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Eulenspiegel Eulenspiegel 4 + Literatur Eule (Vorschau)

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DAS SATIREMAGAZIN<br />

Unbestechlich, aber käuflich!<br />

4/12 · € 2,80 · SFR 5,00<br />

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58./66. Jahrgang • ISSN 0423-5975 86514<br />

Er steht<br />

zu seiner<br />

großen Liebe!<br />

Zur Leipziger Buchmesse:<br />

<strong>Literatur</strong>-<strong>Eule</strong>


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Zeit im<br />

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EULENSPIEGEL 4/12 3<br />

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Highlights<br />

im Frühjahr<br />

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Inhalt<br />

Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arno Funke<br />

3 Zeit im Bild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Zak<br />

7 Hausmitteilung<br />

8 Leserpost<br />

10 Modernes Leben<br />

12 Zeitansagen<br />

14 Hutzelfeuer für die Kameraden . . . . . . . . Gregor Füller / André Sedlaczek<br />

16 Süüüß!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tobias Prüwer / Andreas Koristka<br />

18 Wird der Globus gelb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Köhler / Guido Sieber<br />

Gudrun Dietze:<br />

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Neue Rezepte & Geschichten<br />

152 Seiten | 16,5 x 20 cm | März 2012 | <br />

ISBN 978-3-89798-344-1<br />

Mit<br />

Zentralregister<br />

aller<br />

Dietze-Titel<br />

20 Leute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Krumbiegel<br />

22 Unsere Besten: Mit Zornespurpur in den Nasenlöchern –<br />

Rainer Maria Woelki . . . . . . . . . . . . . . Andreas Koristka / Frank Hoppmann<br />

24 Abgesägte Vaterfinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning H. Wenzel<br />

26 Zeitgeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beck<br />

28 Kleines h im kulturpessimistischen Überbiss . . . . . . . . . . . . Anke Behrend<br />

30 Die dunkle Seite der Macht . . . . . . . . Reinhard Ulbrich / Reiner Schwalme<br />

32 Vergessen hat sie gar nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mathias Wedel<br />

34 Der kleine Unterschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hannes Richert<br />

36 Hup doch, wenn du schwul bist! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erik Wenk<br />

38 Aller guten Dinge sind drei<br />

40 Der Einfall mit der Ösenficke . . . . . . . . . . . . . . . Frauke Baldrich-Brümmer<br />

42 Widerstandskämpfer und schwerst missgebildete Spätzle. . . . Florian Kech<br />

44 TV: Unverfälschte Leidenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Felice von Senkbeil<br />

45 Schöner wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Glück<br />

46 Kino: Das Glück ist keinem treu . . . . . . . . . . . . . . . Renate Holland-Moritz<br />

49 Artenvielfalt: Das Hausmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Frehse<br />

50 Der Heiland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barbara Henniger<br />

52 Wie blöd ist blöd? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martina Brandl<br />

54 Funzel: Fritz in Gefahr<br />

58 Fehlanzeiger<br />

50. Auflage<br />

zum<br />

50. Geburtstag<br />

60 Wahn & Sinn<br />

62 Schwarz auf Weiß<br />

64 Rätsel / Leser machen mit / Meisterwerke<br />

66 Impressum / ... und tschüs!<br />

<br />

Rezepte mit Traditon<br />

224 Seiten | 14 x 21 cm | <br />

ISBN 978-3-932720-53-6<br />

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68 <strong>Literatur</strong>-Spezial<br />

Teilen der Auflage sind Beilagen der Tema-GmbH und des Freitag beigefügt.<br />

Hat Ihnen eine Zeichnung im EULEN-<br />

SPIEGEL besonders gefallen? Dann<br />

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4 EULENSPIEGEL 4/12


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Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

Haus mitteilung<br />

ich war entsetzt, als ich die vielen empörten Leserbriefe las, die das<br />

Titelbild des letzten Heftes kritisierten. Kann es sein, fragte ich mich,<br />

dass meine von mir so sorgfältig zusammengestellte Zeitschrift Sie,<br />

meine höchst verehrten Käufer, auf so schäbige Weise beleidigt? Sofort<br />

beauftragte ich den nächstbesten Redakteur, mir ein Exemplar der<br />

März-Ausgabe zu besorgen. Fröhliche Menschen und putziges Getier<br />

stehen darauf vor einer kitschigen Panorama-Landschaft und grüßen<br />

freundlich Richtung Betrachter. Darunter steht »Sachsen grüßt seine<br />

Gäste« – eine muntere Momentaufnahme aus einem der schönsten<br />

Bundesländer. Das ist natürlich nicht der Anspruch, den man an ein<br />

Satiremagazin stellen kann. Deshalb möchte ich mich insbesondere bei<br />

unseren sächsischen Lesern entschuldigen. Ihre nette Art und Ihre<br />

wundervolle Heimat verführten einige meiner Ex-Mitarbeiter, ein harmloses<br />

Postkartenmotiv auf den Titel zu setzen. Sie, liebe Sachsen, wissen<br />

aber: Nicht alles im Freistaat ist wunderbar, einiges ist gerademal<br />

gut. Der EULENSPIEGEL wird sich bemühen, künftig auch kritische Töne<br />

aus Ihrem Bundesland einzufangen und mit spitzer Feder bzw. Zunge<br />

aufzuspießen. Die Zeichner habe ich angewiesen, auf grüßende Hasen<br />

gänzlich zu verzichten. Versteht sich von selbst, dass Sie von Reiner<br />

Schwalme in unserem Blatt nie wieder eine Zeichnung finden werden.<br />

★<br />

Wie Sie vielleicht wissen, haben wir in Deutschland einen sogenannten<br />

»Ethikrat«, dessen Aufgabe es ist, Entscheidungen zu bestimmten Themen<br />

zu treffen, die für Politiker zu kompliziert sind. Ich will mich darüber<br />

gar nicht mokieren, denn auch ich verstehe meistens nicht, worüber<br />

der Ethikrat gerade diskutiert. Vor Kurzem ging es zum Beispiel um<br />

die sogenannte »Präimplantationsdiagnostik«. Ich hatte mir fest vorgenommen,<br />

mich gründlich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, um<br />

anschließend die öffentliche Diskussion dazu vollständig verstehen und<br />

mich womöglich auch selbst als mündiger Bürger einbringen zu können.<br />

Aber als ich den Fernseher einschaltete, um eine diesbezügliche<br />

Dokumentation auf Arte anzuschauen, stellte ich fest, dass auf Nickel -<br />

odeon gerade ein Spongebob-Marathon lief – da war das Wochenende<br />

natürlich gelaufen, und das Thema PID blieb mir weiterhin fremd.<br />

Das sollte mir aber nicht noch einmal passieren, weshalb ich beim<br />

aktuellen Thema »Zwischengeschlechtlichkeit« extra gut aufgepasst<br />

habe. Und zwar ist das Problem folgendes: Hin und wieder kommen<br />

Kinder zur Welt, die untenrum ein bisschen verwachsen sind. Bisher<br />

hat man das von Ärzten zurechtschnippeln lassen, doch davon kommt<br />

man aus Kostengründen immer mehr ab. Stattdessen soll jetzt für die<br />

betroffenen Menschen ein »drittes Geschlecht« eingeführt werden, um<br />

ihre idiosynkratische Genitalkonstruktion juristisch zu untermauern.<br />

Aber ist das denn letztlich wirklich günstiger? Es müssen doch Abermillionen<br />

von Personalausweisen und Reisepässen umgestellt werden,<br />

von der Software in den Finanzämtern ganz zu schweigen! Gut, dass es<br />

unsere Zeichnungen auf Seite 38 gibt, die die ganze Angelegenheit von<br />

allen Seiten gründlich beleuchten (aber nicht zu gründlich!).<br />

★<br />

Berlin ist voll von ihnen. Sie tragen merkwürdige Kleidung, sprechen<br />

ein absurdes Kauderwelsch und verwandeln ehemals respektierte<br />

Stadtteile in Problembezirke. Die Rede ist natürlich von den sogenannten<br />

»Schwaben«. Aber wo kommen sie eigentlich her? Bis vor Kurzem<br />

war noch völlig unbekannt, wo sich das ursprüngliche Siedlungsgebiet<br />

dieser Ethnie befindet. Irgendwann jedoch bemerkte ein Soziologieprofessor<br />

der Humboldt-Universität, dass jeden Freitag gegen Mittag etwa<br />

die Hälfte seiner Studenten fluchtartig den Hörsaal verließ. Neugierig<br />

geworden, beschloss er, ihnen zu folgen, und entdeckte am Ende einer<br />

langen Reise Erstaunliches: Anscheinend, so das Ergebnis seiner Forschungen,<br />

gibt es ein ganzes Land, in dem ausschließlich Schwaben<br />

wohnen. Es soll »Baden-Württemberg« heißen und tief im Südwesten<br />

liegen. Kurioserweise bestreiten übrigens viele der dortigen Einwohner,<br />

überhaupt Schwaben zu sein – nur eine von vielen ulkigen Eigenheiten<br />

dieses Völkchens.<br />

Tja, und dieses »Baden-Württemberg« erreicht nun, kurz nach seiner<br />

Entdeckung, eigenen Angaben zufolge das stolze Alter von 60 Jahren,<br />

was wir mit einem Artikel auf Seite 42 feiern. Warum? Also das kann ja<br />

nun wirklich nur jemand fragen, der noch nie Monat für Monat eine<br />

Zeitschrift vollschreiben musste.<br />

Mit freundlichem Grüßle<br />

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Angefangene Sätze<br />

sind das halbe Leben.<br />

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Leseprobe unter www.heyne.de<br />

Vor kurzem wartete ich geschlagene 3 Stunden<br />

auf den Bus. Ich gebe zu, da war keine Haltestelle.<br />

Trotzdem, hier geht’s ums Prinzip!<br />

Unterwäsche aus Papier hat den Vorteil, man<br />

kann die verschmutze Wäsche der Wäscherei zufaxen.<br />

Fußball ist in nicht unerheblichem Maße eine<br />

Frage der Hirnrinde, eh, Hinrunde ...!<br />

»Piet Klocke beherrscht die Kunst der<br />

immerwährenden Assoziation. Ein Meister<br />

des gebrochenen Wort-Versprechens.«<br />

Süddeutsche Zeitung<br />

Chefredakteur<br />

EULENSPIEGEL 4/12 7


www.eulenspiegel-zeitschrift.de<br />

58./66. Jahrgang • ISSN 0423-5975 86514<br />

Post<br />

Zum Titel:<br />

DAS SATIREMAGAZIN<br />

3/12 · € 2,80 · SFR 5,00<br />

<br />

<br />

<br />

Unbestechlich, aber käuflich!<br />

Seit geraumer Zeit habe ich im<br />

EULENSPIEGEL unausgewogen<br />

viele antisächsische Beiträge festgestellt.<br />

Der Gipfel ist aber nun<br />

das Titelblatt, mit welchem er ein<br />

gesamtdeutsches Problem auf<br />

Sachsen fokussiert. Damit verfehlt<br />

diese Karikatur ihr Ziel völlig und<br />

ist eine Beleidigung für unser Land.<br />

Dr. Wolfgang Dietzsch, Leipzig<br />

So schnell kann’s gehen!<br />

Welche stinkende Pestbeule von<br />

Wessi hat Euch denn zu dieser<br />

Titelseite geraten? Wenn ich ein<br />

Sachse wäre, ich würde Euch diese<br />

Seite um die Ohren hauen. Diese<br />

Seite hat nichts mehr mit Satire zu<br />

tun, das ist eine maßlose Beleidigung<br />

aller Ossis.<br />

Gerd Mikler per E-Mail<br />

Und der Tiere des Waldes!<br />

Reiner Schwalme hat in seinem<br />

Titelbild etwas vergessen: Nicht<br />

nur Nazis, Hasen und Vögel erheben<br />

in Sachsen die Hand zum völkischen<br />

Gruß, sondern auch die<br />

Fichten.<br />

Horst Gläser, Pobershau<br />

Jetzt übertreiben Sie aber!<br />

Was machten die vielen Ostberliner<br />

Glatzen im Elbsandsteingebirge?<br />

Die machen doch sonst<br />

immer in Mecklenburg Urlaub. Wohin<br />

wollten die zwei Häschen per<br />

Anhalter fahren? Dann entdeckte<br />

ich die Statue auf dem Felsen! Das<br />

ist Lenin, der mit gestrecktem Arm<br />

in die Zukunft weist! Und plötzlich<br />

war alles klar: Der Hubschrauber,<br />

der am Ende von Good bye, Lenin!<br />

mit dem Denkmal davonflog, hatte<br />

Lenin dort abgestellt.<br />

Lutz Hornig, Jessen<br />

Wahre Kunst ist nie eindeutig.<br />

Wenn 15 Bundesländer nicht in<br />

der Lage sind, eine rechte Terrorzelle<br />

auszuheben, und alle auf<br />

die Sachsen warten, damit die die<br />

ausgeklüngelte Drecksarbeit machen,<br />

ist das Titelbild eigentlich<br />

schon wieder positiver zu sehen.<br />

Anett Felsner per E-Mail<br />

Das wollten wir auf keinen Fall.<br />

Die Zeichnung passt so richtig in<br />

das Klischee: Ossi = undankbar,<br />

faul, dumm und gefräßig –<br />

und nun auch noch braun. Übrigens<br />

heilgrüßende haar- und hirnlose<br />

Glatzen gibt es in ganz<br />

Deutschland und nicht nur (seit einiger<br />

Zeit) in Sachsen.<br />

Dieter Struppert per E-Mail<br />

Dann ist ja gut.<br />

Zu: Zeit im Bild, »Muttis Liebling«:<br />

Seit wann hat Hannelore Hoger<br />

was mit Sarkozy?<br />

M. Adamczewski, Berlin<br />

Wussten Sie das nicht?<br />

Jetzt, wo die kalten Winde durch<br />

die leeren Hallen vom Bellevue<br />

wehen, hätte ich in der Bundespräsidentenfrage<br />

einen Vorschlag von<br />

Euch gehört! Und da gibt es ja nur<br />

einen Namen: Werner Klopsteg,<br />

Berlin.<br />

Gerhard Heruth, Döbeln<br />

Oder Gerhard Heruth, Döbeln<br />

Ex-Bundespräsidenten – auch zurückgetretene<br />

– erhalten einen<br />

Ehrensold, und das Geld fehlt dem<br />

Staat bei der Versorgung der kleinen<br />

Leute.<br />

Werner Klopsteg, Berlin<br />

Die können nicht genug kriegen.<br />

Eine böse Zeitung. Hab’ sie nur<br />

kurz aufgeschlagen und stieß<br />

auf die Beiträge zu Wulff und Assauer.<br />

Ich war entsetzt und werde<br />

die EULE nach 33-jähriger Leserschaft<br />

weiter abonnieren, denn<br />

meine Ehre heißt Lesertreue.<br />

Mario Eichhorn per E-Mail<br />

Und wie heißt Ihr Hund?<br />

Zu: »Kauderopoulus, du Oktopus!«,<br />

Da habt Ihr mit »Ja, der Kauderopoulus<br />

stinkt wie ein Oktopus«<br />

einen wahren Ohrwurm in die Eurovision-Song-Contest-Welt<br />

gesetzt!<br />

Ich singe den Hit jedenfalls die<br />

ganze Zeit begeistert vor mich hin,<br />

auf eine selbstverfasste Sirtaki-Melodie<br />

nebst Rhythmus. Schließlich<br />

habe ich schon als Thälmann-Pionier<br />

gemalte Blumen an Theodorakis<br />

in den Akropolis-Knast geschickt.<br />

Danke, dass Ihr den Spitzenpolitiker<br />

Kauder so verdient<br />

würdigt!<br />

Bernd C . Langnickel, Leipzig<br />

Gern geschehen.<br />

Also da verstehe einer uns Deutsche:<br />

Erst bringen wir einen<br />

Bundespräsidenten zum Rücktritt,<br />

weil wir unzufrieden sind, dass er<br />

die Wahrheit sagt, und nun hat<br />

sein Nachfolger den Rücktritt erklärt,<br />

weil wir unzufrieden damit<br />

sind, dass er nicht die Wahrheit gesagt<br />

haben soll. Am besten, wir<br />

wählen einen, der sich gar nicht<br />

mehr äußern kann.<br />

Heiner Bargel, Berlin<br />

Das wäre ein Segen!<br />

Zu: Artenvielfalt, »Das Opi«,<br />

Ich muss mich bei Euch bitterlichst<br />

beklagen. Die Erwähnung,<br />

dass das Opi stundenlang mit einer<br />

Zeitung auf dem Klo sitzt, erinnerte<br />

mich (warum auch immer) an<br />

meinen Therapeuten ... Oder bin<br />

ich einfach nur ein durchgeknallter<br />

schlechter Mensch, weil ich solche<br />

Phantasien entwickeln kann?<br />

Steffi Albrecht, Altötting<br />

Vermutlich ja.<br />

Als Neuleser des EULENSPIEGEL<br />

bin ich begeistert über die Artenvielfalt<br />

in unserer Landschaft.<br />

Vom Vati bis zum Opi kenn ich<br />

jetzt alle. Ich bin »das Opi«. Viele<br />

Charaktereigenschaften muss ich<br />

mir noch erarbeiten, aber wo Norden<br />

ist, das weiß ich, und Halma<br />

kann ich auch.<br />

Jürgen Uhrhan, Wernigerode<br />

Toll! Halma kann heute keiner mehr.<br />

Bei der lästerzüngigen Großmäuligkeit<br />

kann das Anke nur das<br />

Enkelin von das beschriebene Opi<br />

sein: In seiner Jugend war das genauso<br />

... nur mit das berühmte<br />

kleine Zipfelchen mehr dran. Ansonsten<br />

ist das Anke genetisch<br />

aber bestens positioniert, ein exakt<br />

zu dieses Opi passendes Omi zu<br />

werden. Allein, meine humanistische<br />

Prägung verbietet mir, ihr zu<br />

wünschen, gar nicht erst alt genug<br />

zu werden, um nicht am eigenen<br />

Leib erfahren zu müssen, wie<br />

man/frau zu solchen alten, stinkenden,<br />

stänkernden und höchst unbeliebten<br />

Zuwiderwurzn/Bissgurrn<br />

heranreift.<br />

Dietrich Prehl, München<br />

Zu spät. Sie geht stramm auf 30 zu.<br />

Ich hoffe inständig, dass die geschätzte<br />

Frau von Senkbeil sich<br />

den am Montag (6.2.) im ZDF gezeigten<br />

Pseudokrimi Mord in Ludwigslust<br />

in der nächsten EULE vornimmt.<br />

So viel Kacke in 90 Minuten,<br />

kaum zu glauben.<br />

Peter Dietrich, Chemnitz<br />

Das hätte Felice nicht klarer sagen<br />

können.<br />

Zu: »Der Fuchs ist immer ein Fuchs«<br />

Der Beitrag ist geschmacklos.<br />

So viel Scheiß zu diesem<br />

(Heft-)Preis.<br />

Bernd Winter, Wurzen<br />

Reime drucken wir grundsätzlich<br />

nicht.<br />

Die Kuh ist immer eine Kuh. Es<br />

wird aber nie eine Kuh zu finden<br />

sein, die ihrer inneren Gesinnung<br />

nach etwa humane Anwandlungen<br />

Grashalmen gegenüber haben<br />

könnte. Aber der Nazi ist immer<br />

ein Nazi. Und somit dümmer<br />

als jedes Rindvieh!<br />

Sandra Kurth, Chemnitz<br />

Und sonst so?<br />

Dein Versuch mit der Frakturschrift<br />

ist buchstäblich ins<br />

Auge gegangen. Erstens erschien<br />

Mein Kampf während der NS-Zeit<br />

grundsätzlich in Antiqua, zweitens<br />

ließ Hitler die Frakturschrift 1941<br />

verbieten (als angebliche »Judenlettern«).<br />

Für einen Bibliophilen wie<br />

mich einfach Horror!<br />

Dr. Arno Pielenz, Cottbus<br />

Mein Kampf ist Horror.<br />

Zu: »Fiaskos, Flops und<br />

Fehlanzeiger«<br />

Mit der Platzierung der OTZ in<br />

den Top Ten 2011 des Fehlanzeigers<br />

bin ich sehr unzufrieden.<br />

OTZ hat auf Rückfrage bestätigt,<br />

dass sich das 2012 ändern soll.<br />

Jürgen Kausch,<br />

Vogtländisches Oberland<br />

Die schafft das!<br />

Ich lag heute Mittag ewig in der<br />

Badewanne und hab dabei den<br />

EULENSPIEGEL gelesen – kann ich<br />

nur weiterempfehlen. Mein Kater<br />

war danach wie weggeblasen!<br />

René per E-Mail<br />

Was haben Sie mit dem Tier<br />

gemacht?<br />

Biete: EULENSPIEGEL-Jahrgänge<br />

1990 bis 2010 (komplett)<br />

Herr Spaniol, Tel.: 030-6458 533<br />

8 EULENSPIEGEL 4/12


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Ari Plikat André Poloczek<br />

10 EULENSPIEGEL 4/12


Modernes Leben<br />

EULENSPIEGEL 4/12 11<br />

Sobe


Von unserem<br />

Hauptstadt-<br />

Korrespondenten<br />

Atze<br />

Svoboda<br />

Auch das Tier ...<br />

... hat eine Würde (nicht nur das Bundespräsidentenamt)!<br />

Das sieht man z.B.<br />

daran, dass eine Sau vor dem Schlachten<br />

betäubt werden muss. Die Würde des<br />

Tieres darf nicht angetastet werden. Das<br />

Tier selbst natürlich schon, also Hunde,<br />

die gaaanz lieb sind, und Tiere im Streichelzoo.<br />

Auch Frau Merkel hat eine<br />

Würde. Auch sie muss vor dem Schlachten<br />

– aber das ist jetzt Quatsch. Sie darf<br />

jedoch auch nicht angetastet werden,<br />

und ich wüsste ehrlich gesagt auch niemanden,<br />

der das tun würde. Wie das der<br />

Herr Sauer für sich löst, ist seine Sache.<br />

Wenn das Tier – sagen wir: ein Frosch<br />

– eine Würde hat, und Frau Merkel hat<br />

von Hause aus auch eine, dann stoßen<br />

unweigerlich zwei Würdenträger aufeinander.<br />

Der Frosch könnte beispielsweise<br />

sagen: »Ich bin noch nie mit Ihnen verglichen<br />

worden, Frau Merkel, obwohl es<br />

mir eine Ehre wäre.«<br />

»Ich mit Ihnen schon«, würde Frau Merkel<br />

wahrheitsgemäß erwidern, »aber wissen<br />

Sie, der Rösler kann mich mal, diese<br />

chinesische Ratte!«<br />

Nach Erich Brehm gibt es drei Arten<br />

von Tieren: erstens eklige, die oft Krankheiten<br />

übertragen, zweitens Tiere, die für<br />

uns arbeiten bzw. Nahrungsmittel liefern,<br />

und drittens Tiere, die unser Herz erfreuen.<br />

Neben Knut (†) und dem Golden<br />

Retriever gehört auch der Frosch dazu,<br />

der ein lustiges Geräusch macht, wenn<br />

man ihn überfährt. Mit der Gruppe der<br />

Herzenstiere dürfen wir Journalisten die<br />

Politiker vergleichen, ohne die Würde der<br />

Tiere anzutasten: Gabriel war Knut, Beck<br />

war der Problembär, und Frau Merkel ist<br />

eben die Kröte, die zu spät merkt, wenn<br />

das Wasser zu heiß wird. Etwas problematisch<br />

ist es mit der Gruppe der Nutztiere:<br />

Frau Merkel schuftet für die Eurorettung<br />

wie ein Pferd. Das geht in Ordnung.<br />

Sie beschützte den Karl-Theodor<br />

wie eine Orang-Utan-Mama ihr Junges.<br />

Auch gut. Aber mit einer Ziege darf man<br />

eine Politikerin nicht vergleichen, nicht<br />

mal Frau Nahles, weil die Ziege, wenn sie<br />

lange mit dem Hirten auf der Alm ist,<br />

schlimme Krankheiten überträgt.<br />

Frau Merkel dürfen wir Hauptstadtjournalisten<br />

jedoch getrost auch Hasenmutti<br />

nennen. Die frisst gelegentlich dieses<br />

oder jenes ihrer Jungen. Philipp Rösler,<br />

der kleine Rammler, sollte also besser<br />

den Schwanz einziehen – bzw. die Blume.<br />

Korane sachgemäß kompostieren<br />

Nur weil sie bei der Mülltrennung<br />

einen Moment unachtsam waren,<br />

bekamen amerikanische Soldaten<br />

kurz nach Bekanntwerden der Verbrennung<br />

mehrerer Korane in der<br />

afghanischen Basis Bagram heftige<br />

Proteste zu spüren. Dabei zeigt<br />

schon die öffentliche Entschuldigung<br />

von Kommandant John R. Allen,<br />

dass es sich um eine Verkettung<br />

ebenso unglücklicher wie unvermeidlicher<br />

Ereignisse gehandelt<br />

hatte: »Um uns mehr mit der<br />

muslimischen Kultur zu beschäftigen,<br />

probten unsere Jungs gerade<br />

›Jihad – das Musical‹ mit dem Propheten<br />

Mohammed in der Hauptrolle.<br />

Für den Höhepunkt, bei dem<br />

mehrere Soldaten auf den Koran<br />

onanieren, um ihre Liebe zum Islam<br />

zu verdeutlichen, brauchten<br />

wir noch ein Exemplar der Schrift.«<br />

Leider waren die einzigen Korane,<br />

die man auftreiben konnte,<br />

nicht mehr verwendbar, da die<br />

letzte Lieferung Toilettenpapier<br />

ausgeblieben war. Doch Allen beschwichtigt<br />

die Gemüter: »Es waren<br />

ohnehin nur Übersetzungen ins<br />

Hebräische, die in billiges Schweineleder<br />

eingebunden waren.« Was<br />

sollte man also mit den unbrauchbaren<br />

Schriften tun? »Nachdem wir<br />

die Buchseiten für unseren Integrationszeichenkurs<br />

›How To Draw The<br />

Prophet‹ genutzt hatten, hatten wir<br />

einfach keine Verwendung mehr<br />

dafür«, zuckt Allen mit den Achseln.<br />

Ein paar Exemplare habe man<br />

danach an Moscheen verteilt, aber<br />

es waren immer noch Hunderte übrig.<br />

»Wir haben sie einfach zur Bücherlieferung<br />

getan, die jeden Freitag<br />

zur Müllverbrennungsanlage<br />

geht«, so Allen. Da ein Großteil<br />

der Insassen der US-Basis des Lesens<br />

unkundig ist, war dieser<br />

Dienst eingerichtet worden, um<br />

nutzlose Bücher, Zeitungen und<br />

Drohnen-Betriebsanleitungen zu<br />

verbrennen.<br />

Als die Soldaten die LKW-Ladung<br />

Korane in die Flammen kippten,<br />

kamen ihnen ob der Reaktionen<br />

afghanischer Mitarbeiter erstmals<br />

leise Zweifel, ob Kompostieren<br />

nicht doch sinnvoller gewesen<br />

wäre. Allen ringt die Hände: »Dabei<br />

hatten unsere Soldaten sogar<br />

noch versucht, die brennenden Bücher<br />

durch gemeinsames Draufurinieren<br />

zu retten!« Doch die edle<br />

Geste versickerte ungehört. In einem<br />

Punkt kennt Allen jedoch kein<br />

Pardon: »Die Verbrennung erfolgte<br />

eine ganze Woche vor dem amerikanischen<br />

International Burn-A-<br />

Koran-Day – dieser Fauxpas ist<br />

nicht entschuldbar!«<br />

Erik Wenk<br />

Zeichnung: Andreas Prüstel<br />

Wahre Liebe<br />

Veronika Ferres und Carsten<br />

Maschmeyer wollen<br />

heiraten. Und allen, die<br />

jetzt schon wieder behaupten,<br />

die beiden<br />

seien nur zusammen,<br />

weil sie neureich und berühmt<br />

sind, sei gesagt:<br />

Sie zumindest spielt ihm<br />

nichts vor.<br />

Carlo Dippold<br />

Jo mei<br />

Innenminister Friedrich<br />

(CSU) tönte neulich in der<br />

Bild: »Die Multikulti-Illusion<br />

ist gescheitert.« Dabei<br />

sah es bislang so aus,<br />

als sei die Integration der<br />

Bayern auf einem guten<br />

Wege.<br />

Jan Frehse<br />

Etikette<br />

Agrarministerin Aigner<br />

plant die Einführung eines<br />

Etiketts, das die Herkunft<br />

des Lebensmittels<br />

anzeigt. Noch nicht entschieden<br />

hat sie, ob es<br />

reicht, wenn z.B. »BASF«<br />

draufsteht oder ob die gesamte<br />

Postanschrift des<br />

Unternehmens aufs Etikett<br />

muss.<br />

JF<br />

12 EULENSPIEGEL 4/12


Mit zweierlei Maß entschädigt<br />

Frühere Heimkinder, die nun endlich<br />

für ihre unbezahlte Arbeit in Industrie<br />

und Landwirtschaft entschädigt<br />

werden, müssen diese Zahlungen<br />

nicht auf ihre Hartz-IV-Bezüge anrechnen<br />

lassen. Das gilt natürlich nicht<br />

für unentgeltliche Arbeit in Industrie<br />

und Landwirtschaft, die ihnen das Job-<br />

Center seitdem in Form einer Maßnahme<br />

aufgezwungen hat.<br />

Michael Kaiser<br />

Mondgesicht<br />

Russland stellt sich ehrgeizige Ziele:<br />

Bis 2020 will man Menschen auf den<br />

Mond schicken. Derzeit werden Freiwillige<br />

für die Mission gesucht. Angeblich<br />

soll sogar Wladimir Putin Interesse<br />

haben. Allerdings will er nur<br />

mit, wenn er sich auf dem Mond mit<br />

freiem Oberkörper zeigen darf.<br />

Frank B. Klinger<br />

Zeit ansagen<br />

Kriki<br />

Drachme oder Euro?<br />

Eigentlich ist es doch völlig egal, in welcher Währung die Griechen<br />

kein Geld haben.<br />

FBK<br />

Mario Lars<br />

Im Umkehrschluss<br />

Der zurückgetretene Bundespräsident Christian<br />

Wulff bekommt seinen Ehrensold. Das<br />

Bundespräsidialamt bescheinigte ihm, dass<br />

er »aus politischen Gründen aus seinem Amt<br />

ausgeschieden« sei. Falls diese politischen<br />

Gründe dazu führen sollten, dass er vor einem<br />

ordentlichen Gericht wegen »Vorteilsannahme<br />

im Amt« verurteilt wird, darf er sich zudem offiziell<br />

als »politischer Gefangener« bezeichnen.<br />

MK<br />

Böse Schwiegermutter?<br />

Man kennt das ja als Frau: Die Mutter kommt<br />

zu Weihnachten vorbei und sagt: »Mädchen,<br />

du heiratest ja bald einen Ministerpräsidenten,<br />

hier haste 2500 Euro in bar. Kauft euch<br />

mal was zu Essen! – Oder lasst das Geld ein<br />

Dreivierteljahr unter der Matratze liegen und<br />

macht dann Urlaub auf Sylt, wobei ihr euch<br />

die Hotelkosten erst von einem Freund auslegen<br />

lasst, um sie ihm anschließend in bar von<br />

meinem Weihnachtsgeschenk zurückzuerstatten.«<br />

So jedenfalls war es 2007 bei Bettina<br />

Körner (jetzt Wulff).<br />

Das hat sich Wulffs Schwiegermutter fein<br />

ausgedacht: Denn dank dieses Geldgeschenkes<br />

und der sich daran anschließenden staatsanwaltlichen<br />

Ermittlungen hat der Christian<br />

jetzt mehr Zeit für ihre Enkelkinder und kann<br />

ihrer Tochter mit seiner Monatsrente von<br />

16 583 Euro ein finanziell abgesichertes Leben<br />

bieten. – Er war eben schon immer der<br />

Traum aller Schwiegermütter.<br />

CD<br />

Bernd Zeller<br />

Honorig<br />

Wulff bekommt seinen Ehrensold völlig zu<br />

recht! Er hat einen wichtigen Baustein dafür<br />

gelegt, das Amt des Bundespräsidenten abzuschaffen.<br />

EW<br />

EULENSPIEGEL 4/12 13


Brauch tum<br />

Die Zeit, meint Verteidigungsminister<br />

Thomas de Maizière,<br />

sei reif für eine neue Tradition,<br />

und er würde gerne Stifter dieser<br />

Tradition sein. Inzwischen<br />

sind mehr als 300 000 deutsche<br />

Soldaten an Einsätzen<br />

weltweit beteiligt gewesen –<br />

und das allein in jüngster<br />

Zeit –, und manche von ihnen<br />

haben sich aus dem Geschäft<br />

zurückgezogen. Diesen Menschen<br />

soll ein Tag gewidmet<br />

werden, ein Veteranentag.<br />

Hutzelfeuer für<br />

die Kameraden<br />

Spätestens im Herbst möchte de Maizière ein sogenanntes<br />

Veteranenkonzept vorlegen. Geplant<br />

sind deutschlandweite Aufmärsche, die von Veteranen<br />

organisiert werden. Inklusive Blumen<br />

streuende Kinder, Fahnen schwenkende Witwen<br />

und Geschnetzeltes to go. Fröhliche Umzüge<br />

eben, im Stechschritt oder wahlweise Rollstuhl.<br />

Auch könne sich de Maizière gut eine Medaillen-Verleihung<br />

durch die Kanzlerin vorstellen.<br />

Entweder im Reichstag oder irgendwo im Südosten<br />

Nürnbergs, falls da zufällig ein passendes<br />

Gelände zur Verfügung stünde. Angedacht<br />

ist neben den üblichen Auszeichnungen – Nahkampfspange<br />

und Leistungsrune – ein Horst-<br />

Köhler-Orden für das Freihalten von Handelswegen.<br />

Als Krönung soll zum Abschluss der Feierlichkeiten<br />

die Oberst-Georg-Klein-Medaille »für<br />

besondere Präzision und Effizienz bei der dauerhaften<br />

Immobilisierung eventueller Feind-Sympathisanten<br />

im und außerhalb des Rahmens des<br />

deutschen Völkerstrafgesetzbuches« verliehen<br />

werden.<br />

Einen passenden Termin zu finden scheint bisher<br />

die größte Hürde zu sein. Gegen den von<br />

der Bundeswehrführung favorisierten 21. Februar,<br />

den Beginn der Schlacht um Verdun, wehrt<br />

sich der Bundesverband der Gästeführer in<br />

Deutschland, denn der Tag fällt zusammen mit<br />

dem Welttag des Fremdenführers. Ebenfalls im<br />

Gespräch ist der 16. März, der ehemalige Heldengedenktag<br />

der Nationalsozialisten. Doch dieses<br />

Datum lehnt die Bundeswehrführung selbstverständlich<br />

ab, da an diesem Tag auch Markus<br />

Lanz Geburtstag hat, mit dem die Bundeswehr<br />

keinesfalls in Verbindung gebracht werden<br />

möchte.<br />

Ein Horst-Köhler-Orden für das<br />

Freihalten von Handelswegen<br />

Die besten Chancen hat bisher der 1. September.<br />

Da nämlich ruft der Deutsche Gewerkschaftsbund<br />

jährlich den Antikriegstag aus. Ein optimales<br />

Datum, schließlich ist die Bundeswehr pazifistisch<br />

wie das ganze Land und bombardiert afghanische<br />

Benzindiebe nur, um in überspitzter<br />

Weise auf die Grausamkeit des Krieges aufmerksam<br />

zu machen.<br />

Egal, auf welchen Tag letztendlich die Wahl<br />

fällt, am Wichtigsten ist – und darin sind sich<br />

alle Beteiligten einig –, dass der Veteranentag<br />

ein eigenständiger Feiertag wird. Denn nur wenn<br />

die Leute an dem Tag auch schön ausschlafen<br />

können, würde das den Soldaten über den Verlust<br />

des ein oder anderen Beines hinweghelfen.<br />

Lob für den Vorstoß des Ministers kommt von<br />

der Deutschen Kriegsopferfürsorge (DKOF), die<br />

sich – wie der Name schon sagt – um ehemalige<br />

Bundeswehrsoldaten kümmert. Dass sich damit<br />

vor allem die Opfer der deutschen Kriegseinsätze<br />

für seine Idee begeistern, freut de Maizière ganz<br />

besonders.<br />

Manche alten Veteranen jedoch sind sauer, dass<br />

die neuen Veteranen einen Gedenktag erhalten<br />

sollen, während sie seit Jahrzehnten vergeblich<br />

darauf warten, dass die Gesellschaft ihre Leistungen<br />

anerkennt. Einige haben seit Langem schon<br />

aus Protest ihre eigenen Gedenktage eingeführt.<br />

In der Seniorenresidenz »Anschluss« z.B. feiern<br />

die Veteranen Joseph und Helmut mit einer Portion<br />

Kesselfleisch einmal in der Woche »Kesselschlacht<br />

von Kiew« und gedenken der guten alten<br />

Zeit.<br />

Kritik kommt auch von den Grünen. Diese sind<br />

zwar stolz darauf, dass sie es waren, die den Soldaten<br />

nach so vielen Jahren wieder die Möglichkeit<br />

gegeben haben, sich für ihr Vaterland zu opfern,<br />

dennoch lehnt der grüne Verteidigungsexperte<br />

im Bundestag, Omid Nouripour, einen von<br />

14 EULENSPIEGEL 4/12


oben angeordneten Veteranentag ab und sagt:<br />

»Man kann einen Veteranentag nicht ›par ordre<br />

du mufti‹ einführen.« Ein solcher Tag müsse genau<br />

wie jeder Kampfeinsatz von Herzen kommen,<br />

»sonst güldet das nicht«, so Nouripuor.<br />

Doch Thomas de Maizière ist ein intelligenter<br />

Mann, der die öffentlichen Reaktionen berechnet<br />

hat. »Mir war klar, dass der Aufschrei der üblichen<br />

Gutmenschen groß sein wird«, erklärt der<br />

Minister. »Aber genau das wollte ich: eine breite<br />

Debatte anstoßen, die von der stümperhaften<br />

Bundeswehrreform ablenkt. Und die Kameraden<br />

freuen sich so über die moralische Unterstützung,<br />

dass sie glatt vergessen, dass einige von ihnen<br />

noch leben könnten, wenn ich für eine ordentliche<br />

Ausrüstung sorgen würde. Oder wenn ich sie<br />

einfach in den Kasernen ließe, weil mir so viel<br />

an ihnen liegt.«<br />

Den guten Draht zu den Jungs an der Front hat<br />

der Minister von seinem Vorgänger Guttenberg<br />

übernommen. Doch wo dieser umgangssprachlich<br />

von Krieg redete, drückt de Maizière sich differenzierter<br />

aus. »Vieles, was Sie hier tun, ist wie<br />

im Krieg«, sagte er im März 2011 bei seinem ersten<br />

Afghanistanbesuch. Die Soldaten wissen<br />

diese Ausdrucksweise zu schätzen und geben<br />

ihm recht. Denn dass mal einer besoffen vom<br />

Transporter fällt – das kommt auch in Friedenszeiten<br />

vor.<br />

So lustig geht es bei der Truppe allerdings nicht<br />

immer zu. PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung),<br />

POSUHSVÜBBUSB (Präoperative Schulterund<br />

Handgelenksschmerzen vom übermäßigen<br />

Wirtschaft auf der einen und<br />

weitergehende Herausforderungen<br />

auf der anderen Seite<br />

Brunnenbohren und Schulenbauen) oder AA (Arm<br />

ab) sind die häufigsten Spätfolgen der Friedenssicherung<br />

an der Front und ein ernstes Problem.<br />

Der ehemalige Oberleutnant Holger Z. leidet<br />

gleich unter allen drei Krankheiten. »Ich weiß<br />

noch genau, was in der Broschüre stand, die für<br />

eine Karriere beim Bund warb«, erzählt er. »Und<br />

zwar wortwörtlich genau das: ›Hinsichtlich des<br />

Anforderungsprofils unterscheidet sich die Bundeswehr<br />

nicht von zivilen Arbeitgebern in der Wirtschaft.<br />

Der Offizierberuf bietet jedoch Herausforderungen,<br />

Chancen und Möglichkeiten, die weit<br />

über das Angebot der Wirtschaft hinausgehen.‹<br />

– Dass die die Chancen und Möglichkeit zum Rumballern<br />

meinen, war mir damals nicht klar.« Er<br />

wünscht sich, dass an einem Tag im Jahr auch<br />

die deutsche Zivilbevölkerung diesen Unterschied<br />

zwischen Wirtschaft auf der einen und weitergehenden<br />

Herausforderungen auf der anderen Seite<br />

erfährt. Eine Waffe und ein paar Handgranaten<br />

hat er sich schon besorgt, um eines Tages in irgendeiner<br />

Fußgängerzone dem normalen Bürger<br />

ein Bild von diesen Herausforderungen zu verschaffen.<br />

»Damit da mal ein bisschen Mitgefühl<br />

für uns aufkommt«, so Z.<br />

Ein frommer Wunsch, den nicht alle seine Kameraden<br />

teilen. Jochen U. beispielsweise widerspricht<br />

dem Anliegen de Maizières vehement.<br />

Dem ehemaligen Stabsfeldwebel platzten 2005<br />

in Kabul bei einem Truppen-Unterstützungs-Konzert<br />

von Peter Maffay beide Trommelfelle. »So<br />

ein Quatsch!», schreit er. »Wieso sollten Tierärzte<br />

einen eigenen Gedenktag bekommen? – Was? Veteran?<br />

Ach so. Ja, klar, dann bin ich da auch für.«<br />

So findet de Maizières Vorschlag immer mehr<br />

Anhänger. Und vielleicht wird diese gestiftete Tradition<br />

eines Tages so selbstverständlich zum deutschen<br />

Alltag gehören wie Halloween, das Hutzelfeuer<br />

oder der Filmfilm auf Sat1.<br />

Gregor Füller<br />

Zeichnungen: André Sedlaczek<br />

EULENSPIEGEL 4/12 15


Süüüß!<br />

salmanspets<br />

Die Zwickauer Nazi-<br />

Terroristin Beate<br />

Zschäpe ließ ihre<br />

zwei Katzen in den<br />

Händen der feindlichen<br />

BRD-Behörden im Stich.<br />

Nun sitzen sie in politischer<br />

Tierheimhaft.<br />

Was muss man beachten,<br />

wenn man sich die<br />

braunen Stubentiger<br />

nach Hause holen<br />

möchte?<br />

Rat und Tat in der<br />

Nazikatzenfürsorge<br />

Fellpflege: Beachten Sie den natürlichen<br />

Fall des Felles! Immer vom rechten<br />

zum linken Ohr kämmen!<br />

Nahrung: Katzenfutter nicht beim Juden<br />

kaufen!<br />

Was tun im Urlaub? Einfach mitnehmen!<br />

Aber bitte nur im artgerechten angemieteten<br />

Wohnmobil.<br />

Schon gewusst?<br />

Katzen, die nationalsozialistische Systeme<br />

staatsphilosophisch untermauern,<br />

gehen ab wie Carl Schmitts Katze.<br />

Einmaleins der Rassenkunde<br />

16 EULENSPIEGEL 4/12<br />

Adi sucht ein neues Herrchen<br />

Der kleine Adi sucht ein<br />

neues Zuhause. In seinem alten<br />

Heim hat er schon viel<br />

durchgemacht. Sein Frauchen<br />

wenn diese noch recht warm<br />

war. Mit Kindern versteht sich<br />

Adi gut, wenn sie ihre deutsche<br />

Abstammung auf fünf<br />

lebte in einer komplizier-<br />

Generationen nachweisen<br />

ten Dreiecksbeziehung mit<br />

zwei Gewalttätern. Oft hat er<br />

auf der Pistole geschlafen,<br />

können. Achtung: Adi hat<br />

nur noch einen Hoden und ist<br />

Vegetarier.<br />

Man unterteilt in rein und verlaust, also<br />

Kurz- und Langhaarkatze; Halb- und Viertellanghaar<br />

sind nicht ganz so verderbte<br />

Unterkatzen.<br />

Artfremde Katzen kommen nicht in deutsche<br />

Stuben, die schlitzohrige Siamkatze<br />

z.B. oder die nicht stubenreine Nacktkatze.<br />

Eine deutsche Katze ist weiß. Schwarze<br />

bringen Unglück.<br />

So sieht es bei der Russisch Blau, einer russischen Katzenrasse, zu Hause aus. Eine<br />

Rasse, welche sich nur unter der Knute wohlfühlt.<br />

haushaltsaufloesungen.info<br />

data.whicdn.com<br />

Zum Schmunzeln<br />

Treffen sich zwei Nazikatzen im Pflanzencenter. Sagt die eine:<br />

»Was hast du denn grade mit der Unterkatze gemacht?« Sagt die<br />

andere: »Ach, die habe ich ins Katzengras geschickt.«<br />

Das will mir mein<br />

Liebling sagen<br />

»Ich habe<br />

Gelenkschmerzen<br />

und möch -<br />

te nicht<br />

mehr mit<br />

dem Deutschen<br />

Gruß<br />

grüßen.«<br />

»Ich habe<br />

keine Gelenkschmerzen<br />

und grüße<br />

mit dem<br />

deutschen<br />

Gruß.«<br />

»Ich buckel<br />

nicht mehr<br />

vor den USimperialistischen<br />

Kulturvernichtern.«<br />

»Rudolf<br />

Hess war<br />

ein dufter<br />

Typ.«<br />

»Ich bin<br />

so wild<br />

drauf<br />

wie der<br />

Rosarote<br />

Panther.«<br />

»Vorsicht,<br />

ich bin ein<br />

V-Mann!«<br />

Tobias Prüwer / Andreas Koristka<br />

Untergang<br />

Nach einem langen,<br />

kampferfüllten Leben landet<br />

mancher Kater in irgendeinem<br />

Bunker. Dann<br />

steht ein russischer Tierarzt<br />

vor der Stahltür, und<br />

es heißt Einschläfern<br />

und die sterblichen Überreste<br />

im Garten verbrennen.<br />

Die beiden deutschen<br />

Nackthaarkatzen Gertrude<br />

und Wolfhard auf ihrem<br />

Weg nach Katzhalla.


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Import Export<br />

Wird der Globus gelb?<br />

Die Antwort auf dieses mächtige Gespenst, das<br />

in Europa umgeht, lässt sich an den Fingern einer<br />

Hand ablesen. Erstens bringt der Chinese<br />

jeden Tag mehr Köpfe auf die Waage. Fast jeder<br />

fünfte Mensch ist heute ein lebender Chinese –<br />

wenn Sie das umrechnen, sind das ein Fünftel<br />

von Zehn, also 50 Prozent der Menschheit! Zweitens<br />

wächst Chinas Wirtschaft stündlich schneller,<br />

höher und weiter, ohne dass die Konjunktur<br />

je Dellen und Beulen kriegt – während auf<br />

anderen Planeten die Ökonomie mit dem Kopf<br />

voran in der Krise steckt. Drittens lässt die chinesische<br />

Staatsführung ihre Muskeln mittlerweile<br />

weltweit tanzen und zeigt dem Westen<br />

selbstbewusst, dass sie mehr als nur selbstbewusst<br />

ist.<br />

Viertens verbreitet China seine Kultur inzwischen<br />

im ganzen Kosmos und zieht Konfuzius-<br />

Institute sonder Zahl im Ausland groß, wobei<br />

das Ausland auch in Leipzig, Wien und Zürich<br />

liegt – also praktisch in unserem Wohnzimmer.<br />

Fünftens ist da der unkaputtbare chinesische<br />

Wille zur Macht, der unzerbröckelbare Optimismus<br />

des Chinesen – und sechstens könnte China<br />

mit seinen Devisenreserven von mehreren Billionen<br />

sich sogar den lieben Gott kaufen; und<br />

bekäme noch was raus!<br />

Wichtiger als die Frage, ob die Zukunft des<br />

Planeten gelb schmeckt, ist aber die tief ins<br />

Fleisch sich bohrende Sorge, ob Deutschland<br />

gelb anläuft. Dass die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen<br />

in alle Richtungen brummen,<br />

ist bekannt. Wenn Angela Merkel mit einem<br />

Sack voller Firmenbosse nach Peking rollt<br />

oder der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao<br />

mit dreizehn Stück Ministern in Berlin beidreht,<br />

so weiß jeder, dass es hier nicht um Sex<br />

geht, sondern um fette Geschäfte.<br />

Noch sind die Gleichgewichte zwar verschieden<br />

verteilt, schieben chinesische Firmen nur<br />

ein Zehntel der Summe nach Deutschland, während<br />

deutsche das Zehnfache in China reinstopfen;<br />

wenn man das umrechnet, macht das zehn<br />

mal zehn, also praktisch hundertmal mehr! Wie<br />

tief sich nichtsdestoweniger die Verhältnisse seit<br />

den 70er-Jahren umgestülpt haben, zeigt ein Blick<br />

auf die 70er-Jahre. Damals unterhielt China in<br />

(West-)Deutschland gerade mal vier Niederlassungen,<br />

die KPD/ML, die KPD/Gruppe Rote Fahne,<br />

den KBW und den KB. Zusammen erwirtschafteten<br />

sie jährlich nicht mehr als ein paar Parteitagsbeschlüsse<br />

und einige Tonnen Altpapier.<br />

Heute zählt Chinas Botschafter Wu Hongbo<br />

an den Fingern seiner Hände 1300 Unternehmen<br />

aus seiner Heimat, die Deutschland von Kopf<br />

bis Fuß besiedeln. 1300 von 1,3 Milliarden – jeder<br />

tausendste Chinese ist also bereits in Deutschland<br />

ansässig! Mehr noch: Jedes Jahr schwillt die<br />

Zahl um weitere 60 Firmen an, das sind allein<br />

2013, nach Adam Riese gerechnet: 60 mal 1300,<br />

schon 72 000! Zahlen, die sich mit Namen füllen<br />

lassen: der Maschinenbauer Schiess in Aschersleben,<br />

der Betonmischmaschinenmeister Putzmeister<br />

in Köln, die Solarfabrik Sunways in Konstanz,<br />

der Autozulieferer Saargummi im eng verwandten<br />

Luxemburg – mittelständische Unternehmen<br />

mit jahrtausendealter Tradition, die inzwischen<br />

ihre Befehle aus China empfangen statt<br />

aus dem Gesicht des Firmenpatriarchen! Wie wird<br />

das bloß enden, da kein Ende in Sicht ist?<br />

Dass täglich mehr chinesische Firmen, die bislang<br />

nur auf der erdabgewandten Seite unseres<br />

Planeten tätig waren, sich auf die Sonnenseite<br />

des Universums begeben und dort mit offenen<br />

Jeden Tag bringt der Chinese<br />

mehr Köpfe auf die Waage<br />

Augen begrüßt werden, ist kein nackter Zufall.<br />

Viele deutsche Firmen sind, weil die Zeiten dünner<br />

werden und die Schuldenkrise kein Zuckerbissen<br />

für sie ist, froh über die Invasion der kleinen<br />

gelben Männchen. Wem die eigenen Finanzen<br />

verdursten, wen das leere Portemonnaie<br />

drückt und kneift, freut sich, wenn jemand mit<br />

einem vollen Topf kommt!<br />

Andererseits wirft der Chinese sein Geld nicht<br />

aus Altruismus über dem weltberühmten deutschen<br />

Mittelstand ab. Die Jahre, als chinesische<br />

Handys in keinen Koffer passten und Computer<br />

aus dem Reich der Mitte mit Brennholz betrieben<br />

werden mussten, sind zwar passé. Doch<br />

nach wie vor ist »Made in China« kein Siegel,<br />

bei dem die internationale Kundschaft vor<br />

Freude bellt: Schnorchelausrüstungen, die sich<br />

beim Tauchen als wasserlöslich erweisen; Slips,<br />

die an der Haut kleben und vor dem Beischlaf<br />

von einem Dermatologen aboperiert werden<br />

müssen; Plastikspielzeug, das einem Finger und<br />

Arme, Rumpf und Kopf wegätzt, ehe man<br />

»Nanu?!« sagen kann; Autos, die beim Einstieg<br />

eines schwergewichtigen Europäers über ihm<br />

zusammenklappen – das sind noch die geringsten<br />

Mängel, die Chinas Erzeugnisse bis heute<br />

unschlagbar billig machen.<br />

Es sind zugleich die fettesten Gründe, weshalb<br />

das Reich der Mitte im Reich der Mitte Europas<br />

auf Tour ist: um modern schmeckende<br />

Technologien abzusaugen, geldschwere Markennamen<br />

auf den Teller zu laden, sich mit dem<br />

Etikett »Made in Germany« aufzubrezeln und<br />

über Jahrhunderte gewachsene Kundenbeziehungen<br />

plus Vertriebsstrukturen in den eigenen<br />

Beutel zu lenken! Der Chinese hat es gelernt:<br />

Wem heute Deutschland gehört, dem gehört<br />

morgen die ganze Welt! Wenn nicht mehr!<br />

Dass es aber, wo der Chinese eine deutsche<br />

Firma an der Leine hat, mitnichten zum gern<br />

herbeigeunkten »Klatsch der Kulturen« kommen<br />

muss, dafür ist das Metallhandelsunternehmen<br />

Sigmar Pelz in Bottrum ein leuchtendes Beispiel.<br />

Seit der Pekinger Konzern Minmetals den Betrieb<br />

eingetütet hat, erhebt sich jeden Morgen<br />

zum Schichtbeginn eine lächelnde Belegschaft,<br />

verneigt sich vor dem Chef und singt aus fröhlichem<br />

Hals die Firmenhymne ab. Die wenigen,<br />

die noch kein Chinesisch können, summen sie<br />

selbstverständlich leise mit. Anders als früher,<br />

als Konkurrenz und Neid tiefe Löcher ins Betriebsklima<br />

fraßen, bilden die Arbeiter und Angestellten<br />

heute in ihrem Einheitsblau eine<br />

große, glückliche Familie. Vor dem Sekretär der<br />

KPCh sind alle gleich, und jeder achtet selbst<br />

darauf, dass niemand ausschert, sondern seinen<br />

Teil vom Lohn freiwillig abführt. Sogar der<br />

firmeneigene Kinderhort ist aufgeblüht, seit infolge<br />

der Einführung der Einkindpolitik im Betrieb<br />

die Geburtenrate steigt.<br />

Vorbild China? Ganz so einfach ist es nun auch<br />

wieder nicht. Das zeigt der Fall China Textil: Der<br />

Mutterkonzern untersagte seiner deutschen Niederlassung<br />

die Fabrikation von Kleidung der<br />

Größe XXL, weil man darin eine beinlange »Beleidigung<br />

der chinesischen Rasse« erspähte. Wie<br />

wird sich wohl unter diesem Blickwinkel die Zukunftsmusik<br />

anfühlen, die uns Rübennasen ins<br />

Haus steht? Wird China den Erdball überschwemmen<br />

und die Weltgeschichte mit vertauschten<br />

Farben ein zweites Mal abgewickelt, diesmal<br />

das weiße Europa vom gelben Manne geknetet<br />

und Deutschland sich eines Tages in einem aussichtslosen<br />

Turneraufstand wider die Fremden<br />

erheben?<br />

Oder bleibt alles anders, und der Westen hat<br />

in dem globalen Darwin doch wieder das bessere<br />

Finale für sich? Er wirft sein Geld ja nicht<br />

aus Altruismus über dem weltberühmten Reich<br />

der Mitte ab, sondern weil er weiß: Wem heute<br />

China gehört, dem gehört morgen die ganze<br />

Welt! Wenn nicht mehr!<br />

Peter Köhler<br />

18 EULENSPIEGEL 4/12


EULENSPIEGEL 4/12 19<br />

Guido Sieber


Leute<br />

Uwe Krumbiegel<br />

20 EULENSPIEGEL 4/12


Anzeige


Unsere<br />

Besten<br />

Purpur ist eine seltene Farbe im Berliner Obwohl Purpur auch nur eine Farbe des Regenbogens<br />

ist, ist es eine Hassliebe, die beide ver-<br />

Auch im ungläubigen Berlin würden sich die Menderholt<br />

eine Bierflasche vor den Kopf schlägt.<br />

Problembezirk Wedding. Sie ist dort so<br />

rar wie Menschen, die ein Lächeln tragen bindet. Ihre Beziehung wogt zwischen den Extremen.<br />

schen nach dem Katholizismus sehnen. Sie wüssten<br />

oder einen frischen Schlüpfer. Nun ist der Rot-<br />

Ton auch hier heimisch geworden und strahlt stolz<br />

von der Osloer Straße. Denn Rainer Maria Woelki<br />

war sich nicht zu fein, genau in diese heruntergekommene<br />

Wohnlage zu ziehen. Der frischgebackene<br />

jüngste Kardinal der Welt, Erzbischof von<br />

Berlin, Metropolit der Berliner Kirchenprovinz,<br />

Doktor der Theologie und Gewinner des 154. Platzes<br />

im Harry-Potter-Ähnlichkeitswettbewerb 2010<br />

der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg,<br />

haust hier seit Kurzem in einer opulenten, in all<br />

ihrer Pracht schon wieder ärmlichen Dachgeschosswohnung.<br />

Kardinal Woelki sitzt darin leger auf seinem<br />

Mal beteuern sie ihre gegenseitige Achtung,<br />

ein anderes Mal stürmische Zuneigung; in ihrer<br />

Unvollkommenheit eben eine typische Männerfreundschaft.<br />

Wowereit weiß, das Kardinalsamt<br />

des Berliner Erzbischofs kann dem Land enorme<br />

Vorteile verschaffen. Denn eines ist klar wie das<br />

Amen im Dachgeschoss über der Osloer Straße:<br />

Wenn Woelki beim Papst ein gutes Wort für die<br />

Hauptstadt einlegt, dann fängt Benedictus ganz<br />

kräftig an zu beten. Immer stärker wird er Woelki<br />

beweisen wollen, wie gut er es mit dem Erzbistum<br />

Berlin meint, und ein wahrer Gebetstsunami<br />

wird sich über Spreeathen ergießen. Der könnte<br />

es nur nicht immer. »Was dieser junge Mensch<br />

da macht, ist nichts anderes als das, was meine<br />

Glaubensbrüder von Opus Dei mit ihrer täglichen<br />

Selbstkasteiung tun. Dieser Mann ist auf seine<br />

ihm eigene Art auf der Suche nach Gott«, sagt er<br />

und nickt verständnisvoll, als sich der theologische<br />

Autodidakt blutend in einen Kinderwagen<br />

übergibt. »Nos sumus testes«, seufzt Woelki. Zu<br />

Deutsch: »Wir sind Zeugen, dennoch zeugen wir<br />

nicht« – der Wahlspruch seines Bischofswappens.<br />

Dass Berlin für ihn immer noch voller Überraschungen<br />

steckt, gibt er unumwunden zu. Jeden<br />

Tag lerne er. Wie die Mikrowelle in der Küche zu<br />

Mit Zornespurpur in<br />

purpurnen Sofa und plaudert. Lange habe er nicht<br />

gebraucht, um sich einzuleben. Die Menschen sind<br />

halt überall gleich: kleine Sünder, denen die<br />

Beichte und die Kirchensteuer abgenommen gehören.<br />

Schon in seiner Armeezeit im Panzerartillerielehrbataillon<br />

95 in Munster habe er festgestellt,<br />

den Nasenlöchern<br />

wie wichtig den Leuten Beistand von ganz oben<br />

ist. Oft erklärte er seinen Kameraden, dass hinter<br />

den herabfallenden Bomben nicht nur die Technik,<br />

nicht nur das steht, was wir sehen können, sondern<br />

eben auch Gott, der Vater, der Sohn und der<br />

Heilige Geist und die Heilige Mutter Gottes. »Und<br />

etwas anderes erkläre ich auch den Hiesigen nicht«,<br />

sagt er, lächelt und blickt auf die Tauben, die über<br />

den Bürgersteigen kreisen.<br />

Woelki ist so nah an den Menschen wie sonst<br />

nur Pendler im Acht-Uhr-Bus oder Gynäkologen.<br />

Ist die Gelegenheit günstig und die Weddinger<br />

erheben kurz den Kopf aus ihren Blut- und Urinlachen,<br />

dann können sie den frommen Mann<br />

schon mal auf seinem Fahrrad durch die Straßen<br />

eilen sehen. Oft ballt er dabei sein Gesicht zu einem<br />

blutlosen Waschlappen und stößt die Luft<br />

gehetzt durch seine gottgewollten Zahnlücken.<br />

sie aus den Straßen der Metropole hinwegspülen:<br />

die Sünde, die Laster und die Hundescheiße.<br />

Wowereit könnte dank Woelki die Kosten für die<br />

Stadtreinigung einsparen. Das macht den Geistlichen<br />

so wertvoll für ihn.<br />

Woelki geht sein schwieriges Verhältnis zu Wowereit<br />

ebenfalls pragmatisch an. Wenn ihn die<br />

Tucke zu seiner Kardinalsernennung nach Rom<br />

begleitet, dann geht das in Ordnung, solange sie<br />

nicht hinter ihm steht, wenn er sich im Talar bücken<br />

muss. Woelki weiß zwar von seinem Kölner<br />

Lehrmeister Kardinal Meisner, dass Schwule nicht<br />

nur schwarze Schäfchenböcke sind, die sich gegenseitig<br />

bespringen, sondern vor allem »Gift für<br />

die Gesellschaft«, allerdings kann Wowereit das<br />

ja als Katholik jeden Tag beichten. Zwar verstößt<br />

bedienen sei, weiß er, und auch die exotische<br />

Toilettenspülung sei für ihn schon längst kein<br />

Buch mit sieben Siegeln mehr. Seine Kolumne in<br />

der BZ »Was würde Jesus dazu sagen?« gibt<br />

diese spezifischen Berlin-Erfahrungen weiter.<br />

Dort freut er sich bescheiden, dass seine Ernennung<br />

zum Kardinal nicht nur ein schöner Erfolg<br />

für ihn persönlich ist, sondern auch eine »Auszeichnung<br />

für die Berlinerinnen und Berliner«.<br />

Damit gibt er den Dank an die Leute zurück, die<br />

sich nicht gegen ihn wehren konnten.<br />

Seine Heimat Köln vermisst er trotzdem sehr.<br />

Der Karneval, die Menschen, die strenge Hand<br />

von Kardinal Meisner. Es sind eine Menge schöner<br />

Erinnerungen. Aber vielleicht wird er eines Tages<br />

Berlin genauso vermissen wie Köln. An dem<br />

Wenn ihm dann auch noch der fromme Zornes - die sexuelle Orientierung des Bürgermeisters Tag nämlich, an dem er gut durchgebeichtet Einzug<br />

purpur aus den Nasenlöchern dampft, dann ist<br />

er sicherlich auf dem Weg zum Bürgermeister Wowereit.<br />

Woelki und Wowi, das ungleiche Paar. Sie<br />

seien wie Don Camillo und Peppone, bestätigt<br />

der Kardinal auch selbst. Hier der gottesfürchtige,<br />

gutmütige Hirte, der Zwiesprache mit seinem<br />

Herrn hält und sich die Zahnzwischenräume mit<br />

einem Rosenkranz reinigen kann, da die weltliche,<br />

kommunistische Schwuchtel.<br />

Woelkis Meinung nach »gegen die Schöpfungsordnung«.<br />

Aber es kann eben nicht jeder so schöpfungsordentlich<br />

wie der Kardinal sein, der sein<br />

Leben mit einem unsichtbaren höheren Wesen<br />

teilt.<br />

Der Kardinal steht mittlerweile auf seiner Dachterrasse<br />

und blickt versonnen auf die Straße. »Sehen<br />

Sie nur«, ruft er aufgeregt, als er einen jungen<br />

Mann vor dem U-Bahnhof sieht, der sich wie-<br />

in den Himmel hält. Ob seine Bleibe dort mit<br />

seinem Weddinger Penthouse mithalten kann,<br />

wird sich zeigen. Eins allerdings ist sicher, und<br />

Woelki freut sich darauf wie ein kleiner Messdiener,<br />

den der Pfarrer das erste Mal an die Glocken<br />

lässt: Klaus Wowereit wird er dort sicher nicht<br />

antreffen.<br />

Andreas Koristka<br />

Zeichnung: Frank Hoppmann<br />

22 EULENSPIEGEL 4/12


Abgesägte Vaterfinger<br />

Oft steht der Herr Professor, ordentlicher Lehrstuhl<br />

für linguanale Schlawineristik in der Großen<br />

Kreisstadt Abhauen a. d. Luhe, am Grabe<br />

seines Vaters.<br />

Der war ein einfacher, aber besemmelter Mann<br />

gewesen. Jeden Tag war er zur Arbeit gegangen<br />

und hatte lange Bretter geschnitten. Einmal in<br />

der Woche traf er sich mit Kollegen im Wirtshaus<br />

»Zum abben Finger«, wo das Bier 45 Pfennige<br />

kostete. Am Sonntag aß er Kartoffeln aus<br />

dem eigenen Garten, die seine Frau auf vielfältige<br />

Weise zuzubereiten wusste. Er hatte nur ein<br />

Laster, eine Obsession, obwohl er das Wort gar<br />

nicht kannte: Seit seiner Lehre, genauer, an jenem<br />

Tag, als er seinen ersten Finger verloren<br />

hatte, kaufte er sich wöchentlich einen Lottoschein.<br />

Kurz vor seinem Tode zog er das große<br />

Los! Das Geld traf ein, er starb. Sein Sohn, jung<br />

an Jahren, nahm den Gewinn, bezahlte der Mutter<br />

das väterliche Begräbnis und die Friedhofs -<br />

pacht für die nächsten 20 Jahre und ging in die<br />

Welt hinaus zum Studieren.<br />

Er konnte lange studieren. Er hatte ja Geld<br />

genug und es deshalb nicht eilig. Weil er nun<br />

Bonski<br />

so lange studierte und genügend Geld hatte,<br />

studierte er viel. Er wurde klug, assistierte, promovierte<br />

und kopulierte, und dann war der Lottogewinn<br />

verbraucht, und er war ein ordentlicher<br />

Professor, der die unordentlichen mit Recht<br />

verachtete.<br />

Er war ein relativ junger Herr Professor und<br />

hatte nun kein Lottogeld mehr und nur einen<br />

schmalen Sold. Der Sold eines deutschen Professors<br />

in Abhauen a. d. Luhe ist nur um wenige<br />

Geldeinheiten höher, als der eines nigerianischen<br />

Professors bei sich zu Hause. Das konnte<br />

doch eigentlich nicht sein, wo doch in Abhauen<br />

a. d. Luhe die Mieten und das Benzin viel teurer<br />

sind und es obendrein einmal im Jahr Winter<br />

wird. Doch der Herr Professor wusste um das<br />

Senioritätsprinzip in seiner Besoldung, das besagt,<br />

dass man als Professor um so mehr verdient,<br />

je länger man überlebt. So achtete er darauf,<br />

dass er sich gesund ernährte, genügend<br />

bewegte und sexuell ausreichend aktiv war,<br />

ohne ins Schmutzige abzugleiten, wo gefährliche<br />

Erreger lauern. Manche Studentin half ihm<br />

sogar dabei, und das gefiel ihm so außerordentlich,<br />

dass er diese Dienstleistungen im Stillen<br />

schmunzelnd als »geldwerten Vorteil« seinem<br />

kargen Gehalt hinzurechnete. Und war’s eigentlich<br />

zufrieden.<br />

Ja, deutsche Universitäten sind ein schöner<br />

Ort voll Firlefanz und Tandaradei, und der Herr<br />

Professor hatte ein schönes Leben und sagte sich<br />

am Grab des Vaters, sooft er es besuchte, dass<br />

so ein Leben als Herr Professor besser sei als<br />

ein später Lottogewinn, den dann ein eventueller<br />

Sohn einsackt, um damit eines Tages Professor<br />

zu werden. Als anerkannter linguanaler Schlawineristiker<br />

rechnete er exakt: Er brauchte nur<br />

Zeit vergehen zu lassen und am Leben zu bleiben.<br />

Am Ende seiner akademischen Laufbahn<br />

hätte er den Lottogewinn vom Alten bis auf den<br />

Pfennig genau wieder auf seinem Konto stehen.<br />

Und was kann es Schöneres geben als einen Lottogewinn<br />

am Ende eines Lebens? Richtig, zwei<br />

Lottogewinne.<br />

Plötzlich fällt ein Gesetz vom Himmel. Das Professorenbesoldungsreformgesetz.<br />

Ein Wort wie<br />

ein Fels. Er rollt dem Herrn Professor genau vor<br />

die Füße. Da der Herr Professor nun über zwei<br />

Füße verfügt, zerfällt der Fels in zwei Teile. Ein<br />

Teil nennt sich Grundgehalt und der andere Teil<br />

Leistungszulagen. Es kommt Bewegung ins Gehalt,<br />

und was für eine. Ade, süßes Leben!<br />

Der Professor müsste nun schauen, in welchem<br />

Bundesland er lebt. Also nicht nur Osten oder<br />

Westen, sondern auch Nordpol oder Südpol. Er<br />

müsste schindern, um Leistungszulagen zu raffen.<br />

Die gibt’s nämlich laut Leistungsbezügeverordnung<br />

neuerdings erst, wenn eine Leistung erbracht<br />

wurde. Er müsste publizieren, herausgeben,<br />

begutachten, erfinden, betreuen, Vorträge<br />

halten und Sponsoren anlocken! Und wahrscheinlich<br />

müsste er über all dem die Studentinnen<br />

ganz und gar vernachlässigen. Nein, dafür hatte<br />

sein Vater nicht die Bretter geschnitten und im<br />

Lotto gewonnen, dass er nun so ein elendes Dasein<br />

fristen müsste!<br />

Nun steht der Herr Professor wieder an des<br />

Vaters Grab. Ratlos blickt er aufs welke Grün. Da<br />

schießt ihm der rettende Gedanke in sein linguanales<br />

Schlawinergehirn. Er fingert nach Zettel<br />

und Stift, schreibt die Geburts- und Sterbedaten<br />

des Alten vom Grabstein ab, geht in den nächstbesten<br />

Lotto-Laden und füllt Lottoscheine aus.<br />

Natürlich Systemspielscheine. Und als Zusatzzahl<br />

die Drei: Als Vater in Rente ging, waren ihm drei<br />

seiner Finger schon voran ins Grab gegangen.<br />

Wie das nach dem Zufalls- bzw. Chaosprinzip<br />

ausgegangen ist, kann sich jeder denken.<br />

Neidet dem wackeren Mann sein Glück nicht!<br />

Er hat zwar nichts geleistet, doch er hat’s verdient.<br />

Henning H. Wenzel<br />

24 EULENSPIEGEL 4/12


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26 EULENSPIEGEL 4/12


Zeit geist<br />

Beck<br />

EULENSPIEGEL 4/12 27


Kleines<br />

im kulturpessimistischen<br />

Überbiss<br />

Es ist passiert: Nachdem er schon ewig und drei<br />

Tage einen Account und über 2 800 Follower sein<br />

Eigen nennen konnte, hat er angefangen zu twittern<br />

– Frank Schirrmacher! Noch vor wenigen Jahren<br />

wollte er für immer mit dem Gänsekiel schreiben,<br />

gebeugt über duftendem, holzigen Papier.<br />

Und nun war alles ganz einfach gewesen, ganz<br />

leicht – leicht wie Evas Sündenfall oder wie der<br />

erste Schluck Alkohol, der den zarten Jüngling<br />

auf seinen Weg zum schweren Alkoholiker führt.<br />

Frank Schirrmacher, genau der Frank, der uns erklärt,<br />

warum wir im Informationszeitalter gezwungen<br />

sind zu tun, was wir nicht wollen, und wie<br />

wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen,<br />

eben dieser Frank, der kulturpessimistische<br />

Überbiss, hat die Kontrolle über sein Denken<br />

total verloren und sie bis dato nicht wiedererlangt<br />

– fraglich, ob er sie je besaß.<br />

Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Oberhäuptlinge<br />

der Netzgemeinde, Lobo & Co., der Twitterei<br />

bereits den Rücken kehren – Twittern wird<br />

bald so anachronistisch wie das Morsen sein.<br />

Getwittert hat der Frank in seinem ersten<br />

»Tweed« (sic!) ein kleines »h«. Was wollte er uns<br />

damit sagen? Hallo? Hier bin ich? Helft mir, die<br />

digitale Krake verschlingt mich, ich bin überfordert<br />

von meinen Mails, SMS, den Apps, Google<br />

und Facebook? Oder war es ein Menetekel – die<br />

Warnung vor der Wiederkehr von Adolf Hitler?<br />

»Heil!«? Vielleicht bedeutete es auch, weil gleich<br />

Mittag war »Hunger!«. Das ist es wohl: Schirrmacher<br />

war einfach unterzuckert.<br />

Ansonsten hat Schirrmacher natürlich wieder<br />

einmal das, was er am liebsten hat – recht: Der<br />

digitale Tsunami ist nicht mehr aufzuhalten. Genau<br />

in dieser Minute wird weltweit ca. 976 240<br />

Mal bei Google der Begriff Sex abgefragt, werden<br />

fast 450 Stunden Videoaufnahmen mit drolligen<br />

Kleinkindern bei Youtube hochgeladen,<br />

knapp 46 300 niedliche Katzenfotos, 25 400 unscharfe<br />

Urlaubsschnappschüsse und immerhin<br />

noch 9350 Schnapsleichen bei Facebook veröffentlicht.<br />

Das Leben in Echtzeit, die sieben Milliarden<br />

Menschen auf der Welt, die alle gleichzeitig etwas<br />

tun! Und jeder könnte wichtig sein für Frank<br />

Schirrmacher, den »Mitherausgeber« (Was machen<br />

Sie beruflich, Herr Schirrmacher? Ich gebe<br />

das Mit heraus!), für die FAZ und das beste Feuilleton<br />

der deutschen Qualitätspresse. Mit jedem<br />

Klick könnte sich ein Trend andeuten, eine Debatte,<br />

wenn nicht gar ein Diskurs oder sogar<br />

eine der niedlichen lokalen Revolutionen entzünden.<br />

Doch er erfährt es nicht. Er muss noch<br />

148 000 Mails checken und dann die Welt retten,<br />

während genau im selben Augenblick in Papua-Neuguinea<br />

eine Kokosnuss vom Baum fällt<br />

und just jenen berühmten Schmetterling erschlägt,<br />

dessen Flügelschlag ein zweites Fuku -<br />

shima auslösen sollte…<br />

Multitasking kann das Humanum gar nicht,<br />

meint Schirrmacher, grundsätzlich nicht. Doch,<br />

können wir. Wir können ganz problemlos auf dem<br />

Klo sitzen und »Zeitung lesen« (natürlich nicht<br />

wirklich Zeitung, sondern auf unseren iPhones<br />

die Apps von FAZ und Junge Welt, zum Beispiel).<br />

Während unten das Unverdauliche entsorgt wird,<br />

füllt man den Leerstand oben wieder auf.<br />

Es ist mehr als nur die Midlife-Crisis mit ihrem<br />

Bindegewebsverfall im Halsbereich und ihrem<br />

Erektionsversagen – es ist das Zeitalter des Unglücks,<br />

das den analogen Methusalem Schirrmacher<br />

in eine digitale Krise der Vernunft stürzt. Irgendwie<br />

lappte er ja schon immer etwas ins Jämmerliche,<br />

brillierten seine Gemeinplätzchen in besonders<br />

sattem Grau. Heute dient der Vokuhila<br />

unter den Intellektuellen sich dem konservativen<br />

Mainstream an als Bescheidwisser und Mahner<br />

der Nation. Dabei kann es passieren, es ist<br />

Mittwoch und Schirrmacher entdeckt, dass Marx<br />

recht hatte und Peter Hacks ein Dichter war. Die<br />

Partei, die Partei, pfeift er seitdem gelegentlich<br />

vor sich hin. Schirrmacher geht es ums Ganze,<br />

um Epochen, Generationen und Äonen. Kleinere<br />

Brötchen bäckt er nicht, befüllt Talkshows und<br />

Feuilletons mit seiner brühwarmen Weltuntergangsfolklore<br />

und suhlt sich in dem Gefühl, die<br />

digitale Banalitis mit zäher intellektueller Präsenz<br />

und pedantischem Geonkel vergoldet zu<br />

haben.<br />

Gehör findet er freilich bei allen, die am schieren<br />

Lauf der Welt kränkeln. Was soll man diesen<br />

Menschen Tröstliches sagen? Schuld an eurem<br />

Elend ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik?<br />

Der unausweichliche Umstand, dass Dinge<br />

nur so ablaufen können, dass die Unordnung dabei<br />

größer, niemals jedoch kleiner wird?<br />

Die bedauerlichen Auswirkungen dessen auf<br />

Schirrmachers Verstand manifestieren sich nicht<br />

nur in dem kleinen h bei Twitter.<br />

Inzwischen hat er es gelöscht, das kleine h.<br />

Löschen – was für ein Kraftakt des prometheischen<br />

Subjekts! Welch ein Fanal der Freiheit in<br />

all der Umzingelung durch die digitalen Monster!<br />

Löschen – dem kleinen, aber auftrumpfenden<br />

h seine Endgültigkeit, seine Ehernheit nehmen<br />

und die Menschheit doch nicht in Verzweiflung<br />

stürzen – denn wir können es ja jederzeit<br />

wieder hinschreiben!<br />

Anke Behrend<br />

Zeichnung: Freimut Woessner<br />

28 EULENSPIEGEL 4/12


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W<br />

enn Sie eines Tages aufwachen, und das übertrieben, denn genau das ist ja kaum noch zu bezahlen.<br />

Rund eine Milliarde Euro kostet der Spaß<br />

Licht ist aus, sind Sie vielleicht bloß tot.<br />

Vielleicht ist es aber doch schlimmer, und deutschlandweit im Jahr, und viele Kommunen finden<br />

Sie wohnen in einer Gemeinde, die so tot ist, dass inzwischen, dass sie mit dieser Ausgabe über ihre Verhältnisse<br />

leben. Über ihre Lichtverhältnisse, um es<br />

sie ihren Einwohnern das Licht ausschaltet.<br />

In Gegenden, die ohnehin nicht besonders strahlend<br />

aussehen – also im Osten Deutschlands –, gehört Selbst der Berliner Senat, der uns bei »Leben über<br />

korrekt zu sagen.<br />

solch selbstgemachte Finsternis mittlerweile zum folkloristischen<br />

Brauchtum. Nur die Betroffenen zeigen sich den Stecker rausgezogen. Seine hauptstädtische<br />

die Verhältnisse« quasi automatisch einfällt, hat schon<br />

noch immer halsstarrig: Anstatt einander unterzuhaken,<br />

das »Frühlingsfest der Volksverdunkelung« auszu-<br />

fremdbezahlter Bundespräsidentenball – liegt jetzt öf-<br />

Stadtautobahn – früher so festlich illuminiert wie ein<br />

rufen und Florian Silbereisen einzuladen, beharren sie ter mal im Dunkeln. Was ja auch zur örtlichen Kassenlage<br />

passt. Die Autos sollen gefälligst selber leuch-<br />

stur darauf, dass nächtens ihre Straße leuchtet.<br />

Ja, wo gibt’s denn so was? Die Hälfte des letzten ten, heißt es dazu, und dieser schöne Grundsatz<br />

Weltkriegs wurde im Dustern<br />

geführt, und ganze Regierungen<br />

kommen ohne jede Erleuch-<br />

Die dunkle Se<br />

tung zurecht – da wird doch<br />

wohl Hänschen Müller aus dem<br />

Nest Löberitz bei Zörbig im Dunkeln<br />

aus seiner Kneipe nach Hause torkeln können! scheint auch anderswo gern von städtischen Finsterlingen<br />

auf die Nutzer öffentlicher Stolperstrecken über-<br />

Aber nein: Er und seine Nachbarn wollen partout bei<br />

voller Festbeleuchtung zu Boden stürzen und machen tragen zu werden.<br />

nun einen Riesenradau, weil das einstige Löberitzer In Saalfeld zum Beispiel leiden nicht wenige Bürger<br />

unter örtlichen Lichtmangelerscheinungen. Die<br />

Lichtermeer seit Neuestem nur noch auf Sparflamme<br />

glimmt.<br />

Stadt hat nämlich einen Flächenversuch durchgeführt,<br />

Dabei könnten die Einwohner ruhig ein bisschen wie sie möglichst viele Birnen loswerden kann. Zur<br />

dankbarer sein. Schließlich sind sie offizielle Teilnehmer<br />

einer Großlotterie, die es locker mit 6 aus 49 auffelder,<br />

denn die verbeulen sich allnächtlich ihre Köpfe<br />

Zeit sind es allerdings erst mal die Birnen der Saalzunehmen<br />

vermag. So viele Lampen kann die Gemeinde<br />

gerade noch betreiben. Die spannende Frage haupt noch was funkelt, hat die Stadt wenigstens ein<br />

auf den rabenschwarzen Straßen. Damit dort über-<br />

ist bloß, wo. Ein Techniker, der mit dem Abklemmen leuchtendes Beispiel für Demokratie inszeniert: Nur<br />

der vielen teuren Straßenfunzeln beauftragt wurde, so aus Spaß fragte sie ihre verfinsterten Einwohner,<br />

durfte sich schon allerlei passende Publikumsbekundungen<br />

anhören. Dass man den Verantwortlichen noch reinscheinende Straßenlampen gestört gefühlt hät-<br />

ob die sich früher zum Beispiel durch ins Fenster he-<br />

»heimleuchten« werde, schien ihm allerdings maßlos ten. Da mussten die Saalfelder sehr lange überlegen,<br />

30 EULENSPIEGEL 4/12


ob ihre Antwort nun Ja, Jaja oder Jajaja lautet. Doch<br />

das Beruhigende war: Auch im Falle von Neinneinnein<br />

hätten sie die störende Laterne nicht wiedergekriegt.<br />

Dagegen hatten sich ihre Stadtoberen mit einem<br />

Zitat aus der deutschen Klassik gewappnet. Also<br />

nicht von Goethe oder aus dem Steuergesetz – noch<br />

viel besser! Laut Deutscher Industrienorm DIN sei<br />

weder das Dimmen noch das Ein- oder Ausschalten<br />

jeder zweiten Lampe zulässig, urteilten sachkundige<br />

Richter. Nur bei einer Komplettabschaltung bestünden<br />

keinerlei haftungsrechtliche Bedenken.<br />

Eine hochbrisante Feststellung! Schließlich landen<br />

anderswo noch immer Flugzeuge mit einzeln aufge-<br />

ite der Macht<br />

blendeten Scheinwerfern, Leuchttürme blinken und<br />

Lichtreklamen gehen an und aus, ohne sich um die<br />

versicherungstechnischen Folgen ihres leichtfertigen<br />

Treibens zu kümmern. Zum Glück hat jetzt Saalfeld<br />

ein bisschen Licht in diesen düsteren Bereich unseres<br />

Daseins gebracht, und das muss uns den Preis<br />

einer verdunkelten Stadt einfach wert sein!<br />

Außerdem ist Finsternis sogar gesund! Das jedenfalls<br />

hat man in Bad Lobenstein herausgefunden<br />

und die alberne Stadtillumination versuchsweise sogar<br />

schon um 22:30 Uhr abgeschaltet. Hochklappbare<br />

Bürgersteige waren leider nicht im Angebot,<br />

sonst hätte das »staatlich anerkannte Heilbad« wahrscheinlich<br />

auch noch welche installiert. Unter den<br />

staatlich anerkannten Kurgästen regte sich zwar Unmut<br />

über die frühe Ortsverdüsterung, aber da könnte<br />

ja jeder kommen! »Wanderer finden abwechslungsreiche<br />

Routen«, heißt es schließlich schon warnend<br />

auf der Homepage. Besonders eben Nachtwanderer!<br />

Und wenn doch mal was schiefgehen sollte – auch<br />

kein Problem: Die Orthopädie der Lobensteiner Klinik<br />

»bietet ideale Bedingungen für stationäre Aufenthalte«.<br />

Mit derart einladenden Angeboten können die<br />

Sachsen bislang nicht aufwarten. Lunzenau, Wechselburg,<br />

Penig und noch viele andere lichtscheue Gemeinden<br />

knipsen hier erst mal aus, was sie in die<br />

Finger kriegen, und gucken dann, wie viele Überlebende<br />

sich noch mit Beschwerden melden. Besonders<br />

hilfreich – zumindest für die Stadtkasse – wirkt<br />

sich die aktuelle Rechtsprechung<br />

aus: Ein geschädigter<br />

Fußgänger, der mangels<br />

Beleuchtung über ein Hindernis<br />

zu Fall gekommen<br />

ist, heißt es da beispielsweise,<br />

muss sich »ein Mitverschulden entgegenhalten<br />

lassen, wenn er bei tiefer Dunkelheit ohne ausreichende<br />

Sicht nicht vorsichtig seinen Weg ertastet<br />

hat.«<br />

Die Lichtabschaltung ist also auch ein Konjunkturprogramm<br />

für Blindenstöcke. Außerdem gehen jetzt<br />

Taschenlampen, Verbandsmull, Gipsschienen und rotweißes<br />

Flatterband hervorragend. Letzteres muss<br />

nämlich neuerdings um all jene Laternen gewickelt<br />

werden, die nachts nicht mehr brennen. »Schöner<br />

unsere Städte und Gemeinden!«, können wir da nur<br />

aus voller Kehle rufen. Bei Honecker gab’s nicht mal<br />

Laternen. Jetzt gibt’s bloß keinen Strom – und das<br />

ist doch eine viel schönere Dunkelheit!<br />

Reinhard Ulbrich<br />

Zeichnung: Reiner Schwalme<br />

EULENSPIEGEL 4/12 31


Leute<br />

heute<br />

Vergessen hat sie gar nichts<br />

Auf einem Holzstuhl zappelt eine<br />

runde, kleine, alte Frau, kippelt, faltet<br />

die Hände, lacht laut auf, stöhnt<br />

und springt plötzlich hoch, wenn<br />

Leute die Kirche betreten. »Kaffee?«,<br />

ruft sie, »Bienenstich?« – »Das ist die<br />

Hansi«, raunt der Küster, »Sie wissen<br />

schon …«, und lässt sich für den<br />

Insidertipp mit einem Flachmann<br />

»Ros tocker« entlohnen. Inzwischen<br />

beachtet ihn aber kaum noch jemand.<br />

Denn dass die Gattin unseres Bundespräsidenten<br />

in der Rostocker Marienkirche<br />

viermal in der Woche Kaffee<br />

ausschenkt, weiß nun wirklich jeder<br />

Reporter, vom Internetfernsehen<br />

tv.rostock bis zum heute-journal.<br />

Aber nur der Küster weiß, warum:<br />

»Da ist sie von der Straße, die Hansi.«<br />

Geduckt in Bänke und verborgen<br />

hinter Säulen lauern Reporter. Ein<br />

Mann von Bild musste vor Tagen vor<br />

der Kirchentür erbrechen, weil er<br />

zwanzig Tassen Kaffee getrunken<br />

hatte, um mit der Frau ins Gespräch<br />

zu kommen. Japaner streichen in kleinen<br />

Gruppen um ihren Stuhl herum,<br />

Fotohandys blitzen. Kinder von der<br />

Gagarin-Grundschule bauen sich vor<br />

dem Stuhl auf, um »Nun danket alle<br />

Gott« zu singen. Und sie zappelt, kippelt,<br />

faltet die Hände, lacht auf und<br />

stöhnt.<br />

Ich bin aufgeregt und muss mal,<br />

laufe quer durchs Kirchenschiff auf<br />

die Klotür zu. Da trifft mich im Rücken<br />

ein spitzer Schrei: »Nein!« Die<br />

Frau ist von ihrem Stuhl gerutscht<br />

und tippelt mir aufgeregt entgegen:<br />

»Das ist die Tür zur Sakristei. Die Kirche<br />

hat keine Toilette«, sagt sie<br />

streng. Ich zeige mich überrascht:<br />

»Hansi, bist du das? Bist du das wirklich?«,<br />

rufe ich halblaut und breite<br />

lachend die Arme aus. Ihr Gesicht<br />

hellt sich auf: »Nein, bist du das?«,<br />

fragt sie. »Jaaa!«, rufe ich aus und<br />

greife nach ihren Händen. Wir<br />

schauen einander tief in die Augen.<br />

»Du hast dich fast gar nicht verändert«,<br />

sagt sie. »Und du erst!«, sage<br />

ich. (Der Trick hat neulich bei der<br />

Berlinale auch mit Hannelore Elsner<br />

funktioniert.)<br />

Dann ist Stille. Die Neugierigen hinter<br />

den Säulen und Bänken halten<br />

den Atem an, aber wir flüstern wie<br />

ein verliebtes Paar. »Er hat dich nie<br />

leiden können«, sagt sie.<br />

Eine Begegnung mit<br />

Hansi Gauck<br />

»Ich weiß«, sage ich resigniert.<br />

Dann schweigen wir wieder<br />

»Ich habe ihn im Fernsehen gesehen.<br />

Vor zwanzig Jahren ist er einfach<br />

weggegangen, ich hatte einen<br />

Blätterteig im Ofen. Hansi, hat er<br />

gesagt, Freiheit ist Verantwortung,<br />

Freiheit muss man leben! Aber der<br />

Kuchen, Achim, habe ich gesagt.<br />

Doch er wollte zu den Weibern, die<br />

er immer weichgepredigt hat. Wenn<br />

die Kommunisten alle tot sind, hat<br />

er gesagt, komme ich wieder. Aber<br />

die sind wohl noch nicht alle tot,<br />

oder?«<br />

»Weißt du noch …?«, sage ich.<br />

»Aber natürlich!«, ruft sie so leise,<br />

wie man rufen kann. »Sein Vater,<br />

dieser tiefbraune Knilch, war absolut<br />

gegen mich, weil mein Vater SPD-<br />

Genosse war. Mit 18 haben Achim<br />

und ich geheiratet. Von wegen Kindheitstrauma!<br />

Aber wem sage ich das,<br />

das weißt du ja alles.«<br />

»Hm«, sage ich.<br />

»Seine Mutti, diese Nazischraube,<br />

hatte fünf Röcke von der NS-Frauenschaft.<br />

Zuletzt hatte sie nur noch<br />

einen, und in dem ist sie dann gestorben.<br />

Und dann, seine erste Pfarrstelle<br />

in Lüssow – Trockenklo, Wasser<br />

an der Pumpe. Aber denkst du,<br />

der Achim hat nur ein einziges Mal<br />

den Kackeimer rausgetragen! Vor<br />

ein paar Wochen hat mich der Küster,<br />

dieser Trinker, beiseite genommen<br />

und gesagt, der Joachim hat<br />

ihn kontaktiert, ich solle gefälligst<br />

den Mund halten, er würde was ganz<br />

Hohes werden, und zwar in Freiheit<br />

durch Verantwortung. Und seine Geschwister<br />

halten auch die Münder.«<br />

Dieses Plakat können Sie unter eulenspiegel-laden.de erwerben.<br />

»Was hast du denn gedacht,<br />

als …?«, will ich fragen.<br />

»Was ich gedacht habe, als ich<br />

ihn da sitzen gesehen habe mit der<br />

Westfrau? Du armes Ding, habe ich<br />

gedacht. Es ist furchtbar mit ihm,<br />

wenn ich mich recht erinnere. Er wird<br />

einfach nicht fertig, noch eine Paraphrase<br />

auf Hannah Arendt und noch<br />

ein Zitat von Erika Steinbach. Und<br />

hinterher kämmt er sich. Ich habe<br />

oft zu den Söhnen gesagt, das könnt<br />

ihr gar nicht wieder gutmachen an<br />

mir, wie ich mich mit eurem Vater<br />

gequält habe. Bei uns wurde zum<br />

Abendbrot ja nicht gebetet, sondern<br />

die Grenze zu Polen verflucht. Die<br />

innerdeutsche weniger. Der Achim<br />

war ja Reisekader.«<br />

Ein Mann von Spiegel-TV hat<br />

heimlich ein Mikrofon an einer Art<br />

Angelrute über uns gehängt.<br />

»Triffst du ihn?«, flüstert sie.<br />

»Kommt drauf an«, flüstere ich.<br />

»Dann kannst du ihm sagen, dem<br />

Bürgerrechtler, die Kirche hat kein<br />

Klo, die Japaner schiffen dauernd in<br />

die Sakristei. Sag ihm das! Und das<br />

Plakat will ich von ihm haben, das<br />

der EULENSPIEGEL gemacht hat. Das<br />

kommt innen an die Kirchentür. Vergessen<br />

habe ich gar nichts, das<br />

kannst du ihm sagen, auch nicht die<br />

Sache mit der Stasi und so. Und ich<br />

habe noch zwei lange Unterhosen<br />

von ihm, was mit denen werden soll,<br />

soll er dir sagen, sonst gebe ich sie<br />

den Söhnen. Und er soll bloß nicht<br />

nach Rostock kommen mit seiner<br />

präsidialen Konkubine. Das macht<br />

er nicht. Hier gibt es zu viele, die<br />

ihn kennen.«<br />

Sie lässt meine Hände los, schlurft<br />

zu ihrem Stuhl zurück und bepackt<br />

ihren Rolli mit zwei prallen blauen<br />

Plastesäcken, in denen sie offenbar<br />

ihre gesamte Habe verstaut hat.<br />

Dann ist sie fort.<br />

»Was haben Sie denn so lange<br />

mit der Frau Hansen besprochen?<br />

Die ist nämlich ein bisschen hui im<br />

Glockenturm«, raunt der Küster.<br />

»Wieso Frau Hansen? Ich denke,<br />

das war die Hansi!«<br />

»Nein«, sagt er, »die Hansi, die<br />

kommt morgen. Aber sagen tut die<br />

nichts, das kann ich Ihnen versprechen.«<br />

Mathias Wedel<br />

32 EULENSPIEGEL 4/12


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34 EULENSPIEGEL 4/12<br />

Hannes Richert


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Hup doch, wenn du sc<br />

Ursula v.d. Leyen<br />

Papst Benedikt XVI<br />

Bettina Wulff<br />

Autoaufkleber gibt es genauso<br />

lange, wie es Autos, Heckscheiben,<br />

Brustvergrößerungen und<br />

deutschen Humor gibt. Die Inhalte<br />

haben sich im Laufe der Zeit zwar gewandelt,<br />

aber das Prinzip ist dasselbe<br />

geblieben: Autoaufkleber sind die<br />

Sprache derer, die der Sprache nicht<br />

mächtig sind, sich aber trotzdem<br />

gerne ausdrücken. Sie werden meist<br />

von Menschen kultiviert, die ihren<br />

hellgrünen Opel Ascona eigentlich<br />

gerne tunen würden (z.B. mit Plüschwürfeln),<br />

dafür jedoch weder das<br />

Kleingeld noch den Augenschaden,<br />

aber die nötige geistige Reife besitzen.<br />

Doch was sind das für Menschen,<br />

die sich selber eine kleben?<br />

Das sind die, die in der Schule zu<br />

feige waren, den Schulatlas zu klau -<br />

en. Das sind zu 90 Prozent auch die,<br />

die sich ihr Abi-Motto auf den Arsch<br />

ihres Auto-förmigen Verkehrshindernisses<br />

tätowieren. Waren früher<br />

noch Losungen wie »ABI 2000 – das<br />

Jahr mit lauter Nullen« en vogue begnügen<br />

sich Schulabschluss-Zelebranten<br />

heute mit dem Aufdruck des<br />

Notendurchschnitts, der nicht selten<br />

auch gleich die Länge ihres Lurches<br />

kundgibt (je länger, desto dümmer).<br />

Akademiker hingegen tendieren<br />

Joachim Gauck<br />

eher dazu, Auszüge ihrer Diplomarbeit<br />

über das Verhältnis der Zwerg -<br />

pfeifgans zum Vatertag abzudrucken.<br />

Häufig dienen Aufkleber auch der<br />

Dokumentation der eigenen Fahrphilosophie<br />

(»Ich schlage Politessen«<br />

oder »Auf-Stau-Zuraser«). Aber warum<br />

dieser Umweg über feine Ironie?<br />

Nun, die Autoaufkleber-auf-<br />

Auto-Kleber verstehen sich als Gestaltungskünstler<br />

und lieben das<br />

Subtile, weswegen Bekenntnisse<br />

wie »Ich habe Eier wie Airbags« oder<br />

»Ich trete die Kupplung mit dem<br />

Schwanz« doch eher rar sind.<br />

Verbreitet besteht der Irrtum, dass<br />

Aufkleber mit den geografischen Umrissen<br />

von Urlaubsländern oder -inseln<br />

wie Usedom, Mallorca oder<br />

Grönland anzeigen sollen, dass der<br />

Fahrer diese schon besucht hat und<br />

sich nun sukzessive eine Weltkarte<br />

aus den Aufklebern weiterer Länder<br />

basteln will. Nein, der geübte Beobachter<br />

erkennt, dass diese als traditionelles<br />

Stigma der Verbannung von<br />

den jeweiligen Orten gelten, die von<br />

örtlichen Strandkorbverleihern unter<br />

Androhung der Fuchsschwanz-Abmontage<br />

vergeben werden. Die<br />

Gründe sind immer die gleichen:<br />

36 EULENSPIEGEL 4/12


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hwul bist!<br />

Schwerwiegende Trinkgelddelikte,<br />

Sangriamissbrauch und »Es gibt nur<br />

ein’ Rudi Völler«-Singen mit Todesfolge.<br />

Gleiches gilt natürlich für aufgedruckte<br />

Landesfahnen sowie Logos<br />

von Freizeitparks und Bestattungsunternehmen.<br />

Damit die Aufkleber<br />

nicht entfernt werden können,<br />

sind sie mit einem superharten<br />

Leim außerirdischen Ursprungs<br />

beschichtet, an dem schon so manche<br />

Autoschrottpresse kläglich zugrunde<br />

gegangen ist. Im Burgenlandkreis<br />

verkehrt ein PKW, dessen<br />

Klebearbeit eines Playboy-Bunnys<br />

mit dem ebenfalls selbstklebenden<br />

Hinweis »geklebt mit eigenem<br />

Sperma!« versehen ist.<br />

Zunehmend werden auch angeklebte<br />

Verkaufsanzeigen beobachtet:<br />

»Baujahr 85, noch gut in Schuss,<br />

Motor läuft nur mit Diesel, sehr ausdauernd,<br />

1,8 l Hubraum, Keil-Riemen<br />

vor Kurzem erneuert«. Aber Obacht!<br />

Oft verbirgt sich dahinter<br />

nichts weiter als eine Kontaktanzeige.<br />

Hupen Sie in einem solchen<br />

Fall nie zweimal hintereinander! Das<br />

bedeutet in der Straßen-Partnerbörse<br />

in etwa das Gleiche, wie wenn<br />

Sie sich auf einer Sex-Party ein rosa<br />

Tuch in die Gesäßtasche stecken.<br />

Dreimal hupen gilt als standesamtlich<br />

anerkannte Trauung. Überhaupt<br />

sind Heckscheiben die sozialen Netzwerke<br />

der Golf- und Polo-Fahrer, fast<br />

alle Inhalte sind identisch: Prekäres<br />

Eigenlob (»Prostata 2007 – der Suezkanal<br />

ist nichts dagegen«), Zeugnisse<br />

schwerer Humor-Dysfunktionen<br />

(»Wenn Sie das hier lesen können,<br />

habe ich meinen Wohnanhänger<br />

verloren«) und philosophische<br />

Reflexionen (»Warum muss Kacken<br />

so anstrengend sein?«).<br />

Ein bislang noch ungelöstes Rätsel<br />

ist die Gruppe der sogenannten<br />

»lustigen« Autosprüche des Kalibers<br />

»Ich wünschte, meine Frau<br />

wäre auch so schmutzig«. Forscher<br />

des Margot-Käßmann-Instituts haben<br />

herausgefunden, dass 80 Prozent<br />

aller Auffahrunfälle auf »lustige«<br />

Autoaufkleber zurückgehen (der<br />

Rest durch Hunde am Steuer). Ursache:<br />

Die stille Annahme des Vordermanns,<br />

der Hintermann müsse beim<br />

Lesen des Aufklebers sicher vor Lachen<br />

in eine Parkbucht fahren, löst<br />

bei jenen meist heftige Reaktionen<br />

aus. Den Betroffenen bleibt kaum etwas<br />

anderes übrig, als den Scherzkeks<br />

in die Leitplanken zu dirigieren,<br />

da sonst noch jemand denkt, man<br />

fände die Aufkleber lustig.<br />

Ist der Grund für die Existenz solcher<br />

Aufkleber schlicht darin zu suchen,<br />

dass der Wagenführer einst<br />

beim Naseschnäuzen seines Gehirns<br />

verlustig gegangen ist? Aber wie<br />

konnte er dann seinen Führerschein<br />

machen und herausfinden, wie man<br />

105’5 Spreeradio einstellt? Nein, vermutlich<br />

sind diese heiteren Gesellen<br />

verkappte Masochisten, die genau<br />

wissen, dass andere Autofahrer sie<br />

auf der nächsten Raststätte mit dem<br />

Ersatzreifen verprügeln werden. Womöglich<br />

sind die Aufkleber aber auch<br />

nur unbeholfene Hilfeschreie einsamer<br />

Briefmarkensammler: »Schau,<br />

so weit ist es mit mir gekommen!«<br />

In diesem Fall müssen Sie diesen armen<br />

Geschöpfen natürlich helfen,<br />

am besten, indem Sie sie auf der<br />

nächsten Raststätte mit ihrem Ersatzreifen<br />

verprügeln.<br />

»Ungeziefervernichtung Herzog –<br />

bekämpfe seit 20 Jahren erfolgreich<br />

Kakerlaken, Läuse, Zecken, Fidschis,<br />

Kanaken und Schwaben« an den Vordertüren<br />

– das ist hingegen ein<br />

durchaus ernstgemeinte Offerte.<br />

Manchmal finden wir auch motorisierte<br />

Nazis auf Arbeitssuche und<br />

etwa folgende Bewerbung für ein hohes<br />

politisches Amt: »Ich hab einen<br />

Führerschein, denn ich will wie der<br />

Führer sein!« Dann die unverblümte<br />

Bitte um postmortale Lebensbornbefruchtung:<br />

»Rudi Heß – ich will ein<br />

Kind von dir!« Auch Nazihirne stecken<br />

eben nicht nur voller Scheiße,<br />

sondern auch voller Humor. »Ich<br />

bremse für den Führer« ist allerdings<br />

als Losung für kommende Blitzkriege<br />

wenig tauglich.<br />

Sie wollen das toppen? Nun, richtig<br />

Stil hat natürlich erst der, der sich<br />

einen Aufkleber mit der Original-Reproduktion<br />

eines Hieronymus-Bosch-<br />

Triptychons direkt auf die Frontscheibe<br />

seines Twingos pappt. Die<br />

Orientierung erfolgt dann per Gehör<br />

oder Seitenspiegel – sofern noch<br />

nicht beklebt.<br />

Erik Wenk<br />

Collagen: Garling / Beuter<br />

<br />

EULENSPIEGEL 4/12 37


Aller guten Dinge sind drei<br />

Das meint der Ethikrat und empfiehlt die Einführung der Geschlechtsbezeichnung »anderes«. Für die Geburtsurkunde, den Führerschein und den<br />

Mietvertrag. Auf die Frage »Was wird es denn, Junge oder Mädchen?«, können künftige Eltern jetzt auch antworten: »Anderes«. Korrekt müssten sie<br />

aber eigentlich sagen: »Ein Kind mit Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung«.<br />

André Poloczek<br />

Peter Thulke<br />

Andreas Prüstel<br />

38 EULENSPIEGEL 4/12


Peter Thulke Kriki<br />

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<br />

EULENSPIEGEL 4/12 39


Frauen leiden<br />

Der Einfall mit der Ösenficke<br />

Männer haben nicht nur keine Handtaschen – es<br />

sei denn, sie sind Pfeifenraucher, schwul, oder<br />

gehören zur seltenen, vom Aussterben bedrohten<br />

und eigentlich unter Artenschutz zu stellenden<br />

Gattung der Herrenhandtäschchen-Besitzer.<br />

Männer verstehen Handtaschen auch nicht! Sie<br />

haben keine Ahnung von der Magie, die für<br />

Frauen von diesem profanen Gegenstand ausgeht.<br />

Und schon gar nicht – denn dazu würde<br />

eine gehörige Portion Bildung gehören – können<br />

sie eine Verbindung von der Biologie des<br />

Weibes zur Handtasche herstellen (noch im Mittelalter<br />

wurde die Handtasche »Ficke« genannt;<br />

»fickenfaul« nennt man im Sächsischen noch<br />

heute eine Dame, die zu faul ist, etwas in ihrer<br />

Tasche zu suchen!).<br />

Die Frau verlässt das Haus nie ohne Tasche,<br />

es sei denn als Leiche.<br />

Mein Mann, immer sehr interessiert an der Frau<br />

an sich, wollte dieses Phänomen erklärt haben.<br />

»Schau mal«, sagte ich, »man braucht doch immer<br />

mal was aus seiner Tasche.«<br />

»Aber das, was du brauchst, findest du doch<br />

sowieso nie auf Anhieb«, sagte er da. Ich protestierte,<br />

musste ihm aber dann recht geben,<br />

weil ich an »das Pferd« dachte. »Das Pferd« habe<br />

ich am Samstag in der Stadt gesehen, jene Frau,<br />

die über ihrer Tasche hing wie ein Pferd überm<br />

Futtersack. Nein, ihr war nicht übel, sie suchte<br />

nur etwas in ihrer Handtasche.<br />

Und die Frauen in der U-Bahn, die fielen mir<br />

auch ein, die benötigen mindestens drei Stationen,<br />

um ihren Schlüssel erst in der Außentasche<br />

der Handtasche und dann in der Handtasche selber<br />

zu suchen, um ihn schließlich zu finden und<br />

glücklich in die Jackentasche zu stecken. Das<br />

mache ich auch immer so, aber wenn ich vor der<br />

Haustür stehe, dann vergesse ich, dass ich den<br />

Anzeigen<br />

Schlüssel in der Manteltasche habe und leere<br />

die Handtasche aus – Taschentücher, Notizbuch,<br />

Haarnadeln, Münzen, Haarclips, Haargummis, andere<br />

Gummis, Abschminktücher, Haarklemmen,<br />

Bürste, Kamm, Puderdose, Lippenstift, Zweitkamm,<br />

Briefe, Veranstaltungsflyer, Programmhefte<br />

und auch ein lange gesuchter Flaschenöffner.<br />

Nur kein Schlüssel. Meinem Mann ließ das<br />

Handtaschenproblem keine Ruhe. In Italien hatte<br />

er mir eine schöne, knallrote Handtasche gekauft,<br />

in die jede Menge hinein- und dann in ihr verlorenging.<br />

Mit der verschwand er im Bastelkeller,<br />

kam aber noch einmal hervor, um mich zu<br />

fragen, ob ich denn wirklich alles brauche, was<br />

in dieser Tasche sei. »Natürlich«, antwortete ich<br />

fast böse, denn so eine Frage ist immer ein Angriff<br />

auf die Kernzone unseres Frau-Seins. »Auch<br />

das?«, fragte er und hielt eine Häkelnadel hoch.<br />

Ich häkele nicht, aber ich brauche sie, um die<br />

Briefe aus dem Postkasten zu fischen, wenn ich<br />

den Briefkastenschlüssel nicht finde.<br />

Stunden später tauchte er aus dem Keller auf<br />

und legte mir stolz die Tasche in den Schoß. An<br />

der Innenseite der roten Handtasche hatte er sieben<br />

Ösen befestigt, an jede Öse eine andersfarbige<br />

Schnur geknotet. Und an der befanden sich<br />

mein Portemonnaie, das Schlüsselbund, das Kosmetiktäschchen,<br />

das Handy, der Kugelschreiber,<br />

die Haarbürste und die Häkelnadel. Wie süß –<br />

er hatte sich solche Mühe gegeben! Wie ein Angler,<br />

der die Rute auswarf, entrollte ich nun Tag<br />

für Tag meine Schnüre. Das Suchen entfiel völlig,<br />

und mein Mann glaubte, ich sei nun die<br />

glücklichste Frau der Welt.<br />

Aber ich vermisste es so, das Wühlen, die angenehme<br />

Panik, den Triumph des Findens, die<br />

Wiedersehensfreude. Mechanisch wickelte ich<br />

Schnüre, zog Gegenstände und litt still. Schließlich<br />

erwischte mich eine regelrechte Depres -<br />

sion, und angesichts einer Frau, die in der U-<br />

Bahn im Einkaufskorb, dann in einer kleinen süßen<br />

Lacktasche und schließlich in einem pinkfarbenen<br />

Beutelchen kramte, um ein Schlüsselbund<br />

hervorzuziehen, packte mich der blanke<br />

Neid und das heulende Elend. Schließlich wurde<br />

ich so krank, dass mein Hausarzt schon um mich<br />

fürchtete …<br />

Aber ich hatte ja noch eine kleine, abgeschabte<br />

schwarze Ledertasche. Natürlich konnte ich sie<br />

in Gegenwart meines Mannes nicht tragen, er<br />

hätte sie sofort geschnappt und »umgebaut«.<br />

Doch einmal war ich mit meiner Freundin im Theater.<br />

An der Kasse suchte ich in diesem schwarzen<br />

Täschchen die Eintrittskarten, wenig später<br />

meinen Kamm. Dann das Handy, um es auszuschalten<br />

– ein herrliches Gefühl!<br />

Ich erstand ein Programmheft, nachdem ich<br />

die Geldbörse endlich gefunden hatte, wobei ich<br />

mir den Finger verletzte, weil ich in eine offene<br />

Sicherheitsnadel fasste. Zufällig sah ich an der<br />

Garderobe in einen Spiegel: Meine Augen leuchteten,<br />

die Wangen rosig überhaucht! Das olle<br />

Ding hatte mir das Leben gerettet.<br />

Mein Mann sah natürlich, wie viel besser es<br />

mir ging. Und so viel versteht er nun doch von<br />

der Frau an sich: Er hat nie wieder versucht, mir<br />

meine Handtasche zu entreißen.<br />

Im Gegenteil: Zum Geburtstag habe ich einen<br />

leopardengemusterten Beutel bekommen. Beutel<br />

sind gesteigerte Handtaschen, sie sind innen<br />

viel dunkler und tiefer, man muss nach den Dingen<br />

tauchen wie ein Pferd in den Hafersack, um<br />

etwas zu finden. Mein weibliches Glück ist seitdem<br />

perfekt.<br />

Frauke Baldrich-Brümmer<br />

Mensch Meier,<br />

ick wollt` doch nur ne klene<br />

Bieje fahrn!<br />

Dircksenstr. 48 Am Hackeschen Markt Mo-Fr 10-20 Sa 10-17<br />

Oranienstr. 32 Kreuzberg Mo-Mi 10-18.30 Do-Fr 10-20 Sa 10-16<br />

40 EULENSPIEGEL 4/12


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60 Jahre Baden-Württemberg: Das offizielle Landes-ABCle<br />

Widerstandskämpfer und<br />

So stellen sich einer Volksabstimmung zufolge 58,8 Prozent der Südwestdeutschen<br />

das Paradies vor.<br />

Dieser Badenser Mundartkomiker hat seine Heimat weltweit bekannt gemacht.<br />

Legendär sind seine Pointen: »Noch ’ n Viertele, bittschön!« und: »Mir gebet nix.«<br />

A rbeitslosenquote<br />

die, ist eine Messgröße,<br />

die in BW seit Anbeginn der<br />

Erhebung im unteren Nano -<br />

bereich liegt. Als Langzeitarbeitslose<br />

gelten in BW Leute,<br />

die länger als eine halbe<br />

Stunde Mittagspause machen,<br />

und alle Bundesbürger nördlich<br />

von Mannheim.<br />

Blechle, Heiligs das,<br />

wird in streng katholischen<br />

Gemeinden die Monstranz<br />

genannt.<br />

Bollenhut der, heißt die traditionelle<br />

Kopfbedeckung einheimischer<br />

Landfrauen in der<br />

Brunftzeit. Diese auch<br />

Schwarzwaldmarie genannten<br />

Dorfdirnen lauern ihren<br />

männlichen Opfern vorwiegend<br />

in moosigen Höhenlagen<br />

auf. Der an einen explodierten<br />

Fliegenpilz gemahnende<br />

B. dient dabei der Tarnung.<br />

Bürstenhaarschnitt der,<br />

heißt die traditionelle Kopfbedeckung<br />

grüner Ministerpräsidenten.<br />

Die zu Berge stehenden<br />

Haare sollen zum einen<br />

die Überraschung über den<br />

naturgesetzeswidrigen Wahlsieg,<br />

zum anderen das Entsetzen<br />

über den von der Vorgängerregierung<br />

hinterlassenen<br />

Scherbenhaufen zum Ausdruck<br />

bringen. In der Regel<br />

ist der bürstenhaarschnittige<br />

Ministerpräsident beim Amtsantritt<br />

bereits vollständig<br />

ergraut.<br />

Cacau der, ist ein Fußballer<br />

mit Hang zum<br />

Geistlichen oder vice versa.<br />

Auf der für ihn reservierten<br />

Ersatzpapstbank nimmt er<br />

sündigen Kollegen regelmäßig<br />

die Beichte ab und gibt ihnen<br />

als geweihter Masseur die<br />

letzte Wadenölung. Nach seiner<br />

Fußballerlaufbahn strebt<br />

C. die Karriere eines römischen<br />

Kardinals und/oder<br />

schwäbischen Mesners an.<br />

Christlich Demokratische<br />

Union die, nennt man eine<br />

auf Dauerherrschaft eingestellte<br />

Ex-Regierungspartei,<br />

die dem Land Friede, Freude<br />

und Wohlstand garantierte<br />

und zum Dank abgewählt<br />

wurde. Ihr letzter Herrscher<br />

flüchtete ins lateinamerikanische<br />

Exil, wie schon etliche<br />

Autokraten vor ihm.<br />

Cleverle das, ist ein koboldiges<br />

Fabelwesen, das der Sage<br />

nach hinauszog in die<br />

Fremde, um größter Brillengläserverkäufer<br />

Ostdeutschlands<br />

zu werden.<br />

CO2 das, (siehe Daimler)<br />

Daimler der, ist ein renommierter<br />

Auto- bzw.<br />

Bombenbauer, der Weltruhm<br />

erlangte durch technologische<br />

und ästhetische Revolutionen,<br />

wie die geräumige Hutablage,<br />

die genügend Platz bot für<br />

eine umhäkelte Klopapierrolle.<br />

D. gehört weltweit zu<br />

den beliebtesten Statussymbolen,<br />

wobei die Konzernleitung<br />

schon immer Wert darauf gelegt<br />

hat, nicht nur Luxusgüter<br />

für den reichen Westen zu<br />

produzieren, sondern auch<br />

Drittweltländer von deutscher<br />

Wertarbeit mit großflächigen<br />

Wirkungsradien profitieren<br />

zu lassen.<br />

Eisenbahn, Schwäbische<br />

die, war ein vor<br />

Urzeiten euphorisch besungenes<br />

Fortbewegungsmittel, dessen<br />

bloße Erwähnung heute<br />

zu kollektiven Magengeschwüren,<br />

Massenpanik und<br />

bürgerkriegsähnlichen Zuständen<br />

führt.<br />

Feldberg der, gilt als<br />

eine der letzten Bastionen<br />

gegen die globale Klimaerwärmung<br />

(»Deutschlands<br />

Winter wird auf dem F. verteidigt«)<br />

mit einem Großarsenal<br />

an Schneekanonen, aber ohne<br />

eigenes Parkhaus. Wegen fehlender<br />

Parkmöglichkeiten<br />

sind wochenlange Fußmärsche<br />

inkl. Eistauchen durch<br />

den Titisee erforderlich. Wer<br />

Glück hat, erfriert unterwegs<br />

oder wird auf den Schultern<br />

eines Waldschratts auf den<br />

Berg getragen.<br />

Filbinger der,<br />

(siehe Widerstandskämpfer)<br />

Fukushima, ist eine neuschwäbische<br />

Enklave im Pazifik<br />

mit großer Strahlkraft auf<br />

Landtagswahlen.<br />

Geiz der, ist einer der<br />

Hauptcharakterzüge,<br />

wenn nicht sogar der einzige,<br />

den die Eingeborenen schon<br />

mit der sparsam dosierten<br />

Muttermilch aufsaugen.<br />

Grünen die,<br />

(siehe Fukushima)<br />

Hausfrau, schwäbische<br />

die, hat eine ähnliche<br />

identitätsstiftende Funktion<br />

wie Jeanne d’Arc für die Franzosen<br />

und Miss Piggy für die<br />

Amerikaner. Heilig gesprochen<br />

wurde sie 2008 auf dem<br />

Bundesparteitag der CDU von<br />

A. Merkel (siehe Miss Piggy).<br />

Hochdeutsch das, ist ein illegales<br />

Kommunikationsmittel<br />

Zugezogener und gilt als eine<br />

der sieben schwäbischen Todsünden.<br />

Idiot der, verbotenes Wort<br />

für Sembel (siehe Mappus)<br />

Juchtenkäfer der, hat<br />

die drei Löwen unlängst<br />

als Wappentier abgelöst.<br />

Kehrwoche die, bezeichnet<br />

die fanatische<br />

Beseitigung jedweden Unrats.<br />

Die Praxis der K. fand im Verlauf<br />

der Weltgeschichte immer<br />

wieder prominente Nachahmer<br />

unter leicht abgeändertem<br />

Namen (siehe Große Säuberung).<br />

Kotzen, zum, sagt immer<br />

noch jeder echte Badener,<br />

wenn er auf die Zwangsverbrüderung<br />

mit den Schwaben<br />

angesprochen wird.<br />

L änderfinanzausgleich<br />

der, ist ein perfides Instrumentarium,<br />

das den Müßiggang<br />

der nichtsnutzigen<br />

Nordländer gewährleistet.<br />

42 EULENSPIEGEL 4/12


Fremde Länder<br />

schwerst missgebildete Spätzle<br />

Der Baden-Württemberger motiviert sich selbst zu Höchstleistungen,<br />

indem er sich beim Laufen immer in den eigenen Arsch tritt.<br />

Fortschrittlichen Medizinern rund um Stuttgart ist es nach dem Krieg gelungen, den gefürchteten<br />

Euthanasieanstalten der Nazis einen neuen Inhalt zu geben.<br />

Le, ist die universale Endung<br />

aller ernstzunehmenden Substantive.<br />

Mannheims, Söhne<br />

die, sind ein bundesweit<br />

erfolgreicher Ministrantenchor,<br />

der in seinen Liedern<br />

vorwiegend der Frage nachgeht,<br />

warum der Herr und<br />

Allmächtige, hätte er die<br />

Wahl gehabt, in Mannheim-<br />

Wallstadt geboren worden<br />

wäre. Im 2. Buch Mose werden<br />

die S. M. als eine der<br />

zehn biblischen Plagen<br />

beschrieben.<br />

Nationalhymne die,<br />

beginnt mit der zweiten<br />

Strophe und der programmatischen<br />

Zeile »Schaffe,<br />

schaffe, Häusle baue«.<br />

Die erste Strophe (»Schaffe<br />

macht frei«) wird seit 1945<br />

bei offiziellen Anlässen kaum<br />

mehr gesungen.<br />

Nudeln die, werden ungenießbare<br />

und schwerst missgebildete<br />

Spätzle genannt.<br />

Oben bleiben!, skandierten<br />

CDU-Anhänger<br />

am 27. März 2011 vergeblich<br />

beim Anblick des schwarzen<br />

Balkens in der ersten Hochrechnung.<br />

Oettinger das, ist die<br />

billigste Gerstenbrühe der<br />

Republik, mit der sich selbst<br />

Obdachlose nur die Füße<br />

waschen, und war Baden-<br />

Württembergs Ministerpräsident<br />

von 2005 bis 2010.<br />

Özdemir, Cem, beteuert<br />

weiterhin hartnäckig, noch<br />

nie Sex mit Claudia Roth<br />

gehabt zu haben.<br />

Provinz die, ist ein<br />

anderes Wort für<br />

Baden-Württemberg.<br />

Quadratisch, praktisch,<br />

gut, sagen 50<br />

Prozent der schokoladesüchtigen<br />

männlichen Bevölkerung<br />

in Baden-Württemberg, wenn<br />

sie nach den Merkmalen ihrer<br />

Traumfrau befragt werden.<br />

Reitzenstein, Villa die,<br />

hat ihren Sitz in Stuttgart<br />

und wird wegen des assoziativen<br />

Namens gelegentlich<br />

mit dem ortsansässigen Flat -<br />

rate-Puff verwechselt, weshalb<br />

der Eingangsbereich<br />

jetzt von einem gebürtigen<br />

Rottweiler aus Tuttlingen<br />

überwacht wird.<br />

Rundfunk, Südwestdeutscher<br />

der, ist ein<br />

gebührenfinanziertes<br />

Staatsfernsehen, das seinen<br />

Auftrag zur besten Zufriedenheit<br />

der 80-jährigen Zielgruppe<br />

erfüllt. Beim SWR ist<br />

zwischen den Einstellungen<br />

noch genügend Zeit für eine<br />

Testfahrt auf dem neuen Treppenlift.<br />

Aber auch jüngere<br />

Zuschauer (unter 75) kommen<br />

auf ihre Kosten. Auf sie<br />

warten TV-Provokateure und<br />

Anarchotalker wie Wieland<br />

Backes (Jg. 1914) und Frank<br />

Elstner (Jg. 1889). Seit »Die<br />

lahmsten Bahnstrecken<br />

Deutschlands« gestrichen<br />

wurden, hat das Abendprogramm<br />

jedoch etwas an Drive<br />

eingebüßt.<br />

Sauschwob der, gehört<br />

zur Gattung der Juchtenkäfer<br />

und nistet bevorzugt in<br />

den Wipfeln exponierter<br />

Stadtgärten.<br />

Shreklein, Sonja, ist eine<br />

computeranimierte Oger-<br />

Frau, die auf Fasnachtsumzügen<br />

mit ihrem grünstichigverluderten<br />

Antlitz selbst<br />

schwerstalkoholisierten Narren<br />

einen Schrecken einjagt.<br />

Teufel der, ist seit jeher<br />

die Verkörperung alles<br />

Bösen, das Schlechte schlechthin,<br />

und war von 1991<br />

bis 2005 Ministerpräsident<br />

von Baden-Württemberg.<br />

Unterirdisch, ist<br />

der Idealverlauf<br />

sämtlicher Fernzüge, die<br />

möglichst ohne Zwischenstopp<br />

und mit zusätzlich<br />

verdunkelten Scheiben<br />

durch BW brettern.<br />

VfB der, steht für<br />

»Verein für breiten<br />

Sport«. Baden-Württembergs<br />

größte Talentschmiede<br />

hat Namen<br />

hervorgebracht wie Eike<br />

Immel, Christoph Daum<br />

und Gerhard Mayer-Vorfelder<br />

(siehe Viertele).<br />

Viertele, große das,<br />

ist mehr als die Summe<br />

zweier Achtele und wirft<br />

trotzdem die Frage auf,<br />

warum noch keine<br />

Winzernase auf die Idee<br />

kam, die Traubenplörre in<br />

Halbele auszuschenken.<br />

Volksabstimmung die,<br />

ist ein ungeeignetes Mittel<br />

zur Durchsetzung des<br />

Mehrheitswillens und<br />

im Nachhinein betrachtet<br />

doch ziemlich demokratiefeindlich.<br />

W asserwerfer<br />

(siehe Kehrwoche)<br />

Widerstandskämpfer der,<br />

ist die von amtierenden<br />

Ministerpräsidenten in Trauerreden<br />

gerne juxhaft verwendete<br />

Bezeichnung für ehemalige<br />

Nazi-Richter.<br />

Winnenden<br />

(siehe Wutbürger)<br />

Wutbürger der, ist ein<br />

Sammelbegriff für eine<br />

wachsende Anzahl von Leuten,<br />

die ihre Alte zu Hause<br />

mit ihrer vermaledeiten<br />

Kehrwoche, die Klorolle auf<br />

der piefigen Hutablage,<br />

das grottenschlechte Fernsehprogramm,<br />

das saure Viertele<br />

und all die saudumm klingenden<br />

Substantivle nicht mehr<br />

ertragen kann und um vor<br />

Wut nicht zu explodieren,<br />

massenhaft auf die Straße,<br />

in den Schlossgarten oder<br />

sonstwo hingeht und mal<br />

so richtig die Sau rauslässt.<br />

Zeit, höchste, ist die<br />

zutreffende Terminangabe<br />

auf die Frage, wann<br />

dieses Kunstprodukt namens<br />

Baden-Württemberg endlich<br />

wieder getrennt werden soll.<br />

Florian Kech<br />

EULENSPIEGEL 4/12 43


Fern<br />

sehen<br />

Wir geben Ihrem Urlaub Farbe<br />

Foto: M. Bein<br />

Rügen<br />

Ruhe genießen –<br />

Natur erleben<br />

Ein kleines<br />

reetgedecktes Hotel<br />

in einmalig schöner Lage<br />

direkt am Wasser.<br />

Gemütliches Restaurant,<br />

anerkannt gute regionale<br />

Küche<br />

Stellplätze am Haus, ganzjährig geöffnet<br />

Familie<br />

D. und G. Simanowski<br />

Dorfstraße 15<br />

18586 Moritzdorf<br />

Ostseebad Sellin<br />

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Fax (03 83 03) 1 87 40<br />

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Anzeigen<br />

Ich bin leidenschaftlich gern positiv,<br />

lobe inbrünstig und freue<br />

mich über jeden Erfolg der armen<br />

Kreaturen, die beim Fernsehen arbeiten!<br />

Wenn acht Millionen Erwachsene<br />

allerlei Geschlechts sich<br />

den Abend damit um die Ohren<br />

hauen, den zweiten Teil einer Romanverfilmung<br />

auf einem Nischensender<br />

anzusehen, kann man dem<br />

Sender gratulieren. Und fragt sich:<br />

Wie ist das möglich? Die Antwort:<br />

Der erste Teil muss gut gewesen<br />

sein! Oder wenigstens geil. Der Titel<br />

ist es jedenfalls: Die Rache der<br />

Wanderhure. Womöglich sind die<br />

Zuschauer acht Millionen Pornokonsumenten,<br />

die sich sonst was<br />

erhofften und für diesen Abend<br />

ihre Schaulust von Youporn auf<br />

Sat1 verlegt haben, und Geschichtsfans,<br />

die statt mit Historydokus<br />

bei ARD oder ZDF mal was<br />

Verwegenes wagen wollten.<br />

Damit des Lobes aber nicht genug!<br />

Einer breiten, bildungsschwachen<br />

Masse wurden historische Ereignisse<br />

nahe gebracht. Besonders<br />

genau hat es das Autorenteam mit<br />

den Fakten zwar nicht genommen,<br />

aber ein gewisses Mittelalterfeeling<br />

war zu spüren. Fettige Haare,<br />

Dudelsackklänge, Glöckchenarmbänder<br />

und natürlich ein lustiger,<br />

notgeiler Zwerg gehörten zur Ausstattung.<br />

Außerdem verkörpert die<br />

Hauptfigur alles, was den Topmodels<br />

von Heidi Klum abhanden gekommen<br />

ist. Die wanderlustige<br />

Hure ist selbstbewusst, emanzipiert<br />

und gut genährt. Womöglich<br />

ist die TV-Filmwelt mit der Rache<br />

44 EULENSPIEGEL 4/12<br />

der Wanderhure tatsächlich um<br />

eine außergewöhnlich stimmige<br />

Romanverfilmung bereichert worden.<br />

Und Alexandra Neldel, kann<br />

sie sich als Charakterschauspielerin<br />

etablieren?<br />

Leider nein. Der Film atmet nicht<br />

den Geist des Mittelalters, sondern<br />

der dreisten Einfalt, mit der dieses<br />

Werk gemacht wurde. Marie – Alexandra<br />

Neldel – jagt, mit einem<br />

Schwert bewaffnet, ihrem Gatten<br />

durch den üppigen und sehr mittelalterlichen<br />

Wald hinterher. Im<br />

Kampf ringt sie ihm die Erlaubnis<br />

zur Anstellung eines Hauslehrers<br />

für die gemeinsame Tochter ab. Danach<br />

darf er sie besteigen. So war<br />

das damals eben: Um für ihre Kinderchen<br />

zu sorgen, hatte eine Hure<br />

nichts als die »bare nackte Zahlung«<br />

(K. Marx).<br />

Was war das für eine schmutzige<br />

Zeit! Nicht nur, dass es keine<br />

WCs und Bidets gab – es wurde<br />

gevögelt nach Lust und Laune.<br />

Diese zügellose Lebensweise will<br />

der brockhausgebildete Sat1-Zuschauer<br />

nun bebildert sehen, und<br />

Alexandra Neldel sieht sich dem<br />

Anspruch voll und ganz verpflichtet.<br />

Das Schlüsselwort, hinter dem<br />

man jeden Schweinskram unterbringen<br />

kann, heißt »unverfälscht«.<br />

»Das Besondere an einem<br />

Film, der im Mittelalter spielt«, sagt<br />

die Frau mit der Titelrolle, »ist die<br />

pure und unverfälschte Leidenschaft<br />

der Menschen. Wäre das<br />

nicht schlimm, wenn es so etwas<br />

nicht gäbe?« Nun, »so etwas« gibt<br />

es ja nun dank der Rache der Wanderhure.<br />

Allerdings bringen die<br />

Wanderhure und die übrige Personage<br />

Dialoge hervor, die einem die<br />

Filzlatschen ausziehen. In Burgtheater-Manier<br />

sondern Schauspieler,<br />

die bekannten Stars verblüffend<br />

ähnlich sehen, Texte ab, wie<br />

sie ein Kindergartenkind plappert,<br />

wenn es mit Ritter-, Räuber- und<br />

Wanderhurenfiguren spielt. Man<br />

nehme die dritte Person (»Ist Ihr<br />

etwa schon wieder ein Tripper zugesprungen?«),<br />

ein paar archaische<br />

Verben (wer kennt schon noch<br />

»brunzen«?) – und schon klingt es<br />

nach Mittelalter. Besonders unverfälscht<br />

wirkt der Text, wenn er aus<br />

Mündern mit total vergammelten<br />

Kauleisten geschrien wird. Damals<br />

gab es bei Schlecker eben noch<br />

keine Zahnbürsten.<br />

Und wie steht es mit Sexversprechen<br />

an die vielen halbtoten Ehepaare<br />

in den Kissen der Fernsehcouch?<br />

Die Wanderhure wandert<br />

leider öfter, als sie hurt. Ein gequetschtes<br />

Dekolleté und eine<br />

freie Schulter – das sind die erotischen<br />

Höhepunkte. Manchmal<br />

denkt man, die hat doch den Beruf<br />

verfehlt. Zumal sie bei Gelegenheit<br />

der wenigen beruflichen Verrichtungen<br />

auch noch Tiefsinn<br />

preisgibt wie den Standardsatz eines<br />

jeden Hurenromans: »Meinen<br />

Körper kannst du mir nehmen,<br />

aber meine Seele nicht.«<br />

Marie leidet unverschuldet an<br />

Sexappeal, was gierige, dreckige<br />

Kerle auf den Plan ruft, die auch<br />

nicht direkt was dafür können. Innerlich<br />

ist sie längst zum züchtigen<br />

Weib geworden. 9,75 Millionen<br />

Zuschauer können bezeugen,<br />

dass sie in Teil eins brutal vergewaltigt,<br />

damit in den ungeliebten<br />

Beruf gezwungen wurde und den<br />

Hurenaufstand von Konstanz anführte.<br />

Sie bringt es in Teil zwei von der<br />

Gelegenheitsnutte bis zur Burgherrin,<br />

wandert munter durchs Kriegsgebiet,<br />

legt im Lazarett bei Verstümmelten<br />

ein letztes Mal Hand<br />

an. Dann soll sie zusammen mit<br />

ihren Kolleginnen geköpft werden:<br />

Zeit für ein Liedchen. Zu Dudelsack<br />

und Drehleier fasst die<br />

Wanderhure die bisherige Handlung<br />

in Reimen zusammen. Die<br />

Unverfälschte Leidenschaft<br />

Kerle schmelzen dahin: Die Äuglein<br />

des Hürchens leuchten, und<br />

ihr Busen bebt – Erotik, wie es sie<br />

heute gar nicht mehr gibt!<br />

Eigentlich hätte das alles auch<br />

auf dem Mond oder in Nordkorea<br />

spielen können. Das Mittelalter ist<br />

allerdings sexyer. Das sieht auch<br />

das Autorenteam so. »Iny Lorentz«,<br />

tatsächlich Herr Wohlrath<br />

und Frau Klocke, schrieben sich in<br />

ihrem Wohnwagen die Finger<br />

wund. Auch sonst jagt ein Mittelalterwälzer<br />

aus ihrer Werkstatt den<br />

nächsten. »Wir leben unsere Fantasie«,<br />

teilen sie mit. Schade nur,<br />

dass die so langweilig ist.<br />

Für alle, die nach Alexandra Neldel<br />

noch einen Appetizer fürs Ehebett<br />

brauchten, lieferte Sat1 die<br />

Doku Käufliche Liebe im Mittelalter<br />

– Wie Wanderhuren wirklich lebten<br />

(mit nachgestellten Fummelszenen).<br />

Teil drei, Das Vermächtnis der<br />

Wanderhure, steht nun bevor. Frau<br />

Neldel lässt sich bereits wieder die<br />

Achselhaare wachsen. Denn unverfälscht<br />

soll es auf jeden Fall wieder<br />

sein.<br />

Felice von Senkbeil


Schöner<br />

wohnen<br />

Gerhard Glück<br />

EULENSPIEGEL 4/12 45


Kino<br />

Das Glück ist keinem treu<br />

In der zwölfseitigen Kurz ge schich -<br />

te des schreibenden Rechts -<br />

anwalts Ferdinand von Schirach<br />

verbringt Irina ihre Jugend irgendwo<br />

auf dem osteuropäischen Land. In der<br />

von Doris Dörrie besorgten hundertzwölfminütigen<br />

Verfilmung ist das<br />

eine Idylle, deren Kitschpotential jedem<br />

seriösen Reiseveranstalter peinlich<br />

wäre. Bis zum Horizont glüht und<br />

blüht der rote Mohn, golden fließt<br />

der Honig in die Vorratstöpfe, und<br />

nach getaner Feldarbeit planschen Vater,<br />

Mutter und Kind im nahe gelegenen<br />

Dorfweiher. Ein frisch geborenes<br />

Unschuldslamm an die noch magere<br />

Mädchenbrust pressend, kann Irina<br />

(hervorragend: Alba Rohrwacher) ihr<br />

Glück<br />

kaum fassen. Da ist es auch schon<br />

vorbei. Uniformierte Horden erstürmen<br />

den Hof, massakrieren die Eltern<br />

und vergewaltigen die Tochter.<br />

Wer sind diese Bestien? Russen? Serben?<br />

Die üblichen Verdächtigen<br />

eben. Laut Agitations- und Propagandaschriften<br />

wie Bild, Spiegel und<br />

dergleichen kommen Vertreter anderer<br />

Nationalitäten für solche<br />

Gräuel ja gar nicht in Betracht.<br />

Gottlob kann sich Irina die Schlepper<br />

leisten und landet auf dem Straßenstrich<br />

in Berlin.<br />

Revierstreitigkeiten mit bereits aktiven<br />

Kolleginnen gibt es nicht, denn<br />

Doris Dörrie errichtet auf der Schöneberger<br />

Kurfürstenstraße die Volksfront<br />

der Illegalen. Irina hat zwischen<br />

zwei Freiern sogar Zeit für kleine Pläusche<br />

mit einem Anrainer. Der hübsche<br />

Kalle (Vinzenz Kiefer) sitzt immer an<br />

derselben Ecke. Zum Schnorrer taugt<br />

er nur bedingt, und auch als Punker<br />

lässt er zu wünschen übrig. Er klaut<br />

nicht, kifft nicht, drückt nicht und<br />

trinkt höchstens mal ein Bier. Seine<br />

Piercings an Mund, Nase und Ohren<br />

sind abnehmbar, weil aus Plaste.<br />

Kalle spricht ordentliches Hochdeutsch,<br />

angereichert durch poetische<br />

Eigenschöpfungen. Jedweder<br />

Höhepunkt, auch ein Orgasmus,<br />

heißt bei ihm Wuppdich.<br />

Das gefällt Irina. Der ganze Kalle<br />

gefällt ihr. Erst darf er bei ihr duschen,<br />

dann bei ihr schlafen, und schließlich<br />

schläft sie mit ihm. Natürlich nur, wenn<br />

keine Kunden angemeldet sind. Aber<br />

die tun der Liebe keinen Abbruch. Die<br />

stehen für Arbeit, und auf so was ist<br />

Kalle nicht eifersüchtig. Irina zeigt da<br />

schon eher Nerven. Seit sie das tolle<br />

elektrische Brotmesser gekauft hat,<br />

redet sie darüber, was sie ihrem<br />

Eine Berlinale-Nachlese<br />

von Renate Holl and-Moritz<br />

Stammgast, dem fetten Politiker, alles<br />

abschneiden könnte.<br />

Eines Sommertags geschieht ein<br />

Unglück: Das Herz des dicken Lustmolchs<br />

bleibt stehen, und Irina flieht<br />

in panischem Entsetzen. Spätheimkehrer<br />

Kalle begreift, dass er, um<br />

die mutmaßliche Mörderin zu retten,<br />

den Toten wegschaffen muss.<br />

Das geht bei dem Drei-Zentner-Mann<br />

aber nur portionsweise. Kühn verlängert<br />

Frau Dörrie ihre Kitsch-Romanze<br />

um einen überaus blutrünstigen<br />

Horror-Akt, dessen unfreiwillige<br />

Komik in ein Fachgespräch zwischen<br />

Rechtsanwalt (Matthias<br />

Brandt) und Staatsanwältin (Maren<br />

Kroymann) über den strafgesetzbuchstäblichen<br />

»beschimpfenden<br />

Unfug mit einer Leiche« mündet.<br />

Doch nach vier Happy-Endings haben<br />

dann alle, auch die Zuschauer,<br />

ausgelitten.<br />

★<br />

Regisseur Christian Petzold hat einige<br />

ausgezeichnete, mit vielen Auszeichnungen<br />

belohnte Filme gedreht<br />

(meine Favoriten: »Die innere Sicherheit«,<br />

»Jerichow«), er hat der großen<br />

Theateraktrice Nina Hoss eine<br />

Zweitkarriere als Filmstar ermöglicht,<br />

und er hat die DDR nie als No-<br />

Go-Area betrachtet. Schließlich war<br />

sie das Vaterland seiner in den 50er<br />

Jahren republikflüchtig gewordenen<br />

Eltern und bis in die 70er Jahre sein<br />

eigenes Schulferienparadies. Und<br />

nun, fand dieser gute Mann, sei es<br />

an der Zeit, die Klischeevorstellungen<br />

seiner westdeutschen Kollegen<br />

vom windstillen, mausgrauen Land<br />

der Plattenbauten und freudlosen<br />

Menschen zu konterkarieren. Und<br />

zwar mit seinem rätselhafterweise<br />

hochgejubelten Film<br />

Bernd Zeller<br />

Barbara<br />

(Silberner Bär für die beste Regie),<br />

der sich 1980 in einer Kleinstadt an<br />

der Ostsee zuträgt. Eine stetig steife<br />

Meeresbrise zaust Bäume und Sträucher<br />

sowie die letzten Reste des Vorkriegsputzes<br />

von den Wänden der<br />

verrottenden Einfamilienhäuser. Im<br />

verklinkerten Kreiskrankenhaus<br />

nimmt muffliges Personal einen Neuzugang<br />

in Empfang: Dr. Barbara Wolff<br />

(Nina Hoss), bislang Kinderchirurgin<br />

an der Berliner Charité. Weil sie die<br />

DDR hasst und den Bundesjunker<br />

Jörg (Mark Waschke) liebt, hat sie einen<br />

Ausreiseantrag gestellt. Zur<br />

Strafe wird sie erst eingesperrt und<br />

dann abgeschoben, nämlich in bewusstes<br />

Kaff. Eine hausmeisterliche<br />

Blockwarttype (Rosa Enskat) weist<br />

ihr eine Bruchbude zu, und der orts-<br />

46 EULENSPIEGEL 4/12


ansässige Stasi-Offizier (Rainer Bock)<br />

versichert sie seiner ungeteilten<br />

Wachsamkeit, grüßt doch von jenseitigem<br />

Gestade Dänemark mit seiner<br />

offenen Grenze zur BRD herüber. Da<br />

darf sich die für mehrere Stunden<br />

nicht auffindbare Frau Doktor nicht<br />

wundern, wenn sie bei ihrer Rückkehr<br />

rektal nach wie immer gearteter<br />

Konterbande durchsucht wird.<br />

Ausreisewillige Ärzte sollten, das<br />

zumindest ergaben meine persönlichen<br />

Recherchen, mit Marx- und Engelszungen<br />

zum Bleiben überredet,<br />

nie aber in Grenzgebiete strafversetzt<br />

und durch schikanöse Behandlung<br />

zur Flucht geradezu animiert<br />

werden. Doch solche Spitzfindigkeiten<br />

interessierten den DDR-Spezialisten<br />

Christian Petzold genauso wenig<br />

wie die Tatsache, dass der Jugendwerkhof<br />

Torgau bei aller Kritikwürdigkeit<br />

kein faschistisches KZ<br />

war, die Bezeichnung »Vernichtungslager«<br />

also unentschuldbar ist. Wenigstens<br />

lässt er seine Barbara am<br />

Ende vom Ausweg in die westliche<br />

Freiheit Abstand nehmen, winken ihr<br />

doch an der Seite des testosteronstrotzenden<br />

Ost-Arztes André Reiser<br />

(Ronald Zehrfeld) nicht nur ungekannte<br />

Liebeswonnen, sondern<br />

auch die DDR-spezifische Möglichkeit,<br />

Patienten ohne Kassendruck<br />

und in aller Bettruhe auf den Weg<br />

der Besserung zu befördern.<br />

★<br />

Meryl Streep ist ein schauspielerisches<br />

Phänomen, denn sie kann alles.<br />

Und sie hat alles, wovon ihre<br />

ebenfalls berühmten Kolleginnen<br />

bestenfalls träumen können. Zum<br />

Beispiel immer noch den ersten,<br />

nach wie vor geliebten Ehemann<br />

und mit ihm vier wohlgeratene Kinder.<br />

Ferner seit 1977 kontinuierliche<br />

Rollenangebote, auch über ihr 60.<br />

Lebensjahr hinaus. Unter ihren 35<br />

Hollywoodfilmen befindet sich kein<br />

einziger Flop, dafür ein gutes Dutzend<br />

Welterfolge. Zu ihren kaum<br />

noch zählbaren Preisen gehören drei<br />

Oscars (bei 17 Nominierungen) und<br />

sieben Golden Globes (bei 25 Nominierungen).<br />

Aber irgendwas fehlt ja<br />

bekanntlich immer. Ich tippe mal auf<br />

den sprichwörtlichen Funken Verstand<br />

sowie ein Quentchen Moral.<br />

Verfügte Meryl Streep über beides,<br />

hätte sie uns niemals<br />

Die eiserne Lady<br />

Margaret Thatcher, Busenfreundin<br />

von Augusto Pinochet und Ronald<br />

Reagan, als respektable Premierministerin<br />

verkaufen dürfen, die ihr<br />

Land angeblich entsolidarisieren<br />

musste, um es vor der Krise, wenn<br />

nicht gar vor dem Kommunismus zu<br />

bewahren. Und die nun, da sie alt<br />

und gaga ist, unser aller Mitgefühl<br />

verdiene. Diese Lesart, ausgekungelt<br />

von Phyllida Lloyd (Regie) und Abi<br />

Morgan (Drehbuch), erfüllt den Tatbestand<br />

der Geschichtsfälschung<br />

und sollte geahndet werden. Genau<br />

wie die Verbrechen der Menschenrechtsverletzerin<br />

Thatcher, die Hunderttausende<br />

nordenglischer Bergund<br />

Stahlarbeiterfamilien ins Elend<br />

stieß, indem sie Zechen und Fabriken<br />

schloss und die Gewerkschaften<br />

zerschlug. Sie belegte noch die Ärmsten<br />

der Armen mit einer Kopfsteuer<br />

und privatisierte zwecks Bereicherung<br />

der Reichen die Trinkwasserund<br />

Elektrizitätswerke, die Eisenbahn<br />

und die Telekom. Als das öffentliche<br />

Leben fast im Chaos versunken<br />

war und selbst die Konservativen<br />

wütend wurden, führte sie<br />

rechtzeitig vor den Wahlen einen blutigen<br />

Krieg um die kronkolonisierten<br />

Falklandinseln. Ihr einziger Sohn<br />

nahm vorsichtshalber nicht daran teil.<br />

Und was sagt Meryl Streep zu all<br />

dem? »Es interessierte mich weniger,<br />

welche politischen Schritte Margaret<br />

unternahm ... Wenn du harte Entscheidungen<br />

triffst, wird man dich<br />

heute dafür hassen, doch die nächsten<br />

Generationen werden dir dafür<br />

danken. So sollte ein Führer immer<br />

denken, und das gleiche sollte eine<br />

Mutter tun.« Die phänomenale Schauspielerin<br />

und vierfache Mutter sollte,<br />

wenn ihr außer Schleimerei nichts<br />

einfällt, einfach den Mund halten. Vor<br />

allem sollte sie sich nicht vor den falschen<br />

Karren spannen lassen, nur<br />

weil es sie reizte, ein eiskaltes Monster<br />

in einen achtbaren Menschen umzulügen.<br />

Damit hat sie zwar wieder<br />

ein paar neue Preise gewonnen, aber<br />

ungleich mehr alte Sympathisanten<br />

verloren.<br />

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<br />

EULENSPIEGEL 4/12 47


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Arten vielfalt<br />

Das Hausmeister<br />

Das Hausmeister trägt viel Verantwortung. Verantwortung<br />

dafür, dass nie Klopapier auf der<br />

Rolle ist, dass der Wasserhahn auch weiterhin<br />

tropft, die Heizung kalt bleibt oder brühendheiß.<br />

Im Winter zwingt es sich unter Aufbietung aller<br />

Kräfte, das Schneeschieben so lange aufzuschieben,<br />

bis es taut, ungeachtet aller Anfeindungen.<br />

Das Hausmeister ist eine zutiefst deutsche Institution,<br />

es sorgt dafür, dass die Zustände bleiben,<br />

wie sie sind. Diese Verlässlichkeit hat ein<br />

wettergegerbtes Gesicht, denn es zieht meist in<br />

der Raucherecke zwischen Hintereingang und<br />

Mülltonnen.<br />

Unter dem wettergegerbten Gesicht beginnt<br />

das eigentliche Erkennungsmerkmal des Hausmeisters<br />

– der blaue Kittel. Der hat drei Taschen,<br />

zwei in Hüfthöhe und eine links, wo das Herz<br />

ist. Oben stecken reihenweise Kugelschreiber, unten<br />

die Hände. In grauer Vorzeit hat das Hausmeister<br />

einen Handwerksberuf erlernt und im<br />

Laufe seines Berufslebens eine Menge weiterer<br />

Qualifikationen erworben, beispielsweise die perfekte<br />

Simulation von Tätigkeiten, das freie Interpretieren<br />

von Arbeitsanweisungen, das Führen<br />

von politischen Debatten aus dem Stegreif und<br />

das fehlerfreie Abspulen sämtlicher Sprüche, die<br />

im Hause en vogue sind, von »Dein Teflon klingelt«<br />

bis »Tschüssikowski!«.<br />

Wird das Hausmeister jemals gezwungen, mit<br />

sichtbarem Ergebnis tätig zu werden, sieht sein<br />

Bezwinger alsbald, was er davon hat. Das neue<br />

Klopapier ist eine Art Sandpapier, und die frischen<br />

Papierhandtücher liegen zur Mahnung<br />

noch verpackt oben auf dem Handtuchspender.<br />

Für diese Belanglosigkeiten hat das Hausmeister<br />

nämlich keine Zeit, es ist das Letzte in unserem<br />

Land, das sich noch der Erziehung der Jugend<br />

hingibt. Beispiel Schule. Wo der Lehrkörper<br />

längst aufgegeben hat, nimmt das Hausmeister<br />

seinen Erziehungsauftrag immer noch ernst.<br />

»Heb das sofort auf, Freundchen!«, heißt seine<br />

klare Ansage, oder:<br />

»Es gibt gleich einen<br />

Satz heiße<br />

Ohren, wenn<br />

du dir nicht<br />

die Schuhe<br />

abputzt!«<br />

Das<br />

Hausmeister trägt zumeist einen sprechenden<br />

Namen wie Kaltwasser-Meier, Super-Walter oder<br />

einfach Adolf. In Firmen bzw. öffentlichen Gebäuden<br />

ist das Hausmeister zumeist in Erdnähe angesiedelt.<br />

In diesem Refugium riecht es nach Wischlappen,<br />

die auf der Heizung trocknen, nach<br />

Bohnerwachs, vollen Aschenbechern und Waschbenzin.<br />

Auch hat es dort in den Jahren massenhaft<br />

technische Geräte angehäuft, ohne die es<br />

seine Arbeit nie schaffen würde und die nach der<br />

Erprobungsphase vor sich hin rotten.<br />

Inzwischen gehört das Hausmeister aber zu<br />

den bedrohten Arten. Wie alles Schlimme dieser<br />

Welt trägt die neue Bedrohung einen englischen<br />

Namen: Outsourcing. Das Hausmeister wird zunehmend<br />

durch anonyme Dienstleister ersetzt.<br />

Ehren wir schon jetzt sein Angedenken – es<br />

ist Zeit für das erste deutsche Hausmeistermuseum.<br />

Jan Frehse<br />

Zeichnung: Peter Muzeniek


Barbara Henniger


Wie blöd<br />

ist blöd?<br />

Karsten Weyershausen<br />

Andreas Prüstel<br />

Einige meiner Freunde beginnen neuerdings<br />

jeden zweiten Satz mit »Ganz<br />

ehrlich«, und beenden ihn mit »Hallo«.<br />

Meistens sind diese beiden sprachlichen<br />

Gehhilfen noch zusätzlich mit einem<br />

Fragezeichen versehen. Das ergibt<br />

dann Konstrukte wie: »Ganz ehrlich?<br />

Mich nervt dieses ganze Bundespräsidententhema,<br />

jeder hat doch irgendwie<br />

Dreck am Stecken, hallo?« Ich sehe<br />

meine Freunde dann vor meinem geistigen<br />

Auge plötzlich in Hühnerkostümen<br />

stecken. Sie gackern und schlagen<br />

aufgeregt mit den Flügeln: »Hallo,<br />

hallo, ich sag dir gleich was ganz Wichtiges!«<br />

Und wenn sie das Wichtige –<br />

wie zum Beispiel: »Ganz ehrlich? Ich<br />

kann das Wort ›Eurorettungsschirm‹<br />

nicht mehr hören!« – gesagt haben, ruckeln<br />

sie mit dem Kopf und fragen, ob<br />

ihre Message bei mir angekommen sei:<br />

»Hallo? Hallo, bist du noch da? Hörst<br />

du mir zu? Hallo?!« Nun<br />

wird manch einer sagen:<br />

Denk nicht drüber nach –<br />

such dir neue Freunde!<br />

Aber ich mag meine<br />

Freunde. Es sind die einzigen,<br />

die ich habe. Und dieses<br />

merkwürdige verbale<br />

Balzverhalten legten sie<br />

nicht schon immer an den Tag. Vor geraumer<br />

Zeit, ich erinnere mich, sagten<br />

sie noch Sätze wie: »Die letzte Ausgabe<br />

vom Scheibenwischer hat mir<br />

nicht gefallen. Ich guck das eh nur wegen<br />

dem Hildebrandt.« Und heute gackern<br />

sie: »Harald Schmidt hat Brause<br />

aus dem Nabel von der Ex vom Pocher<br />

geleckt, wie blöd ist das denn?«<br />

Warum fragt man mich das? Ich habe<br />

darauf keine Antwort. Und meine<br />

Freunde auch nicht. In Wahrheit gibt<br />

es nämlich keine Blödigkeitsskala, auf<br />

der man zweifelsfrei messen könnte,<br />

wie blöd es ist, dass jemand in Harald<br />

Schmidts Alter mit so einer pubertären<br />

Sabberaktion versucht, Quote zu<br />

machen. Und darum geht es auch gar<br />

nicht. Es geht darum, sich gegenseitig<br />

zu versichern, dass man sich einig ist.<br />

Merkwürdigerweise versucht man<br />

durch die Frage danach, wie blöd »das<br />

denn« sei, zu zementieren, dass das<br />

ja wohl überhaupt keine Frage sei. Ich<br />

finde das ungefähr so blöd wie linksintellektuelle<br />

Politkabarettisten, die<br />

Oft sagen Leute<br />

ungeheuer<br />

wichtige Dinge.<br />

Man darf bloß<br />

nicht so genau<br />

hinhören.<br />

sich vor ein linksintellektuelles Publikum<br />

hinstellen und sagen: »Die Angela<br />

Merkel ist blöd.«<br />

Mindestens genauso blöd finde ich<br />

es, eine Stellungnahme mit der Frage<br />

»Ganz ehrlich?« einzuleiten. Das heißt<br />

dann ja wohl: »Ich war bisher immer<br />

unehrlich mit dir, aber jetzt halte ich<br />

es nicht mehr aus und muss dir einfach<br />

offen sagen, was ich denke. Weil<br />

ich mir aber nicht sicher bin, ob du so<br />

viel schonungslose Offenheit ertragen<br />

kannst, warne ich dich hiermit vor:<br />

Was ich gleich von mir geben werde,<br />

ist undurchdachter Schwachsinn und<br />

nur so dahergesagt, aber immerhin bin<br />

ich ehrlich.«<br />

Bequem ist das auch. Wozu in ganzen<br />

Sätzen reden, wenn man durch<br />

das bloße Ausrufen von Stichwörtern<br />

sofort mit allen im Raum einer Meinung<br />

sein kann? Einmal, als jemand<br />

auf einer Stehparty sagte:<br />

»Champagner aus Pappbechern,<br />

hallo?«, antwortete<br />

ich mit einem freundlichen<br />

»Grüß schön!«. Und<br />

als ich dafür einen entgeisterten<br />

Blick erntete, erklärte<br />

ich: »Ich dachte, du<br />

telefonierst grade.« Da<br />

war die Stimmung im Pappbecher.<br />

Ich hätte lächeln sollen, nicken und<br />

das Thema wechseln, noch bevor es<br />

richtig auf dem Stehtisch lag. Genauso<br />

sollte ich es jetzt auch mit diesem Text<br />

machen. Ich sollte meine kleinliche<br />

Kommunikationsmäkelei hier beenden<br />

und einen eleganten Schwenk auf ein<br />

konsensfähiges Gebiet machen. Etwas,<br />

worauf wir uns alle einigen können:<br />

Daniela Katzenberger, der zu kurze<br />

Sommer, Menschen mit Nerdbrillen,<br />

die Backstage-Reporter von Casting-<br />

Sendungen, der zu bunte Herbst, Gurkeneis.<br />

Dinge, die wir alle – hallo? –<br />

blöd finden. Über die wir – ganz ehrlich<br />

– gar nicht lange reden müssen.<br />

Am besten, wir reden gar nicht mehr.<br />

Am besten, wir schicken uns gegenseitig<br />

einfach nur noch MMSe mit Fotos<br />

von Dingen, die wir hassen und smsen<br />

dazu: »Hallo?«<br />

Obwohl: Ich bin mir sicher, dass das<br />

dann jemand auf Facebook postet und<br />

drunter schreibt: »Wie blöd ist das<br />

denn?«<br />

Martina Brandl<br />

52 EULENSPIEGEL 4/12


Anzeige


Funzel<br />

Unverkäuflich – aber bestechlich!<br />

SUPER<br />

Das Intelligenzblatt für Andersdenkende<br />

Seit der Großen Revolution 89/90 unabhängig vom <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong><br />

Fritz<br />

in<br />

Gefahr!<br />

Aus gegebenem Anlass hat der Deutsche<br />

Anglerverband die FUNZEL gebeten, ihren<br />

Milliarden Lesern folgende dringende Mitteilung<br />

zu machen: Ende März ist wieder die<br />

Schonzeit mehrerer geschützter Fischarten<br />

zu Ende gegangen. Trotzdem sollte man den<br />

geschuppten Lieblingen jetzt nicht um jeden<br />

Preis und mit allen Mitteln nachstellen.<br />

Fräulein Gabi M. aus Wasserburg zum Beispiel<br />

versucht hier die Angelei mit völlig ungeeignetem<br />

Gerät. Dabei sollte doch jede<br />

Frau wissen, wie wichtig eine ordentliche<br />

Rute ist. Auch die Angelbekleidung lässt in<br />

hohem Maße zu wünschen übrig.<br />

Auf investigative Nachfrage unseres<br />

FUNZEL-Fischfachmanns gab Fräulein<br />

Gabi allerdings bekannt, dass sie überhaupt<br />

nicht an Wassergetier interessiert<br />

sei. Vielmehr sitze sie nur an, um Fischers<br />

Fritze zu erbeuten. Na, dafür, so unser<br />

Fischexperte erleichtert, sei die Angel -<br />

bekleidung völlig ausreichend! ru/ke<br />

Immer dasselbe<br />

Der Redakteur suchte die<br />

Zeitung von vorne bis hinten<br />

durch, aber er sah seinen<br />

Text einfach nicht.<br />

Auf der Kommentarseite<br />

konn te er ihn ebenso wenig<br />

finden wie im Vermischten.<br />

Auch bei den<br />

Fotos war der Text nicht<br />

untergekommen, denn<br />

die fanden ihn nicht bildhaft<br />

genug. Im Impressum<br />

gab’s für ihn nicht genug<br />

Platz, dem Feuilleton<br />

mutete er zu ungebildet<br />

an, und die Sportseiten<br />

fanden ihn zu umfänglich.<br />

Auch die Lokalberichterstattung<br />

wollte sich mit<br />

ihm nicht abgeben, denn<br />

er trank keinen Alkohol.<br />

Und fürs Wetter war er<br />

nicht wechselhaft genug.<br />

Den Meinungsseiten erschien<br />

er zu sachlich und<br />

den Verkehrsmeldungen<br />

nicht richtig verkehrt.<br />

Selbst bei den Anzeigen<br />

wollten sie ihn nicht haben,<br />

denn er war weder<br />

verstorben, noch entlaufen<br />

oder zu vermieten.<br />

Aber halt! Bei den Jubiläen<br />

kam unserem Text<br />

schließlich die rettende<br />

Idee. Er musste einfach<br />

100 Jahre warten, und<br />

dann würden sie ihn doch<br />

zum Gedenktag drucken!<br />

Gesagt, getan. Auf den<br />

Tag genau 100 Jahre später<br />

kam es tatsächlich zur<br />

Drucklegung. Aus Versehen<br />

platzierte man den<br />

Text zwar beim Fernsehprogramm,<br />

aber das merk -<br />

te kein Mensch.<br />

Dort stand nämlich<br />

schon seit über 200 Jahren<br />

immer dasselbe.<br />

ub<br />

Der Berliner Strichjunge<br />

Marcel J.<br />

geriet nur kurz ins<br />

Straucheln.<br />

Schuld war ein<br />

neues Schlagloch.<br />

ub / ss


Der Geburtstag<br />

Nach vier Jahren war es endlich<br />

wieder so weit: Schalti,<br />

der Schalttag, konnte Geburtstag<br />

feiern! Schalti war<br />

außer sich vor Glück,<br />

klatschte in die Hände und<br />

sang vor Freude und Aufregung.<br />

Das durfte er auch,<br />

denn er war schließlich der<br />

Benjamin unter den 366 Tagen,<br />

das Küken, das Fohlen,<br />

das Nesthäkchen. Alle anderen<br />

waren viermal so alt<br />

und schauten mit freundlicher<br />

Nachsicht zu, wie<br />

Schalti herumalberte, lachte<br />

und tanzte. Sie achteten nur<br />

darauf, dass er dabei immer<br />

hübsch auf seinem Platz<br />

blieb, sich nicht etwa unbemerkt<br />

irgendwo im Kalender<br />

herumtrieb und plötzlich,<br />

»Ätschi-Bätschi!«, einem<br />

anderen Tag den<br />

Schwarzen Peter unterjubelte.<br />

Von 365 Tagen wussten<br />

364 nicht, dass das<br />

schon mal passiert war.<br />

pk<br />

D a s - F u n z e l - P o l i t b a r o m e t e r<br />

Piraten weiter auf dem Vormarsch<br />

MENSCH<br />

& NATUR<br />

von Hellmuth Njuhten<br />

Die Wahrheit<br />

zum Wandel<br />

aw<br />

ub / ss<br />

I m m e r m i t<br />

d e r R u he!<br />

Die Polizei hat<br />

beschlossen, den<br />

Lärmschutz künftig<br />

mit aller Entschiedenheit<br />

durchzusetzen.<br />

Zu diesem<br />

Zweck soll nachts<br />

endlich mehr Blaulicht<br />

und Martinshorn<br />

eingesetzt<br />

werden. ub / ss<br />

Immer wieder wird uns der<br />

schöne Klimawandel madig<br />

gemacht: Mal steigt angeblich<br />

der Meeresspiegel,<br />

dann wieder schmelzen die<br />

Eisschollen, oder es gibt<br />

Stürme, die sämtliche Dauerwellen<br />

demolieren. Dabei<br />

ist alles halb so schlimm:<br />

Unser Funzel-Reporter hat<br />

letzten Februar in Berlin<br />

(Hintergrund) dieses herzige<br />

Trio fotografiert: Frau<br />

Elfriede P. trägt eine völlig<br />

intakte Dauerwelle, und Eisbär<br />

Knut trägt die Erderwärmung<br />

dank neuem Job mit<br />

Begeisterung. Nur Ehemann<br />

Erwin (vorn links) ist durch<br />

die ständige Sonneneinstrahlung<br />

etwas eingelaufen.<br />

Trotzdem trägt er seinen<br />

Ehering noch immer mit<br />

Würde.<br />

ub/if<br />

D a s - F u n z e l - M a n a g e r m a g a z i n<br />

Aktien und Gold sind was<br />

für Habenichtse, Weich -<br />

eier und Linksträger. Wer<br />

wirklich absahnen will,<br />

wartet, bis eine Inflation<br />

im Anmarsch ist. Dann<br />

jede Menge Kredite aufnehmen,<br />

Lagerhalle mieten<br />

und rein mit der<br />

Kohle!<br />

Wenn dann die Inflation<br />

kommt, Fäustchen machen<br />

und reinlachen!<br />

Dann ist zwar alles weg,<br />

aber die Schulden auch!<br />

wo<br />

D e r - F u n z e l - R a t g e b e r A u t o<br />

Alle Fahrer, die ein Automatikgetriebe im Auto haben,<br />

sollten dieses unbedingt in der Garage lassen. Wir haben<br />

nämlich ein Schaltjahr!<br />

ub / ss<br />

G r o ß e - F u n z e l - E r f i n d u n g e n ( X I )<br />

gf<br />

ar<br />

Jahrelang wurde die<br />

Soko »Sokrates« für den<br />

Dialog am Bürger rhetorisch<br />

geschult. Unter<br />

dem Motto »Dialoge führen<br />

– und gewinnen«<br />

hatte sie alles Nötige<br />

trainiert: modulierte<br />

Lautstärke, korrekte Artikulation<br />

und dosierte<br />

Pausensetzung bei der<br />

Beweismittelaufnahme,<br />

überzeugende Metaphernanwendung<br />

bei<br />

der Wohnungserstürmung<br />

und massiven Ironieeinsatz<br />

bei allgemeinen<br />

Verkehrskontrollen.<br />

Und dann das: Niemand<br />

Funzel-<br />

RÄTSEL<br />

So ein Mist! Jetzt fährt auch<br />

noch mein Freund<br />

will mit den Beamten reden.<br />

Gesprächsunwillige<br />

Bürgerinnen und<br />

Bürger huschen schweigend<br />

vorbei. Doch zum<br />

Glück sind die gelernten<br />

Dialektiker auch in nonverbaler<br />

Kommunikation<br />

geschult. Mit ihrer<br />

Körpersprache schaffen<br />

sie es, den Dialog herbeizuführen:<br />

»Eine<br />

druff?« – »Nein!« – »Das<br />

ist Widerstand gegen<br />

die Staatsgewalt. Und<br />

zack!« – »Aaarrgghh.<br />

Röchel.« Man kann<br />

eben über alles reden.<br />

cd / hn<br />

!<br />

gs<br />

Tauschbörse<br />

Gewalt<br />

gegen<br />

Sachen<br />

Kriki<br />

I M P R E S S U M :<br />

Aus den Augen –<br />

aus dem Sinn, aber<br />

aus dem <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong> –<br />

ohne Sinn, wissen die<br />

FUNZEL-Mitarbeiter<br />

Archimura, Utz<br />

Bamberg, Carlo Dippold,<br />

Klaus Ender, imagefap,<br />

Peter Köhler, Kriki,<br />

Hellmut Naderer, Wolfgang<br />

Oschinger, Günter<br />

Schön, Siegfried<br />

Steinach, Reinhard<br />

Ulbrich und Angela<br />

Wahl.


Anzeigen · Veranstaltungen<br />

TICKETLINE: (030) 5 42 70 91<br />

So<br />

1.4.<br />

10.30<br />

Fr<br />

13.4.<br />

20.00<br />

Sa<br />

14.4.<br />

15.00<br />

Di<br />

17.4.<br />

17.00<br />

Sa<br />

21.4.<br />

15.00<br />

Sa<br />

21.4.<br />

20.00<br />

Sa<br />

28.4.<br />

19.00<br />

„PITTIPLATSCH<br />

AUF REISEN“<br />

Ein Programm für die ganze Familie<br />

mit Pittiplatsch und seinen Freunden<br />

„WENN DIE NEUGIER<br />

NICHT WÄR …“<br />

Der besondere Talk von und mit<br />

Barbara Kellerbauer.<br />

Zu Gast: Lutz Stückrath<br />

ALENKA GENZEL &<br />

FRANK MATTHIAS<br />

und das Ensemble Esprit Berlin<br />

„Das Frühlingsfest der Operette“<br />

„SIBIRIEN – BAIKAL<br />

UND ALTAI“<br />

Dia-Ton-Show von und mit<br />

Nina & Thomas Mücke<br />

MUSIKALISCHER SALON<br />

Ludwig van Beethoven<br />

erstes und letztes Streichquartett<br />

„DUELL IN SANSSOUCI!“<br />

FRIEDRICH II. – VOLTAIRE<br />

Ein musikalisches-theatralisches<br />

Duell mit Dieter Mann, Gunter<br />

Schoß u.a. Musik von Friedrich<br />

dem Großen<br />

DONEGALS IRISH<br />

DANCE BERLIN<br />

„Elements“ – Irish Dance Show<br />

An der Markthalle 1-3<br />

09111 Chemnitz<br />

54 EULENSPIEGEL 4/12


Satirisches Theater und Kabarett e.V.<br />

Ratskeller/ Marktplatz 2a · 15230 Frankfurt/Oder<br />

www.oderhaehne.de<br />

<br />

<br />

Anzeigen · Veranstaltungen<br />

April 2012<br />

Lügen schaffts Amt<br />

5./6./7./14./18. (15 Uhr) und 26. April<br />

2012<br />

Spärlich währt am längsten<br />

20. und 27. April<br />

Spinner For One<br />

21. und 28. April 2012<br />

Zeig mir mal dein Sommerloch<br />

12. April 2012<br />

Gastspiel am 01. April<br />

Lothar Bölck - Premiere<br />

„Kommt mir doch nicht so!“<br />

Gastspiel am 19. April<br />

Martin Buchholz<br />

„Hier stehe ich! Ich kann nicht anders!“<br />

Vorstellungsbeginn<br />

ist um 20 Uhr im Ratskeller<br />

Ticket-Hotline: 03 35 / 23 7 23<br />

<br />

<br />

<br />

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<br />

Lügen schaffts Amt<br />

mit Marion Bach und Hans-Günther Pölitz<br />

Kommt mir doch<br />

nicht so!<br />

mit Lothar Bölck a.G.<br />

PREMIERE<br />

am 3. April, 20 Uhr<br />

GASTSPIELE<br />

Peter Bause<br />

„Man stirbt doch nicht<br />

im dritten Akt“<br />

14. April, 20 Uhr<br />

Zara Arnold<br />

„Alles Irrtum – oder wie?“<br />

27. April, 20 Uhr<br />

Der Spielplan: www.zwickmuehle.de<br />

Magdeburger Zwickmühle<br />

Leiterstraße 2a, 39104 Magdeburg<br />

Telefon: (03 91) 5 41 44 26<br />

EULENSPIEGEL 4/12 55


Musste auch mal gesagt werden!<br />

Aus: »Lausitzer Rundschau«<br />

Einsender: Jean Großmann, per E-Mail<br />

Für Legal-Legastheniker.<br />

Aus: »Wettersbacher Anzeiger«, Einsender: Markus-L. Rabold, Karlsruhe<br />

(Sprachlicher Zugang wird nicht erleichtert.)<br />

Internet-Werbung für ein Fernsehgerät, Einsender: Otto Salomon, per E-Mail<br />

Ihr Geographielehrer<br />

war ein Chilene<br />

aus Peru.<br />

Aus: »BZ«<br />

Einsender:<br />

Axel Naumann, Berlin<br />

Anschließend bekam der Hai<br />

die Rettungsmedaille.<br />

Aus: »Ostthüringer Zeitung«<br />

Einsender: Jens Hild,<br />

Großeutersdorf<br />

Deshalb heißt es »sinkender Aktienkurs«!<br />

Aus: »Leipziger Volkszeitung«<br />

Einsender: Richard Jawurek, Markkleeberg<br />

Mal mit anderem Körperteil versuchen!<br />

Aus: »BZ«<br />

Einsender: Alex Mann, Berlin<br />

Ist ja süss!<br />

Aus: »Leipziger Volkszeitung«<br />

Einsenderin: Dr. Ursula Mickley,<br />

Delitzsch<br />

Kein Wunder!<br />

Aus: »Bild.de«, Einsender: Andre Müller, per E-Mail<br />

Es grüßt der dankbare Chef.<br />

Aus: »Freie Presse«<br />

Einsender: B. Solbrig, Oelsnitz/E.<br />

Selbst gezählt!<br />

Aus: »Stuttgarter Zeitung«<br />

Einsender: J. Mattern, Potsdam<br />

Wenn er schlecht zu Fuß ist ...<br />

Aus: »Freie Presse«<br />

Einsender: Klaus Häusser, per E-Mail<br />

Für wem?<br />

Aus: »Neues Deutschland«<br />

Einsenderin: Anne-Marie Rubel, Berlin<br />

Doppelbeschiss.<br />

Aus: »Atelier Goldner Schnitt«<br />

Einsenderin: Sigrid Schulze, Berlin<br />

Mancher nimmt es sogar ohne Dank bar.<br />

Homepage des »Zukunftbund Leipzig e.V.«, Einsenderin: Barbara Seidel, per E-Mail<br />

Und kräftig mit dem Schwanz wedeln!<br />

Aus: »Neues Deutschland«<br />

Einsender: Harald Ockert, Neuenhagen, u. a.<br />

56 EULENSPIEGEL 4/12


Fehl anzeiger<br />

Nächste Woche: Infoabend wegen Grammatikschwäche.<br />

Aus: »Märkischer Markt«, Einsender: Jürgen Klötzer, Müncheberg<br />

Poetische Kostbarkeit<br />

Aber nicht jeden!<br />

Secondhand-Laden in Hagen/Westf., Einsender: Manfred Kopka, Schalksmühle<br />

Mit seinem Pfleger.<br />

Aus: »Märkische Oderzeitung«<br />

Einsender: Jürgen Stapf, Erkner<br />

Da blüht einem was.<br />

Etikett aus dem Gartencenter Ostmann, Stuhr<br />

Einsender: Frank Mosler, Delmenhorst<br />

Aus: »Leipziger Volkszeitung«<br />

Einsender: Dr. Rolf Kleber, Markkleeberg, u. a.<br />

Und wer viel schludert, kann schnell fehler.<br />

Aus: »Anzeigenkurier Neubrandenburg«, Einsender: Detlef Gebühr, Neustrelitz<br />

Hoffentlich ohne Boilen!<br />

Aus: »Märkische Allgemeine«<br />

Einsender: Dr. Reinhard Stamm,<br />

Ludwigsfelde<br />

Wahrscheinlich nach Osteuropa.<br />

Aus: »Mitteldeutsche Zeitung«<br />

Einsender: Dr. Friedhelm Kilz, Möllensdorf<br />

Bildredaktion: Blindschleiche vom Dienst.<br />

Aus: »Meininger Tageblatt«, Einsender: Tino Arndt, Wasungen, u. a.<br />

Diarrhoe ist sogar schon ausverkauft!<br />

Aus: »Gäubote«, Einsender: R. Rottke, Herrenberga<br />

Übersichtliche Raumaufteilung!<br />

Aus: »Bornaer Stadtjournal«<br />

Einsenderin: Helga Müller, Borna<br />

EULENSPIEGEL 4/12 57


Herr Schilz geht ins Theater<br />

Die Klasse meines Sohnes<br />

besucht das zwar nicht hiesige,<br />

aber naheliegende,<br />

also quasi das um die<br />

eckige Nationaltheater. Der<br />

Sohn erkrankt rechtzeitig<br />

und fiebrig. Da ich die Karte<br />

ohnehin bezahlen muss,<br />

gehe ich stellvertretend hin.<br />

Das Stück? Kenne ich aus<br />

meiner Schulzeit und ist eigentlich<br />

egal. Gut, der Vollständigkeit<br />

halber: Der Besuch<br />

der alten Dame.<br />

Im Foyer: Die Masse der<br />

Schüler, aus dem Landkreis<br />

zusammengetrieben, setzt<br />

sich in Bewegung. Viele haben<br />

Ohrhörer in den Ohren,<br />

zeigen einander Schweinereien<br />

auf ihren Handys und<br />

iPhones oder fotografieren<br />

damit wild in der Gegend<br />

rum. Ich winke für ein Foto<br />

und sage: »Ich war auch<br />

hier.«<br />

Ich sitze weit hinten, aber<br />

wenigstens außen. Meinem<br />

Sohn hätte dieser Platz gefallen,<br />

denn er ist schnell<br />

gelangweilt und geht gern<br />

sofort wieder. Vor meiner<br />

Nase platzieren sich zwei<br />

türkische und ein deutsches<br />

Mädel, das Trio der<br />

Sitzriesinnen, aufgedonnert<br />

wie zum Fastenbrechen.<br />

Die Mittlere: »Scheiße,<br />

Brille vergessen!«<br />

Lehrerin: »Schau mal,<br />

Ayla, da vorn sind noch ein<br />

paar Plätze frei. Aber bitte<br />

das nächste Mal ohne<br />

Scheiße, ja!«<br />

Das Licht geht aus, nur<br />

noch die Displays der diversen<br />

Telekommunikationsgeräte<br />

leuchten in den Reihen.<br />

60 EULENSPIEGEL 4/12<br />

Das Starthilfekabel ...<br />

Das Trio taucht in die Gummibärchentüten<br />

und loggt<br />

sich auf Twitter ein: »Bin<br />

Theater, voll scheiße hier.«<br />

Wir sehen sparsam ausgestattetes<br />

Kammertheater.<br />

Die Möbel erkenne ich wieder<br />

– sie stammen aus meiner<br />

Schüleranrechtsvorstellung<br />

vor dreißig Jahren.<br />

Sehr mutige Neuerungen:<br />

Neonröhren sowie Diaprojektionen,<br />

oder heißt das<br />

jetzt Powerpointer? Videoschnipsel,<br />

die uns sagen<br />

sollen, dass das Stück auch<br />

heute spielen könnte. Dabei<br />

spielt es doch gerade<br />

in diesem Moment: Odenwaldschule,<br />

raffgierige Banker,<br />

die lächerliche FDP.<br />

Mein Gott, wie modern ist<br />

doch dieser Dürrenmatt!<br />

Die Botschaft des Abends<br />

ist so originell (bzw. mutig<br />

oder schockierend) wie ein<br />

vergorener Windbeutel: Alles<br />

hat seinen Preis, der<br />

Mensch ist des Menschen<br />

Wolf, wir sind »eigentlich«<br />

… könnte jetzt eigentlich<br />

zurück ins Keller- oder Garagenregal.<br />

Aber das muss<br />

nicht sein.<br />

Wenn der Ehegatte mal<br />

früh nicht rauskommt,<br />

dann hilft das Starthilfekabel.<br />

Man befestigt es an<br />

seinem Pluspol, den SIE<br />

natürlich kennen sollte.<br />

An Schlaf ist da auch für<br />

die größte Schnarchnase<br />

nicht mehr zu denken. Ob<br />

man jetzt noch eine geladene<br />

Starterbatterie an<br />

die anderen Kontakte<br />

klemmt, hängt ein bisschen<br />

von den persönlichen<br />

Vorlieben beider<br />

Partner ab (Achtung, in<br />

solchen Sachen immer einvernehmlich<br />

handeln und<br />

Signale vereinbaren, wann<br />

es einem Partner zu viel<br />

wird). Es ist nicht jeden<br />

Manns Sache, wenn man<br />

ihm wehtut. Bei Frauen ist<br />

das auch so. Wenn die<br />

Kopfschmerzen haben,<br />

nehmen sie zum Beispiel<br />

Spalttabletten. Denn Spalt<br />

schaltet den Schmerz ab.<br />

Umgekehrt gilt das aber<br />

auch.<br />

Ove Lieh<br />

Ari Plikat<br />

alle Tiere, und der Kapitalismus<br />

ist irgendwie – ja,<br />

scheiße. »Immer noch<br />

scheiße hier« wird vor mir<br />

getwittert. Der Typ stirbt am<br />

Schluss, aber dafür braucht<br />

er mehr als 120 Minuten, inklusive<br />

einer endlosen<br />

Pause im Foyer, die wieder<br />

unter Ohrstöpseln verbracht<br />

wird.<br />

Von den routiniert und<br />

nahezu fehlerfrei aufspielenden<br />

Akteuren gibt es<br />

Nerviges, aufgesetzt und<br />

unnatürlich wirkendes<br />

Frontalspiel, Rampengetöse<br />

und wirres Geschrei.<br />

Die Mittlere: »Ey guck<br />

ma, der notgeile Alte hinter<br />

uns! Aber nicht umdrehen!«<br />

Die Sitzzwerginnen<br />

links und rechts drehen<br />

sich langsam nicht um: »Hi<br />

hi hi hi.«<br />

Lehrerin: »Schhhhhttt!«<br />

Ein Seiteneingang öffnet<br />

sich. Schritte und sehr diskrete<br />

Stimmen. Es steht<br />

uns einer der in modernen<br />

Vorsicht, bewaffnete Alte!<br />

Der Spazierstock, den Tattergreise<br />

früher als Gehhilfe<br />

nutzten, wenn sie über<br />

Inszenierungen unvermeidlichen<br />

»überraschenden«<br />

Auf tritte aus dem Parkett<br />

bevor.<br />

Die Linke: »Boah, jetzt<br />

müsst ihr euch gleich die<br />

Oaahn zuhaldn!«<br />

Die Mittlere: »Au Mann<br />

ey, Scheiße!«<br />

Auftritt Blaskapelle quer<br />

durch den Zuschauerraum:<br />

»Wenn ich einmal reich<br />

wär«. Theaterästhetisch<br />

sehr mutig, sehr anspielungsreich,<br />

jedoch mit kleinen<br />

Unsicherheiten im tiefen<br />

Blech, vertreten hier<br />

durch eine einsame Posaune,<br />

wahrscheinlich eine<br />

Krankheitsvertretung. Fünf<br />

Minuten vor Schluss gehen<br />

holprige Pflasterwege<br />

schlurften, wird immer häufiger<br />

als äußerst gefährliche<br />

Schlagwaffe eingesetzt.<br />

Viele Omas nutzen auch<br />

ihre Handtasche zur Selbstverteidigung<br />

und stopfen<br />

vorher, zur Erhöhung der<br />

Schlagkraft, Zweikilohanteln<br />

hinein. Der Regenschirm<br />

findet als Rettungsschirm<br />

Verwendung. Neulich<br />

auf der Prager Straße:<br />

Mit brutaler Entschlossenheit<br />

rammte eine alte Dame<br />

einem Handtaschenräuber<br />

die Spitze ihres Schirmes<br />

in den Anus, wobei sie dem<br />

Flüchtenden hinterherrief:<br />

»Das nächste Mal spanne<br />

ich ihn auf!« U.S. Levin<br />

Wenn es donnert im Mai,<br />

ist Ostern vorbei.<br />

Lo Graf von Blickensdorf<br />

alle drei nach einer etwa<br />

zehnminütigen Verabredungsphase<br />

mitten im Text<br />

Pipi, und ich habe freie<br />

Sicht. Dann schleichen sie<br />

sich wieder zurück, rascheln<br />

mit ihren aufgefrischten<br />

Frisuren und loggen<br />

sich wieder ein.<br />

Kurzer, dünner Schlussapplaus.<br />

Fragt mich die<br />

Lehrerin: »Und, wie fanden<br />

Sie es, Herr Schilz?«<br />

»Scheiße«, sagt Ayla, die<br />

mitgehört hat, im Vorübergehen.<br />

Aber ich denke: Das bessere<br />

Stück hat sich direkt<br />

vor mir abgespielt. Vielleicht<br />

gehörte das Trio ja<br />

auch zum Ensemble und<br />

war raffiniert in die alte<br />

Dame infiltriert. Egal: Theater<br />

muss sein!<br />

Alexander Schilz<br />

Messie-Sonett<br />

Wenn wer, wie ich, äh, keine Laster pflegt,<br />

betrunken nie und nicht verlogen, fromm,<br />

halb Caritas, halb, ähh … halb terre des hommes<br />

enthaltsam triebgemindert ausgelegt …<br />

… ja, der vermisst doch viel, hat überlegt,<br />

sich Laster zuzulegen einerseits,<br />

doch nicht erpicht auf Kosten andrerseits,<br />

infolgedes auf Messie festgelegt.<br />

Sehr gut die Wahl – und leicht und schnell zu machen.<br />

Gewiss, auch dafür braucht’s ne Spur Talent.<br />

Vor allem aber erstmal: viele Sachen!<br />

Sie sind der neuen Ordnung Fundament.<br />

Sie sollten sie recht schnell verhundertfachen.<br />

Schon sieht’s voll scheiße aus – mein Kompliment!<br />

Andreas Greve


Anzeige


Andreas Prüstel Anjo<br />

DJ Peejay<br />

Peter Thulke<br />

Lothar Otto<br />

62 EULENSPIEGEL 4/12


Schwarz auf<br />

weiss<br />

Harm Bengen<br />

EULENSPIEGEL 4/12 63


LMM 1473 … Leser machen mit 1 2 3 4 5 6 7<br />

8<br />

9 10 11<br />

12<br />

13 14<br />

15 16 17<br />

18 19<br />

Liefern Sie uns zu dieser Zeichnung eine witzige Unterschrift. Für die<br />

drei originellsten Sprüche berappen wir 16, 15 und 14 €.<br />

LMM-Adresse: <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong>, Gubener Straße 47, 10243 Berlin<br />

oder per E-Mail an: verlag@eulenspiegel-zeitschrift.de<br />

Absender nicht vergessen!<br />

Kennwort: LMM 1473 · Einsendeschluss: 2. April 2012<br />

LMM-Gewinner der 1472. Runde<br />

Ins Schwarze trafen:<br />

»Vermasseln Sie<br />

nicht Ihren Einsatz!«<br />

U. Berger,<br />

Wusterwitz<br />

»Bitte mit Schalldämpfer<br />

– er hat<br />

das absolute Gehör.«<br />

Ulrike Müller, Dahlwitz-Hoppegarten<br />

»Denk dran – nur<br />

die Arschgeige!«<br />

Christoph Jolitz,<br />

Internet<br />

Zeichnungen: Heinz Jankofsky<br />

20 21 22<br />

23<br />

24 25<br />

Waagerecht: 1. Bond II, 5. lateinischer<br />

Kreis, 8. entrann dem Promidasein,<br />

9. unbekannte Dimension für<br />

Flachzangen, 10. Städteverbindung<br />

Oschersleben-Ballenstedt-Ilmenau,<br />

12. siedelt im Colliestall, 13. Cash ist<br />

kürzer und besser, 15. frommes Malaiengenußmittel,<br />

18. zieht Öl oder<br />

Wasser nach sich, 20. Herz der Szenemutter,<br />

21. familiär verstärktes radioaktives<br />

Element, 23. schrieb einen<br />

Pest-Seller, 24. Großteil einer<br />

Wüste, 25. Aufforderung an einen<br />

Piraten.<br />

Senkrecht: 1. serbische Rothaut,<br />

2. Freudenruf vor dem Millionenfachen,<br />

3. abgebrochene Felsklippe,<br />

4. exklusiver Geweihträger, 5. gibt’s<br />

in der Klosterblumenhandlung,<br />

6. belagloser Wangenröter, 7. zieht<br />

Bahn oder Schaft nach sich, 11. amputierter<br />

englischer Schrippenhersteller,<br />

14. Innerei des Freimaurers,<br />

16. wird ausgebracht und gelegentlich<br />

verbrannt, 17. zwei Drittel eines<br />

Hauptstädters, 18. steckt im Kümmelschnaps,<br />

19. Satiregipfelstürmer,<br />

22. entkernter Prunk.<br />

Auflösung aus 03/12:<br />

Waagerecht: 1. Kranz, 4. Dumas,<br />

8. Elena, 9. Lei, 11. Rodeo, 12. Onestep,<br />

13. Ismus, 15. Asche, 17. Händler,<br />

20. Harem, 22. Ani, 23. Agens,<br />

24. Timor, 25. Titel.<br />

Senkrecht: 1. Kilo, 2. Arie, 3. Zeitnehmer,<br />

4. Der Pianist, 5. UNO,<br />

6. Madam, 7. Stoss, 10. Enns,<br />

14. Uden, 15. Achat, 16. Ceram,<br />

18. Last 19. Rial, 21. Ego.<br />

eisterwerke Kunst von EULENSPIEGEL-Lesern, gediegen interpretiert<br />

Klaus Herberth, 17217 Penzlin<br />

Mindestens zweimal im Jahr, wenn<br />

die großen Feste Weihnachten und<br />

Ostern die Gedankenlosen in ihren<br />

Bann schlagen, ist es an den skeptischen<br />

Geistern, diese Feste zu hinterfragen.<br />

In dieser Tradition – mithin<br />

also auch ein aus Vorzeiten übernommenes<br />

Tun, das ebenfalls einmal hinterfragt<br />

werden sollte – stehend,<br />

stellt diese Zeichnung überkommene<br />

Riten auf die Probe und nähert sich<br />

in ihrer Ausführung doch gleichzeitig<br />

dem deutschen Kanon von Natur -<br />

idylle, Osterbrauchtum und sinnierendem<br />

Nager.<br />

Nicht ohne Grund erinnert sie an<br />

Rodins Plastik »Der Denker«, in<br />

der ein muskulöser Dante Alighieri<br />

dargestellt wird. In dieser Variation<br />

desselben Themas begegnet uns der<br />

Philosoph Herbert Marcuse in Gestalt<br />

eines langohrigen Rammlers. Er<br />

hat seine Arbeit unterbrochen und<br />

sich niedergelassen, um sein Tun,<br />

wenn nicht gar seine ganze Existenz<br />

zu reflektieren.<br />

Treu zur Seite steht ihm sein Korb<br />

voller Eier, während er sich auf der<br />

anderen Seite mit »Compluter«,<br />

»Fernsen« und einem – obwohl<br />

noch in der Verpackung befindlich –<br />

aufgebauten Bücherschrank konfrontiert<br />

sieht. Eier werden versteckt,<br />

diese Gewissheit ist dem Hasen nicht<br />

zu nehmen. Doch der abwertend als<br />

»Paketkram« bezeichnete Geschenkehaufen<br />

stellt sich als Problem dar.<br />

Die von der Postmoderne zusammengwürfelten<br />

Bräuche hinterlassen<br />

den Hasen nachdenklich bis resigniert.<br />

Letztlich bleibt die Hoffnung, dass<br />

der Nager seine neue Rolle als Eierverstecker<br />

und Geschenkebringer zusammenzuführen<br />

und zu transzendieren<br />

vermag. Erlösung kann ihm<br />

sonst nur der Jäger bringen.<br />

N. Minkmar<br />

64 EULENSPIEGEL 4/12


OSTER-ABO<br />

(endet automatisch)<br />

Ihre Prämie:<br />

Ich höre dir<br />

zu, Schatz<br />

Aufrichtige<br />

Bekenntnisse<br />

eines Mannes<br />

im besten Alter<br />

von Stefan Schwarz, Taschenbuch<br />

Peter Thulke<br />

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24 Monate für 56 Euro plus Dankeschön-Prämie: Ich höre dir zu, Schatz<br />

ab dieser Ausgabe (04/2012) ab der kommenden Ausgabe (05/2012)<br />

Diese Ausgabe wird nach Ostern am 19.4. ausgeliefert.<br />

Empfänger des Abos ist:<br />

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per Abbuchung per Rechnung<br />

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Ich wünsche eine Geschenk-Urkunde (zzgl. 2,50 Euro)<br />

Die Urkunde / das 1. Heft soll beim Beschenkten<br />

bei mir eintreffen.<br />

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direkt zu Ostern<br />

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Bitte verlängern Sie mein bestelltes Abo jährlich bis auf Widerruf.*<br />

Der Preis schließt die MwSt. und die Zustellgebühr ein. Für Auslands-Abos berechnen wir<br />

8 Euro Versandkosten im Jahr. Widerrufsgarantie: Diese Bestellung kann ich binnen 14 Tagen<br />

widerrufen.<br />

*) Das Abo verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht 4 Wochen vor Ablauf gekündigt wird.<br />

2012_4


Und tschüs!<br />

Burkhard Fritsche<br />

Herausgeber<br />

Hartmut Berlin, Jürgen Nowak<br />

Geschäftsführer und Verlagsleiter<br />

Dr. Reinhard Ulbrich<br />

verlag@eulenspiegel-zeitschrift.de<br />

Redaktion<br />

Dr. Mathias Wedel (Chefredakteur),<br />

Gregor Füller, Andreas Koristka,<br />

Dr. Reinhard Ulbrich<br />

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Gestaltung & Satz<br />

Michael Garling<br />

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möller druck und verlag gmbh<br />

Ständige Mitarbeiter<br />

Frauke Baldrich-Brümmer, Utz<br />

Bamberg, Beck, Harm Bengen,<br />

Matthias Biskupek, Lo Blickensdorf,<br />

Peter Butschkow, Carlo Dippold,<br />

Rainer Ehrt, Ralf-Alex Fichtner, Matti<br />

Friedrich, Burkhard Fritsche, Arno<br />

Funke, Gerhard Glück, Barbara<br />

Henniger, Renate Holland-Moritz,<br />

Frank Hoppmann, Rudi Hurzlmeier,<br />

Michael Kaiser, Christian Kandeler,<br />

Florian Kech, Dr. Peter Köhler, Kriki,<br />

Cleo-Petra Kurze, Ove Lieh, Werner<br />

Lutz, Peter Muzeniek, Nel, Robert<br />

Niemann, Michael Panknin, Ari<br />

Plikat, Enno Prien, Andreas Prüstel,<br />

Erich Rauschenbach, Ernst Röhl,<br />

Reiner Schwalme, Felice v. Senkbeil,<br />

André Sedlaczek, Guido Sieber,<br />

Klaus Stuttmann, Atze Svoboda,<br />

Peter Thulke, Erik Wenk, Kat Weidner,<br />

Freimut Woessner, Dr. Thomas<br />

Wieczorek, Martin Zak<br />

Für unverlangt eingesandte Texte,<br />

Zeichnungen, Fotos übernimmt der<br />

Verlag keine Haftung (Rücksendung<br />

nur, wenn Porto beiliegt). Für Fotos,<br />

deren Urheber nicht ermittelt werden<br />

konnten, bleiben berechtigte<br />

Honoraransprüche erhalten.<br />

Blumenspenden, Blankoschecks,<br />

Immobilien, Erbschaften und<br />

Adoptionsbegehren an: <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong><br />

GmbH, Gubener Straße 47,<br />

10243 Berlin<br />

Der nächste EULENSPIEGEL<br />

erscheint am 19. April 2012<br />

ohne folgende Themen:<br />

Frauenquote in Medien gefordert –<br />

Wie viele Praktikantinnen kann der<br />

EULENSPIEGEL vertragen?<br />

Ferres und Maschmeyer heiraten –<br />

Zahlt Wulff die Flitterwochen?<br />

Arbeitskampf an Flughäfen –<br />

Streiken die Tomatensaftkelterer mit?<br />

UN fordern Sondersteuer auf Fette –<br />

Wie viel muss Gabriel zahlen?<br />

66 EULENSPIEGEL 4/12


<strong>Literatur</strong>-<strong>Eule</strong><br />

S p e c i a l z u r L e i p z i g e r B u ch m e s s e


Pubertätslyrik<br />

der Promis<br />

1<br />

MARIO LARS<br />

NATO-Doppel<br />

Gute Frauenliteratur<br />

Kriki<br />

Ich sitze in der Umkleide,<br />

weil ich heute nicht raus mag.<br />

Weil ich aus lauter Angst leide<br />

vorm russischen Atomschlag.<br />

Inhalt<br />

Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harm Bengen<br />

2 Pubertätslyrik der Promis (1) – Boris Becker . . . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />

3 Lesezeichen: Jess Jochimsen<br />

4 Stoff des Jahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Klis / Kat Weidner<br />

5 Pubertätslyrik der Promis (2) – Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />

Auslese: Criminale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Biskupek<br />

6 Ein- und Abfälle / Ein- und Reinfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Köhler<br />

7 Auslese: Mein Leipzig gloob ich mir . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Biskupek<br />

Pubertätslyrik der Promis (3) – Angela Merkel . . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />

8 Auslese: Belle triste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Biskupek<br />

10 Falsche Küsse – wahre Liebe? Kafka vs. Rimmer . . . . . . . . . Michael Kaiser<br />

Das Fräulein stand am Meere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Schäfer<br />

12 Ein Gespräch unter toten Dichtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ove Lieh<br />

Ein Meister der kleinen Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theodor Weiß enborn<br />

13 In der Patsche der Apatschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Köhler<br />

14 Lesezeichen: Tilman Birr<br />

15 Lesezeichen: Julius Fischer<br />

Ich liebe meinen weißen Sport,<br />

kann gegen alle siegen,<br />

doch schwarz wird’s auf dem Center Court,<br />

wenn SS-20 fliegen.<br />

BOOM-BOOM macht’s, wenn ich aufschlag tu,<br />

BOOM-BOOM macht Breschnews Hammer,<br />

der Bobbele bleibt deshalb nu<br />

mal in der Besenkammer.<br />

Uu-uu-uuuuh!<br />

Ich bin nur ein einfacher Junge<br />

aus Leimen und balle die Faust.<br />

Doch das Atom bringt den Tod.<br />

Ääääh?<br />

Boris Becker<br />

veröffentlicht im<br />

monatlichen Vereinsblatt<br />

»Der Aufschlag«, Mai 1982<br />

2 LITERATUREULE 10/11


Lesezeichen: JESS JOCHIMSEN<br />

Was sollen die<br />

Leute denken<br />

Draußen knospt es.<br />

Das lässt sich nicht länger ignorieren.<br />

Wie es draußen knospt. Überall<br />

blüht und sprießt es. Oft mit Vorsatz.<br />

Misslaunig mag ich schon zum Frühstück<br />

erscheinen, mit einem Schild um<br />

den Hals. Auf das Schild habe ich geschrieben:<br />

»NEIN! Ich gehe nicht mit<br />

dir ins Gartencenter!«<br />

Ich weiß, dass das nichts helfen wird,<br />

es im Gegenteil alles schlimmer macht.<br />

Noch schlimmer, als es ohnehin schon<br />

ist.<br />

Aber es bleibt dabei: Ich geh nicht<br />

mit. Ins Gartencenter. Pärchenscheiße!<br />

Wieder Grünzeug kaufen, das dann<br />

letztlich doch nur verwelkt. Und traurig<br />

macht.<br />

Gegen Traurigkeit hilft ein Gartencenter<br />

nämlich nicht, hörst du, dieser<br />

Tempel der Vergänglichkeit. Vergänglichkeit<br />

habe ich zu Hause genug,<br />

schau mich doch an, und dich ... und<br />

deine Cremes.<br />

Sag ich natürlich nicht. Nichts sage<br />

ich. Es ist auch so schon jämmerlich<br />

genug.<br />

Was machen Gartencenter eigentlich<br />

im Winter? Sind die da verpuppte<br />

Baumärkte, die im Frühling schlüpfen?<br />

Nein, Gartencenter haben ganzjährig<br />

geöffnet, rund um die Uhr, weil immer<br />

jemand einen Blumentopf kaufen<br />

will und einen Blumentopfuntersetzer<br />

und einen Blumentopfuntersetzeruntersatz.<br />

Oder Rankpflanzen, mit Kletterhilfen<br />

für Rankpflanzen. Und Rasen<br />

natürlich. »Lass uns mal Rasen kaufen,<br />

Schatz.« Rollrasen, grün wäre im Angebot.<br />

Und Rasenlüfterschuhe, die sind<br />

praktisch. Oder gleich Crocs.<br />

»Die sind ja so leicht, diese Crocs.«<br />

Und hässlich!<br />

Ich will nicht! Die Welt ist ein Gartencenter,<br />

hörst du. Wenn du mal drin<br />

bist, findest du nie wieder raus. Du<br />

liegst apathisch in einem Bett aus Zierpflanzensprays<br />

und um dich herum<br />

trampeln Leute in Crocs vorbei und<br />

sind normal. Und glücklich. Die Welt<br />

ist ein Gartencenter. Da kannst du noch<br />

so viel ins Kissen heulen, dein Kissen<br />

ist ein Sack Tulpenzwiebeln. Und einmal<br />

im Jahr kommt einer zur Inventur<br />

vorbei und scannt dich ab.<br />

Draußen blüht es dir. »Nein, ich gehe<br />

nicht mit ins Gartencenter!«. Sage ich<br />

nicht.<br />

Auch zum Kind sage ich nichts. Dabei<br />

sollte ich. Sollte dem Kind sagen,<br />

dass es keinen Hund kriegt. Weil ich<br />

derjenige bin, der das nicht will.<br />

»Es ist okay, wenn du das nicht willst.<br />

Aber dann sagst du’s auch dem Kind.«<br />

Egal, was du sagst. Ein Kind, das sich<br />

einen Hund wünscht und dem du sagst,<br />

es kriegt keinen, hasst dich.<br />

»Hast du’s dem Kind schon gesagt?«<br />

Nein, ich kann nicht. Ich will nicht.<br />

Ich wollte ... schon das Kind nicht. Damals.<br />

Ich hab damals nachgegeben, diesmal<br />

bist du dran. Bitte. Keinen weiteren<br />

gemeinsamen Pflegefall mehr.<br />

Sag ich natürlich nicht. Nichts sage<br />

ich.<br />

Auch dem Kind nicht. Was soll ich<br />

auch sagen?<br />

»Hund gibt’s keinen, Kind! Such dir<br />

ein Hobby.«<br />

»Ich hasse dich!«<br />

Wie schaffen das die anderen? Die<br />

Normal-Glücklichen? Die Leute mit<br />

den Crocs?<br />

Hunde laufen weg oder werden<br />

krank, eingefangen, überfahren, gegessen<br />

...<br />

In Amerika ist ein Hund von einer<br />

Straßenkehrmaschine weggesaugt<br />

worden. Die Borsten der Maschine haben<br />

den Hund in die Maschine reingefegt.<br />

Auf offener Straße.<br />

Und der war noch an der Leine, der<br />

Hund, sein Frauchen hat nur kurz nicht<br />

aufgepasst.<br />

Das war so eine Rollleine, eine, die<br />

länger wird, wenn man will, und sich<br />

dann wieder automatisch aufrollt,<br />

wenn man einen Knopf drückt. Wie<br />

das Stromkabel vom Staubsauger, so<br />

eine Leine war das. Und das Frauchen<br />

von dem Hund hat immer wieder auf<br />

diesen Knopf gedrückt, aber die Leine<br />

hat sich nicht mehr aufrollen lassen,<br />

und die Frau hat die Leine festgehalten<br />

und ist der Kehrmaschine mit dem<br />

Hund drin nachgelaufen und hat gebrüllt<br />

und geheult und gezogen an der<br />

Leine. Aber die Maschine war stärker.<br />

Du hast keine Chance gegen eine<br />

riesige amerikanische Straßenkehrmaschine<br />

mit einem übermüdeten puertoricanischen<br />

Kehrmaschinenfahrer<br />

drin, der in ohrenbetäubender Lautstärke<br />

Musik hört.<br />

Und der hat ja auch Sorgen. Wie er<br />

die Miete diesen Monat bezahlen soll.<br />

Und wie alles werden soll. Und dass<br />

die Musik auch einmal besser war. Der<br />

hat einfach nichts gemerkt, der Fahrer.<br />

Und der Hund ... Schrecklich. Will<br />

man ja gar nicht wissen, wie es im Inneren<br />

von so einer Straßenkehrmaschine<br />

aussieht.<br />

Aber die Frau wollte das sehr wohl<br />

wissen. Die hat die Straßenkehrmaschine<br />

nämlich verklagt. Und den Fahrer<br />

gleich dazu. Wegen Hundemord.<br />

Und zerstörtem Lebensglück. In Amerika<br />

geht das. Da kannst du gegen alles<br />

klagen.<br />

Weil: Wenn ihr Lebensglück schon<br />

zerstört ist, dann will sie wenigstens<br />

Geld, richtig viel Geld, dann kann sie<br />

sich irgendwann vielleicht einen neuen<br />

UWE KRUMBIEGEL<br />

Hund kaufen und eine bessere Leine,<br />

ein bisschen Glück kann man sich nämlich<br />

kaufen! In Amerika.<br />

Und dann wurde die Straßenkehrmaschine<br />

von den besten Spezialisten<br />

aufgeschraubt. Und obduziert. Wie bei<br />

CSI-Miami, nur in groß. Den Spezialisten<br />

ist das egal, ob die einen Käfer, eine<br />

Leiche oder eine Kehrmaschine in der<br />

Pathologie liegen haben, die finden alles<br />

raus.<br />

Und weißt du, was die rausgefunden<br />

haben? Der Hund hätte das überlebt.<br />

Im Bauch der Maschine. Der hätte<br />

das überlebt!<br />

Wäre er nicht erwürgt worden. Von<br />

der Leine. Weil die Frau die festgehalten<br />

hat, um nichts in der Welt hätte die<br />

Frau die Leine preisgegeben, konnte<br />

sich nicht trennen, die Frau, von ihrem<br />

Lebensglück. Man muss auch mal loslassen<br />

können, Mensch!<br />

Jess Jochimsen:<br />

Was sollen die Leute<br />

denken,<br />

Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag, 76 S., 9,90 Euro<br />

LITERATUREULE 10/11 3


Wer als Autor zur<br />

Buchmesse fährt, sollte<br />

größtes Augenmerk auf sein<br />

Handgepäck legen. Unbedingt zu<br />

meiden sind Taschen, in denen<br />

Manuskriptmappen versteckt<br />

sein könnten. Solche Behältnisse<br />

wirken auf Verlagsständler wie<br />

herrenlose Koffer auf die New<br />

Yorker Airport Police.<br />

Überhaupt sollte sich jeder<br />

rechtschaffene Schriftsteller<br />

fragen, was er auf Buchmessen<br />

zu suchen hat. Will er wie<br />

unsereins nur mal nach sehen,<br />

wie der Verlag diesmal sein Buch<br />

unter »ferner liefen« platzierte,<br />

ist das legitim. So viel Masochismus<br />

muss sein.<br />

Auch wer auf kollegiale<br />

Ermutigung hofft, wird nicht<br />

enttäuscht.<br />

Stoff<br />

des<br />

Jahres<br />

Mich empfing der Verleger mit dem aufgeräumten<br />

Spruch, ich könne doch mal einen historischen Roman<br />

schreiben. Zuvor hatte ich mich von zwei gestandenen<br />

Kolleginnen zum Kaffee einladen lassen.<br />

Die eine wollte ein Buch über den Waräger-Fürsten<br />

Rurik oder Ida Pfeiffer anfangen, die andere einen<br />

Roman über Kaiserin Poppaea oder Lenins Nichte<br />

Olga. Ich erinnerte sie daran, dass zur letzten Messe<br />

noch ein Schleimporno angesagt war, zur vorletzten<br />

der Reisebericht eines frommen Wanderers. Gedachte<br />

der Autoren, die daraufhin die Negev durchquert<br />

hatten, die Taklamakan und das Death Valley,<br />

die vom australischen Darwin aus durchs gesamte<br />

Nordterritorium zum Ayers Rock marschiert<br />

waren, mit und ohne Sandalen. Sie alle waren mit<br />

ihren Reisetagebüchern nicht oder zu spät zurückgekehrt,<br />

um noch was loszukriegen. Sie hätten besser<br />

über verschwitzte Bauarbeiter geschrieben, von<br />

denen sie als Elfjährige vergewaltigt worden waren,<br />

oder hätten mit ihren simplen Storys weitermachen<br />

sollen, bis es der Alltag mal wieder auf die Bestsellerlisten<br />

schaffte.<br />

Ich traf Poldi, der seit Jahrzehnten wie kein anderer<br />

die Königsdisziplin der Kritik repräsentierte:<br />

das Verfassen glaubwürdiger Elogen. Autoren zu<br />

verreißen war Sache von Dilettanten. Seine Kunst<br />

war es, das Gute selbst da noch aufzuzeigen, wo es<br />

auch geübte Leser nach wiederholter Lektüre niemals<br />

vermutet hätten.<br />

Lange schon verdächtigte ich ihn über jede und<br />

jeden aus der Branche genauestens Buch zu führen.<br />

Er überblickte stets, wer gerade woran arbeitete,<br />

wie was vorankam. Besser als die jeweiligen Autorinnen<br />

und Autoren wusste er sogar, wer mit wem<br />

geschlafen und wie dabei abgeschnitten hatte. Dennoch<br />

behandelte er alle gleichermaßen als die Genies,<br />

für die sie sich hielten.<br />

»Schreib doch mal was Historisches«, ermunterte<br />

er mich, »zum Beispiel wie du als Schriftsteller angefangen<br />

hast. Die Kommunisten erwarteten doch<br />

vom Nachwuchs noch ganz brutal, dass er es mit<br />

Arbeit versucht, zumindest aber, dass er was erlebt<br />

hatte. Wie kam es denn, dass sie dich druck ten?« –<br />

»Ich war in den Ferien Kartoffeln lesen«, sagte ich,<br />

»und erlebt hatte ich freilich auch was. Ein Mal war<br />

ich beinahe verliebt.«<br />

Poldi überhörte das glatt; er hatte wohl eine zu<br />

genaue Vorstellung davon, wo er mich hin haben<br />

wollte.<br />

»Drüber zu schreiben, dass einem nichts einfällt,<br />

obwohl man Dichter ist, galt doch bestimmt als dekadent«,<br />

er hob den Daumen, um die Argumente<br />

aufzuzählen, die es jedem anständigen Autor eigentlich<br />

unmöglich gemacht haben müssten, zu debütieren.<br />

»Vampire und Zauberer wurden wahrscheinlich<br />

als krasser Humbug abgelehnt«; der Zeigefinger<br />

streckte sich. »Und – Punkt drei – wer abschrieb,<br />

ging in den Gulag. He, das ist doch ein Stoff!«<br />

»Du hast dich belesen«, räumte ich ein, doch Poldi<br />

überhörte auch das.<br />

»Literarisch tabu waren bei euch ja sogar Slipeinlagen,<br />

Tampons und Fäkalien.«<br />

»Schon Scheiße«, gab ich zu.<br />

»Aber nicht alles war schlecht, oder?« Poldis Fragerei<br />

erreichte die Zielgerade.<br />

»Klar«, sagte ich, »man konnte hundert Meter in<br />

jede Richtung gehen, ohne einem Schriftsteller in<br />

den Weg zu treten. Keine Hausfrau schrieb Henri-<br />

Butter-Romane, kein Boxer ging k.o., weil er über<br />

die Autobiographie nachdachte. Den Fußballern<br />

reichte es noch, auf dem Platz rumzutollen.«<br />

»Genau!«, soufflierte Poldi. »Weniger Autoren, weniger<br />

Bücher. Wenn du heuer en vogue bleiben willst,<br />

musst du schneller schreiben, als du lesen kannst.<br />

Mach hinne!«<br />

Er nahm mir die Hand von der Schulter, um Amy<br />

zu umarmen, die Jüngste der Häschenschule, die<br />

mit ihrem Rucksack und der Selbstgedrehten hinterm<br />

Ohr gerade an uns vorbeistiefeln wollte. Ich<br />

hörte sie nur auflachen ob seiner Frage nach dem<br />

historischen Thema – das Aus für den Stoff des<br />

Jahres.<br />

Rainer Klis<br />

Zeichnung: Kat Weidner<br />

4 LITERATUREULE 10/11


Pubertätslyrik<br />

der Promis<br />

Ach Gott, bin ich ein armer Gott –<br />

so jung und keine Tussi,<br />

im Weltraum gibt es jeden Schrott,<br />

doch leider keine Pussi.<br />

Schön ist das reine Sonnenlicht,<br />

schön ist der Sternenglanze,<br />

im Innersten berührt’s mich nicht:<br />

Ich denke mit dem Schwanze.<br />

Straßen der Besten<br />

Wie der <strong>Literatur</strong>kritiker des <strong><strong>Eule</strong>nspiegel</strong>,<br />

Matthias Biskupek, so wohn te auch<br />

Friedrich Schiller Ende des 18. Jahrhunderts<br />

in der heute nach ihm benannten<br />

Straße. Dort fand der Dichter sein<br />

Glück in Form einer Menage à trois,<br />

2<br />

Logos-Erektion<br />

Die Abende sind mächtig öd,<br />

mir fehlen geile Schicksen.<br />

So langsam wird’s mir hier zu blöd,<br />

allein kann man nur wichsen!<br />

Gott<br />

veröffentlicht im »Urknall«<br />

zu Anbeginn aller Zeiten<br />

Michael Kaiser<br />

wie Biskupek, grün vor Neid, zu berichten<br />

weiß. Anerkenend resümiert er:<br />

»Friedrich Schiller ist gewiss der größte<br />

Dichter der deutschen Zun ge! Ich bin<br />

stolz, dass seine Straße mei nen Namen<br />

trägt.«<br />

Jan Cornelius<br />

Fischmarkt in Rudolstadt: Matthias Biskupek (r.) beim Erwerb<br />

frischer Schillerlocken.<br />

FOTO: MICHAEL GARLING<br />

Biskupeks Auslese<br />

Criminale<br />

Eine Zeit lang schrieben Verlage auf jedes<br />

Buch »Kriminalroman«. War verkaufsfördernd.<br />

Neuerdings werden Krimis<br />

zu »Romanen« befördert. Bei Robert<br />

Brack hieß »Blutsonntag« – eine<br />

Geschichte aus dem Hamburg von<br />

1932 mit der jungen Klara Schindler<br />

als privater Ermittlerin – »Kriminalroman«.<br />

Jetzt ermittelt Klara Unter dem<br />

Schatten des Todes (Nautilus) zum<br />

Reichstagsbrand von 1933 – als »Roman«.<br />

Brack hat mit seiner Detektivin Lenina<br />

Rabe schon »linksradikale Agitprop-Krimis«<br />

(Einschätzung: Robert<br />

Brack) verfertigt. Jetzt also soll Klara<br />

für ihren Auftraggeber, die verbotene<br />

KPD, herausfinden, was es mit dem<br />

Brandstifter Marinus van der Lubbe<br />

auf sich hat. »Die Historiker haben den<br />

Reichstagsbrand nur verschieden interpretiert,<br />

es kommt aber darauf an, den<br />

Blick zu verändern. Bis heute sind weder<br />

die genauen Tatvorgänge, noch die<br />

Hintergründe, noch die Täter definitiv<br />

bekannt.« O-Ton Brack in der Nachbemerkung.<br />

Klara, eine Person, die gern Männerkleidung<br />

trägt und auch sonst offen lesbisch<br />

lebt (wir schreiben das Jahr 1933!),<br />

reist als englische Journalistin nach Berlin<br />

und bekommt alsbald Zutritt zum<br />

Reichstag, zum Obdachlosenheim des<br />

van der Lubbe, zu dessen Freundin, zu<br />

einem Netzwerk verschiedener linksradikaler<br />

Grüppchen zwischen den Schrebergärten<br />

im eisigen Spätwinter. Klara<br />

drängt in proletarische Männerkneipen,<br />

in die Residenzen lustbetonter SA-<br />

Schickeria und die Absteigen anarchistischer<br />

Künstler. Alles trefflich beschrieben<br />

– eigentlich aber geht es dem Autor<br />

wohl darum, die verschiedenen, einander<br />

bekämpfenden linken Sekten<br />

vorzuführen, unter denen die »Stalinisten«<br />

(sagte man damals so, um die KPD<br />

zu bezeichnen? Hieß die nicht eher<br />

»moskauhörig«?) die größte ist.<br />

Statt krimi-üblicher Täter-Entlarvung<br />

findet Klara heraus, dass van der<br />

Lubbe weder Depp noch Nazi-Agent,<br />

sondern ein von allen Seiten benutzter<br />

Idealist war. Der Leser hingegen soll<br />

»die Unfähigkeit der autoritär geführten<br />

Arbeiterparteien die heraufziehende<br />

Katastrophe zu verhindern« (Originalton<br />

Autor) erkennen und in künftigen<br />

politischen Kämpfen beherzigen.<br />

★<br />

Aus dem fernen Japan ist nach zwanzig<br />

Jahren der Krimi Feuerwagen<br />

(be.bra) bei uns dank des Übersetzers<br />

Ralph Degen angekommen. Als »Roman«.<br />

Die damals junge Autorin<br />

Miyabe Miyuki hat seither Dutzende<br />

Romane und Erzählungen veröffentlicht,<br />

die mal als Thriller, mal als historische<br />

Krimis firmierten.<br />

Das Buch hat alles, was ein Krimi<br />

braucht: Einen polizeilichen Ermittler<br />

(mit dem erst jetzt in Mode kommenden<br />

Handikap), eine plötzlich verschwundene<br />

Frau, die Wirren japanischer<br />

Firmengeflechte, Schulden sowie<br />

Schuld und Sühne. Der an Japan interessierte<br />

Leser wird gelegentlich japanische<br />

Schriftzeichen im Text finden,<br />

ein Glossar mit Erklärungen zu Speisen<br />

und japanischen Reisstrohmatten<br />

und auch eine Liste der wichtigsten<br />

Personen und ihrer Verwandtschaftsverhältnisse.<br />

Das ist bei der hier gepflegten Erzählweise<br />

nötig. Wer um die japanische<br />

Teezeremonie weiß, kann ahnen,<br />

wie es im Buch zugeht. Gemächlich.<br />

Gemessen. Formal. Alles kommt an<br />

die Reihe. Man muss sich nur »mit Ausdauer<br />

am Telefon festbeißen«, anders<br />

ließen sich keine 400 Seiten füllen.<br />

Allerdings werden auch japanische<br />

Grausamkeiten buchstäblich vorgeführt.<br />

»Auch wenn ihr nichts anderes<br />

übrig geblieben ist, als die Leiche zu<br />

zerlegen, hat sie es einfach nicht über<br />

sich gebracht (…) den Kopf (…) wegzuwerfen.«<br />

Und was ist mit dem Kommissar,<br />

dem solches erzählt wird? »Er zwang<br />

sich, einen kühlen Kopf zu behalten.«<br />

★<br />

Bei Tod im Eichsfeld (Sutton) steht<br />

auf dem Umschlag insgesamt sechsmal<br />

das Wort »Krimi«. Darunter »Thüringer<br />

Krimi-Preis 2012«. Die Kinderbuchautorin<br />

Astrid Seehaus erhielt<br />

ihn für ihr Krimi-Debüt.<br />

Man weiß sofort, wo das Ganze<br />

spielt – und der Mörder spielt von Anfang<br />

an mit. Nein, wir verraten nichts,<br />

dazu ist der Krimi zu gut, zu bodenständig,<br />

quasi historisch grundiert.<br />

Auch gibt es einen überzeugenden,<br />

also grüblerischen Ermittler. Der ist<br />

zwar nicht selbst behindert, hat aber<br />

eine Tochter im Rollstuhl. Denn ein<br />

paar Besonderheiten müssen immer<br />

und überall mitspielen.<br />

LITERATUREULE 10/11 5


Aus Grammatick und Zeichenleere:<br />

Einfälle und Abfälle<br />

Das Akkusativobjekt ist immer eifersüchtig auf das Subjekt.<br />

Der Dativ hat was Klebriges.<br />

Der Genitiv ist der linke Fuß unter den Fällen.<br />

Oh, wie manche Wörter sich danach sehnen, endlich einmal wieder richtig<br />

durchdekliniert zu werden!<br />

Wenn die Sprache zu viel getrunken hat, spricht sie im Konjunktiv.<br />

Präpositionen sind die Knorpel des Satzes.<br />

Wenn die Substantive Kinder haben wollen, kriegen sie Adjektive.<br />

In ihrem Schlaf träumen die Wörter von anderen Bedeutungen.<br />

Das Komma ist das Kniegelenk des Satzes.<br />

Wenn runde Klammern zum Militär kommen, werden sie eckig. Geschweifte<br />

Klammern gehen auf den Christopher Street Day.<br />

Im @ fühlt sich das a geborgen wie im Mutterleib.<br />

Das ? ist ein !, das Gymnastik treibt.<br />

In seiner Freizeit treibt sich das Paragraphenzeichen § als Seepferdchen herum.<br />

Peter Köhler<br />

Einfälle und Reinfälle<br />

Der Sonntagsanzug der Gedanken: Papier.<br />

Wer seinen Roman nicht salzt, kann seine Leser nicht pökeln.<br />

Ein Buch, das man rückwärts liest,<br />

bleibt länger im Gedächtnis haften.<br />

Der Bach ist das Lesebändchen der Wiese.<br />

Das Buch, das man aus dem Fenster wirft, glaubt,<br />

es könne fliegen.<br />

Das Versepos ist das Gürteltier der <strong>Literatur</strong>.<br />

Mit den Jahren werden sich Mensch und Buch immer ähnlicher.<br />

An seinen Büchern merkt man, dass man alt wird.<br />

Das Buch, das zugeklappt wird, stirbt einen kleinen Tod.<br />

PR<br />

6 LITERATUREULE 10/11


Pubertätslyrik<br />

der Promis<br />

3<br />

Revolution<br />

von oben<br />

Ernst Thälmann, schreite du voran,<br />

ich lieb’ den Sozialismus,<br />

drum steh ich hier nun meinen Mann,<br />

weil Revanchismus weg muss.<br />

Schon lange will das rote Heer<br />

den Feind eliminieren.<br />

Ich brauch’ hierfür kein Schießgewehr –<br />

ich werd’ ihn infiltrieren!<br />

Ich werde Chef der BRD,<br />

– der Klassenfeind wird’s hassen! –<br />

und folg’ dem Plan der SED,<br />

sie pleitegeh’n zu lassen!<br />

Angela Merkel<br />

veröffentlicht in der<br />

Zeitschrift »FRÖSI«, September 1967<br />

Michael Kaiser<br />

HENRI BÜTTNER<br />

Biskupeks Auslese<br />

Mein Leipzig<br />

gloob ich mir<br />

Wer Brechts Spruch kennt: »Die Mühen<br />

der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns<br />

liegen die Mühen der Ebenen.«, der weiß<br />

auch, warum Dietmar Keller seine<br />

»unzeitgemäßen Erinnerungen« Die<br />

Mühlen der Ebene (dietz berlin)<br />

nennt.<br />

Bei Brecht waren die Ebenen des Sozialismus<br />

gemeint. Keller hatte sich freiwillig<br />

in die Mühlen einer unfehlbaren<br />

Partei begeben, die den Sozialismus umfassend<br />

vollenden wollte. Einige der alten<br />

Phrasen kommen in diesem Buch<br />

vor, denn – das ist ein Vorteil – es wird<br />

fleißig und authentisch zitiert. So<br />

kommt Keller nur selten in Versuchung,<br />

zu beschönigen. Er hat all den Blödsinn<br />

in Akten stehen, den er mit seinesgleichen<br />

verzapfte.<br />

Keller war Parteiarbeiter, wie das damals<br />

hieß. Der gebürtige Chemnitzer<br />

kam als jugendlicher Sportreporter zur<br />

Kreisparteileitung der Leipziger Uni,<br />

stieg schnell und steil zum Bezirkssekretär<br />

auf und landete in Berlin, wo er<br />

unter Modrow den vorletzten DDR-Kulturminister<br />

mimen durfte.<br />

In Leipzig wurde in Künstlerkreisen<br />

meist in lobenden Tönen von ihm gesprochen.<br />

Der Ehemann der academixerin<br />

Gisela Oechelhaeuser galt als<br />

Hoffnungsträger. Er verhalf Schriftstellern<br />

zu Studienplätzen für ihre Kinder,<br />

zu Baugenehmigungen für Feriendomizile<br />

in Naturschutzgebieten – »viele von<br />

ihnen kannten keine moralischen Grenzen.<br />

Zum Geburtstag von Hager waren<br />

manche schon vor 9 Uhr, noch vor dem<br />

offiziellen Beginn des Gratulationsempfanges,<br />

in seinem Arbeitszimmer<br />

und trällerten ihr ›Auf die Bäume, ihr<br />

Affen …‹«.<br />

Klar, dass Keller peinlich berührt ist,<br />

»wenn die gleichen Künstlerinnen und<br />

Künstler ihr Image als Bürgerrechtler<br />

und Widerstandskämpfer pflegen«.<br />

Das Buch ist eine Fundgrube für<br />

Pflege und Aufzucht von Wendehälsen.<br />

Besonders pikant ein Briefwechsel mit<br />

Erich Loest, der Keller sofort nach Mauerfall<br />

um Wohnungsvermittlung für<br />

Leipzig bittet – und später gegen den<br />

PDS-Bundestagsabgeordneten einen<br />

Pressefeldzug einleitet.<br />

★<br />

Loest kommt auch im nächsten Leipzig-<br />

Buch vor. Bernd-Lutz Lange hat<br />

Anekdoten gesammelt, nicht selten<br />

selbst erlebte, die sich rund um Leipziger<br />

Messe, Leipziger Rathaus, Leipziger<br />

Pfeffermühle und Leipziger Sächsisch<br />

finden. Das Leben ist ein Purzelbaum<br />

(Aufbau, illustriert von Egbert<br />

Herfurth) nennt er den dicken Band,<br />

in dem er auch mal pampig nach Art<br />

von Satirikern wird. Freundlich ist er<br />

gegenüber seinen Ideengebern, von<br />

Goethe bis zum Kabarettkollegen Jürgen<br />

Hart. Und auch Dietmar Keller wird<br />

mit Dank für dessen anekdotischen Fundus<br />

bedacht.<br />

Lange hat 1989 sein Stücklein Geschichte<br />

geschrieben, als er einen Aufruf<br />

von drei Künstlern und drei SED-<br />

Sekretären mitverantwortete. Das<br />

machte den 9. Oktober zu einem Glückstermin<br />

im deutschen demokratischen<br />

Kalender.<br />

Loest sieht das heute ganz anders<br />

und meint, »dass der Aufruf der Sechs,<br />

am Abend des 9. Oktober verkündet,<br />

nichts anderes zum Ziel hatte, als die<br />

Stabilität der DDR und den Sozialismus<br />

zu sichern«.<br />

Lange kommentiert: »Ich muss schon<br />

sehr lange suchen, um irgendwo etwas<br />

annähernd Unsinniges zu finden.«<br />

★<br />

Was finden wir im dritten Leipzig-<br />

Buch? In Bernd Weinkaufs Architekturführer<br />

– Die 100 wichtigsten<br />

Leipziger Bauwerke (Jaron Verlag)?<br />

Nein, keinen Erich Loest, aber den Maler<br />

Michael Morgner mit seiner Stahlplastik<br />

für die »Bio-City«. Bei Keller<br />

steht der u. a. auf Seite 125: »Da musste<br />

die Reiseblockade für den Grafiker Michael<br />

Morgner (…) durchbrochen werden.«<br />

Sprich: Der Funktionär hatte sich<br />

zu kümmern, dass ein Maler in den Westen<br />

– und vor allem in den Süden – fahren<br />

durfte.<br />

Wen wir im Architekturführer allerdings<br />

nicht finden, ist Georgi Dimitroff,<br />

obwohl eines der eindrucksvollsten<br />

Leipziger Bauwerke, das ehemalige<br />

Reichsgericht, jahrzehntelang »Dimi -<br />

troff-Museum« hieß. Immerhin ist verzeichnet,<br />

dass das Gebäude »internationale<br />

Beachtung durch den Reichstagsbrandprozess<br />

von 1933« fand. Heute<br />

sitzt dort das Bundesverwaltungsgericht<br />

unter einer Kuppel, die die Allmacht<br />

des Kaisers symbolisierte.<br />

LITERATUREULE 10/11 7


Biskupeks Auslese<br />

Belle triste<br />

Ernst Jandls »ottos mops« hing einst<br />

in Studenten-Buden, ob Ost oder West.<br />

Die »lichtung«: »lechts und rinks /<br />

kann man nicht / velwechsern« beschreibt<br />

bis heute prägnant politische<br />

Zustände. Dass Herausgeber Klaus Siblewski<br />

aus der zehnbändigen Werkausgabe<br />

des Wiener Poeten nun einen<br />

kleinen gelben Reclam-Band mal<br />

franz mal anna filterte, mag für heutige<br />

Studenten die Annäherung an einen<br />

Großen befördern. Denn man findet<br />

vom »schtzngrmm« bis zum<br />

»spruch mit kurzem o« vieles mit exakter<br />

Datierung. Sollten die Studenten<br />

allerdings, wie es Wissensdurstige gelegentlich<br />

an sich haben, zuerst das<br />

Nachwort lesen, werden sie staunen,<br />

wie man Witz und Bitternis, Sprachkraft<br />

und Verblüffung derart ledern<br />

und mit lauter verschraubten Sätzen<br />

erklären kann.<br />

»ottos mops« wird man unter den<br />

mehr als hundert Texten nicht finden,<br />

denn dessen erster Vers lautet bekanntlich<br />

»ottos mops trotzt«.<br />

★<br />

Volker Braun hat im Gegenwartsdeutschland<br />

<strong>Literatur</strong>preise bekommen,<br />

aber so recht mag ihn das Großkopffeuilleton<br />

nicht – weil er diese<br />

BRD nicht mag. Wer Die hellen Haufen<br />

(Suhrkamp), eine Erzählung von<br />

kaum hundert Seiten, liest, weiß, warum<br />

er nicht gemocht wird: Braun seziert<br />

auch diese Gesellschaft mit ähnlicher<br />

Schärfe, wie er das schon mit<br />

dem DDR-Arbeiterklassengehabe tat.<br />

Er schreibt sich aus Hungerstreikenden<br />

und Treuhand-Schachereien, aus<br />

westdeutschen Landvögten und vermufften<br />

nachträglichen DDR-Zernichtern<br />

seine eigene Geschichte und kommentiert<br />

sie so: »Orte, falsch geschrieben,<br />

Personen aus Rüben geschnitzt.«<br />

Es ist eine Geschichte um zwölf »Mansfelder<br />

Artikel«, deren erster gleich an<br />

die Grundfesten heutiger Staatsgebilde<br />

rührt: »Die Arbeit ist gerecht zu<br />

verteilen, unter allen, die Anspruch darauf<br />

haben.« Es ist eine Geschichte der<br />

hellen Bauernhaufen und der schwarzroten<br />

Schar von Max Hoelz, eine Geschichte<br />

der Mühen um Berge und Ebenen.<br />

Dass er aus Namen Kalauer drechselt<br />

– Friedrich Schorlemmer heißt<br />

dann »Schurlamm« und Birgit Breuel<br />

wird zur »Pleuel« – bringt ihm die besondere<br />

Schelte unserer <strong>Literatur</strong>-Grafen<br />

ein. Eine Schelte, die bestärkt: Unbedingt<br />

lesen!<br />

★<br />

Heutige Nachrichten über Rumänien<br />

haben derlei Inhalte: Banden-Unwesen<br />

und Bestechung, Dracula und Securitate,<br />

Zigeuner und Zerrüttung. Ein<br />

abgelegen veröffentlichter Band<br />

Mehrfachbelichtungen (edition<br />

AZUR, herausgegeben von Lese-Zeichen<br />

Jena) bringt »Rumänische Erkundungen«<br />

anderer Art: faszinierende<br />

Schwarz-Weiß-Fotos ohne Hochglanzeffekt,<br />

verstörende Gedichte, auch veraktete<br />

Securitate-Erfahrungen, auch<br />

die Angst vorm Zigeuner. Doch die Autoren,<br />

darunter Daniela Boltres, Werner<br />

Söllner und Marius Koity, die in<br />

Rumänien geboren wurden, nähern<br />

sich diesem Land und seiner zum Teil<br />

deutsch geprägten Geschichte mit Respekt,<br />

mit Neugier und mit einiger<br />

Kunst-Anstrengung. Daniela Danz<br />

gibt den Schülern im deutschsprachigen<br />

Brukenthal-Gymnasium Sibiu<br />

auf, einen Text weiterzuschreiben:<br />

»Ein Engel kommt an die Pforte meines<br />

Vaterlandes«. Welcher mediale<br />

Sensationsbericht über Rumänien<br />

könnte »Engel« oder »Pforte« als<br />

Hauptwörter haben?<br />

★<br />

Vor mehr als einem halben Jahrhundert<br />

begannen zwei Dekorateur-Lehrlinge,<br />

zunächst mit Halma-Figuren,<br />

später mit allen Materialien, die ihnen<br />

in der DDR zugänglich waren,<br />

Phantasie-Miniatur-Reiche im Rokoko-Stil<br />

zu errichten. Die »Schlösser<br />

der gepriesenen Insel« sind inzwischen<br />

zu einer großräumigen Ausstellung<br />

geworden und haben Kult-Status.<br />

Einer der Schöpfer, Manfred Kiedorf,<br />

einst Mitglied im »Mosaik«-Kollektiv<br />

seligen Angedenkens, bringt in<br />

den letzten Jahren regelmäßig Bücher<br />

mit witzigen Zeichnungen und Sprüchen<br />

auf den winzigen (Miniatur-<br />

Schlösser!) Markt. Aus der Steinzeit<br />

(Primat-Verlag) bietet nicht nur ein<br />

»Mittelwort« des Radio-Mannes Matthias<br />

Thalheim, sondern auch viele Kalauer,<br />

vom Beowulff bis zum »Stein<br />

oder nicht Stein!« oder der »Frau vom<br />

Stein, jedem Dichter geläufig«. Der<br />

Mittelwort-Autor kommentiert: »Als<br />

sei es erst drei Tage her, da wir in der<br />

Höhle hinten links am Horden-Feuer<br />

saßen.«<br />

ANDRÉ SEDLACZEK<br />

KRIKI<br />

8 LITERATUREULE 10/11


BECK<br />

LITERATUREULE 10/11 9


B ü c h e r i m T e s t : F r a n z K a f k a v s . C h r i s t i n e R i m m e r<br />

Falsche Küsse – wahre Liebe?<br />

Handlung:<br />

»Das Schloß« von Kafka ist an Spannungsarmut<br />

kaum zu unterbieten.<br />

Schon nach den ersten Seiten ist dem<br />

Leser klar, dass der Landvermesser K.<br />

besagtes Schloss nie erreichen wird,<br />

so sehr der Loser es auf den folgenden<br />

knapp 400 Seiten auch versuchen wird.<br />

Christine Rimmer zeigt in ihrem Meisterwerk<br />

»Falsche Küsse – wahre<br />

Liebe?«, wie es richtig geht. Nach einem<br />

ständigen Auf und Auf darf der<br />

erfolgreiche Unternehmer Justin Caldwell<br />

die bezaubernde Katie nicht nur<br />

bei den jährlichen Theateraufführungen<br />

küssen, die beiden erklimmen<br />

schließlich auch gemeinsam den<br />

Schlossberg: »Sie schob ihm die Finger<br />

ins Haar und rief seinen Namen,<br />

während er sie zum Gipfel trieb.«<br />

Fazit: »Das Schloss« ist so spannend<br />

wie Löschpapier, Christine Rimmer<br />

punktet mit Kompetenz und Kohärenz!<br />

Figuren:<br />

Hässliche, tumbe Freaks und heruntergekommene<br />

Dorfmatratzen – mehr<br />

hat der Prager Gelegenheitsschriftsteller<br />

Kafka, der inzwischen zu recht sehr<br />

jung verstorben ist, nicht zu bieten.<br />

Ganz anders Christine Rimmer, die die<br />

literarische Kühnheit besitzt, junge,<br />

hübsche und reiche Menschen zu porträtieren:<br />

»Seine Lippen ... diese Lippen<br />

... zu voll und zu sinnlich für einen<br />

Mann ... und doch perfekt.« Hier<br />

feiert das griechische Schönheitsideal<br />

wunderbare Renaissance.<br />

Fazit: Rimmer beschreibt Menschen<br />

wie ich und ich, Herr Kafka sollte mehr<br />

unter Leute gehen.<br />

Sprache:<br />

Nicht nur, dass Kafkas Roman durch<br />

eine biblische Schar orthographischer<br />

Plagen heimgesucht scheint, er strapaziert<br />

durch seine spröde und umständliche<br />

Sprache auch die Geduld des Lesers:<br />

»K. stand noch immer im Schnee,<br />

hatte wenig Lust, den Fuß aus dem<br />

Schnee zu heben, um ihn ein Stückchen<br />

weiter wieder in die Tiefe zu senken<br />

...« Die Wiederholung des Wortes<br />

»Schnee« wirkt prätentiös, und dass K.<br />

den Fuß wieder absetzt und nicht auf<br />

einem Bein stehen bleibt, kann sich<br />

der Leser wohl denken. Christine Rimmer<br />

beschreibt denselben Sachverhalt<br />

wie folgt: »Katie stampfte mit den Füßen<br />

und schüttelte den Schnee vom<br />

Rocksaum.« Da wird großes Kino präzise<br />

auf den Punkt gebracht, das Motiv<br />

des Schnees ist subtil eingewoben,<br />

und darüber hinaus findet die Autorin<br />

auch noch genügend Platz, den Namen<br />

»Katie« auszuschreiben.<br />

Fazit: Manche schwafeln einfach nur<br />

rum, Christine Rimmer hat uns was<br />

zu sagen.<br />

Anspruch:<br />

Beide Werke widmen sich den Nöten<br />

eines Individuums, das die komplexen<br />

Spielregeln seiner Welt nicht versteht<br />

und sich ausgeschlossen fühlt. »Ich bin<br />

nicht von hier! Ich habe nicht die geringste<br />

Ahnung!«, verleiht Christine<br />

Rimmer dieser Verzweiflung Ausdruck.<br />

Doch während Franz Kafka sich<br />

in bedeutungsschweren Gleichnissen<br />

verliert, mit denen er nicht einmal<br />

mehr Marcel Reich-Ranicki hinterm<br />

Fernseher hervorlocken kann, wirken<br />

Rimmers Metaphern frisch, unverbraucht<br />

und kafkaesk. Von Sandwiches,<br />

Whirlpools und roten Plastikknöpfen<br />

ist dort die Rede. Und während<br />

Kafka sich nur mit dem Weg beschäftigt,<br />

zeigt die Wahl-Oklahomaerin<br />

und Autorin von »The Bravo Billionaire«,<br />

dass auch das Erreichen des<br />

Ziels wichtig ist.<br />

Fazit: Kafka ist noch auf der Suche,<br />

Rimmer bereits völlig fertig.<br />

Preis-/Leistungsverhältnis:<br />

Wenn man bedenkt, dass der Herausgeber<br />

aus Versehen mehrere Kapitelüberschriften<br />

vergessen hat und der<br />

Roman mitten im Satz endet, ist die<br />

Hardcover-Ausgabe von Kafkas »Das<br />

Schloß« mit 112,00 EUR völlig überteuert.<br />

Die historisch-kritische Ausgabe<br />

von Christine Rimmers epochalem<br />

Meisterwerk in der Reihe »BI-<br />

ANCA Exklusiv« überzeugt nicht nur<br />

durch ihren leserfreundlichen Preis von<br />

4,99 EUR, sie umfasst auch zwei weitere<br />

Meilensteine der <strong>Literatur</strong>geschichte<br />

(»Frei für die Liebe« von Nikki<br />

Rivers und »Fremde Männer küsst man<br />

nicht« von Cathy Gillen Thacker) sowie<br />

einen überaus praktischen Zweimonatskalender,<br />

in dem alle wichtigen Neuerscheinungen<br />

des Verlages mit Veröffentlichungsdatum<br />

aufgelistet sind.<br />

Fazit: Bravo, BIANCA – auch in Zeiten<br />

der Finanzkrise ist gehobene <strong>Literatur</strong><br />

bei Euch selbst für den Laien<br />

noch erschwinglich!<br />

»Versprich mir, dass es kein Freibier<br />

geben wird.« – Diesem letzten Ausspruch<br />

von Christine Rimmers Protagonistin<br />

Katie hat dieser Testbericht eigentlich<br />

nichts hinzuzufügen.<br />

Benotung Franz Kafka: Christine Rimmer:<br />

»Das Schloß« »Falsche Küsse – wahre Liebe?«<br />

Handlung 6 1<br />

Figuren 6 1<br />

Sprache 6 1<br />

Anspruch 5 1<br />

Preis-/Leistungsverh. 6 1<br />

Gesamturteil »Wie der Ochs »Ergreifend, authentisch,<br />

vorm Schlosstor!« billig! – Mehr geht nicht!«<br />

Michael Kaiser<br />

Das Fräulein stand am eere<br />

Original (von Heinrich Heine)<br />

Das Fräulein stand am Meere<br />

Und seufzte lang und bang,<br />

Es rührte sie so sehre<br />

Der Sonnenuntergang.<br />

Mein Fräulein! Sei'n Sie munter,<br />

Das ist ein altes Stück;<br />

Hier vorne geht sie unter<br />

Und kehrt von hinten zurück.<br />

Fälschung(en):<br />

Das Fräulein stand am Meere<br />

Und fragte einen Rebbe,<br />

Was Sinn und Zweck denn wäre<br />

Von Flut und auch von Ebbe.<br />

„Ich will es so herleiten“,<br />

Sprach drauf der Rebb' entschieden,<br />

„Der Sinn sind die Gezeiten,<br />

Der Zweck, das sind die Tiden.“<br />

Das Fräulein stand am Tümpel<br />

Und seufzte ach und weh:<br />

„Wie nervt mich das Gerümpel,<br />

Das ich am Tümpel seh.“<br />

Mein Fräulein! Sei'n Sie heiter,<br />

Bedenken Sie doch nur:<br />

A) geht das Leben weiter,<br />

B) kommt die Müllabfuhr.<br />

★<br />

Das Fräulein stand am Meere<br />

Und klagte wie gewohnt,<br />

Sie glaubt, zu Ende wäre<br />

Die Welt am Horizont.<br />

Mein Fräulein! Sei'n Sie heiter,<br />

Sie kennen doch das Lied:<br />

„Hinterm Horizont geht’s weiter“ –<br />

Auch wenn man es nicht sieht.<br />

★<br />

10 LITERATUREULE 10/11


ANDREAS PRÜSTEL<br />

Das Fräulein stand am Meere<br />

Und seufzte schwer beklommen,<br />

Sie sagt, das Wasser wäre<br />

Für sie total verschwommen.<br />

Mein Fräulein! Sei'n Sie stille,<br />

Wenn ich was raten darf:<br />

Mit Hilfe einer Brille<br />

Wird's Wasser wieder scharf.<br />

Das Fräulein stand am Meere<br />

Und seufzt' aus vollem Hals,<br />

Sie sprach, im Wasser wäre<br />

Zum Baden zu viel Salz.<br />

Mein Fräulein! Keine Mucken,<br />

Der Vorwand ist nicht neu,<br />

Sie brauchen's ja nicht schlucken.<br />

Sie sind nur wasserscheu.<br />

★<br />

Das Fräulein stand am Styx<br />

Und seufzte bang und ach,<br />

Sie weint' der Zeit des Glücks,<br />

Dem kurzen Leben nach.<br />

Mein Fräulein! Was ich täte,<br />

Riss' Charon mich vom Stuhl,<br />

Ich kippt' 'ne Lage Lethe,<br />

Besoffen stirbt sich's cool.<br />

★<br />

Das Fräulein stand am Tiber<br />

Und seufzte lang und viel,<br />

Sie sagt', sie wär viel lieber<br />

Am Kongo oder Nil.<br />

Mein Fräulein! Nichts zu wenden,<br />

Wir stehn an diesem Strom,<br />

Denn alle Wege enden<br />

Nun leider mal in Rom.<br />

★<br />

Das Fräulein stand am Teich<br />

Und droht', dass sie reinspränge,<br />

Wenn ich mit ihr nicht gleich<br />

„All' meine Entlein“ sänge.<br />

Mein Fräulein! Nehmt die Leier!<br />

Dann grölten wir à deux:<br />

„Köpfchen in den Weiher,<br />

Schwänzchen in die Höh'“.<br />

★<br />

Das Fräulein stand am Strande<br />

Und seufzt' in Moll und Dur,<br />

Weil hoffnungslos im Sande<br />

Verweht des Menschen Spur.<br />

Mein Fräulein! Ich verstehe<br />

Gut Ihre Traurigkeit,<br />

Weil ich's genau so sehe.<br />

Dann seufzten wir zu zweit.<br />

★<br />

Das Fräulein stand am Weser-<br />

Strand und hatte Angst:<br />

„Ob Du hiermit vom Leser<br />

Nicht zu viel Grips verlangst?“<br />

Mein Fräulein! Ach i wo!<br />

Stell'n Sie das Grübeln ein:<br />

A) hat es Null Niveau,<br />

B) liest's ja doch kein Schwein.<br />

Thomas Schaefer<br />

LITERATUREULE 10/11 11


Ein<br />

Gespräch<br />

unter toten<br />

Dichtern<br />

Wenn ihr Christian weiter so demontiert,<br />

ist er eines Tages noch<br />

»Der Verbrecher aus verlorener<br />

Ehre«, mahnte Schiller. Er solle<br />

sich nicht so haben, erwiderte Goethe,<br />

gegen »Die Leiden des jungen<br />

Werthers« seien die seinen doch<br />

ein Klacks. Außerdem sind »Die<br />

Aufgeregten« doch nicht selten<br />

»Die Mitschuldigen«.<br />

»Der Prozeß«, sagte Kafka,<br />

könne aber auch »Die Verwandlung«<br />

auslösen, je nachdem wie<br />

»Das Urteil« lautet. »In der Strafkolonie«<br />

wird er schon nicht landen.<br />

»Der Zweikampf« mit BILD<br />

war spannend, meinte Kleist,<br />

In memoriam<br />

Christian Wulff<br />

musste gottlob aber nicht durch<br />

ein »Helgoländisches Gottesgericht«<br />

entschieden werden. Ein<br />

schönes Beispiel von »Menschenhaß<br />

und Reue« ist es aber schon,<br />

warf Kotzebue ein. Ja, aber auch<br />

von »Leben und leben lassen«, gab<br />

Lessing zu bedenken. Und immerhin<br />

ist er kein »Blaubart«, ergänzte<br />

die Marlitt augenzwinkernd.<br />

Nietzsche dagegen kam wie immer<br />

bedeutungsschwer daher:<br />

»Die Sonne sinkt« für ihn »Zwischen<br />

Raubvögeln«, »Das Feuerzeichen«<br />

von »Ruhm und Ehre« …<br />

Hör doch auf, unterbrach ihn Arthur<br />

Schnitzler, »Der einsame Weg«<br />

wird ihm auch wieder »Lebendige<br />

Stunden« bereiten und aus der …<br />

»Verlassenheit« herausführen,<br />

warf Trakl ein, wenn er nicht immer<br />

»Unpassende Geschichten« erzählen<br />

würde, der »Altbewährte<br />

Esel«, ließ sich Tucholsky vernehmen,<br />

Hauptsache, er lernt etwas<br />

»Über den Umgang mit Menschen«,<br />

schloss Börne die Diskussion.<br />

Nur der freche Brentano<br />

schob noch nach: Und beschrieben<br />

wird das alles in der »Geschichte<br />

vom braven Kasperl und dem schönen<br />

Annerl«.<br />

Ove Lieh<br />

Ein Meister der kleinen Form<br />

Interpretation:<br />

Dieses kleine Poem, in seiner<br />

Art ein geschliffenes Juwel<br />

(und überdies ein Vierzeiler,<br />

wovon man sich leicht<br />

überzeugen kann), kommt,<br />

so möchte es prima vista<br />

scheinen, in schlichtem Gewande<br />

daher, offenbart dem<br />

Wissenden in der Folge jedoch einen<br />

Tiefsinn, angesichts dessen ihn,<br />

wie in der griechischen Tragödie, Gefühle<br />

der Furcht und zugleich tiefen<br />

Mitleids überkommen.<br />

Das Gedicht beginnt – wie so mancher<br />

Brief ungehobelter Zeitgenossen<br />

– mit dem Wort »Ich«, das hier gemäß<br />

seiner Stellung am Satzanfang obendrein<br />

großgeschrieben ist – eine Entgleisung<br />

gleich zu Beginn der poetischen<br />

Reise in die Vergangenheit, die<br />

wir indes dem dichterischen Jovi als<br />

autonome Freiheit nachzusehen haben<br />

und die wir in diesem Fall als lautlich-graphisches<br />

Zeichen einer bemerkenswerten<br />

Ich-Stärke interpretieren,<br />

einer Ich-Stärke, deren der sensible Autor<br />

in der Tat bedarf, widerfährt ihm<br />

doch, wie wir noch sehen werden, im<br />

Verlauf der im folgenden geschilderten<br />

Ereignisse mit der Zerstörung seiner<br />

Habe eine empfindliche narzißtische<br />

Kränkung, die denn auch den elegischen<br />

Grundtenor des Ganzen glaubhaft<br />

begründet.<br />

Wir sagten »Habe« und meinen damit<br />

nicht einen Autor gleichen Namens,<br />

sondern vielmehr jenen Sammelbegriff<br />

für mobile und immobile<br />

Besitzgegenstände, der nach Erich<br />

Gedicht ohne Titel<br />

Ich hatte mal ein Stülpglas,<br />

es ist schon lange her,<br />

das fiel mit Schwung ins Grüngras,<br />

da stülpte es nicht mehr.<br />

Clas D. S. Steinmann<br />

KALLE<br />

Fromm einen falschen Seins-Modus,<br />

nämlich den Haben-Modus prägt,<br />

in dem der Schreiber – wenigstens<br />

zu Beginn des Gedichtes –<br />

durchaus befangen erscheint,<br />

denn seinem »Ich« folgt sogleich<br />

eine finite Form des Verbums<br />

»haben«, und zwar in seiner<br />

voll- und nicht etwa hilfsverbalen<br />

Bedeutung! Immerhin tritt der<br />

Autor durch den Gebrauch des Präteritums<br />

(er sagt »hatte«, nicht »habe«)<br />

zu sich selbst und seiner Habe, die somit<br />

zur »Hatte« wird, ist eine Distanz,<br />

die ihm, wenn auch mit spürbarem<br />

Bedauern gemischt, ein kritisches Abrücken<br />

von sich selbst erlaubt.<br />

Was »hatte« der Dichter denn nun<br />

»mal«, wie er energiesparend und somit<br />

verdichtend statt »einmal« sagt?<br />

Nun, das kleine Oeuvre trägt keinen<br />

Titel, der seinen Hauptgegenstand<br />

vorschnell durch platte Benennung<br />

verraten könnte, und so wirkt denn<br />

die poetische Offenbarung: »ein Stülpglas«(!)<br />

um so überraschender und verblüffender.<br />

Ein Stülpglas also war’s,<br />

das der Dichter mal hatte. Wie schön!<br />

Doch nun, wenn’s auch »schon lange<br />

her« ist und die Zeit so manche Wunde<br />

heilt, nun zieht das Verhängnis, man<br />

spürt es, spannungsreich retardiert<br />

durch das unscheinbare Wörtchen<br />

»her« (mit langem, gedehntem e zu<br />

sprechen!) herauf und ereilt das zerbrechliche<br />

Gefäß (Sinnbild des »roseau<br />

faible« schlechthin!), und zwar,<br />

wie der Autor sagt »mit Schwung«,<br />

denn mit eben diesem fiel das Glas<br />

stabreimend ins »Grüngras« und –<br />

doch wir wollen das Ergebnis nicht vorwegnehmen,<br />

sondern an dieser Stelle<br />

verweilend innehalten, um uns selbst<br />

zunächst einige sich hier aufdrängende<br />

Fragen zum besseren Verständnis<br />

zu stellen:<br />

Wieso fiel das Glas ins Gras und<br />

noch dazu mit Schwung? Wer hatte<br />

das getan? Fiel das Glas, wie ein schuldiges<br />

und Strafe gewärtigendes Kleinkind<br />

sagen würde, »von selbst«? Wurde<br />

es gestoßen, geworfen, vielleicht mit<br />

dem Fuße getreten? Und, wenn ja, widerfuhr<br />

ihm dies – und von wem? –<br />

fahrlässig, mutwillig oder gar im<br />

Zorn? Wir wissen es nicht. Und sollen<br />

es nie erfahren? Gemach! Es gibt einen<br />

aus weiterem, die Sphäre der<br />

Werkimmanenz transzendierenden<br />

Kontext herzuleitenden Umstand, der<br />

uns der Unwissenheit in diesem<br />

Punkte enthebt: das fragliche Stülpglas<br />

hätte nämlich, wie wir aus intimer<br />

Kenntnis der Lebensumstände<br />

des Autors wissen, zu einem späteren<br />

Zeitpunkt, so es erhalten geblieben<br />

wäre, zur Überstülpung eines Lourdes-<br />

Kreuzes und somit zur Sedierung des<br />

wehenden Geistes dienen können,<br />

hätte nicht – so wagen wir rückschauend<br />

zu deuten – ein in die Zukunft vorausschauendes<br />

Numinosum dem vorzubeugen<br />

gedacht und in Gestalt des<br />

Windes, des himmlischen Kindes, seiner<br />

eigenen Sterilisation, stürmisch<br />

wehend, vorgebeugt.<br />

Was ist es, das uns hier anwandelt?<br />

– Staunen! Etwas von jenem Tremendum<br />

und Fascinosum, das Rudolf Otto<br />

– wir erinnern uns – in seinem Werk<br />

»Das Heilige« beschrieb! Staunen –<br />

Thaumazein!<br />

Und viel mehr bleibt uns nicht zu<br />

sagen. Denn ob nun das Gras zu hart<br />

bzw. nicht weich genug oder das Glas<br />

zu weich bzw. zu spröde, vielleicht ein<br />

Import-Schundartikel aus Taiwan oder<br />

Hongkong, war, was tut das zur Sache<br />

oder anders: was ändert das am Ergebnis?<br />

Und mehr sagt auch der erschöpfte<br />

Dichter uns nicht, der sein<br />

Werk endet mit der elegisch konstatierenden<br />

Bemerkung: »... da stülpte es<br />

nicht mehr.«<br />

Nachzutragen bleibt noch, dass der<br />

Dichter (der im Trierer Raum lebt) sich<br />

der gängigen Endzeile: »Maoch eppes<br />

draon!« selbstkritisch enthalten hat,<br />

wofür ihm besonderer Dank gebührt.<br />

Theodor Weißenborn<br />

12 LITERATUREULE 10/11


Vor hundert Jahren starb Karl May und lebt noch heute – nicht zuletzt,<br />

weil Ausgrabungen in der Karl-May-Villa in Radebeul und im<br />

Karl-May-Verlag zu Bamberg immer wieder neue alte Geschichten<br />

zutage fördern, auf die die Leser von Karl May gerade noch gewartet<br />

haben. Das interessiert Sie nicht? Recht so, wen interessieren schon<br />

solche Einleitungen! Lesen Sie deshalb erst ab hier:<br />

In der Patsche<br />

der Apatschen<br />

Eine klassische Reiseerzählung (nicht von Karl May – oder doch?)<br />

Die Sonne hatte ihren höchsten Stand<br />

erreicht. Weiter unten aber, wo sich der<br />

Wilde Westen in alle Himmelsrichtungen<br />

erstreckte, hätte jemand, der mir<br />

von Weitem entgegengeritten wäre, in<br />

der Ferne einen winzigen Punkt erspäht,<br />

der sich langsam vergrößert und<br />

endlich die Konturen eines ausgewachsenen<br />

Westmannes angenommen<br />

hätte. Das war ich.<br />

Von Sankt Ludwig, welches der Einheimische<br />

in seiner Zunge durchaus<br />

treffend St. Louis nennt, war ich auf<br />

meinem Steckenpferd viele Maylen<br />

westwärts gezogen, war inzwischen<br />

mitten in einem neuen Band meiner<br />

Gesammelten Werke angelangt und<br />

befand mich nun im Anritt zum ersten<br />

Höhepunkt dieser meiner Reiseerzählung.<br />

Von Weitem schimmerte die Mayestät<br />

der Berge, welchletzteren erstere<br />

zugehörte, und die ersten Mayglöckchen<br />

lugten aus dem frischen Grase,<br />

welches den Boden wie ein Bart bedeckte.<br />

Plötzlich vernahm ich einen Schuss,<br />

dann einen Schrei, gefolgt von einem<br />

Bumsti. Ich horchte auf, denn ein echter<br />

Trapper hat auch bei Tage stets nur<br />

einen leichten Schlaf. Sodann gab ich<br />

meinem Pferd die Pollen, da mir die<br />

Sporen ausgegangen waren, und entdeckte<br />

schon nach wenigen Worten den<br />

Leichnam eines offensichtlich toten<br />

Apatschen. Ich saß ab, um ihn zu umzingeln.<br />

»Hier muss die Kugel eingedrungen<br />

sein«, sagte ich wie zu mir selber, als<br />

ich in das Ohr des Indianers sah, und<br />

entdeckte in der Tat auf der anderen<br />

Seite den Austrittskanal. Neben dem<br />

Apatschen lag ein Colt, der noch warm<br />

war.<br />

»Fabrikat Engelmacher«, murmelte<br />

ich, doch laut genug, sodass ich mich<br />

verstehen konnte.<br />

Soeben wollte ich wieder aufsitzen,<br />

um die Spur aufzunehmen und den Täter<br />

zu belauschen, als ich rings um<br />

meine kostbare Wenigkeit Pferdegeheul<br />

und Kriegsgetrappel vernahm.<br />

Apatschen! Ich ließ mich indes nicht<br />

aus der Ruhe bringen, ergriff den Henrytöter,<br />

den Bärenstutzen und den Vatermörder<br />

mit je einer Hand und setzte<br />

mich nieder, wie um die Gewehre zu<br />

reinigen, tatsächlich aber, um den anstürmenden<br />

Feind in Sicherheit zu wiegen<br />

und alsdann mit meinem berühmten<br />

Sockenschuss zu übertölpeln. Ich<br />

hatte jedoch diesen Satz kaum beendet,<br />

als ich von einem furchtbaren Keulenhieb<br />

getroffen wurde, der mich wie<br />

ein Keulenhieb traf, und infolgedessen<br />

brach ich nicht auseinander, sondern<br />

zusammen.<br />

Als ich wieder zu mir kam, war ich<br />

ohnmächtig. Ich war gefesselt sowie im<br />

Pueblo der Apatschen befindlich, deren<br />

Gnade ich auf Geschrei und Gegerb’<br />

ausgeliefert war. Ich war soeben im Begriff,<br />

meine Zukunft vor meinem geistigen<br />

Ohr Revue passieren zu lassen,<br />

welche eine traurige solche war, als<br />

mich unversehens ein leibhaftiges Geräusch<br />

aufschreckte: Es war mein Magen,<br />

der vor Hunger laut knurrte.<br />

Gleich würde er bellen.<br />

Um mir Pustekuchen zu bringen, womit<br />

die Apatschen ihre Gefangenen zu<br />

verköstigen pflegen, näherte sich eine<br />

junge Indianerin meinem Lager. Wir<br />

sahen verlegen zu Boden, wo sich unsere<br />

Blicke begegneten, welche erröteten.<br />

»Ich heiße Ntscho-tschi«, flüsterte sie.<br />

»Ich nicht«, erwiderte ich bescheiden.<br />

Schüchternes Schweigen erfüllte den<br />

Raum bis zum Rand. In diesem Augenblick,<br />

welcher mir als ein gedehnter zu<br />

erscheinen die Neigung zu besitzen die<br />

Gewohnheit zu haben geruhte, trat<br />

plötzlich, den Augenblick wie mit einem<br />

Bowie-Messer zerschneidend, der<br />

Häuptling ein, welchen ich an seinem<br />

prächtigen, doch schlichten Äußeren<br />

als diesen erkannte.<br />

»Ich bin Winnetou, der Häuptling der<br />

Apatschen, der Rächer der Entrechteten,<br />

der Meuchler der Heuchler und<br />

der Zerreißer der Weißen!«, unterrichtete<br />

er mich sprachlich und musterte<br />

den Letztgenannten mit seinen stahlharten,<br />

wie gemeißelt in ihren Höhlen<br />

sitzenden Augen. »Der räudige Schakal<br />

von einem Hund, welcher hier liegt,<br />

hat Taube Nuss getötet, einen lebenden<br />

Krieger meines Stammes! Weiß<br />

das Bleichgesicht nicht, dass sich so etwas<br />

nicht gehört? Zur Vergeltung wirst<br />

du ebenfalls in die ewigen Jagdgründe<br />

usw.! Schon morgen wirst du am Marterpfahl<br />

usf., wenn der Schrei des Riesenochsenfroschs<br />

halb so lang ist wie<br />

der Schatten der Sonne im Zwielicht<br />

des Mandelbeerstrauchs!«<br />

Auf denjenigen, welchselbigem<br />

diese seine Worte galten, mussten dieselben<br />

eine Wirkung ausüben, welche<br />

eine zerschmetternde solche war. Ich<br />

blies jedoch keineswegs Trübsal, denn<br />

in meiner Lage konnte mir Blasen wenig<br />

helfen.<br />

»Och nö«, antwortete ich darum kurz<br />

und angebunden. »Die Taube Nuss war<br />

nur bewusstlos!«<br />

Bei dieser meiner Rede verschlug es<br />

dem sonst so wortkargen Häuptling der<br />

Apatschen die Sprache. Endlich fand er<br />

sie wieder: »Aber ... äh ... hm ... ja! Das<br />

Blassgesicht spricht die Wahrheit. Auch<br />

ich staunte bereits darüber, dass Taube<br />

Nuss in unserem Lager herumläuft, als<br />

sei nichts geschehen! Uff! Uff!«<br />

»Und uff!«, ergänzte ich seine Rede.<br />

»Du musst es dreimal sagen!«<br />

Wie sich ergab, hatte Taube Nuss<br />

seinen neuen Colt ausprobiert und war<br />

bei dem Schuss mit einem Schrei der<br />

äußersten Verblüffung in Ohnmacht<br />

zerfallen. Winnetou befreite mich nun<br />

von meinen Banden. Ich erhob einen<br />

lauten Ruf der Freude und der Dankbarkeit,<br />

tat dies jedoch unhörbar leise,<br />

um meine Gefühle nicht ungebührlich<br />

nach außen dringen zu lassen. Sogleich<br />

fing ich in meinen Armen<br />

Ntscho-tschi auf, welche vor Erleichterung<br />

über die Wechselfälle des Lebens<br />

in meine Arme sank, in denen ich sie<br />

auffing. Winnetou aber drückte mir<br />

beide Hände mit seinen beiden Händen<br />

und ließ unverzüglich die Maybowle<br />

anrichten, mit welcher solcher<br />

wir mittels derselben Brüderschaft<br />

tranken.<br />

»Nenn mich Winnetou«, sagte Winnetou.<br />

»Du mich auch«, erwiderte ich.<br />

»Mein weißer Bruder und meines<br />

weißen Bruders roter Bruder sind nun<br />

Brüder«, sagte Winnetou. »Aber bist<br />

du auch Christ?«<br />

»Aber ja«, erzählte ich frisch von meiner<br />

Leber weg. »Sachse.«<br />

»Selbstverständlich«, erwähnte er<br />

beiläufig, »von Hause aus heiße ich<br />

August Pötzsch, bin eigentlich gebürtiger<br />

Kaufmann und würde mich<br />

freuen, wenn ich meinem weißen Bruder<br />

nähere Einzelheiten seines roten<br />

Bruders in einem persönlichen Gespräch<br />

erläutern dürfte.«<br />

Als Ntscho-tschi, die ich währenddessen<br />

in meinen Armen gehalten<br />

hatte, erwachte, fiel ihr Blick auf den<br />

Maybaum, den ich vor ihrem Pueblo-<br />

Fenster aufgestellt hatte. Mit Entzücken<br />

las ich in ihren Augen die Liebe,<br />

welche mir voll und innig aus denselben<br />

hervorleuchtete.<br />

Der ganze Stamm der Apatschen<br />

hatte sich unterdessen versammelt; zur<br />

Feier des Festes hatte ich einige Fässer<br />

Maybock aus meiner Heimat mitgebracht.<br />

Die Mayglöckchen sprossen<br />

wieder wie im zweiten Absatz dieser<br />

meiner Reiseerzählung, die Maykäfer<br />

schwirrten, der Mayoran blühte, die<br />

Maysen zwitscherten aus vollen Schnäbeln,<br />

und die Apatschen, die ich fortan<br />

ehrenhalber Mayas nennen will, bildeten<br />

einen Kreis um das junge Brautpaar,<br />

als dessen einer Teilhaber ich<br />

überglücklich mich zu befinden wohl<br />

hinreichend Grund vorzuweisen hatte,<br />

und sangen: »Der May ist gekommen<br />

...!«<br />

Ich stutzte stutzend, denn ich hatte<br />

noch nicht einmal mit dem Vorspiel<br />

begonnen; doch da fiel auch schon der<br />

Vorhang dieser Geschichte über<br />

Ntscho-tschi und mich.<br />

Peter Köhler<br />

OLIVER OTTITSCH<br />

LITERATUREULE 10/11 13


PETER BUTSCHKOW<br />

Lesezeichen: TILMAN BIRR<br />

Rätsel der Menschheit<br />

»Ick lass die Leute jetzt auf Schiff, sarickma«,<br />

sagte Klaus und nahm die<br />

Kette vom Eingang.<br />

Warum benutzen die Berliner eigentlich<br />

nach »auf« nie einen Artikel?<br />

Sie gehen auf Klo, sind gerade auf Arbeit<br />

und rufen einander auf Handy an.<br />

Warum machen sie das, und warum<br />

nur in diesem Fall? Sie könnten doch<br />

zum Beispiel auch nach »unter« den<br />

Artikel weglassen. Dann lägen sie im<br />

Bett unter Decke, ihr Auto hätte ordentlich<br />

PS unter Haube und wenn<br />

sie stürben, kämen sie unter Erde. Rätsel<br />

des Berliner Dialektes. Trotz meiner<br />

mittlerweile acht Jahre in Berlin<br />

hatte ich einige dieser Rätsel nicht lösen<br />

können, zum Beispiel die Berliner<br />

Endungs-s-Feindlicheit. Es scheint<br />

dem Berliner unmöglich zu sein, am<br />

Wortende nach »er« ein s zu sprechen.<br />

Er trinkt »Selter«, das er vorher in der<br />

Kaufhalle namens »Kaiser« gekauft<br />

hat. Er sieht gerne Fernsehsendungen<br />

mit dem Kabarettisten Volker Pisper<br />

oder amerikanische Komödien mit<br />

dem Schauspieler Mike Myer und erinnert<br />

sich noch gut an den früheren<br />

Bundesinnenminister Rudolf Seiter. In<br />

der Cafeteria der Humboldt-Universität<br />

klebt bis zum heutigen Tag am<br />

Schokoriegelregal die Aufschrift:<br />

»Knopper 80 Cent«. Leider hat die Cafeteria<br />

kein »Snicker« im Sortiment.<br />

Korrekturversuche und klärende Gespräche<br />

mit Berliner Cafeteriabedienungen<br />

sind ebenso sinnlos wie gefährlich.<br />

»Es heißt aber doch Knoppers. Steht<br />

doch auf der Verpackung.«<br />

»Ick sare Knopper. Schluss.«<br />

»Aber es ist doch offensichtlich<br />

falsch.«<br />

»Sarema, willste Ärger mit mir,<br />

Freundschen?«<br />

Was sich der Berliner einmal in den<br />

Kopf gesetzt hat, das soll ihm der<br />

Schwabe nicht nehmen. In Ortsnamen<br />

wie Heinersdorf, Woltersdorf und Wilmersdorf<br />

hat sich das s wohl nur wegen<br />

des angehängten »-dorf« durchsetzen<br />

können, sonst hießen sie Heiner,<br />

Wolter und Wilmer.<br />

Wie viele Rätsel muss Deutschland<br />

den ausländischen Touristen wohl aufgeben,<br />

denen ich jeden Tag die Stadt<br />

erklären soll? Was sich im einen Teil<br />

Deutschlands ziemt, ist im anderen<br />

verpönt. Dieser deutsche Kultur- und<br />

Mentalitätenförderalismus muss für<br />

einen Amerikaner das größte Rätsel<br />

sein. Wie belogen und betrogen, für<br />

dumm verkauft und zum Narren gehalten<br />

muss sich ein Amerikaner fühlen,<br />

wenn er als erste deutsche Stadt<br />

Köln besucht. Sein Leben lang hat<br />

man ihm erzählt, dass in Deutschland<br />

Bier aus riesigen Krügen getrunken<br />

wird, die einen ganzen Liter fassen,<br />

dass Deutschland den zweithöchsten<br />

Pro-Kopf-Bierkonsum der Welt aufzuweisen<br />

hat, dass es dort Starkbier mit<br />

acht Prozent Alkoholanteil gebe. Und<br />

nun sitzt er mit lauter anderen enttäuschten<br />

Touristen in einer Kölner<br />

Showbrauerei und muss sein dünnes<br />

Kölsch aus einem Reagenzglas trinken.<br />

Ich wäre sauer.<br />

Wenn sich ein Neuseeländer in<br />

München eine Tracht kauft, bestehend<br />

aus Lederhosen, Wadlstrümpfen, Janker<br />

und Hut, so wird er in Bayern für<br />

seine Integrationsbereitschaft gelobt.<br />

Kommt er in diesem Aufzug nach Berlin,<br />

wundert er sich, dass er zur Begrüßung<br />

aufs Maul bekommt.<br />

Einmal fragte mich ein Grieche: »Is<br />

there a slight racism against Bavaria?«<br />

Weit holte ich aus, um ihm das Rätsel<br />

der Bayernfeindschaft zu erklären,<br />

erzählte von der jahrhundertealten<br />

Antipathie zwischen Preußen und<br />

Bayern, von bayerischen Monarchisten,<br />

von den Christdemokraten, deren<br />

Partei in Bayern anders heißt als im<br />

Rest Deutschlands und von der Bezeichnung<br />

»Freistaat Bayern«. Damit<br />

musste ich den Griechen so verwirrt<br />

haben, dass er schließlich fragte: »Is<br />

Bavaria not a part of Germany, then?«<br />

Wäre ich Berliner und Bayernhasser<br />

gewesen, hätte ich ihm daraufhin ein<br />

Bier ausgegeben.<br />

Die intranationale Xenophobie war<br />

mir immer ein großes Rätsel. Die Ablehnung<br />

der Fremdenfeindlichkeit<br />

scheint da aufzuhören, wo der Fremde<br />

nicht fremd genug ist. Seit einigen Jahren<br />

war es Mode, auf »die Schwaben«<br />

zu schimpfen, die allesamt dafür verantwortlich<br />

seien, dass am Prenzlauer<br />

Berg ausnahmslos jedes Bier fünf<br />

Euro koste, jede Wohnung marmorverkleidet<br />

und fußbodenbeheizt war,<br />

und (besonders schlimm!) dass die<br />

Zahl der richtigen, echten, eingeborenen<br />

und nie woanders gewesenen Berliner<br />

unter die Nachweisbarkeitsgrenze<br />

gesunken war. Die Gentrifizierung<br />

war nicht zu leugnen, und auch<br />

ich hielt die Shishabars in Friedrichshain,<br />

die Flagshipstores amerikanischer<br />

Modelabels in Mitte und die unglaublichen<br />

Mieten in den feineren<br />

Gegenden des Prenzlauer<br />

Bergs für ganz schön überflüssig.<br />

Die von Missgunst und Neid<br />

auf allen Seiten geprägte Debatte<br />

schien aber oft nur ein Ventil für ganz<br />

anders begründeten Hass zu sein: Gerade<br />

diese Schwaben sind die<br />

schlimmste Pest, die Berlin seit der napoleonischen<br />

Besatzung heimgesucht<br />

hat. Sie erdreisten sich, in Berlin ihre<br />

Eier zu legen und ihre Brut in Kinderwagen<br />

durch den Bezirk zu schieben.<br />

Sie sitzen in Cafés herum, in denen<br />

unberlinische Getränke verkauft werden:<br />

Milchkaffee, Bionade und bayerisches<br />

Bier. Sie tragen Kleidung, die<br />

man in Berlin gefälligst nicht zu tragen<br />

hat: Sonnenbrillen mit riesigen<br />

Fliegenaugengläsern. Sie kaufen biologisch<br />

ein, was ja wohl mal das allerletzte<br />

ist. Sie kümmern sich um Erziehung<br />

und Bildung ihrer Kinder, als ob<br />

sie was Besseres wären. Sie haben Arbeit.<br />

Wenn man dagegen nichts tut,<br />

werden diese Menschenfresser irgendwann<br />

zahlenmäßig überlegen sein,<br />

Berlin von innen aushöhlen und für<br />

den Tod der einzig wahren Berliner<br />

Leitkultur sorgen: Herrengedeck für<br />

dreifuffzich. Aber es tut ja niemand<br />

was, weil alle so hoiti-toiti supitolerant<br />

sind. Berlin schafft sich ab! Das wird<br />

man doch wohl noch sagen dürfen!<br />

Tilman Birr:<br />

On se left you see se<br />

Siegessäule,<br />

Manhattan, 301 S.,<br />

16,99 Euro<br />

14 LITERATUREULE 10/11


Lesezeichen: JULIUS FISCHER<br />

Platonisches Plaudern mit<br />

philosophierendem Proll 1<br />

»Orr, ich bin neulich im Theater gewesen, Das Wirtshaus<br />

im Spessart, und es war soooo schöön«, sagt Enrico<br />

zu mir, »einfach so, ganz normal, Geschichte, zack,<br />

klatschen! Man weeß ja heute ni mehr so genau, sind<br />

das jetzt echte Schauspieler oder Arbeitslose oder vielleicht<br />

ein Chor von Kleingärtnern.«<br />

»Was im Prinzip alles dasselbe ist!«, werfe ich ein<br />

und streichle mir selbstgefällig das Haar aus der Stirn.<br />

Dumme Sachen, die klug klingen, kann ich immer<br />

noch wie im Schlaf.<br />

»Na, ich meine doch nur, die Leute denken immer,<br />

dass man als Resseschör alles machen kann, so eigene<br />

Erfahrungen mit einbauen und so. Aber das ist<br />

Quatsch, weil wenn der Schiller das damals geschrieben<br />

hat, dann hatter bestimmt ni intendiert, dass heute<br />

irgendein zugekokster abgebrochener Theaterwissen-<br />

schaftsSchrägstrichEthnologieSchrägstrichSinologie-<br />

Fuzzi seine verquere Vorstellung von den Auswirkungen<br />

des Baus der Bagdadbahn von Kaiser Wilhelm<br />

auf die Apartheid in Südafrika in die Räuber<br />

reininterpretiert. Immer nur Kritik, Hitler und Kotzen<br />

und Bumsen auf der Bühne, das muss dor ni<br />

sein ... Also, kommt droff an, wer bumst, klar.«<br />

Theater!<br />

»Aber das Publikum muss doch auch was mitnehmen.<br />

Und wie Brecht schon sagte, was will eine Oberstufenklasse<br />

den Faust aufführen, im Originalkostüm,<br />

mit Urtext, wenn sie sich überhaupt noch nicht<br />

geprügelt haben, wenn sich ihnen die Gretchenfrage<br />

einfach nicht stellt? Ein bisschen Bezugnahme ist<br />

doch nur gesund.«<br />

»Ich will aber ni die ganze Zeit angespuckt werden<br />

von der Bühne. Wenn jemand zu mir kommt, um ein<br />

schönes Rohr verlegt zu bekommen, dann verlege ich<br />

das Rohr und krieg Geld dafür. Und im Theater zahl<br />

ich Geld fürs Theater und ni für Kunstejakulat.«<br />

»Ey! Ja, cool: Art! Aber das ist doch das Schöne:<br />

Nicht die Nachfrage bestimmt das Angebot, sondern<br />

die Kreativität. Sonst biste ganz schnell bei Dienstleistungskultur<br />

und etablierst eine Kategorie des nützlichen<br />

Schönen!«<br />

»Na und, so was braucht man nach nem harten Arbeitstag.<br />

Da kannste mir ni mit Nietzsche kommen.<br />

Was weiß ich denn davon? Es muss ja auch Leute geben,<br />

die ihren Verstand dazu benutzen, etwas Sinnvolles<br />

zusammenzubauen, und ni die ganze Zeit nachdenken<br />

über Sachen, über die sich tausend andere<br />

vorher auch schon den Kopf zerbrochen haben. Von<br />

der Seite her müsst ihr euch das ma ankucken, ni immer<br />

nur: ›Die dummen Arbeiter, leben ihr sinnloses<br />

Leben und wir helfen denen da raus‹, näiii, das geht<br />

andersrum genau so!«<br />

»So habe ich das noch nie betrachtet.«<br />

»Weil das halt keener macht. Denke dir mal zum<br />

Beispiel einen Fitnesstrainer im Vergleich zu einem<br />

Deutschlehrer, der eine betreibt Muskelaufbau bei<br />

dir, das siehst du als gehobene Dienstleistung, der<br />

andere unterrichtet deine Kinder, und das ist Pädagogik.<br />

Da ist doch die Waage falsch geerdet.«<br />

»Da könnte man aber auch wieder sagen: Was nützen<br />

Muskeln, wenn man keine Idee davon hat, was<br />

man mit ihnen so alles anfangen kann? Oder aber<br />

wie bei den Griechen: Der Kontrapost, die geölten<br />

Muskeln als ästhetische Kategorie sinnfreier Schönheit.«<br />

»Wenn meine Faust dir als formale Kategorie sinnvoller<br />

Aggression die Schneidezähne in den Gaumen<br />

drückt, wirst du da ni mehr drüber nachdenken müssen.<br />

Und dann versuche mal, mich mit deinen Gedanken<br />

zu verletzen.«<br />

»Ich könnte die Energie um mich herum bündeln<br />

und dich mittels eines elektromagnetischen Feldes<br />

enthäuten und entfleischen.«<br />

»Wenn das klappt, fange ich ooch an, Nietzsche zu<br />

lesen.«<br />

Fischer, Kling, Lehmann,<br />

Martschinkowsky, Reichert:<br />

Über Wachen und Schlafen,<br />

Systemrelevanter Humor.<br />

Das Lesedünenbuch.<br />

Verlag Voland & Quist, 160 S.,<br />

14,90 Euro<br />

LITERATUREULE 10/11 15

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