Sprache und Sprachwissenschaft - Worthaus
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Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
des Deutschen – Einstieg:<br />
<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
Dr. Alexandra Zepter
<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong> als Wissenschaft von der<br />
<strong>Sprache</strong> – wirft zwei Fragen auf:<br />
‣Was verstehen wir in diesem<br />
Zusammenhang eigentlich unter <strong>Sprache</strong>?<br />
‣Was heißt es, <strong>Sprache</strong> wissenschaftlich zu<br />
erforschen?<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong> als Wissenschaft von der<br />
<strong>Sprache</strong> – Was verstehen wir unter <strong>Sprache</strong>?<br />
‣Gesamtes Bemühen der <strong>Sprachwissenschaft</strong> ist<br />
letztlich seit ihren Anfängen bis heute darauf<br />
gerichtet, ebendiese Frage zu beantworten!<br />
‣„The whole point of setting up a [linguistic<br />
theory] is to provide a definition of [language] –<br />
that is, a systematic account of [its] nature.“<br />
(Geoffrey Leech, Karl Heinz Wagner)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
‚<strong>Sprache</strong>‘ als Alltagsbegriff: mehrdeutig<br />
Die Begriffe ‚<strong>Sprache</strong>‘ <strong>und</strong> ‚Sprechen‘ begegnen<br />
uns (im Alltag) in unterschiedlichen<br />
Verwendungsweisen <strong>und</strong> bezeichnen dann<br />
unterschiedliche Phänomene.<br />
‣ Welche Bedeutungen fallen Ihnen ein?<br />
‣ Übung: Welche unterschiedlichen Ebenen<br />
oder Phänomene von ‚<strong>Sprache</strong>‘ <strong>und</strong> ‚Sprechen‘<br />
können Sie in den folgenden Beispielen<br />
differenzieren?<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
‚<strong>Sprache</strong>‘ als Alltagsbegriff: mehrdeutig<br />
1) Kinder fangen normalerweise im Alter von<br />
einem Jahr an zu sprechen.<br />
2) Lola spricht fünf <strong>Sprache</strong>n: Deutsch, Türkisch ...<br />
3) Als ich zur Tür hereinkomme, spricht Cem<br />
gerade türkisch mit seinen Kindern.<br />
4) Sprich bitte lauter! Ich verstehe dich nicht!<br />
5) Ich liebe die <strong>Sprache</strong> Goethes.<br />
6) Ich kann die jungen Leute heute kaum noch<br />
verstehen – das ist ja gar kein Deutsch mehr,<br />
das die sprechen.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Sprachfähigkeit – langage<br />
1) Kinder fangen normalerweise im Alter von einem Jahr an zu sprechen.<br />
‣ Nur Menschen sind in der Lage, zu<br />
sprechen: Tiere (Pflanzen, Computer ...)<br />
besitzen keine natürliche, kognitiv <strong>und</strong><br />
biologisch bedingte Fähigkeit, <strong>Sprache</strong> zu<br />
produzieren <strong>und</strong> zu verstehen.<br />
‣ In einigen europäischen <strong>Sprache</strong>n gibt es<br />
für diese Bedeutung von <strong>Sprache</strong> ein<br />
eigenes Wort: Französisch langage,<br />
Italienisch linguaggio, Spanisch lenguaje<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Einzelsprache – langue<br />
2) Lola spricht fünf <strong>Sprache</strong>n: Deutsch, Türkisch ...<br />
‣ Von verschiedenen Sprechergemeinschaften<br />
werden verschiedene Einzelsprachen gesprochen.<br />
‣ Wir können eine Einzelsprache X als ein<br />
abstraktes Sprachsystem mit jeweils eigenen<br />
Einheiten <strong>und</strong> Verknüpfungsregeln auffassen.<br />
‣ Und/oder annehmen, dass jeder Sprecher, der X<br />
beherrscht, auch über kognitives Wissen über X<br />
(ein abstraktes Regelsystem?) verfügt.<br />
‣ Spezielle Wörter für ‚Einzelsprache‘: Französisch<br />
langue, Italienisch lingua, Spanischen lengua<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> im tatsächlichen Gebrauch – parole<br />
3) Als ich zur Tür hereinkomme, spricht Cem gerade türkisch mit<br />
seinen Kindern.<br />
‣ Wenn wir (in einer Einzelsprache X) miteinander<br />
sprechen, produzieren wir konkrete – akustisch<br />
messbare, auditiv oder durch andere Kanäle<br />
wahrnehmbare – Sprachdaten.<br />
‣ Wir können annehmen, dass dabei unser<br />
kognitives Wissen über X zum Tragen kommt.<br />
‣ Im Deutschen schreiben wir in diesem Fall den<br />
Sprachnamen klein, im Französischen gibt es<br />
erneut ein eigenes Wort: parole<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Sprechweise – paraverbale Aspekte<br />
4) Sprich bitte lauter! Ich verstehe dich nicht!<br />
‣ Spricht ein Mensch z.B. deutsch, kann er<br />
dabei, ohne in eine andere <strong>Sprache</strong> zu<br />
wechseln, Aspekte wie Sprechgeschwindigkeit,<br />
Lautstärke, Deutlichkeit der Artikulation,<br />
Stimmlage etc. variieren.<br />
‣ Vgl. Spanisch oír (hören, akustisch verstehen)<br />
vs. escuchar (zuhören, kognitiv verstehen):<br />
Oigo la radio pero no la estoy escuchando.<br />
Ich höre das Radio, aber ich höre nicht zu.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Individueller Sprachstil<br />
5) Ich liebe die <strong>Sprache</strong> Goethes.<br />
‣ Verschiedene Menschen entfalten sich<br />
sprachlich auf unterschiedliche Weise, können<br />
einen eigenen sprachlichen Stil mit<br />
besonderen linguistischen Eigenheiten<br />
entwickeln.<br />
‣ Individuelle Formen des Ausdrucks: So wie<br />
jedes menschliche Gesicht einzigartig ist, so<br />
spricht auch jeder Mensch einen Idiolekt.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Soziolekte, Dialekte, Sprachgebrauchsnorm<br />
6) Ich kann die jungen Leute heute kaum noch verstehen – das<br />
ist ja gar kein Deutsch mehr, das die sprechen.<br />
‣ Die Idee, dass Menschen Einzelsprachen wie<br />
das Deutsche sprechen, ist letztlich bereits<br />
eine Abstraktion:<br />
‣ Das Deutsche kann auch als Konglomerat aus<br />
diversen Dialekten, Soziolekten bzw.<br />
Varietäten <strong>und</strong> Registern aufgefasst werden.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Soziolekte, Dialekte, Sprachgebrauchsnorm<br />
In jeder Gesellschaft gibt es dabei bevorzugte<br />
sprachliche Verwendungsformen, die als Norm<br />
(für einen bestimmten Kontext) gelten:<br />
‣ Ein ARD-Tagesschau-Sprecher verwendet<br />
keine Ausdrücke wie ‚echt krass der<br />
Flugzeugabsturz‘ <strong>und</strong> spricht auch kein<br />
Sächsisch.<br />
‣ Eine (überregional) geltende Norm wird von<br />
der Gesellschaft bestimmt <strong>und</strong> ist – wie die<br />
Gesellschaft selber – ständigem Wandel<br />
unterlegen!<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Präskriptiv vs. deskriptiv<br />
Beachte die Mehrdeutigkeit des Normbegriffs:<br />
‣ Differenzieren wir nach Soziolekten, Dialekten etc., so<br />
hat jede Varietät wieder ihre eigenen (systemintern<br />
geltenden) Normen ≈ Regeln/grammatischen Muster!<br />
‣ Norm als willkürlich gesetztes Gebot – Präskription =<br />
ein anderen Menschen Vorschreiben, wie sie zu<br />
sprechen (zu schreiben) haben! Beispiel: eine amtlich<br />
festgesetzte Rechtschreibreform<br />
‣ Gegensatz Deskription = Beschreibung, wie<br />
Menschen sprechen (schreiben)/ Beschreibung der<br />
systeminternen Normen, die sie dabei verwenden!<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Metasprachliche Ebene<br />
Was ist an der folgenden Äußerung doppeldeutig?<br />
(1) Lola beherrscht die deutsche Grammatik.<br />
(1) kann bedeuten:<br />
?<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Primär- vs. metasprachliche Ebene<br />
(a) Primärsprachliches Wissen, implizites Sprachwissen:<br />
Lola beherrscht das Deutsche im Gebrauch; sie<br />
verfügt über umfassendes entsprechendes<br />
kognitives Wissen <strong>und</strong> spricht daher regelkonform!<br />
(b) Metasprachliches Wissen:<br />
Lola weiß viel über die deutsche <strong>Sprache</strong>, weil sie<br />
sich z.B. in der Schule explizites Grammatikwissen<br />
angeeignet hat; sie kann Einheiten <strong>und</strong> Strukturen<br />
bzw. deren Funktionen erkennen, beschreiben <strong>und</strong><br />
benennen!<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Primär- vs. metasprachliche Ebene<br />
Frage an einen deutschen Muttersprachler:<br />
Erzählen Sie uns in ein paar kurzen Sätzen,<br />
was Sie am Wochenende gemacht haben!<br />
Gemeinsam: Analyse der geäußerten Sätze<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Primär- vs. metasprachliche Ebene<br />
Beachte:<br />
Weder impliziert primärsprachliches Wissen<br />
notwendig metasprachliches Wissen noch<br />
umkehrt!<br />
1) Ich kann fließend Deutsch sprechen, ohne zu wissen,<br />
dass das Deutsche eine Verbzweitsprache ist.<br />
2) Ich kann wissen, dass Deutsch eine Verbzweitsprache<br />
ist (<strong>und</strong> wissen, was das bedeutet), ohne ein Wort<br />
Deutsch sprechen zu können.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Objektsprache vs. Metasprache<br />
Normalerweise verwendet man <strong>Sprache</strong>, um<br />
sich über Gegenständer, Handlungen,<br />
Sachverhalte etc. zu äußern.<br />
Man kann sich aber auch über <strong>Sprache</strong><br />
äußern <strong>und</strong> sie somit zum Gegenstand der<br />
Aufmerksamkeit selbst manchen:<br />
1) Lola <strong>und</strong> Cem wohnen in einem blauen Haus.<br />
2) Haus ist ein komisches Wort.<br />
3) Dieser Satz ist gelogen.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Objektsprache vs. Metasprache<br />
Metasprache<br />
Sprachlicher Ausdruck 2<br />
„Substantiv“<br />
Sprachlicher<br />
Ausdruck 1<br />
„Haus“<br />
Welt<br />
Objektsprache<br />
(nach Bredel 2007)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> als Gegenstand der Linguistik<br />
Alle bis dato aufgeführten Betrachtungsaspekte <strong>und</strong><br />
Ebenen von <strong>Sprache</strong> spielen in (unterschiedlichen)<br />
sprachtheoretischen Forschungen eine Rolle; z.B.:<br />
‣ Generelle Sprachfähigkeit ist Teilgegenstand der<br />
<strong>Sprache</strong>rwerbsforschung (ebenso der Psychologie,<br />
Biologie, Neurologie)<br />
‣ Soziolinguisten erforschen Varietäten <strong>und</strong> Register<br />
‣ Sprechwissenschaftler analysieren paraverbale Aspekte<br />
‣ Die metasprachliche Ebene ist die Beschreibungs- <strong>und</strong><br />
Theoriebildungsebene der Linguistik!<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> als Gegenstand der Linguistik<br />
Übung:<br />
Stellen Sie sich vor, Sie wären Linguist:<br />
‣ Definieren Sie <strong>Sprache</strong> in einem Satz!<br />
‣ Tauschen Sie sich mit Ihrem Nachbarn aus<br />
<strong>und</strong> entwerfen Sie auf der Basis Ihrer<br />
beider Definitionen gemeinsam eine neue<br />
(finale) Definition!<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> als Gegenstand der Linguistik<br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong>ler kommen, indem sie sich dem<br />
Phänomen <strong>Sprache</strong> aus je unterschiedlichen Blickwinkeln<br />
nähern, möglicherweise zu sehr unterschiedlichen<br />
Definitionen von <strong>Sprache</strong> (wenn wie überhaupt einen<br />
fixierten Definitionsversuch machen)!<br />
Beispiele für Definitionen bedeutender Sprachforscher,<br />
die die Paradigmen der Disziplin (bzw. die<br />
wissenschaftsgeschichtliche Herausbildung von<br />
linguistischen Teildisziplinen) mehr oder minder geprägt<br />
haben:<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> als Zeichensystem zur Kommunikation<br />
„Language is a purely human and noninstinctive<br />
method of communicating<br />
ideas, emotions and desires by means of a<br />
system of voluntarily produced symbols.“<br />
(Sapir 1921: 8)<br />
Deskriptiver Strukturalismus nordamerikanischer Prägung:<br />
‣ Sapir erforschte synchron zahlreiche Indianersprachen<br />
Nordamerikas: <strong>Sprache</strong>n als statische Systeme von Zeichen<br />
(Symbolen) mit kommunikativem Zweck<br />
‣ Er erzielte eklatante Fortschritte in der Sammlung <strong>und</strong><br />
Klassifizierung sprachlicher Daten.<br />
‣ Er trug entscheidend bei, mit dem alltagsgebräuchlichen<br />
Vorurteil aufzuräumen, man könne <strong>Sprache</strong>n in ‚zivilisierte’<br />
vs. ‚primitive’ (‚rückständige’) einteilen.<br />
Edward Sapir,<br />
nordamerikanischer<br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong>ler<br />
<strong>und</strong><br />
Anthropologe<br />
(1884-1939)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> als Gesamtheit möglicher Äußerungen<br />
„The totality of utterances that can be<br />
made in a speech-community in the<br />
language of that speech-community”<br />
(Bloomfield 1926: 153)<br />
Nordamerikanischer, behavioristischer Strukturalismus:<br />
‣ Bloomfield bemühte sich in den 1920er Jahren, die<br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong> methodisch nach dem Stand der damals<br />
entwickelten Wissenschaftstheorie zu systematisieren:<br />
‣ Orientierung am europäischen Strukturalismus <strong>und</strong> am<br />
Behaviorismus des Psychologen John B. Watson (1878-1958)<br />
‣ <strong>Sprache</strong> wird als Verhalten gefasst, erworben auf der<br />
Basis von Imitation:<br />
‣Stimulus, Response, Reinforcement: Sprachliche Äußerungen<br />
im Umfeld → (imitierende) Reaktion → Feedback aus dem Umfeld<br />
Leonard Bloomfield,<br />
nordamerikanischer<br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong>ler<br />
(1887-1949)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> als algorithmisch generierte Satzmenge<br />
„From now on I will consider a language to<br />
be a set (finite or infinite) of sentences,<br />
each finite in length and constructed out of<br />
a finite set of elements.” (Chomsky 1957: 13)<br />
Kognitive, generative, nativistische Linguistik:<br />
‣ Kritik am Behaviorismus; Wegbereiter der kognitiven<br />
Wende <strong>und</strong> der modernen theoretischen Linguistik<br />
‣ Von der Außen- zur Innenperspektive: <strong>Sprache</strong> wird von<br />
Chomsky als biologisch verankertes kognitives Modul analysiert.<br />
‣ Natürliche <strong>Sprache</strong> als ein Untertyp möglicher<br />
Sprachsysteme – statt Fokus auf kommunikativer<br />
Funktion oder symbolischer Natur: Fokus auf<br />
Strukturabhängigkeit der Prozesse, nach denen Sätze<br />
algorithmisch konstruiert/generiert werden!<br />
Noam Chomsky,<br />
nordamerikanischer<br />
Linguist <strong>und</strong><br />
Politikwissenschaftler<br />
(*1928); lehrt nach<br />
wie vor am MIT in<br />
Cambridge (Boston)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> als dynamische Tätigkeit<br />
„Language does not exist, it happens. It is neither<br />
an organism, as many nineteenth-century linguists<br />
saw it, nor an edifice [Gebäude], as it was<br />
regarded in the early modern ‘structuralist’ period<br />
of linguistics. Language is an activity basically of<br />
four kinds: speaking, listening, writing and<br />
reading.” (Halliday et al. 1964: 9)<br />
Systemische, funktionale Linguistik:<br />
‣ Halliday fokussiert erneut auf das Bedeutungspotenzial<br />
von <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> auf den sozialen Aspekt:<br />
‣ <strong>Sprache</strong> wird dabei als systemische Ressource für<br />
Bedeutung <strong>und</strong> als dynamische Kreation <strong>und</strong> Kreator<br />
menschlicher Gesellschaften gefasst.<br />
‣Linguistik als das Studium „of how people exchange<br />
meanings by ‘languaging’”<br />
Michael A. K.<br />
Halliday (*1925),<br />
britischer<br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong>ler,<br />
lebt als Emeritus<br />
Professor University of<br />
Sydney in Australien<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Wissenschaft als Theoriebildung<br />
‣ Verschiedene Linguisten definieren den<br />
Gegenstand ‚<strong>Sprache</strong>‘ aus je unterschiedlichen<br />
Perspektiven <strong>und</strong> kommen derart auch zu<br />
unterschiedlichen Definitionen!<br />
Wissenschaft → Theoriebildung über einen<br />
Gegenstand → involviert stets einen<br />
Beobachter <strong>und</strong> Abstraktionsprozesse →<br />
Theorie des Gegenstands impliziert per se<br />
auch alternative Theorien!<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Die Blinden <strong>und</strong> der Elefant<br />
Es war einmal, so erzählt Buddha, ein König von Benares, der<br />
rief zu seiner Zerstreuung etliche Bettler zusammen, die von<br />
Geburt an blind waren, <strong>und</strong> setzte einen Preis aus für<br />
denjenigen, der ihm die beste Beschreibung eines Elefanten<br />
geben würde. Zufällig geriet der erste Bettler, der den Elefanten<br />
untersuchte, an dessen Bein, <strong>und</strong> er berichtete, dass der Elefant<br />
ein Baumstamm sei. Der zweite, der den Schwanz erfasste,<br />
erklärte, der Elefant sei wie ein Seil. Ein anderer, welcher ein<br />
Ohr griff, beteuerte, dass der Elefant einem Palmenblatt gleiche,<br />
<strong>und</strong> so fort. Die Bettler begannen untereinander zu streiten <strong>und</strong><br />
der König war überaus belustigt.<br />
Aus: Neumüller, G. <strong>und</strong> Niel, F (1977): Gott <strong>und</strong> Gottesbilder, Reihe Konzepte 2 (Materialien<br />
für den Religionsunterricht in der Sek<strong>und</strong>arstufe 2), Verlag Moritz Diesterweg <strong>und</strong><br />
Köselverlag; S. 1; zitiert nach K. H. Wagner, Gr<strong>und</strong>kurs <strong>Sprachwissenschaft</strong>, WS 1997/98<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Wissenschaft als Theoriebildung<br />
Wir verstehen noch besser, was<br />
wissenschaftliche Theoriebildung (generell <strong>und</strong><br />
für die <strong>Sprachwissenschaft</strong> im Besonderen<br />
impliziert), wenn wir nach Ferdinand de Saussure<br />
unterscheiden zwischen:<br />
1) Materialobjekt (Stoff der Linguistik)<br />
2) Formalobjekt (Gegenstand der Linguistik)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
<strong>Sprache</strong> als abstrahiertes Zeichensystem<br />
Ferdinand de Saussure – Begründer des<br />
europäischen Strukturalismus:<br />
‣Sein einflussreichstes Werk: Cours de<br />
linguistique générale, posthum (1916, 1922) von<br />
einigen seiner Studenten veröffentlicht<br />
‣Saussure analysierte bzgl. <strong>Sprache</strong> mehrere<br />
Dichotomien, die noch heute gr<strong>und</strong>legend für die<br />
linguistische Theoriebildung (<strong>und</strong> die Art <strong>und</strong><br />
Weise, wie über <strong>Sprache</strong> nachgedacht wird) sind!<br />
‣U.a. Differenzierung zwischen<br />
‚la matière‘ <strong>und</strong> ‚l‘objet‘ der Linguistik –<br />
wobei der Gegenstand von der<br />
Betrachtungsweise des Forschers abhängt!<br />
Ferdinand de<br />
Saussure<br />
(1857-1913),<br />
Schweitzer<br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong>ler<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Materialobjekt vs. Formalobjekt<br />
Materialobjekt (Definition nach K. H. Wagner) =<br />
Das Materialobjekt (der Stoff) einer Wissenschaft<br />
besteht aus der Gesamtheit der zu<br />
untersuchenden konkreten Erscheinungen der<br />
objektiven Realität, die vor einer Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> unabhängig von ihr, vom Forscher, seinem<br />
Bewusstsein <strong>und</strong> seinen Betrachtungsweisen<br />
existieren.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Sonagramm – Messung des Stoffs<br />
Sprachsignal gemessen nach Zeit (ms; X-Achse), Tonhöhe<br />
(Hz; y-Achse) <strong>und</strong> Intensität/Lautstärke (Schwärzungsgrad)<br />
d g t b<br />
t<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Physikalische Messung des Stoffs<br />
‣ Veränderungen des Signals (Frequenz/Hertz;<br />
Schwärze) deuten darauf hin, dass zu diesem<br />
Zeitpunkt ein anderer Laut gebildet wird.<br />
‣ Derart kann man das Signal in Segmente<br />
einteilen – auch wenn es tatsächlich keine<br />
klaren Grenzen von Segmenten gibt!<br />
‣ Über weitere Messmethoden, die<br />
Bewegungen der Artikulationsorgane<br />
aufzeichnen, kann man beschreiben, wie die<br />
Segmente artikuliert werden.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Analyse von Lauten: abstrakte Objekte<br />
‣ Auch die Analyse der Artikulationsbewegungen<br />
fokussiert auf bestimmte (maximale)<br />
Positionen, während andere als irrelevant<br />
erachtet werden!<br />
‣ Laute (Phone) sind – wie die meisten<br />
Gegenstände der Wissenschaft – durch<br />
Abstraktion erzeugte Objekte!<br />
‣ Die Menge der abstrakten Objekte bilden das<br />
Formalobjekt einer Wissenschaft!<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Materialobjekt vs. Formalobjekt<br />
Formalobjekt (Definition nach K. H. Wagner) =<br />
Das Formalobjekt (das Objekt, der Gegenstand)<br />
einer Wissenschaft ist die Gesamtheit der<br />
Abstraktionen, die dadurch geschaffen werden,<br />
dass das Materialobjekt aus unterschiedlichen<br />
Blickwinkeln <strong>und</strong> mit unterschiedlichen<br />
Erkenntnisinteressen untersucht wird.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Übung: Abstraktion <strong>und</strong> Analyse<br />
In einem Korpus von (erf<strong>und</strong>enen) Daten findet ein<br />
Linguist folgende Wörter:<br />
ek gure<br />
thu gurst<br />
han gurt<br />
vi guren<br />
ek tare<br />
thu tarst<br />
han tart<br />
vi taren<br />
‣ Welche Wortarten liegen hier wohl vor?<br />
‣ Woran erkennt der Linguist das?<br />
‣ Welche Wortstämme kann er isolieren?<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Entstehensbedingungen wiss. Gegenstände<br />
Indem das Formalobjekt einer Wissenschaft durch die<br />
Betrachtungsweise entsteht, ist es deren geschichtlichen<br />
Entwicklung unterworfen <strong>und</strong> zu bestimmten<br />
Zeitpunkten von diversen Faktoren abhängig, z.B.:<br />
1) Entwicklungsstand der Wissenschaft<br />
2) Subjektive <strong>und</strong> objektive Erkenntnisinteressen<br />
3) Wissenschafts- <strong>und</strong> erkenntnistheoretische<br />
Gr<strong>und</strong>positionen des Forschers<br />
4) Abgrenzungsprobleme zu anderen Disziplinen<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Erkenntnistheoretische Gr<strong>und</strong>positionen<br />
Beispiel Empirismus:<br />
Theoriebildung auf der Gr<strong>und</strong>lage (großer) Mengen<br />
empirischer Daten; Theorie wird durch beobachtbare<br />
Daten verifiziert → induktives Vorgehen, Bezug zum<br />
Behaviorismus<br />
vs. Rationalismus:<br />
Theoriebildung auf der Gr<strong>und</strong>lage von (wenigen)<br />
Daten; Überprüfung <strong>und</strong> Testen der Theorie durch<br />
Falsifikation → deduktives Vorgehen, Bezug zu<br />
kognitiver Psychologie, Mentalismus<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Abgrenzungsprobleme – Linguistik?<br />
Was rechtfertigt die Etablierung einer eigenen<br />
Wissenschaft von der <strong>Sprache</strong>? Linke et al. 2004: 5f.:<br />
1) Sprachbetrachtung um der <strong>Sprache</strong> willen:<br />
<strong>Sprache</strong> im Zentrum des Analyseinteresses<br />
2) Vollständigkeit der Beschreibung: <strong>Sprache</strong> soll<br />
in ihrer Gesamtheit zum Thema werden:<br />
a) Was bedeutet <strong>Sprache</strong>?<br />
b) Welche Phänomene sind als sprachliche zu<br />
bezeichnen <strong>und</strong> wie hängen diese zusammen?<br />
3) Neuartige Fragestellungen<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Teildisziplinen der theoretischen Linguistik<br />
<strong>Sprache</strong> wird in der theoretischen Linguistik als System<br />
aus mehreren Teilsystemen gefasst – Teilsysteme, die<br />
aufeinander aufbauen <strong>und</strong> miteinander interagieren.<br />
Übung – Beispielssatz:<br />
Die Hütte wird achtsam von den feuchtfröhlichen<br />
Damen mit den grünen Hüten betreten.<br />
1) Über welche Strukturkenntnisse des Deutschen muss<br />
der Sprecher verfügen?<br />
2) Und welchen sprachlichen Strukturebenen könnten<br />
wir diese Kenntnisse zuordnen?<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Sprachliche Strukturebenen – Beispiele<br />
‣ Phonologie, Phonetik:<br />
‣Z.B. Lautung von ‚achtsam‘ – Allophon [x] nach zentral/tiefem<br />
Vokal<br />
‣ Schriftsystem, Orthographie<br />
‣Z.B. Schärfungsgraphie in ‚Hütte‘ – Verdopplung des<br />
Konsonantengraphems bei Silbengelenken<br />
‣ Morphologie<br />
‣Flexion z.T. mit Stammmodifikation (Allomorph ‚Hüt‘ in Hüt#e);<br />
Komposition <strong>und</strong> Derivation in ‚feuchtfröhlich‘<br />
‣ Syntax<br />
‣Verbzweitsprache mit Satzklammer<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Teildisziplinen der theoretischen Linguistik<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Linguistische Disziplinen (nach Christian Lehmann)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Sprachbegriffe von Saussure <strong>und</strong> Chomsky<br />
Von den zahlreichen Versuchen, den Gegenstand<br />
der <strong>Sprachwissenschaft</strong> näher zu bestimmen,<br />
wollen wir noch zwei näher betrachten, da sie<br />
den Gang der neueren theoretischen Linguistik<br />
entscheidend geprägt haben:<br />
1) Ferdinand de Saussure: Langue <strong>und</strong> Parole<br />
2) Noam Chomsky: Kompetenz <strong>und</strong> Performanz<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Dichotomie: Synchronie vs. Diachronie<br />
Ferdinand de Saussure (vgl. Saussure 2001: 121):<br />
‣ Differenzierung zwischen diachronischer <strong>und</strong><br />
synchronischer <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
‣ Diachronischer <strong>Sprachwissenschaft</strong>ler: erforscht<br />
die historische Entwicklung einzelner <strong>Sprache</strong>n.<br />
‣ Synchronischer <strong>Sprachwissenschaft</strong>ler: nimmt<br />
eine statische Perspektive ein <strong>und</strong> untersucht<br />
einen gegebenen „Zustand“ von <strong>Sprache</strong>.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Synchronische <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
Der synchronische <strong>Sprachwissenschaft</strong>ler<br />
„befasst sich mit logischen <strong>und</strong><br />
psychologischen Verhältnissen, welche<br />
zwischen gleichzeitigen Gliedern, die ein<br />
System bilden, bestehen, so wie sie von<br />
einem <strong>und</strong> demselben<br />
Kollektivbewusstsein wahrgenommen<br />
werden.“ (Saussure 2001: 119)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Synchronische <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
Saussures Logik – allein die synchronische<br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong> vermag das ‚Systemhafte‘<br />
von <strong>Sprache</strong> zu erfassen:<br />
‣ Zu jedem gegebenen Zeitpunkt befindet sich<br />
eine <strong>Sprache</strong> in einem Sprachzustand X.<br />
‣ X stellt ein bestimmtes, in sich strukturiertes<br />
Zeichensystem dar, dessen Strukturen wir<br />
untersuchen <strong>und</strong> das wir in seiner synchronen,<br />
d.i. ‚simultanen’ Ordnung erfassen können.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Dichotomie: Syntagmatik vs. Paradigmatik<br />
Die Zeichen von<br />
X können dabei<br />
zueinander in<br />
Z<br />
paradigmatischer<br />
oder<br />
syntagmatischer<br />
Relation stehen!<br />
Z<br />
Z<br />
Z<br />
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Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Syntagmatik vs. Paradigmatik<br />
Syntagmatische Achse (<strong>und</strong>-Achse)<br />
Vor dem Haus steht ein Baum.<br />
Z<br />
Neben dieser Schule ist der Kiosk.<br />
Paradigmatische Z Achse (oder-Achse)<br />
Z<br />
‣Elemente einer syntagmatischen Z<br />
Relation sind<br />
linear angeordnet <strong>und</strong> bilden eine Einheit.<br />
‣Elemente einer paradigmatischen Relation<br />
können füreinander substituiert werden.<br />
Z<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Synchronische <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
Saussures Logik – Primat der Synchronie:<br />
‣ Ein System lässt sich ausschließlich dann<br />
erkennen <strong>und</strong> beschreiben, wenn wir uns auf<br />
den Standpunkt eines gewissen Zustandes X<br />
stellen.<br />
‣ Diachronische Perspektive setzt die<br />
synchronische voraus: Untersuchung von<br />
Relationen zwischen Gliedern, die zu jeweils<br />
unterschiedlichen Systemen von zeitlich<br />
einander nachfolgenden Sprachzuständen X <strong>und</strong><br />
Y gehören<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Dichotomie: Langue vs. Parole<br />
Nach Saussure soll nun ,die <strong>Sprache</strong>’ – begrifflich<br />
gefasst als Langue <strong>und</strong> explizit verstanden als ein<br />
in sich strukturiertes bzw. geordnetes<br />
Zeichensystem –,<br />
<strong>und</strong> nicht das ‚Sprechen’ – begrifflich gefasst als<br />
Parole – der erklärte primäre<br />
Forschungsgegenstand der <strong>Sprachwissenschaft</strong><br />
bzw. Linguistik werden.<br />
Saussures Perspektive:<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Wissenschaftsfokus: Primat der Langue<br />
Saussures Perspektive:<br />
‣ Sprachzeichen ordnen sich durch kollektive<br />
Übereinstimmung vieler Sprecher zu einem<br />
System – dabei stellen sie keine abstrakten<br />
Gebilde, sondern Realitäten im menschlichen<br />
Gehirn dar (vgl. Saussure 2001: 18).<br />
‣ Das Sprachsystem kommt im Sprechakt ‚zur<br />
Anwendung’ <strong>und</strong> ist derart dem<br />
Sprechakt/dem Sprechen als ein ‚an sich<br />
existierendes Gebilde‘ logisch vorzuordnen!<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Saussure: Langue vs. Parole<br />
Phänomen der menschlichen <strong>Sprache</strong><br />
bzw. Rede in seiner Gesamtheit =<br />
Langage<br />
→ kein mögliches Forschungsobjekt;<br />
zu vielförmig, zu ungleichartig<br />
Langue =<br />
das ‚überindividuelle‘, ‚soziale‘<br />
Sprachsystem einer Einzelsprache<br />
→ autonomes System von Zeichen<br />
mit autonomer innerer Ordnung<br />
Anwendung der langue →<br />
Parole =<br />
dynamische, individuelle <strong>und</strong> soziale<br />
Aktivität in Zeit <strong>und</strong> Raum; Sprechen<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Saussure vs. Chomsky<br />
Das Paradigma ‚<strong>Sprache</strong>/Sprachsystem vor<br />
Sprechen/Sprachgebrauch‘ überlebt <strong>und</strong> erreicht<br />
gerade durch den amerikanischen Linguisten<br />
seinen wissenschaftstheoretischen Höhepunkt,<br />
der selbst gegen das offizielle Saussure’sche Erbe<br />
bzw. im Besonderen gegen den amerikanischen,<br />
behavioristisch orientierten Strukturalismus<br />
opponiert <strong>und</strong> damit seinerseits erneut eine<br />
sprachwissenschaftliche Revolution auslöst:<br />
Noam Chomsky<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Chomskys Kritik am Behaviorismus<br />
Erinnere die Gr<strong>und</strong>idee des behavioristischen<br />
Strukturalismus – <strong>Sprache</strong> als reines (äußerlich<br />
wahrnehmbares) Verhalten:<br />
‣ Zurückweisung jeglicher innerer, mentaler<br />
Zustände; allein das objektiv/intersubjektiv<br />
zugängliche <strong>und</strong> ‚wissenschaftlich messbare‘<br />
Verhalten wird als real erachtet<br />
‣ Bedeutung sprachlicher Zeichen wird in strikter<br />
Weise auf ‚Reize <strong>und</strong> Reaktionen‘ während des<br />
Sprachgebrauchs zu reduzieren ersucht<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Chomskys Kritik am Behaviorismus<br />
Burrhus Frederic Skinner (1904-1990) – ‚Verbal Behavior‘<br />
(1957): strikt funktionale Analyse sprachlichen<br />
Verhaltens, in Hinordnung auf ‚Beobachtungen oder<br />
Beeinflussungen der physikalischen Umgebung des<br />
Sprechers‘<br />
Reiz: Hunger<br />
Übertragung der<br />
Reaktion auf eine<br />
andere Person qua<br />
sprachlicher Äußerung<br />
Ich hab Hunger<br />
O.K. Ich hol<br />
dir was.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Chomskys Kritik am Behaviorismus<br />
Der behavioristische Strukturalist negiert jegliche<br />
psychischen Zustände <strong>und</strong> Prozesse – somit auch<br />
solche, die <strong>Sprache</strong> betreffen! Chomskys Kritik:<br />
‣ Amerikanische Strukturalisten häufen allein<br />
Daten an, ordnen <strong>und</strong> katalogisieren diese –<br />
Erkenntniswert bleibt auf der Ebene traditioneller<br />
Grammatiken.<br />
‣ Es wird nicht das reale mentale Regelwissen eines<br />
Menschen, der eine bestimmte <strong>Sprache</strong><br />
vollständig beherrscht, offengelegt (vgl. Chomsky 2004: 53).<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Chomskys Kritik am Behaviorismus<br />
„[… ] Skinner could only say that each of these responses is <strong>und</strong>er the<br />
control of some other stimulus property of the physical object. If we<br />
look at a red chair and say red, the response is <strong>und</strong>er the control of the<br />
stimulus redness; if we say chair, it is <strong>und</strong>er the control of the collection<br />
of properties (for Skinner, the object) chairness (110), and similarly for<br />
any other response. This device is as simple as it is empty. Since<br />
properties are free for the asking (we have as many of them as we have<br />
nonsynonymous descriptive expressions in our language, whatever this<br />
means exactly), we can account for a wide class of responses in terms of<br />
Skinnerian functional analysis by identifying the controlling stimuli. But<br />
the word stimulus has lost all objectivity in this usage. Stimuli are no<br />
longer part of the outside physical world; they are driven back into the<br />
organism. We identify the stimulus when we hear the response. […] We<br />
cannot predict verbal behavior in terms of the stimuli in the speaker's<br />
environment, since we do not know what the current stimuli are until he<br />
responds.” (Chomsky 1959: §III)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Sprachkompetenz vor Performanz<br />
Chomskys Position: Eine <strong>Sprache</strong> zu<br />
beherrschen, sie sprechen <strong>und</strong> verstehen <strong>und</strong> als<br />
Kleinkind erwerben zu können, setzt mentale,<br />
kognitive Strukturen voraus, die pränatal<br />
gegeben bzw. genetisch festgelegt sind:<br />
Mentales Sprachorgan<br />
= Sprachkompetenz<br />
(‚linguistic competence‘, ‚Faculty<br />
of language‘, ‚internal language‘)<br />
vor<br />
Aktueller<br />
Sprachgebrauch =<br />
Sprachperformanz<br />
(‚linguistic performance‘,<br />
‚external language‘)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Sprachkompetenz vor Performanz<br />
Kognition:<br />
Sprachkompetenz<br />
Sprachgebrauch:<br />
Performanz<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Sprachkompetenz vor Performanz<br />
Chomskys radikale Position:<br />
Alles, was <strong>Sprache</strong> ausmacht <strong>und</strong> hervorbringt,<br />
ist der mentalen Sprachkompetenz geschuldet.<br />
Forschungsfokus der Linguistik muss allein die<br />
Sprachkompetenz sein.<br />
(Vgl. auch Chomsky 1973: 15, 48f.)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Hintergr<strong>und</strong> der Position Chomskys<br />
Bis dato ungestellte Fragen:<br />
Wie gelangt ein Muttersprachler zu<br />
Grammatikalitätsurteilen? Woher ‚weiß‘ der<br />
Muttersprachler, dass (1) grammatisch, (2) aber<br />
ungrammatisch (obwohl semantisch sinnvoll) ist?<br />
1) The dog looks terrifying.<br />
„Der H<strong>und</strong> sieht furchterregend aus.“<br />
2) *The dog looks lamb.<br />
„Der H<strong>und</strong> sieht Lamm aus.“<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Bis dato ungestellte Fragen<br />
‣ Warum kann jeder Sprecher in seiner<br />
Muttersprache nie zuvor gehörte oder geäußerte,<br />
grammatisch korrekte Sätze formulieren <strong>und</strong><br />
verstehen?<br />
‣ Warum kann er theoretisch unendlich viele neue<br />
Sätze produzieren, selbst wenn sein sprachliches<br />
Wissen endlich sein muss? (→ „Kreativität der<br />
<strong>Sprache</strong>“; vgl. Chomsky 2004: 53)<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Bis dato ungestellte Fragen<br />
Wie können ges<strong>und</strong>e Kleinkinder in einem Alter, in<br />
dem sie gerade erst des Laufens mächtig sind,<br />
unabhängig<br />
1) von der Ethnie ihrer genetischen Eltern,<br />
2) von ihrem eigenen genauen Intelligenzgrad<br />
3) von der Qualität des sprachlichen Inputs<br />
das orale Sprachsystem ihrer jeweiligen<br />
‚Caretaker’ in einem äußerst kurzen Zeitraum<br />
erwerben (vgl. u.a. Chomsky 1977: 12f.)?<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Chomskys Lösung: Universalgrammatik<br />
Chomskys Antwort: eine allem Gebrauch<br />
vorausgehende, ergo angeborene, <strong>und</strong> dann<br />
auch folglich allen Menschen gleichermaßen<br />
angeborene, ergo universale Sprachfähigkeit<br />
These der<br />
genetisch festgelegten, rein kognitiven <strong>und</strong><br />
jeglicher Sprachproduktion <strong>und</strong> Sprachrezeption<br />
vorgeordneten Sprachkompetenz<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Chomskys Lösung: Universalgrammatik<br />
Man beachte:<br />
Inzwischen liegen durchaus auch alternative<br />
Theorien bzw. Differenzierungen seines Ansatzes<br />
vor; zurzeit Chomskys Eintreten in den<br />
wissenschaftlichen Diskurs löste dieser allerdings<br />
einen Paradigmenwechsel aus:<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Chomskys Lösung: Universalgrammatik<br />
‣ Chomsky wird zum Initiator einer ‚neuen’<br />
kognitiv orientierten Linguistik <strong>und</strong> zu einem<br />
der bedeutendsten Linguisten seines<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />
‣ Er war maßgeblich an der Demontage des<br />
Behaviorismus <strong>und</strong> am damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Aufstieg der so genannten Cognitive Science<br />
beteiligt, welche eine zahlreiche Disziplinen<br />
durchströmende ‚Kognitive Wende’<br />
konstituierte.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Saussures Langue vs. Chomskys Kompetenz<br />
Langue = das einer sozialen Sprachgemeinschaft<br />
angehörige System einer Einzelsprache, das dem<br />
Gebrauch dieser Einzelsprache vorgeordnet ist<br />
Faculty of Language = eine universale<br />
psychologische Fähigkeit, die in allen ges<strong>und</strong>en<br />
menschlichen Gehirnen auf die gleiche Weise<br />
kognitiv verankert ist <strong>und</strong> damit die notwendige<br />
Voraussetzung für jeden Sprachgebrauch bzw. für<br />
jede mögliche natürliche <strong>Sprache</strong> bildet<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Abschlussdiskussion<br />
In 4-Gruppen:<br />
Beziehen Sie Position für <strong>und</strong> gegen<br />
Chomskys These einer Faculty of Language<br />
auf der Basis von Pro- <strong>und</strong> Contra-<br />
Argumenten!<br />
Slam: Je zwei Gruppen treten<br />
gegeneinander an.<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter
Literatur zur Nachbereitung<br />
‣ „<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> Sprechen“:<br />
Kessel <strong>und</strong> Reimann 2012: Kap. V<br />
‣ „Gr<strong>und</strong>fragen der allgemeinen<br />
<strong>Sprachwissenschaft</strong>“:<br />
Saussure in Hoffmann 2010: S. 39-57<br />
Einführung in die <strong>Sprachwissenschaft</strong> des Deutschen – Dr. Alex Zepter