft der Deutsche Gewerkschaftsbund<br />
jährlich den Antikriegstag aus. Ein optimales<br />
Datum, schließlich ist die Bundeswehr pazifistisch<br />
wie das ganze Land und bombardiert afghanische<br />
Benzindiebe nur, um in überspitzter<br />
Weise auf die Grausamkeit des Krieges aufmerksam<br />
zu machen.<br />
Egal, auf welchen Tag letztendlich die Wahl<br />
fällt, am Wichtigsten ist – und darin sind sich<br />
alle Beteiligten einig –, dass der Veteranentag<br />
ein eigenständiger Feiertag wird. Denn nur wenn<br />
die Leute an dem Tag auch schön ausschlafen<br />
können, würde das den Soldaten über den Verlust<br />
des ein oder anderen Beines hinweghelfen.<br />
Lob für den Vorstoß des Ministers kommt von<br />
der Deutschen Kriegsopferfürsorge (DKOF), die<br />
sich – wie der Name schon sagt – um ehemalige<br />
Bundeswehrsoldaten kümmert. Dass sich damit<br />
vor allem die Opfer der deutschen Kriegseinsätze<br />
für seine Idee begeistern, freut de Maizière ganz<br />
besonders.<br />
Manche alten Veteranen jedoch sind sauer, dass<br />
die neuen Veteranen einen Gedenktag erhalten<br />
sollen, während sie seit Jahrzehnten vergeblich<br />
darauf warten, dass die Gesellschaft ihre Leistungen<br />
anerkennt. Einige haben seit Langem schon<br />
aus Protest ihre eigenen Gedenktage eingeführt.<br />
In der Seniorenresidenz »Anschluss« z.B. feiern<br />
die Veteranen Joseph und Helmut mit einer Portion<br />
Kesselfleisch einmal in der Woche »Kesselschlacht<br />
von Kiew« und gedenken der guten alten<br />
Zeit.<br />
Kritik kommt auch von den Grünen. Diese sind<br />
zwar stolz darauf, dass sie es waren, die den Soldaten<br />
nach so vielen Jahren wieder die Möglichkeit<br />
gegeben haben, sich für ihr Vaterland zu opfern,<br />
dennoch lehnt der grüne Verteidigungsexperte<br />
im Bundestag, Omid Nouripour, einen von<br />
14 EULENSPIEGEL 4/12
oben angeordneten Veteranentag ab und sagt:<br />
»Man kann einen Veteranentag nicht ›par ordre<br />
du mufti‹ einführen.« Ein solcher Tag müsse genau<br />
wie jeder Kampfeinsatz von Herzen kommen,<br />
»sonst güldet das nicht«, so Nouripuor.<br />
Doch Thomas de Maizière ist ein intelligenter<br />
Mann, der die öffentlichen Reaktionen berechnet<br />
hat. »Mir war klar, dass der Aufschrei der üblichen<br />
Gutmenschen groß sein wird«, erklärt der<br />
Minister. »Aber genau das wollte ich: eine breite<br />
Debatte anstoßen, die von der stümperhaften<br />
Bundeswehrreform ablenkt. Und die Kameraden<br />
freuen sich so über die moralische Unterstützung,<br />
dass sie glatt vergessen, dass einige von ihnen<br />
noch leben könnten, wenn ich für eine ordentliche<br />
Ausrüstung sorgen würde. Oder wenn ich sie<br />
einfach in den Kasernen ließe, weil mir so viel<br />
an ihnen liegt.«<br />
Den guten Draht zu den Jungs an der Front hat<br />
der Minister von seinem Vorgänger Guttenberg<br />
übernommen. Doch wo dieser umgangssprachlich<br />
von Krieg redete, drückt de Maizière sich differenzierter<br />
aus. »Vieles, was Sie hier tun, ist wie<br />
im Krieg«, sagte er im März 2011 bei seinem ersten<br />
Afghanistanbesuch. Die Soldaten wissen<br />
diese Ausdrucksweise zu schätzen und geben<br />
ihm recht. Denn dass mal einer besoffen vom<br />
Transporter fällt – das kommt auch in Friedenszeiten<br />
vor.<br />
So lustig geht es bei der Truppe allerdings nicht<br />
immer zu. PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung),<br />
POSUHSVÜBBUSB (Präoperative Schulterund<br />
Handgelenksschmerzen vom übermäßigen<br />
Wirtschaft auf der einen und<br />
weitergehende Herausforderungen<br />
auf der anderen Seite<br />
Brunnenbohren und Schulenbauen) oder AA (Arm<br />
ab) sind die häufigsten Spätfolgen der Friedenssicherung<br />
an der Front und ein ernstes Problem.<br />
Der ehemalige Oberleutnant Holger Z. leidet<br />
gleich unter allen drei Krankheiten. »Ich weiß<br />
noch genau, was in der Broschüre stand, die für<br />
eine Karriere beim Bund warb«, erzählt er. »Und<br />
zwar wortwörtlich genau das: ›Hinsichtlich des<br />
Anforderungsprofils unterscheidet sich die Bundeswehr<br />
nicht von zivilen Arbeitgebern in der Wirtschaft.<br />
Der Offizierberuf bietet jedoch Herausforderungen,<br />
Chancen und Möglichkeiten, die weit<br />
über das Angebot der Wirtschaft hinausgehen.‹<br />
– Dass die die Chancen und Möglichkeit zum Rumballern<br />
meinen, war mir damals nicht klar.« Er<br />
wünscht sich, dass an einem Tag im Jahr auch<br />
die deutsche Zivilbevölkerung diesen Unterschied<br />
zwischen Wirtschaft auf der einen und weitergehenden<br />
Herausforderungen auf der anderen Seite<br />
erfährt. Eine Waffe und ein paar Handgranaten<br />
hat er sich schon besorgt, um eines Tages in irgendeiner<br />
Fußgängerzone dem normalen Bürger<br />
ein Bild von diesen Herausforderungen zu verschaffen.<br />
»Damit da mal ein bisschen Mitgefühl<br />
für uns aufkommt«, so Z.<br />
Ein frommer Wunsch, den nicht alle seine Kameraden<br />
teilen. Jochen U. beispielsweise widerspricht<br />
dem Anliegen de Maizières vehement.<br />
Dem ehemaligen Stabsfeldwebel platzten 2005<br />
in Kabul bei einem Truppen-Unterstützungs-Konzert<br />
von Peter Maffay beide Trommelfelle. »So<br />
ein Quatsch!», schreit er. »Wieso sollten Tierärzte<br />
einen eigenen Gedenktag bekommen? – Was? Veteran?<br />
Ach so. Ja, klar, dann bin ich da auch für.«<br />
So findet de Maizières Vorschlag immer mehr<br />
Anhänger. Und vielleicht wird diese gestiftete Tradition<br />
eines Tages so selbstverständlich zum deutschen<br />
Alltag gehören wie Halloween, das Hutzelfeuer<br />
oder der Filmfilm auf Sat1.<br />
Gregor Füller<br />
Zeichnungen: André Sedlaczek<br />
EULENSPIEGEL 4/12 15
Süüüß!<br />
salmanspets<br />
Die Zwickauer Nazi-<br />
Terroristin Beate<br />
Zschäpe ließ ihre<br />
zwei Katzen in den<br />
Händen der feindlichen<br />
BRD-Behörden im Stich.<br />
Nun sitzen sie in politischer<br />
Tierheimhaft.<br />
Was muss man beachten,<br />
wenn man sich die<br />
braunen Stubentiger<br />
nach Hause holen<br />
möchte?<br />
Rat und Tat in der<br />
Nazikatzenfürsorge<br />
Fellpflege: Beachten Sie den natürlichen<br />
Fall des Felles! Immer vom rechten<br />
zum linken Ohr kämmen!<br />
Nahrung: Katzenfutter nicht beim Juden<br />
kaufen!<br />
Was tun im Urlaub? Einfach mitnehmen!<br />
Aber bitte nur im artgerechten angemieteten<br />
Wohnmobil.<br />
Schon gewusst?<br />
Katzen, die nationalsozialistische Systeme<br />
staatsphilosophisch untermauern,<br />
gehen ab wie Carl Schmitts Katze.<br />
Einmaleins der Rassenkunde<br />
16 EULENSPIEGEL 4/12<br />
Adi sucht ein neues Herrchen<br />
Der kleine Adi sucht ein<br />
neues Zuhause. In seinem alten<br />
Heim hat er schon viel<br />
durchgemacht. Sein Frauchen<br />
wenn diese noch recht warm<br />
war. Mit Kindern versteht sich<br />
Adi gut, wenn sie ihre deutsche<br />
Abstammung auf fünf<br />
lebte in einer komplizier-<br />
Generationen nachweisen<br />
ten Dreiecksbeziehung mit<br />
zwei Gewalttätern. Oft hat er<br />
auf der Pistole geschlafen,<br />
können. Achtung: Adi hat<br />
nur noch einen Hoden und ist<br />
Vegetarier.<br />
Man unterteilt in rein und verlaust, also<br />
Kurz- und Langhaarkatze; Halb- und Viertellanghaar<br />
sind nicht ganz so verderbte<br />
Unterkatzen.<br />
Artfremde Katzen kommen nicht in deutsche<br />
Stuben, die schlitzohrige Siamkatze<br />
z.B. oder die nicht stubenreine Nacktkatze.<br />
Eine deutsche Katze ist weiß. Schwarze<br />
bringen Unglück.<br />
So sieht es bei der Russisch Blau, einer russischen Katzenrasse, zu Hause aus. Eine<br />
Rasse, welche sich nur unter der Knute wohlfühlt.<br />
haushaltsaufloesungen.info<br />
data.whicdn.com<br />
Zum Schmunzeln<br />
Treffen sich zwei Nazikatzen im Pflanzencenter. Sagt die eine:<br />
»Was hast du denn grade mit der Unterkatze gemacht?« Sagt die<br />
andere: »Ach, die habe ich ins Katzengras geschickt.«<br />
Das will mir mein<br />
Liebling sagen<br />
»Ich habe<br />
Gelenkschmerzen<br />
und möch -<br />
te nicht<br />
mehr mit<br />
dem Deutschen<br />
Gruß<br />
grüßen.«<br />
»Ich habe<br />
keine Gelenkschmerzen<br />
und grüße<br />
mit dem<br />
deutschen<br />
Gruß.«<br />
»Ich buckel<br />
nicht mehr<br />
vor den USimperialistischen<br />
Kulturvernichtern.«<br />
»Rudolf<br />
Hess war<br />
ein dufter<br />
Typ.«<br />
»Ich bin<br />
so wild<br />
drauf<br />
wie der<br />
Rosarote<br />
Panther.«<br />
»Vorsicht,<br />
ich bin ein<br />
V-Mann!«<br />
Tobias Prüwer / Andreas Koristka<br />
Untergang<br />
Nach einem langen,<br />
kampferfüllten Leben landet<br />
mancher Kater in irgendeinem<br />
Bunker. Dann<br />
steht ein russischer Tierarzt<br />
vor der Stahltür, und<br />
es heißt Einschläfern<br />
und die sterblichen Überreste<br />
im Garten verbrennen.<br />
Die beiden deutschen<br />
Nackthaarkatzen Gertrude<br />
und Wolfhard auf ihrem<br />
Weg nach Katzhalla.
Anzeige
Import Export<br />
Wird der Globus gelb?<br />
Die Antwort auf dieses mächtige Gespenst, das<br />
in Europa umgeht, lässt sich an den Fingern einer<br />
Hand ablesen. Erstens bringt der Chinese<br />
jeden Tag mehr Köpfe auf die Waage. Fast jeder<br />
fünfte Mensch ist heute ein lebender Chinese –<br />
wenn Sie das umrechnen, sind das ein Fünftel<br />
von Zehn, also 50 Prozent der Menschheit! Zweitens<br />
wächst Chinas Wirtschaft stündlich schneller,<br />
höher und weiter, ohne dass die Konjunktur<br />
je Dellen und Beulen kriegt – während auf<br />
anderen Planeten die Ökonomie mit dem Kopf<br />
voran in der Krise steckt. Drittens lässt die chinesische<br />
Staatsführung ihre Muskeln mittlerweile<br />
weltweit tanzen und zeigt dem Westen<br />
selbstbewusst, dass sie mehr als nur selbstbewusst<br />
ist.<br />
Viertens verbreitet China seine Kultur inzwischen<br />
im ganzen Kosmos und zieht Konfuzius-<br />
Institute sonder Zahl im Ausland groß, wobei<br />
das Ausland auch in Leipzig, Wien und Zürich<br />
liegt – also praktisch in unserem Wohnzimmer.<br />
Fünftens ist da der unkaputtbare chinesische<br />
Wille zur Macht, der unzerbröckelbare Optimismus<br />
des Chinesen – und sechstens könnte China<br />
mit seinen Devisenreserven von mehreren Billionen<br />
sich sogar den lieben Gott kaufen; und<br />
bekäme noch was raus!<br />
Wichtiger als die Frage, ob die Zukunft des<br />
Planeten gelb schmeckt, ist aber die tief ins<br />
Fleisch sich bohrende Sorge, ob Deutschland<br />
gelb anläuft. Dass die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen<br />
in alle Richtungen brummen,<br />
ist bekannt. Wenn Angela Merkel mit einem<br />
Sack voller Firmenbosse nach Peking rollt<br />
oder der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao<br />
mit dreizehn Stück Ministern in Berlin beidreht,<br />
so weiß jeder, dass es hier nicht um Sex<br />
geht, sondern um fette Geschäfte.<br />
Noch sind die Gleichgewichte zwar verschieden<br />
verteilt, schieben chinesische Firmen nur<br />
ein Zehntel der Summe nach Deutschland, während<br />
deutsche das Zehnfache in China reinstopfen;<br />
wenn man das umrechnet, macht das zehn<br />
mal zehn, also praktisch hundertmal mehr! Wie<br />
tief sich nichtsdestoweniger die Verhältnisse seit<br />
den 70er-Jahren umgestülpt haben, zeigt ein Blick<br />
auf die 70er-Jahre. Damals unterhielt China in<br />
(West-)Deutschland gerade mal vier Niederlassungen,<br />
die KPD/ML, die KPD/Gruppe Rote Fahne,<br />
den KBW und den KB. Zusammen erwirtschafteten<br />
sie jährlich nicht mehr als ein paar Parteitagsbeschlüsse<br />
und einige Tonnen Altpapier.<br />
Heute zählt Chinas Botschafter Wu Hongbo<br />
an den Fingern seiner Hände 1300 Unternehmen<br />
aus seiner Heimat, die Deutschland von Kopf<br />
bis Fuß besiedeln. 1300 von 1,3 Milliarden – jeder<br />
tausendste Chinese ist also bereits in Deutschland<br />
ansässig! Mehr noch: Jedes Jahr schwillt die<br />
Zahl um weitere 60 Firmen an, das sind allein<br />
2013, nach Adam Riese gerechnet: 60 mal 1300,<br />
schon 72 000! Zahlen, die sich mit Namen füllen<br />
lassen: der Maschinenbauer Schiess in Aschersleben,<br />
der Betonmischmaschinenmeister Putzmeister<br />
in Köln, die Solarfabrik Sunways in Konstanz,<br />
der Autozulieferer Saargummi im eng verwandten<br />
Luxemburg – mittelständische Unternehmen<br />
mit jahrtausendealter Tradition, die inzwischen<br />
ihre Befehle aus China empfangen statt<br />
aus dem Gesicht des Firmenpatriarchen! Wie wird<br />
das bloß enden, da kein Ende in Sicht ist?<br />
Dass täglich mehr chinesische Firmen, die bislang<br />
nur auf der erdabgewandten Seite unseres<br />
Planeten tätig waren, sich auf die Sonnenseite<br />
des Universums begeben und dort mit offenen<br />
Jeden Tag bringt der Chinese<br />
mehr Köpfe auf die Waage<br />
Augen begrüßt werden, ist kein nackter Zufall.<br />
Viele deutsche Firmen sind, weil die Zeiten dünner<br />
werden und die Schuldenkrise kein Zuckerbissen<br />
für sie ist, froh über die Invasion der kleinen<br />
gelben Männchen. Wem die eigenen Finanzen<br />
verdursten, wen das leere Portemonnaie<br />
drückt und kneift, freut sich, wenn jemand mit<br />
einem vollen Topf kommt!<br />
Andererseits wirft der Chinese sein Geld nicht<br />
aus Altruismus über dem weltberühmten deutschen<br />
Mittelstand ab. Die Jahre, als chinesische<br />
Handys in keinen Koffer passten und Computer<br />
aus dem Reich der Mitte mit Brennholz betrieben<br />
werden mussten, sind zwar passé. Doch<br />
nach wie vor ist »Made in China« kein Siegel,<br />
bei dem die internationale Kundschaft vor<br />
Freude bellt: Schnorchelausrüstungen, die sich<br />
beim Tauchen als wasserlöslich erweisen; Slips,<br />
die an der Haut kleben und vor dem Beischlaf<br />
von einem Dermatologen aboperiert werden<br />
müssen; Plastikspielzeug, das einem Finger und<br />
Arme, Rumpf und Kopf wegätzt, ehe man<br />
»Nanu?!« sagen kann; Autos, die beim Einstieg<br />
eines schwergewichtigen Europäers über ihm<br />
zusammenklappen – das sind noch die geringsten<br />
Mängel, die Chinas Erzeugnisse bis heute<br />
unschlagbar billig machen.<br />
Es sind zugleich die fettesten Gründe, weshalb<br />
das Reich der Mitte im Reich der Mitte Europas<br />
auf Tour ist: um modern schmeckende<br />
Technologien abzusaugen, geldschwere Markennamen<br />
auf den Teller zu laden, sich mit dem<br />
Etikett »Made in Germany« aufzubrezeln und<br />
über Jahrhunderte gewachsene Kundenbeziehungen<br />
plus Vertriebsstrukturen in den eigenen<br />
Beutel zu lenken! Der Chinese hat es gelernt:<br />
Wem heute Deutschland gehört, dem gehört<br />
morgen die ganze Welt! Wenn nicht mehr!<br />
Dass es aber, wo der Chinese eine deutsche<br />
Firma an der Leine hat, mitnichten zum gern<br />
herbeigeunkten »Klatsch der Kulturen« kommen<br />
muss, dafür ist das Metallhandelsunternehmen<br />
Sigmar Pelz in Bottrum ein leuchtendes Beispiel.<br />
Seit der Pekinger Konzern Minmetals den Betrieb<br />
eingetütet hat, erhebt sich jeden Morgen<br />
zum Schichtbeginn eine lächelnde Belegschaft,<br />
verneigt sich vor dem Chef und singt aus fröhlichem<br />
Hals die Firmenhymne ab. Die wenigen,<br />
die noch kein Chinesisch können, summen sie<br />
selbstverständlich leise mit. Anders als früher,<br />
als Konkurrenz und Neid tiefe Löcher ins Betriebsklima<br />
fraßen, bilden die Arbeiter und Angestellten<br />
heute in ihrem Einheitsblau eine<br />
große, glückliche Familie. Vor dem Sekretär der<br />
KPCh sind alle gleich, und jeder achtet selbst<br />
darauf, dass niemand ausschert, sondern seinen<br />
Teil vom Lohn freiwillig abführt. Sogar der<br />
firmeneigene Kinderhort ist aufgeblüht, seit infolge<br />
der Einführung der Einkindpolitik im Betrieb<br />
die Geburtenrate steigt.<br />
Vorbild China? Ganz so einfach ist es nun auch<br />
wieder nicht. Das zeigt der Fall China Textil: Der<br />
Mutterkonzern untersagte seiner deutschen Niederlassung<br />
die Fabrikation von Kleidung der<br />
Größe XXL, weil man darin eine beinlange »Beleidigung<br />
der chinesischen Rasse« erspähte. Wie<br />
wird sich wohl unter diesem Blickwinkel die Zukunftsmusik<br />
anfühlen, die uns Rübennasen ins<br />
Haus steht? Wird China den Erdball überschwemmen<br />
und die Weltgeschichte mit vertauschten<br />
Farben ein zweites Mal abgewickelt, diesmal<br />
das weiße Europa vom gelben Manne geknetet<br />
und Deutschland sich eines Tages in einem aussichtslosen<br />
Turneraufstand wider die Fremden<br />
erheben?<br />
Oder bleibt alles anders, und der Westen hat<br />
in dem globalen Darwin doch wieder das bessere<br />
Finale für sich? Er wirft sein Geld ja nicht<br />
aus Altruismus über dem weltberühmten Reich<br />
der Mitte ab, sondern weil er weiß: Wem heute<br />
China gehört, dem gehört morgen die ganze<br />
Welt! Wenn nicht mehr!<br />
Peter Köhler<br />
18 EULENSPIEGEL 4/12
EULENSPIEGEL 4/12 19<br />
Guido Sieber
Leute<br />
Uwe Krumbiegel<br />
20 EULENSPIEGEL 4/12
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Unsere<br />
Besten<br />
Purpur ist eine seltene Farbe im Berliner Obwohl Purpur auch nur eine Farbe des Regenbogens<br />
ist, ist es eine Hassliebe, die beide ver-<br />
Auch im ungläubigen Berlin würden sich die Menderholt<br />
eine Bierflasche vor den Kopf schlägt.<br />
Problembezirk Wedding. Sie ist dort so<br />
rar wie Menschen, die ein Lächeln tragen bindet. Ihre Beziehung wogt zwischen den Extremen.<br />
schen nach dem Katholizismus sehnen. Sie wüssten<br />
oder einen frischen Schlüpfer. Nun ist der Rot-<br />
Ton auch hier heimisch geworden und strahlt stolz<br />
von der Osloer Straße. Denn Rainer Maria Woelki<br />
war sich nicht zu fein, genau in diese heruntergekommene<br />
Wohnlage zu ziehen. Der frischgebackene<br />
jüngste Kardinal der Welt, Erzbischof von<br />
Berlin, Metropolit der Berliner Kirchenprovinz,<br />
Doktor der Theologie und Gewinner des 154. Platzes<br />
im Harry-Potter-Ähnlichkeitswettbewerb 2010<br />
der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg,<br />
haust hier seit Kurzem in einer opulenten, in all<br />
ihrer Pracht schon wieder ärmlichen Dachgeschosswohnung.<br />
Kardinal Woelki sitzt darin leger auf seinem<br />
Mal beteuern sie ihre gegenseitige Achtung,<br />
ein anderes Mal stürmische Zuneigung; in ihrer<br />
Unvollkommenheit eben eine typische Männerfreundschaft.<br />
Wowereit weiß, das Kardinalsamt<br />
des Berliner Erzbischofs kann dem Land enorme<br />
Vorteile verschaffen. Denn eines ist klar wie das<br />
Amen im Dachgeschoss über der Osloer Straße:<br />
Wenn Woelki beim Papst ein gutes Wort für die<br />
Hauptstadt einlegt, dann fängt Benedictus ganz<br />
kräftig an zu beten. Immer stärker wird er Woelki<br />
beweisen wollen, wie gut er es mit dem Erzbistum<br />
Berlin meint, und ein wahrer Gebetstsunami<br />
wird sich über Spreeathen ergießen. Der könnte<br />
es nur nicht immer. »Was dieser junge Mensch<br />
da macht, ist nichts anderes als das, was meine<br />
Glaubensbrüder von Opus Dei mit ihrer täglichen<br />
Selbstkasteiung tun. Dieser Mann ist auf seine<br />
ihm eigene Art auf der Suche nach Gott«, sagt er<br />
und nickt verständnisvoll, als sich der theologische<br />
Autodidakt blutend in einen Kinderwagen<br />
übergibt. »Nos sumus testes«, seufzt Woelki. Zu<br />
Deutsch: »Wir sind Zeugen, dennoch zeugen wir<br />
nicht« – der Wahlspruch seines Bischofswappens.<br />
Dass Berlin für ihn immer noch voller Überraschungen<br />
steckt, gibt er unumwunden zu. Jeden<br />
Tag lerne er. Wie die Mikrowelle in der Küche zu<br />
Mit Zornespurpur in<br />
purpurnen Sofa und plaudert. Lange habe er nicht<br />
gebraucht, um sich einzuleben. Die Menschen sind<br />
halt überall gleich: kleine Sünder, denen die<br />
Beichte und die Kirchensteuer abgenommen gehören.<br />
Schon in seiner Armeezeit im Panzerartillerielehrbataillon<br />
95 in Munster habe er festgestellt,<br />
den Nasenlöchern<br />
wie wichtig den Leuten Beistand von ganz oben<br />
ist. Oft erklärte er seinen Kameraden, dass hinter<br />
den herabfallenden Bomben nicht nur die Technik,<br />
nicht nur das steht, was wir sehen können, sondern<br />
eben auch Gott, der Vater, der Sohn und der<br />
Heilige Geist und die Heilige Mutter Gottes. »Und<br />
etwas anderes erkläre ich auch den Hiesigen nicht«,<br />
sagt er, lächelt und blickt auf die Tauben, die über<br />
den Bürgersteigen kreisen.<br />
Woelki ist so nah an den Menschen wie sonst<br />
nur Pendler im Acht-Uhr-Bus oder Gynäkologen.<br />
Ist die Gelegenheit günstig und die Weddinger<br />
erheben kurz den Kopf aus ihren Blut- und Urinlachen,<br />
dann können sie den frommen Mann<br />
schon mal auf seinem Fahrrad durch die Straßen<br />
eilen sehen. Oft ballt er dabei sein Gesicht zu einem<br />
blutlosen Waschlappen und stößt die Luft<br />
gehetzt durch seine gottgewollten Zahnlücken.<br />
sie aus den Straßen der Metropole hinwegspülen:<br />
die Sünde, die Laster und die Hundescheiße.<br />
Wowereit könnte dank Woelki die Kosten für die<br />
Stadtreinigung einsparen. Das macht den Geistlichen<br />
so wertvoll für ihn.<br />
Woelki geht sein schwieriges Verhältnis zu Wowereit<br />
ebenfalls pragmatisch an. Wenn ihn die<br />
Tucke zu seiner Kardinalsernennung nach Rom<br />
begleitet, dann geht das in Ordnung, solange sie<br />
nicht hinter ihm steht, wenn er sich im Talar bücken<br />
muss. Woelki weiß zwar von seinem Kölner<br />
Lehrmeister Kardinal Meisner, dass Schwule nicht<br />
nur schwarze Schäfchenböcke sind, die sich gegenseitig<br />
bespringen, sondern vor allem »Gift für<br />
die Gesellschaft«, allerdings kann Wowereit das<br />
ja als Katholik jeden Tag beichten. Zwar verstößt<br />
bedienen sei, weiß er, und auch die exotische<br />
Toilettenspülung sei für ihn schon längst kein<br />
Buch mit sieben Siegeln mehr. Seine Kolumne in<br />
der BZ »Was würde Jesus dazu sagen?« gibt<br />
diese spezifischen Berlin-Erfahrungen weiter.<br />
Dort freut er sich bescheiden, dass seine Ernennung<br />
zum Kardinal nicht nur ein schöner Erfolg<br />
für ihn persönlich ist, sondern auch eine »Auszeichnung<br />
für die Berlinerinnen und Berliner«.<br />
Damit gibt er den Dank an die Leute zurück, die<br />
sich nicht gegen ihn wehren konnten.<br />
Seine Heimat Köln vermisst er trotzdem sehr.<br />
Der Karneval, die Menschen, die strenge Hand<br />
von Kardinal Meisner. Es sind eine Menge schöner<br />
Erinnerungen. Aber vielleicht wird er eines Tages<br />
Berlin genauso vermissen wie Köln. An dem<br />
Wenn ihm dann auch noch der fromme Zornes - die sexuelle Orientierung des Bürgermeisters Tag nämlich, an dem er gut durchgebeichtet Einzug<br />
purpur aus den Nasenlöchern dampft, dann ist<br />
er sicherlich auf dem Weg zum Bürgermeister Wowereit.<br />
Woelki und Wowi, das ungleiche Paar. Sie<br />
seien wie Don Camillo und Peppone, bestätigt<br />
der Kardinal auch selbst. Hier der gottesfürchtige,<br />
gutmütige Hirte, der Zwiesprache mit seinem<br />
Herrn hält und sich die Zahnzwischenräume mit<br />
einem Rosenkranz reinigen kann, da die weltliche,<br />
kommunistische Schwuchtel.<br />
Woelkis Meinung nach »gegen die Schöpfungsordnung«.<br />
Aber es kann eben nicht jeder so schöpfungsordentlich<br />
wie der Kardinal sein, der sein<br />
Leben mit einem unsichtbaren höheren Wesen<br />
teilt.<br />
Der Kardinal steht mittlerweile auf seiner Dachterrasse<br />
und blickt versonnen auf die Straße. »Sehen<br />
Sie nur«, ruft er aufgeregt, als er einen jungen<br />
Mann vor dem U-Bahnhof sieht, der sich wie-<br />
in den Himmel hält. Ob seine Bleibe dort mit<br />
seinem Weddinger Penthouse mithalten kann,<br />
wird sich zeigen. Eins allerdings ist sicher, und<br />
Woelki freut sich darauf wie ein kleiner Messdiener,<br />
den der Pfarrer das erste Mal an die Glocken<br />
lässt: Klaus Wowereit wird er dort sicher nicht<br />
antreffen.<br />
Andreas Koristka<br />
Zeichnung: Frank Hoppmann<br />
22 EULENSPIEGEL 4/12
Abgesägte Vaterfinger<br />
Oft steht der Herr Professor, ordentlicher Lehrstuhl<br />
für linguanale Schlawineristik in der Großen<br />
Kreisstadt Abhauen a. d. Luhe, am Grabe<br />
seines Vaters.<br />
Der war ein einfacher, aber besemmelter Mann<br />
gewesen. Jeden Tag war er zur Arbeit gegangen<br />
und hatte lange Bretter geschnitten. Einmal in<br />
der Woche traf er sich mit Kollegen im Wirtshaus<br />
»Zum abben Finger«, wo das Bier 45 Pfennige<br />
kostete. Am Sonntag aß er Kartoffeln aus<br />
dem eigenen Garten, die seine Frau auf vielfältige<br />
Weise zuzubereiten wusste. Er hatte nur ein<br />
Laster, eine Obsession, obwohl er das Wort gar<br />
nicht kannte: Seit seiner Lehre, genauer, an jenem<br />
Tag, als er seinen ersten Finger verloren<br />
hatte, kaufte er sich wöchentlich einen Lottoschein.<br />
Kurz vor seinem Tode zog er das große<br />
Los! Das Geld traf ein, er starb. Sein Sohn, jung<br />
an Jahren, nahm den Gewinn, bezahlte der Mutter<br />
das väterliche Begräbnis und die Friedhofs -<br />
pacht für die nächsten 20 Jahre und ging in die<br />
Welt hinaus zum Studieren.<br />
Er konnte lange studieren. Er hatte ja Geld<br />
genug und es deshalb nicht eilig. Weil er nun<br />
Bonski<br />
so lange studierte und genügend Geld hatte,<br />
studierte er viel. Er wurde klug, assistierte, promovierte<br />
und kopulierte, und dann war der Lottogewinn<br />
verbraucht, und er war ein ordentlicher<br />
Professor, der die unordentlichen mit Recht<br />
verachtete.<br />
Er war ein relativ junger Herr Professor und<br />
hatte nun kein Lottogeld mehr und nur einen<br />
schmalen Sold. Der Sold eines deutschen Professors<br />
in Abhauen a. d. Luhe ist nur um wenige<br />
Geldeinheiten höher, als der eines nigerianischen<br />
Professors bei sich zu Hause. Das konnte<br />
doch eigentlich nicht sein, wo doch in Abhauen<br />
a. d. Luhe die Mieten und das Benzin viel teurer<br />
sind und es obendrein einmal im Jahr Winter<br />
wird. Doch der Herr Professor wusste um das<br />
Senioritätsprinzip in seiner Besoldung, das besagt,<br />
dass man als Professor um so mehr verdient,<br />
je länger man überlebt. So achtete er darauf,<br />
dass er sich gesund ernährte, genügend<br />
bewegte und sexuell ausreichend aktiv war,<br />
ohne ins Schmutzige abzugleiten, wo gefährliche<br />
Erreger lauern. Manche Studentin half ihm<br />
sogar dabei, und das gefiel ihm so außerordentlich,<br />
dass er diese Dienstleistungen im Stillen<br />
schmunzelnd als »geldwerten Vorteil« seinem<br />
kargen Gehalt hinzurechnete. Und war’s eigentlich<br />
zufrieden.<br />
Ja, deutsche Universitäten sind ein schöner<br />
Ort voll Firlefanz und Tandaradei, und der Herr<br />
Professor hatte ein schönes Leben und sagte sich<br />
am Grab des Vaters, sooft er es besuchte, dass<br />
so ein Leben als Herr Professor besser sei als<br />
ein später Lottogewinn, den dann ein eventueller<br />
Sohn einsackt, um damit eines Tages Professor<br />
zu werden. Als anerkannter linguanaler Schlawineristiker<br />
rechnete er exakt: Er brauchte nur<br />
Zeit vergehen zu lassen und am Leben zu bleiben.<br />
Am Ende seiner akademischen Laufbahn<br />
hätte er den Lottogewinn vom Alten bis auf den<br />
Pfennig genau wieder auf seinem Konto stehen.<br />
Und was kann es Schöneres geben als einen Lottogewinn<br />
am Ende eines Lebens? Richtig, zwei<br />
Lottogewinne.<br />
Plötzlich fällt ein Gesetz vom Himmel. Das Professorenbesoldungsreformgesetz.<br />
Ein Wort wie<br />
ein Fels. Er rollt dem Herrn Professor genau vor<br />
die Füße. Da der Herr Professor nun über zwei<br />
Füße verfügt, zerfällt der Fels in zwei Teile. Ein<br />
Teil nennt sich Grundgehalt und der andere Teil<br />
Leistungszulagen. Es kommt Bewegung ins Gehalt,<br />
und was für eine. Ade, süßes Leben!<br />
Der Professor müsste nun schauen, in welchem<br />
Bundesland er lebt. Also nicht nur Osten oder<br />
Westen, sondern auch Nordpol oder Südpol. Er<br />
müsste schindern, um Leistungszulagen zu raffen.<br />
Die gibt’s nämlich laut Leistungsbezügeverordnung<br />
neuerdings erst, wenn eine Leistung erbracht<br />
wurde. Er müsste publizieren, herausgeben,<br />
begutachten, erfinden, betreuen, Vorträge<br />
halten und Sponsoren anlocken! Und wahrscheinlich<br />
müsste er über all dem die Studentinnen<br />
ganz und gar vernachlässigen. Nein, dafür hatte<br />
sein Vater nicht die Bretter geschnitten und im<br />
Lotto gewonnen, dass er nun so ein elendes Dasein<br />
fristen müsste!<br />
Nun steht der Herr Professor wieder an des<br />
Vaters Grab. Ratlos blickt er aufs welke Grün. Da<br />
schießt ihm der rettende Gedanke in sein linguanales<br />
Schlawinergehirn. Er fingert nach Zettel<br />
und Stift, schreibt die Geburts- und Sterbedaten<br />
des Alten vom Grabstein ab, geht in den nächstbesten<br />
Lotto-Laden und füllt Lottoscheine aus.<br />
Natürlich Systemspielscheine. Und als Zusatzzahl<br />
die Drei: Als Vater in Rente ging, waren ihm drei<br />
seiner Finger schon voran ins Grab gegangen.<br />
Wie das nach dem Zufalls- bzw. Chaosprinzip<br />
ausgegangen ist, kann sich jeder denken.<br />
Neidet dem wackeren Mann sein Glück nicht!<br />
Er hat zwar nichts geleistet, doch er hat’s verdient.<br />
Henning H. Wenzel<br />
24 EULENSPIEGEL 4/12
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26 EULENSPIEGEL 4/12
Zeit geist<br />
Beck<br />
EULENSPIEGEL 4/12 27
Kleines<br />
im kulturpessimistischen<br />
Überbiss<br />
Es ist passiert: Nachdem er schon ewig und drei<br />
Tage einen Account und über 2 800 Follower sein<br />
Eigen nennen konnte, hat er angefangen zu twittern<br />
– Frank Schirrmacher! Noch vor wenigen Jahren<br />
wollte er für immer mit dem Gänsekiel schreiben,<br />
gebeugt über duftendem, holzigen Papier.<br />
Und nun war alles ganz einfach gewesen, ganz<br />
leicht – leicht wie Evas Sündenfall oder wie der<br />
erste Schluck Alkohol, der den zarten Jüngling<br />
auf seinen Weg zum schweren Alkoholiker führt.<br />
Frank Schirrmacher, genau der Frank, der uns erklärt,<br />
warum wir im Informationszeitalter gezwungen<br />
sind zu tun, was wir nicht wollen, und wie<br />
wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen,<br />
eben dieser Frank, der kulturpessimistische<br />
Überbiss, hat die Kontrolle über sein Denken<br />
total verloren und sie bis dato nicht wiedererlangt<br />
– fraglich, ob er sie je besaß.<br />
Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Oberhäuptlinge<br />
der Netzgemeinde, Lobo & Co., der Twitterei<br />
bereits den Rücken kehren – Twittern wird<br />
bald so anachronistisch wie das Morsen sein.<br />
Getwittert hat der Frank in seinem ersten<br />
»Tweed« (sic!) ein kleines »h«. Was wollte er uns<br />
damit sagen? Hallo? Hier bin ich? Helft mir, die<br />
digitale Krake verschlingt mich, ich bin überfordert<br />
von meinen Mails, SMS, den Apps, Google<br />
und Facebook? Oder war es ein Menetekel – die<br />
Warnung vor der Wiederkehr von Adolf Hitler?<br />
»Heil!«? Vielleicht bedeutete es auch, weil gleich<br />
Mittag war »Hunger!«. Das ist es wohl: Schirrmacher<br />
war einfach unterzuckert.<br />
Ansonsten hat Schirrmacher natürlich wieder<br />
einmal das, was er am liebsten hat – recht: Der<br />
digitale Tsunami ist nicht mehr aufzuhalten. Genau<br />
in dieser Minute wird weltweit ca. 976 240<br />
Mal bei Google der Begriff Sex abgefragt, werden<br />
fast 450 Stunden Videoaufnahmen mit drolligen<br />
Kleinkindern bei Youtube hochgeladen,<br />
knapp 46 300 niedliche Katzenfotos, 25 400 unscharfe<br />
Urlaubsschnappschüsse und immerhin<br />
noch 9350 Schnapsleichen bei Facebook veröffentlicht.<br />
Das Leben in Echtzeit, die sieben Milliarden<br />
Menschen auf der Welt, die alle gleichzeitig etwas<br />
tun! Und jeder könnte wichtig sein für Frank<br />
Schirrmacher, den »Mitherausgeber« (Was machen<br />
Sie beruflich, Herr Schirrmacher? Ich gebe<br />
das Mit heraus!), für die FAZ und das beste Feuilleton<br />
der deutschen Qualitätspresse. Mit jedem<br />
Klick könnte sich ein Trend andeuten, eine Debatte,<br />
wenn nicht gar ein Diskurs oder sogar<br />
eine der niedlichen lokalen Revolutionen entzünden.<br />
Doch er erfährt es nicht. Er muss noch<br />
148 000 Mails checken und dann die Welt retten,<br />
während genau im selben Augenblick in Papua-Neuguinea<br />
eine Kokosnuss vom Baum fällt<br />
und just jenen berühmten Schmetterling erschlägt,<br />
dessen Flügelschlag ein zweites Fuku -<br />
shima auslösen sollte…<br />
Multitasking kann das Humanum gar nicht,<br />
meint Schirrmacher, grundsätzlich nicht. Doch,<br />
können wir. Wir können ganz problemlos auf dem<br />
Klo sitzen und »Zeitung lesen« (natürlich nicht<br />
wirklich Zeitung, sondern auf unseren iPhones<br />
die Apps von FAZ und Junge Welt, zum Beispiel).<br />
Während unten das Unverdauliche entsorgt wird,<br />
füllt man den Leerstand oben wieder auf.<br />
Es ist mehr als nur die Midlife-Crisis mit ihrem<br />
Bindegewebsverfall im Halsbereich und ihrem<br />
Erektionsversagen – es ist das Zeitalter des Unglücks,<br />
das den analogen Methusalem Schirrmacher<br />
in eine digitale Krise der Vernunft stürzt. Irgendwie<br />
lappte er ja schon immer etwas ins Jämmerliche,<br />
brillierten seine Gemeinplätzchen in besonders<br />
sattem Grau. Heute dient der Vokuhila<br />
unter den Intellektuellen sich dem konservativen<br />
Mainstream an als Bescheidwisser und Mahner<br />
der Nation. Dabei kann es passieren, es ist<br />
Mittwoch und Schirrmacher entdeckt, dass Marx<br />
recht hatte und Peter Hacks ein Dichter war. Die<br />
Partei, die Partei, pfeift er seitdem gelegentlich<br />
vor sich hin. Schirrmacher geht es ums Ganze,<br />
um Epochen, Generationen und Äonen. Kleinere<br />
Brötchen bäckt er nicht, befüllt Talkshows und<br />
Feuilletons mit seiner brühwarmen Weltuntergangsfolklore<br />
und suhlt sich in dem Gefühl, die<br />
digitale Banalitis mit zäher intellektueller Präsenz<br />
und pedantischem Geonkel vergoldet zu<br />
haben.<br />
Gehör findet er freilich bei allen, die am schieren<br />
Lauf der Welt kränkeln. Was soll man diesen<br />
Menschen Tröstliches sagen? Schuld an eurem<br />
Elend ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik?<br />
Der unausweichliche Umstand, dass Dinge<br />
nur so ablaufen können, dass die Unordnung dabei<br />
größer, niemals jedoch kleiner wird?<br />
Die bedauerlichen Auswirkungen dessen auf<br />
Schirrmachers Verstand manifestieren sich nicht<br />
nur in dem kleinen h bei Twitter.<br />
Inzwischen hat er es gelöscht, das kleine h.<br />
Löschen – was für ein Kraftakt des prometheischen<br />
Subjekts! Welch ein Fanal der Freiheit in<br />
all der Umzingelung durch die digitalen Monster!<br />
Löschen – dem kleinen, aber auftrumpfenden<br />
h seine Endgültigkeit, seine Ehernheit nehmen<br />
und die Menschheit doch nicht in Verzweiflung<br />
stürzen – denn wir können es ja jederzeit<br />
wieder hinschreiben!<br />
Anke Behrend<br />
Zeichnung: Freimut Woessner<br />
28 EULENSPIEGEL 4/12
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W<br />
enn Sie eines Tages aufwachen, und das übertrieben, denn genau das ist ja kaum noch zu bezahlen.<br />
Rund eine Milliarde Euro kostet der Spaß<br />
Licht ist aus, sind Sie vielleicht bloß tot.<br />
Vielleicht ist es aber doch schlimmer, und deutschlandweit im Jahr, und viele Kommunen finden<br />
Sie wohnen in einer Gemeinde, die so tot ist, dass inzwischen, dass sie mit dieser Ausgabe über ihre Verhältnisse<br />
leben. Über ihre Lichtverhältnisse, um es<br />
sie ihren Einwohnern das Licht ausschaltet.<br />
In Gegenden, die ohnehin nicht besonders strahlend<br />
aussehen – also im Osten Deutschlands –, gehört Selbst der Berliner Senat, der uns bei »Leben über<br />
korrekt zu sagen.<br />
solch selbstgemachte Finsternis mittlerweile zum folkloristischen<br />
Brauchtum. Nur die Betroffenen zeigen sich den Stecker rausgezogen. Seine hauptstädtische<br />
die Verhältnisse« quasi automatisch einfällt, hat schon<br />
noch immer halsstarrig: Anstatt einander unterzuhaken,<br />
das »Frühlingsfest der Volksverdunkelung« auszu-<br />
fremdbezahlter Bundespräsidentenball – liegt jetzt öf-<br />
Stadtautobahn – früher so festlich illuminiert wie ein<br />
rufen und Florian Silbereisen einzuladen, beharren sie ter mal im Dunkeln. Was ja auch zur örtlichen Kassenlage<br />
passt. Die Autos sollen gefälligst selber leuch-<br />
stur darauf, dass nächtens ihre Straße leuchtet.<br />
Ja, wo gibt’s denn so was? Die Hälfte des letzten ten, heißt es dazu, und dieser schöne Grundsatz<br />
Weltkriegs wurde im Dustern<br />
geführt, und ganze Regierungen<br />
kommen ohne jede Erleuch-<br />
Die dunkle Se<br />
tung zurecht – da wird doch<br />
wohl Hänschen Müller aus dem<br />
Nest Löberitz bei Zörbig im Dunkeln<br />
aus seiner Kneipe nach Hause torkeln können! scheint auch anderswo gern von städtischen Finsterlingen<br />
auf die Nutzer öffentlicher Stolperstrecken über-<br />
Aber nein: Er und seine Nachbarn wollen partout bei<br />
voller Festbeleuchtung zu Boden stürzen und machen tragen zu werden.<br />
nun einen Riesenradau, weil das einstige Löberitzer In Saalfeld zum Beispiel leiden nicht wenige Bürger<br />
unter örtlichen Lichtmangelerscheinungen. Die<br />
Lichtermeer seit Neuestem nur noch auf Sparflamme<br />
glimmt.<br />
Stadt hat nämlich einen Flächenversuch durchgeführt,<br />
Dabei könnten die Einwohner ruhig ein bisschen wie sie möglichst viele Birnen loswerden kann. Zur<br />
dankbarer sein. Schließlich sind sie offizielle Teilnehmer<br />
einer Großlotterie, die es locker mit 6 aus 49 auffelder,<br />
denn die verbeulen sich allnächtlich ihre Köpfe<br />
Zeit sind es allerdings erst mal die Birnen der Saalzunehmen<br />
vermag. So viele Lampen kann die Gemeinde<br />
gerade noch betreiben. Die spannende Frage haupt noch was funkelt, hat die Stadt wenigstens ein<br />
auf den rabenschwarzen Straßen. Damit dort über-<br />
ist bloß, wo. Ein Techniker, der mit dem Abklemmen leuchtendes Beispiel für Demokratie inszeniert: Nur<br />
der vielen teuren Straßenfunzeln beauftragt wurde, so aus Spaß fragte sie ihre verfinsterten Einwohner,<br />
durfte sich schon allerlei passende Publikumsbekundungen<br />
anhören. Dass man den Verantwortlichen noch reinscheinende Straßenlampen gestört gefühlt hät-<br />
ob die sich früher zum Beispiel durch ins Fenster he-<br />
»heimleuchten« werde, schien ihm allerdings maßlos ten. Da mussten die Saalfelder sehr lange überlegen,<br />
30 EULENSPIEGEL 4/12
ob ihre Antwort nun Ja, Jaja oder Jajaja lautet. Doch<br />
das Beruhigende war: Auch im Falle von Neinneinnein<br />
hätten sie die störende Laterne nicht wiedergekriegt.<br />
Dagegen hatten sich ihre Stadtoberen mit einem<br />
Zitat aus der deutschen Klassik gewappnet. Also<br />
nicht von Goethe oder aus dem Steuergesetz – noch<br />
viel besser! Laut Deutscher Industrienorm DIN sei<br />
weder das Dimmen noch das Ein- oder Ausschalten<br />
jeder zweiten Lampe zulässig, urteilten sachkundige<br />
Richter. Nur bei einer Komplettabschaltung bestünden<br />
keinerlei haftungsrechtliche Bedenken.<br />
Eine hochbrisante Feststellung! Schließlich landen<br />
anderswo noch immer Flugzeuge mit einzeln aufge-<br />
ite der Macht<br />
blendeten Scheinwerfern, Leuchttürme blinken und<br />
Lichtreklamen gehen an und aus, ohne sich um die<br />
versicherungstechnischen Folgen ihres leichtfertigen<br />
Treibens zu kümmern. Zum Glück hat jetzt Saalfeld<br />
ein bisschen Licht in diesen düsteren Bereich unseres<br />
Daseins gebracht, und das muss uns den Preis<br />
einer verdunkelten Stadt einfach wert sein!<br />
Außerdem ist Finsternis sogar gesund! Das jedenfalls<br />
hat man in Bad Lobenstein herausgefunden<br />
und die alberne Stadtillumination versuchsweise sogar<br />
schon um 22:30 Uhr abgeschaltet. Hochklappbare<br />
Bürgersteige waren leider nicht im Angebot,<br />
sonst hätte das »staatlich anerkannte Heilbad« wahrscheinlich<br />
auch noch welche installiert. Unter den<br />
staatlich anerkannten Kurgästen regte sich zwar Unmut<br />
über die frühe Ortsverdüsterung, aber da könnte<br />
ja jeder kommen! »Wanderer finden abwechslungsreiche<br />
Routen«, heißt es schließlich schon warnend<br />
auf der Homepage. Besonders eben Nachtwanderer!<br />
Und wenn doch mal was schiefgehen sollte – auch<br />
kein Problem: Die Orthopädie der Lobensteiner Klinik<br />
»bietet ideale Bedingungen für stationäre Aufenthalte«.<br />
Mit derart einladenden Angeboten können die<br />
Sachsen bislang nicht aufwarten. Lunzenau, Wechselburg,<br />
Penig und noch viele andere lichtscheue Gemeinden<br />
knipsen hier erst mal aus, was sie in die<br />
Finger kriegen, und gucken dann, wie viele Überlebende<br />
sich noch mit Beschwerden melden. Besonders<br />
hilfreich – zumindest für die Stadtkasse – wirkt<br />
sich die aktuelle Rechtsprechung<br />
aus: Ein geschädigter<br />
Fußgänger, der mangels<br />
Beleuchtung über ein Hindernis<br />
zu Fall gekommen<br />
ist, heißt es da beispielsweise,<br />
muss sich »ein Mitverschulden entgegenhalten<br />
lassen, wenn er bei tiefer Dunkelheit ohne ausreichende<br />
Sicht nicht vorsichtig seinen Weg ertastet<br />
hat.«<br />
Die Lichtabschaltung ist also auch ein Konjunkturprogramm<br />
für Blindenstöcke. Außerdem gehen jetzt<br />
Taschenlampen, Verbandsmull, Gipsschienen und rotweißes<br />
Flatterband hervorragend. Letzteres muss<br />
nämlich neuerdings um all jene Laternen gewickelt<br />
werden, die nachts nicht mehr brennen. »Schöner<br />
unsere Städte und Gemeinden!«, können wir da nur<br />
aus voller Kehle rufen. Bei Honecker gab’s nicht mal<br />
Laternen. Jetzt gibt’s bloß keinen Strom – und das<br />
ist doch eine viel schönere Dunkelheit!<br />
Reinhard Ulbrich<br />
Zeichnung: Reiner Schwalme<br />
EULENSPIEGEL 4/12 31
Leute<br />
heute<br />
Vergessen hat sie gar nichts<br />
Auf einem Holzstuhl zappelt eine<br />
runde, kleine, alte Frau, kippelt, faltet<br />
die Hände, lacht laut auf, stöhnt<br />
und springt plötzlich hoch, wenn<br />
Leute die Kirche betreten. »Kaffee?«,<br />
ruft sie, »Bienenstich?« – »Das ist die<br />
Hansi«, raunt der Küster, »Sie wissen<br />
schon …«, und lässt sich für den<br />
Insidertipp mit einem Flachmann<br />
»Ros tocker« entlohnen. Inzwischen<br />
beachtet ihn aber kaum noch jemand.<br />
Denn dass die Gattin unseres Bundespräsidenten<br />
in der Rostocker Marienkirche<br />
viermal in der Woche Kaffee<br />
ausschenkt, weiß nun wirklich jeder<br />
Reporter, vom Internetfernsehen<br />
tv.rostock bis zum heute-journal.<br />
Aber nur der Küster weiß, warum:<br />
»Da ist sie von der Straße, die Hansi.«<br />
Geduckt in Bänke und verborgen<br />
hinter Säulen lauern Reporter. Ein<br />
Mann von Bild musste vor Tagen vor<br />
der Kirchentür erbrechen, weil er<br />
zwanzig Tassen Kaffee getrunken<br />
hatte, um mit der Frau ins Gespräch<br />
zu kommen. Japaner streichen in kleinen<br />
Gruppen um ihren Stuhl herum,<br />
Fotohandys blitzen. Kinder von der<br />
Gagarin-Grundschule bauen sich vor<br />
dem Stuhl auf, um »Nun danket alle<br />
Gott« zu singen. Und sie zappelt, kippelt,<br />
faltet die Hände, lacht auf und<br />
stöhnt.<br />
Ich bin aufgeregt und muss mal,<br />
laufe quer durchs Kirchenschiff auf<br />
die Klotür zu. Da trifft mich im Rücken<br />
ein spitzer Schrei: »Nein!« Die<br />
Frau ist von ihrem Stuhl gerutscht<br />
und tippelt mir aufgeregt entgegen:<br />
»Das ist die Tür zur Sakristei. Die Kirche<br />
hat keine Toilette«, sagt sie<br />
streng. Ich zeige mich überrascht:<br />
»Hansi, bist du das? Bist du das wirklich?«,<br />
rufe ich halblaut und breite<br />
lachend die Arme aus. Ihr Gesicht<br />
hellt sich auf: »Nein, bist du das?«,<br />
fragt sie. »Jaaa!«, rufe ich aus und<br />
greife nach ihren Händen. Wir<br />
schauen einander tief in die Augen.<br />
»Du hast dich fast gar nicht verändert«,<br />
sagt sie. »Und du erst!«, sage<br />
ich. (Der Trick hat neulich bei der<br />
Berlinale auch mit Hannelore Elsner<br />
funktioniert.)<br />
Dann ist Stille. Die Neugierigen hinter<br />
den Säulen und Bänken halten<br />
den Atem an, aber wir flüstern wie<br />
ein verliebtes Paar. »Er hat dich nie<br />
leiden können«, sagt sie.<br />
Eine Begegnung mit<br />
Hansi Gauck<br />
»Ich weiß«, sage ich resigniert.<br />
Dann schweigen wir wieder<br />
»Ich habe ihn im Fernsehen gesehen.<br />
Vor zwanzig Jahren ist er einfach<br />
weggegangen, ich hatte einen<br />
Blätterteig im Ofen. Hansi, hat er<br />
gesagt, Freiheit ist Verantwortung,<br />
Freiheit muss man leben! Aber der<br />
Kuchen, Achim, habe ich gesagt.<br />
Doch er wollte zu den Weibern, die<br />
er immer weichgepredigt hat. Wenn<br />
die Kommunisten alle tot sind, hat<br />
er gesagt, komme ich wieder. Aber<br />
die sind wohl noch nicht alle tot,<br />
oder?«<br />
»Weißt du noch …?«, sage ich.<br />
»Aber natürlich!«, ruft sie so leise,<br />
wie man rufen kann. »Sein Vater,<br />
dieser tiefbraune Knilch, war absolut<br />
gegen mich, weil mein Vater SPD-<br />
Genosse war. Mit 18 haben Achim<br />
und ich geheiratet. Von wegen Kindheitstrauma!<br />
Aber wem sage ich das,<br />
das weißt du ja alles.«<br />
»Hm«, sage ich.<br />
»Seine Mutti, diese Nazischraube,<br />
hatte fünf Röcke von der NS-Frauenschaft.<br />
Zuletzt hatte sie nur noch<br />
einen, und in dem ist sie dann gestorben.<br />
Und dann, seine erste Pfarrstelle<br />
in Lüssow – Trockenklo, Wasser<br />
an der Pumpe. Aber denkst du,<br />
der Achim hat nur ein einziges Mal<br />
den Kackeimer rausgetragen! Vor<br />
ein paar Wochen hat mich der Küster,<br />
dieser Trinker, beiseite genommen<br />
und gesagt, der Joachim hat<br />
ihn kontaktiert, ich solle gefälligst<br />
den Mund halten, er würde was ganz<br />
Hohes werden, und zwar in Freiheit<br />
durch Verantwortung. Und seine Geschwister<br />
halten auch die Münder.«<br />
Dieses Plakat können Sie unter eulenspiegel-laden.de erwerben.<br />
»Was hast du denn gedacht,<br />
als …?«, will ich fragen.<br />
»Was ich gedacht habe, als ich<br />
ihn da sitzen gesehen habe mit der<br />
Westfrau? Du armes Ding, habe ich<br />
gedacht. Es ist furchtbar mit ihm,<br />
wenn ich mich recht erinnere. Er wird<br />
einfach nicht fertig, noch eine Paraphrase<br />
auf Hannah Arendt und noch<br />
ein Zitat von Erika Steinbach. Und<br />
hinterher kämmt er sich. Ich habe<br />
oft zu den Söhnen gesagt, das könnt<br />
ihr gar nicht wieder gutmachen an<br />
mir, wie ich mich mit eurem Vater<br />
gequält habe. Bei uns wurde zum<br />
Abendbrot ja nicht gebetet, sondern<br />
die Grenze zu Polen verflucht. Die<br />
innerdeutsche weniger. Der Achim<br />
war ja Reisekader.«<br />
Ein Mann von Spiegel-TV hat<br />
heimlich ein Mikrofon an einer Art<br />
Angelrute über uns gehängt.<br />
»Triffst du ihn?«, flüstert sie.<br />
»Kommt drauf an«, flüstere ich.<br />
»Dann kannst du ihm sagen, dem<br />
Bürgerrechtler, die Kirche hat kein<br />
Klo, die Japaner schiffen dauernd in<br />
die Sakristei. Sag ihm das! Und das<br />
Plakat will ich von ihm haben, das<br />
der EULENSPIEGEL gemacht hat. Das<br />
kommt innen an die Kirchentür. Vergessen<br />
habe ich gar nichts, das<br />
kannst du ihm sagen, auch nicht die<br />
Sache mit der Stasi und so. Und ich<br />
habe noch zwei lange Unterhosen<br />
von ihm, was mit denen werden soll,<br />
soll er dir sagen, sonst gebe ich sie<br />
den Söhnen. Und er soll bloß nicht<br />
nach Rostock kommen mit seiner<br />
präsidialen Konkubine. Das macht<br />
er nicht. Hier gibt es zu viele, die<br />
ihn kennen.«<br />
Sie lässt meine Hände los, schlurft<br />
zu ihrem Stuhl zurück und bepackt<br />
ihren Rolli mit zwei prallen blauen<br />
Plastesäcken, in denen sie offenbar<br />
ihre gesamte Habe verstaut hat.<br />
Dann ist sie fort.<br />
»Was haben Sie denn so lange<br />
mit der Frau Hansen besprochen?<br />
Die ist nämlich ein bisschen hui im<br />
Glockenturm«, raunt der Küster.<br />
»Wieso Frau Hansen? Ich denke,<br />
das war die Hansi!«<br />
»Nein«, sagt er, »die Hansi, die<br />
kommt morgen. Aber sagen tut die<br />
nichts, das kann ich Ihnen versprechen.«<br />
Mathias Wedel<br />
32 EULENSPIEGEL 4/12
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34 EULENSPIEGEL 4/12<br />
Hannes Richert
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Hup doch, wenn du sc<br />
Ursula v.d. Leyen<br />
Papst Benedikt XVI<br />
Bettina Wulff<br />
Autoaufkleber gibt es genauso<br />
lange, wie es Autos, Heckscheiben,<br />
Brustvergrößerungen und<br />
deutschen Humor gibt. Die Inhalte<br />
haben sich im Laufe der Zeit zwar gewandelt,<br />
aber das Prinzip ist dasselbe<br />
geblieben: Autoaufkleber sind die<br />
Sprache derer, die der Sprache nicht<br />
mächtig sind, sich aber trotzdem<br />
gerne ausdrücken. Sie werden meist<br />
von Menschen kultiviert, die ihren<br />
hellgrünen Opel Ascona eigentlich<br />
gerne tunen würden (z.B. mit Plüschwürfeln),<br />
dafür jedoch weder das<br />
Kleingeld noch den Augenschaden,<br />
aber die nötige geistige Reife besitzen.<br />
Doch was sind das für Menschen,<br />
die sich selber eine kleben?<br />
Das sind die, die in der Schule zu<br />
feige waren, den Schulatlas zu klau -<br />
en. Das sind zu 90 Prozent auch die,<br />
die sich ihr Abi-Motto auf den Arsch<br />
ihres Auto-förmigen Verkehrshindernisses<br />
tätowieren. Waren früher<br />
noch Losungen wie »ABI 2000 – das<br />
Jahr mit lauter Nullen« en vogue begnügen<br />
sich Schulabschluss-Zelebranten<br />
heute mit dem Aufdruck des<br />
Notendurchschnitts, der nicht selten<br />
auch gleich die Länge ihres Lurches<br />
kundgibt (je länger, desto dümmer).<br />
Akademiker hingegen tendieren<br />
Joachim Gauck<br />
eher dazu, Auszüge ihrer Diplomarbeit<br />
über das Verhältnis der Zwerg -<br />
pfeifgans zum Vatertag abzudrucken.<br />
Häufig dienen Aufkleber auch der<br />
Dokumentation der eigenen Fahrphilosophie<br />
(»Ich schlage Politessen«<br />
oder »Auf-Stau-Zuraser«). Aber warum<br />
dieser Umweg über feine Ironie?<br />
Nun, die Autoaufkleber-auf-<br />
Auto-Kleber verstehen sich als Gestaltungskünstler<br />
und lieben das<br />
Subtile, weswegen Bekenntnisse<br />
wie »Ich habe Eier wie Airbags« oder<br />
»Ich trete die Kupplung mit dem<br />
Schwanz« doch eher rar sind.<br />
Verbreitet besteht der Irrtum, dass<br />
Aufkleber mit den geografischen Umrissen<br />
von Urlaubsländern oder -inseln<br />
wie Usedom, Mallorca oder<br />
Grönland anzeigen sollen, dass der<br />
Fahrer diese schon besucht hat und<br />
sich nun sukzessive eine Weltkarte<br />
aus den Aufklebern weiterer Länder<br />
basteln will. Nein, der geübte Beobachter<br />
erkennt, dass diese als traditionelles<br />
Stigma der Verbannung von<br />
den jeweiligen Orten gelten, die von<br />
örtlichen Strandkorbverleihern unter<br />
Androhung der Fuchsschwanz-Abmontage<br />
vergeben werden. Die<br />
Gründe sind immer die gleichen:<br />
36 EULENSPIEGEL 4/12
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hwul bist!<br />
Schwerwiegende Trinkgelddelikte,<br />
Sangriamissbrauch und »Es gibt nur<br />
ein’ Rudi Völler«-Singen mit Todesfolge.<br />
Gleiches gilt natürlich für aufgedruckte<br />
Landesfahnen sowie Logos<br />
von Freizeitparks und Bestattungsunternehmen.<br />
Damit die Aufkleber<br />
nicht entfernt werden können,<br />
sind sie mit einem superharten<br />
Leim außerirdischen Ursprungs<br />
beschichtet, an dem schon so manche<br />
Autoschrottpresse kläglich zugrunde<br />
gegangen ist. Im Burgenlandkreis<br />
verkehrt ein PKW, dessen<br />
Klebearbeit eines Playboy-Bunnys<br />
mit dem ebenfalls selbstklebenden<br />
Hinweis »geklebt mit eigenem<br />
Sperma!« versehen ist.<br />
Zunehmend werden auch angeklebte<br />
Verkaufsanzeigen beobachtet:<br />
»Baujahr 85, noch gut in Schuss,<br />
Motor läuft nur mit Diesel, sehr ausdauernd,<br />
1,8 l Hubraum, Keil-Riemen<br />
vor Kurzem erneuert«. Aber Obacht!<br />
Oft verbirgt sich dahinter<br />
nichts weiter als eine Kontaktanzeige.<br />
Hupen Sie in einem solchen<br />
Fall nie zweimal hintereinander! Das<br />
bedeutet in der Straßen-Partnerbörse<br />
in etwa das Gleiche, wie wenn<br />
Sie sich auf einer Sex-Party ein rosa<br />
Tuch in die Gesäßtasche stecken.<br />
Dreimal hupen gilt als standesamtlich<br />
anerkannte Trauung. Überhaupt<br />
sind Heckscheiben die sozialen Netzwerke<br />
der Golf- und Polo-Fahrer, fast<br />
alle Inhalte sind identisch: Prekäres<br />
Eigenlob (»Prostata 2007 – der Suezkanal<br />
ist nichts dagegen«), Zeugnisse<br />
schwerer Humor-Dysfunktionen<br />
(»Wenn Sie das hier lesen können,<br />
habe ich meinen Wohnanhänger<br />
verloren«) und philosophische<br />
Reflexionen (»Warum muss Kacken<br />
so anstrengend sein?«).<br />
Ein bislang noch ungelöstes Rätsel<br />
ist die Gruppe der sogenannten<br />
»lustigen« Autosprüche des Kalibers<br />
»Ich wünschte, meine Frau<br />
wäre auch so schmutzig«. Forscher<br />
des Margot-Käßmann-Instituts haben<br />
herausgefunden, dass 80 Prozent<br />
aller Auffahrunfälle auf »lustige«<br />
Autoaufkleber zurückgehen (der<br />
Rest durch Hunde am Steuer). Ursache:<br />
Die stille Annahme des Vordermanns,<br />
der Hintermann müsse beim<br />
Lesen des Aufklebers sicher vor Lachen<br />
in eine Parkbucht fahren, löst<br />
bei jenen meist heftige Reaktionen<br />
aus. Den Betroffenen bleibt kaum etwas<br />
anderes übrig, als den Scherzkeks<br />
in die Leitplanken zu dirigieren,<br />
da sonst noch jemand denkt, man<br />
fände die Aufkleber lustig.<br />
Ist der Grund für die Existenz solcher<br />
Aufkleber schlicht darin zu suchen,<br />
dass der Wagenführer einst<br />
beim Naseschnäuzen seines Gehirns<br />
verlustig gegangen ist? Aber wie<br />
konnte er dann seinen Führerschein<br />
machen und herausfinden, wie man<br />
105’5 Spreeradio einstellt? Nein, vermutlich<br />
sind diese heiteren Gesellen<br />
verkappte Masochisten, die genau<br />
wissen, dass andere Autofahrer sie<br />
auf der nächsten Raststätte mit dem<br />
Ersatzreifen verprügeln werden. Womöglich<br />
sind die Aufkleber aber auch<br />
nur unbeholfene Hilfeschreie einsamer<br />
Briefmarkensammler: »Schau,<br />
so weit ist es mit mir gekommen!«<br />
In diesem Fall müssen Sie diesen armen<br />
Geschöpfen natürlich helfen,<br />
am besten, indem Sie sie auf der<br />
nächsten Raststätte mit ihrem Ersatzreifen<br />
verprügeln.<br />
»Ungeziefervernichtung Herzog –<br />
bekämpfe seit 20 Jahren erfolgreich<br />
Kakerlaken, Läuse, Zecken, Fidschis,<br />
Kanaken und Schwaben« an den Vordertüren<br />
– das ist hingegen ein<br />
durchaus ernstgemeinte Offerte.<br />
Manchmal finden wir auch motorisierte<br />
Nazis auf Arbeitssuche und<br />
etwa folgende Bewerbung für ein hohes<br />
politisches Amt: »Ich hab einen<br />
Führerschein, denn ich will wie der<br />
Führer sein!« Dann die unverblümte<br />
Bitte um postmortale Lebensbornbefruchtung:<br />
»Rudi Heß – ich will ein<br />
Kind von dir!« Auch Nazihirne stecken<br />
eben nicht nur voller Scheiße,<br />
sondern auch voller Humor. »Ich<br />
bremse für den Führer« ist allerdings<br />
als Losung für kommende Blitzkriege<br />
wenig tauglich.<br />
Sie wollen das toppen? Nun, richtig<br />
Stil hat natürlich erst der, der sich<br />
einen Aufkleber mit der Original-Reproduktion<br />
eines Hieronymus-Bosch-<br />
Triptychons direkt auf die Frontscheibe<br />
seines Twingos pappt. Die<br />
Orientierung erfolgt dann per Gehör<br />
oder Seitenspiegel – sofern noch<br />
nicht beklebt.<br />
Erik Wenk<br />
Collagen: Garling / Beuter<br />
<br />
EULENSPIEGEL 4/12 37
Aller guten Dinge sind drei<br />
Das meint der Ethikrat und empfiehlt die Einführung der Geschlechtsbezeichnung »anderes«. Für die Geburtsurkunde, den Führerschein und den<br />
Mietvertrag. Auf die Frage »Was wird es denn, Junge oder Mädchen?«, können künftige Eltern jetzt auch antworten: »Anderes«. Korrekt müssten sie<br />
aber eigentlich sagen: »Ein Kind mit Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung«.<br />
André Poloczek<br />
Peter Thulke<br />
Andreas Prüstel<br />
38 EULENSPIEGEL 4/12
Peter Thulke Kriki<br />
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<br />
EULENSPIEGEL 4/12 39
Frauen leiden<br />
Der Einfall mit der Ösenficke<br />
Männer haben nicht nur keine Handtaschen – es<br />
sei denn, sie sind Pfeifenraucher, schwul, oder<br />
gehören zur seltenen, vom Aussterben bedrohten<br />
und eigentlich unter Artenschutz zu stellenden<br />
Gattung der Herrenhandtäschchen-Besitzer.<br />
Männer verstehen Handtaschen auch nicht! Sie<br />
haben keine Ahnung von der Magie, die für<br />
Frauen von diesem profanen Gegenstand ausgeht.<br />
Und schon gar nicht – denn dazu würde<br />
eine gehörige Portion Bildung gehören – können<br />
sie eine Verbindung von der Biologie des<br />
Weibes zur Handtasche herstellen (noch im Mittelalter<br />
wurde die Handtasche »Ficke« genannt;<br />
»fickenfaul« nennt man im Sächsischen noch<br />
heute eine Dame, die zu faul ist, etwas in ihrer<br />
Tasche zu suchen!).<br />
Die Frau verlässt das Haus nie ohne Tasche,<br />
es sei denn als Leiche.<br />
Mein Mann, immer sehr interessiert an der Frau<br />
an sich, wollte dieses Phänomen erklärt haben.<br />
»Schau mal«, sagte ich, »man braucht doch immer<br />
mal was aus seiner Tasche.«<br />
»Aber das, was du brauchst, findest du doch<br />
sowieso nie auf Anhieb«, sagte er da. Ich protestierte,<br />
musste ihm aber dann recht geben,<br />
weil ich an »das Pferd« dachte. »Das Pferd« habe<br />
ich am Samstag in der Stadt gesehen, jene Frau,<br />
die über ihrer Tasche hing wie ein Pferd überm<br />
Futtersack. Nein, ihr war nicht übel, sie suchte<br />
nur etwas in ihrer Handtasche.<br />
Und die Frauen in der U-Bahn, die fielen mir<br />
auch ein, die benötigen mindestens drei Stationen,<br />
um ihren Schlüssel erst in der Außentasche<br />
der Handtasche und dann in der Handtasche selber<br />
zu suchen, um ihn schließlich zu finden und<br />
glücklich in die Jackentasche zu stecken. Das<br />
mache ich auch immer so, aber wenn ich vor der<br />
Haustür stehe, dann vergesse ich, dass ich den<br />
Anzeigen<br />
Schlüssel in der Manteltasche habe und leere<br />
die Handtasche aus – Taschentücher, Notizbuch,<br />
Haarnadeln, Münzen, Haarclips, Haargummis, andere<br />
Gummis, Abschminktücher, Haarklemmen,<br />
Bürste, Kamm, Puderdose, Lippenstift, Zweitkamm,<br />
Briefe, Veranstaltungsflyer, Programmhefte<br />
und auch ein lange gesuchter Flaschenöffner.<br />
Nur kein Schlüssel. Meinem Mann ließ das<br />
Handtaschenproblem keine Ruhe. In Italien hatte<br />
er mir eine schöne, knallrote Handtasche gekauft,<br />
in die jede Menge hinein- und dann in ihr verlorenging.<br />
Mit der verschwand er im Bastelkeller,<br />
kam aber noch einmal hervor, um mich zu<br />
fragen, ob ich denn wirklich alles brauche, was<br />
in dieser Tasche sei. »Natürlich«, antwortete ich<br />
fast böse, denn so eine Frage ist immer ein Angriff<br />
auf die Kernzone unseres Frau-Seins. »Auch<br />
das?«, fragte er und hielt eine Häkelnadel hoch.<br />
Ich häkele nicht, aber ich brauche sie, um die<br />
Briefe aus dem Postkasten zu fischen, wenn ich<br />
den Briefkastenschlüssel nicht finde.<br />
Stunden später tauchte er aus dem Keller auf<br />
und legte mir stolz die Tasche in den Schoß. An<br />
der Innenseite der roten Handtasche hatte er sieben<br />
Ösen befestigt, an jede Öse eine andersfarbige<br />
Schnur geknotet. Und an der befanden sich<br />
mein Portemonnaie, das Schlüsselbund, das Kosmetiktäschchen,<br />
das Handy, der Kugelschreiber,<br />
die Haarbürste und die Häkelnadel. Wie süß –<br />
er hatte sich solche Mühe gegeben! Wie ein Angler,<br />
der die Rute auswarf, entrollte ich nun Tag<br />
für Tag meine Schnüre. Das Suchen entfiel völlig,<br />
und mein Mann glaubte, ich sei nun die<br />
glücklichste Frau der Welt.<br />
Aber ich vermisste es so, das Wühlen, die angenehme<br />
Panik, den Triumph des Findens, die<br />
Wiedersehensfreude. Mechanisch wickelte ich<br />
Schnüre, zog Gegenstände und litt still. Schließlich<br />
erwischte mich eine regelrechte Depres -<br />
sion, und angesichts einer Frau, die in der U-<br />
Bahn im Einkaufskorb, dann in einer kleinen süßen<br />
Lacktasche und schließlich in einem pinkfarbenen<br />
Beutelchen kramte, um ein Schlüsselbund<br />
hervorzuziehen, packte mich der blanke<br />
Neid und das heulende Elend. Schließlich wurde<br />
ich so krank, dass mein Hausarzt schon um mich<br />
fürchtete …<br />
Aber ich hatte ja noch eine kleine, abgeschabte<br />
schwarze Ledertasche. Natürlich konnte ich sie<br />
in Gegenwart meines Mannes nicht tragen, er<br />
hätte sie sofort geschnappt und »umgebaut«.<br />
Doch einmal war ich mit meiner Freundin im Theater.<br />
An der Kasse suchte ich in diesem schwarzen<br />
Täschchen die Eintrittskarten, wenig später<br />
meinen Kamm. Dann das Handy, um es auszuschalten<br />
– ein herrliches Gefühl!<br />
Ich erstand ein Programmheft, nachdem ich<br />
die Geldbörse endlich gefunden hatte, wobei ich<br />
mir den Finger verletzte, weil ich in eine offene<br />
Sicherheitsnadel fasste. Zufällig sah ich an der<br />
Garderobe in einen Spiegel: Meine Augen leuchteten,<br />
die Wangen rosig überhaucht! Das olle<br />
Ding hatte mir das Leben gerettet.<br />
Mein Mann sah natürlich, wie viel besser es<br />
mir ging. Und so viel versteht er nun doch von<br />
der Frau an sich: Er hat nie wieder versucht, mir<br />
meine Handtasche zu entreißen.<br />
Im Gegenteil: Zum Geburtstag habe ich einen<br />
leopardengemusterten Beutel bekommen. Beutel<br />
sind gesteigerte Handtaschen, sie sind innen<br />
viel dunkler und tiefer, man muss nach den Dingen<br />
tauchen wie ein Pferd in den Hafersack, um<br />
etwas zu finden. Mein weibliches Glück ist seitdem<br />
perfekt.<br />
Frauke Baldrich-Brümmer<br />
Mensch Meier,<br />
ick wollt` doch nur ne klene<br />
Bieje fahrn!<br />
Dircksenstr. 48 Am Hackeschen Markt Mo-Fr 10-20 Sa 10-17<br />
Oranienstr. 32 Kreuzberg Mo-Mi 10-18.30 Do-Fr 10-20 Sa 10-16<br />
40 EULENSPIEGEL 4/12
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60 Jahre Baden-Württemberg: Das offizielle Landes-ABCle<br />
Widerstandskämpfer und<br />
So stellen sich einer Volksabstimmung zufolge 58,8 Prozent der Südwestdeutschen<br />
das Paradies vor.<br />
Dieser Badenser Mundartkomiker hat seine Heimat weltweit bekannt gemacht.<br />
Legendär sind seine Pointen: »Noch ’ n Viertele, bittschön!« und: »Mir gebet nix.«<br />
A rbeitslosenquote<br />
die, ist eine Messgröße,<br />
die in BW seit Anbeginn der<br />
Erhebung im unteren Nano -<br />
bereich liegt. Als Langzeitarbeitslose<br />
gelten in BW Leute,<br />
die länger als eine halbe<br />
Stunde Mittagspause machen,<br />
und alle Bundesbürger nördlich<br />
von Mannheim.<br />
Blechle, Heiligs das,<br />
wird in streng katholischen<br />
Gemeinden die Monstranz<br />
genannt.<br />
Bollenhut der, heißt die traditionelle<br />
Kopfbedeckung einheimischer<br />
Landfrauen in der<br />
Brunftzeit. Diese auch<br />
Schwarzwaldmarie genannten<br />
Dorfdirnen lauern ihren<br />
männlichen Opfern vorwiegend<br />
in moosigen Höhenlagen<br />
auf. Der an einen explodierten<br />
Fliegenpilz gemahnende<br />
B. dient dabei der Tarnung.<br />
Bürstenhaarschnitt der,<br />
heißt die traditionelle Kopfbedeckung<br />
grüner Ministerpräsidenten.<br />
Die zu Berge stehenden<br />
Haare sollen zum einen<br />
die Überraschung über den<br />
naturgesetzeswidrigen Wahlsieg,<br />
zum anderen das Entsetzen<br />
über den von der Vorgängerregierung<br />
hinterlassenen<br />
Scherbenhaufen zum Ausdruck<br />
bringen. In der Regel<br />
ist der bürstenhaarschnittige<br />
Ministerpräsident beim Amtsantritt<br />
bereits vollständig<br />
ergraut.<br />
Cacau der, ist ein Fußballer<br />
mit Hang zum<br />
Geistlichen oder vice versa.<br />
Auf der für ihn reservierten<br />
Ersatzpapstbank nimmt er<br />
sündigen Kollegen regelmäßig<br />
die Beichte ab und gibt ihnen<br />
als geweihter Masseur die<br />
letzte Wadenölung. Nach seiner<br />
Fußballerlaufbahn strebt<br />
C. die Karriere eines römischen<br />
Kardinals und/oder<br />
schwäbischen Mesners an.<br />
Christlich Demokratische<br />
Union die, nennt man eine<br />
auf Dauerherrschaft eingestellte<br />
Ex-Regierungspartei,<br />
die dem Land Friede, Freude<br />
und Wohlstand garantierte<br />
und zum Dank abgewählt<br />
wurde. Ihr letzter Herrscher<br />
flüchtete ins lateinamerikanische<br />
Exil, wie schon etliche<br />
Autokraten vor ihm.<br />
Cleverle das, ist ein koboldiges<br />
Fabelwesen, das der Sage<br />
nach hinauszog in die<br />
Fremde, um größter Brillengläserverkäufer<br />
Ostdeutschlands<br />
zu werden.<br />
CO2 das, (siehe Daimler)<br />
Daimler der, ist ein renommierter<br />
Auto- bzw.<br />
Bombenbauer, der Weltruhm<br />
erlangte durch technologische<br />
und ästhetische Revolutionen,<br />
wie die geräumige Hutablage,<br />
die genügend Platz bot für<br />
eine umhäkelte Klopapierrolle.<br />
D. gehört weltweit zu<br />
den beliebtesten Statussymbolen,<br />
wobei die Konzernleitung<br />
schon immer Wert darauf gelegt<br />
hat, nicht nur Luxusgüter<br />
für den reichen Westen zu<br />
produzieren, sondern auch<br />
Drittweltländer von deutscher<br />
Wertarbeit mit großflächigen<br />
Wirkungsradien profitieren<br />
zu lassen.<br />
Eisenbahn, Schwäbische<br />
die, war ein vor<br />
Urzeiten euphorisch besungenes<br />
Fortbewegungsmittel, dessen<br />
bloße Erwähnung heute<br />
zu kollektiven Magengeschwüren,<br />
Massenpanik und<br />
bürgerkriegsähnlichen Zuständen<br />
führt.<br />
Feldberg der, gilt als<br />
eine der letzten Bastionen<br />
gegen die globale Klimaerwärmung<br />
(»Deutschlands<br />
Winter wird auf dem F. verteidigt«)<br />
mit einem Großarsenal<br />
an Schneekanonen, aber ohne<br />
eigenes Parkhaus. Wegen fehlender<br />
Parkmöglichkeiten<br />
sind wochenlange Fußmärsche<br />
inkl. Eistauchen durch<br />
den Titisee erforderlich. Wer<br />
Glück hat, erfriert unterwegs<br />
oder wird auf den Schultern<br />
eines Waldschratts auf den<br />
Berg getragen.<br />
Filbinger der,<br />
(siehe Widerstandskämpfer)<br />
Fukushima, ist eine neuschwäbische<br />
Enklave im Pazifik<br />
mit großer Strahlkraft auf<br />
Landtagswahlen.<br />
Geiz der, ist einer der<br />
Hauptcharakterzüge,<br />
wenn nicht sogar der einzige,<br />
den die Eingeborenen schon<br />
mit der sparsam dosierten<br />
Muttermilch aufsaugen.<br />
Grünen die,<br />
(siehe Fukushima)<br />
Hausfrau, schwäbische<br />
die, hat eine ähnliche<br />
identitätsstiftende Funktion<br />
wie Jeanne d’Arc für die Franzosen<br />
und Miss Piggy für die<br />
Amerikaner. Heilig gesprochen<br />
wurde sie 2008 auf dem<br />
Bundesparteitag der CDU von<br />
A. Merkel (siehe Miss Piggy).<br />
Hochdeutsch das, ist ein illegales<br />
Kommunikationsmittel<br />
Zugezogener und gilt als eine<br />
der sieben schwäbischen Todsünden.<br />
Idiot der, verbotenes Wort<br />
für Sembel (siehe Mappus)<br />
Juchtenkäfer der, hat<br />
die drei Löwen unlängst<br />
als Wappentier abgelöst.<br />
Kehrwoche die, bezeichnet<br />
die fanatische<br />
Beseitigung jedweden Unrats.<br />
Die Praxis der K. fand im Verlauf<br />
der Weltgeschichte immer<br />
wieder prominente Nachahmer<br />
unter leicht abgeändertem<br />
Namen (siehe Große Säuberung).<br />
Kotzen, zum, sagt immer<br />
noch jeder echte Badener,<br />
wenn er auf die Zwangsverbrüderung<br />
mit den Schwaben<br />
angesprochen wird.<br />
L änderfinanzausgleich<br />
der, ist ein perfides Instrumentarium,<br />
das den Müßiggang<br />
der nichtsnutzigen<br />
Nordländer gewährleistet.<br />
42 EULENSPIEGEL 4/12
Fremde Länder<br />
schwerst missgebildete Spätzle<br />
Der Baden-Württemberger motiviert sich selbst zu Höchstleistungen,<br />
indem er sich beim Laufen immer in den eigenen Arsch tritt.<br />
Fortschrittlichen Medizinern rund um Stuttgart ist es nach dem Krieg gelungen, den gefürchteten<br />
Euthanasieanstalten der Nazis einen neuen Inhalt zu geben.<br />
Le, ist die universale Endung<br />
aller ernstzunehmenden Substantive.<br />
Mannheims, Söhne<br />
die, sind ein bundesweit<br />
erfolgreicher Ministrantenchor,<br />
der in seinen Liedern<br />
vorwiegend der Frage nachgeht,<br />
warum der Herr und<br />
Allmächtige, hätte er die<br />
Wahl gehabt, in Mannheim-<br />
Wallstadt geboren worden<br />
wäre. Im 2. Buch Mose werden<br />
die S. M. als eine der<br />
zehn biblischen Plagen<br />
beschrieben.<br />
Nationalhymne die,<br />
beginnt mit der zweiten<br />
Strophe und der programmatischen<br />
Zeile »Schaffe,<br />
schaffe, Häusle baue«.<br />
Die erste Strophe (»Schaffe<br />
macht frei«) wird seit 1945<br />
bei offiziellen Anlässen kaum<br />
mehr gesungen.<br />
Nudeln die, werden ungenießbare<br />
und schwerst missgebildete<br />
Spätzle genannt.<br />
Oben bleiben!, skandierten<br />
CDU-Anhänger<br />
am 27. März 2011 vergeblich<br />
beim Anblick des schwarzen<br />
Balkens in der ersten Hochrechnung.<br />
Oettinger das, ist die<br />
billigste Gerstenbrühe der<br />
Republik, mit der sich selbst<br />
Obdachlose nur die Füße<br />
waschen, und war Baden-<br />
Württembergs Ministerpräsident<br />
von 2005 bis 2010.<br />
Özdemir, Cem, beteuert<br />
weiterhin hartnäckig, noch<br />
nie Sex mit Claudia Roth<br />
gehabt zu haben.<br />
Provinz die, ist ein<br />
anderes Wort für<br />
Baden-Württemberg.<br />
Quadratisch, praktisch,<br />
gut, sagen 50<br />
Prozent der schokoladesüchtigen<br />
männlichen Bevölkerung<br />
in Baden-Württemberg, wenn<br />
sie nach den Merkmalen ihrer<br />
Traumfrau befragt werden.<br />
Reitzenstein, Villa die,<br />
hat ihren Sitz in Stuttgart<br />
und wird wegen des assoziativen<br />
Namens gelegentlich<br />
mit dem ortsansässigen Flat -<br />
rate-Puff verwechselt, weshalb<br />
der Eingangsbereich<br />
jetzt von einem gebürtigen<br />
Rottweiler aus Tuttlingen<br />
überwacht wird.<br />
Rundfunk, Südwestdeutscher<br />
der, ist ein<br />
gebührenfinanziertes<br />
Staatsfernsehen, das seinen<br />
Auftrag zur besten Zufriedenheit<br />
der 80-jährigen Zielgruppe<br />
erfüllt. Beim SWR ist<br />
zwischen den Einstellungen<br />
noch genügend Zeit für eine<br />
Testfahrt auf dem neuen Treppenlift.<br />
Aber auch jüngere<br />
Zuschauer (unter 75) kommen<br />
auf ihre Kosten. Auf sie<br />
warten TV-Provokateure und<br />
Anarchotalker wie Wieland<br />
Backes (Jg. 1914) und Frank<br />
Elstner (Jg. 1889). Seit »Die<br />
lahmsten Bahnstrecken<br />
Deutschlands« gestrichen<br />
wurden, hat das Abendprogramm<br />
jedoch etwas an Drive<br />
eingebüßt.<br />
Sauschwob der, gehört<br />
zur Gattung der Juchtenkäfer<br />
und nistet bevorzugt in<br />
den Wipfeln exponierter<br />
Stadtgärten.<br />
Shreklein, Sonja, ist eine<br />
computeranimierte Oger-<br />
Frau, die auf Fasnachtsumzügen<br />
mit ihrem grünstichigverluderten<br />
Antlitz selbst<br />
schwerstalkoholisierten Narren<br />
einen Schrecken einjagt.<br />
Teufel der, ist seit jeher<br />
die Verkörperung alles<br />
Bösen, das Schlechte schlechthin,<br />
und war von 1991<br />
bis 2005 Ministerpräsident<br />
von Baden-Württemberg.<br />
Unterirdisch, ist<br />
der Idealverlauf<br />
sämtlicher Fernzüge, die<br />
möglichst ohne Zwischenstopp<br />
und mit zusätzlich<br />
verdunkelten Scheiben<br />
durch BW brettern.<br />
VfB der, steht für<br />
»Verein für breiten<br />
Sport«. Baden-Württembergs<br />
größte Talentschmiede<br />
hat Namen<br />
hervorgebracht wie Eike<br />
Immel, Christoph Daum<br />
und Gerhard Mayer-Vorfelder<br />
(siehe Viertele).<br />
Viertele, große das,<br />
ist mehr als die Summe<br />
zweier Achtele und wirft<br />
trotzdem die Frage auf,<br />
warum noch keine<br />
Winzernase auf die Idee<br />
kam, die Traubenplörre in<br />
Halbele auszuschenken.<br />
Volksabstimmung die,<br />
ist ein ungeeignetes Mittel<br />
zur Durchsetzung des<br />
Mehrheitswillens und<br />
im Nachhinein betrachtet<br />
doch ziemlich demokratiefeindlich.<br />
W asserwerfer<br />
(siehe Kehrwoche)<br />
Widerstandskämpfer der,<br />
ist die von amtierenden<br />
Ministerpräsidenten in Trauerreden<br />
gerne juxhaft verwendete<br />
Bezeichnung für ehemalige<br />
Nazi-Richter.<br />
Winnenden<br />
(siehe Wutbürger)<br />
Wutbürger der, ist ein<br />
Sammelbegriff für eine<br />
wachsende Anzahl von Leuten,<br />
die ihre Alte zu Hause<br />
mit ihrer vermaledeiten<br />
Kehrwoche, die Klorolle auf<br />
der piefigen Hutablage,<br />
das grottenschlechte Fernsehprogramm,<br />
das saure Viertele<br />
und all die saudumm klingenden<br />
Substantivle nicht mehr<br />
ertragen kann und um vor<br />
Wut nicht zu explodieren,<br />
massenhaft auf die Straße,<br />
in den Schlossgarten oder<br />
sonstwo hingeht und mal<br />
so richtig die Sau rauslässt.<br />
Zeit, höchste, ist die<br />
zutreffende Terminangabe<br />
auf die Frage, wann<br />
dieses Kunstprodukt namens<br />
Baden-Württemberg endlich<br />
wieder getrennt werden soll.<br />
Florian Kech<br />
EULENSPIEGEL 4/12 43
Fern<br />
sehen<br />
Wir geben Ihrem Urlaub Farbe<br />
Foto: M. Bein<br />
Rügen<br />
Ruhe genießen –<br />
Natur erleben<br />
Ein kleines<br />
reetgedecktes Hotel<br />
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direkt am Wasser.<br />
Gemütliches Restaurant,<br />
anerkannt gute regionale<br />
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Ich bin leidenschaftlich gern positiv,<br />
lobe inbrünstig und freue<br />
mich über jeden Erfolg der armen<br />
Kreaturen, die beim Fernsehen arbeiten!<br />
Wenn acht Millionen Erwachsene<br />
allerlei Geschlechts sich<br />
den Abend damit um die Ohren<br />
hauen, den zweiten Teil einer Romanverfilmung<br />
auf einem Nischensender<br />
anzusehen, kann man dem<br />
Sender gratulieren. Und fragt sich:<br />
Wie ist das möglich? Die Antwort:<br />
Der erste Teil muss gut gewesen<br />
sein! Oder wenigstens geil. Der Titel<br />
ist es jedenfalls: Die Rache der<br />
Wanderhure. Womöglich sind die<br />
Zuschauer acht Millionen Pornokonsumenten,<br />
die sich sonst was<br />
erhofften und für diesen Abend<br />
ihre Schaulust von Youporn auf<br />
Sat1 verlegt haben, und Geschichtsfans,<br />
die statt mit Historydokus<br />
bei ARD oder ZDF mal was<br />
Verwegenes wagen wollten.<br />
Damit des Lobes aber nicht genug!<br />
Einer breiten, bildungsschwachen<br />
Masse wurden historische Ereignisse<br />
nahe gebracht. Besonders<br />
genau hat es das Autorenteam mit<br />
den Fakten zwar nicht genommen,<br />
aber ein gewisses Mittelalterfeeling<br />
war zu spüren. Fettige Haare,<br />
Dudelsackklänge, Glöckchenarmbänder<br />
und natürlich ein lustiger,<br />
notgeiler Zwerg gehörten zur Ausstattung.<br />
Außerdem verkörpert die<br />
Hauptfigur alles, was den Topmodels<br />
von Heidi Klum abhanden gekommen<br />
ist. Die wanderlustige<br />
Hure ist selbstbewusst, emanzipiert<br />
und gut genährt. Womöglich<br />
ist die TV-Filmwelt mit der Rache<br />
44 EULENSPIEGEL 4/12<br />
der Wanderhure tatsächlich um<br />
eine außergewöhnlich stimmige<br />
Romanverfilmung bereichert worden.<br />
Und Alexandra Neldel, kann<br />
sie sich als Charakterschauspielerin<br />
etablieren?<br />
Leider nein. Der Film atmet nicht<br />
den Geist des Mittelalters, sondern<br />
der dreisten Einfalt, mit der dieses<br />
Werk gemacht wurde. Marie – Alexandra<br />
Neldel – jagt, mit einem<br />
Schwert bewaffnet, ihrem Gatten<br />
durch den üppigen und sehr mittelalterlichen<br />
Wald hinterher. Im<br />
Kampf ringt sie ihm die Erlaubnis<br />
zur Anstellung eines Hauslehrers<br />
für die gemeinsame Tochter ab. Danach<br />
darf er sie besteigen. So war<br />
das damals eben: Um für ihre Kinderchen<br />
zu sorgen, hatte eine Hure<br />
nichts als die »bare nackte Zahlung«<br />
(K. Marx).<br />
Was war das für eine schmutzige<br />
Zeit! Nicht nur, dass es keine<br />
WCs und Bidets gab – es wurde<br />
gevögelt nach Lust und Laune.<br />
Diese zügellose Lebensweise will<br />
der brockhausgebildete Sat1-Zuschauer<br />
nun bebildert sehen, und<br />
Alexandra Neldel sieht sich dem<br />
Anspruch voll und ganz verpflichtet.<br />
Das Schlüsselwort, hinter dem<br />
man jeden Schweinskram unterbringen<br />
kann, heißt »unverfälscht«.<br />
»Das Besondere an einem<br />
Film, der im Mittelalter spielt«, sagt<br />
die Frau mit der Titelrolle, »ist die<br />
pure und unverfälschte Leidenschaft<br />
der Menschen. Wäre das<br />
nicht schlimm, wenn es so etwas<br />
nicht gäbe?« Nun, »so etwas« gibt<br />
es ja nun dank der Rache der Wanderhure.<br />
Allerdings bringen die<br />
Wanderhure und die übrige Personage<br />
Dialoge hervor, die einem die<br />
Filzlatschen ausziehen. In Burgtheater-Manier<br />
sondern Schauspieler,<br />
die bekannten Stars verblüffend<br />
ähnlich sehen, Texte ab, wie<br />
sie ein Kindergartenkind plappert,<br />
wenn es mit Ritter-, Räuber- und<br />
Wanderhurenfiguren spielt. Man<br />
nehme die dritte Person (»Ist Ihr<br />
etwa schon wieder ein Tripper zugesprungen?«),<br />
ein paar archaische<br />
Verben (wer kennt schon noch<br />
»brunzen«?) – und schon klingt es<br />
nach Mittelalter. Besonders unverfälscht<br />
wirkt der Text, wenn er aus<br />
Mündern mit total vergammelten<br />
Kauleisten geschrien wird. Damals<br />
gab es bei Schlecker eben noch<br />
keine Zahnbürsten.<br />
Und wie steht es mit Sexversprechen<br />
an die vielen halbtoten Ehepaare<br />
in den Kissen der Fernsehcouch?<br />
Die Wanderhure wandert<br />
leider öfter, als sie hurt. Ein gequetschtes<br />
Dekolleté und eine<br />
freie Schulter – das sind die erotischen<br />
Höhepunkte. Manchmal<br />
denkt man, die hat doch den Beruf<br />
verfehlt. Zumal sie bei Gelegenheit<br />
der wenigen beruflichen Verrichtungen<br />
auch noch Tiefsinn<br />
preisgibt wie den Standardsatz eines<br />
jeden Hurenromans: »Meinen<br />
Körper kannst du mir nehmen,<br />
aber meine Seele nicht.«<br />
Marie leidet unverschuldet an<br />
Sexappeal, was gierige, dreckige<br />
Kerle auf den Plan ruft, die auch<br />
nicht direkt was dafür können. Innerlich<br />
ist sie längst zum züchtigen<br />
Weib geworden. 9,75 Millionen<br />
Zuschauer können bezeugen,<br />
dass sie in Teil eins brutal vergewaltigt,<br />
damit in den ungeliebten<br />
Beruf gezwungen wurde und den<br />
Hurenaufstand von Konstanz anführte.<br />
Sie bringt es in Teil zwei von der<br />
Gelegenheitsnutte bis zur Burgherrin,<br />
wandert munter durchs Kriegsgebiet,<br />
legt im Lazarett bei Verstümmelten<br />
ein letztes Mal Hand<br />
an. Dann soll sie zusammen mit<br />
ihren Kolleginnen geköpft werden:<br />
Zeit für ein Liedchen. Zu Dudelsack<br />
und Drehleier fasst die<br />
Wanderhure die bisherige Handlung<br />
in Reimen zusammen. Die<br />
Unverfälschte Leidenschaft<br />
Kerle schmelzen dahin: Die Äuglein<br />
des Hürchens leuchten, und<br />
ihr Busen bebt – Erotik, wie es sie<br />
heute gar nicht mehr gibt!<br />
Eigentlich hätte das alles auch<br />
auf dem Mond oder in Nordkorea<br />
spielen können. Das Mittelalter ist<br />
allerdings sexyer. Das sieht auch<br />
das Autorenteam so. »Iny Lorentz«,<br />
tatsächlich Herr Wohlrath<br />
und Frau Klocke, schrieben sich in<br />
ihrem Wohnwagen die Finger<br />
wund. Auch sonst jagt ein Mittelalterwälzer<br />
aus ihrer Werkstatt den<br />
nächsten. »Wir leben unsere Fantasie«,<br />
teilen sie mit. Schade nur,<br />
dass die so langweilig ist.<br />
Für alle, die nach Alexandra Neldel<br />
noch einen Appetizer fürs Ehebett<br />
brauchten, lieferte Sat1 die<br />
Doku Käufliche Liebe im Mittelalter<br />
– Wie Wanderhuren wirklich lebten<br />
(mit nachgestellten Fummelszenen).<br />
Teil drei, Das Vermächtnis der<br />
Wanderhure, steht nun bevor. Frau<br />
Neldel lässt sich bereits wieder die<br />
Achselhaare wachsen. Denn unverfälscht<br />
soll es auf jeden Fall wieder<br />
sein.<br />
Felice von Senkbeil
Schöner<br />
wohnen<br />
Gerhard Glück<br />
EULENSPIEGEL 4/12 45
Kino<br />
Das Glück ist keinem treu<br />
In der zwölfseitigen Kurz ge schich -<br />
te des schreibenden Rechts -<br />
anwalts Ferdinand von Schirach<br />
verbringt Irina ihre Jugend irgendwo<br />
auf dem osteuropäischen Land. In der<br />
von Doris Dörrie besorgten hundertzwölfminütigen<br />
Verfilmung ist das<br />
eine Idylle, deren Kitschpotential jedem<br />
seriösen Reiseveranstalter peinlich<br />
wäre. Bis zum Horizont glüht und<br />
blüht der rote Mohn, golden fließt<br />
der Honig in die Vorratstöpfe, und<br />
nach getaner Feldarbeit planschen Vater,<br />
Mutter und Kind im nahe gelegenen<br />
Dorfweiher. Ein frisch geborenes<br />
Unschuldslamm an die noch magere<br />
Mädchenbrust pressend, kann Irina<br />
(hervorragend: Alba Rohrwacher) ihr<br />
Glück<br />
kaum fassen. Da ist es auch schon<br />
vorbei. Uniformierte Horden erstürmen<br />
den Hof, massakrieren die Eltern<br />
und vergewaltigen die Tochter.<br />
Wer sind diese Bestien? Russen? Serben?<br />
Die üblichen Verdächtigen<br />
eben. Laut Agitations- und Propagandaschriften<br />
wie Bild, Spiegel und<br />
dergleichen kommen Vertreter anderer<br />
Nationalitäten für solche<br />
Gräuel ja gar nicht in Betracht.<br />
Gottlob kann sich Irina die Schlepper<br />
leisten und landet auf dem Straßenstrich<br />
in Berlin.<br />
Revierstreitigkeiten mit bereits aktiven<br />
Kolleginnen gibt es nicht, denn<br />
Doris Dörrie errichtet auf der Schöneberger<br />
Kurfürstenstraße die Volksfront<br />
der Illegalen. Irina hat zwischen<br />
zwei Freiern sogar Zeit für kleine Pläusche<br />
mit einem Anrainer. Der hübsche<br />
Kalle (Vinzenz Kiefer) sitzt immer an<br />
derselben Ecke. Zum Schnorrer taugt<br />
er nur bedingt, und auch als Punker<br />
lässt er zu wünschen übrig. Er klaut<br />
nicht, kifft nicht, drückt nicht und<br />
trinkt höchstens mal ein Bier. Seine<br />
Piercings an Mund, Nase und Ohren<br />
sind abnehmbar, weil aus Plaste.<br />
Kalle spricht ordentliches Hochdeutsch,<br />
angereichert durch poetische<br />
Eigenschöpfungen. Jedweder<br />
Höhepunkt, auch ein Orgasmus,<br />
heißt bei ihm Wuppdich.<br />
Das gefällt Irina. Der ganze Kalle<br />
gefällt ihr. Erst darf er bei ihr duschen,<br />
dann bei ihr schlafen, und schließlich<br />
schläft sie mit ihm. Natürlich nur, wenn<br />
keine Kunden angemeldet sind. Aber<br />
die tun der Liebe keinen Abbruch. Die<br />
stehen für Arbeit, und auf so was ist<br />
Kalle nicht eifersüchtig. Irina zeigt da<br />
schon eher Nerven. Seit sie das tolle<br />
elektrische Brotmesser gekauft hat,<br />
redet sie darüber, was sie ihrem<br />
Eine Berlinale-Nachlese<br />
von Renate Holl and-Moritz<br />
Stammgast, dem fetten Politiker, alles<br />
abschneiden könnte.<br />
Eines Sommertags geschieht ein<br />
Unglück: Das Herz des dicken Lustmolchs<br />
bleibt stehen, und Irina flieht<br />
in panischem Entsetzen. Spätheimkehrer<br />
Kalle begreift, dass er, um<br />
die mutmaßliche Mörderin zu retten,<br />
den Toten wegschaffen muss.<br />
Das geht bei dem Drei-Zentner-Mann<br />
aber nur portionsweise. Kühn verlängert<br />
Frau Dörrie ihre Kitsch-Romanze<br />
um einen überaus blutrünstigen<br />
Horror-Akt, dessen unfreiwillige<br />
Komik in ein Fachgespräch zwischen<br />
Rechtsanwalt (Matthias<br />
Brandt) und Staatsanwältin (Maren<br />
Kroymann) über den strafgesetzbuchstäblichen<br />
»beschimpfenden<br />
Unfug mit einer Leiche« mündet.<br />
Doch nach vier Happy-Endings haben<br />
dann alle, auch die Zuschauer,<br />
ausgelitten.<br />
★<br />
Regisseur Christian Petzold hat einige<br />
ausgezeichnete, mit vielen Auszeichnungen<br />
belohnte Filme gedreht<br />
(meine Favoriten: »Die innere Sicherheit«,<br />
»Jerichow«), er hat der großen<br />
Theateraktrice Nina Hoss eine<br />
Zweitkarriere als Filmstar ermöglicht,<br />
und er hat die DDR nie als No-<br />
Go-Area betrachtet. Schließlich war<br />
sie das Vaterland seiner in den 50er<br />
Jahren republikflüchtig gewordenen<br />
Eltern und bis in die 70er Jahre sein<br />
eigenes Schulferienparadies. Und<br />
nun, fand dieser gute Mann, sei es<br />
an der Zeit, die Klischeevorstellungen<br />
seiner westdeutschen Kollegen<br />
vom windstillen, mausgrauen Land<br />
der Plattenbauten und freudlosen<br />
Menschen zu konterkarieren. Und<br />
zwar mit seinem rätselhafterweise<br />
hochgejubelten Film<br />
Bernd Zeller<br />
Barbara<br />
(Silberner Bär für die beste Regie),<br />
der sich 1980 in einer Kleinstadt an<br />
der Ostsee zuträgt. Eine stetig steife<br />
Meeresbrise zaust Bäume und Sträucher<br />
sowie die letzten Reste des Vorkriegsputzes<br />
von den Wänden der<br />
verrottenden Einfamilienhäuser. Im<br />
verklinkerten Kreiskrankenhaus<br />
nimmt muffliges Personal einen Neuzugang<br />
in Empfang: Dr. Barbara Wolff<br />
(Nina Hoss), bislang Kinderchirurgin<br />
an der Berliner Charité. Weil sie die<br />
DDR hasst und den Bundesjunker<br />
Jörg (Mark Waschke) liebt, hat sie einen<br />
Ausreiseantrag gestellt. Zur<br />
Strafe wird sie erst eingesperrt und<br />
dann abgeschoben, nämlich in bewusstes<br />
Kaff. Eine hausmeisterliche<br />
Blockwarttype (Rosa Enskat) weist<br />
ihr eine Bruchbude zu, und der orts-<br />
46 EULENSPIEGEL 4/12
ansässige Stasi-Offizier (Rainer Bock)<br />
versichert sie seiner ungeteilten<br />
Wachsamkeit, grüßt doch von jenseitigem<br />
Gestade Dänemark mit seiner<br />
offenen Grenze zur BRD herüber. Da<br />
darf sich die für mehrere Stunden<br />
nicht auffindbare Frau Doktor nicht<br />
wundern, wenn sie bei ihrer Rückkehr<br />
rektal nach wie immer gearteter<br />
Konterbande durchsucht wird.<br />
Ausreisewillige Ärzte sollten, das<br />
zumindest ergaben meine persönlichen<br />
Recherchen, mit Marx- und Engelszungen<br />
zum Bleiben überredet,<br />
nie aber in Grenzgebiete strafversetzt<br />
und durch schikanöse Behandlung<br />
zur Flucht geradezu animiert<br />
werden. Doch solche Spitzfindigkeiten<br />
interessierten den DDR-Spezialisten<br />
Christian Petzold genauso wenig<br />
wie die Tatsache, dass der Jugendwerkhof<br />
Torgau bei aller Kritikwürdigkeit<br />
kein faschistisches KZ<br />
war, die Bezeichnung »Vernichtungslager«<br />
also unentschuldbar ist. Wenigstens<br />
lässt er seine Barbara am<br />
Ende vom Ausweg in die westliche<br />
Freiheit Abstand nehmen, winken ihr<br />
doch an der Seite des testosteronstrotzenden<br />
Ost-Arztes André Reiser<br />
(Ronald Zehrfeld) nicht nur ungekannte<br />
Liebeswonnen, sondern<br />
auch die DDR-spezifische Möglichkeit,<br />
Patienten ohne Kassendruck<br />
und in aller Bettruhe auf den Weg<br />
der Besserung zu befördern.<br />
★<br />
Meryl Streep ist ein schauspielerisches<br />
Phänomen, denn sie kann alles.<br />
Und sie hat alles, wovon ihre<br />
ebenfalls berühmten Kolleginnen<br />
bestenfalls träumen können. Zum<br />
Beispiel immer noch den ersten,<br />
nach wie vor geliebten Ehemann<br />
und mit ihm vier wohlgeratene Kinder.<br />
Ferner seit 1977 kontinuierliche<br />
Rollenangebote, auch über ihr 60.<br />
Lebensjahr hinaus. Unter ihren 35<br />
Hollywoodfilmen befindet sich kein<br />
einziger Flop, dafür ein gutes Dutzend<br />
Welterfolge. Zu ihren kaum<br />
noch zählbaren Preisen gehören drei<br />
Oscars (bei 17 Nominierungen) und<br />
sieben Golden Globes (bei 25 Nominierungen).<br />
Aber irgendwas fehlt ja<br />
bekanntlich immer. Ich tippe mal auf<br />
den sprichwörtlichen Funken Verstand<br />
sowie ein Quentchen Moral.<br />
Verfügte Meryl Streep über beides,<br />
hätte sie uns niemals<br />
Die eiserne Lady<br />
Margaret Thatcher, Busenfreundin<br />
von Augusto Pinochet und Ronald<br />
Reagan, als respektable Premierministerin<br />
verkaufen dürfen, die ihr<br />
Land angeblich entsolidarisieren<br />
musste, um es vor der Krise, wenn<br />
nicht gar vor dem Kommunismus zu<br />
bewahren. Und die nun, da sie alt<br />
und gaga ist, unser aller Mitgefühl<br />
verdiene. Diese Lesart, ausgekungelt<br />
von Phyllida Lloyd (Regie) und Abi<br />
Morgan (Drehbuch), erfüllt den Tatbestand<br />
der Geschichtsfälschung<br />
und sollte geahndet werden. Genau<br />
wie die Verbrechen der Menschenrechtsverletzerin<br />
Thatcher, die Hunderttausende<br />
nordenglischer Bergund<br />
Stahlarbeiterfamilien ins Elend<br />
stieß, indem sie Zechen und Fabriken<br />
schloss und die Gewerkschaften<br />
zerschlug. Sie belegte noch die Ärmsten<br />
der Armen mit einer Kopfsteuer<br />
und privatisierte zwecks Bereicherung<br />
der Reichen die Trinkwasserund<br />
Elektrizitätswerke, die Eisenbahn<br />
und die Telekom. Als das öffentliche<br />
Leben fast im Chaos versunken<br />
war und selbst die Konservativen<br />
wütend wurden, führte sie<br />
rechtzeitig vor den Wahlen einen blutigen<br />
Krieg um die kronkolonisierten<br />
Falklandinseln. Ihr einziger Sohn<br />
nahm vorsichtshalber nicht daran teil.<br />
Und was sagt Meryl Streep zu all<br />
dem? »Es interessierte mich weniger,<br />
welche politischen Schritte Margaret<br />
unternahm ... Wenn du harte Entscheidungen<br />
triffst, wird man dich<br />
heute dafür hassen, doch die nächsten<br />
Generationen werden dir dafür<br />
danken. So sollte ein Führer immer<br />
denken, und das gleiche sollte eine<br />
Mutter tun.« Die phänomenale Schauspielerin<br />
und vierfache Mutter sollte,<br />
wenn ihr außer Schleimerei nichts<br />
einfällt, einfach den Mund halten. Vor<br />
allem sollte sie sich nicht vor den falschen<br />
Karren spannen lassen, nur<br />
weil es sie reizte, ein eiskaltes Monster<br />
in einen achtbaren Menschen umzulügen.<br />
Damit hat sie zwar wieder<br />
ein paar neue Preise gewonnen, aber<br />
ungleich mehr alte Sympathisanten<br />
verloren.<br />
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EULENSPIEGEL 4/12 47
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Arten vielfalt<br />
Das Hausmeister<br />
Das Hausmeister trägt viel Verantwortung. Verantwortung<br />
dafür, dass nie Klopapier auf der<br />
Rolle ist, dass der Wasserhahn auch weiterhin<br />
tropft, die Heizung kalt bleibt oder brühendheiß.<br />
Im Winter zwingt es sich unter Aufbietung aller<br />
Kräfte, das Schneeschieben so lange aufzuschieben,<br />
bis es taut, ungeachtet aller Anfeindungen.<br />
Das Hausmeister ist eine zutiefst deutsche Institution,<br />
es sorgt dafür, dass die Zustände bleiben,<br />
wie sie sind. Diese Verlässlichkeit hat ein<br />
wettergegerbtes Gesicht, denn es zieht meist in<br />
der Raucherecke zwischen Hintereingang und<br />
Mülltonnen.<br />
Unter dem wettergegerbten Gesicht beginnt<br />
das eigentliche Erkennungsmerkmal des Hausmeisters<br />
– der blaue Kittel. Der hat drei Taschen,<br />
zwei in Hüfthöhe und eine links, wo das Herz<br />
ist. Oben stecken reihenweise Kugelschreiber, unten<br />
die Hände. In grauer Vorzeit hat das Hausmeister<br />
einen Handwerksberuf erlernt und im<br />
Laufe seines Berufslebens eine Menge weiterer<br />
Qualifikationen erworben, beispielsweise die perfekte<br />
Simulation von Tätigkeiten, das freie Interpretieren<br />
von Arbeitsanweisungen, das Führen<br />
von politischen Debatten aus dem Stegreif und<br />
das fehlerfreie Abspulen sämtlicher Sprüche, die<br />
im Hause en vogue sind, von »Dein Teflon klingelt«<br />
bis »Tschüssikowski!«.<br />
Wird das Hausmeister jemals gezwungen, mit<br />
sichtbarem Ergebnis tätig zu werden, sieht sein<br />
Bezwinger alsbald, was er davon hat. Das neue<br />
Klopapier ist eine Art Sandpapier, und die frischen<br />
Papierhandtücher liegen zur Mahnung<br />
noch verpackt oben auf dem Handtuchspender.<br />
Für diese Belanglosigkeiten hat das Hausmeister<br />
nämlich keine Zeit, es ist das Letzte in unserem<br />
Land, das sich noch der Erziehung der Jugend<br />
hingibt. Beispiel Schule. Wo der Lehrkörper<br />
längst aufgegeben hat, nimmt das Hausmeister<br />
seinen Erziehungsauftrag immer noch ernst.<br />
»Heb das sofort auf, Freundchen!«, heißt seine<br />
klare Ansage, oder:<br />
»Es gibt gleich einen<br />
Satz heiße<br />
Ohren, wenn<br />
du dir nicht<br />
die Schuhe<br />
abputzt!«<br />
Das<br />
Hausmeister trägt zumeist einen sprechenden<br />
Namen wie Kaltwasser-Meier, Super-Walter oder<br />
einfach Adolf. In Firmen bzw. öffentlichen Gebäuden<br />
ist das Hausmeister zumeist in Erdnähe angesiedelt.<br />
In diesem Refugium riecht es nach Wischlappen,<br />
die auf der Heizung trocknen, nach<br />
Bohnerwachs, vollen Aschenbechern und Waschbenzin.<br />
Auch hat es dort in den Jahren massenhaft<br />
technische Geräte angehäuft, ohne die es<br />
seine Arbeit nie schaffen würde und die nach der<br />
Erprobungsphase vor sich hin rotten.<br />
Inzwischen gehört das Hausmeister aber zu<br />
den bedrohten Arten. Wie alles Schlimme dieser<br />
Welt trägt die neue Bedrohung einen englischen<br />
Namen: Outsourcing. Das Hausmeister wird zunehmend<br />
durch anonyme Dienstleister ersetzt.<br />
Ehren wir schon jetzt sein Angedenken – es<br />
ist Zeit für das erste deutsche Hausmeistermuseum.<br />
Jan Frehse<br />
Zeichnung: Peter Muzeniek
Barbara Henniger
Wie blöd<br />
ist blöd?<br />
Karsten Weyershausen<br />
Andreas Prüstel<br />
Einige meiner Freunde beginnen neuerdings<br />
jeden zweiten Satz mit »Ganz<br />
ehrlich«, und beenden ihn mit »Hallo«.<br />
Meistens sind diese beiden sprachlichen<br />
Gehhilfen noch zusätzlich mit einem<br />
Fragezeichen versehen. Das ergibt<br />
dann Konstrukte wie: »Ganz ehrlich?<br />
Mich nervt dieses ganze Bundespräsidententhema,<br />
jeder hat doch irgendwie<br />
Dreck am Stecken, hallo?« Ich sehe<br />
meine Freunde dann vor meinem geistigen<br />
Auge plötzlich in Hühnerkostümen<br />
stecken. Sie gackern und schlagen<br />
aufgeregt mit den Flügeln: »Hallo,<br />
hallo, ich sag dir gleich was ganz Wichtiges!«<br />
Und wenn sie das Wichtige –<br />
wie zum Beispiel: »Ganz ehrlich? Ich<br />
kann das Wort ›Eurorettungsschirm‹<br />
nicht mehr hören!« – gesagt haben, ruckeln<br />
sie mit dem Kopf und fragen, ob<br />
ihre Message bei mir angekommen sei:<br />
»Hallo? Hallo, bist du noch da? Hörst<br />
du mir zu? Hallo?!« Nun<br />
wird manch einer sagen:<br />
Denk nicht drüber nach –<br />
such dir neue Freunde!<br />
Aber ich mag meine<br />
Freunde. Es sind die einzigen,<br />
die ich habe. Und dieses<br />
merkwürdige verbale<br />
Balzverhalten legten sie<br />
nicht schon immer an den Tag. Vor geraumer<br />
Zeit, ich erinnere mich, sagten<br />
sie noch Sätze wie: »Die letzte Ausgabe<br />
vom Scheibenwischer hat mir<br />
nicht gefallen. Ich guck das eh nur wegen<br />
dem Hildebrandt.« Und heute gackern<br />
sie: »Harald Schmidt hat Brause<br />
aus dem Nabel von der Ex vom Pocher<br />
geleckt, wie blöd ist das denn?«<br />
Warum fragt man mich das? Ich habe<br />
darauf keine Antwort. Und meine<br />
Freunde auch nicht. In Wahrheit gibt<br />
es nämlich keine Blödigkeitsskala, auf<br />
der man zweifelsfrei messen könnte,<br />
wie blöd es ist, dass jemand in Harald<br />
Schmidts Alter mit so einer pubertären<br />
Sabberaktion versucht, Quote zu<br />
machen. Und darum geht es auch gar<br />
nicht. Es geht darum, sich gegenseitig<br />
zu versichern, dass man sich einig ist.<br />
Merkwürdigerweise versucht man<br />
durch die Frage danach, wie blöd »das<br />
denn« sei, zu zementieren, dass das<br />
ja wohl überhaupt keine Frage sei. Ich<br />
finde das ungefähr so blöd wie linksintellektuelle<br />
Politkabarettisten, die<br />
Oft sagen Leute<br />
ungeheuer<br />
wichtige Dinge.<br />
Man darf bloß<br />
nicht so genau<br />
hinhören.<br />
sich vor ein linksintellektuelles Publikum<br />
hinstellen und sagen: »Die Angela<br />
Merkel ist blöd.«<br />
Mindestens genauso blöd finde ich<br />
es, eine Stellungnahme mit der Frage<br />
»Ganz ehrlich?« einzuleiten. Das heißt<br />
dann ja wohl: »Ich war bisher immer<br />
unehrlich mit dir, aber jetzt halte ich<br />
es nicht mehr aus und muss dir einfach<br />
offen sagen, was ich denke. Weil<br />
ich mir aber nicht sicher bin, ob du so<br />
viel schonungslose Offenheit ertragen<br />
kannst, warne ich dich hiermit vor:<br />
Was ich gleich von mir geben werde,<br />
ist undurchdachter Schwachsinn und<br />
nur so dahergesagt, aber immerhin bin<br />
ich ehrlich.«<br />
Bequem ist das auch. Wozu in ganzen<br />
Sätzen reden, wenn man durch<br />
das bloße Ausrufen von Stichwörtern<br />
sofort mit allen im Raum einer Meinung<br />
sein kann? Einmal, als jemand<br />
auf einer Stehparty sagte:<br />
»Champagner aus Pappbechern,<br />
hallo?«, antwortete<br />
ich mit einem freundlichen<br />
»Grüß schön!«. Und<br />
als ich dafür einen entgeisterten<br />
Blick erntete, erklärte<br />
ich: »Ich dachte, du<br />
telefonierst grade.« Da<br />
war die Stimmung im Pappbecher.<br />
Ich hätte lächeln sollen, nicken und<br />
das Thema wechseln, noch bevor es<br />
richtig auf dem Stehtisch lag. Genauso<br />
sollte ich es jetzt auch mit diesem Text<br />
machen. Ich sollte meine kleinliche<br />
Kommunikationsmäkelei hier beenden<br />
und einen eleganten Schwenk auf ein<br />
konsensfähiges Gebiet machen. Etwas,<br />
worauf wir uns alle einigen können:<br />
Daniela Katzenberger, der zu kurze<br />
Sommer, Menschen mit Nerdbrillen,<br />
die Backstage-Reporter von Casting-<br />
Sendungen, der zu bunte Herbst, Gurkeneis.<br />
Dinge, die wir alle – hallo? –<br />
blöd finden. Über die wir – ganz ehrlich<br />
– gar nicht lange reden müssen.<br />
Am besten, wir reden gar nicht mehr.<br />
Am besten, wir schicken uns gegenseitig<br />
einfach nur noch MMSe mit Fotos<br />
von Dingen, die wir hassen und smsen<br />
dazu: »Hallo?«<br />
Obwohl: Ich bin mir sicher, dass das<br />
dann jemand auf Facebook postet und<br />
drunter schreibt: »Wie blöd ist das<br />
denn?«<br />
Martina Brandl<br />
52 EULENSPIEGEL 4/12
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Funzel<br />
Unverkäuflich – aber bestechlich!<br />
SUPER<br />
Das Intelligenzblatt für Andersdenkende<br />
Seit der Großen Revolution 89/90 unabhängig vom <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong><br />
Fritz<br />
in<br />
Gefahr!<br />
Aus gegebenem Anlass hat der Deutsche<br />
Anglerverband die FUNZEL gebeten, ihren<br />
Milliarden Lesern folgende dringende Mitteilung<br />
zu machen: Ende März ist wieder die<br />
Schonzeit mehrerer geschützter Fischarten<br />
zu Ende gegangen. Trotzdem sollte man den<br />
geschuppten Lieblingen jetzt nicht um jeden<br />
Preis und mit allen Mitteln nachstellen.<br />
Fräulein Gabi M. aus Wasserburg zum Beispiel<br />
versucht hier die Angelei mit völlig ungeeignetem<br />
Gerät. Dabei sollte doch jede<br />
Frau wissen, wie wichtig eine ordentliche<br />
Rute ist. Auch die Angelbekleidung lässt in<br />
hohem Maße zu wünschen übrig.<br />
Auf investigative Nachfrage unseres<br />
FUNZEL-Fischfachmanns gab Fräulein<br />
Gabi allerdings bekannt, dass sie überhaupt<br />
nicht an Wassergetier interessiert<br />
sei. Vielmehr sitze sie nur an, um Fischers<br />
Fritze zu erbeuten. Na, dafür, so unser<br />
Fischexperte erleichtert, sei die Angel -<br />
bekleidung völlig ausreichend! ru/ke<br />
Immer dasselbe<br />
Der Redakteur suchte die<br />
Zeitung von vorne bis hinten<br />
durch, aber er sah seinen<br />
Text einfach nicht.<br />
Auf der Kommentarseite<br />
konn te er ihn ebenso wenig<br />
finden wie im Vermischten.<br />
Auch bei den<br />
Fotos war der Text nicht<br />
untergekommen, denn<br />
die fanden ihn nicht bildhaft<br />
genug. Im Impressum<br />
gab’s für ihn nicht genug<br />
Platz, dem Feuilleton<br />
mutete er zu ungebildet<br />
an, und die Sportseiten<br />
fanden ihn zu umfänglich.<br />
Auch die Lokalberichterstattung<br />
wollte sich mit<br />
ihm nicht abgeben, denn<br />
er trank keinen Alkohol.<br />
Und fürs Wetter war er<br />
nicht wechselhaft genug.<br />
Den Meinungsseiten erschien<br />
er zu sachlich und<br />
den Verkehrsmeldungen<br />
nicht richtig verkehrt.<br />
Selbst bei den Anzeigen<br />
wollten sie ihn nicht haben,<br />
denn er war weder<br />
verstorben, noch entlaufen<br />
oder zu vermieten.<br />
Aber halt! Bei den Jubiläen<br />
kam unserem Text<br />
schließlich die rettende<br />
Idee. Er musste einfach<br />
100 Jahre warten, und<br />
dann würden sie ihn doch<br />
zum Gedenktag drucken!<br />
Gesagt, getan. Auf den<br />
Tag genau 100 Jahre später<br />
kam es tatsächlich zur<br />
Drucklegung. Aus Versehen<br />
platzierte man den<br />
Text zwar beim Fernsehprogramm,<br />
aber das merk -<br />
te kein Mensch.<br />
Dort stand nämlich<br />
schon seit über 200 Jahren<br />
immer dasselbe.<br />
ub<br />
Der Berliner Strichjunge<br />
Marcel J.<br />
geriet nur kurz ins<br />
Straucheln.<br />
Schuld war ein<br />
neues Schlagloch.<br />
ub / ss
Der Geburtstag<br />
Nach vier Jahren war es endlich<br />
wieder so weit: Schalti,<br />
der Schalttag, konnte Geburtstag<br />
feiern! Schalti war<br />
außer sich vor Glück,<br />
klatschte in die Hände und<br />
sang vor Freude und Aufregung.<br />
Das durfte er auch,<br />
denn er war schließlich der<br />
Benjamin unter den 366 Tagen,<br />
das Küken, das Fohlen,<br />
das Nesthäkchen. Alle anderen<br />
waren viermal so alt<br />
und schauten mit freundlicher<br />
Nachsicht zu, wie<br />
Schalti herumalberte, lachte<br />
und tanzte. Sie achteten nur<br />
darauf, dass er dabei immer<br />
hübsch auf seinem Platz<br />
blieb, sich nicht etwa unbemerkt<br />
irgendwo im Kalender<br />
herumtrieb und plötzlich,<br />
»Ätschi-Bätschi!«, einem<br />
anderen Tag den<br />
Schwarzen Peter unterjubelte.<br />
Von 365 Tagen wussten<br />
364 nicht, dass das<br />
schon mal passiert war.<br />
pk<br />
D a s - F u n z e l - P o l i t b a r o m e t e r<br />
Piraten weiter auf dem Vormarsch<br />
MENSCH<br />
& NATUR<br />
von Hellmuth Njuhten<br />
Die Wahrheit<br />
zum Wandel<br />
aw<br />
ub / ss<br />
I m m e r m i t<br />
d e r R u he!<br />
Die Polizei hat<br />
beschlossen, den<br />
Lärmschutz künftig<br />
mit aller Entschiedenheit<br />
durchzusetzen.<br />
Zu diesem<br />
Zweck soll nachts<br />
endlich mehr Blaulicht<br />
und Martinshorn<br />
eingesetzt<br />
werden. ub / ss<br />
Immer wieder wird uns der<br />
schöne Klimawandel madig<br />
gemacht: Mal steigt angeblich<br />
der Meeresspiegel,<br />
dann wieder schmelzen die<br />
Eisschollen, oder es gibt<br />
Stürme, die sämtliche Dauerwellen<br />
demolieren. Dabei<br />
ist alles halb so schlimm:<br />
Unser Funzel-Reporter hat<br />
letzten Februar in Berlin<br />
(Hintergrund) dieses herzige<br />
Trio fotografiert: Frau<br />
Elfriede P. trägt eine völlig<br />
intakte Dauerwelle, und Eisbär<br />
Knut trägt die Erderwärmung<br />
dank neuem Job mit<br />
Begeisterung. Nur Ehemann<br />
Erwin (vorn links) ist durch<br />
die ständige Sonneneinstrahlung<br />
etwas eingelaufen.<br />
Trotzdem trägt er seinen<br />
Ehering noch immer mit<br />
Würde.<br />
ub/if<br />
D a s - F u n z e l - M a n a g e r m a g a z i n<br />
Aktien und Gold sind was<br />
für Habenichtse, Weich -<br />
eier und Linksträger. Wer<br />
wirklich absahnen will,<br />
wartet, bis eine Inflation<br />
im Anmarsch ist. Dann<br />
jede Menge Kredite aufnehmen,<br />
Lagerhalle mieten<br />
und rein mit der<br />
Kohle!<br />
Wenn dann die Inflation<br />
kommt, Fäustchen machen<br />
und reinlachen!<br />
Dann ist zwar alles weg,<br />
aber die Schulden auch!<br />
wo<br />
D e r - F u n z e l - R a t g e b e r A u t o<br />
Alle Fahrer, die ein Automatikgetriebe im Auto haben,<br />
sollten dieses unbedingt in der Garage lassen. Wir haben<br />
nämlich ein Schaltjahr!<br />
ub / ss<br />
G r o ß e - F u n z e l - E r f i n d u n g e n ( X I )<br />
gf<br />
ar<br />
Jahrelang wurde die<br />
Soko »Sokrates« für den<br />
Dialog am Bürger rhetorisch<br />
geschult. Unter<br />
dem Motto »Dialoge führen<br />
– und gewinnen«<br />
hatte sie alles Nötige<br />
trainiert: modulierte<br />
Lautstärke, korrekte Artikulation<br />
und dosierte<br />
Pausensetzung bei der<br />
Beweismittelaufnahme,<br />
überzeugende Metaphernanwendung<br />
bei<br />
der Wohnungserstürmung<br />
und massiven Ironieeinsatz<br />
bei allgemeinen<br />
Verkehrskontrollen.<br />
Und dann das: Niemand<br />
Funzel-<br />
RÄTSEL<br />
So ein Mist! Jetzt fährt auch<br />
noch mein Freund<br />
will mit den Beamten reden.<br />
Gesprächsunwillige<br />
Bürgerinnen und<br />
Bürger huschen schweigend<br />
vorbei. Doch zum<br />
Glück sind die gelernten<br />
Dialektiker auch in nonverbaler<br />
Kommunikation<br />
geschult. Mit ihrer<br />
Körpersprache schaffen<br />
sie es, den Dialog herbeizuführen:<br />
»Eine<br />
druff?« – »Nein!« – »Das<br />
ist Widerstand gegen<br />
die Staatsgewalt. Und<br />
zack!« – »Aaarrgghh.<br />
Röchel.« Man kann<br />
eben über alles reden.<br />
cd / hn<br />
!<br />
gs<br />
Tauschbörse<br />
Gewalt<br />
gegen<br />
Sachen<br />
Kriki<br />
I M P R E S S U M :<br />
Aus den Augen –<br />
aus dem Sinn, aber<br />
aus dem <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong> –<br />
ohne Sinn, wissen die<br />
FUNZEL-Mitarbeiter<br />
Archimura, Utz<br />
Bamberg, Carlo Dippold,<br />
Klaus Ender, imagefap,<br />
Peter Köhler, Kriki,<br />
Hellmut Naderer, Wolfgang<br />
Oschinger, Günter<br />
Schön, Siegfried<br />
Steinach, Reinhard<br />
Ulbrich und Angela<br />
Wahl.
Anzeigen · Veranstaltungen<br />
TICKETLINE: (030) 5 42 70 91<br />
So<br />
1.4.<br />
10.30<br />
Fr<br />
13.4.<br />
20.00<br />
Sa<br />
14.4.<br />
15.00<br />
Di<br />
17.4.<br />
17.00<br />
Sa<br />
21.4.<br />
15.00<br />
Sa<br />
21.4.<br />
20.00<br />
Sa<br />
28.4.<br />
19.00<br />
„PITTIPLATSCH<br />
AUF REISEN“<br />
Ein Programm für die ganze Familie<br />
mit Pittiplatsch und seinen Freunden<br />
„WENN DIE NEUGIER<br />
NICHT WÄR …“<br />
Der besondere Talk von und mit<br />
Barbara Kellerbauer.<br />
Zu Gast: Lutz Stückrath<br />
ALENKA GENZEL &<br />
FRANK MATTHIAS<br />
und das Ensemble Esprit Berlin<br />
„Das Frühlingsfest der Operette“<br />
„SIBIRIEN – BAIKAL<br />
UND ALTAI“<br />
Dia-Ton-Show von und mit<br />
Nina & Thomas Mücke<br />
MUSIKALISCHER SALON<br />
Ludwig van Beethoven<br />
erstes und letztes Streichquartett<br />
„DUELL IN SANSSOUCI!“<br />
FRIEDRICH II. – VOLTAIRE<br />
Ein musikalisches-theatralisches<br />
Duell mit Dieter Mann, Gunter<br />
Schoß u.a. Musik von Friedrich<br />
dem Großen<br />
DONEGALS IRISH<br />
DANCE BERLIN<br />
„Elements“ – Irish Dance Show<br />
An der Markthalle 1-3<br />
09111 Chemnitz<br />
54 EULENSPIEGEL 4/12
Satirisches Theater und Kabarett e.V.<br />
Ratskeller/ Marktplatz 2a · 15230 Frankfurt/Oder<br />
www.oderhaehne.de<br />
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April 2012<br />
Lügen schaffts Amt<br />
5./6./7./14./18. (15 Uhr) und 26. April<br />
2012<br />
Spärlich währt am längsten<br />
20. und 27. April<br />
Spinner For One<br />
21. und 28. April 2012<br />
Zeig mir mal dein Sommerloch<br />
12. April 2012<br />
Gastspiel am 01. April<br />
Lothar Bölck - Premiere<br />
„Kommt mir doch nicht so!“<br />
Gastspiel am 19. April<br />
Martin Buchholz<br />
„Hier stehe ich! Ich kann nicht anders!“<br />
Vorstellungsbeginn<br />
ist um 20 Uhr im Ratskeller<br />
Ticket-Hotline: 03 35 / 23 7 23<br />
<br />
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Lügen schaffts Amt<br />
mit Marion Bach und Hans-Günther Pölitz<br />
Kommt mir doch<br />
nicht so!<br />
mit Lothar Bölck a.G.<br />
PREMIERE<br />
am 3. April, 20 Uhr<br />
GASTSPIELE<br />
Peter Bause<br />
„Man stirbt doch nicht<br />
im dritten Akt“<br />
14. April, 20 Uhr<br />
Zara Arnold<br />
„Alles Irrtum – oder wie?“<br />
27. April, 20 Uhr<br />
Der Spielplan: www.zwickmuehle.de<br />
Magdeburger Zwickmühle<br />
Leiterstraße 2a, 39104 Magdeburg<br />
Telefon: (03 91) 5 41 44 26<br />
EULENSPIEGEL 4/12 55
Musste auch mal gesagt werden!<br />
Aus: »Lausitzer Rundschau«<br />
Einsender: Jean Großmann, per E-Mail<br />
Für Legal-Legastheniker.<br />
Aus: »Wettersbacher Anzeiger«, Einsender: Markus-L. Rabold, Karlsruhe<br />
(Sprachlicher Zugang wird nicht erleichtert.)<br />
Internet-Werbung für ein Fernsehgerät, Einsender: Otto Salomon, per E-Mail<br />
Ihr Geographielehrer<br />
war ein Chilene<br />
aus Peru.<br />
Aus: »BZ«<br />
Einsender:<br />
Axel Naumann, Berlin<br />
Anschließend bekam der Hai<br />
die Rettungsmedaille.<br />
Aus: »Ostthüringer Zeitung«<br />
Einsender: Jens Hild,<br />
Großeutersdorf<br />
Deshalb heißt es »sinkender Aktienkurs«!<br />
Aus: »Leipziger Volkszeitung«<br />
Einsender: Richard Jawurek, Markkleeberg<br />
Mal mit anderem Körperteil versuchen!<br />
Aus: »BZ«<br />
Einsender: Alex Mann, Berlin<br />
Ist ja süss!<br />
Aus: »Leipziger Volkszeitung«<br />
Einsenderin: Dr. Ursula Mickley,<br />
Delitzsch<br />
Kein Wunder!<br />
Aus: »Bild.de«, Einsender: Andre Müller, per E-Mail<br />
Es grüßt der dankbare Chef.<br />
Aus: »Freie Presse«<br />
Einsender: B. Solbrig, Oelsnitz/E.<br />
Selbst gezählt!<br />
Aus: »Stuttgarter Zeitung«<br />
Einsender: J. Mattern, Potsdam<br />
Wenn er schlecht zu Fuß ist ...<br />
Aus: »Freie Presse«<br />
Einsender: Klaus Häusser, per E-Mail<br />
Für wem?<br />
Aus: »Neues Deutschland«<br />
Einsenderin: Anne-Marie Rubel, Berlin<br />
Doppelbeschiss.<br />
Aus: »Atelier Goldner Schnitt«<br />
Einsenderin: Sigrid Schulze, Berlin<br />
Mancher nimmt es sogar ohne Dank bar.<br />
Homepage des »Zukunftbund Leipzig e.V.«, Einsenderin: Barbara Seidel, per E-Mail<br />
Und kräftig mit dem Schwanz wedeln!<br />
Aus: »Neues Deutschland«<br />
Einsender: Harald Ockert, Neuenhagen, u. a.<br />
56 EULENSPIEGEL 4/12
Fehl anzeiger<br />
Nächste Woche: Infoabend wegen Grammatikschwäche.<br />
Aus: »Märkischer Markt«, Einsender: Jürgen Klötzer, Müncheberg<br />
Poetische Kostbarkeit<br />
Aber nicht jeden!<br />
Secondhand-Laden in Hagen/Westf., Einsender: Manfred Kopka, Schalksmühle<br />
Mit seinem Pfleger.<br />
Aus: »Märkische Oderzeitung«<br />
Einsender: Jürgen Stapf, Erkner<br />
Da blüht einem was.<br />
Etikett aus dem Gartencenter Ostmann, Stuhr<br />
Einsender: Frank Mosler, Delmenhorst<br />
Aus: »Leipziger Volkszeitung«<br />
Einsender: Dr. Rolf Kleber, Markkleeberg, u. a.<br />
Und wer viel schludert, kann schnell fehler.<br />
Aus: »Anzeigenkurier Neubrandenburg«, Einsender: Detlef Gebühr, Neustrelitz<br />
Hoffentlich ohne Boilen!<br />
Aus: »Märkische Allgemeine«<br />
Einsender: Dr. Reinhard Stamm,<br />
Ludwigsfelde<br />
Wahrscheinlich nach Osteuropa.<br />
Aus: »Mitteldeutsche Zeitung«<br />
Einsender: Dr. Friedhelm Kilz, Möllensdorf<br />
Bildredaktion: Blindschleiche vom Dienst.<br />
Aus: »Meininger Tageblatt«, Einsender: Tino Arndt, Wasungen, u. a.<br />
Diarrhoe ist sogar schon ausverkauft!<br />
Aus: »Gäubote«, Einsender: R. Rottke, Herrenberga<br />
Übersichtliche Raumaufteilung!<br />
Aus: »Bornaer Stadtjournal«<br />
Einsenderin: Helga Müller, Borna<br />
EULENSPIEGEL 4/12 57
Herr Schilz geht ins Theater<br />
Die Klasse meines Sohnes<br />
besucht das zwar nicht hiesige,<br />
aber naheliegende,<br />
also quasi das um die<br />
eckige Nationaltheater. Der<br />
Sohn erkrankt rechtzeitig<br />
und fiebrig. Da ich die Karte<br />
ohnehin bezahlen muss,<br />
gehe ich stellvertretend hin.<br />
Das Stück? Kenne ich aus<br />
meiner Schulzeit und ist eigentlich<br />
egal. Gut, der Vollständigkeit<br />
halber: Der Besuch<br />
der alten Dame.<br />
Im Foyer: Die Masse der<br />
Schüler, aus dem Landkreis<br />
zusammengetrieben, setzt<br />
sich in Bewegung. Viele haben<br />
Ohrhörer in den Ohren,<br />
zeigen einander Schweinereien<br />
auf ihren Handys und<br />
iPhones oder fotografieren<br />
damit wild in der Gegend<br />
rum. Ich winke für ein Foto<br />
und sage: »Ich war auch<br />
hier.«<br />
Ich sitze weit hinten, aber<br />
wenigstens außen. Meinem<br />
Sohn hätte dieser Platz gefallen,<br />
denn er ist schnell<br />
gelangweilt und geht gern<br />
sofort wieder. Vor meiner<br />
Nase platzieren sich zwei<br />
türkische und ein deutsches<br />
Mädel, das Trio der<br />
Sitzriesinnen, aufgedonnert<br />
wie zum Fastenbrechen.<br />
Die Mittlere: »Scheiße,<br />
Brille vergessen!«<br />
Lehrerin: »Schau mal,<br />
Ayla, da vorn sind noch ein<br />
paar Plätze frei. Aber bitte<br />
das nächste Mal ohne<br />
Scheiße, ja!«<br />
Das Licht geht aus, nur<br />
noch die Displays der diversen<br />
Telekommunikationsgeräte<br />
leuchten in den Reihen.<br />
60 EULENSPIEGEL 4/12<br />
Das Starthilfekabel ...<br />
Das Trio taucht in die Gummibärchentüten<br />
und loggt<br />
sich auf Twitter ein: »Bin<br />
Theater, voll scheiße hier.«<br />
Wir sehen sparsam ausgestattetes<br />
Kammertheater.<br />
Die Möbel erkenne ich wieder<br />
– sie stammen aus meiner<br />
Schüleranrechtsvorstellung<br />
vor dreißig Jahren.<br />
Sehr mutige Neuerungen:<br />
Neonröhren sowie Diaprojektionen,<br />
oder heißt das<br />
jetzt Powerpointer? Videoschnipsel,<br />
die uns sagen<br />
sollen, dass das Stück auch<br />
heute spielen könnte. Dabei<br />
spielt es doch gerade<br />
in diesem Moment: Odenwaldschule,<br />
raffgierige Banker,<br />
die lächerliche FDP.<br />
Mein Gott, wie modern ist<br />
doch dieser Dürrenmatt!<br />
Die Botschaft des Abends<br />
ist so originell (bzw. mutig<br />
oder schockierend) wie ein<br />
vergorener Windbeutel: Alles<br />
hat seinen Preis, der<br />
Mensch ist des Menschen<br />
Wolf, wir sind »eigentlich«<br />
… könnte jetzt eigentlich<br />
zurück ins Keller- oder Garagenregal.<br />
Aber das muss<br />
nicht sein.<br />
Wenn der Ehegatte mal<br />
früh nicht rauskommt,<br />
dann hilft das Starthilfekabel.<br />
Man befestigt es an<br />
seinem Pluspol, den SIE<br />
natürlich kennen sollte.<br />
An Schlaf ist da auch für<br />
die größte Schnarchnase<br />
nicht mehr zu denken. Ob<br />
man jetzt noch eine geladene<br />
Starterbatterie an<br />
die anderen Kontakte<br />
klemmt, hängt ein bisschen<br />
von den persönlichen<br />
Vorlieben beider<br />
Partner ab (Achtung, in<br />
solchen Sachen immer einvernehmlich<br />
handeln und<br />
Signale vereinbaren, wann<br />
es einem Partner zu viel<br />
wird). Es ist nicht jeden<br />
Manns Sache, wenn man<br />
ihm wehtut. Bei Frauen ist<br />
das auch so. Wenn die<br />
Kopfschmerzen haben,<br />
nehmen sie zum Beispiel<br />
Spalttabletten. Denn Spalt<br />
schaltet den Schmerz ab.<br />
Umgekehrt gilt das aber<br />
auch.<br />
Ove Lieh<br />
Ari Plikat<br />
alle Tiere, und der Kapitalismus<br />
ist irgendwie – ja,<br />
scheiße. »Immer noch<br />
scheiße hier« wird vor mir<br />
getwittert. Der Typ stirbt am<br />
Schluss, aber dafür braucht<br />
er mehr als 120 Minuten, inklusive<br />
einer endlosen<br />
Pause im Foyer, die wieder<br />
unter Ohrstöpseln verbracht<br />
wird.<br />
Von den routiniert und<br />
nahezu fehlerfrei aufspielenden<br />
Akteuren gibt es<br />
Nerviges, aufgesetzt und<br />
unnatürlich wirkendes<br />
Frontalspiel, Rampengetöse<br />
und wirres Geschrei.<br />
Die Mittlere: »Ey guck<br />
ma, der notgeile Alte hinter<br />
uns! Aber nicht umdrehen!«<br />
Die Sitzzwerginnen<br />
links und rechts drehen<br />
sich langsam nicht um: »Hi<br />
hi hi hi.«<br />
Lehrerin: »Schhhhhttt!«<br />
Ein Seiteneingang öffnet<br />
sich. Schritte und sehr diskrete<br />
Stimmen. Es steht<br />
uns einer der in modernen<br />
Vorsicht, bewaffnete Alte!<br />
Der Spazierstock, den Tattergreise<br />
früher als Gehhilfe<br />
nutzten, wenn sie über<br />
Inszenierungen unvermeidlichen<br />
»überraschenden«<br />
Auf tritte aus dem Parkett<br />
bevor.<br />
Die Linke: »Boah, jetzt<br />
müsst ihr euch gleich die<br />
Oaahn zuhaldn!«<br />
Die Mittlere: »Au Mann<br />
ey, Scheiße!«<br />
Auftritt Blaskapelle quer<br />
durch den Zuschauerraum:<br />
»Wenn ich einmal reich<br />
wär«. Theaterästhetisch<br />
sehr mutig, sehr anspielungsreich,<br />
jedoch mit kleinen<br />
Unsicherheiten im tiefen<br />
Blech, vertreten hier<br />
durch eine einsame Posaune,<br />
wahrscheinlich eine<br />
Krankheitsvertretung. Fünf<br />
Minuten vor Schluss gehen<br />
holprige Pflasterwege<br />
schlurften, wird immer häufiger<br />
als äußerst gefährliche<br />
Schlagwaffe eingesetzt.<br />
Viele Omas nutzen auch<br />
ihre Handtasche zur Selbstverteidigung<br />
und stopfen<br />
vorher, zur Erhöhung der<br />
Schlagkraft, Zweikilohanteln<br />
hinein. Der Regenschirm<br />
findet als Rettungsschirm<br />
Verwendung. Neulich<br />
auf der Prager Straße:<br />
Mit brutaler Entschlossenheit<br />
rammte eine alte Dame<br />
einem Handtaschenräuber<br />
die Spitze ihres Schirmes<br />
in den Anus, wobei sie dem<br />
Flüchtenden hinterherrief:<br />
»Das nächste Mal spanne<br />
ich ihn auf!« U.S. Levin<br />
Wenn es donnert im Mai,<br />
ist Ostern vorbei.<br />
Lo Graf von Blickensdorf<br />
alle drei nach einer etwa<br />
zehnminütigen Verabredungsphase<br />
mitten im Text<br />
Pipi, und ich habe freie<br />
Sicht. Dann schleichen sie<br />
sich wieder zurück, rascheln<br />
mit ihren aufgefrischten<br />
Frisuren und loggen<br />
sich wieder ein.<br />
Kurzer, dünner Schlussapplaus.<br />
Fragt mich die<br />
Lehrerin: »Und, wie fanden<br />
Sie es, Herr Schilz?«<br />
»Scheiße«, sagt Ayla, die<br />
mitgehört hat, im Vorübergehen.<br />
Aber ich denke: Das bessere<br />
Stück hat sich direkt<br />
vor mir abgespielt. Vielleicht<br />
gehörte das Trio ja<br />
auch zum Ensemble und<br />
war raffiniert in die alte<br />
Dame infiltriert. Egal: Theater<br />
muss sein!<br />
Alexander Schilz<br />
Messie-Sonett<br />
Wenn wer, wie ich, äh, keine Laster pflegt,<br />
betrunken nie und nicht verlogen, fromm,<br />
halb Caritas, halb, ähh … halb terre des hommes<br />
enthaltsam triebgemindert ausgelegt …<br />
… ja, der vermisst doch viel, hat überlegt,<br />
sich Laster zuzulegen einerseits,<br />
doch nicht erpicht auf Kosten andrerseits,<br />
infolgedes auf Messie festgelegt.<br />
Sehr gut die Wahl – und leicht und schnell zu machen.<br />
Gewiss, auch dafür braucht’s ne Spur Talent.<br />
Vor allem aber erstmal: viele Sachen!<br />
Sie sind der neuen Ordnung Fundament.<br />
Sie sollten sie recht schnell verhundertfachen.<br />
Schon sieht’s voll scheiße aus – mein Kompliment!<br />
Andreas Greve
Anzeige
Andreas Prüstel Anjo<br />
DJ Peejay<br />
Peter Thulke<br />
Lothar Otto<br />
62 EULENSPIEGEL 4/12
Schwarz auf<br />
weiss<br />
Harm Bengen<br />
EULENSPIEGEL 4/12 63
LMM 1473 … Leser machen mit 1 2 3 4 5 6 7<br />
8<br />
9 10 11<br />
12<br />
13 14<br />
15 16 17<br />
18 19<br />
Liefern Sie uns zu dieser Zeichnung eine witzige Unterschrift. Für die<br />
drei originellsten Sprüche berappen wir 16, 15 und 14 €.<br />
LMM-Adresse: <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong>, Gubener Straße 47, 10243 Berlin<br />
oder per E-Mail an: verlag@eulenspiegel-zeitschrift.de<br />
Absender nicht vergessen!<br />
Kennwort: LMM 1473 · Einsendeschluss: 2. April 2012<br />
LMM-Gewinner der 1472. Runde<br />
Ins Schwarze trafen:<br />
»Vermasseln Sie<br />
nicht Ihren Einsatz!«<br />
U. Berger,<br />
Wusterwitz<br />
»Bitte mit Schalldämpfer<br />
– er hat<br />
das absolute Gehör.«<br />
Ulrike Müller, Dahlwitz-Hoppegarten<br />
»Denk dran – nur<br />
die Arschgeige!«<br />
Christoph Jolitz,<br />
Internet<br />
Zeichnungen: Heinz Jankofsky<br />
20 21 22<br />
23<br />
24 25<br />
Waagerecht: 1. Bond II, 5. lateinischer<br />
Kreis, 8. entrann dem Promidasein,<br />
9. unbekannte Dimension für<br />
Flachzangen, 10. Städteverbindung<br />
Oschersleben-Ballenstedt-Ilmenau,<br />
12. siedelt im Colliestall, 13. Cash ist<br />
kürzer und besser, 15. frommes Malaiengenußmittel,<br />
18. zieht Öl oder<br />
Wasser nach sich, 20. Herz der Szenemutter,<br />
21. familiär verstärktes radioaktives<br />
Element, 23. schrieb einen<br />
Pest-Seller, 24. Großteil einer<br />
Wüste, 25. Aufforderung an einen<br />
Piraten.<br />
Senkrecht: 1. serbische Rothaut,<br />
2. Freudenruf vor dem Millionenfachen,<br />
3. abgebrochene Felsklippe,<br />
4. exklusiver Geweihträger, 5. gibt’s<br />
in der Klosterblumenhandlung,<br />
6. belagloser Wangenröter, 7. zieht<br />
Bahn oder Schaft nach sich, 11. amputierter<br />
englischer Schrippenhersteller,<br />
14. Innerei des Freimaurers,<br />
16. wird ausgebracht und gelegentlich<br />
verbrannt, 17. zwei Drittel eines<br />
Hauptstädters, 18. steckt im Kümmelschnaps,<br />
19. Satiregipfelstürmer,<br />
22. entkernter Prunk.<br />
Auflösung aus 03/12:<br />
Waagerecht: 1. Kranz, 4. Dumas,<br />
8. Elena, 9. Lei, 11. Rodeo, 12. Onestep,<br />
13. Ismus, 15. Asche, 17. Händler,<br />
20. Harem, 22. Ani, 23. Agens,<br />
24. Timor, 25. Titel.<br />
Senkrecht: 1. Kilo, 2. Arie, 3. Zeitnehmer,<br />
4. Der Pianist, 5. UNO,<br />
6. Madam, 7. Stoss, 10. Enns,<br />
14. Uden, 15. Achat, 16. Ceram,<br />
18. Last 19. Rial, 21. Ego.<br />
eisterwerke Kunst von EULENSPIEGEL-Lesern, gediegen interpretiert<br />
Klaus Herberth, 17217 Penzlin<br />
Mindestens zweimal im Jahr, wenn<br />
die großen Feste Weihnachten und<br />
Ostern die Gedankenlosen in ihren<br />
Bann schlagen, ist es an den skeptischen<br />
Geistern, diese Feste zu hinterfragen.<br />
In dieser Tradition – mithin<br />
also auch ein aus Vorzeiten übernommenes<br />
Tun, das ebenfalls einmal hinterfragt<br />
werden sollte – stehend,<br />
stellt diese Zeichnung überkommene<br />
Riten auf die Probe und nähert sich<br />
in ihrer Ausführung doch gleichzeitig<br />
dem deutschen Kanon von Natur -<br />
idylle, Osterbrauchtum und sinnierendem<br />
Nager.<br />
Nicht ohne Grund erinnert sie an<br />
Rodins Plastik »Der Denker«, in<br />
der ein muskulöser Dante Alighieri<br />
dargestellt wird. In dieser Variation<br />
desselben Themas begegnet uns der<br />
Philosoph Herbert Marcuse in Gestalt<br />
eines langohrigen Rammlers. Er<br />
hat seine Arbeit unterbrochen und<br />
sich niedergelassen, um sein Tun,<br />
wenn nicht gar seine ganze Existenz<br />
zu reflektieren.<br />
Treu zur Seite steht ihm sein Korb<br />
voller Eier, während er sich auf der<br />
anderen Seite mit »Compluter«,<br />
»Fernsen« und einem – obwohl<br />
noch in der Verpackung befindlich –<br />
aufgebauten Bücherschrank konfrontiert<br />
sieht. Eier werden versteckt,<br />
diese Gewissheit ist dem Hasen nicht<br />
zu nehmen. Doch der abwertend als<br />
»Paketkram« bezeichnete Geschenkehaufen<br />
stellt sich als Problem dar.<br />
Die von der Postmoderne zusammengwürfelten<br />
Bräuche hinterlassen<br />
den Hasen nachdenklich bis resigniert.<br />
Letztlich bleibt die Hoffnung, dass<br />
der Nager seine neue Rolle als Eierverstecker<br />
und Geschenkebringer zusammenzuführen<br />
und zu transzendieren<br />
vermag. Erlösung kann ihm<br />
sonst nur der Jäger bringen.<br />
N. Minkmar<br />
64 EULENSPIEGEL 4/12
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2012_4
Und tschüs!<br />
Burkhard Fritsche<br />
Herausgeber<br />
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Bamberg, Beck, Harm Bengen,<br />
Matthias Biskupek, Lo Blickensdorf,<br />
Peter Butschkow, Carlo Dippold,<br />
Rainer Ehrt, Ralf-Alex Fichtner, Matti<br />
Friedrich, Burkhard Fritsche, Arno<br />
Funke, Gerhard Glück, Barbara<br />
Henniger, Renate Holland-Moritz,<br />
Frank Hoppmann, Rudi Hurzlmeier,<br />
Michael Kaiser, Christian Kandeler,<br />
Florian Kech, Dr. Peter Köhler, Kriki,<br />
Cleo-Petra Kurze, Ove Lieh, Werner<br />
Lutz, Peter Muzeniek, Nel, Robert<br />
Niemann, Michael Panknin, Ari<br />
Plikat, Enno Prien, Andreas Prüstel,<br />
Erich Rauschenbach, Ernst Röhl,<br />
Reiner Schwalme, Felice v. Senkbeil,<br />
André Sedlaczek, Guido Sieber,<br />
Klaus Stuttmann, Atze Svoboda,<br />
Peter Thulke, Erik Wenk, Kat Weidner,<br />
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Für unverlangt eingesandte Texte,<br />
Zeichnungen, Fotos übernimmt der<br />
Verlag keine Haftung (Rücksendung<br />
nur, wenn Porto beiliegt). Für Fotos,<br />
deren Urheber nicht ermittelt werden<br />
konnten, bleiben berechtigte<br />
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Adoptionsbegehren an: <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong><br />
GmbH, Gubener Straße 47,<br />
10243 Berlin<br />
Der nächste EULENSPIEGEL<br />
erscheint am 19. April 2012<br />
ohne folgende Themen:<br />
Frauenquote in Medien gefordert –<br />
Wie viele Praktikantinnen kann der<br />
EULENSPIEGEL vertragen?<br />
Ferres und Maschmeyer heiraten –<br />
Zahlt Wulff die Flitterwochen?<br />
Arbeitskampf an Flughäfen –<br />
Streiken die Tomatensaftkelterer mit?<br />
UN fordern Sondersteuer auf Fette –<br />
Wie viel muss Gabriel zahlen?<br />
66 EULENSPIEGEL 4/12
<strong>Literatur</strong>-<strong>Eule</strong><br />
S p e c i a l z u r L e i p z i g e r B u ch m e s s e
Pubertätslyrik<br />
der Promis<br />
1<br />
MARIO LARS<br />
NATO-Doppel<br />
Gute Frauenliteratur<br />
Kriki<br />
Ich sitze in der Umkleide,<br />
weil ich heute nicht raus mag.<br />
Weil ich aus lauter Angst leide<br />
vorm russischen Atomschlag.<br />
Inhalt<br />
Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harm Bengen<br />
2 Pubertätslyrik der Promis (1) – Boris Becker . . . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />
3 Lesezeichen: Jess Jochimsen<br />
4 Stoff des Jahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Klis / Kat Weidner<br />
5 Pubertätslyrik der Promis (2) – Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />
Auslese: Criminale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Biskupek<br />
6 Ein- und Abfälle / Ein- und Reinfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Köhler<br />
7 Auslese: Mein Leipzig gloob ich mir . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Biskupek<br />
Pubertätslyrik der Promis (3) – Angela Merkel . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />
8 Auslese: Belle triste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Biskupek<br />
10 Falsche Küsse – wahre Liebe? Kafka vs. Rimmer . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />
Das Fräulein stand am Meere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Schäfer<br />
12 Ein Gespräch unter toten Dichtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ove Lieh<br />
Ein Meister der kleinen Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theodor Weiß enborn<br />
13 In der Patsche der Apatschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Köhler<br />
14 Lesezeichen: Tilman Birr<br />
15 Lesezeichen: Julius Fischer<br />
Ich liebe meinen weißen Sport,<br />
kann gegen alle siegen,<br />
doch schwarz wird’s auf dem Center Court,<br />
wenn SS-20 fliegen.<br />
BOOM-BOOM macht’s, wenn ich aufschlag tu,<br />
BOOM-BOOM macht Breschnews Hammer,<br />
der Bobbele bleibt deshalb nu<br />
mal in der Besenkammer.<br />
Uu-uu-uuuuh!<br />
Ich bin nur ein einfacher Junge<br />
aus Leimen und balle die Faust.<br />
Doch das Atom bringt den Tod.<br />
Ääääh?<br />
Boris Becker<br />
veröffentlicht im<br />
monatlichen Vereinsblatt<br />
»Der Aufschlag«, Mai 1982<br />
2 LITERATUREULE 10/11
Lesezeichen: JESS JOCHIMSEN<br />
Was sollen die<br />
Leute denken<br />
Draußen knospt es.<br />
Das lässt sich nicht länger ignorieren.<br />
Wie es draußen knospt. Überall<br />
blüht und sprießt es. Oft mit Vorsatz.<br />
Misslaunig mag ich schon zum Frühstück<br />
erscheinen, mit einem Schild um<br />
den Hals. Auf das Schild habe ich geschrieben:<br />
»NEIN! Ich gehe nicht mit<br />
dir ins Gartencenter!«<br />
Ich weiß, dass das nichts helfen wird,<br />
es im Gegenteil alles schlimmer macht.<br />
Noch schlimmer, als es ohnehin schon<br />
ist.<br />
Aber es bleibt dabei: Ich geh nicht<br />
mit. Ins Gartencenter. Pärchenscheiße!<br />
Wieder Grünzeug kaufen, das dann<br />
letztlich doch nur verwelkt. Und traurig<br />
macht.<br />
Gegen Traurigkeit hilft ein Gartencenter<br />
nämlich nicht, hörst du, dieser<br />
Tempel der Vergänglichkeit. Vergänglichkeit<br />
habe ich zu Hause genug,<br />
schau mich doch an, und dich ... und<br />
deine Cremes.<br />
Sag ich natürlich nicht. Nichts sage<br />
ich. Es ist auch so schon jämmerlich<br />
genug.<br />
Was machen Gartencenter eigentlich<br />
im Winter? Sind die da verpuppte<br />
Baumärkte, die im Frühling schlüpfen?<br />
Nein, Gartencenter haben ganzjährig<br />
geöffnet, rund um die Uhr, weil immer<br />
jemand einen Blumentopf kaufen<br />
will und einen Blumentopfuntersetzer<br />
und einen Blumentopfuntersetzeruntersatz.<br />
Oder Rankpflanzen, mit Kletterhilfen<br />
für Rankpflanzen. Und Rasen<br />
natürlich. »Lass uns mal Rasen kaufen,<br />
Schatz.« Rollrasen, grün wäre im Angebot.<br />
Und Rasenlüfterschuhe, die sind<br />
praktisch. Oder gleich Crocs.<br />
»Die sind ja so leicht, diese Crocs.«<br />
Und hässlich!<br />
Ich will nicht! Die Welt ist ein Gartencenter,<br />
hörst du. Wenn du mal drin<br />
bist, findest du nie wieder raus. Du<br />
liegst apathisch in einem Bett aus Zierpflanzensprays<br />
und um dich herum<br />
trampeln Leute in Crocs vorbei und<br />
sind normal. Und glücklich. Die Welt<br />
ist ein Gartencenter. Da kannst du noch<br />
so viel ins Kissen heulen, dein Kissen<br />
ist ein Sack Tulpenzwiebeln. Und einmal<br />
im Jahr kommt einer zur Inventur<br />
vorbei und scannt dich ab.<br />
Draußen blüht es dir. »Nein, ich gehe<br />
nicht mit ins Gartencenter!«. Sage ich<br />
nicht.<br />
Auch zum Kind sage ich nichts. Dabei<br />
sollte ich. Sollte dem Kind sagen,<br />
dass es keinen Hund kriegt. Weil ich<br />
derjenige bin, der das nicht will.<br />
»Es ist okay, wenn du das nicht willst.<br />
Aber dann sagst du’s auch dem Kind.«<br />
Egal, was du sagst. Ein Kind, das sich<br />
einen Hund wünscht und dem du sagst,<br />
es kriegt keinen, hasst dich.<br />
»Hast du’s dem Kind schon gesagt?«<br />
Nein, ich kann nicht. Ich will nicht.<br />
Ich wollte ... schon das Kind nicht. Damals.<br />
Ich hab damals nachgegeben, diesmal<br />
bist du dran. Bitte. Keinen weiteren<br />
gemeinsamen Pflegefall mehr.<br />
Sag ich natürlich nicht. Nichts sage<br />
ich.<br />
Auch dem Kind nicht. Was soll ich<br />
auch sagen?<br />
»Hund gibt’s keinen, Kind! Such dir<br />
ein Hobby.«<br />
»Ich hasse dich!«<br />
Wie schaffen das die anderen? Die<br />
Normal-Glücklichen? Die Leute mit<br />
den Crocs?<br />
Hunde laufen weg oder werden<br />
krank, eingefangen, überfahren, gegessen<br />
...<br />
In Amerika ist ein Hund von einer<br />
Straßenkehrmaschine weggesaugt<br />
worden. Die Borsten der Maschine haben<br />
den Hund in die Maschine reingefegt.<br />
Auf offener Straße.<br />
Und der war noch an der Leine, der<br />
Hund, sein Frauchen hat nur kurz nicht<br />
aufgepasst.<br />
Das war so eine Rollleine, eine, die<br />
länger wird, wenn man will, und sich<br />
dann wieder automatisch aufrollt,<br />
wenn man einen Knopf drückt. Wie<br />
das Stromkabel vom Staubsauger, so<br />
eine Leine war das. Und das Frauchen<br />
von dem Hund hat immer wieder auf<br />
diesen Knopf gedrückt, aber die Leine<br />
hat sich nicht mehr aufrollen lassen,<br />
und die Frau hat die Leine festgehalten<br />
und ist der Kehrmaschine mit dem<br />
Hund drin nachgelaufen und hat gebrüllt<br />
und geheult und gezogen an der<br />
Leine. Aber die Maschine war stärker.<br />
Du hast keine Chance gegen eine<br />
riesige amerikanische Straßenkehrmaschine<br />
mit einem übermüdeten puertoricanischen<br />
Kehrmaschinenfahrer<br />
drin, der in ohrenbetäubender Lautstärke<br />
Musik hört.<br />
Und der hat ja auch Sorgen. Wie er<br />
die Miete diesen Monat bezahlen soll.<br />
Und wie alles werden soll. Und dass<br />
die Musik auch einmal besser war. Der<br />
hat einfach nichts gemerkt, der Fahrer.<br />
Und der Hund ... Schrecklich. Will<br />
man ja gar nicht wissen, wie es im Inneren<br />
von so einer Straßenkehrmaschine<br />
aussieht.<br />
Aber die Frau wollte das sehr wohl<br />
wissen. Die hat die Straßenkehrmaschine<br />
nämlich verklagt. Und den Fahrer<br />
gleich dazu. Wegen Hundemord.<br />
Und zerstörtem Lebensglück. In Amerika<br />
geht das. Da kannst du gegen alles<br />
klagen.<br />
Weil: Wenn ihr Lebensglück schon<br />
zerstört ist, dann will sie wenigstens<br />
Geld, richtig viel Geld, dann kann sie<br />
sich irgendwann vielleicht einen neuen<br />
UWE KRUMBIEGEL<br />
Hund kaufen und eine bessere Leine,<br />
ein bisschen Glück kann man sich nämlich<br />
kaufen! In Amerika.<br />
Und dann wurde die Straßenkehrmaschine<br />
von den besten Spezialisten<br />
aufgeschraubt. Und obduziert. Wie bei<br />
CSI-Miami, nur in groß. Den Spezialisten<br />
ist das egal, ob die einen Käfer, eine<br />
Leiche oder eine Kehrmaschine in der<br />
Pathologie liegen haben, die finden alles<br />
raus.<br />
Und weißt du, was die rausgefunden<br />
haben? Der Hund hätte das überlebt.<br />
Im Bauch der Maschine. Der hätte<br />
das überlebt!<br />
Wäre er nicht erwürgt worden. Von<br />
der Leine. Weil die Frau die festgehalten<br />
hat, um nichts in der Welt hätte die<br />
Frau die Leine preisgegeben, konnte<br />
sich nicht trennen, die Frau, von ihrem<br />
Lebensglück. Man muss auch mal loslassen<br />
können, Mensch!<br />
Jess Jochimsen:<br />
Was sollen die Leute<br />
denken,<br />
Deutscher Taschenbuch<br />
Verlag, 76 S., 9,90 Euro<br />
LITERATUREULE 10/11 3
Wer als Autor zur<br />
Buchmesse fährt, sollte<br />
größtes Augenmerk auf sein<br />
Handgepäck legen. Unbedingt zu<br />
meiden sind Taschen, in denen<br />
Manuskriptmappen versteckt<br />
sein könnten. Solche Behältnisse<br />
wirken auf Verlagsständler wie<br />
herrenlose Koffer auf die New<br />
Yorker Airport Police.<br />
Überhaupt sollte sich jeder<br />
rechtschaffene Schriftsteller<br />
fragen, was er auf Buchmessen<br />
zu suchen hat. Will er wie<br />
unsereins nur mal nach sehen,<br />
wie der Verlag diesmal sein Buch<br />
unter »ferner liefen« platzierte,<br />
ist das legitim. So viel Masochismus<br />
muss sein.<br />
Auch wer auf kollegiale<br />
Ermutigung hofft, wird nicht<br />
enttäuscht.<br />
Stoff<br />
des<br />
Jahres<br />
Mich empfing der Verleger mit dem aufgeräumten<br />
Spruch, ich könne doch mal einen historischen Roman<br />
schreiben. Zuvor hatte ich mich von zwei gestandenen<br />
Kolleginnen zum Kaffee einladen lassen.<br />
Die eine wollte ein Buch über den Waräger-Fürsten<br />
Rurik oder Ida Pfeiffer anfangen, die andere einen<br />
Roman über Kaiserin Poppaea oder Lenins Nichte<br />
Olga. Ich erinnerte sie daran, dass zur letzten Messe<br />
noch ein Schleimporno angesagt war, zur vorletzten<br />
der Reisebericht eines frommen Wanderers. Gedachte<br />
der Autoren, die daraufhin die Negev durchquert<br />
hatten, die Taklamakan und das Death Valley,<br />
die vom australischen Darwin aus durchs gesamte<br />
Nordterritorium zum Ayers Rock marschiert<br />
waren, mit und ohne Sandalen. Sie alle waren mit<br />
ihren Reisetagebüchern nicht oder zu spät zurückgekehrt,<br />
um noch was loszukriegen. Sie hätten besser<br />
über verschwitzte Bauarbeiter geschrieben, von<br />
denen sie als Elfjährige vergewaltigt worden waren,<br />
oder hätten mit ihren simplen Storys weitermachen<br />
sollen, bis es der Alltag mal wieder auf die Bestsellerlisten<br />
schaffte.<br />
Ich traf Poldi, der seit Jahrzehnten wie kein anderer<br />
die Königsdisziplin der Kritik repräsentierte:<br />
das Verfassen glaubwürdiger Elogen. Autoren zu<br />
verreißen war Sache von Dilettanten. Seine Kunst<br />
war es, das Gute selbst da noch aufzuzeigen, wo es<br />
auch geübte Leser nach wiederholter Lektüre niemals<br />
vermutet hätten.<br />
Lange schon verdächtigte ich ihn über jede und<br />
jeden aus der Branche genauestens Buch zu führen.<br />
Er überblickte stets, wer gerade woran arbeitete,<br />
wie was vorankam. Besser als die jeweiligen Autorinnen<br />
und Autoren wusste er sogar, wer mit wem<br />
geschlafen und wie dabei abgeschnitten hatte. Dennoch<br />
behandelte er alle gleichermaßen als die Genies,<br />
für die sie sich hielten.<br />
»Schreib doch mal was Historisches«, ermunterte<br />
er mich, »zum Beispiel wie du als Schriftsteller angefangen<br />
hast. Die Kommunisten erwarteten doch<br />
vom Nachwuchs noch ganz brutal, dass er es mit<br />
Arbeit versucht, zumindest aber, dass er was erlebt<br />
hatte. Wie kam es denn, dass sie dich druck ten?« –<br />
»Ich war in den Ferien Kartoffeln lesen«, sagte ich,<br />
»und erlebt hatte ich freilich auch was. Ein Mal war<br />
ich beinahe verliebt.«<br />
Poldi überhörte das glatt; er hatte wohl eine zu<br />
genaue Vorstellung davon, wo er mich hin haben<br />
wollte.<br />
»Drüber zu schreiben, dass einem nichts einfällt,<br />
obwohl man Dichter ist, galt doch bestimmt als dekadent«,<br />
er hob den Daumen, um die Argumente<br />
aufzuzählen, die es jedem anständigen Autor eigentlich<br />
unmöglich gemacht haben müssten, zu debütieren.<br />
»Vampire und Zauberer wurden wahrscheinlich<br />
als krasser Humbug abgelehnt«; der Zeigefinger<br />
streckte sich. »Und – Punkt drei – wer abschrieb,<br />
ging in den Gulag. He, das ist doch ein Stoff!«<br />
»Du hast dich belesen«, räumte ich ein, doch Poldi<br />
überhörte auch das.<br />
»Literarisch tabu waren bei euch ja sogar Slipeinlagen,<br />
Tampons und Fäkalien.«<br />
»Schon Scheiße«, gab ich zu.<br />
»Aber nicht alles war schlecht, oder?« Poldis Fragerei<br />
erreichte die Zielgerade.<br />
»Klar«, sagte ich, »man konnte hundert Meter in<br />
jede Richtung gehen, ohne einem Schriftsteller in<br />
den Weg zu treten. Keine Hausfrau schrieb Henri-<br />
Butter-Romane, kein Boxer ging k.o., weil er über<br />
die Autobiographie nachdachte. Den Fußballern<br />
reichte es noch, auf dem Platz rumzutollen.«<br />
»Genau!«, soufflierte Poldi. »Weniger Autoren, weniger<br />
Bücher. Wenn du heuer en vogue bleiben willst,<br />
musst du schneller schreiben, als du lesen kannst.<br />
Mach hinne!«<br />
Er nahm mir die Hand von der Schulter, um Amy<br />
zu umarmen, die Jüngste der Häschenschule, die<br />
mit ihrem Rucksack und der Selbstgedrehten hinterm<br />
Ohr gerade an uns vorbeistiefeln wollte. Ich<br />
hörte sie nur auflachen ob seiner Frage nach dem<br />
historischen Thema – das Aus für den Stoff des<br />
Jahres.<br />
Rainer Klis<br />
Zeichnung: Kat Weidner<br />
4 LITERATUREULE 10/11
Pubertätslyrik<br />
der Promis<br />
Ach Gott, bin ich ein armer Gott –<br />
so jung und keine Tussi,<br />
im Weltraum gibt es jeden Schrott,<br />
doch leider keine Pussi.<br />
Schön ist das reine Sonnenlicht,<br />
schön ist der Sternenglanze,<br />
im Innersten berührt’s mich nicht:<br />
Ich denke mit dem Schwanze.<br />
Straßen der Besten<br />
Wie der <strong>Literatur</strong>kritiker des <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong>,<br />
Matthias Biskupek, so wohn te auch<br />
Friedrich Schiller Ende des 18. Jahrhunderts<br />
in der heute nach ihm benannten<br />
Straße. Dort fand der Dichter sein<br />
Glück in Form einer Menage à trois,<br />
2<br />
Logos-Erektion<br />
Die Abende sind mächtig öd,<br />
mir fehlen geile Schicksen.<br />
So langsam wird’s mir hier zu blöd,<br />
allein kann man nur wichsen!<br />
Gott<br />
veröffentlicht im »Urknall«<br />
zu Anbeginn aller Zeiten<br />
Michael Kaiser<br />
wie Biskupek, grün vor Neid, zu berichten<br />
weiß. Anerkenend resümiert er:<br />
»Friedrich Schiller ist gewiss der größte<br />
Dichter der deutschen Zun ge! Ich bin<br />
stolz, dass seine Straße mei nen Namen<br />
trägt.«<br />
Jan Cornelius<br />
Fischmarkt in Rudolstadt: Matthias Biskupek (r.) beim Erwerb<br />
frischer Schillerlocken.<br />
FOTO: MICHAEL GARLING<br />
Biskupeks Auslese<br />
Criminale<br />
Eine Zeit lang schrieben Verlage auf jedes<br />
Buch »Kriminalroman«. War verkaufsfördernd.<br />
Neuerdings werden Krimis<br />
zu »Romanen« befördert. Bei Robert<br />
Brack hieß »Blutsonntag« – eine<br />
Geschichte aus dem Hamburg von<br />
1932 mit der jungen Klara Schindler<br />
als privater Ermittlerin – »Kriminalroman«.<br />
Jetzt ermittelt Klara Unter dem<br />
Schatten des Todes (Nautilus) zum<br />
Reichstagsbrand von 1933 – als »Roman«.<br />
Brack hat mit seiner Detektivin Lenina<br />
Rabe schon »linksradikale Agitprop-Krimis«<br />
(Einschätzung: Robert<br />
Brack) verfertigt. Jetzt also soll Klara<br />
für ihren Auftraggeber, die verbotene<br />
KPD, herausfinden, was es mit dem<br />
Brandstifter Marinus van der Lubbe<br />
auf sich hat. »Die Historiker haben den<br />
Reichstagsbrand nur verschieden interpretiert,<br />
es kommt aber darauf an, den<br />
Blick zu verändern. Bis heute sind weder<br />
die genauen Tatvorgänge, noch die<br />
Hintergründe, noch die Täter definitiv<br />
bekannt.« O-Ton Brack in der Nachbemerkung.<br />
Klara, eine Person, die gern Männerkleidung<br />
trägt und auch sonst offen lesbisch<br />
lebt (wir schreiben das Jahr 1933!),<br />
reist als englische Journalistin nach Berlin<br />
und bekommt alsbald Zutritt zum<br />
Reichstag, zum Obdachlosenheim des<br />
van der Lubbe, zu dessen Freundin, zu<br />
einem Netzwerk verschiedener linksradikaler<br />
Grüppchen zwischen den Schrebergärten<br />
im eisigen Spätwinter. Klara<br />
drängt in proletarische Männerkneipen,<br />
in die Residenzen lustbetonter SA-<br />
Schickeria und die Absteigen anarchistischer<br />
Künstler. Alles trefflich beschrieben<br />
– eigentlich aber geht es dem Autor<br />
wohl darum, die verschiedenen, einander<br />
bekämpfenden linken Sekten<br />
vorzuführen, unter denen die »Stalinisten«<br />
(sagte man damals so, um die KPD<br />
zu bezeichnen? Hieß die nicht eher<br />
»moskauhörig«?) die größte ist.<br />
Statt krimi-üblicher Täter-Entlarvung<br />
findet Klara heraus, dass van der<br />
Lubbe weder Depp noch Nazi-Agent,<br />
sondern ein von allen Seiten benutzter<br />
Idealist war. Der Leser hingegen soll<br />
»die Unfähigkeit der autoritär geführten<br />
Arbeiterparteien die heraufziehende<br />
Katastrophe zu verhindern« (Originalton<br />
Autor) erkennen und in künftigen<br />
politischen Kämpfen beherzigen.<br />
★<br />
Aus dem fernen Japan ist nach zwanzig<br />
Jahren der Krimi Feuerwagen<br />
(be.bra) bei uns dank des Übersetzers<br />
Ralph Degen angekommen. Als »Roman«.<br />
Die damals junge Autorin<br />
Miyabe Miyuki hat seither Dutzende<br />
Romane und Erzählungen veröffentlicht,<br />
die mal als Thriller, mal als historische<br />
Krimis firmierten.<br />
Das Buch hat alles, was ein Krimi<br />
braucht: Einen polizeilichen Ermittler<br />
(mit dem erst jetzt in Mode kommenden<br />
Handikap), eine plötzlich verschwundene<br />
Frau, die Wirren japanischer<br />
Firmengeflechte, Schulden sowie<br />
Schuld und Sühne. Der an Japan interessierte<br />
Leser wird gelegentlich japanische<br />
Schriftzeichen im Text finden,<br />
ein Glossar mit Erklärungen zu Speisen<br />
und japanischen Reisstrohmatten<br />
und auch eine Liste der wichtigsten<br />
Personen und ihrer Verwandtschaftsverhältnisse.<br />
Das ist bei der hier gepflegten Erzählweise<br />
nötig. Wer um die japanische<br />
Teezeremonie weiß, kann ahnen,<br />
wie es im Buch zugeht. Gemächlich.<br />
Gemessen. Formal. Alles kommt an<br />
die Reihe. Man muss sich nur »mit Ausdauer<br />
am Telefon festbeißen«, anders<br />
ließen sich keine 400 Seiten füllen.<br />
Allerdings werden auch japanische<br />
Grausamkeiten buchstäblich vorgeführt.<br />
»Auch wenn ihr nichts anderes<br />
übrig geblieben ist, als die Leiche zu<br />
zerlegen, hat sie es einfach nicht über<br />
sich gebracht (…) den Kopf (…) wegzuwerfen.«<br />
Und was ist mit dem Kommissar,<br />
dem solches erzählt wird? »Er zwang<br />
sich, einen kühlen Kopf zu behalten.«<br />
★<br />
Bei Tod im Eichsfeld (Sutton) steht<br />
auf dem Umschlag insgesamt sechsmal<br />
das Wort »Krimi«. Darunter »Thüringer<br />
Krimi-Preis 2012«. Die Kinderbuchautorin<br />
Astrid Seehaus erhielt<br />
ihn für ihr Krimi-Debüt.<br />
Man weiß sofort, wo das Ganze<br />
spielt – und der Mörder spielt von Anfang<br />
an mit. Nein, wir verraten nichts,<br />
dazu ist der Krimi zu gut, zu bodenständig,<br />
quasi historisch grundiert.<br />
Auch gibt es einen überzeugenden,<br />
also grüblerischen Ermittler. Der ist<br />
zwar nicht selbst behindert, hat aber<br />
eine Tochter im Rollstuhl. Denn ein<br />
paar Besonderheiten müssen immer<br />
und überall mitspielen.<br />
LITERATUREULE 10/11 5
Aus Grammatick und Zeichenleere:<br />
Einfälle und Abfälle<br />
Das Akkusativobjekt ist immer eifersüchtig auf das Subjekt.<br />
Der Dativ hat was Klebriges.<br />
Der Genitiv ist der linke Fuß unter den Fällen.<br />
Oh, wie manche Wörter sich danach sehnen, endlich einmal wieder richtig<br />
durchdekliniert zu werden!<br />
Wenn die Sprache zu viel getrunken hat, spricht sie im Konjunktiv.<br />
Präpositionen sind die Knorpel des Satzes.<br />
Wenn die Substantive Kinder haben wollen, kriegen sie Adjektive.<br />
In ihrem Schlaf träumen die Wörter von anderen Bedeutungen.<br />
Das Komma ist das Kniegelenk des Satzes.<br />
Wenn runde Klammern zum Militär kommen, werden sie eckig. Geschweifte<br />
Klammern gehen auf den Christopher Street Day.<br />
Im @ fühlt sich das a geborgen wie im Mutterleib.<br />
Das ? ist ein !, das Gymnastik treibt.<br />
In seiner Freizeit treibt sich das Paragraphenzeichen § als Seepferdchen herum.<br />
Peter Köhler<br />
Einfälle und Reinfälle<br />
Der Sonntagsanzug der Gedanken: Papier.<br />
Wer seinen Roman nicht salzt, kann seine Leser nicht pökeln.<br />
Ein Buch, das man rückwärts liest,<br />
bleibt länger im Gedächtnis haften.<br />
Der Bach ist das Lesebändchen der Wiese.<br />
Das Buch, das man aus dem Fenster wirft, glaubt,<br />
es könne fliegen.<br />
Das Versepos ist das Gürteltier der <strong>Literatur</strong>.<br />
Mit den Jahren werden sich Mensch und Buch immer ähnlicher.<br />
An seinen Büchern merkt man, dass man alt wird.<br />
Das Buch, das zugeklappt wird, stirbt einen kleinen Tod.<br />
PR<br />
6 LITERATUREULE 10/11
Pubertätslyrik<br />
der Promis<br />
3<br />
Revolution<br />
von oben<br />
Ernst Thälmann, schreite du voran,<br />
ich lieb’ den Sozialismus,<br />
drum steh ich hier nun meinen Mann,<br />
weil Revanchismus weg muss.<br />
Schon lange will das rote Heer<br />
den Feind eliminieren.<br />
Ich brauch’ hierfür kein Schießgewehr –<br />
ich werd’ ihn infiltrieren!<br />
Ich werde Chef der BRD,<br />
– der Klassenfeind wird’s hassen! –<br />
und folg’ dem Plan der SED,<br />
sie pleitegeh’n zu lassen!<br />
Angela Merkel<br />
veröffentlicht in der<br />
Zeitschrift »FRÖSI«, September 1967<br />
Michael Kaiser<br />
HENRI BÜTTNER<br />
Biskupeks Auslese<br />
Mein Leipzig<br />
gloob ich mir<br />
Wer Brechts Spruch kennt: »Die Mühen<br />
der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns<br />
liegen die Mühen der Ebenen.«, der weiß<br />
auch, warum Dietmar Keller seine<br />
»unzeitgemäßen Erinnerungen« Die<br />
Mühlen der Ebene (dietz berlin)<br />
nennt.<br />
Bei Brecht waren die Ebenen des Sozialismus<br />
gemeint. Keller hatte sich freiwillig<br />
in die Mühlen einer unfehlbaren<br />
Partei begeben, die den Sozialismus umfassend<br />
vollenden wollte. Einige der alten<br />
Phrasen kommen in diesem Buch<br />
vor, denn – das ist ein Vorteil – es wird<br />
fleißig und authentisch zitiert. So<br />
kommt Keller nur selten in Versuchung,<br />
zu beschönigen. Er hat all den Blödsinn<br />
in Akten stehen, den er mit seinesgleichen<br />
verzapfte.<br />
Keller war Parteiarbeiter, wie das damals<br />
hieß. Der gebürtige Chemnitzer<br />
kam als jugendlicher Sportreporter zur<br />
Kreisparteileitung der Leipziger Uni,<br />
stieg schnell und steil zum Bezirkssekretär<br />
auf und landete in Berlin, wo er<br />
unter Modrow den vorletzten DDR-Kulturminister<br />
mimen durfte.<br />
In Leipzig wurde in Künstlerkreisen<br />
meist in lobenden Tönen von ihm gesprochen.<br />
Der Ehemann der academixerin<br />
Gisela Oechelhaeuser galt als<br />
Hoffnungsträger. Er verhalf Schriftstellern<br />
zu Studienplätzen für ihre Kinder,<br />
zu Baugenehmigungen für Feriendomizile<br />
in Naturschutzgebieten – »viele von<br />
ihnen kannten keine moralischen Grenzen.<br />
Zum Geburtstag von Hager waren<br />
manche schon vor 9 Uhr, noch vor dem<br />
offiziellen Beginn des Gratulationsempfanges,<br />
in seinem Arbeitszimmer<br />
und trällerten ihr ›Auf die Bäume, ihr<br />
Affen …‹«.<br />
Klar, dass Keller peinlich berührt ist,<br />
»wenn die gleichen Künstlerinnen und<br />
Künstler ihr Image als Bürgerrechtler<br />
und Widerstandskämpfer pflegen«.<br />
Das Buch ist eine Fundgrube für<br />
Pflege und Aufzucht von Wendehälsen.<br />
Besonders pikant ein Briefwechsel mit<br />
Erich Loest, der Keller sofort nach Mauerfall<br />
um Wohnungsvermittlung für<br />
Leipzig bittet – und später gegen den<br />
PDS-Bundestagsabgeordneten einen<br />
Pressefeldzug einleitet.<br />
★<br />
Loest kommt auch im nächsten Leipzig-<br />
Buch vor. Bernd-Lutz Lange hat<br />
Anekdoten gesammelt, nicht selten<br />
selbst erlebte, die sich rund um Leipziger<br />
Messe, Leipziger Rathaus, Leipziger<br />
Pfeffermühle und Leipziger Sächsisch<br />
finden. Das Leben ist ein Purzelbaum<br />
(Aufbau, illustriert von Egbert<br />
Herfurth) nennt er den dicken Band,<br />
in dem er auch mal pampig nach Art<br />
von Satirikern wird. Freundlich ist er<br />
gegenüber seinen Ideengebern, von<br />
Goethe bis zum Kabarettkollegen Jürgen<br />
Hart. Und auch Dietmar Keller wird<br />
mit Dank für dessen anekdotischen Fundus<br />
bedacht.<br />
Lange hat 1989 sein Stücklein Geschichte<br />
geschrieben, als er einen Aufruf<br />
von drei Künstlern und drei SED-<br />
Sekretären mitverantwortete. Das<br />
machte den 9. Oktober zu einem Glückstermin<br />
im deutschen demokratischen<br />
Kalender.<br />
Loest sieht das heute ganz anders<br />
und meint, »dass der Aufruf der Sechs,<br />
am Abend des 9. Oktober verkündet,<br />
nichts anderes zum Ziel hatte, als die<br />
Stabilität der DDR und den Sozialismus<br />
zu sichern«.<br />
Lange kommentiert: »Ich muss schon<br />
sehr lange suchen, um irgendwo etwas<br />
annähernd Unsinniges zu finden.«<br />
★<br />
Was finden wir im dritten Leipzig-<br />
Buch? In Bernd Weinkaufs Architekturführer<br />
– Die 100 wichtigsten<br />
Leipziger Bauwerke (Jaron Verlag)?<br />
Nein, keinen Erich Loest, aber den Maler<br />
Michael Morgner mit seiner Stahlplastik<br />
für die »Bio-City«. Bei Keller<br />
steht der u. a. auf Seite 125: »Da musste<br />
die Reiseblockade für den Grafiker Michael<br />
Morgner (…) durchbrochen werden.«<br />
Sprich: Der Funktionär hatte sich<br />
zu kümmern, dass ein Maler in den Westen<br />
– und vor allem in den Süden – fahren<br />
durfte.<br />
Wen wir im Architekturführer allerdings<br />
nicht finden, ist Georgi Dimitroff,<br />
obwohl eines der eindrucksvollsten<br />
Leipziger Bauwerke, das ehemalige<br />
Reichsgericht, jahrzehntelang »Dimi -<br />
troff-Museum« hieß. Immerhin ist verzeichnet,<br />
dass das Gebäude »internationale<br />
Beachtung durch den Reichstagsbrandprozess<br />
von 1933« fand. Heute<br />
sitzt dort das Bundesverwaltungsgericht<br />
unter einer Kuppel, die die Allmacht<br />
des Kaisers symbolisierte.<br />
LITERATUREULE 10/11 7
Biskupeks Auslese<br />
Belle triste<br />
Ernst Jandls »ottos mops« hing einst<br />
in Studenten-Buden, ob Ost oder West.<br />
Die »lichtung«: »lechts und rinks /<br />
kann man nicht / velwechsern« beschreibt<br />
bis heute prägnant politische<br />
Zustände. Dass Herausgeber Klaus Siblewski<br />
aus der zehnbändigen Werkausgabe<br />
des Wiener Poeten nun einen<br />
kleinen gelben Reclam-Band mal<br />
franz mal anna filterte, mag für heutige<br />
Studenten die Annäherung an einen<br />
Großen befördern. Denn man findet<br />
vom »schtzngrmm« bis zum<br />
»spruch mit kurzem o« vieles mit exakter<br />
Datierung. Sollten die Studenten<br />
allerdings, wie es Wissensdurstige gelegentlich<br />
an sich haben, zuerst das<br />
Nachwort lesen, werden sie staunen,<br />
wie man Witz und Bitternis, Sprachkraft<br />
und Verblüffung derart ledern<br />
und mit lauter verschraubten Sätzen<br />
erklären kann.<br />
»ottos mops« wird man unter den<br />
mehr als hundert Texten nicht finden,<br />
denn dessen erster Vers lautet bekanntlich<br />
»ottos mops trotzt«.<br />
★<br />
Volker Braun hat im Gegenwartsdeutschland<br />
<strong>Literatur</strong>preise bekommen,<br />
aber so recht mag ihn das Großkopffeuilleton<br />
nicht – weil er diese<br />
BRD nicht mag. Wer Die hellen Haufen<br />
(Suhrkamp), eine Erzählung von<br />
kaum hundert Seiten, liest, weiß, warum<br />
er nicht gemocht wird: Braun seziert<br />
auch diese Gesellschaft mit ähnlicher<br />
Schärfe, wie er das schon mit<br />
dem DDR-Arbeiterklassengehabe tat.<br />
Er schreibt sich aus Hungerstreikenden<br />
und Treuhand-Schachereien, aus<br />
westdeutschen Landvögten und vermufften<br />
nachträglichen DDR-Zernichtern<br />
seine eigene Geschichte und kommentiert<br />
sie so: »Orte, falsch geschrieben,<br />
Personen aus Rüben geschnitzt.«<br />
Es ist eine Geschichte um zwölf »Mansfelder<br />
Artikel«, deren erster gleich an<br />
die Grundfesten heutiger Staatsgebilde<br />
rührt: »Die Arbeit ist gerecht zu<br />
verteilen, unter allen, die Anspruch darauf<br />
haben.« Es ist eine Geschichte der<br />
hellen Bauernhaufen und der schwarzroten<br />
Schar von Max Hoelz, eine Geschichte<br />
der Mühen um Berge und Ebenen.<br />
Dass er aus Namen Kalauer drechselt<br />
– Friedrich Schorlemmer heißt<br />
dann »Schurlamm« und Birgit Breuel<br />
wird zur »Pleuel« – bringt ihm die besondere<br />
Schelte unserer <strong>Literatur</strong>-Grafen<br />
ein. Eine Schelte, die bestärkt: Unbedingt<br />
lesen!<br />
★<br />
Heutige Nachrichten über Rumänien<br />
haben derlei Inhalte: Banden-Unwesen<br />
und Bestechung, Dracula und Securitate,<br />
Zigeuner und Zerrüttung. Ein<br />
abgelegen veröffentlichter Band<br />
Mehrfachbelichtungen (edition<br />
AZUR, herausgegeben von Lese-Zeichen<br />
Jena) bringt »Rumänische Erkundungen«<br />
anderer Art: faszinierende<br />
Schwarz-Weiß-Fotos ohne Hochglanzeffekt,<br />
verstörende Gedichte, auch veraktete<br />
Securitate-Erfahrungen, auch<br />
die Angst vorm Zigeuner. Doch die Autoren,<br />
darunter Daniela Boltres, Werner<br />
Söllner und Marius Koity, die in<br />
Rumänien geboren wurden, nähern<br />
sich diesem Land und seiner zum Teil<br />
deutsch geprägten Geschichte mit Respekt,<br />
mit Neugier und mit einiger<br />
Kunst-Anstrengung. Daniela Danz<br />
gibt den Schülern im deutschsprachigen<br />
Brukenthal-Gymnasium Sibiu<br />
auf, einen Text weiterzuschreiben:<br />
»Ein Engel kommt an die Pforte meines<br />
Vaterlandes«. Welcher mediale<br />
Sensationsbericht über Rumänien<br />
könnte »Engel« oder »Pforte« als<br />
Hauptwörter haben?<br />
★<br />
Vor mehr als einem halben Jahrhundert<br />
begannen zwei Dekorateur-Lehrlinge,<br />
zunächst mit Halma-Figuren,<br />
später mit allen Materialien, die ihnen<br />
in der DDR zugänglich waren,<br />
Phantasie-Miniatur-Reiche im Rokoko-Stil<br />
zu errichten. Die »Schlösser<br />
der gepriesenen Insel« sind inzwischen<br />
zu einer großräumigen Ausstellung<br />
geworden und haben Kult-Status.<br />
Einer der Schöpfer, Manfred Kiedorf,<br />
einst Mitglied im »Mosaik«-Kollektiv<br />
seligen Angedenkens, bringt in<br />
den letzten Jahren regelmäßig Bücher<br />
mit witzigen Zeichnungen und Sprüchen<br />
auf den winzigen (Miniatur-<br />
Schlösser!) Markt. Aus der Steinzeit<br />
(Primat-Verlag) bietet nicht nur ein<br />
»Mittelwort« des Radio-Mannes Matthias<br />
Thalheim, sondern auch viele Kalauer,<br />
vom Beowulff bis zum »Stein<br />
oder nicht Stein!« oder der »Frau vom<br />
Stein, jedem Dichter geläufig«. Der<br />
Mittelwort-Autor kommentiert: »Als<br />
sei es erst drei Tage her, da wir in der<br />
Höhle hinten links am Horden-Feuer<br />
saßen.«<br />
ANDRÉ SEDLACZEK<br />
KRIKI<br />
8 LITERATUREULE 10/11
BECK<br />
LITERATUREULE 10/11 9
B ü c h e r i m T e s t : F r a n z K a f k a v s . C h r i s t i n e R i m m e r<br />
Falsche Küsse – wahre Liebe?<br />
Handlung:<br />
»Das Schloß« von Kafka ist an Spannungsarmut<br />
kaum zu unterbieten.<br />
Schon nach den ersten Seiten ist dem<br />
Leser klar, dass der Landvermesser K.<br />
besagtes Schloss nie erreichen wird,<br />
so sehr der Loser es auf den folgenden<br />
knapp 400 Seiten auch versuchen wird.<br />
Christine Rimmer zeigt in ihrem Meisterwerk<br />
»Falsche Küsse – wahre<br />
Liebe?«, wie es richtig geht. Nach einem<br />
ständigen Auf und Auf darf der<br />
erfolgreiche Unternehmer Justin Caldwell<br />
die bezaubernde Katie nicht nur<br />
bei den jährlichen Theateraufführungen<br />
küssen, die beiden erklimmen<br />
schließlich auch gemeinsam den<br />
Schlossberg: »Sie schob ihm die Finger<br />
ins Haar und rief seinen Namen,<br />
während er sie zum Gipfel trieb.«<br />
Fazit: »Das Schloss« ist so spannend<br />
wie Löschpapier, Christine Rimmer<br />
punktet mit Kompetenz und Kohärenz!<br />
Figuren:<br />
Hässliche, tumbe Freaks und heruntergekommene<br />
Dorfmatratzen – mehr<br />
hat der Prager Gelegenheitsschriftsteller<br />
Kafka, der inzwischen zu recht sehr<br />
jung verstorben ist, nicht zu bieten.<br />
Ganz anders Christine Rimmer, die die<br />
literarische Kühnheit besitzt, junge,<br />
hübsche und reiche Menschen zu porträtieren:<br />
»Seine Lippen ... diese Lippen<br />
... zu voll und zu sinnlich für einen<br />
Mann ... und doch perfekt.« Hier<br />
feiert das griechische Schönheitsideal<br />
wunderbare Renaissance.<br />
Fazit: Rimmer beschreibt Menschen<br />
wie ich und ich, Herr Kafka sollte mehr<br />
unter Leute gehen.<br />
Sprache:<br />
Nicht nur, dass Kafkas Roman durch<br />
eine biblische Schar orthographischer<br />
Plagen heimgesucht scheint, er strapaziert<br />
durch seine spröde und umständliche<br />
Sprache auch die Geduld des Lesers:<br />
»K. stand noch immer im Schnee,<br />
hatte wenig Lust, den Fuß aus dem<br />
Schnee zu heben, um ihn ein Stückchen<br />
weiter wieder in die Tiefe zu senken<br />
...« Die Wiederholung des Wortes<br />
»Schnee« wirkt prätentiös, und dass K.<br />
den Fuß wieder absetzt und nicht auf<br />
einem Bein stehen bleibt, kann sich<br />
der Leser wohl denken. Christine Rimmer<br />
beschreibt denselben Sachverhalt<br />
wie folgt: »Katie stampfte mit den Füßen<br />
und schüttelte den Schnee vom<br />
Rocksaum.« Da wird großes Kino präzise<br />
auf den Punkt gebracht, das Motiv<br />
des Schnees ist subtil eingewoben,<br />
und darüber hinaus findet die Autorin<br />
auch noch genügend Platz, den Namen<br />
»Katie« auszuschreiben.<br />
Fazit: Manche schwafeln einfach nur<br />
rum, Christine Rimmer hat uns was<br />
zu sagen.<br />
Anspruch:<br />
Beide Werke widmen sich den Nöten<br />
eines Individuums, das die komplexen<br />
Spielregeln seiner Welt nicht versteht<br />
und sich ausgeschlossen fühlt. »Ich bin<br />
nicht von hier! Ich habe nicht die geringste<br />
Ahnung!«, verleiht Christine<br />
Rimmer dieser Verzweiflung Ausdruck.<br />
Doch während Franz Kafka sich<br />
in bedeutungsschweren Gleichnissen<br />
verliert, mit denen er nicht einmal<br />
mehr Marcel Reich-Ranicki hinterm<br />
Fernseher hervorlocken kann, wirken<br />
Rimmers Metaphern frisch, unverbraucht<br />
und kafkaesk. Von Sandwiches,<br />
Whirlpools und roten Plastikknöpfen<br />
ist dort die Rede. Und während<br />
Kafka sich nur mit dem Weg beschäftigt,<br />
zeigt die Wahl-Oklahomaerin<br />
und Autorin von »The Bravo Billionaire«,<br />
dass auch das Erreichen des<br />
Ziels wichtig ist.<br />
Fazit: Kafka ist noch auf der Suche,<br />
Rimmer bereits völlig fertig.<br />
Preis-/Leistungsverhältnis:<br />
Wenn man bedenkt, dass der Herausgeber<br />
aus Versehen mehrere Kapitelüberschriften<br />
vergessen hat und der<br />
Roman mitten im Satz endet, ist die<br />
Hardcover-Ausgabe von Kafkas »Das<br />
Schloß« mit 112,00 EUR völlig überteuert.<br />
Die historisch-kritische Ausgabe<br />
von Christine Rimmers epochalem<br />
Meisterwerk in der Reihe »BI-<br />
ANCA Exklusiv« überzeugt nicht nur<br />
durch ihren leserfreundlichen Preis von<br />
4,99 EUR, sie umfasst auch zwei weitere<br />
Meilensteine der <strong>Literatur</strong>geschichte<br />
(»Frei für die Liebe« von Nikki<br />
Rivers und »Fremde Männer küsst man<br />
nicht« von Cathy Gillen Thacker) sowie<br />
einen überaus praktischen Zweimonatskalender,<br />
in dem alle wichtigen Neuerscheinungen<br />
des Verlages mit Veröffentlichungsdatum<br />
aufgelistet sind.<br />
Fazit: Bravo, BIANCA – auch in Zeiten<br />
der Finanzkrise ist gehobene <strong>Literatur</strong><br />
bei Euch selbst für den Laien<br />
noch erschwinglich!<br />
»Versprich mir, dass es kein Freibier<br />
geben wird.« – Diesem letzten Ausspruch<br />
von Christine Rimmers Protagonistin<br />
Katie hat dieser Testbericht eigentlich<br />
nichts hinzuzufügen.<br />
Benotung Franz Kafka: Christine Rimmer:<br />
»Das Schloß« »Falsche Küsse – wahre Liebe?«<br />
Handlung 6 1<br />
Figuren 6 1<br />
Sprache 6 1<br />
Anspruch 5 1<br />
Preis-/Leistungsverh. 6 1<br />
Gesamturteil »Wie der Ochs »Ergreifend, authentisch,<br />
vorm Schlosstor!« billig! – Mehr geht nicht!«<br />
Michael Kaiser<br />
Das Fräulein stand am eere<br />
Original (von Heinrich Heine)<br />
Das Fräulein stand am Meere<br />
Und seufzte lang und bang,<br />
Es rührte sie so sehre<br />
Der Sonnenuntergang.<br />
Mein Fräulein! Sei'n Sie munter,<br />
Das ist ein altes Stück;<br />
Hier vorne geht sie unter<br />
Und kehrt von hinten zurück.<br />
Fälschung(en):<br />
Das Fräulein stand am Meere<br />
Und fragte einen Rebbe,<br />
Was Sinn und Zweck denn wäre<br />
Von Flut und auch von Ebbe.<br />
„Ich will es so herleiten“,<br />
Sprach drauf der Rebb' entschieden,<br />
„Der Sinn sind die Gezeiten,<br />
Der Zweck, das sind die Tiden.“<br />
Das Fräulein stand am Tümpel<br />
Und seufzte ach und weh:<br />
„Wie nervt mich das Gerümpel,<br />
Das ich am Tümpel seh.“<br />
Mein Fräulein! Sei'n Sie heiter,<br />
Bedenken Sie doch nur:<br />
A) geht das Leben weiter,<br />
B) kommt die Müllabfuhr.<br />
★<br />
Das Fräulein stand am Meere<br />
Und klagte wie gewohnt,<br />
Sie glaubt, zu Ende wäre<br />
Die Welt am Horizont.<br />
Mein Fräulein! Sei'n Sie heiter,<br />
Sie kennen doch das Lied:<br />
„Hinterm Horizont geht’s weiter“ –<br />
Auch wenn man es nicht sieht.<br />
★<br />
10 LITERATUREULE 10/11
ANDREAS PRÜSTEL<br />
Das Fräulein stand am Meere<br />
Und seufzte schwer beklommen,<br />
Sie sagt, das Wasser wäre<br />
Für sie total verschwommen.<br />
Mein Fräulein! Sei'n Sie stille,<br />
Wenn ich was raten darf:<br />
Mit Hilfe einer Brille<br />
Wird's Wasser wieder scharf.<br />
Das Fräulein stand am Meere<br />
Und seufzt' aus vollem Hals,<br />
Sie sprach, im Wasser wäre<br />
Zum Baden zu viel Salz.<br />
Mein Fräulein! Keine Mucken,<br />
Der Vorwand ist nicht neu,<br />
Sie brauchen's ja nicht schlucken.<br />
Sie sind nur wasserscheu.<br />
★<br />
Das Fräulein stand am Styx<br />
Und seufzte bang und ach,<br />
Sie weint' der Zeit des Glücks,<br />
Dem kurzen Leben nach.<br />
Mein Fräulein! Was ich täte,<br />
Riss' Charon mich vom Stuhl,<br />
Ich kippt' 'ne Lage Lethe,<br />
Besoffen stirbt sich's cool.<br />
★<br />
Das Fräulein stand am Tiber<br />
Und seufzte lang und viel,<br />
Sie sagt', sie wär viel lieber<br />
Am Kongo oder Nil.<br />
Mein Fräulein! Nichts zu wenden,<br />
Wir stehn an diesem Strom,<br />
Denn alle Wege enden<br />
Nun leider mal in Rom.<br />
★<br />
Das Fräulein stand am Teich<br />
Und droht', dass sie reinspränge,<br />
Wenn ich mit ihr nicht gleich<br />
„All' meine Entlein“ sänge.<br />
Mein Fräulein! Nehmt die Leier!<br />
Dann grölten wir à deux:<br />
„Köpfchen in den Weiher,<br />
Schwänzchen in die Höh'“.<br />
★<br />
Das Fräulein stand am Strande<br />
Und seufzt' in Moll und Dur,<br />
Weil hoffnungslos im Sande<br />
Verweht des Menschen Spur.<br />
Mein Fräulein! Ich verstehe<br />
Gut Ihre Traurigkeit,<br />
Weil ich's genau so sehe.<br />
Dann seufzten wir zu zweit.<br />
★<br />
Das Fräulein stand am Weser-<br />
Strand und hatte Angst:<br />
„Ob Du hiermit vom Leser<br />
Nicht zu viel Grips verlangst?“<br />
Mein Fräulein! Ach i wo!<br />
Stell'n Sie das Grübeln ein:<br />
A) hat es Null Niveau,<br />
B) liest's ja doch kein Schwein.<br />
Thomas Schaefer<br />
LITERATUREULE 10/11 11
Ein<br />
Gespräch<br />
unter toten<br />
Dichtern<br />
Wenn ihr Christian weiter so demontiert,<br />
ist er eines Tages noch<br />
»Der Verbrecher aus verlorener<br />
Ehre«, mahnte Schiller. Er solle<br />
sich nicht so haben, erwiderte Goethe,<br />
gegen »Die Leiden des jungen<br />
Werthers« seien die seinen doch<br />
ein Klacks. Außerdem sind »Die<br />
Aufgeregten« doch nicht selten<br />
»Die Mitschuldigen«.<br />
»Der Prozeß«, sagte Kafka,<br />
könne aber auch »Die Verwandlung«<br />
auslösen, je nachdem wie<br />
»Das Urteil« lautet. »In der Strafkolonie«<br />
wird er schon nicht landen.<br />
»Der Zweikampf« mit BILD<br />
war spannend, meinte Kleist,<br />
In memoriam<br />
Christian Wulff<br />
musste gottlob aber nicht durch<br />
ein »Helgoländisches Gottesgericht«<br />
entschieden werden. Ein<br />
schönes Beispiel von »Menschenhaß<br />
und Reue« ist es aber schon,<br />
warf Kotzebue ein. Ja, aber auch<br />
von »Leben und leben lassen«, gab<br />
Lessing zu bedenken. Und immerhin<br />
ist er kein »Blaubart«, ergänzte<br />
die Marlitt augenzwinkernd.<br />
Nietzsche dagegen kam wie immer<br />
bedeutungsschwer daher:<br />
»Die Sonne sinkt« für ihn »Zwischen<br />
Raubvögeln«, »Das Feuerzeichen«<br />
von »Ruhm und Ehre« …<br />
Hör doch auf, unterbrach ihn Arthur<br />
Schnitzler, »Der einsame Weg«<br />
wird ihm auch wieder »Lebendige<br />
Stunden« bereiten und aus der …<br />
»Verlassenheit« herausführen,<br />
warf Trakl ein, wenn er nicht immer<br />
»Unpassende Geschichten« erzählen<br />
würde, der »Altbewährte<br />
Esel«, ließ sich Tucholsky vernehmen,<br />
Hauptsache, er lernt etwas<br />
»Über den Umgang mit Menschen«,<br />
schloss Börne die Diskussion.<br />
Nur der freche Brentano<br />
schob noch nach: Und beschrieben<br />
wird das alles in der »Geschichte<br />
vom braven Kasperl und dem schönen<br />
Annerl«.<br />
Ove Lieh<br />
Ein Meister der kleinen Form<br />
Interpretation:<br />
Dieses kleine Poem, in seiner<br />
Art ein geschliffenes Juwel<br />
(und überdies ein Vierzeiler,<br />
wovon man sich leicht<br />
überzeugen kann), kommt,<br />
so möchte es prima vista<br />
scheinen, in schlichtem Gewande<br />
daher, offenbart dem<br />
Wissenden in der Folge jedoch einen<br />
Tiefsinn, angesichts dessen ihn,<br />
wie in der griechischen Tragödie, Gefühle<br />
der Furcht und zugleich tiefen<br />
Mitleids überkommen.<br />
Das Gedicht beginnt – wie so mancher<br />
Brief ungehobelter Zeitgenossen<br />
– mit dem Wort »Ich«, das hier gemäß<br />
seiner Stellung am Satzanfang obendrein<br />
großgeschrieben ist – eine Entgleisung<br />
gleich zu Beginn der poetischen<br />
Reise in die Vergangenheit, die<br />
wir indes dem dichterischen Jovi als<br />
autonome Freiheit nachzusehen haben<br />
und die wir in diesem Fall als lautlich-graphisches<br />
Zeichen einer bemerkenswerten<br />
Ich-Stärke interpretieren,<br />
einer Ich-Stärke, deren der sensible Autor<br />
in der Tat bedarf, widerfährt ihm<br />
doch, wie wir noch sehen werden, im<br />
Verlauf der im folgenden geschilderten<br />
Ereignisse mit der Zerstörung seiner<br />
Habe eine empfindliche narzißtische<br />
Kränkung, die denn auch den elegischen<br />
Grundtenor des Ganzen glaubhaft<br />
begründet.<br />
Wir sagten »Habe« und meinen damit<br />
nicht einen Autor gleichen Namens,<br />
sondern vielmehr jenen Sammelbegriff<br />
für mobile und immobile<br />
Besitzgegenstände, der nach Erich<br />
Gedicht ohne Titel<br />
Ich hatte mal ein Stülpglas,<br />
es ist schon lange her,<br />
das fiel mit Schwung ins Grüngras,<br />
da stülpte es nicht mehr.<br />
Clas D. S. Steinmann<br />
KALLE<br />
Fromm einen falschen Seins-Modus,<br />
nämlich den Haben-Modus prägt,<br />
in dem der Schreiber – wenigstens<br />
zu Beginn des Gedichtes –<br />
durchaus befangen erscheint,<br />
denn seinem »Ich« folgt sogleich<br />
eine finite Form des Verbums<br />
»haben«, und zwar in seiner<br />
voll- und nicht etwa hilfsverbalen<br />
Bedeutung! Immerhin tritt der<br />
Autor durch den Gebrauch des Präteritums<br />
(er sagt »hatte«, nicht »habe«)<br />
zu sich selbst und seiner Habe, die somit<br />
zur »Hatte« wird, ist eine Distanz,<br />
die ihm, wenn auch mit spürbarem<br />
Bedauern gemischt, ein kritisches Abrücken<br />
von sich selbst erlaubt.<br />
Was »hatte« der Dichter denn nun<br />
»mal«, wie er energiesparend und somit<br />
verdichtend statt »einmal« sagt?<br />
Nun, das kleine Oeuvre trägt keinen<br />
Titel, der seinen Hauptgegenstand<br />
vorschnell durch platte Benennung<br />
verraten könnte, und so wirkt denn<br />
die poetische Offenbarung: »ein Stülpglas«(!)<br />
um so überraschender und verblüffender.<br />
Ein Stülpglas also war’s,<br />
das der Dichter mal hatte. Wie schön!<br />
Doch nun, wenn’s auch »schon lange<br />
her« ist und die Zeit so manche Wunde<br />
heilt, nun zieht das Verhängnis, man<br />
spürt es, spannungsreich retardiert<br />
durch das unscheinbare Wörtchen<br />
»her« (mit langem, gedehntem e zu<br />
sprechen!) herauf und ereilt das zerbrechliche<br />
Gefäß (Sinnbild des »roseau<br />
faible« schlechthin!), und zwar,<br />
wie der Autor sagt »mit Schwung«,<br />
denn mit eben diesem fiel das Glas<br />
stabreimend ins »Grüngras« und –<br />
doch wir wollen das Ergebnis nicht vorwegnehmen,<br />
sondern an dieser Stelle<br />
verweilend innehalten, um uns selbst<br />
zunächst einige sich hier aufdrängende<br />
Fragen zum besseren Verständnis<br />
zu stellen:<br />
Wieso fiel das Glas ins Gras und<br />
noch dazu mit Schwung? Wer hatte<br />
das getan? Fiel das Glas, wie ein schuldiges<br />
und Strafe gewärtigendes Kleinkind<br />
sagen würde, »von selbst«? Wurde<br />
es gestoßen, geworfen, vielleicht mit<br />
dem Fuße getreten? Und, wenn ja, widerfuhr<br />
ihm dies – und von wem? –<br />
fahrlässig, mutwillig oder gar im<br />
Zorn? Wir wissen es nicht. Und sollen<br />
es nie erfahren? Gemach! Es gibt einen<br />
aus weiterem, die Sphäre der<br />
Werkimmanenz transzendierenden<br />
Kontext herzuleitenden Umstand, der<br />
uns der Unwissenheit in diesem<br />
Punkte enthebt: das fragliche Stülpglas<br />
hätte nämlich, wie wir aus intimer<br />
Kenntnis der Lebensumstände<br />
des Autors wissen, zu einem späteren<br />
Zeitpunkt, so es erhalten geblieben<br />
wäre, zur Überstülpung eines Lourdes-<br />
Kreuzes und somit zur Sedierung des<br />
wehenden Geistes dienen können,<br />
hätte nicht – so wagen wir rückschauend<br />
zu deuten – ein in die Zukunft vorausschauendes<br />
Numinosum dem vorzubeugen<br />
gedacht und in Gestalt des<br />
Windes, des himmlischen Kindes, seiner<br />
eigenen Sterilisation, stürmisch<br />
wehend, vorgebeugt.<br />
Was ist es, das uns hier anwandelt?<br />
– Staunen! Etwas von jenem Tremendum<br />
und Fascinosum, das Rudolf Otto<br />
– wir erinnern uns – in seinem Werk<br />
»Das Heilige« beschrieb! Staunen –<br />
Thaumazein!<br />
Und viel mehr bleibt uns nicht zu<br />
sagen. Denn ob nun das Gras zu hart<br />
bzw. nicht weich genug oder das Glas<br />
zu weich bzw. zu spröde, vielleicht ein<br />
Import-Schundartikel aus Taiwan oder<br />
Hongkong, war, was tut das zur Sache<br />
oder anders: was ändert das am Ergebnis?<br />
Und mehr sagt auch der erschöpfte<br />
Dichter uns nicht, der sein<br />
Werk endet mit der elegisch konstatierenden<br />
Bemerkung: »... da stülpte es<br />
nicht mehr.«<br />
Nachzutragen bleibt noch, dass der<br />
Dichter (der im Trierer Raum lebt) sich<br />
der gängigen Endzeile: »Maoch eppes<br />
draon!« selbstkritisch enthalten hat,<br />
wofür ihm besonderer Dank gebührt.<br />
Theodor Weißenborn<br />
12 LITERATUREULE 10/11
Vor hundert Jahren starb Karl May und lebt noch heute – nicht zuletzt,<br />
weil Ausgrabungen in der Karl-May-Villa in Radebeul und im<br />
Karl-May-Verlag zu Bamberg immer wieder neue alte Geschichten<br />
zutage fördern, auf die die Leser von Karl May gerade noch gewartet<br />
haben. Das interessiert Sie nicht? Recht so, wen interessieren schon<br />
solche Einleitungen! Lesen Sie deshalb erst ab hier:<br />
In der Patsche<br />
der Apatschen<br />
Eine klassische Reiseerzählung (nicht von Karl May – oder doch?)<br />
Die Sonne hatte ihren höchsten Stand<br />
erreicht. Weiter unten aber, wo sich der<br />
Wilde Westen in alle Himmelsrichtungen<br />
erstreckte, hätte jemand, der mir<br />
von Weitem entgegengeritten wäre, in<br />
der Ferne einen winzigen Punkt erspäht,<br />
der sich langsam vergrößert und<br />
endlich die Konturen eines ausgewachsenen<br />
Westmannes angenommen<br />
hätte. Das war ich.<br />
Von Sankt Ludwig, welches der Einheimische<br />
in seiner Zunge durchaus<br />
treffend St. Louis nennt, war ich auf<br />
meinem Steckenpferd viele Maylen<br />
westwärts gezogen, war inzwischen<br />
mitten in einem neuen Band meiner<br />
Gesammelten Werke angelangt und<br />
befand mich nun im Anritt zum ersten<br />
Höhepunkt dieser meiner Reiseerzählung.<br />
Von Weitem schimmerte die Mayestät<br />
der Berge, welchletzteren erstere<br />
zugehörte, und die ersten Mayglöckchen<br />
lugten aus dem frischen Grase,<br />
welches den Boden wie ein Bart bedeckte.<br />
Plötzlich vernahm ich einen Schuss,<br />
dann einen Schrei, gefolgt von einem<br />
Bumsti. Ich horchte auf, denn ein echter<br />
Trapper hat auch bei Tage stets nur<br />
einen leichten Schlaf. Sodann gab ich<br />
meinem Pferd die Pollen, da mir die<br />
Sporen ausgegangen waren, und entdeckte<br />
schon nach wenigen Worten den<br />
Leichnam eines offensichtlich toten<br />
Apatschen. Ich saß ab, um ihn zu umzingeln.<br />
»Hier muss die Kugel eingedrungen<br />
sein«, sagte ich wie zu mir selber, als<br />
ich in das Ohr des Indianers sah, und<br />
entdeckte in der Tat auf der anderen<br />
Seite den Austrittskanal. Neben dem<br />
Apatschen lag ein Colt, der noch warm<br />
war.<br />
»Fabrikat Engelmacher«, murmelte<br />
ich, doch laut genug, sodass ich mich<br />
verstehen konnte.<br />
Soeben wollte ich wieder aufsitzen,<br />
um die Spur aufzunehmen und den Täter<br />
zu belauschen, als ich rings um<br />
meine kostbare Wenigkeit Pferdegeheul<br />
und Kriegsgetrappel vernahm.<br />
Apatschen! Ich ließ mich indes nicht<br />
aus der Ruhe bringen, ergriff den Henrytöter,<br />
den Bärenstutzen und den Vatermörder<br />
mit je einer Hand und setzte<br />
mich nieder, wie um die Gewehre zu<br />
reinigen, tatsächlich aber, um den anstürmenden<br />
Feind in Sicherheit zu wiegen<br />
und alsdann mit meinem berühmten<br />
Sockenschuss zu übertölpeln. Ich<br />
hatte jedoch diesen Satz kaum beendet,<br />
als ich von einem furchtbaren Keulenhieb<br />
getroffen wurde, der mich wie<br />
ein Keulenhieb traf, und infolgedessen<br />
brach ich nicht auseinander, sondern<br />
zusammen.<br />
Als ich wieder zu mir kam, war ich<br />
ohnmächtig. Ich war gefesselt sowie im<br />
Pueblo der Apatschen befindlich, deren<br />
Gnade ich auf Geschrei und Gegerb’<br />
ausgeliefert war. Ich war soeben im Begriff,<br />
meine Zukunft vor meinem geistigen<br />
Ohr Revue passieren zu lassen,<br />
welche eine traurige solche war, als<br />
mich unversehens ein leibhaftiges Geräusch<br />
aufschreckte: Es war mein Magen,<br />
der vor Hunger laut knurrte.<br />
Gleich würde er bellen.<br />
Um mir Pustekuchen zu bringen, womit<br />
die Apatschen ihre Gefangenen zu<br />
verköstigen pflegen, näherte sich eine<br />
junge Indianerin meinem Lager. Wir<br />
sahen verlegen zu Boden, wo sich unsere<br />
Blicke begegneten, welche erröteten.<br />
»Ich heiße Ntscho-tschi«, flüsterte sie.<br />
»Ich nicht«, erwiderte ich bescheiden.<br />
Schüchternes Schweigen erfüllte den<br />
Raum bis zum Rand. In diesem Augenblick,<br />
welcher mir als ein gedehnter zu<br />
erscheinen die Neigung zu besitzen die<br />
Gewohnheit zu haben geruhte, trat<br />
plötzlich, den Augenblick wie mit einem<br />
Bowie-Messer zerschneidend, der<br />
Häuptling ein, welchen ich an seinem<br />
prächtigen, doch schlichten Äußeren<br />
als diesen erkannte.<br />
»Ich bin Winnetou, der Häuptling der<br />
Apatschen, der Rächer der Entrechteten,<br />
der Meuchler der Heuchler und<br />
der Zerreißer der Weißen!«, unterrichtete<br />
er mich sprachlich und musterte<br />
den Letztgenannten mit seinen stahlharten,<br />
wie gemeißelt in ihren Höhlen<br />
sitzenden Augen. »Der räudige Schakal<br />
von einem Hund, welcher hier liegt,<br />
hat Taube Nuss getötet, einen lebenden<br />
Krieger meines Stammes! Weiß<br />
das Bleichgesicht nicht, dass sich so etwas<br />
nicht gehört? Zur Vergeltung wirst<br />
du ebenfalls in die ewigen Jagdgründe<br />
usw.! Schon morgen wirst du am Marterpfahl<br />
usf., wenn der Schrei des Riesenochsenfroschs<br />
halb so lang ist wie<br />
der Schatten der Sonne im Zwielicht<br />
des Mandelbeerstrauchs!«<br />
Auf denjenigen, welchselbigem<br />
diese seine Worte galten, mussten dieselben<br />
eine Wirkung ausüben, welche<br />
eine zerschmetternde solche war. Ich<br />
blies jedoch keineswegs Trübsal, denn<br />
in meiner Lage konnte mir Blasen wenig<br />
helfen.<br />
»Och nö«, antwortete ich darum kurz<br />
und angebunden. »Die Taube Nuss war<br />
nur bewusstlos!«<br />
Bei dieser meiner Rede verschlug es<br />
dem sonst so wortkargen Häuptling der<br />
Apatschen die Sprache. Endlich fand er<br />
sie wieder: »Aber ... äh ... hm ... ja! Das<br />
Blassgesicht spricht die Wahrheit. Auch<br />
ich staunte bereits darüber, dass Taube<br />
Nuss in unserem Lager herumläuft, als<br />
sei nichts geschehen! Uff! Uff!«<br />
»Und uff!«, ergänzte ich seine Rede.<br />
»Du musst es dreimal sagen!«<br />
Wie sich ergab, hatte Taube Nuss<br />
seinen neuen Colt ausprobiert und war<br />
bei dem Schuss mit einem Schrei der<br />
äußersten Verblüffung in Ohnmacht<br />
zerfallen. Winnetou befreite mich nun<br />
von meinen Banden. Ich erhob einen<br />
lauten Ruf der Freude und der Dankbarkeit,<br />
tat dies jedoch unhörbar leise,<br />
um meine Gefühle nicht ungebührlich<br />
nach außen dringen zu lassen. Sogleich<br />
fing ich in meinen Armen<br />
Ntscho-tschi auf, welche vor Erleichterung<br />
über die Wechselfälle des Lebens<br />
in meine Arme sank, in denen ich sie<br />
auffing. Winnetou aber drückte mir<br />
beide Hände mit seinen beiden Händen<br />
und ließ unverzüglich die Maybowle<br />
anrichten, mit welcher solcher<br />
wir mittels derselben Brüderschaft<br />
tranken.<br />
»Nenn mich Winnetou«, sagte Winnetou.<br />
»Du mich auch«, erwiderte ich.<br />
»Mein weißer Bruder und meines<br />
weißen Bruders roter Bruder sind nun<br />
Brüder«, sagte Winnetou. »Aber bist<br />
du auch Christ?«<br />
»Aber ja«, erzählte ich frisch von meiner<br />
Leber weg. »Sachse.«<br />
»Selbstverständlich«, erwähnte er<br />
beiläufig, »von Hause aus heiße ich<br />
August Pötzsch, bin eigentlich gebürtiger<br />
Kaufmann und würde mich<br />
freuen, wenn ich meinem weißen Bruder<br />
nähere Einzelheiten seines roten<br />
Bruders in einem persönlichen Gespräch<br />
erläutern dürfte.«<br />
Als Ntscho-tschi, die ich währenddessen<br />
in meinen Armen gehalten<br />
hatte, erwachte, fiel ihr Blick auf den<br />
Maybaum, den ich vor ihrem Pueblo-<br />
Fenster aufgestellt hatte. Mit Entzücken<br />
las ich in ihren Augen die Liebe,<br />
welche mir voll und innig aus denselben<br />
hervorleuchtete.<br />
Der ganze Stamm der Apatschen<br />
hatte sich unterdessen versammelt; zur<br />
Feier des Festes hatte ich einige Fässer<br />
Maybock aus meiner Heimat mitgebracht.<br />
Die Mayglöckchen sprossen<br />
wieder wie im zweiten Absatz dieser<br />
meiner Reiseerzählung, die Maykäfer<br />
schwirrten, der Mayoran blühte, die<br />
Maysen zwitscherten aus vollen Schnäbeln,<br />
und die Apatschen, die ich fortan<br />
ehrenhalber Mayas nennen will, bildeten<br />
einen Kreis um das junge Brautpaar,<br />
als dessen einer Teilhaber ich<br />
überglücklich mich zu befinden wohl<br />
hinreichend Grund vorzuweisen hatte,<br />
und sangen: »Der May ist gekommen<br />
...!«<br />
Ich stutzte stutzend, denn ich hatte<br />
noch nicht einmal mit dem Vorspiel<br />
begonnen; doch da fiel auch schon der<br />
Vorhang dieser Geschichte über<br />
Ntscho-tschi und mich.<br />
Peter Köhler<br />
OLIVER OTTITSCH<br />
LITERATUREULE 10/11 13
PETER BUTSCHKOW<br />
Lesezeichen: TILMAN BIRR<br />
Rätsel der Menschheit<br />
»Ick lass die Leute jetzt auf Schiff, sarickma«,<br />
sagte Klaus und nahm die<br />
Kette vom Eingang.<br />
Warum benutzen die Berliner eigentlich<br />
nach »auf« nie einen Artikel?<br />
Sie gehen auf Klo, sind gerade auf Arbeit<br />
und rufen einander auf Handy an.<br />
Warum machen sie das, und warum<br />
nur in diesem Fall? Sie könnten doch<br />
zum Beispiel auch nach »unter« den<br />
Artikel weglassen. Dann lägen sie im<br />
Bett unter Decke, ihr Auto hätte ordentlich<br />
PS unter Haube und wenn<br />
sie stürben, kämen sie unter Erde. Rätsel<br />
des Berliner Dialektes. Trotz meiner<br />
mittlerweile acht Jahre in Berlin<br />
hatte ich einige dieser Rätsel nicht lösen<br />
können, zum Beispiel die Berliner<br />
Endungs-s-Feindlicheit. Es scheint<br />
dem Berliner unmöglich zu sein, am<br />
Wortende nach »er« ein s zu sprechen.<br />
Er trinkt »Selter«, das er vorher in der<br />
Kaufhalle namens »Kaiser« gekauft<br />
hat. Er sieht gerne Fernsehsendungen<br />
mit dem Kabarettisten Volker Pisper<br />
oder amerikanische Komödien mit<br />
dem Schauspieler Mike Myer und erinnert<br />
sich noch gut an den früheren<br />
Bundesinnenminister Rudolf Seiter. In<br />
der Cafeteria der Humboldt-Universität<br />
klebt bis zum heutigen Tag am<br />
Schokoriegelregal die Aufschrift:<br />
»Knopper 80 Cent«. Leider hat die Cafeteria<br />
kein »Snicker« im Sortiment.<br />
Korrekturversuche und klärende Gespräche<br />
mit Berliner Cafeteriabedienungen<br />
sind ebenso sinnlos wie gefährlich.<br />
»Es heißt aber doch Knoppers. Steht<br />
doch auf der Verpackung.«<br />
»Ick sare Knopper. Schluss.«<br />
»Aber es ist doch offensichtlich<br />
falsch.«<br />
»Sarema, willste Ärger mit mir,<br />
Freundschen?«<br />
Was sich der Berliner einmal in den<br />
Kopf gesetzt hat, das soll ihm der<br />
Schwabe nicht nehmen. In Ortsnamen<br />
wie Heinersdorf, Woltersdorf und Wilmersdorf<br />
hat sich das s wohl nur wegen<br />
des angehängten »-dorf« durchsetzen<br />
können, sonst hießen sie Heiner,<br />
Wolter und Wilmer.<br />
Wie viele Rätsel muss Deutschland<br />
den ausländischen Touristen wohl aufgeben,<br />
denen ich jeden Tag die Stadt<br />
erklären soll? Was sich im einen Teil<br />
Deutschlands ziemt, ist im anderen<br />
verpönt. Dieser deutsche Kultur- und<br />
Mentalitätenförderalismus muss für<br />
einen Amerikaner das größte Rätsel<br />
sein. Wie belogen und betrogen, für<br />
dumm verkauft und zum Narren gehalten<br />
muss sich ein Amerikaner fühlen,<br />
wenn er als erste deutsche Stadt<br />
Köln besucht. Sein Leben lang hat<br />
man ihm erzählt, dass in Deutschland<br />
Bier aus riesigen Krügen getrunken<br />
wird, die einen ganzen Liter fassen,<br />
dass Deutschland den zweithöchsten<br />
Pro-Kopf-Bierkonsum der Welt aufzuweisen<br />
hat, dass es dort Starkbier mit<br />
acht Prozent Alkoholanteil gebe. Und<br />
nun sitzt er mit lauter anderen enttäuschten<br />
Touristen in einer Kölner<br />
Showbrauerei und muss sein dünnes<br />
Kölsch aus einem Reagenzglas trinken.<br />
Ich wäre sauer.<br />
Wenn sich ein Neuseeländer in<br />
München eine Tracht kauft, bestehend<br />
aus Lederhosen, Wadlstrümpfen, Janker<br />
und Hut, so wird er in Bayern für<br />
seine Integrationsbereitschaft gelobt.<br />
Kommt er in diesem Aufzug nach Berlin,<br />
wundert er sich, dass er zur Begrüßung<br />
aufs Maul bekommt.<br />
Einmal fragte mich ein Grieche: »Is<br />
there a slight racism against Bavaria?«<br />
Weit holte ich aus, um ihm das Rätsel<br />
der Bayernfeindschaft zu erklären,<br />
erzählte von der jahrhundertealten<br />
Antipathie zwischen Preußen und<br />
Bayern, von bayerischen Monarchisten,<br />
von den Christdemokraten, deren<br />
Partei in Bayern anders heißt als im<br />
Rest Deutschlands und von der Bezeichnung<br />
»Freistaat Bayern«. Damit<br />
musste ich den Griechen so verwirrt<br />
haben, dass er schließlich fragte: »Is<br />
Bavaria not a part of Germany, then?«<br />
Wäre ich Berliner und Bayernhasser<br />
gewesen, hätte ich ihm daraufhin ein<br />
Bier ausgegeben.<br />
Die intranationale Xenophobie war<br />
mir immer ein großes Rätsel. Die Ablehnung<br />
der Fremdenfeindlichkeit<br />
scheint da aufzuhören, wo der Fremde<br />
nicht fremd genug ist. Seit einigen Jahren<br />
war es Mode, auf »die Schwaben«<br />
zu schimpfen, die allesamt dafür verantwortlich<br />
seien, dass am Prenzlauer<br />
Berg ausnahmslos jedes Bier fünf<br />
Euro koste, jede Wohnung marmorverkleidet<br />
und fußbodenbeheizt war,<br />
und (besonders schlimm!) dass die<br />
Zahl der richtigen, echten, eingeborenen<br />
und nie woanders gewesenen Berliner<br />
unter die Nachweisbarkeitsgrenze<br />
gesunken war. Die Gentrifizierung<br />
war nicht zu leugnen, und auch<br />
ich hielt die Shishabars in Friedrichshain,<br />
die Flagshipstores amerikanischer<br />
Modelabels in Mitte und die unglaublichen<br />
Mieten in den feineren<br />
Gegenden des Prenzlauer<br />
Bergs für ganz schön überflüssig.<br />
Die von Missgunst und Neid<br />
auf allen Seiten geprägte Debatte<br />
schien aber oft nur ein Ventil für ganz<br />
anders begründeten Hass zu sein: Gerade<br />
diese Schwaben sind die<br />
schlimmste Pest, die Berlin seit der napoleonischen<br />
Besatzung heimgesucht<br />
hat. Sie erdreisten sich, in Berlin ihre<br />
Eier zu legen und ihre Brut in Kinderwagen<br />
durch den Bezirk zu schieben.<br />
Sie sitzen in Cafés herum, in denen<br />
unberlinische Getränke verkauft werden:<br />
Milchkaffee, Bionade und bayerisches<br />
Bier. Sie tragen Kleidung, die<br />
man in Berlin gefälligst nicht zu tragen<br />
hat: Sonnenbrillen mit riesigen<br />
Fliegenaugengläsern. Sie kaufen biologisch<br />
ein, was ja wohl mal das allerletzte<br />
ist. Sie kümmern sich um Erziehung<br />
und Bildung ihrer Kinder, als ob<br />
sie was Besseres wären. Sie haben Arbeit.<br />
Wenn man dagegen nichts tut,<br />
werden diese Menschenfresser irgendwann<br />
zahlenmäßig überlegen sein,<br />
Berlin von innen aushöhlen und für<br />
den Tod der einzig wahren Berliner<br />
Leitkultur sorgen: Herrengedeck für<br />
dreifuffzich. Aber es tut ja niemand<br />
was, weil alle so hoiti-toiti supitolerant<br />
sind. Berlin schafft sich ab! Das wird<br />
man doch wohl noch sagen dürfen!<br />
Tilman Birr:<br />
On se left you see se<br />
Siegessäule,<br />
Manhattan, 301 S.,<br />
16,99 Euro<br />
14 LITERATUREULE 10/11
Lesezeichen: JULIUS FISCHER<br />
Platonisches Plaudern mit<br />
philosophierendem Proll 1<br />
»Orr, ich bin neulich im Theater gewesen, Das Wirtshaus<br />
im Spessart, und es war soooo schöön«, sagt Enrico<br />
zu mir, »einfach so, ganz normal, Geschichte, zack,<br />
klatschen! Man weeß ja heute ni mehr so genau, sind<br />
das jetzt echte Schauspieler oder Arbeitslose oder vielleicht<br />
ein Chor von Kleingärtnern.«<br />
»Was im Prinzip alles dasselbe ist!«, werfe ich ein<br />
und streichle mir selbstgefällig das Haar aus der Stirn.<br />
Dumme Sachen, die klug klingen, kann ich immer<br />
noch wie im Schlaf.<br />
»Na, ich meine doch nur, die Leute denken immer,<br />
dass man als Resseschör alles machen kann, so eigene<br />
Erfahrungen mit einbauen und so. Aber das ist<br />
Quatsch, weil wenn der Schiller das damals geschrieben<br />
hat, dann hatter bestimmt ni intendiert, dass heute<br />
irgendein zugekokster abgebrochener Theaterwissen-<br />
schaftsSchrägstrichEthnologieSchrägstrichSinologie-<br />
Fuzzi seine verquere Vorstellung von den Auswirkungen<br />
des Baus der Bagdadbahn von Kaiser Wilhelm<br />
auf die Apartheid in Südafrika in die Räuber<br />
reininterpretiert. Immer nur Kritik, Hitler und Kotzen<br />
und Bumsen auf der Bühne, das muss dor ni<br />
sein ... Also, kommt droff an, wer bumst, klar.«<br />
Theater!<br />
»Aber das Publikum muss doch auch was mitnehmen.<br />
Und wie Brecht schon sagte, was will eine Oberstufenklasse<br />
den Faust aufführen, im Originalkostüm,<br />
mit Urtext, wenn sie sich überhaupt noch nicht<br />
geprügelt haben, wenn sich ihnen die Gretchenfrage<br />
einfach nicht stellt? Ein bisschen Bezugnahme ist<br />
doch nur gesund.«<br />
»Ich will aber ni die ganze Zeit angespuckt werden<br />
von der Bühne. Wenn jemand zu mir kommt, um ein<br />
schönes Rohr verlegt zu bekommen, dann verlege ich<br />
das Rohr und krieg Geld dafür. Und im Theater zahl<br />
ich Geld fürs Theater und ni für Kunstejakulat.«<br />
»Ey! Ja, cool: Art! Aber das ist doch das Schöne:<br />
Nicht die Nachfrage bestimmt das Angebot, sondern<br />
die Kreativität. Sonst biste ganz schnell bei Dienstleistungskultur<br />
und etablierst eine Kategorie des nützlichen<br />
Schönen!«<br />
»Na und, so was braucht man nach nem harten Arbeitstag.<br />
Da kannste mir ni mit Nietzsche kommen.<br />
Was weiß ich denn davon? Es muss ja auch Leute geben,<br />
die ihren Verstand dazu benutzen, etwas Sinnvolles<br />
zusammenzubauen, und ni die ganze Zeit nachdenken<br />
über Sachen, über die sich tausend andere<br />
vorher auch schon den Kopf zerbrochen haben. Von<br />
der Seite her müsst ihr euch das ma ankucken, ni immer<br />
nur: ›Die dummen Arbeiter, leben ihr sinnloses<br />
Leben und wir helfen denen da raus‹, näiii, das geht<br />
andersrum genau so!«<br />
»So habe ich das noch nie betrachtet.«<br />
»Weil das halt keener macht. Denke dir mal zum<br />
Beispiel einen Fitnesstrainer im Vergleich zu einem<br />
Deutschlehrer, der eine betreibt Muskelaufbau bei<br />
dir, das siehst du als gehobene Dienstleistung, der<br />
andere unterrichtet deine Kinder, und das ist Pädagogik.<br />
Da ist doch die Waage falsch geerdet.«<br />
»Da könnte man aber auch wieder sagen: Was nützen<br />
Muskeln, wenn man keine Idee davon hat, was<br />
man mit ihnen so alles anfangen kann? Oder aber<br />
wie bei den Griechen: Der Kontrapost, die geölten<br />
Muskeln als ästhetische Kategorie sinnfreier Schönheit.«<br />
»Wenn meine Faust dir als formale Kategorie sinnvoller<br />
Aggression die Schneidezähne in den Gaumen<br />
drückt, wirst du da ni mehr drüber nachdenken müssen.<br />
Und dann versuche mal, mich mit deinen Gedanken<br />
zu verletzen.«<br />
»Ich könnte die Energie um mich herum bündeln<br />
und dich mittels eines elektromagnetischen Feldes<br />
enthäuten und entfleischen.«<br />
»Wenn das klappt, fange ich ooch an, Nietzsche zu<br />
lesen.«<br />
Fischer, Kling, Lehmann,<br />
Martschinkowsky, Reichert:<br />
Über Wachen und Schlafen,<br />
Systemrelevanter Humor.<br />
Das Lesedünenbuch.<br />
Verlag Voland & Quist, 160 S.,<br />
14,90 Euro<br />
LITERATUREULE 10/11 15