Frederik Köster - Jazz Podium
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„I’m a composer who plays the piano“<br />
Dave Brubeck<br />
(6. 12. 1920 – 5. 12. 2012)<br />
In Europa war Dave Brubeck vor allem als <strong>Jazz</strong>pianist<br />
bekannt. Doch er selbst hielt seine<br />
Kompositionen für wichtiger als sein Klavierspiel.<br />
Ilse Storb würdigt im Folgenden die<br />
bedeutendsten Werke von Dave Brubeck. Der<br />
Text ist ihrem Buch „Dave Brubeck – Improvisationen<br />
und Kompositionen – Die Idee der<br />
kulturellen Wechselbeziehungen“ entnommen,<br />
der 1991 beim Verlag Peter Lang in<br />
Deutschland erschien, 1994 in der Übersetzuung<br />
von Bert Thompson beim Verlag Peter<br />
Lang in New York. Eine zweite Auflage erschien<br />
2000 beim LIT Verlag in Münster.<br />
Prof. Dr. Ilse Storb mit Dave Brubeck, der auf Betreiben der Autorin am 1. Mai 1994 die Ehrendoktorwürde<br />
der Universität Duisburg erhielt.<br />
F<br />
ragt man in Deutschland in öffentlichen Räumen:<br />
„Wer ist Dave Brubeck?“ ist die Antwort: „Nie<br />
gehört“… oder allenfalls „Take five“…was ja<br />
von Paul Desmond stammt. Selbst der Rowohlt-Verlag<br />
sagte mir vor Jahren: „Kennt ja keiner! Schreiben Sie<br />
was über Louis Armstrong!“ – Deutschland und der<br />
<strong>Jazz</strong>!<br />
„Eigentlich bin ich ein Komponist, der Piano spielt. Ich<br />
bin nicht in erster Linie Pianist. Deshalb ist mein Pianospiel<br />
von dem Material, den Ideen, die ich auszudrücken<br />
versuche, geformt und nicht von einem System<br />
oder einer Suche nach einem identifizierbaren<br />
Sound. Wegen meiner eigenen Konzeption im Harmonischen<br />
und Rhythmischen ist der Brubeck-Sound wie<br />
von selbst gekommen, aber ich suchte nie bewusst<br />
danach. Ich habe immer versucht, mich von musikalischen<br />
‚Zwangsjacken’ fern zu halten. Ich versuche mir<br />
innerhalb des <strong>Jazz</strong>-Idioms die Freiheit der Wahl zu erhalten,<br />
so dass mein Stil in erster Linie eine Summierung<br />
all der Erlebnisse und Erfahrungen ist, die ich gemacht<br />
habe.“ (Campus, 1972)<br />
Seit dem Kompositionsunterricht bei Darius Milhaud<br />
(1946-1948) war Brubeck bestrebt auch Komponist zu<br />
sein. Das umfassende „klassische“ Training eines europäischen<br />
Komponisten in Harmonielehre, Kontrapunkt,<br />
12-Ton-Technik etc. konnte er nicht vorweisen.<br />
Er wollte sich als intuitiv-auditiver Musikertyp auch<br />
6 <strong>Jazz</strong> <strong>Podium</strong> 5/13<br />
nicht der „eisernen“ Disziplin mancher Konservatorien<br />
unterordnen. Die zahlreichen, weltweiten Tourneen<br />
des Dave Brubeck Quartetts ließen darüber hinaus<br />
wenig Zeit fürs Komponieren. Das sollte sich mit der<br />
Auflösung des Quartetts 1967 ändern. Die „Idee des<br />
Cultural Exchange“ und der „impressionistischen“<br />
Einarbeitung oder collagehaften Kombination verschiedenster<br />
Musikzitate blieb immer erhalten. Brubecks<br />
musikalische Identität ist facettenreich und von<br />
schillernder Diversität.<br />
Die Anerkennung Brubecks als „serious composer“ ist<br />
in den USA weit verbreitet. Aufführungen seiner größeren<br />
Kompositionen finden immer wieder statt. Vom<br />
27.-28.4.1980 fand in Bridgeport „The Tenth Annual<br />
Contemporary American Composers Festival Dave<br />
Brubeck statt. Es war ausschließlich Kompositionen<br />
von Dave Brubeck gewidmet, Ausschnitten aus dem<br />
Oratorium „The light in the wilderness“ und der Kantate<br />
„The gates of justice“. (Für die am meisten unterdrückten<br />
Völker; „Die Juden“ und „Die Schwarzen“).<br />
Der Workshop am 28.4.1980 war seinem verehrten<br />
Lehrer Darius Milhaud gewidmet. Er umfasste die folgenden<br />
Kammermusikwerke: „Tritonis“ für Flöte und<br />
Gitarre von Dave Brubeck, „Scaramouche“ für 2 Klaviere<br />
von Darius Milhaud, eine Suite für Violine, Klarinette<br />
und Klavier von Darius Milhaud und das Ballett<br />
„Points on jazz“ für 2 Klaviere von Dave Brubeck. Die<br />
Messe „To hope“ wurde am 24.4.1980 in der St.<br />
Peter’s and Paul’s Cathedral, Providence, Rhode Island<br />
aufgeführt. Ich konnte sowohl am „Composers Festival“<br />
in Bridgeport sowie an der Aufführung der Messe<br />
in Providence teilnehmen, da ich eine Woche im Hause<br />
Brubeck, Wilton, Connecticut, verbrachte.<br />
Die Idee der kulturellen Wechselbeziehungen und der<br />
Aufnahme fremder Musikelemente unter der Einwirkung<br />
von vielen Musiksprachen ist in den Kompositionen<br />
ebenso lebendig wie in den Improvisationen. Sie<br />
ist für Brubecks vielfältigen Stil kennzeichnend.<br />
Aus schriftlichen und mündlichen Äußerungen Brubecks<br />
bekommt man immer den Eindruck, dass er die<br />
Begriffe Komposition und Improvisation nicht scharf<br />
trennt, sondern eine Integration anstrebt. Er gebraucht<br />
den Überbegriff Kreativität und nach Strawinsky:<br />
Komposition ist selektive Improvisation. (cp.<br />
Meine zahlreichen Interviews und Strawinsky: „Musikalische<br />
Poetik“).<br />
Die ersten Kompositionen für Klavier von Dave Brubeck<br />
aus dem Jahr 1946 heißen: „Reminiscences from<br />
the Cattle Country“. Brubecks Vater war Rancher und<br />
Dave sollte Veterinär werden! Brubeck schenkte mir<br />
ein Exemplar der ersten Komposition mit der Widmung:<br />
„For Elisa, the real me“! „The Duke meets Darius<br />
Milhaud and Arnold Schönberg“ – 1956 – ist Duke<br />
Ellington gewidmet, der Dave Brubeck sehr viel beim<br />
Aufbau seiner Karriere geholfen hat, Arnold Schönberg,<br />
dessen Verhalten er nicht verstehen konnte und<br />
seinem College-Lehrer Darius Milhaud, den er sehr<br />
verehrte und der sein bester Ratgeber war. (Arnold<br />
Schönberg hatte für jede geschriebene Note eine Begründung<br />
verlangt und sich als den Experten für europäische<br />
Symphonik vorgestellt.) Brubeck: „Wieso, das<br />
klingt doch gut!“ Und über Milhaud: „Mein Lehrer<br />
war Darius Milhaud, der total in der Polytonalität lebte.<br />
Und er liebte Schönbergs Musik überhaupt nicht.<br />
Und ich bin ziemlich sicher, Schönberg mochte seine<br />
Dave Brubeck: „Mein Lehrer war Darius Milhaud, der<br />
total in der Polytonalität lebte. Und er liebte Schönbergs<br />
Musik überhaupt nicht. Und ich bin ziemlich sicher,<br />
Schönberg mochte seine auch nicht. Aber Milhaud<br />
erzählte mir eine amüsante Geschichte, er sagte: ‚Ich<br />
kann kein musikalisches System mit mathematischen<br />
Regeln ertragen, und wenn du kein tonales Zentrum hast,<br />
dann raubst du dem Publikum etwas vom Größten in der<br />
Musik: Die Modulation. Sie können nirgends hingelangen,<br />
wenn Sie zuvor nirgends waren!’“