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DirectDay 2013<br />

Menschen und Masch<strong>in</strong>en<br />

Wenn Unterschiede unsichtbar werden<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Miriam</strong> Meckel<br />

Seit sechs Jahren veröffentlicht das IT-Unternehmen IBM zum<br />

Jahresende e<strong>in</strong>e Vorhersage zu den fünf wesentlichen<br />

Technologietrends („The IBM 5 <strong>in</strong> 5. In der aktuellen Vorhersage<br />

vom 19. Dezember 2011 lautet Trend Nr. 3 „Gedankenlesen ist<br />

nicht länger Science Fiction“. 1 In e<strong>in</strong>em kurzen Video zum Thema<br />

<strong>wird</strong> erläutert, wie das Unternehmen daran forscht, das<br />

menschliche Gehirn mit technischen Geräten, wie dem Computer<br />

oder dem Smartphone zu verb<strong>in</strong>den, so dass der Mensch ke<strong>in</strong>e<br />

Tasten mehr drücken muss, um e<strong>in</strong>en Befehl <strong>in</strong> den Computer<br />

e<strong>in</strong>zugeben oder e<strong>in</strong>en anderen Menschen zu kontaktieren. „Du<br />

musst nur daran denken, jemanden anzurufen, und schon passiert<br />

es.“<br />

Gedankenlesen ist nicht länger Science Fiction<br />

Wenn diese Prognose zutrifft, dann steuern die Menschen ihre<br />

Masch<strong>in</strong>e künftig durch Gedanken. Dann entfallen immer mehr<br />

Schnittstellen zwischen menschlichem Körper und dem Computer,<br />

bis h<strong>in</strong> zu der Möglichkeit, m<strong>in</strong>iaturisierte Masch<strong>in</strong>en direkt <strong>in</strong> den<br />

menschlichen Körper zu implantieren. Das U.S. amerikanische<br />

Unternehmen Applied Digital Solutions hat längst e<strong>in</strong>en<br />

implantierbaren „Verichip“ auf Basis der auf Radiofrequenztechnik<br />

aufsetzenden RFID-Technologie entwickelt (Radio Frequency<br />

Identification Technology). Der Chip kann zum Beispiel <strong>in</strong><br />

Herzschrittmachern e<strong>in</strong>gebaut werden, um per Ferndiagnose zu<br />

überwachen, ob der Träger des Schrittmachers <strong>in</strong> Ohnmacht<br />

gefallen ist. Leicht lässt sich e<strong>in</strong> solcher Chip auch mit GPS-<br />

Technologie erweitern, also mit der Möglichkeit versehen, jederzeit<br />

den Aufenthaltsort und den Bewegungsradius e<strong>in</strong>es Menschen oder<br />

e<strong>in</strong>es Tieres nachzuvollziehen.<br />

1<br />

IBM, the IBM 5 <strong>in</strong> 5, 17.12.2011, onl<strong>in</strong>e:<br />

http://asmarterplanet.com/blog/2011/12/the-next-5-<strong>in</strong>-5-our-forecast-offive-<strong>in</strong>novations-that-will-alter-the-landscape-with<strong>in</strong>-five-years.html<br />

(2.1.2012).<br />

Wir können also zukünftig nicht nur unsere Brille kontaktieren, um<br />

zu fragen ‚wo steckst du bloß wieder’, und die Brille antwortet<br />

unmittelbar mit den detailgenauen Angaben ihres aktuellen<br />

Aufenthaltsorts. Wir könnten beispielsweise auch Haustiere, K<strong>in</strong>der<br />

oder Partner mit Hilfe dieser Chiptechnologie <strong>in</strong> die ferngesteuerte<br />

Sicherungsverwahrung nehmen – e<strong>in</strong>e Tatsache, die unter dem<br />

Begriff „Barcod<strong>in</strong>g Humans“ (den Menschen mit e<strong>in</strong>em Barcode<br />

versehen) bereits harsche Kritik hervorgerufen hat. 2<br />

Seit Jahren forschen Wissenschaftler auch an der erweiterten<br />

Nutzung von Computer-Hirn-Schnittstellen, über die beispielsweise<br />

gelähmte Menschen dem Computer Befehle geben können. <strong>Die</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung von Mensch und Masch<strong>in</strong>e erfolgt dabei über am Kopf<br />

angebrachte oder <strong>in</strong>s Gehirn implantierte Elektroden, die<br />

spezifische, e<strong>in</strong>zelnen Körperbewegungen zugeordnete<br />

Signalmuster entschlüsseln und <strong>in</strong> Computersprache umsetzen. So<br />

lassen sich Computer oder auch künstliche Gliedmaßen alle<strong>in</strong> per<br />

Gedanken steuern. 3 Bislang konzentrierte sich diese Forschung auf<br />

die mediz<strong>in</strong>ischen Anwendungen, aber auch die Spiele<strong>in</strong>dustrie<br />

arbeitet längst an gedankengesteuerten Computerspielen.<br />

<strong>Die</strong> Möglichkeit, unsere Gedanken durch Computer auslesen zu<br />

lassen oder, umgekehrt, die Masch<strong>in</strong>e durch Gedanken zu steuern,<br />

ist nun der weitreichendste Entwurf e<strong>in</strong>er umfassende Vernetzung<br />

und Verb<strong>in</strong>dung des menschlichen Lebensalltags mit dem Internet.<br />

Der Mensch <strong>wird</strong> vollständig analysierbar und berechenbar, also<br />

vorhersagbar. Das kann das Leben <strong>in</strong> vielen alltäglichen Rout<strong>in</strong>en<br />

erleichtern. Aber: Wer hat zukünftig die Kontrolle über diese<br />

Berechnungen und Steuerungen? S<strong>in</strong>d es noch die Individuen,<br />

2<br />

Angela Swafford, Barcod<strong>in</strong>g Humans: The era of implant<strong>in</strong>g people with<br />

identity chips is up on us, <strong>in</strong>: Boston Globe vom 20.5.2003, onl<strong>in</strong>e:<br />

http://www.prisonplanet.com/barcod<strong>in</strong>g_humans.html (2.1.2012).<br />

3<br />

Markus Becker, Der heiße <strong>Dr</strong>aht zum Hirn, 26.11.2009, onl<strong>in</strong>e:<br />

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mediz<strong>in</strong>/0,1518,663300,00.html,<br />

2.1.2012.<br />

DirectDay 2013 - <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Miriam</strong> Meckel 26. November 2013 Seite 1


Menschen und Masch<strong>in</strong>en - Wenn Unterschiede unsichtbar werden<br />

denen die ausgelesenen und zur Steuerung weiterer Prozesse<br />

genutzten Gedanken <strong>in</strong> ihrer Entstehung zugeordnet werden<br />

können, oder haben auch andere Menschen oder Organisationen<br />

Zugriff darauf, die unsere Daten zu eigenen Zwecken nutzen?<br />

Durch den Prozess des Zusammenwachsens von Mensch und<br />

Masch<strong>in</strong>e verändern sich wesentliche Parameter menschlichen<br />

Lebens und menschlicher Existenz. Er ermöglicht (1) die umfassende<br />

Personalisierung der Information; (2) die grenzenlose<br />

Veröffentlichung <strong>in</strong>dividueller menschlicher Existenz; (3) den<br />

Entwurf des Menschen als Hybridwesen aus Technik und Geist,<br />

Masch<strong>in</strong>e und Körper, der bekannte, unser Leben prägende<br />

Unterscheidungen <strong>in</strong> Frage stellt.<br />

1 Das algorithmisch personalisierte Internet: Ich b<strong>in</strong> me<strong>in</strong><br />

<strong>Prof</strong>il<br />

Zunächst hatte niemand so recht bemerkt, was es bedeutete, als<br />

Google Ende 2009 se<strong>in</strong>en Suchalgorithmus änderte und von der<br />

generalisierten auf die personalisierte Suche umstellte. Wer immer<br />

nun etwas im Internet sucht, bekommt <strong>in</strong>dividualisierte Ergebnisse.<br />

Dabei werden vorherigen Suchanfragen mit den Daten, die<br />

ansonsten im Internet über die Nutzer<strong>in</strong>nen und Nutzer kursieren,<br />

komb<strong>in</strong>iert, ausgewertet, gewichtet und weiterverarbeitet. Jeder<br />

bekommt die Suchergebnisse aufgelistet, die am besten zu se<strong>in</strong>en<br />

bisherigen Präferenzen passen. So entsteht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelles <strong>Prof</strong>il<br />

e<strong>in</strong>es jeden Menschen, das zum Ansprechpartner der Masch<strong>in</strong>e<br />

<strong>wird</strong>.<br />

Auf diesem Wege verschw<strong>in</strong>det sukzessive die unerwartete<br />

Entdeckung, die durch e<strong>in</strong>en glücklichen Zufall möglich <strong>wird</strong>. Er<br />

<strong>wird</strong> schlicht aus der Netznutzung herausgerechnet. In der<br />

englischen Sprache nennen wir diese menschliche Lebensform der<br />

Zufallsentdeckung „Serendipity“. 4 „Serendipity“ tritt <strong>in</strong> unser<br />

Leben, wenn wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buchladen plötzlich e<strong>in</strong> Buch <strong>in</strong> der Hand<br />

haben, das durch se<strong>in</strong>en Umschlag unsere Aufmerksamkeit geweckt<br />

hat, wenn wir plötzlich e<strong>in</strong>e Zeitungsreportage anlesen und<br />

gefesselt s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> der Begegnung mit e<strong>in</strong>em Menschen, <strong>in</strong> den wir<br />

uns verlieben, obwohl er nicht unseren „Idealvorstellungen“<br />

entspricht. Und „Serendipity“ liegt auch dar<strong>in</strong>, dass wir<br />

unbekannten Themen begegnen, die uns z.B. politisch aktiv werden<br />

lassen, weil es uns wichtig ersche<strong>in</strong>t.<br />

Das personalisierte Internet kann zwar – noch – ke<strong>in</strong>e Gedanken<br />

lesen, aber es führt zu e<strong>in</strong>em Ergebnis, das dem nahekommt. Wenn<br />

die den Nutzer<strong>in</strong>nen und Nutzern präsentierten Informationen und<br />

Empfehlungen weitgehend auf e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>dividualisierten <strong>Prof</strong>il<br />

beruhen, dann entstehen <strong>in</strong> der Nutzung des Netzes immer weniger<br />

Zufallsbegegnungen, dann <strong>wird</strong> die Welt zu e<strong>in</strong>em Hohlspiegel<br />

unserer <strong>in</strong>dividuellen Vorstellungen, Wünsche und Präferenzen und<br />

wir leiden irgendwann unter „Weltkurzsichtigkeit“. 5 Und wenn das<br />

4<br />

Robert Merton & El<strong>in</strong>or Barbar, The Travels and Adventures of Serendipity,<br />

Pr<strong>in</strong>ceton 2004.<br />

5<br />

<strong>Miriam</strong> Meckel, Weltkurzsichtigkeit: Wie der Zufall aus unserem digitalen<br />

Netz immer umfassender über das Internet der D<strong>in</strong>ge, Augmented<br />

Reality (Erweiterung der menschlichen S<strong>in</strong>ne durch<br />

Computertechnologie) und Implantate mit uns verbunden <strong>wird</strong>,<br />

dann betrifft dieser Wandel nicht alle<strong>in</strong> unser Informations- und<br />

Kommunikationsverhalten, sondern bald unser ganzes Leben. Wir<br />

leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „Filterblase“, 6 die aus den für uns vorgefilterten<br />

Informationen, Angeboten und Möglichkeiten entsteht, und was<br />

immer wir sagen oder tun, es <strong>wird</strong> uns den eigenen Interessen und<br />

Vorstellungen entsprechend wie aus e<strong>in</strong>er „Echo-Kammer“ 7<br />

widergespiegelt.<br />

<strong>Die</strong>se Personalisierung <strong>in</strong> der Vernetzung hat Vorteile. Sie macht das<br />

Leben e<strong>in</strong>facher, erleichtert den Menschen die Nutzung ihrer<br />

bevorzugten Angebote – die Vollendung der Individualisierung mit<br />

digitalen Mitteln. Wenn es dabei um die richtige Joghurt- oder<br />

Brillenmarke geht, mag es zu verschmerzen se<strong>in</strong>, dass die zufällige<br />

Auswahl e<strong>in</strong>es anderen Produktes im Zuge der Personalisierung<br />

immer unwahrsche<strong>in</strong>licher <strong>wird</strong>. Wenn es dagegen um politische<br />

Informationen geht, ist größere Skepsis angebracht. Klickt man bei<br />

Facebook beispielsweise über e<strong>in</strong>en gewissen Zeitraum nur Status<br />

Updates von Politikern e<strong>in</strong>er bestimmten Partei an, so rechnet der<br />

Algorithmus dieses Verhalten <strong>in</strong> Präferenz um und zeigt die<br />

entsprechenden Meldungen auch immer häufiger, während die von<br />

Vertretern anderer politischer Richtungen seltener bis gar nicht<br />

mehr berücksichtigt werden.<br />

Wer über die dah<strong>in</strong>ter liegenden Mechanismen Bescheid weiß, kann<br />

aktiv nach alternativen Informationen suchen. Wer sie nicht kennt,<br />

kann dem Glauben verfallen, es gäbe <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Lebenswelt nur noch<br />

e<strong>in</strong>e politische Farbe. So kann e<strong>in</strong>e „Schweigespirale 2.0“ 8<br />

entstehen, <strong>in</strong> der Netznutzer<strong>in</strong>nen und -nutzer dem E<strong>in</strong>druck<br />

faktisch nicht vorhandener Mehrheitsme<strong>in</strong>ungen unterliegen, die<br />

letztlich nicht mehr s<strong>in</strong>d als e<strong>in</strong> Rechenergebnis algorithmischer<br />

Personalisierung. Der ehemalige Google Chef Eric Schmidt hat die<br />

Folgen des personalisierten Internet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview auf den<br />

Punkt gebracht: „Wir wissen immer, wo du bist. Wir wissen, wo du<br />

warst. Wir wissen mehr oder weniger, was du denkst.“ 9<br />

2 <strong>Die</strong> grenzenlose Veröffentlichung des Lebens: Du siehst<br />

me<strong>in</strong> <strong>Prof</strong>il<br />

Im Internet werden nicht nur unsere <strong>Prof</strong>ile, unsere persönlichen<br />

Daten und technischen Lebensverhältnisse vernetzt, sie werden<br />

auch sichtbar gemacht. Das Pr<strong>in</strong>zip hat sich nicht verändert, seit<br />

1991 mit der „Trojan Coffee Cam“ die erste Webcam an der<br />

Leben verschw<strong>in</strong>det, <strong>in</strong>: Der Spiegel, Nr. 38 vom 18.9.2010, S. 120-121.<br />

6<br />

Eli Pariser, The Filter Bubble: What the Internet is Hid<strong>in</strong>g from You, New<br />

York 2011.<br />

7<br />

Cass Sunste<strong>in</strong>, Republic.com 2.0, Pr<strong>in</strong>ceton 2007.<br />

8<br />

Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann, <strong>Die</strong> Schweigespirale – öffentliche<br />

Me<strong>in</strong>ung, unsere soziale Haut, München 1980.<br />

9<br />

Google’s CEO, laws are wirtten by lobbyists, 1.10.2010, onl<strong>in</strong>e:<br />

http://www.theatlantic.com/technology/archive/2010/10/googles-ceo-thelaws-are-written-by-lobbyists/63908/#video,<br />

3.1.2012.<br />

DirectDay 2013 - <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Miriam</strong> Meckel 26. November 2013 Seite 2


Menschen und Masch<strong>in</strong>en - Wenn Unterschiede unsichtbar werden<br />

Universität Cambridge onl<strong>in</strong>e g<strong>in</strong>g. Sie zeigte den Füllstand der<br />

e<strong>in</strong>zigen Kaffeemasch<strong>in</strong>e im Bereich des Computerlabors und<br />

ersparte Wissenschaftlern <strong>in</strong> weit entfernten W<strong>in</strong>keln des Labors<br />

vergebliche Wege zum Kaffeenachschub. 10 Heute werden nicht nur<br />

Füllstände von Kaffeekannen <strong>in</strong>s weltweite Netz übertragen,<br />

sondern millionenfach die Wetterverhältnisse <strong>in</strong> allen W<strong>in</strong>keln der<br />

Welt, die Geschehnisse <strong>in</strong> Fitnessstudios, auf Bowl<strong>in</strong>g Bahnen und<br />

<strong>in</strong> privaten Wohn- und Schlafzimmern.<br />

Bei Facebook können Nutzer<strong>in</strong>nen und Nutzer neuerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der<br />

„Timel<strong>in</strong>e“ ihr Leben von der Geburt bis zum Tod dokumentieren.<br />

Wenn sie sich so entwickelt, wie Facebook es plant, dokumentiert<br />

sie künftig schlicht alles, was alle tun. Dazu müssen die Nutzer<strong>in</strong>nen<br />

und Nutzer gar nicht mehr durchgängig selbst aktiv werden. Unsere<br />

Aufenthaltsorte und Tätigkeiten werden nicht mehr nur durch<br />

unsere eigenhändig e<strong>in</strong>gestellten Informationen und Fotos<br />

nachgeführt, sondern auch halbautomatisch mithilfe von Apps, die<br />

mitzeichnen, welche Musik wir hören, welche Filme wir schauen,<br />

was wir gerade lesen, um unsere Facebook Freunde daran teilhaben<br />

zu lassen.<br />

<strong>Die</strong> neue „Timel<strong>in</strong>e“ setzt damit um, was der Informatiker und<br />

Künstler David Gelernter als unsere digitale Zukunft entwirft – den<br />

„Lifestream“, <strong>in</strong> dem alle je verfügbaren Informationen gesammelt<br />

und zu e<strong>in</strong>em stetigen Strom der Daten, Bilder, Videos<br />

zusammengefasst werden. 11<br />

Für das menschliche Leben gilt der alte Satz über das Ganze, das<br />

mehr ist als die Summe se<strong>in</strong>er Teile. Ich b<strong>in</strong> nicht nur das digitale<br />

Abbild me<strong>in</strong>er selbst, und sei das noch so sekundengenau<br />

dokumentiert. Deshalb ist schon die Annahme des Facebook-<br />

Gründers Mark Zuckerberg problematisch, wir könnten künftig<br />

unser ganzes Leben auf e<strong>in</strong>er Seite dokumentieren. Das würde<br />

bedeuten, unsere digitalen Abbilder als unser Selbst zu begreifen.<br />

<strong>Die</strong> unbekannte Seite e<strong>in</strong>es Menschen? <strong>Die</strong> gibt es nicht mehr,<br />

wenn sie nicht im „Lifestream“ aufsche<strong>in</strong>t. Ich b<strong>in</strong> me<strong>in</strong> digitales<br />

<strong>Prof</strong>il.<br />

<strong>Die</strong> Phasen unseres Lebens, die wir nicht gerne dokumentiert<br />

hätten, werden ganz sicher <strong>in</strong> der „Timel<strong>in</strong>e“ verzeichnet se<strong>in</strong>.<br />

Selbst wenn wir selbst sorgsam darauf geachtet haben, ke<strong>in</strong>e<br />

Informationen über unsere Ausschweifungen bei Facebook zu<br />

posten, andere werden schon dafür Sorge tragen, dass es<br />

geschieht. Soziale Netzwerke s<strong>in</strong>d transitiv. Wenn A mit B und B mit<br />

C verbunden ist, dann ist <strong>in</strong> der Regel auch A mit C verbunden. 12<br />

Informationen, die ich für me<strong>in</strong>en Facebook-Freundeskreis zur<br />

Verfügung stelle, bleiben also mitnichten sicher <strong>in</strong> diesem Kreis. Sie<br />

ziehen weiter durchs Netzwerk. Das Netz <strong>wird</strong> sich allumfassend<br />

und unbeschränkt an mich er<strong>in</strong>nern, ob ich will oder nicht.<br />

Während wir seit Jahren darüber rätseln, wie wir das digitale<br />

Vergessen möglich machen können, um e<strong>in</strong>en Rest an Privatheit zu<br />

sichern, 13 geht es bei der „Timel<strong>in</strong>e“ um lebenslanges Er<strong>in</strong>nern.<br />

Während Internetexperten gar über die digitale<br />

Reputations<strong>in</strong>solvenz nachdenken, um Nachsicht und die Chance<br />

auf den Neustart auch <strong>in</strong>s digitale Leben h<strong>in</strong>überzuretten, schaltet<br />

Facebook um auf die totale Transparenz. Lebe so, dass jeder Schritt<br />

de<strong>in</strong>es Lebens, alles was du konsumierst, jeder Gedanke, den du<br />

hast, jederzeit für alle sichtbar se<strong>in</strong> kann, so lautet das Motto. <strong>Die</strong><br />

schöne neue Welt e<strong>in</strong>es Lebens mit der digitalen Schere im Kopf.<br />

Schließlich hat das Folgen für den menschlichen Selbstentwurf, für<br />

unsere Identität. Mark Zuckerberg, der Gründer und CEO von<br />

Facebook, hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview e<strong>in</strong>en verräterischen Satz gesagt.<br />

„Du hast e<strong>in</strong>e Identität“, betonte er, „zwei Identitäten zu haben<br />

zeugt von e<strong>in</strong>em Mangel an Integrität.“ 14 Das ist e<strong>in</strong><br />

programmatischer Satz. <strong>Die</strong> sozialen Netzwerke, wie Facebook,<br />

spiegeln künftig nicht nur e<strong>in</strong>e Facette unserer Identität, sie werden<br />

zu unserer Identität. Abweichungen von unserer digitalen<br />

Lebensl<strong>in</strong>ie s<strong>in</strong>d dann nicht mehr vorgesehen. Was nicht onl<strong>in</strong>e ist,<br />

das gibt es nicht. Was aber onl<strong>in</strong>e ist, das ist für viele für immer<br />

sichtbar.<br />

Der Philosoph Jeremy Bentham (1748 – 1832) hat die Idee e<strong>in</strong>er<br />

weitreichenden selbstorganisierten Überwachung durch<br />

Öffentlichkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Konstrukt des „Panopticons“ bereits im 18.<br />

Jahrhundert entwickelt. 15 Was Bentham sich damals noch als<br />

Gebäude vorstellte, als Radialsystem, <strong>in</strong> dem der Wächter jeden im<br />

Gebäude bef<strong>in</strong>dlichen Menschen von e<strong>in</strong>em Überwachungsturm<br />

aus <strong>in</strong> der Mitte sehen konnte, kann heute <strong>in</strong> virtualisierter Form<br />

Modell stehen. Das digitale Panopticon entsteht aus der<br />

gegenseitigen Beobachtung der Menschen im Netz. Es bedarf<br />

ke<strong>in</strong>er Mitte mehr und ke<strong>in</strong>es zentralen Wächters. Und doch kann<br />

die selbstorganisierte Beobachtung zum Identitäts-Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g à<br />

la Zuckerberg führen und womöglich gar zu e<strong>in</strong>er digitalen<br />

Diszipl<strong>in</strong>argesellschaft, wie sie Michele Foucault <strong>in</strong> analoger Form<br />

vorschwebte. 16<br />

Es geht <strong>in</strong> Zukunft also um weit mehr als um neue pragmatische<br />

Herausforderungen im Umgang mit persönlichen. E<strong>in</strong>e davon br<strong>in</strong>gt<br />

das Unternehmen IBM <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Technologievorausschau mit der<br />

zweiten Innovation auf den Punkt: „Du wirst nie wieder e<strong>in</strong><br />

13<br />

Viktor Meyer-Schönberger, Delete. <strong>Die</strong> Tugend des Vergessens <strong>in</strong> digitalen<br />

10<br />

Jörg Schieb, Mit e<strong>in</strong>er Kaffeekanne hat alles angefangen, 8.11.2011,<br />

onl<strong>in</strong>e: http://wdrblog.de/joergschieb/archives/2011/11/webcam.html,<br />

2.1.2012.<br />

11<br />

David Gelernter, <strong>Die</strong> Zukunft des Internet, <strong>in</strong>: Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e<br />

Sonntagszeitung vom 28.2.2010, S. 25.<br />

12<br />

Duncan Watts, Small World: The Dynamics of Networks Between Order<br />

and Randomness, Pr<strong>in</strong>ceton 2004.<br />

Zeiten, Berl<strong>in</strong> 2010.<br />

14<br />

David Kirkpatrick, The Facebook Effect: The Inside Story of the Company<br />

that is Connect<strong>in</strong>g the World, New York 2010, S. 199.<br />

15<br />

Jeremy Bentham, Panopticon, <strong>in</strong>: Miran Bozovic (ed.), The Panopticon<br />

Writ<strong>in</strong>gs, London 1995, S. 29-95.<br />

16<br />

Michel Foucault, Überwachen und Strafen. <strong>Die</strong> Geburt des Gefängnisses,<br />

Frankfurt 1994.<br />

DirectDay 2013 - <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Miriam</strong> Meckel 26. November 2013 Seite 3


Menschen und Masch<strong>in</strong>en - Wenn Unterschiede unsichtbar werden<br />

Passwort brauchen.“ 17 Biometrische Daten, wie das Scann<strong>in</strong>g der<br />

Iris im menschlichen Auge werden mit Hilfe von Software dazu<br />

genutzt werden, e<strong>in</strong> DNA-spezifisches Onl<strong>in</strong>e-Passwort zu erstellen,<br />

mit dem jede Nutzer<strong>in</strong> und jeder Nutzer sich künftig überall<br />

anmelden kann – vom Log<strong>in</strong> im Netz über die Nutzung des<br />

geschützten Smartphones bis zum Geldautomaten oder der<br />

Aktivierung häuslicher Sicherheitssysteme. Das kl<strong>in</strong>gt sehr bequem<br />

und praktisch (und enthebt die Menschen von der oft unsicheren<br />

Verwaltung und Aufbewahrung ihrer zahlreichen Passwörter).<br />

Aber was geschieht, wenn das e<strong>in</strong>e, DNA-spezifische Passwort<br />

gehackt <strong>wird</strong> oder <strong>in</strong> die falschen Hände gerät? <strong>Die</strong> Entschlüsselung<br />

des fehlerhaften Staatstrojaners durch den Chaos Computer Club 18<br />

im Jahr 2011 gibt das Signal: Vorsicht ist angebracht, denn es<br />

geschieht schon jetzt viel mehr, als die Normalnutzer des Netzes<br />

und se<strong>in</strong>er umlagernden digitalen Technologien wissen und<br />

verstehen können, und vieles davon geschieht unsichtbar, alle<strong>in</strong><br />

durch den Code der digitalen Zeit, der Fakten schafft, ohne dass<br />

gleichzeitig die Kontrollen adäquat angepasst werden.<br />

3 Der Mensch als Hybrid: Technik und Geist, Masch<strong>in</strong>e und<br />

Körper<br />

Es ist der ewige Wunsch, menschlichen Geist <strong>in</strong> die Masch<strong>in</strong>e zu<br />

transferieren, der <strong>in</strong> Zeiten der digitalen Vernetzung und<br />

künstlichen Intelligenz neue Nahrung bekommt. 19 Wenn<br />

Gedankenlesen durch die Masch<strong>in</strong>e ke<strong>in</strong>e Science Fiction mehr ist,<br />

hat der menschliche Geist sich dann nicht längst auf den Weg <strong>in</strong> die<br />

Masch<strong>in</strong>e gemacht, auch wenn er zunächst noch aus dem<br />

menschlichen Gehirn ausgelesen werden muss?<br />

Und was ist dann der Mensch, der mit technischer Erweiterung<br />

Schritt für Schritt auch selbst ans globale Netz angeschlossen <strong>wird</strong> –<br />

e<strong>in</strong> technisierter Mensch oder e<strong>in</strong>e humanisierte Masch<strong>in</strong>e? 20<br />

Aus zahlreichen Romanen und Filmen kennen wir die Entwürfe der<br />

Menschmasch<strong>in</strong>en oder Masch<strong>in</strong>enmenschen, die als „Cyborgs“<br />

und „Replikanten“ die Welt bevölkern. 21 Zumeist haben die<br />

Menschen dabei die Masch<strong>in</strong>en anthropomorphisiert, also <strong>in</strong> ihrer<br />

Gestalt nach dem eigenen Vorbild erschaffen. Heute wissen wir,<br />

nicht nur durch die Weiterentwicklung <strong>in</strong> der Erforschung der<br />

künstlichen Intelligenz, dass es auf die äußeren Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />

nicht unbed<strong>in</strong>gt ankommt, sondern vielmehr die Unterscheidbarkeit<br />

von Mensch und Masch<strong>in</strong>e zur neuen Herausforderung geworden<br />

ist.<br />

In se<strong>in</strong>er Abhandlung zum „Ch<strong>in</strong>esischen Zimmer“ hat der<br />

Philosoph John R. Searle das Problem zu lösen versucht. 22 Er hat<br />

anhand e<strong>in</strong>es Beispiels zum Umgang mit e<strong>in</strong>er fremden Sprache (<strong>in</strong><br />

diesem Fall Ch<strong>in</strong>esisch) argumentiert, e<strong>in</strong> Mensch könne s<strong>in</strong>nvolle<br />

Sätze alle<strong>in</strong> nach e<strong>in</strong>em vorgegeben Handbuch und entsprechenden<br />

Regeln der Syntax herstellen, ohne dass er selbst die Sprache<br />

verstehe oder das, was er <strong>in</strong> den jeweiligen Sätzen formuliert habe.<br />

Damit täte dieser beschriebene Mensch nach Searl genau das , was<br />

e<strong>in</strong> Computer tut: Er hantiert nur nach festen Regeln mit Symbolen<br />

und hat damit ke<strong>in</strong>e Fähigkeit zur E<strong>in</strong>sicht, zur Wahrnehmung oder<br />

zum Verstehen. Solange dies so ist, kann dem Computer nach Searl<br />

ke<strong>in</strong>e Intelligenz oder ke<strong>in</strong>e Form von menschlichem oder<br />

menschenähnlichem Geist zugestanden werden.<br />

Searl hat mit se<strong>in</strong>er Argumentation für den zugrundeliegenden<br />

Versuchsansatz Recht. Aber er verkennt, dass wir längst mit e<strong>in</strong>em<br />

anderen Problem konfrontiert s<strong>in</strong>d – dem der schw<strong>in</strong>denden<br />

Unterscheidbarkeit von menschlicher und Masch<strong>in</strong>en<strong>in</strong>telligenz.<br />

Schon der Schachmeister Gary Kasparov verlor 1997 gegen den<br />

IBM-Schachcomputer „Deep Blue“ und gab während des Spiels<br />

mehrfach an, Zeichen von menschlicher Intelligenz im Computer<br />

wieder zu erkennen, „signs of m<strong>in</strong>d <strong>in</strong> the mach<strong>in</strong>e“. 23 Der<br />

Nachfolger von „Deep Blue“, e<strong>in</strong> Computer namens „Watson“, der<br />

ebenfalls von IBM entwickelt wurden, trat im Jahr 2011 beim USamerikanischen<br />

Fernsehquiz „Jeopardy“ gegen die beiden besten<br />

menschlichen Spieler an – und gewann. Nicht weil er so <strong>in</strong>telligent<br />

war, sondern weil er mit 2.800 parallel arbeitenden Rechnern über<br />

so unglaublich große Kapazitäten verfügt, dass er vieles schneller<br />

auswerten und berechnen konnte, als dies den menschlichen<br />

Spielern mit ihrer Intelligenz gelang.<br />

17<br />

IBM, the IBM 5 <strong>in</strong> 5, 17.12.2011, onl<strong>in</strong>e:<br />

http://asmarterplanet.com/blog/2011/12/the-next-5-<strong>in</strong>-5-you-will-neverneed-a-password-aga<strong>in</strong>.html,<br />

2.1.2012.<br />

18<br />

Frank Rieger, Anatomie e<strong>in</strong>es digitalen Ungeziefers, <strong>in</strong>: Frankfurter<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Sonntagszeitung v. 9.10.2011, onl<strong>in</strong>e:<br />

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/e<strong>in</strong>-amtlicher-trojaner-anatomie-e<strong>in</strong>esdigitalen-ungeziefers-11486473.html,<br />

2.1.2012; vgl. auch Constanze<br />

Kurz/Frank Rieger, <strong>Die</strong> Datenfresser. Wie Internetfirmen und Staat sich<br />

unsere persönlichen Daten e<strong>in</strong>verleiben und wie wir die Kontrolle darüber<br />

zurückerlangen, Frankfurt 2011.<br />

19<br />

Oliver Müller, Zwischen Mensch und Masch<strong>in</strong>e. Vom Glück und Unglück<br />

des Homo faber, Berl<strong>in</strong> 2010.<br />

20<br />

<strong>Miriam</strong> Meckel, NEXT. Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong>e Zukunft ohne uns, Re<strong>in</strong>bek<br />

bei Hamburg 2011.<br />

21<br />

Vgl. dazu den Cyberpunk-Klassiker von William Gibson, Neuromancer,<br />

Berl<strong>in</strong> 1998.<br />

Mensch und Masch<strong>in</strong>e: <strong>Die</strong> Unbeobachtbarkeit des<br />

Unterscheidbaren<br />

<strong>Die</strong> wachsende Ununterscheidbarkeit von Mensch und Masch<strong>in</strong>e <strong>in</strong><br />

ihrer Intelligenz- und Kommunikationsleistung hat schon den<br />

Computerpionier Joseph K. Weizenbaum nachhaltig bee<strong>in</strong>druckt –<br />

und so geschockt, dass er sich schließlich aus der Forschung<br />

zurückgezogen hat. 24 Weizenbaum hatte e<strong>in</strong>e Software namens<br />

„Eliza“ entwickelt, die zu therapeutischen Gesprächen e<strong>in</strong>gesetzt<br />

22<br />

John R. Searle, Is the Bra<strong>in</strong>’s M<strong>in</strong>d a Computer Program?, <strong>in</strong>: Scientific<br />

American, (1990) 1, S. 26-31.<br />

23<br />

Hans Moravec: When will computer hardware match the human bra<strong>in</strong>? In:<br />

Journal of Evolution and Technology, 1 (1998), S. 1-17.<br />

24<br />

Joseph Weizenbaum, <strong>Die</strong> Macht der Computer und die Ohnmacht der<br />

Vernunft, Frankfurt 1978, S. 242 ff.<br />

DirectDay 2013 - <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Miriam</strong> Meckel 26. November 2013 Seite 4


Menschen und Masch<strong>in</strong>en - Wenn Unterschiede unsichtbar werden<br />

werden konnte und so „authentisch“ kommunizierte, dass die<br />

Patient<strong>in</strong>nen im Versuch sich weigerten, die Masch<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>ter „Eliza“<br />

zu erkennen und zu akzeptieren.<br />

Wenn Technologie für den Menschen nicht bloß „Instrumentarium<br />

der Dase<strong>in</strong>ssicherung und elementaren Bedürfnisbefriedigung“ ist,<br />

sondern vielmehr „Thema und Signatur se<strong>in</strong>er Selbstdeutung und<br />

Selbstverwirklichung“, 25 dann bedeutet das, der Mensch als<br />

Gattung <strong>wird</strong> sich unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen verändern. Dann<br />

werden wir zu etwas anderem, von dem wir jetzt noch nicht genau<br />

wissen, wie wir es beschreiben können. Es gibt ke<strong>in</strong>e Zauberformel,<br />

die wie <strong>in</strong> Johann W. Goethes Ballade vom „Zauberlehrl<strong>in</strong>g“<br />

Mensch zu Mensch und Masch<strong>in</strong>e zu Masch<strong>in</strong>e zurückverwandeln<br />

könnte. Und es <strong>wird</strong> auch ke<strong>in</strong> Meister kommen. E<strong>in</strong>fach weil es ihn<br />

nicht gibt. Wenn wir ke<strong>in</strong>e Beweise und ke<strong>in</strong>e<br />

Unterscheidungsmöglichkeiten mehr haben, ergeht es uns <strong>in</strong> der<br />

Unbeobachtbarkeit unserer Menschlichkeit schlimmer als dem<br />

Zauberlehrl<strong>in</strong>g: „Heute wissen wir Zauberlehrl<strong>in</strong>ge nicht nur nicht,<br />

daß wir die Entzauberungsformel nicht wissen, oder daß es ke<strong>in</strong>e<br />

gibt; sondern noch nicht e<strong>in</strong>mal, daß wir Zauberlehrl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d.“<br />

Solche Erfahrungen machen ansatzweise z. B. heute schon<br />

Menschen, bei denen über e<strong>in</strong>en Hirnschrittmacher die L<strong>in</strong>derung<br />

der Symptome e<strong>in</strong>er Park<strong>in</strong>sonerkrankung ermöglicht werden kann.<br />

Sie erleben sich sozusagen zwischen zwei Bewusstse<strong>in</strong>szuständen,<br />

zwischen denen sie h<strong>in</strong>- und herschalten können. Ist der „Hirn-<br />

Schrittmacher“ an, geht das Zittern zurück, aber der Patient leidet<br />

unter Sprachstörungen und e<strong>in</strong>er veränderten Stimmlage. Ist er aus,<br />

zittert der Patient, aber hört sich vollkommen normal sprechen.<br />

Während der Zeit, „<strong>in</strong> denen wir das Gerät abgeschaltet hatten,<br />

war mir, als ob <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Kopf e<strong>in</strong> PC e<strong>in</strong>geschaltet wurde, dessen<br />

Brummen und Klicken mir verhießen, daß me<strong>in</strong> Gehirn arbeitete.“ 26<br />

<strong>Miriam</strong> Meckel ist <strong>Prof</strong>essor<strong>in</strong> für Kommunikationsmanagement<br />

an der Universität St. Gallen, Schweiz, Faculty Associate am<br />

Berkman Center for Internet & Society der Harvard University,<br />

USA, und Visit<strong>in</strong>g <strong>Prof</strong>essor an der S<strong>in</strong>gapore Management<br />

University.<br />

Erstveröffentlichung APuZ 7/2012<br />

In der zunehmenden Hybridisierung des Menschen durch die<br />

Verb<strong>in</strong>dung von Masch<strong>in</strong>e und Körper, Technik und Geist liegt also<br />

e<strong>in</strong> Prozess versteckt, den wir als den Verlust der Unterscheidbarkeit<br />

beschreiben können. Wo Computer immer schneller und<br />

leistungsfähiger werden, ist es nicht mehr länger die tatsächliche<br />

Nachbildung menschlicher Intelligenz <strong>in</strong> der Masch<strong>in</strong>e, die<br />

entscheidend ist. Vielmehr <strong>wird</strong> der Unterschied zwischen<br />

menschlicher und Masch<strong>in</strong>en<strong>in</strong>telligenz für den Menschen<br />

unbeobachtbar. Und damit ist er faktisch nicht mehr existent. Der<br />

Computer muss also nicht menschengleich werden. Es reicht, wenn<br />

er uns so ersche<strong>in</strong>t.<br />

25<br />

Hans Blumenberg, Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der<br />

Phänomenologie, <strong>in</strong>: ders.: Wirklichkeiten, <strong>in</strong> denen wir leben. Aufsätze und<br />

e<strong>in</strong>e Rede, Stuttgart 1981, S. 16.<br />

26<br />

Helmut Dubiel, Tief im Hirn, München 2006, S. 125 ff.<br />

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