27.02.2014 Aufrufe

Reisebericht der Studienreise nach Istanbul 14. – 20. April 2013

Reisebericht der Studienreise nach Istanbul 14. – 20. April 2013

Reisebericht der Studienreise nach Istanbul 14. – 20. April 2013

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Reisebericht</strong> <strong>der</strong> <strong>Studienreise</strong> <strong>nach</strong> <strong>Istanbul</strong><br />

<strong>14.</strong> <strong>–</strong> <strong>20.</strong> <strong>April</strong> <strong>2013</strong><br />

LV Leitung: Roswitha Hölzl<br />

StudentInnen: Zainer Katharina, Zinöcker Birgit, Pühringer Romana, Weber Martina, Wasserthal<br />

Sarah, Can Cezmi, Prack Paul, Rabenhaupt Julia, Marques-Rodrigues Anita, Raxendorfer<br />

Elisabeth, Gabriel Christoph, Schönbauer Margit, Stiebitzhofer Bernadette, Weixlbaumer<br />

Axel<br />

Begleitung: Josef Hölzl


Inhalt<br />

Vorwort ................................................................................................................................................... 2<br />

Einleitung ................................................................................................................................................. 3<br />

(An)Reiseimpressionen............................................................................................................................ 3<br />

Politik als zentrales Thema .................................................................................................................. 5<br />

Einrichtungen .......................................................................................................................................... 7<br />

1) Mor Cati - Frauenhaus ................................................................................................................. 8<br />

2) Umut Cocuklari Dernegi - Verein für Straßenkin<strong>der</strong> ..................................................................... 12<br />

3) Friedrich Ebert Stiftung <strong>–</strong> Deutsche Stiftung ................................................................................. 15<br />

4) Fiziksel Engelliler Vakfi - Verein für Menschen m. Behin<strong>der</strong>ung................................................... 18<br />

5) Halkevleri - Volkshäuser ............................................................................................................... 21<br />

6) Üsküdar Genclik Merkezi - Jugendzentrum.................................................................................. 25<br />

Kultur und Freizeit ................................................................................................................................. 28<br />

Die Blaue Moschee ............................................................................................................................ 28<br />

Die Hagia Sophia ................................................................................................................................ 29<br />

Die Zisterne ....................................................................................................................................... 30<br />

Der Galataturm .................................................................................................................................. 31<br />

Der große Basar ................................................................................................................................. 32<br />

Die Prinzeninseln ............................................................................................................................... 33<br />

Impressionen, die wir mitnehmen: ....................................................................................................... 34<br />

Fazit ....................................................................................................................................................... 37<br />

1


Vorwort<br />

Gut vorbereitet wurde erstmals <strong>Istanbul</strong> als Ziel einer <strong>Studienreise</strong> im Rahmen des Bachelor-<br />

Studiums angeflogen. Mit 14 Studierenden vom SO12 durfte ich diese Reise Mitte <strong>April</strong><br />

durchführen, die von Unterschieden geprägt war. Nicht nur das Wetter wies diese auf, auch<br />

die Besuche <strong>der</strong> Einrichtungen konnten nicht gegensätzlicher sein. Alles maßgeblich Prägende<br />

ist die politische Lage in diesem Land, was Sozialarbeit nicht nur beeinflusst, son<strong>der</strong>n dieser<br />

spezielle Aufgaben stellt und Herangehensweisen abverlangt. Die türkische Kultur, in <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Zusammenhalt <strong>der</strong> Familie als Basis <strong>der</strong> sozialen Beziehungssysteme zu betrachten ist,<br />

prägt und beeinflusst die Fel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sozialarbeit. Vieles an Betreuung, Begleitung und Unterstützung<br />

wird innerhalb <strong>der</strong> Familie geleistet, was für Einzelne in problematischen Situationen<br />

auch als Auffangnetz dient. Aus diesem Grund versucht Sozialarbeit mehr direkten Einfluss<br />

auf die Auswirkungen <strong>der</strong> Politik zu nehmen, positioniert sich, leistet Öffentlichkeitsarbeit<br />

und setzt sich für Gleichberechtigung, Gleichbehandlung und Gerechtigkeit ein.<br />

Die Besuche von Organisationen reichten von einer deutschen Stiftung über vernetzte<br />

Volkshäuser mit sozialraumorientierten Ansätzen und stark politischer Arbeit, über Besuche<br />

bei Organisationen mit Angeboten für beeinträchtigte Menschen bzw. von Gewalt betroffenen<br />

Frauen, bis zu einem Einblick in ein Jugendzentrum und dessen politischer Arbeit mit<br />

dem Ziel, Jugendlichen präventiv Möglichkeiten anzubieten, um Bildung und entsprechende<br />

Stellung in <strong>der</strong> Gesellschaft sicherzustellen. Vor allem dieser letzte Besuch warf in unserer<br />

Gruppe Fragen auf und zeigte deutlich die Unterschiede einerseits in diesem Land aber auch<br />

im Vergleich zu Österreich auf.<br />

Details zu den einzelnen Einrichtungsbesuchen, Eindrücke in Wort und Bild haben die Studierenden<br />

in diesem Bericht zusammengefasst. An dieser Stelle möchte ich den StudentInnen<br />

für ihre Verlässlichkeit, ihr Engagement und Interesse herzlich danken, vor allem jenen Beiden,<br />

die durch ihre Sprachkompetenz die Orientierung und Verständigung vor Ort wun<strong>der</strong>bar<br />

erleichtert haben.<br />

Roswitha Hölzl<br />

2


Einleitung<br />

verfasst von Axel Weixlbaumer, Margit Schönbauer<br />

Vom <strong>14.</strong>04 bis 21.04.<strong>2013</strong> unternahm eine Gruppe von Studierenden des Studienlehrganges<br />

Soziale Arbeit eine <strong>Studienreise</strong> <strong>nach</strong> <strong>Istanbul</strong>. Die Reisegruppe bestand aus 14 StudentInnen,<br />

die von Frau Hölzl und ihrem Mann Josef begleitet wurden. Als Quartier dienten zwei<br />

Wohnungen, die Dank des großen Engagements in <strong>der</strong> Vorbereitungsphase <strong>der</strong> Reise gefunden<br />

wurden und die sich als Glücksgriff herausstellten. Idealerweise befanden sich auch zwei<br />

<strong>Istanbul</strong> - Kundige und <strong>der</strong> türkischen Sprache mächtige Studierende in unserer Mitte, was<br />

die Reise erstens in Hinblick auf die Orientierung in dieser gigantisch großen Stadt, in <strong>der</strong><br />

offiziell etwa 15 Millionen Menschen leben, enorm vereinfachte und zweitens die sprachliche<br />

Barriere minimierte. Bernadette und Cezmi standen mit Rat und Tat zur Seite, übernahmen<br />

die Rolle <strong>der</strong> ÜbersetzerInnen und erledigten alle wichtigen organisatorischen Tätigkeiten<br />

vor Ort. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Beiden, da die Reise ohne sie<br />

sicherlich um einiges schwieriger und chaotischer verlaufen wäre.<br />

Die pulsierende Energie <strong>der</strong> Metropole mit ihrer Farbenpracht, den Menschenmassen und<br />

dem für europäische Verhältnisse untypischen Straßenverkehr hinterlässt einen bleibenden<br />

Eindruck. Auffällig sind die Gastfreundschaft und die Hilfsbereitschaft <strong>der</strong> Menschen, mit<br />

denen wir unmittelbar in Kontakt standen. Lei<strong>der</strong> spielte uns das Wetter einen Streich. Es<br />

war für diese Jahreszeit ungewöhnlich kalt und regnerisch, was jedoch die Stimmung <strong>der</strong><br />

gesamten Gruppe nicht zu trüben vermochte. Ein durchwegs positiver, lustiger und wertschätzen<strong>der</strong><br />

Umgang herrschte unter den Studierenden und es war spannend, sich im intimeren<br />

Raum außerhalb <strong>der</strong> Fachhochschule kennenzulernen. Man kann behaupten, dass<br />

diese Reise die Gruppe richtiggehend zusammenschweißte. Dafür spricht, dass keinerlei Konflikte<br />

aufkeimten. Und das, obwohl die morgendliche Warteschlange vor dem Bad <strong>nach</strong> diversen<br />

vorangegangenen <strong>nach</strong>tschwärmerischen Aktivitäten durchaus eine Nervenprobe<br />

darstellte.<br />

(An)Reiseimpressionen<br />

Es ist Sonntag, <strong>der</strong> 14 <strong>April</strong> <strong>2013</strong> um draußen-ist-es-noch-dunkel Uhr, als wir uns auf den<br />

Weg zum Flughafen machen. Mit Sack und Pack, und gefühlten 8 kg Manner Schnitten als<br />

Gastgeschenke im Schlepptau, treffen wir uns in Wien am Flughafen und können es kaum<br />

glauben, dass es je<strong>der</strong> von uns ohne größere (gemeint: den Flug verpassende) Pannen bis<br />

hier her geschafft hat. Die Stimmung ist neugierig und gespannt <strong>–</strong> für viele von uns ist die<br />

Reise eine lang ersehnte Abwechslung zum hektischen Arbeits- und Studieralltag und obwohl<br />

uns bewusst ist, dass wir zum Lernen und Horizonterweitern <strong>nach</strong> <strong>Istanbul</strong> fliegen, sind<br />

wir fest entschlossen, aus diesen 7 Tagen jeden noch so kleinen Schimmer von Urlaubsstimmung<br />

herauszuquetschen. In diesem Sinne stört uns we<strong>der</strong> das Anstehen bei <strong>der</strong> Passkontrolle<br />

noch das Anstehen am Visum Schalter am Flughafen in <strong>Istanbul</strong> <strong>–</strong> fast liebevoll betrachten<br />

wir den Stempel im Pass: lange haben wir's geplant und jetzt sind wir endlich hier.<br />

3


Bernadette, die schon ein paar Tage früher angereist ist, holt uns vom Flughafen ab - mit<br />

einen Stapel <strong>Istanbul</strong> Cards in <strong>der</strong> Tasche und einer Engelsgeduld für die Erklärungen, bis<br />

wohin wir mit welchem öffentlichen Verkehrsmittel fahren sollen. Sehr schnell wird uns klar,<br />

dass wir hier mit unserem Englisch keine weiten Sprünge machen.<br />

Wir haben uns für zwei große Wohnungen entschieden, in denen wir als Gruppe gemeinsam<br />

wohnen möchten, was sich als ideale Entscheidung herausstellt. Nach dem mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

(für manche eher weniger) kurzen Weg zu unserer Unterkunft inspizieren wir, wo wir die<br />

nächsten paar Tage wohnen werden. Von Waschmaschine bis Kaffeemaschine alles da:<br />

passt, sehen wir uns die Stadt an.<br />

"Die Stadt", wie sich herausstellt, ist riesig. In <strong>Istanbul</strong> ist es kalt und regnerisch. In Österreich<br />

sagt sich inzwischen <strong>nach</strong> einem langen, kalten Winter und einem noch längeren, kälteren<br />

Frühling die erste wirklich warme Woche an. Alleine aus Prinzip schon suchen wir uns<br />

also ein Lokal, in dem wir beim Abendessen draußen sitzen können. Dass uns da<strong>nach</strong> die<br />

Zähne klappern so dass wir fast keinen geraden Satz herausbekommen, ist nebensächlich.<br />

Als es Abend wird, treffen wir uns alle vor <strong>der</strong> Hagia Sophia und beschließen, unseren ersten<br />

Abend bei einem gemeinsamen Getränk ausklingen zu lassen.<br />

4


Die Tatsache, dass das Restaurant, das wir uns aussuchen, eine Dachterrasse mit bestem<br />

Blick über die Moschee hat, hätte uns vielleicht zu denken geben können, aber am ersten<br />

Abend gepflegt mit den Getränkepreisen über's Ohr gehauen zu werden, ist ja fast schon ein<br />

Begrüßungsritual, wenn man in einer neuen Stadt ist. Die Stimmung in <strong>der</strong> Gruppe ist jedenfalls<br />

entspannt und fröhlich <strong>–</strong> ein Zustand, <strong>der</strong> sich die ganze Woche über halten sollte.<br />

Politik als zentrales Thema<br />

Im Lauf <strong>der</strong> Woche stellt sich heraus, dass unsere Reise eine stark politische Färbung bekommen<br />

sollte. In den Einrichtungen herrscht das Thema <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen repressiven Politik<br />

vor, und die Sorge um die Zukunft des Landes war bei den Menschen spürbar.<br />

Die Rede ist von massiven Einschränkungen, die <strong>der</strong> Staat in den letzten Jahren vorantreibt<br />

und <strong>der</strong>en Auswirkungen auf die Freiheit des Einzelnen. Währen in <strong>der</strong> Türkei <strong>der</strong> Wirtschaftsliberalismus<br />

blüht, verfolgt die Sozialpolitik einer einen Kurs zurück zu den alten, konservativen<br />

Werten. Im Fokus <strong>der</strong> Diskussionen steht die Rolle <strong>der</strong> Frau, <strong>der</strong> Familienbegriff<br />

allgemein, <strong>der</strong> Umgang mit ethnischen Min<strong>der</strong>heiten und an<strong>der</strong>s denkenden Menschen,<br />

sowie die Ziele und Zwecke, die die türkische Regierung mit ihren Handeln und Eingriffen<br />

verfolgt. Imposant ist es, mit Menschen zu sprechen, die sich trotz <strong>der</strong> Macht des Staates<br />

gegen diesen und für an<strong>der</strong>e Ideale aussprachen, auch wenn sie Gefahr laufen ernsthafte<br />

Probleme zu bekommen. Grundsätzlich kann man sagen, dass uns die dortigen Verhältnisse<br />

überraschen, da die europäische Medienberichtserstattung nichts von <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />

politischen Situation durchblicken lässt.<br />

Um das aktuelle politische Spannungsfeld zu verdeutlichen, hier ein kurzer Überblick über<br />

die politische Geschichte <strong>der</strong> Türkei:<br />

Die Türkei entstand aus den Trümmern des osmanischen Reiches, welches <strong>nach</strong> dem verlorenen<br />

ersten Weltkrieg zerfiel und von den westlichen Alliierten besetzt wurde. Der türki-<br />

5


sche General Mustafa Kemal organisierte daraufhin einen Befreiungskampf, aus dem schließlich<br />

die türkische Republik entstand. Die sogenannten Kemalisten, die Anhänger des Generals,<br />

brachen mit <strong>der</strong> islamischen Tradition und etablierten eine laizistische Staatsideologie<br />

(Kemalismus), die sie mit allen Mitteln vorantrieben. Vorbild waren die europäischen Gesellschaftsmodelle.<br />

Ein starkes Militär übernahm die Rolle des „Hüters“ <strong>der</strong> kemalistischen Werte.<br />

Jedoch konnte die religiöse Identität <strong>der</strong> vorwiegend muslimischen Bevölkerung nicht<br />

durch ein straffes Zivilisationsprogramm seitens <strong>der</strong> Regierung revidiert werden. Kemalisten<br />

und Islamisten stehen sich seither unvereinbar gegenüber. Die Kemalisten sehen sich selbst<br />

als die fortschrittlichen Mo<strong>der</strong>nisierer mit dem Ziel Europa, während den Islamisten ein islamisches<br />

Gesellschaftsmodell vorschwebt. Die Republikanische Volkspartei (die Partei <strong>der</strong><br />

Kemalisten) hielten bis 2002 die Machtinstrumente des Staates in <strong>der</strong> Hand.<br />

1990 spaltete sich von <strong>der</strong> islamistischen Strömung die demokratisch-konservative Gerechtigkeits-<br />

und Entwicklungspartei ab (AKP). Diese präsentierten sich zugleich als europafreundlich<br />

und traditionsbewusst. 2002 gewann diese Partei unter <strong>der</strong> Führung von Recep<br />

Tayyip Erdogan die Parlamentswahlen und regiert seither mit absoluter Mehrheit. Die kemalistische<br />

Elite in Militär, Justiz und Verwaltung vermochte es nicht, den Höhenflug <strong>der</strong> AKP zu<br />

stoppen. Die Wahl 2007 wurde wie<strong>der</strong> zugunsten <strong>der</strong> AKP entschieden und das Militär verlor<br />

an Einfluss.<br />

Glaubt man den Informationen, die wir im Laufe <strong>der</strong> Woche von verschiedenen Einrichtungen<br />

und Menschen sammeln durften, scheint sich die AKP in <strong>der</strong> jüngsten Vergangenheit<br />

wie<strong>der</strong> an ihre islamischen Wurzeln zu erinnern. Die Religion gewinnt an Einfluss, Koranschulen<br />

werden wie<strong>der</strong> eröffnet und sind nun auch wie<strong>der</strong> für jünger Kin<strong>der</strong>, vorwiegend Mädchen<br />

die von den Eltern aus dem Regelschulbetrieb genommen werden, zugänglich. Sie sind<br />

von staatlicher Seite legitimiert, Frauen wird ihr Platz in <strong>der</strong> Familie angewiesen. Der Begriff<br />

Familie wird, wie er in <strong>der</strong> Türkei verstanden wird, fokussiert.<br />

6


Einrichtungen<br />

Aufbauend auf den politischen Hintergründen, die wir im Laufe dieser Woche und beson<strong>der</strong>s<br />

von <strong>der</strong> Friedrich Ebert Stiftung erfahren haben, werden hier nun die einzelnen Einrichtungen,<br />

die wir besuchen durften, vorgestellt.<br />

Nach einem entspannten ersten Abend, erstem Bekanntwerden mit den Ausgehmöglichkeiten<br />

und manch einer traumatischen Erfahrung mit Lammfleisch machen wir uns am nächsten<br />

Tag auf zur ersten Einrichtung: Ein Frauenhaus mit einer so engagierten Mitarbeiterin,<br />

dass wir sie am liebsten auf einen Kaffee entführt hätten um uns mit ihr noch weiterhin auszutauschen.<br />

Es wird uns bewusst, wie schwierig ist es, sich in eine komplett fremde Mentalität<br />

hineinzudenken. Uns wird auch bewusst, dass uns für vieles hier <strong>der</strong> Kontext und Bezugsrahmen<br />

fehlt.<br />

Es hätte sich nicht besser treffen können, dass wir gleich am nächsten Tag die Friedrich Ebert<br />

Stiftung besuchen. Hier bekommen wir die wichtigsten Basics zur sozialpolitischen Entwicklung<br />

<strong>der</strong> jüngsten Vergangenheit vor dem Kontext <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Türkei allgemein. Was<br />

wir auch bekommen: Filterkaffee. Eine Annehmlichkeit die uns mit großem Schrecken fehlt.<br />

In <strong>Istanbul</strong> gibt es Tee (vorzüglich) und Nescafe (weniger vorzüglich). Mit einem ordentlichen<br />

Koffeeinschub und den sorgfältig aufbereiteten und verständlich erklären politischen Fakten<br />

gestärkt, machen wir uns wie<strong>der</strong> auf den Weg. Wie wichtig dieser politische Kontext ist, wird<br />

uns im Laufe dieser Woche noch sehr deutlich vor Augen geführt. Im Hinblick auf die gegensätzlichen<br />

Positionen <strong>der</strong> Volkshäuser und <strong>der</strong> staatlich geführten Jugendzentren, beispielsweise,<br />

ebenso wie auf die Rolle <strong>der</strong> Frau und die Familienstruktur. Die gesamten gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen waren nur so in einen Kontext zu bringen, <strong>der</strong> uns ansonsten<br />

mit Sicherheit verborgen geblieben wäre.<br />

7


1) Mor Cati - Frauenhaus<br />

Bericht von Anita Marques Rodrigues, Elisabeth Raxendorfer<br />

Ansprechpartner:<br />

Selime Büyüköze<br />

Adresse:<br />

Mor Cati Kadin Siginagi Vakfi<br />

Katip Mustafa Çelebi Mahllesi<br />

Anadolu Sokak No 23<br />

Beyoğlu İstanbul<br />

Telefonnummer: 00 90 212 292 52 31/32<br />

Email:<br />

morcati@ttmail.com<br />

Website:<br />

www.morcati.org.tr<br />

Datum des Besuches: Montag, 15.04.<strong>2013</strong>, 10 Uhr<br />

Geschichte/Entstehung<br />

Mor Cati ist aus <strong>der</strong> im Jahr 1987 geführten und von <strong>der</strong> Feministischen Bewegung initiierten<br />

Kampagne "Es lebe die Frauensolidarität" hervorgegangen. Der Auslöser war ein Gerichtsurteil,<br />

in dem festgehalten wurde, dass "ein paar Peitschenhiebe auf den Bauch" keinen Schaden<br />

für eine Frau darstellen und daher kein Grund für eine Scheidung wäre. Eine Welle <strong>der</strong><br />

Empörung schwappte durch das Land und schweißte die ersten, organisierten feministischen<br />

Gruppierungen zu einem Strom zusammen, <strong>der</strong> sich in Form von 2500 Frauen zu einer Kundgebung<br />

im Yogurtcu Park Luft verschaffte. Mit Solgans, Plakaten und Theateraufführungen<br />

verschafften sich betroffene Frauen Gehör und ließen sich auch in den folgenden Jahren<br />

nicht mehr zum Schweigen bringen. Seit 1990 solidarisieren sich ehrenamtliche Mitarbeiterinnen<br />

von Mor Cati mit Frauen, die Gewalt erfahren. Eine <strong>der</strong> ersten solcher Einrichtungen<br />

8


in <strong>der</strong> Türkei. Bald stellte sich heraus, dass es mit Beratung alleine nicht getan war: das Mor<br />

Cati Frauenhaus wurde geboren. Inzwischen werden täglich ca. 10 Frauen, die häusliche Gewalt<br />

erfahren, von Mor Cati betreut.<br />

Träger/Finanzierung<br />

Mor Cati wird nicht vom Staat finanziert, son<strong>der</strong>n erhält sich fast ausschließlich aus Spenden,<br />

För<strong>der</strong>ungen aus EU Projekten und das Engagement von freiwilligen Helfern und ehrenamtlichen<br />

Mitarbeitern. Geför<strong>der</strong>t werden fast nur bestimmte Projekte, nicht die Einrichtung als<br />

Ganzes.<br />

Leitbild/Ziele:<br />

Das Ziel von Mor Cati ist es, das Selbstbewusstsein von Frauen im Kampf gegen die Gewalt<br />

zu stärken und auf die Problematik Gewalt in <strong>der</strong> Familie aufmerksam zu machen. Ein großer<br />

Wert wird dabei auf Frauensolidarität gelegt <strong>–</strong> <strong>nach</strong> <strong>der</strong> Auffassung von Mor Cati liegt die<br />

Ursache von häuslicher Gewalt gegen Frauen in einem grundsätzlichen Ungleichgewicht zwischen<br />

den Geschlechtern, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchzieht. Unsere Ansprechpartnerin<br />

erklärt uns geduldig, warum sie sich als Feministin gegen die Institution Familie<br />

ausspricht. Automatisch denken wir an unseren eigenen Familienbegriff. Gemein ist hier<br />

jedoch die türkische Familienstruktur, indem die Frau dem Mann als Patriarch und Familienoberhaupt<br />

untergeordnet ist und ohne ihn ihre Daseinsberechtigung verliert. Eine Trennung<br />

o<strong>der</strong> gar Scheidung ist nur in den wenigsten Familien sozial akzeptiert und noch weniger<br />

Frauen haben dazu überhaupt die Mittel. Es gibt wenig öffentliche Statistiken, die sich ernsthaft<br />

mit diesem Thema auseinan<strong>der</strong>setzen. Man geht davon aus, dass täglich ca. 3 Frauen<br />

von ihren Ehemännern o<strong>der</strong> Ex-Ehemännern getötet werden und etwa 4 von 10 Frauen regelmässig<br />

häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Mor Cati kämpft auf vielen Wegen für eine<br />

Gleichberechtigung von Mann und Frau, und die tatsächliche Umsetzung <strong>der</strong> an und für sich<br />

sehr mo<strong>der</strong>nen gesetzlichen Rahmenbedingungen <strong>–</strong> die jedoch kaum so umgesetzt werden.<br />

Dieses Ziel setzt Mor Cati durch Ehrenamtliche Solidarität, psychologische und rechtliche<br />

Beratung und im letzten Schritt, Vermittlung in ein Frauenhaus um. Ehrenamtliche Mitarbeiter,<br />

die von häuslicher Gewalt betroffene Frauen beraten, werden in einem Workshop speziell<br />

dafür sensibilisiert. Anschließend erarbeiten sie mit den betroffenen Frauen individuelle<br />

Lösungswege, ohne dabei <strong>der</strong> Frau ein Gefühl <strong>der</strong> Schuld für ihre Lage zu geben. Betroffene<br />

Frauen werden von Mor Cati als Expertinnen in eigener Sache betrachtet, die für sich selbst<br />

entscheiden sollen und können.<br />

Mor Cati stellt betroffenen Frauen auch psychologische Beratung zur Seite, wenn diese<br />

durch den Druck <strong>der</strong> Gesellschaft, ihre eigene Hilflosigkeit o<strong>der</strong> Schamgefühle nicht mehr<br />

handlungsfähig sind. Das Ziel ist die Stärkung des Selbstbewusstseins und das Verarbeiten<br />

dieser Emotionen, so dass diese Frauen wie<strong>der</strong> die Kraft aufbringen, sich mit ihrer Situation<br />

lösungsorientiert auseinan<strong>der</strong> zu setzen. Es ist wichtig, den Frauen zu vermitteln dass sie die<br />

Gewalt, die sie erleben, we<strong>der</strong> verdient noch provoziert haben <strong>–</strong> etwas, das uns selbstver-<br />

9


ständlich erscheint, in dem gelebten gesellschaftlichen System in <strong>der</strong> Türkei jedoch keineswegs<br />

eine allgemein vertretene Meinung zu sein scheint.<br />

Des Weiteren gibt es rechtliche Beratung für jene Frauen, die nicht um ihre Möglichkeiten<br />

Bescheid wissen. Ein großer Teil <strong>der</strong> Frauen, die Beratung bei Mor Cati in Anspruch nehmen,<br />

wissen nicht wie sie ihre Rechte einfor<strong>der</strong>n können. Hier wird die Begleitung von ehrenamtlichen<br />

Anwältinnen durchgeführt. Das Justizsystem handelt lei<strong>der</strong> oft nicht zugunsten <strong>der</strong><br />

Frauen und Rechtsansprüche werden oft nicht angewendet, wenn keine Unterstützung <strong>der</strong><br />

Frau stattfindet.<br />

Aktivitäten<br />

Leitung eines Frauenhauses: Seit seiner Gründung hat Mor Cati verschiedene Frauenhausprojekte<br />

umgesetzt. Das erste, in den Jahren 1995 <strong>–</strong> 1998 ermöglichte 350 Frauen und<br />

250 Kin<strong>der</strong>n eine Flucht aus ihren Familien. Später, im Oktober 2005 wurde Mor Cati um die<br />

Führung eines Frauenhauses gebeten, das in Kooperation mit einer öffentlichen Behörde,<br />

<strong>der</strong> Stadtteilverwaltung von Beyoglu, gegründet werden sollte. Dieses Projekt lief drei Jahre,<br />

bis es mit <strong>der</strong> Begründung eingestellt wurde, dass von seitens <strong>der</strong> Stadtverwaltung keine<br />

finanziellen Mittel mehr gefunden werden konnten. Seit 2009 leitet Mor Cati ein eigenes,<br />

autonomes Frauenhaus, in dem <strong>der</strong>zeit ca. 100 Frauen und Kin<strong>der</strong> leben. Hier wird großer<br />

Wert darauf gelegt, dass die betreuten Frauen möglichst eigenständig bleiben und nicht in<br />

ihrer Entscheidung zur Trennung o<strong>der</strong> Rückkehr in die Familie beeinflusst werden. Es gibt nur<br />

zwei Regeln: Im Frauenhaus selbst darf keine Gewalt statt finden und die Adresse muss geheim<br />

gehalten werden. Die Mitarbeiter von Mor Cati haben immer wie<strong>der</strong> mit dem Problem<br />

zu kämpfen, dass die betroffenen Männer zum Büro kommen und ihrem Ärger Luft machen.<br />

Direkt im Nachbargebäude befindet sich ein Polizeiposten, <strong>der</strong> sich jedoch nicht zuständig<br />

fühlt. Dies ist, <strong>nach</strong> Ansicht von Mor Cati, symbolisch für die gesamte Problematik des Justizsystems.<br />

Weitere Aktivitäten von Mor Cati sind Workshops zum Erfahrungsaustausch und zur Sensibilisierung<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit für das Thema häusliche Gewalt. Ein Bewusstsein für die Problematik<br />

zu schaffen, mit <strong>der</strong> Frauen täglich konfrontiert sind, ist ein wichtiger Bestandteil von<br />

Mor Catis Arbeit. Seit 1998 organisiert Mor Cati jährlich eine Tagung mit Aktivistinnen gegen<br />

Gewalt an Frauen. Hier nehmen Fraueninitiativen teil, die Beratungsstellen o<strong>der</strong> Frauenhäuser<br />

leiten, sowie Vertreterinnen von Stadtverwaltungen und des Sozialen Dienstes. Diese<br />

Vernetzung ist beson<strong>der</strong>s wichtig, damit die Existenz von Mor Cati in <strong>der</strong> Bevölkerung bekannter<br />

wird. Momentan ist Mor Cati in <strong>der</strong> Bevölkerung von <strong>Istanbul</strong> hauptsächlich durch<br />

Mundpropaganda bekannt, es ist jedoch noch selten, dass Frauen auch von <strong>der</strong> Polizei, wenn<br />

diese zu einem Konflikt hinzukommen, auf die Möglichkeit eines Frauenhauses aufmerksam<br />

gemacht werden. Mor Cati arbeitet hier für eine bessere Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Exekutive.<br />

Zudem findet auf diesen Tagungen ein nationaler Wissenschaftlicher Erfahrungsaustausch<br />

statt.<br />

10


Eindruck <strong>der</strong> VerfasserInnen<br />

Für uns ist es teilweise schwierig, uns in die türkische Familienstruktur hineinzudenken. Schnell wird<br />

uns klar, dass wir nicht das gleiche meinen, wenn wir von dem Begriff "Familie" sprechen. Während<br />

bei uns dieser Begriff weiter gefasst ist, gibt es in <strong>der</strong> Türkei nur die "konservative" Familienform: die<br />

Großfamilie mit starken hierarchischen Strukturen, aus <strong>der</strong> man sich kaum lösen kann. Unter diesem<br />

Aspekt finde ich die Arbeit von Mor Cati bewun<strong>der</strong>nswert und wichtig. Sich offen als Feministin zu<br />

bezeichnen, stellt einen schon in Österreich in kein beson<strong>der</strong>s gutes Licht. Während wir hier jedoch<br />

"nur" Spötteleien und geringschätzigen Bemerkungen zu befürchten haben, haben die Mitarbeiterinnen<br />

von Mor Cati mit sehr viel wesentlicheren Hin<strong>der</strong>nissen zu kämpfen. Es ist eine große Leistung,<br />

was Mor Cati hier mit nur 4 fix angestellten Personen und einem großen Netzwerk aus ehrenamtlichen<br />

Helferinnen leistet.<br />

11


2) Umut Cocuklari Dernegi - Verein für Straßenkin<strong>der</strong><br />

Bericht von Axel Weixlbaumer<br />

Ansprechpartner:<br />

Ferhat Sahin<br />

Adresse:<br />

Umut Çocukları Derneği<br />

Kalyoncukulluk Cad. No:23, K:1<br />

Tarlabasi, Beyoglu <strong>Istanbul</strong><br />

Telefonnummer: 00 90 212 297 49 11<br />

Email:<br />

ferhatsahin@umutcocuklari.org.tr<br />

Website:<br />

http://www.umutcocuklari.org.tr/<br />

Datum des Besuches: Montag, 15.04.<strong>2013</strong>, 14:00 Uhr<br />

Geschichte/Entstehung<br />

Der Umut Çocuklari Dernegi (wörtlich: Hoffnungs-Kin<strong>der</strong>-Verein) ist ein gemeinnütziger Verein,<br />

<strong>der</strong> sich um die Straßenkin<strong>der</strong> in <strong>Istanbul</strong> kümmert. Er wurde in Zusammenarbeit mit<br />

<strong>der</strong> Stadtverwaltung von Bakirköy/<strong>Istanbul</strong> im Jahr 1998 als eine "Erster-Schritt-Station" für<br />

Straßenkin<strong>der</strong> von 11 Mitarbeitern aufgebaut. Einer davon, Yusuf Ahmet Kulca, war einst<br />

selbst ein Straßenkind und hat und hat als junger Obdachloser Gewalt, Armut, Drogen, Alkohol<br />

und Prostitution selbst erlebt. Durch den großen Erfolg des Vereins konnte in Dolap<strong>der</strong>e<br />

im Jahr 2001 eine weitere Anlaufstelle für Straßenkin<strong>der</strong> mit Küche und Wäscherei eröffnet<br />

werden.<br />

12


Träger/Finanzierung<br />

Der Verein wird ausschließlich von Spendengel<strong>der</strong>n finanziert.<br />

Leitbild/Ziele:<br />

Umut Çocukları Derneği kümmert sich um die moralische und materielle Unterstützung von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen, die aus verschiedenen Gründen die Unterstützung ihres familiären<br />

Umfelds verloren haben und auf <strong>der</strong> Straße leben. Probleme, die sich hier oft stellen,<br />

sind die Abhängigkeit von legalen o<strong>der</strong> illegalen Substanzen, ein schlechter Gesundheitszustand<br />

und negative Verhaltensweisen. Umut Cocuklari Dernegi arbeitet hier an <strong>der</strong> Deckung<br />

<strong>der</strong> Grundbedürfnisse, wie Schlafgelegenheiten, Verpflegung und Hygienemöglichkeiten. Um<br />

die Gründe für die familiären Probleme dieser Kin<strong>der</strong> aufzuarbeiten o<strong>der</strong> zu überwinden,<br />

kooperieret diese NGO mit <strong>der</strong> Polizei, dem Sozialen Dienst und Kin<strong>der</strong>schutzzentren.<br />

Die Ziele des Vereins sind es, den Kin<strong>der</strong>n ein Dach über dem Kopf zu bieten, Bildungsmöglichkeiten<br />

sicher zu stellen und Rehabilitationsmaßnahmen und Entziehungskuren zu organisieren.<br />

Zudem wird versucht, Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen, eine Vermittlerrolle<br />

zu den Eltern zu bieten und Selbstständigkeit beizubringen.<br />

Aktivitäten<br />

Hauptprojekt des Vereins ist <strong>der</strong>zeit ein Großprojekt in Çatalca (ca. 30 km von <strong>Istanbul</strong> entfernt),<br />

wo auf einer Fläche von 27000 m2 ein Seminarhotel als Einnahmequelle den Betrieb<br />

von Ausbildungsstätten (Pflanzen-, Baum- und Tierzucht, schulische Bildung) finanzieren soll.<br />

Nach dem Slogan: „Zur Hoffnung ist <strong>der</strong> Weg weit“ kümmern sich die Mitglie<strong>der</strong> des Vereines<br />

heute immer noch um die (je <strong>nach</strong> Definition) 3.000 bis 15.000 Straßenkin<strong>der</strong> in <strong>Istanbul</strong><br />

und auch um <strong>der</strong>en Familien. Die Kin<strong>der</strong> kommen aus Problemfamilien, die arm sind, wo<br />

misshandelt wird, manche folgen ihren Freunden auf die Straße.<br />

In <strong>der</strong> Einrichtung in Bakirköy können 50 Kin<strong>der</strong> auf genommen werden. Sie erhalten Unterricht<br />

und werden auch psychologisch betreut. Sie können dort essen, duschen und ihre Kleidung<br />

waschen.<br />

Der Verein för<strong>der</strong>t sozialver<strong>nach</strong>lässigte Kin<strong>der</strong>, vermittelt Gesundheitstherapien und Vorsorgemaßnahmen.<br />

Jugendliche im Gefängnis und <strong>nach</strong> <strong>der</strong> Entlassung werden betreut und<br />

unterstützt. Er unterstützt die Kin<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> amtlichen Registrierung und an<strong>der</strong>en Amtsgängen.<br />

Er hilft auch bei <strong>der</strong> Durchführung von Ausflügen und gemeinsamen Veranstaltungen.<br />

Im Fotoclub <strong>der</strong> Straßenkin<strong>der</strong> werden z.B. Kalen<strong>der</strong> und Postkarten hergestellt und verkauft.<br />

Bei <strong>der</strong> Gestaltung drücken die Kin<strong>der</strong> ihre bisherigen Erlebnisse und Erfahrungen aus.<br />

In Planung ist ein Schulprojekt am Rande von <strong>Istanbul</strong>, in dem die Kin<strong>der</strong> verschiedene Berufe<br />

erlernen sollen, zB. Koch, Kellner o<strong>der</strong> Gärtner.<br />

Für Eltern, die ihre Kin<strong>der</strong> suchen, ist <strong>der</strong> Verein ein Ansprechpartner.<br />

13


Eindruck<br />

Die Infos zu dieser Einrichtung stammen lei<strong>der</strong> ausschließlich aus Recherchequellen. Nach<br />

einer kurzfristigen Adressän<strong>der</strong>ung sollen wir in einem an<strong>der</strong>en Stadtteil empfangen werden.<br />

Gut, denken wir, kein Problem, und hüpfen in ein Taxi zum an<strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> Stadt. An<br />

und für sich darf man bei Taxifahrten in <strong>Istanbul</strong> sowieso kein nervöser Beifahrer sein <strong>–</strong><br />

wenn sich die Taxler jedoch noch während <strong>der</strong> Fahrt, teilweise auf <strong>der</strong> Autobahn durch die<br />

geöffneten Fenster, gegenseitig beraten, wo das denn nun genau sein soll, wo wir hin müssen,<br />

dann ist das wahrlich kein unspektakuläres Erlebnis. Angekommen, und gerüstet mit <strong>der</strong><br />

Adresse suchen wir die richtige Straße. Und suchen. Und rufen an, um <strong>nach</strong> einer genauen<br />

Wegbeschreibung zu fragen, und suchen weiter. Gefühlte 30 Passanten und 8 Busfahrer fragen<br />

wir, respektive Cezmi, <strong>nach</strong> dem Weg und müssen schließlich, durchfroren und durchnässt<br />

weil das Wetter schließlich auch einen bösen Sinn für Humor hat, aufgeben. Drei Tage<br />

später lesen wir einen unschuldigen, kurzen Satz wie nebenbei im Reiseführer: "[...] wenn Sie<br />

jedoch einen Passanten <strong>nach</strong> dem Weg fragen, kann es sein dass Sie dieser, wenn er den genauen<br />

Weg auch nicht kennt, aus reiner Höflichkeit in irgend eine beliebige Richtung schickt,"<br />

woraufhin wir unglaublich überrascht sind.<br />

14


3) Friedrich Ebert Stiftung <strong>–</strong> Deutsche Stiftung<br />

Bericht von Katharina Zainer, Christoph Gabriel<br />

Ansprechpartner:<br />

Alexan<strong>der</strong> Geiger<br />

Adresse:<br />

Cihannüma Mahallesi<br />

Mehmet Ali Bay Sk. No.: 12 D: 5<br />

Besiktas, <strong>Istanbul</strong><br />

Telefonnummer: 00 90 212 310 82 37<br />

Email:<br />

contact@festr.org<br />

Website:<br />

www.festr.org<br />

Datum des Besuches:<br />

Dienstag, 16.04.<strong>2013</strong>, 10 Uhr<br />

Geschichte/Entstehung:<br />

Friedrich Ebert war Sozialdemokrat und <strong>der</strong> erste Reichspräsident (1919) <strong>der</strong> Weimarer Republik.<br />

Friedrich Ebert legte in seinem Testament fest, dass <strong>nach</strong> seinem Tod eine Stiftung<br />

gegründet wird, die den Zweck verfolgt, jungen Studenten und Studentinnen Beihilfen für<br />

einen Studiengang an staatlich anerkannten Instituten zu geben. Es sollten aber vorrangig<br />

StudentInnen unterstützt werden, die eine Empfehlung <strong>der</strong> Parteiorganisation (SPD) beibringen.<br />

Nach seinem Tod 1925 wurde diese Stiftung dann - als erste ihrer Art - gegründet.<br />

1933 wurde die Stiftung dann jedoch von den Nationalsozialisten verboten.<br />

15


Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Stiftung (die im Prinzip ein eingetragener Verein ist)<br />

1945 vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund wie<strong>der</strong>gegründet.<br />

Neben dieser Stiftung gibt es noch fünf weitere Stiftungen bzw. Vereine. Jede Partei im Bundestag<br />

kann eine Stiftung dieser Art gründen, wobei die Stiftungen jedoch inhaltlich unabhängig<br />

agieren. Weltweit gibt es 109 Auslandsbüros <strong>der</strong> FES mit insgesamt 628 Mitarbeitern.<br />

Das Auslandsbüro in <strong>Istanbul</strong> besteht seit 1988. Wichtig zu Beginn war es jedoch hauptsächlich<br />

das Vertrauen in <strong>der</strong> Türkei zu erarbeiten, da sie eher als eine Art „Spione“ vermutet<br />

wurden. Das Büro in <strong>Istanbul</strong> hat acht Mitarbeiter. Es gibt auch noch eine Zweigstelle in Ankara.<br />

Träger/Finanzierung:<br />

Finanziert wird die Stiftung zu 95% aus öffentlichen Bundesmittel. Je <strong>nach</strong> Arbeitsbereich<br />

kommt das Geld von den verschiedenen Ministerien. Im Jahr 2010 betrug das Gesamt-Etat<br />

149 Mio. Euro für alle Stiftungen, wobei 48 Mio. Euro für Auslandsbüros zur Verfügung standen.<br />

Leitbild/Ziele:<br />

Die FES sieht ihre Hauptaufgabe in erster Linie in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> politischen und gesellschaftlichen<br />

Bildung von Menschen aus allen Lebensbereichen im Geiste von Demokratie<br />

und Pluralismus, begabten jungen Menschen durch Stipendien Zugang zu Studium und Forschung<br />

zu ermöglichen und zur internationalen Verständigung und Zusammenarbeit beizutragen.<br />

Im Prinzip hat die FES in <strong>Istanbul</strong> drei Hauptziele: das Pflegen <strong>der</strong> deutsch-türkische Beziehungen<br />

bzw. die Erweiterung <strong>der</strong> EU, die För<strong>der</strong>ung demokratischer Grundwerte und die<br />

För<strong>der</strong>ung und Entwicklung von sozialen Grundwerten.<br />

Hierbei hat die FES drei Hauptarbeitsfel<strong>der</strong>: Die Politische Bildung im Inland, die Talentför<strong>der</strong>ung<br />

junger StudentInnen, wobei Parteizugehörigkeit keine Rolle, die Veröffentlichung Wissenschaftliche<br />

Publikationen und Beratungsarbeit im Ausland.<br />

Konkret organisiert die FES in <strong>Istanbul</strong> Workshops, Seminare, Vorträge und internationale<br />

Konferenzen. Zusammengearbeitet wird hauptsächlich mit Organisationen <strong>der</strong> Zivilgesellschaft,<br />

Universitäten und Forschungsinstitute, Gewerkschaften, Berufsverbände, Vereine,<br />

dem Parlament und Ministerien, Lokalverwaltungen, Medienvertreter sowie internationalen<br />

Organisationen. Der Büroleiter hat explizit darauf hingewiesen, dass diese Unterstützung<br />

hauptsächlich im Rahmen einer „Know-How-Weitergabe“ zu verstehen ist. Keinesfalls gibt es<br />

jedoch Unterstützung in Form von finanziellen För<strong>der</strong>ungen.<br />

Interessante statistische und allgemeine Daten: In das türkische Parlament kommt man nur<br />

dann, wenn man die 10%-Hürde schafft. Daher gibt es in <strong>der</strong> Türkei auch nur vier bestimmende<br />

Parteien im Parlament.<br />

16


Die Türkei belegt laut einer Studie <strong>der</strong> EMRK bei <strong>der</strong> Medienfreiheit den 1. Platz bei „Einschränkung<br />

<strong>der</strong> Medienfreiheit“. Grund dafür ist die Medienstruktur: Jede Zeitung gehört<br />

einem Wirtschaftsunternehmen an, welche wie<strong>der</strong>um stark von <strong>der</strong> Politik beeinflusst werden.<br />

In <strong>der</strong> Türkei gibt es ein sehr starkes Arm-Reich-Gefälle. Die Arbeitslosenquote beträgt offiziell<br />

rund 10% (inoffiziell spricht man von ca. 50%). Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei etwa<br />

25%, wobei man beachten muss, dass die türkische Bevölkerung allgemein als eine sehr junge<br />

Bevölkerung gilt.<br />

In <strong>der</strong> Türkei gibt es europaweit die wenigsten beschäftigten Frauen, was hauptsächlich auf<br />

die Familienrolle <strong>der</strong> Frau zurückzuführen ist. Die Zahl an beschäftigten Frauen ist in den<br />

letzten Jahren sogar noch weiter gesunken.<br />

Der Mindestlohn beträgt 700 TL (= knapp 300,- EUR).<br />

Eine Art Sozialhilfe und ein staatliches Versicherungssystem ist in den letzten Jahren erst<br />

eingeführt worden.<br />

Obdachlose gibt es sehr wenige, da das Familiengefüge eine sehr große Rolle spielt.<br />

Hingewiesen wurde auch auf einen starken Personenkult in <strong>der</strong> Türkei. Dies konnte <strong>der</strong><br />

deutsche Praktikant (Geschichts-Student) selbst miterleben, als es um die Wahlen für eine<br />

Jugend-Partei ging. Es wurden vorrangig Personen gewählt aufgrund des Erscheinungsbildes<br />

und nicht aufgrund <strong>der</strong> Einstellungen, welche Ansichten <strong>der</strong> o<strong>der</strong> diejenige Jugendliche vertritt.<br />

Ebenfalls angemerkt wurde die noch nicht vollzogene Trennung von Staat und Religion (Laizismus).<br />

Im Prinzip gibt es eine eigene staatliche Behörde die die Religion „kontrolliert“.<br />

Aktivitäten:<br />

Aktuell gibt es gerade ein Gemeinschaftsprojekt mit einer Universität betreffend „Einkommensstrukturen“.<br />

Weiters wurden folgende Projekte bereits abgewickelt: Projekt betreffend<br />

Meinungs- und Medienfreiheit, Workshop betreffend Verfassungs-Reform-Prozess -> die FES<br />

hat Ideen und Vorschläge abgegeben, Teilnahme an Konferenz betreffend Frauenrechte in<br />

<strong>der</strong> Verfassung.<br />

17


4) Fiziksel Engelliler Vakfi - Verein für Menschen m. Behin<strong>der</strong>ung<br />

Bericht von Martina Welser, Sarah Wasserthal<br />

Ansprechpartner:<br />

Hakan Ünlü<br />

Adresse:<br />

Fiziksel Engelliler Vakfi<br />

Merkez Mah. Ciftecevizler Cad. No: 9/3<br />

Sisli, <strong>Istanbul</strong><br />

Telefonnummer: 00 90 212 343 77 77<br />

Email:<br />

info@fev.org.tr<br />

Website:<br />

www.fev.org.tr<br />

Datum des Besuches: Dienstag, 16.04.<strong>2013</strong>, 14:00 Uhr<br />

Träger/Finanzierung<br />

Der Verein für Menschen mit Beeinträchtigung wird ausschließlich durch Sponsorengel<strong>der</strong><br />

und Subventionen finanziert.<br />

Leitbild/Ziele:<br />

Die Ziele des Vereins für Menschen mit Beeinträchtigung umfassen:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Ein Leben ohne Diskriminierung für die Menschen mit Beeinträchtigung zu schaffen<br />

Die Integration im alltäglichen und sozialen Leben zu unterstützen<br />

Hilfeleistungen in den Bereichen Ausbildung, Berufsleben, Gesundheit und Beratung<br />

zu bieten<br />

Ein barrierefreies Wohnen zu för<strong>der</strong>n<br />

18


Aktivitäten<br />

Projekt „Mit Herz arbeiten wir“:<br />

Das Ziel dieses Projekt ist es, dass Menschen mit Beeinträchtigung ihren körperlichen und<br />

geistigen Fähigkeiten sowie ihrer beruflichen Erfahrung entsprechende Berufe erlernen und<br />

ausüben können. Auf diese Art und Weise erlangen sie ökonomische Unabhängigkeit,<br />

wodurch ihr Selbstvertrauen gestärkt wird und sie ihren Platz in <strong>der</strong> Gesellschaft besser finden<br />

können.<br />

Projekt „Glückliche Beeinträchtigte Callcenter“:<br />

Dieses Projekt zielt darauf ab, den Menschen und Institutionen Informationen über den Begriff<br />

Beeinträchtigung zu vermitteln.<br />

Projekt „Sportliches Ausbildung und Koordination“:<br />

„Sportliche Ausbildung und Koordination“ ist in Kooperation mit <strong>der</strong> Sporthochschule <strong>der</strong><br />

Universität Marmura ins Leben gerufen worden. Es soll Jugendlichen mit Beeinträchtigung<br />

zwischen 13 und 14 Jahren neben <strong>der</strong> medizinischen Hilfe und diversen Rehabilitationsprogrammen,<br />

die ihnen entsprechenden Trainingsmöglichkeiten bieten.<br />

Projekt „Weiße Schmetterlinge“:<br />

Hier werden im Beson<strong>der</strong>en Menschen mit geistiger Behin<strong>der</strong>ung geför<strong>der</strong>t, da sie die größten<br />

Schwierigkeiten haben, eine geeignete Arbeitsstelle zu finden. 37 Menschen wurden<br />

bisher ausgebildet und absolvierten eine Abschlussprüfung. 23 von ihnen haben die Prüfung<br />

erfolgreich bestanden und arbeiten jetzt in verschieden Filialen von Mc Donalds in <strong>Istanbul</strong>.<br />

Projekt „Barrierefrei“:<br />

In Kooperation mit <strong>der</strong> Kunstakademie <strong>der</strong> Universität Mimar Sinan wurden als Pilotprojekt<br />

die Straßen, Gehsteige, Erholungsplätze etc. in zwei Stadtteilen untersucht und die wesentlichen<br />

Probleme, die beeinträchtigte Menschen in Hinblick auf ihre Bewegungsfreiheit dort<br />

haben, festgestellt. Diese Informationen/ Lösungsvorschläge sind an das Magistrat weitergeleitet<br />

worden.<br />

Projekt „Arbeitsstelle im Kundendient bei THY (Türkische Fluglinie) für beeinträchtigte Menschen“:<br />

Durch die Kooperation mit <strong>der</strong> türkischen Fluglinie haben 100 Menschen mit Beeinträchtigung<br />

die Möglichkeit bekommen, eine dreimonatige Einschulung im Bereich Kundendienst<br />

zu machen. Durch diese erfolgreiche Schulung sind sie jetzt im Kundendienst tätig.<br />

Projekt „Sommercamping für beeinträchtigte Menschen“:<br />

19


Ein Kostenfreier Campingplatz, im Rahmen dessen sich beeinträchtigte Menschen mit ihren<br />

Familien erholen können, wurde mit Hilfe des Bürgermeisters realisiert.<br />

Eindruck<br />

Der freundliche Empfang und die heitere Stimmung während unseres Besuchs hinterließ<br />

einen grundsympathischen Eindruck. Die MitarbeiterInnen des Vereins verbreiteten eine<br />

durchwegs positive Stimmung, was sich schnell auch auf die Gruppe übertrug. Bei<strong>der</strong>seitiges<br />

reges Interesse an den unterschiedlichen Ausprägungen, Entwicklungen und Ideen <strong>der</strong> Arbeit<br />

mit beeinträchtigen Menschen in den beiden Län<strong>der</strong>n schuf eine entspannte und interessante<br />

Atmosphäre. Natürlich spielt auch hier die Familie eine wichtige Rolle. Nach dem<br />

türkischem Sprichwort: „Kein einziges Lamm soll alleine sein, sonst schnappt es <strong>der</strong> Wolf“<br />

werden viel beeinträchtige Menschen von ihren Familien betreut. Diese sollten eigentlich in<br />

Zukunft eine finanzielle Unterstützung Seitens des Staates bekommen, was jedoch lei<strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> Realität bis jetzt nur eine endlose innenpolitische Diskussion anheizte und somit die tatsächliche<br />

Unterstützung auf sich warten lässt. Auch die finanziellen Zuwendungen des Staates<br />

bezüglich an<strong>der</strong>er För<strong>der</strong>angebote sind eher gering. Der Begriff Inklusion wird <strong>nach</strong> meinem<br />

Verständnis mit dem Begriff Integration gleichgesetzt. Mittlerweile wird versucht, große<br />

Heime aufzulösen und stattdessen Wohngruppen von 6 bis 8 Personen zu schaffen. Die<br />

gesetzliche Lage <strong>der</strong> Türkei bezüglich Menschen mit Beeinträchtigung gestaltet sich ähnlich<br />

den österreichischen Verhältnissen. So stellt die Diskriminierung eines beeinträchtigten<br />

Menschen eine Straftat dar, die mit einem Strafrahmen bis zu 6 Monaten Freiheitsstrafe<br />

sanktioniert wird.<br />

Der fröhliche Optimismus <strong>der</strong> Mitarbeiter wirkte befreiend leicht und unbeschwert, ihr Umgang<br />

miteinan<strong>der</strong> war eher freundschaftlich als kollegial. Respekt!<br />

20


5) Halkevleri - Volkshäuser<br />

Bericht von Paul Prack, Julia Rabenhaupt<br />

Ansprechpartner:<br />

Avni Can Okur<br />

Adresse:<br />

Okmeydani Haklevi<br />

Mahmutşevketpaşa Mahallesi Harman Sokak No.1<br />

Okmeydanı Şişli, <strong>Istanbul</strong><br />

Telefonnummer: 00 90 555 479 69 45<br />

Email:<br />

bilgi@halkevleri.org.tr<br />

Website:<br />

http://www.halkevleri.org.tr/istanbul/okmeydani-halkevi<br />

Datum des Besuches: Mittwoch, 17.04.<strong>2013</strong>, 10:00 Uhr<br />

Entstehung/Geschichte:<br />

Die Volkshäuser entstanden ursprünglich unter Kemal Atatürk mit dem Ziel die Reformen <strong>der</strong><br />

Regierung in <strong>der</strong> Bevölkerung zu festigen. 1932 wurden in 17 Städten Volkshäuser eröffnet<br />

mit dem Ziel, den Einfluss von konservativen Kreisen zu min<strong>der</strong>n. Hier wurden kostenlose<br />

Literatur und Kunstkurse angeboten. Mit dem Machtwechsel <strong>der</strong> Regierung wurden die<br />

Volkshäuser geschlossen und später verboten. Jetzt entstehen sie wie<strong>der</strong> als unabhängige<br />

Einrichtungen aus <strong>der</strong> Eigeninitiative von Aktivisten, wobei die Werte, die sie vertreten,<br />

größtenteils die gleichen geblieben sind.<br />

21


Träger/Finanzierung<br />

Die Volkshäuser sind keine offiziellen, öffentlichen Einrichtungen. Sie verzichten bewusst auf<br />

eine staatliche Unterstützung /För<strong>der</strong>ung um auch in ihrem Programm und in ihrer Arbeitsweise<br />

nicht dem staatlichen Einfluss zu unterliegen.<br />

Die VH finanzieren sich selbst aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und alle Leistungen werden<br />

durch Freiwilligenarbeit erbracht. Je<strong>der</strong> und jede kann und darf sich <strong>nach</strong> seinen Kompetenzen<br />

an dem Angebot in den Einrichtungen beteiligen.<br />

Die Volkshäuser können als Verein (ohne Dachverband) verstanden werden, <strong>der</strong> auch zur<br />

Gänze selbst für seine Infrastruktur (Gebäude, Strom, Materialen ..) aufkommt.<br />

Leitbild/Ziele:<br />

In <strong>Istanbul</strong> und Umgebung gibt es ca. 20 Standorte <strong>der</strong> Volkshäuser. Diese finden sich zumeist<br />

in den einzelnen Vierteln <strong>der</strong> Metropole. Jedes dieser Häuser bietet ein unterschiedliches<br />

Programm an, je <strong>nach</strong> den Bedürfnissen, die sich aus <strong>der</strong> direkten Umgebung ergeben.<br />

Die Vorgehensweise <strong>der</strong> Volkshäuser setzt oft partizipierend an den Menschen <strong>der</strong> Nachbarschaft<br />

an, das heißt aus dem jeweilig erhobenen Bedarf wird ein Programm gestaltet. Die<br />

Wünsche und Bedürfnisse <strong>der</strong> Menschen werden ins „Kursprogramm“ (Wochen- und Monatsplan)<br />

aufgenommen. Diese Veranstaltungen werden dann beworben (Flyer, Mundpropaganda,<br />

persönliche Einladung <strong>der</strong> Bevölkerung) und allen steht es frei sich anzumelden<br />

und mitzumachen.<br />

Die <strong>Istanbul</strong>er Volkshäuser haben 3 Hauptzielgruppen: Frauen, Jugendliche und Kin<strong>der</strong>. Je<br />

<strong>nach</strong> Stadtteil handelt es sich oft auch um Menschen kurdischer Abstammung, <strong>der</strong>en sozialer<br />

Status noch schlechter ist, als <strong>der</strong> <strong>der</strong> türkischen Bevölkerung.<br />

Angebote:<br />

Das Angebote für Frauen umfasst Alphabetisierungskurse, Kreativkurse (Beispiel das gemeinsam<br />

gestaltete Tuch <strong>der</strong> Frauen als Zeichen <strong>der</strong> Emanzipation). Durch die Gemeinschaft<br />

mit an<strong>der</strong>en Frauen soll <strong>der</strong> Selbstwert <strong>der</strong> einzelnen Frauen gestärkt werden.<br />

Ebenso gibt es Gesprächsrunden wo Frauen die Möglichkeit bekommen aus <strong>der</strong> „Isolation<br />

<strong>der</strong> Familie“ heraus zu kommen; sie sollen die Chance bekommen auch außerhalb <strong>der</strong> Familie<br />

Feedback für ihre Persönlichkeit zu erhalten. Hier findet vor Allem Aufklärung darüber<br />

statt, was Frauenrechte, Menschenrechte bedeuten und was soziale Gerechtigkeit bedeutet.<br />

Es geht weniger darum Frauen, die beispielsweise von familiärer Gewalt betroffen sind, direkt<br />

zu unterstützen; vielmehr setzt die Arbeit ganzheitlich an, im Sinne <strong>der</strong> Hilfe zur Selbsthilfe<br />

und Aufbau des Selbstbewusstseins.<br />

Über die partizipierende Arbeitsweise lernen die Frauen, dass sie einen Beitrag leisten können,<br />

dass ihre Meinung wichtig ist und sie etwas verän<strong>der</strong>n können. Ziel ist es bei den Frau-<br />

22


en ein Bewusstsein dafür zu etablieren, dass sie ein Recht auf Mitsprache und Mitbestimmung<br />

haben.<br />

Die Angebote für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche bestehend aus Kursen im Sommer, vor allem draußen<br />

vor den Volkshäusern o<strong>der</strong> in öffentlichen Parks. Die Programme werden vorrangig von<br />

freiwilligen Studenten angeboten. Es gibt Theaterprojekte, wo den Kin<strong>der</strong>n soll die Möglichkeit<br />

gegeben werden soll, in Rollen zu schlüpfen, und Musikprojekte. In den Schulen ist <strong>der</strong><br />

Musikunterricht oft sehr nationalistisch gestaltet, die Auswahl an Instrumenten begrenzthier<br />

soll ein breiteres, offeneres Angebot gemacht werden; Beim Basteln, Ballspielen, Schach<br />

soll den Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung geboten werden.<br />

Nachhilfe o<strong>der</strong> auch ergänzen<strong>der</strong> Unterricht zur Schule wird angeboten, da <strong>der</strong> Lehrplan an<br />

den Schulen oft eingeschränkt ist, beson<strong>der</strong>s auf Koranschulen trifft dies zu. Hier findet sich<br />

kaum Naturwissenschaften; Geschichte ist oft auf die nationale Historie beschränkt; die Klassen<br />

sind sehr groß und das Verhältnis Lehrer/ Schüler ist sehr hierarchisch. In den Volkshäusern<br />

sollen die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen lernen, sich einzubringen/ <strong>nach</strong>zufragen und ein<br />

individuelles Interesse entwickeln- auch hier geht es wie<strong>der</strong> um den Lernprozess <strong>der</strong> aktiven<br />

Mitbestimmung.<br />

Über die Kin<strong>der</strong> wird auch <strong>der</strong> Kontakt zu den Eltern gesucht; es geht darum Bedürfnisse und<br />

Verbesserungsvorschläge seitens <strong>der</strong> Eltern zu erheben und die Mitarbeiter <strong>der</strong> Volkshäuser<br />

fungieren dann ggf als Sprachrohr (Beispiel welches genannt wurde, war die Umwandlung<br />

einer Regelschule in eine Koranschule, welche in einem Stadtteil vorgenommen werden sollte;<br />

zusammen mit den MA <strong>der</strong> Volkshäuser wurde eine Demonstration organisiert bzw. wurde<br />

auch das Gespräch mit verantwortlichen Gemein<strong>der</strong>äten gesucht um die Umwandlung<br />

abzuwenden.)<br />

Generell stehen die Volkshäuser allen umliegenden Bewohnern offen und sind so etwas wie<br />

ein allgemeiner Treffpunkt. Es gibt Bücher und Zeitschriften, die man lesen kann und auch<br />

das Internet kann genutzt werden. Die Volkshäuser bieten die Möglichkeit sich zu treffen<br />

und sich auszutauschen und die Mitarbeiter <strong>der</strong> Volkshäuser versuchen für alle Alltagsprobleme<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung einen Rahmen zu schaffen o<strong>der</strong> für die Menschen als Ansprechpartner<br />

da zu sein. Wenn <strong>der</strong> Wunsch besteht werden auch Informationen über weitere Hilfen<br />

eingeholt und die Menschen werden an an<strong>der</strong>e Institutionen weiterverwiesen (als Beispiel<br />

wurde eine Frau genannt, die sich scheiden lassen wollte).<br />

Klassische Öffnungszeiten <strong>der</strong> VH gibt es nicht, auch keinen Dienstplan <strong>der</strong> Mitarbeiter, wie<br />

wir es kennen- die Absprach erfolgt untereinan<strong>der</strong>. Der erste, <strong>der</strong> am Morgen kommt (ca 10<br />

Uhr) sperrt auf und <strong>der</strong> letzte am Abend sperrt zu. Die Personen, die aktiv in den Volkshäusern<br />

mitarbeiten, sehen die Einrichtung als Teil ihres Lebens und verbringen dort auch ihre<br />

Zeit als Privatpersonen.<br />

Vor allem nämlich können die VH als politische Initiative verstanden werden. Die Mitglie<strong>der</strong><br />

sehen ihren Auftrag darin in <strong>der</strong> Türkei eine Opposition zur Regierungspartei darzustellen.<br />

23


Sie stehen für die Umsetzung <strong>der</strong> lt türkischer Verfassung verankerten Menschenrechte- für<br />

soziale Gerechtigkeit, Frauenrechte- ein Großteil <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit läuft hier über<br />

persönliche Gespräche, Flyeraktionen und Demonstrationen.<br />

Die türkischen Sozialisten, als die sich die Aktiven <strong>der</strong> Volkshäuser verstehen, sehen mit Bedauern,<br />

dass im Gegensatz zum türkischen Wirtschaftswachstum die gesellschaftliche Entwicklung<br />

zurückbleibt o<strong>der</strong> sich sogar rückläufig entwickelt (Frauenbeschäftigung, Trennung<br />

von Schule und Religion, freie Meinungsäußerung etc.) und sie versuchen sich gemeinsam<br />

dagegen zu engagieren.<br />

Auch für den Umweltschutz (Demonstrationen gegen Bauprojekte) und für Menschen mit<br />

Behin<strong>der</strong>ung (Öffentlichkeitsarbeit für mehr Rehabilitationseinrichtungen) setzt sich <strong>der</strong><br />

Verein ein, ebenso suchen sie den Kontakt zu Verantwortlichen wenn es darum geht die Bevölkerung<br />

vor Ort in ihrem Bedarf zu unterstützen (Beispiel Bau von Schulen und Krabbelstuben).<br />

Persönlicher Eindruck <strong>der</strong> VerfasserInnen<br />

Mir hat <strong>der</strong> Besuch <strong>der</strong> <strong>Istanbul</strong>er Volkshäuser mit am besten gefallen. Die Menschen, die ich<br />

dort kennen lernen durfte haben es in nur kurzer Zeit geschafft, mir sehr viel von dem was<br />

sie inspiriert und antreibt, mitzuteilen. Sie streben <strong>nach</strong> einer positiven Verän<strong>der</strong>ung ihrer<br />

Gesellschaft und sind bereit dafür einzustehen. Manche von ihnen verzichten auf einen besseren<br />

Lebensstandard um ihre Zeit und Energie in die Projekte <strong>der</strong> Volkshäuser zu investieren.<br />

24


6) Üsküdar Genclik Merkezi - Jugendzentrum<br />

Bericht von Birgit Zinöcker, Romana Pühringer<br />

Ansprechpartner:<br />

Veysel Kömürcü<br />

Adresse:<br />

Üsküdar Genclik Merkezi<br />

Burhaniye Mah. Genc Osman sk. No:13<br />

Üsküdar <strong>Istanbul</strong><br />

Telefonnummer: 00 90 216 557 74 39<br />

Email:<br />

uskgencmrkz@uskudar.bel.tr<br />

Website:<br />

http://www.uskudargenclikmerkezi.com/index.html<br />

Datum des Besuches:<br />

Donnerstag, 18.04.<strong>2013</strong>, 10 Uhr<br />

Träger/Finanzierung<br />

Das Jugendzentrum gehört zum Magistrat und wird auch noch von an<strong>der</strong>en öffentlichen<br />

Stellen finanziell unterstützt, was schon auf den ersten Blick ersichtlich ist. Im krassen Gegensatz<br />

zu den Volkshäusern scheinen hier beinahe unbegrenzte Mittel zur Verfügung zu<br />

stehen.<br />

Leitbild/Ziele:<br />

Folgende Ziele lassen sich erörtern: die Beratung im Bereich Ausbildung, die För<strong>der</strong>ung von<br />

sportliche Aktivitäten und Wettbewerben, die Vermittlung von Kunst, Kultur und Tradition<br />

und das Ziel, dass die Jugendlichen auf dem richtigen Weg bleiben.<br />

25


Da diese Institution von öffentlicher Hand finanziert und von Gedankengut <strong>der</strong> AKP getragen<br />

ist, wage ich zu behaupten, dass hier das vorrangige Ziel zu sein scheint, eine einschlägige<br />

politische Jugend zu formieren. Die Vermittlung von Werten und Tradition, <strong>der</strong>en Inhalt sich<br />

leicht mit <strong>der</strong> AKP in Verbindung bringen lässt, wird meinem Eindruck <strong>nach</strong> beson<strong>der</strong>er Wert<br />

beigemessen. Es hat den Anschein, als werde mit enormen Mitteln versucht, den Menschen<br />

schon in jungen Jahren den „richtigen“ Weg zu weisen.<br />

Geführt wird das Jugendzentrum von psychologischen Beratern, die eine jahrelange hochqualifizierte<br />

Ausbildung durchliefen.<br />

Aktivitäten<br />

Dieses Jungendzentrumwird täglich von etwa 1100 Besuchern frequentiert, wobei davon<br />

75% weiblich sind. Von staatlicher Seite wurde diese Einrichtung das beste Jugendzentrum<br />

in <strong>der</strong> Türkei ausgezeichnet. Es dient als Vorbild für an<strong>der</strong>e Jugendeinrichtungen in <strong>der</strong> islamischen<br />

Welt. Zugänglich ist es für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 15<br />

und 25 Jahren.<br />

Die Angebote des Jugendzentrums sind breitgefächert:<br />

Verschiedene Kurse werden abgehalten in Geschichte, Fremdsprachen, Mathematik, Sport,<br />

Literatur, etc.. Eine enge Zusammenarbeit mit den staatlichen Universitäten wird forciert.<br />

Workshops werden angeboten, Theaterstücke aufgeführt. Zusätzlich zu diesen Bildungsangeboten<br />

besteht die Möglichkeit hier berühmte Persönlichkeiten aus Politik und Literatur zu<br />

treffen.<br />

Ein großes Sportfest (Jugendolympiade) findet jährlich statt an dem 9000 Jugendliche teilnehmen<br />

und das gerade an dem Tag veranstaltet wurde, an dem wir unseren Besuch abstatteten.<br />

Uns wurde daher die (fragwürdige) Ehre zu Teil, dieses Sportfest zu besuchen und<br />

einige Eindrücke zu sammeln, die vorerst verstörend wirkten, jedoch im Kontext einer „politischen“<br />

Reise wie<strong>der</strong>um eine Bereicherung darstellte.<br />

Großen Wert wird auf die Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit gelegt, um einen möglichst<br />

hohen Personenkreis anzusprechen. Hierbei werden alle Arten <strong>der</strong> medialen Präsenz in <strong>der</strong><br />

Türkei genutzt.<br />

Eindruck<br />

Der erste Eindruck den wir von <strong>der</strong> Einrichtung haben, ist vor Allem eines: befremdlich. Von<br />

<strong>der</strong> Lage des Jugendzentrums, mitten in einem gut gepflegten Stadtteil, über die Metalldetektoren<br />

und den Empfangstisch am Eingang bis hin zur mo<strong>der</strong>nen Einrichtung und Bauweise,<br />

die mehr an ein gepflegtes Bürogebäude erinnert, ist hier wirklich gar nichts so wie wir es<br />

von einem Jugendzentrum erwartet hätten. Die Präsentation, mit <strong>der</strong> uns unsere Ansprechpartner<br />

ihre Arbeit näher bringen wollen, wirkt, als wären solche Vorträge hier an <strong>der</strong> Tagesordnung.<br />

Folie um Folie von händeschüttelnden Politikern und Parteimitglie<strong>der</strong>n be-<br />

26


kommen wir gezeigt, bis schließlich die einzelnen Projekte vorgestellt werden <strong>–</strong> wie<strong>der</strong> mit<br />

einem großen Fokus auf politische Sponsoren. Durch die Darstellungen <strong>der</strong> sozialpolitischen<br />

Lage, die wir in den Volkshäusern erfahren haben und die politischen Hintergrundfakten, die<br />

wir bei <strong>der</strong> EFS bekommen haben, färbt unser Skeptizismus jeden Satz, den wir hören: die<br />

"richtige" Geschichte soll hier den Jugendlichen gelernt werden, erfahren wir, nicht die, die<br />

sie in <strong>der</strong> Schule lernen. Die exemplarischen Fotos <strong>der</strong> Projekte zeigen kaum Mädchen ohne<br />

Kopftuch und kaum gemischte Gruppen. Das Angebot stünde zwar beiden Geschlechtern<br />

gleichermaßen offen, hören wir auf unsere Frage, und in Summe würden sogar mehr Mädchen<br />

das Kursprogramm in Anspruch nehmen. Bei uns drängt sich <strong>der</strong> Eindruck auf, dass<br />

Theorie und Praxis hier doch etwas weiter auseinan<strong>der</strong> liegen. Die Jugendlichen sollen durch<br />

sportliche Ertüchtigung und geistige For<strong>der</strong>ung (und Verinnerlichung <strong>der</strong> nationalistischen<br />

Werte) am "rechten Weg" gehalten werden. Im Foto, das die Korandiskussionsrunde darstellt,<br />

entdecken wir keinen einzigen männlichen Teilnehmer. Lei<strong>der</strong> können wir nicht weiter<br />

in die Tiefe fragen, da ein gewisser Zeitdruck besteht: es soll gerade heute ein großes Sportfest<br />

statt finden, eine Kin<strong>der</strong>olympiade, und eigentlich stehen alle unter Stress. Ob wir diesem<br />

Spektakel beiwohnen möchten, werden wir gefragt. Na sicher, denken wir, und werden<br />

zum Gelände chauffiert. Was sich hinter dem Wort "Sportfest" verbirgt, wird uns erst klar als<br />

wir ankommen: eine riesige Halle, gefüllt mit Kin<strong>der</strong>n, geschmückt mit übergroßen Plakaten<br />

von politischen Vertretern. Wir versuchen, uns möglichst unauffällig in die hinterste Reihe zu<br />

setzen, werden jedoch ganz <strong>nach</strong> vorne vor die politischen Zuseher gesetzt. Uns fehlt das<br />

Who-is-Who, für einen konkreten Eindruck <strong>–</strong> dass die ersten paar Reihen in unserem Zuseherblock<br />

jedoch nur von Männern im dunklen Anzug besetzt sind, gibt uns zu denken. Wir<br />

fühlen uns sehr fehl am Platz und uns beschleicht das unangenehme Gefühl, dass wir hier zur<br />

Verbreitung einer eigenen, politischen Botschaft benutzt werden. So sitzen wir als "Delegation<br />

von StudentInnen aus Österreich" in den vor<strong>der</strong>sten Sitzen, während Politiker, die wir<br />

nicht kennen und die unter Jubel und Blumen von den Kin<strong>der</strong>n begrüßt werden, möglicherweise<br />

politische Inhalte ins Mikrofon brüllen, die wir nicht verstehen und von denen wir uns<br />

vielleicht lieber distanziert hätten. Wir warten einen höflichen Zeitpunkt ab, an dem wir<br />

wie<strong>der</strong> gehen können <strong>–</strong> vom eigentlichen Teil eines Sportfestes, einem Fest o<strong>der</strong> Sport haben<br />

wir nichts gesehen. Es bleibt ein negativer Nachgeschmack: wurden wir hier instrumentalisiert,<br />

so wie es diese Kin<strong>der</strong> ganz klar werden? In unseren Köpfen finden wir jedenfalls<br />

erschreckend viele Parallelen zu dem, was wir schon als Kin<strong>der</strong> im Geschichtsunterricht gelernt<br />

haben. Mit großer Erleichterung stellten wir in den nächsten Tagen fest, dass es unsere<br />

"Österreich Delegation", so weit wir das beurteilen können, we<strong>der</strong> in die Nachrichten noch<br />

auf die Homepage des Jugendzentrums geschafft hat. Mit dieser Art von Jugendarbeit können<br />

wir uns nämlich ganz und gar nicht anfreunden. Trotzdem finden wir, dass <strong>der</strong> Besuch<br />

des Jugendzentrums eine wertvolle Erfahrung war. Nun haben wir das Gefühl, wirklich ein<br />

rundes Bild mit beiden Polen <strong>der</strong> Gesellschaft in <strong>der</strong> Türkei bekommen zu haben, auch wenn<br />

diese Seite keine angenehme war.<br />

27


Kultur und Freizeit<br />

Verfasst von Axel Weixlbaumer und Margit Schönbauer<br />

Nachdem ein Besuch in einer Stadt wie <strong>Istanbul</strong> auch einiges an Freizeit und Sehenswürdigkeiten<br />

zu bieten hat, haben wir hier noch eine kleine Zusammenfassung davon aufgestellt,<br />

was wir uns angesehen haben.<br />

Die Blaue Moschee<br />

Beson<strong>der</strong>s neugierig waren wir auf die Blaue Moschee, die allgemein als das Wahrzeichen,<br />

das man einfach gesehen haben muss, gilt. Unser erster Eindruck am Anreisetag ist kalt und<br />

verregnet, trotzdem macht das Gebäude einen gigantischen Eindruck. Die sechs Minarette<br />

sieht man schon aus weiter Ferne<br />

Die Sultan-Ahmed Moschee wurde im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t erbaut und gilt als architektonischer<br />

Höhepunkt <strong>der</strong> osmanischen Kultur und gilt als einzige Moschee, die auch von einem römisch-katholischen<br />

Papst besucht wurde. Dieser musste zwar wahrscheinlich nicht so wie<br />

wir in einer endlos wirkenden Schlange aus Touristen warten, bevor er einen Blick in das<br />

Innere erhaschen konnte, die Stehzeit nehmen wir jedoch gerne in Kauf. Die blaue Moschee<br />

hat ihren Namen von den blauen Fliesen, mit denen ihr Innenbereich ausgestattet ist. Mehr<br />

als <strong>20.</strong>000 sind es, laut unserem Reiseführer. Durch unzählige Buntglasfenster fiele bei Sonnenschein<br />

die Sonne <strong>–</strong> so wie die Dinge wettermäßig stehen, geben wir uns auch mit Zwielicht<br />

und den liebevoll verzierten Säulen zufrieden.<br />

Die beson<strong>der</strong>e Atmosphäre wird auch noch von einem ganz beson<strong>der</strong>en Geruch begleitet,<br />

welcher zu aller erst an eine heimische Käserei erinnerte: Unzählige Füße, <strong>nach</strong> stundenlangem<br />

Sight-Seeing müde geworden, die sich nun ihrer Hüllen entledigten und ihrer olfaktorischen<br />

Geheimnisse preisgeben. Da einem aber Angesicht <strong>der</strong> Pracht <strong>der</strong> blauen Moschee<br />

sowieso die Luft wegbleibt, ist das nur ein nicht weiter beachtenswertes Detail am Rande.<br />

28


Die Moschee ist ein gigantisches Bauwerk, eine riesengroße Kuppel, von <strong>der</strong> wie an Spinnenfäden<br />

lauter kleine Lampen baumeln. Hun<strong>der</strong>te Menschen drängeln sich in erstaunlicher<br />

gedämpfter Ruhe über den Teppichboden. Eine kurze Ruhepause von <strong>der</strong> lärmenden Stadt.<br />

Einige Schnappschüsse. Ein bisschen das Gefühl, fehl am Platz zu sein- daher ein misstrauischer<br />

Blick auf die Betenden hinter <strong>der</strong> Absperrung, die sich jedoch in keinster Weise irritieren<br />

lassen.<br />

Die Hagia Sophia<br />

Keine 500 Meter von <strong>der</strong> Blauen Moschee entfernt, liegt die Hagia Sophia. Ein Bauwerk, das<br />

beson<strong>der</strong>s spannend für jene ist, die Interesse am Geschichtsunterricht hatten: Die Hagia<br />

Sophia war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches und Krönungskirche <strong>der</strong> byzantinischen<br />

Kaiser. Nach <strong>der</strong> Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen wurde die Basilika im Jahre<br />

1453 in eine Moschee umgewandelt. Dass man sich in <strong>der</strong> Antike ein Gotteshaus schon einmal<br />

etwas kosten ließ, ist ja weithin bekannt, beson<strong>der</strong>s in Anbetracht <strong>der</strong> Tatsache dass<br />

dieses für etwa tausend Jahre die größte Kirche <strong>der</strong> Christenheit war - dass für die Innenund<br />

Außendekoration <strong>der</strong> Hagia Sophia gute 145 Tonnen Gold verbaut wurden, muss man<br />

sich aber trotzdem erst einmal auf <strong>der</strong> Zunge zergehen lassen.<br />

In <strong>der</strong> Hagia Sophia ist die Stimmung nicht ganz so heilig wie in <strong>der</strong> blauen Moschee, was<br />

auch daran ersichtlich ist, dass sich die TouristInnen wie<strong>der</strong> viel selbstverständlicher in ihrer<br />

gewohnten Lautstärke unterhalten und sich ungeniert mit ihrer Nikon die besten Ränge<br />

streitig machen. Die Hagia Sophia ist ein Museum- eins <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Art. Auch wenn diese<br />

alte Dame schon einige Jahre auf dem Buckel hat, diverse Falten und Risse ihr Anlitz säumen<br />

und ein Gerüst sie von innen aufrecht hält, ist sie nicht min<strong>der</strong> gewaltig und beeindruckend.<br />

Hilfreich sind die mobilen Kopfhörer, die einem lehreichen Geschichts- und Kunstunterricht<br />

vermitteln.<br />

29


Die Zisterne<br />

Ursprünglich soll die Yerebatan-Zisterne von Kaiser Konstantin in Auftrag gegeben worden<br />

sein. Ihr Aussehen und ihre Größe verdankt <strong>der</strong> 138 Meter lange und 65 Meter breite unterirdische<br />

Wasserspeicher jedoch Kaiser Justinian. Darüber befand sich ursprünglich eine große<br />

Basilika, daher wird die Zisterne auch cisterna basilica genannt. Sie hat ein Fassungsvermögen<br />

von ca. 80.000 Kubikmetern. Zwölf Reihen von 28 Meter hohen Säulen tragen das<br />

Gewölbe. Das Wasser, das in bester Qualität aus dem Belgra<strong>der</strong> Wald im Hochland westlich<br />

von <strong>Istanbul</strong> über die Viadukte des Hadrian und des Valens kam, diente zur Versorgung des<br />

kaiserlichen Haushaltes. Heute sind im Wasser <strong>der</strong> Zisterne etliche, zum Teil sehr helle bis<br />

weiße Fische zu beobachten. Im nordwestlichen Teil <strong>der</strong> Zisterne sind die Reliefs umgekehrter<br />

Medusenhäupter zu sehen.<br />

Man steige hinab in die Katakomben, <strong>nach</strong>dem man sich demutsvoll und etwas genervt sehr<br />

langsam in Form einer Warteschlange am Samstag<strong>nach</strong>mittag dem Eingang nähert (wirklich<br />

kein guter Zeitpunkt, um sich Kultur zu Gemüte zu führen, weil Massen an Menschen die<br />

selbe Idee haben), um dann in eine an<strong>der</strong>e Welt abzutauchen. Schön beleuchtet ragen Säulen<br />

in Reih und Glied aus dem Wasser. Dazwischen tummeln sich träge Fische, <strong>der</strong> Boden ist<br />

gesäumt von glücksbringenden Opfergaben in Form von Kleinstgeld. Man schlen<strong>der</strong>e gemütlich<br />

im Halbdunklen auf den schmalen Wegen bis zur Medusa, die sich aber eher unspektakulär<br />

in einer hinteren Nische versteckt. Durchatmen- die muffige Luft aus vergangenen<br />

Zeiten. Bevor man wie<strong>der</strong> empor steigt, findet man das Zisternen Cafe, mit Leuchtreklamen<br />

ala Mc Donalds. Hat man Hunger o<strong>der</strong> Durst: Kebap und Bier im Untergrund, kein Problem.<br />

Ein Augenblick <strong>der</strong> Erleichterung, dass dieser Anblick den ehrwürdigen Erbauern erspart<br />

bleibt. Raus an die frische Luft.<br />

Abgesehen von dem geschmacklosen Cafe ist jedoch ein Besuch <strong>der</strong> Zisterne im Rahmen<br />

einer <strong>Istanbul</strong>reise ein absolutes Muss.<br />

30


Der Galataturm<br />

Galataturm (links) und die Aussicht (rechts)<br />

Der Galata-Turm (türkisch Galata Kulesi) liegt im <strong>Istanbul</strong>er Stadtteil Beyoğlu und markierte<br />

ursprünglich das nördliche Ende <strong>der</strong> Siedlung Galata. Seither diente er als Wachturm, als<br />

Feuerwache und, nicht zuletzt, als markanter Gesichtspunkt <strong>der</strong> Stadt. Von hier startete <strong>der</strong><br />

erste Flug <strong>der</strong> Menschheit <strong>–</strong> im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t, mit einem selbstgebauten und adaptierten<br />

Flugapparat <strong>nach</strong> Leonardo DaVincis Vorbild, segelte ein ambitionierter Luftfahrtsingenieur<br />

gute 3 Kilometer bis in den asiatischen Teil <strong>der</strong> Stadt. Wir gruseln uns ein bisschen angesichts<br />

<strong>der</strong> Höhe und genießen lieber die gigantische Aussicht.<br />

Der Galataturm wurde ursprünglich im 14 Jahrhun<strong>der</strong>t als Jesus-Turm errichtet und ist runde<br />

67 Meter hoch. Während <strong>der</strong> Eroberung <strong>Istanbul</strong>s durch die Osmanen wurde <strong>der</strong> Turm teilweise<br />

zerstört, aber unmittelbar im Anschluss wie<strong>der</strong> restauriert. Heute ist <strong>der</strong> Turm mit<br />

seine sieben Stockwerken und, dankenswerterweise 2 Aufzügen, ein touristisches Highlight.<br />

Von seiner Aussichtsplattform aus hat man einen Rundum-Blick aus <strong>Istanbul</strong>s luftiger Höhe,<br />

den man für einen Eintritt von 13 Lire genießen kann.<br />

Es gibt einen geheimen und sehr engen unterirdischen Tunnel zwischen dem Galata-Turm<br />

und <strong>der</strong> nahe gelegenen Bereketzade Moschee, <strong>der</strong> lei<strong>der</strong> nicht für Besichtigungen offen ist.<br />

Zu empfehlen ist ein Besuch des Galataturms beson<strong>der</strong>s bei Schönwetter und möglichst<br />

nicht zu den Haupttourismuszeiten, da es durch die große Beliebtheit zu längeren Wartezeiten<br />

am Eingang kommen kann.<br />

31


Der große Basar<br />

Ewige Gänge (links) und liebenswerter Kleinkram (rechts)<br />

Der Große Basar ist tatsächlich riesig. Rund 3300 Geschäfte, <strong>20.</strong>000 Händler und täglich<br />

300.000 Kunden, zum Großteil TouristInnen, gehen hier ein und aus.<br />

Ganz dem Basar-Klischee gemäß, besteht <strong>der</strong> erste Eindruck aus einer Armada von Souvenir-<br />

, Taschen- und Gewürzhändlern. Den echten Charme des Basars erlebt man jedoch erst,<br />

wenn man in das Innere des Großen Basars vordringt.<br />

Der Große Basar ist in seinem Kern immer noch so, wie er vor mehr als einem halben Jahrtausend<br />

errichtet wurde: ein Labyrinth malerischer Ladengassen, in dem es vor allem Artikel<br />

des täglichen Gebrauches zu erstehen gibt. Kleidung, Unterwäsche, Haushaltsmaterialen.<br />

Von Straßenwerbern wird uns von Hochzeitsklei<strong>der</strong>n bis Nähmaschinen alles quer durch den<br />

Haushalt angeboten. Auch wer auf <strong>der</strong> Suche <strong>nach</strong> Gewürzen o<strong>der</strong> kulinarischen Schätzen<br />

ist, ist in den Gassen und Hinterhöfen besser beraten <strong>–</strong> dadurch, dass hier die Mieten nicht<br />

so teuer sind, kann auch die Ware zu einem günstigeren Preis angeboten werden. Typische<br />

Tourismussouveniers sucht man hier jedoch vergebens.<br />

Nach <strong>der</strong> Eroberung Konstantinopels durch Mehmet II. errichtet, ist <strong>der</strong> Große Basar nicht<br />

nur ein Handelszentrum und Warenumschlagplatz, son<strong>der</strong>n auch ein komplexes Sozialgefüge.<br />

Nach dem baldigen Anbau <strong>der</strong> zweiten Markthalle, wuchs aus den ursprünglichen Holzläden<br />

ein befestigter Bazar mit mehr als 20 Toren und festen Mauern. Erst Ende des 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts erlangte <strong>der</strong> Große Basar sein heutiges Aussehen. Er umfasst mehr als 60 Straßen<br />

eine Post, Banken, Moscheen und Restaurants. Der Basar wächst immer weiter. Ständig<br />

werden neue illegale Hütten und Verschläge auf den Dächern und in den Hinterhöfen dazugestückelt.<br />

Die Läden werden <strong>nach</strong> Lust und Laune umgebaut, die Wände ausgehöhlt, um<br />

noch ein paar Zentimeter zusätzliche Verkaufsfläche zu gewinnen. Um den vollen Eindruck<br />

32


zu genießen, muss man sich jedoch über den "Gedeckten Basar", die riesige überdachte<br />

Markthalle, hinauswagen.<br />

Unsere Empfehlung wäre, den Großen Basar nicht unbedingt am Ende eines langen Tages zu<br />

besuchen. Er ist laut, bunt, ein Gewimmel an Gerüchen und Geräuschen und for<strong>der</strong>t viel<br />

Aufmerksamkeit <strong>–</strong> und nicht gerade wenig Orientierungssinn, um sich nicht hoffnungslos zu<br />

verlaufen.<br />

Die Prinzeninseln<br />

Nach 5 Tagen in <strong>der</strong> Metropole besucht ein Grüppchen von uns am Freitag die Prinzen Inseln:<br />

ein echtes Aufatmen <strong>nach</strong> Lärm und Gedränge. Hier gibt es keinen Smog, hier gibt es<br />

nicht einmal privaten Automobilverkehr. Alles, was auf den Inseln motorisiert ist, sind Fahrzeuge<br />

im öffentlichen Dienst. Die Bewohner fahren mit dem Rad. Die Touristen mit <strong>der</strong> Pferdekutsche.<br />

Ihren Namen haben die Prinzeninseln aus Thronstreitigkeitsgründen. Zur Vermeidung von<br />

Erbansprüchen durch an<strong>der</strong>e männliche Kin<strong>der</strong> eines Sultans wurden diese auf die Inselgruppe<br />

verbannt. Ein schöneres Schicksal als die schlichte Ermordung, die davor üblich war,<br />

finden wir.<br />

Die Prinzeninseln liegen im Marmarameer vor <strong>der</strong> asiatischen Seite <strong>der</strong> Stadt, südöstlich des<br />

Bosporus. .Die größte und "touristischste" Insel in diesem Archipel ist Büyükada. Da wir nicht<br />

in <strong>der</strong> Hauptsaison unterwegs sind, ist <strong>der</strong> Ort noch verschlafen. Die kleineren Inseln sind<br />

genauso beliebt, Kinali, Sedef, Burgaz und Heybeli eignen sich hervorragend zum schlen<strong>der</strong>n<br />

o<strong>der</strong> spazieren. Die Inseln sind verbunden durch einen regelmäßigen Schiffsverkehr und<br />

durch die städtische Fähre gut erreichbar, sowohl von <strong>der</strong> asiatischen als auch von <strong>der</strong> europäischen<br />

Küste aus. Für die wohlhaben<strong>der</strong>en Städter sind sie ein beliebtes Ausflugs- o<strong>der</strong><br />

Sommerfrischeziel. Beson<strong>der</strong>s im Sommer, wenn in <strong>der</strong> Stadt die Hitze steht, bieten die In-<br />

33


seln ein angenehm kühles Refugium. Wir haben von Hitze und Badebuchten lei<strong>der</strong> keinen<br />

Eindruck aus erster Hand, bei sonnigem Wetter durch die Häfen zu spazieren hatte jedoch<br />

auch sehr viel Charme. Wer mehr Zeit hat, kann auch ein Fahrrad ausleihen und einen Ausflug<br />

durch die Pinienwäl<strong>der</strong> unternehmen. Die alten Holzvillen, die als Sommerhäuser und<br />

Pensionen dienen, wirken wie ein Freilichtmuseum. Am Hafen wechseln sich die Fischrestaurants<br />

und Cafes ab. Wer sich etwas weiter aus dem touristischen Hafen hinauswagt, könnte<br />

zum Beispiel bei einem Eis den Fischern dabei zusehen, wie sie ihre Boote reparieren.<br />

Impressionen, die wir mitnehmen:<br />

Die sieben Tage, die wir in <strong>Istanbul</strong> verbracht haben, kommen uns vor wie eine kleine Ewigkeit.<br />

Mit vielen Eindrücken treten wir die Heimreise an, beson<strong>der</strong>s in Erinnerung bleibt uns<br />

aber dieses:<br />

34


Ohne unsere <strong>Istanbul</strong>-kundigen Kollegen wären wir aufgeschmissen gewesen. Am Anfang<br />

haben wir noch versucht, mitzuzählen wir oft wir <strong>nach</strong> dem Weg gefragt haben <strong>–</strong> die Idee<br />

haben wir aber schnell wie<strong>der</strong> aufgegeben. An dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön!<br />

<strong>Istanbul</strong> scheint eine Stadt <strong>der</strong> Gegensätze zu sein. Direkt neben Prunkbauten und mo<strong>der</strong>nen<br />

Geschäftsgebäuden finden sich Abbruchhäuser, die niemand zu renovieren scheint.<br />

Die Stadt ist tatsächlich riesig. So riesig, dass es uns so richtig erst auf <strong>der</strong> Schifffahrt bei einem<br />

Blick zurück zum Ufer auffällt und wir mit einem verwirrten Blick auf die Küste die Karte<br />

heraus kramen weil wir nicht fassen können dass "das da drüben immer noch <strong>Istanbul</strong> ist".<br />

35


Dinge, die wir schnell gelernt haben: Die Adresse unserer Wohnung ständig schriftlich mit<br />

uns herumzutragen. Denn <strong>der</strong> Preis eines Taxis mag Verhandlungssache sein, diese Adresse<br />

richtig auszusprechen jedoch ein Ding <strong>der</strong> Unmöglichkeit.<br />

Die Einkaufsstraßen sehen aus wie in je<strong>der</strong> großen Stadt, <strong>der</strong> Künstlerviertel hat aber einen<br />

ganz eigenen Charme. Hier findet man nicht nur Ausgefallenes, son<strong>der</strong>n auch gemütliche<br />

Lokale und eine entspannte, gute Atmosphäre.<br />

Dinge, die wir lieber nicht zu lernen gehabt hätten: Als Frau und Touristin alleine wohin zu<br />

gehen, ist oft nicht empfehlenswert. Beson<strong>der</strong>s nicht abseits <strong>der</strong> touristischen Straßen, auch<br />

nicht am helllichten Tag. Schon gar nicht <strong>nach</strong> Einbruch <strong>der</strong> Dunkelheit. Gleich am ersten Tag<br />

werden wir von einem netten Passanten gewarnt, die Straßenbahn lieber zu meiden o<strong>der</strong><br />

zumindest beson<strong>der</strong>s vorsichtig zu sein, da es hier häufig zu Belästigungen käme. In Anbetracht<br />

<strong>der</strong> kurzen Zeit, die wir dort verbrachten, ist die Anzahl, <strong>der</strong> unangenehmen und bedrohlichen<br />

Situationen und auch <strong>der</strong> tatsächlichen Übergriffe, die wir erlebt haben, verblüffend<br />

und erschreckend. Ein Aha-Erlebnis für eine Unmenge an Dingen, in die man sich sonst<br />

nur schwer hineinversetzen kann: wie sehr einen ein solches ständiges auf <strong>der</strong> Hut sein beeinflusst,<br />

sogar schon <strong>nach</strong> ein paar Tagen; Gegen was für Geisteshaltungen die Mitarbeiterinnen<br />

aus dem Frauenschutzzentrum - aber auch jede einzelne Frau, jeden Tag <strong>–</strong> hier tatsächlich<br />

anzukämpfen hat.<br />

36


Fazit<br />

Das spannende an dieser <strong>Studienreise</strong> ist, dass sie sicherlich ganz und gar nicht den Erwartungen<br />

entsprach, die wir uns im Vorfeld machten. Wir konnten wenig bis keine Sozialarbeit<br />

im klassischen Sinne beobachten. Der politische Kontext aber, <strong>der</strong> sich in allen Einrichtungen<br />

als eines <strong>der</strong> Hauptmerkmale herauskristallisierte, war jedoch nicht min<strong>der</strong> interessant. Der<br />

Einblick in eine Kultur, <strong>der</strong>en Begriffe, Werte und Normen, Traditionen und Problemen<br />

machte diese Reise jedoch für uns persönlich zu einem Erfolgserlebnis. Es gelang durch viele<br />

Gespräche mit den Menschen <strong>der</strong> Einrichtungen und durch anschließende nächtliche Diskussionen,<br />

sich ein überblickmäßiges Bild <strong>der</strong> Situation zu verschaffen. Beson<strong>der</strong>s von Vorteil<br />

erscheint dieses Wissen in Hinblick auf die türkische Subkultur in Österreich, wo Kommunikation<br />

oft anscheinend an Begrifflichkeiten mit unterschiedlichen Bedeutungen und Vorstellungen<br />

scheitert. (Man nehme den Begriff Familie als Beispiel. Ein Begriff benennt völlig unterschiedliche<br />

Systeme und Wahrnehmungen, für dessen gegenseitiges Verständnis es einiges<br />

an Erklärungen und Missverständnissen bedurfte, bevor er sich erst im Laufe <strong>der</strong> Woche<br />

entschlüsselte und wir verstanden, dass eine türkische klassische Familie nicht mit <strong>der</strong> gängigen<br />

Familie in Europa verglichen werden kann.) Dieses Wissen alleine bezeichnet schon<br />

einen Teilerfolg dieser Reise. Betrachtet man den politischen Idealismus <strong>der</strong> Menschen im<br />

Volkshaus, die nur für den Zweck <strong>der</strong> guten Sache kämpfen, macht dies einen starken Eindruck.<br />

Ein selbstloses und beispielhaftes Engagement, welches auch in Österreich wünschenswert<br />

vorzufinden wäre, auch wenn hier die Probleme natürlich an<strong>der</strong>s geartet sind.<br />

Schaue ich zurück auf diese Woche - auf die Erfahrungen, die wir mitnehmen durften, auf die<br />

starken Menschen, mit denen wir Kontakt hatten und die uns ihre Überzeugungen näherbrachten<br />

und schließlich auf die Gruppe, die sich als homogene Einheit präsentierte - kann<br />

ich nur sagen:<br />

Dies wird hoffentlich nicht die letzte gemeinsame Reise sein.<br />

37

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!