Doppeltes Handicap Doppeltes Handicap - Berliner Mieterverein e.V.
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Hintergrund<br />
Beletage des E<br />
Pankower Stuhlrohrfabrikanten<br />
Fritz Heyn (um<br />
1920, Original im<br />
Museum Pankow)<br />
Repräsentativer Bürgerstolz<br />
Die Beletage<br />
Schöner Wohnen im 19. Jahrhundert<br />
Wer in einem <strong>Berliner</strong> altbau im Vorderhaus und in der ersten etage<br />
wohnt, kann sich – von den Räumlichkeiten her – glücklich schätzen. in<br />
der „Beletage“ sind die Decken höher, es gibt generell mehr Raum und<br />
luft, alles ist großzügiger gestaltet als im Rest des Hauses. Darüber hinaus<br />
haben sich in diesen Wohnungen oft der ausgesprochen reichhaltige<br />
Deckenstuck und die aufwendig gearbeiteten türen aus der gründerzeit<br />
erhalten – eine ornamentale ausstattung, die heute wieder vorbehaltlos<br />
für „schöner Wohnen“ steht.<br />
Der Begriff „Beletage“ leitet sich vom französischen<br />
„bel étage“ ab und bedeutet „schönes Geschoss“. Dabei<br />
handelte es sich ursprünglich um die Repräsentationsräume<br />
in adligen Wohnhäusern, die sich immer<br />
im ersten Stock befanden. Die antiken Kulturen kannten<br />
ein solches edles Obergeschoss noch nicht. Es wurde<br />
erst im Mittelalter als „piano nobile“ (italienisch für<br />
„vornehmes Geschoss“) in seiner bis heute bedeutsamen<br />
Form ausgeprägt. Die aus dem Französischen eingedeutschte<br />
Bezeichnung kam erst in der Gründerzeit<br />
auf. Nach dem Vorbild der Paläste und Schlösser des<br />
Adels wurde ein herausgehobenes erstes Stockwerk<br />
auch in gründerzeitlichen Villen sowie in repräsenta<br />
tiven städtischen Mietshäusern angelegt. Das a ufkommende<br />
Bürgertum wollte sich ebenfalls entsprechend<br />
repräsentieren können.<br />
js<br />
Ursprünglich war der Unterschied<br />
bei der Innenausstattung zwischen<br />
den Wohnungen in der ersten Etage,<br />
die mit gutem Grund auch Beletage,<br />
also das „schöne Geschoss“,<br />
genannt wurde, und den übrigen<br />
Wohnungen eines Altbaus noch<br />
weitaus größer. Denn wohnte man<br />
in der Beletage, gehörte man zu den<br />
Gutsituierten, die repräsentative Räume<br />
für ihren gehobenen Lebensstil<br />
unterhalten konnten. Zwar bestimmte<br />
vor allem die sogenannte „gute<br />
Adresse“ das gesellschaftliche Ansehen<br />
des bürgerlichen Bewohners.<br />
Aber auch unter ein und demselben<br />
Dach gab es ein erhebliches Prestigegefälle<br />
zu beachten.<br />
Jenseits der Beletage nahm der<br />
Wohnwert nach oben wie nach<br />
unten rapide ab. Die schlechtesten<br />
Wohnungen lagen im Keller und im<br />
Dachgeschoss. Die besten und größten<br />
Wohnungen befanden sich im<br />
ersten Obergeschoss, allenfalls noch<br />
im zweiten. In den darüber liegenden<br />
Etagen war der Gebrauchswert<br />
der Wohnung wegen des unbequemen<br />
Treppensteigens schon erheblich<br />
gemindert. Eine Wohnung im<br />
vierten Stock war an sogenannte bessere<br />
Leute gar nicht mehr zu vermieten.<br />
Findige Hausbesitzer zeichneten<br />
deshalb oberhalb von Souterrain und<br />
Parterre – beschönigende Ausdrücke<br />
für Keller beziehungsweise Tiefund<br />
Erdgeschoss – noch ein Hochparterre<br />
oder einen Zwischenstock<br />
aus, um auf diese Weise in der Etagenzählung<br />
möglichst nicht über ein<br />
drittes Stockwerk hinauszukommen.<br />
Die Innenausstattung orientierte<br />
sich am jeweiligen Wohnwert der<br />
Etagen be ziehungsweise der Gebäudeteile.<br />
Sowohl bei den Fußböden,<br />
Treppen, Öfen und Türen als auch<br />
bei den Fenstern und Tapeten wurden<br />
im Vorderhaus in der Regel bessere<br />
Materialien in dekorativerer<br />
Ausführung verwendet als im Hinterhaus.<br />
Entsprechend setzte sich<br />
die Abstufung im Vorderhaus noch<br />
einmal stockwerksweise fort.<br />
Wie sich im Einzelnen die Qualität<br />
der Ausstattung unter schied, führt<br />
anschaulich ein handschriftli cher<br />
Vertrag von 1901 vor, der zwischen<br />
dem Bauherrn Emil Matthey und<br />
dem Baumeister Johannes Strache<br />
anlässlich der Herstellung des Hauses<br />
Skalitzer Straße 99 in Kreuzberg<br />
geschlossen wurde. Unter Punkt 15<br />
tapeten nach Status<br />
wird festgehalten: „Sämtliche Deckenflächen<br />
werden geseift und mit<br />
getönter Leimfarbe gestrichen, der<br />
Stuck an den Decken ist mit Ölwachs <br />
farbe im Tapetenton zu streichen.<br />
Im I. und II. Stock ist der Stuck teilweise<br />
echt zu vergolden.“ Punkt 16<br />
präzisiert die Tapezierarbeiten: „Die<br />
Tapeten der Vorderzimmer und <strong>Berliner</strong><br />
Zimmer der großen Wohnungen<br />
im I. und II. Stock sind im Werte von<br />
24 MieterMagazin 12/2013<br />
Foto: Sabine Münch<br />
Foto: Sabine Münch