Katholisches Wort in die Zeit 44. Jahr Februar 2013 - Der Fels
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Jürgen Lim<strong>in</strong>ski:<br />
Wohlstand, Individualismus, Gerechtigkeitslücke<br />
Zu den wahren Ursachen des Geburtendefizits / Wo das Glück zuhause ist<br />
Vor<br />
etwas mehr als zehn <strong>Jahr</strong>en<br />
führte das Demoskopie-Institut<br />
Allensbach e<strong>in</strong>e Umfrage<br />
durch, um herauszuf<strong>in</strong>den, warum<br />
K<strong>in</strong>derlose ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der haben. Das<br />
Ergebnis war ernüchternd: 47 Prozent<br />
gaben f<strong>in</strong>anzielle Gründe an, 44<br />
Prozent fehlte der „geeignete Partner“,<br />
und nur 14 Prozent begründeten<br />
ihre Entscheidung mit dem Mangel<br />
an Betreuungsplätzen. Trotz <strong>die</strong>ser<br />
Fakten me<strong>in</strong>ten <strong>die</strong> Verantwortlichen<br />
<strong>in</strong> der Politik sagen zu müssen, dass<br />
der Mangel an Krippenplätzen <strong>die</strong><br />
Hauptursache für <strong>die</strong> fehlenden Geburten<br />
sei. Sie waren von e<strong>in</strong>flussreichen<br />
Personalberatern wider alle Tatsachen<br />
zu <strong>die</strong>ser Aussage gedrängt<br />
worden.<br />
Heute, e<strong>in</strong>e Generation und e<strong>in</strong>e<br />
massive Krippenoffensive später,<br />
geht e<strong>in</strong> anderes Phantom um: Schuld<br />
an den fehlenden K<strong>in</strong>dern sei das traditionelle<br />
Mutterbild <strong>in</strong> Deutschland.<br />
Es schrecke junge Frauen ab, K<strong>in</strong>der<br />
zu bekommen. Folglich müsse, so der<br />
Tenor <strong>in</strong> Politik, Me<strong>die</strong>n und Wirtschaft,<br />
das Mutterbild modernisiert<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Geburtenrückgang <strong>in</strong> Deutschland<br />
Nicht <strong>die</strong> „K<strong>in</strong>derlosigkeit“, sondern der Rückgang k<strong>in</strong>derreicher<br />
Familien hat den Geburtenrückgang verursacht<br />
Familien (<strong>in</strong> Mio)<br />
K<strong>in</strong>der (<strong>in</strong> Mio)<br />
1960<br />
1990<br />
werden. Es müsse wie <strong>in</strong> Frankreich<br />
oder <strong>in</strong> Skand<strong>in</strong>avien selbstverständlich<br />
se<strong>in</strong>, K<strong>in</strong>der zu bekommen und<br />
zu erziehen und gleichzeitig e<strong>in</strong>em<br />
Erwerbsberuf nachzugehen. Es war<br />
das Bundes<strong>in</strong>stitut für Bevölkerungsforschung,<br />
das angeblich „erstmals“<br />
<strong>die</strong> „Gefühlslage der Deutschen bei<br />
der Frage nach dem dauerhaften Geburtenrückgang“<br />
untersucht habe.<br />
Das „kulturelle Leitbild der guten<br />
Mutter“ sei e<strong>in</strong> zentraler Grund für<br />
<strong>die</strong> im „globalen Vergleich“ e<strong>in</strong>zigartig<br />
hohe K<strong>in</strong>derlosigkeit und so dafür<br />
verantwortlich, dass Deutschland<br />
zu den „Schlusslichtern“ bei den Geburten<br />
gehöre. Abgesehen davon, dass<br />
Allensbach schon mehrfach <strong>die</strong> Gründe<br />
für das dauerhafte Geburtendefizit<br />
erfragt hatte, hielten sich <strong>die</strong> Schlussfolgerungen<br />
an <strong>die</strong> gewohnten Vor-<br />
Urteile, <strong>die</strong> man <strong>in</strong> Me<strong>die</strong>n und Politik<br />
zu Ehe und Familie f<strong>in</strong>det.<br />
Die Forderungen g<strong>in</strong>gen sogar<br />
noch e<strong>in</strong>en Schritt weiter: Nicht nur<br />
<strong>die</strong> Betreuungsangebote sollten erweitert<br />
werden, sondern es sollte<br />
auch e<strong>in</strong>e gezielte Politik der „habit<br />
formation“ gestartet werden, um<br />
<strong>die</strong> Deutschen von ihren hergebrachten<br />
Familienidealen und Lebensformen<br />
abzubr<strong>in</strong>gen. Zu <strong>die</strong>ser Strategie<br />
gehöre <strong>die</strong> Legende von der<br />
Rabenmutter. <strong>Der</strong> Familienforscher<br />
Stefan Fuchs weist allerd<strong>in</strong>gs darauf<br />
h<strong>in</strong>, dass <strong>die</strong>ser Begriff schon lange<br />
nur noch von denjenigen verwendet<br />
werde, „<strong>die</strong> den Deutschen e<strong>in</strong>reden<br />
wollen, dass ihr Familienbild im europäischen<br />
Vergleich besonders „traditionell“<br />
und also „rückständig“ sei.<br />
Denn empirische Erhebungen zeigten<br />
e<strong>in</strong> differenzierteres Bild: „Die<br />
Westdeutschen beurteilen demnach<br />
<strong>die</strong> Erwerbstätigkeit von Müttern<br />
mit kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern skeptischer als<br />
Skand<strong>in</strong>avier und auch Franzosen,<br />
unterscheiden sich <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser H<strong>in</strong>sicht<br />
aber kaum von Briten oder Niederländern.“<br />
Besonders kritisch seien<br />
<strong>die</strong> E<strong>in</strong>schätzungen, wenn nach e<strong>in</strong>er<br />
Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern<br />
gefragt werde – selbst <strong>in</strong> Dänemark<br />
und Schweden bevorzugten <strong>die</strong> meisten<br />
Befragten e<strong>in</strong>e Teilzeiterwerbstätigkeit.<br />
Diese Teilzeitpräferenz zeigten<br />
sogar <strong>die</strong> Ostdeutschen, <strong>die</strong> von<br />
allen Europäern – abgesehen von<br />
den Dänen – am wenigsten an der<br />
Vere<strong>in</strong>barkeit der Erwerbstätigkeit<br />
von Müttern mit der Erziehung kle<strong>in</strong>er<br />
K<strong>in</strong>der zweifeln. Fast nirgendwo<br />
sonst <strong>in</strong> Europa ist <strong>die</strong> Ganztagsbetreuung<br />
von K<strong>in</strong>dern so verbreitet<br />
wie <strong>in</strong> Ostdeutschland.<br />
Dies ist nicht nur e<strong>in</strong> Erbe der<br />
DDR, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> umfassendes Ganztagssystem<br />
aufgebaut hatte. Es belegt<br />
auch, dass <strong>die</strong> Betreuungsstruktur<br />
nicht <strong>die</strong> Ursache für <strong>die</strong> K<strong>in</strong>derlosigkeit<br />
der Deutschen ist. Wäre dem<br />
so, müsste bei e<strong>in</strong>er flächendeckenden<br />
Betreuungsstruktur wie <strong>in</strong> Ost<br />
„Die Verr<strong>in</strong>gerung der Zahl um 2 Millionen ist so gut wie ausschließlich auf <strong>die</strong><br />
Reduktion der Drei- und Vierk<strong>in</strong>derfamilien zurückzuführen.“ (Quelle: Sachverständigenkommission<br />
Siebter Familienbericht: Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit<br />
– Perspektiven für e<strong>in</strong>e Lebenslaufbezogene Familienpolitik, München 2005, S. 36)<br />
© Stefan Fuchs<br />
54 DER FELS 2/<strong>2013</strong>