Allgemeine Grundrechtslehren – Teil 2
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Prof. Dr. Stefan Muckel<br />
STAATSRECHT II. GRUNDRECHTE<br />
WS 2008/09<br />
(<strong>Allgemeine</strong> <strong>Grundrechtslehren</strong> <strong>–</strong> <strong>Teil</strong> 2)<br />
B) Grundrechtsverpflichtete<br />
MERKPOSTEN VI<br />
I. Staatliche Stellen<br />
In erster Linie ist der Staat in seinen verschiedenen Erscheinungsformen Adressat der Grundrechte<br />
(vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Soweit von einem Privaten aufgrund staatlicher Beleihung Hoheitsgewalt<br />
ausgeübt wird, ist auch der Private grundrechtsverpflichtet (z.B. der Tierarzt, der auch als Fleischbeschauer<br />
in Schlachthöfen wirkt; der Bauingenieur, der auch Prüfingenieur ist).<br />
II. Private (sog. Drittwirkung von Grundrechten)<br />
Da das Grundgesetz die Grundrechte vor allem als Abwehrrechte gegen den Staat versteht, kennt es<br />
grundsätzlich keine Wirkung von Grundrechten zwischen Privaten, sog. Drittwirkung. Unmittelbare<br />
Drittwirkung von Grundrechten sieht die Verfassung in Art. 9 III 2 GG vor. Im Übrigen aber kann<br />
allenfalls eine sog. mittelbare Drittwirkung bestehen. Sie lässt die Grundrechte nur vermittelt durch<br />
zivilrechtliche Generalklauseln mit Begriffen wie „sittenwidrig“ und „Treu und Glauben“ etwa in §§<br />
138, 242, 826 BGB auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen einwirken. Da aber jeder Zivilrichter<br />
Staatsgewalt ausübt und der Staat (unmittelbar) an die Grundrechte gebunden ist, liegt der Schluss<br />
nahe, das Ganze sei ein Scheinproblem (so zuletzt Hufen, Staatsrecht II. Grundrechte, 2007, § 7<br />
Rn. 9 m.w.N.). Richtigerweise muss sorgfältig differenziert werden (instruktiv dazu die Darstellung<br />
bei Pieroth/Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 24. Aufl. 2008, Rn. 173 ff.; ferner R. Schmidt,<br />
Grundrechte, 10. Aufl. 2008, Rn. 23 f., 105 ff., 111, 197a f., 275b). Nur soweit keine speziellen<br />
Normen bestehen (die nicht gegen Grundrechte verstoßen dürfen; zu einem dieser Fälle, in denen<br />
das BVerfG die sog. Drittwirkung der Grundrechte gar nicht mehr erwähnt: BVerfG, JA 2008, 552),<br />
bleibt es bei der mittelbaren Drittwirkung über die Generalklauseln. Sie kann im Sinne der Rspr. des<br />
BVerfG seit der klassischen Entscheidung im Fall „Lüth“ (BVerfGE 7, 198) auch mit einer Ausstrahlungswirkung<br />
der Grundrechte und/oder <strong>–</strong> besser - ihrer Schutzpflichtdimension verbunden<br />
werden (vgl. Pieroth/Schlink a.a.O., Rn. 181 ff.; Sachs, Verfassungsrecht II. Grundrechte, 2. Aufl.<br />
2003, A 5 Rn. 41 f.). Wenn der Richter bei der Anwendung zivilrechtlicher Generalklauseln (wo er<br />
also einen Auslegungsspielraum hat) diesen verfassungsrechtlichen Einfluss auf das Privatrecht<br />
außer Acht lässt, verstößt er nach der Rspr. des BVerfG „nicht nur gegen objektives Verfassungsrecht,<br />
indem er den Gehalt der Grundrechtsnorm (als objektiver Norm) verkennt, er verletzt vielmehr<br />
als Träger öffentlicher Gewalt durch sein Urteil das Grundrecht, auf dessen Beachtung auch<br />
durch die rechtsprechende Gewalt der Bürger einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat“ (BVerfGE<br />
7, 198 [206 f.]; vgl. ferner Pieroth/Schlink a.a.O, Rn. 185 m.w.N. auch zu abw. Ansichten). Vgl.<br />
auch BVerfGE 25, 256 <strong>–</strong> Blinkfüer; weitere Beispiele bei Manssen, Staatsrecht II. Grundrechte, 5.<br />
Aufl. 2007, Rn. 96 ff.<br />
III. Inter- und supranationale Bezüge der Grundrechtsbindung<br />
Nach Art. 1 Abs. 3 GG ist nur die deutsche staatliche Gewalt an Grundrechte gebunden, allerdings<br />
auch im Ausland, z.B. die deutschen Botschaften und auch die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen.<br />
Für Maßnahmen der EG ist zu unterscheiden: Das Gemeinschaftsrecht selbst hat (nach z.Z. h.M.)<br />
Anwendungsvorrang. Das BVerfG übt seine Rspr. im Grundrechtsbereich gegenüber Gemeinschaftsakten<br />
nicht mehr aus, vgl. BVerfGE 37, 271 [279 f.]; 73, 339 [375 f.; 89, 155 [174 f.] <strong>–</strong> Solange I,<br />
Solange II, Maastricht). Der Rechtsschutz durch den EuGH ist vorrangig und ausreichend (das<br />
BVerfG sieht sich in einer „Kooperation“ mit dem EuGH, verzichtet aber der Sache nach auf die Überprüfung<br />
von Gemeinschaftsrechtsakten).<br />
Geht es um die Umsetzung und Vollziehung von EG-Maßnahmen, muss weiter differenziert werden.<br />
Soweit deutsche Staatsorgane ohne eigene Spielräume das EG-Recht nur in nationales Recht transformieren,<br />
gilt das oben Gesagte. Der Anwendungsvorrang des EG-Rechts würde sonst unterlaufen.<br />
Wenn und soweit aber die deutschen Organe Spielräume nutzen, greift die Grundrechtsbindung der<br />
deutschen Staatsgewalt nach Art. 1 Abs. 3 GG.
Literatur: Pieroth/Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 24. Aufl. 2008, Rn. 173 ff.; Manssen,<br />
Grundrechte. Staatsrecht II, 5. Aufl. 2007, Rn. 85 ff.<br />
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