22 Loesung Fall 8 Kapitalgesellschaftsrecht
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KapitalgesellschaftsR WS 2008/2009<br />
Lösung <strong>Fall</strong> 8<br />
Die zulässige Anfechtungsklage des F gegen den Gewinnverwendungsbeschluss hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie begründet<br />
ist. Sie ist bereits begründet, wenn der Gesellschafterbeschluss nichtig ist. Ferner wäre sie begründet , wenn<br />
zumindest ein Anfechtungsgrund vorliegt, F die Klage fristgerecht einreicht und er anfechtungsbefugt ist.<br />
[Strenggenommen könnten Sie die fristgerechte Erhebung iSv. § 246 AktG analog als Frage der Zulässigkeit ansehen<br />
und hier als gegeben unterstellen – denn einer offensichtlich verfristeten Klage fehlt in jedem <strong>Fall</strong> das Rechtsschutzbedürfnis,<br />
das der Zulässigkeit zugeordnet ist. In jedem <strong>Fall</strong> sollten Sie die offensichtliche Verfristung erwähnen. Ansonsten<br />
bietet sich schon aus klausurtaktischen Gründen an, die Frist wie die h.M. nach § 246 AktG als Begründetheitserfordernis<br />
anzusehen und in der Lösung anzusprechen. Die Anfechtungsbefugnis betrifft die Aktivlegitimation, d.h. die<br />
Berechtigung, die Nichtigkeit geltend zu machen, und betrifft in jedem <strong>Fall</strong> die Begründetheit der Klage. Die Zulässigkeit<br />
von Klagen umfasst vor allem Fragen wie die des sachlich und örtlich zuständigen gerichts, der Prozess- und Parteifähigkeit<br />
und ordnungsgemäßen Vertretung sowie des bereits erwähnten Rechtsschutzbedürfnis. In dieser <strong>Fall</strong>lösung<br />
sind daher im Rahmen der Anfechtungsprüfung die Anfechtungsbefugnis und- frist zu erwähnen.]<br />
Zwar ist im GmbHG nicht geregelt [Regelungslücke], wie fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse rechtlich zu behandeln<br />
sind. Indessen können Gesellschafterbeschlüsse verfahrensmäßig fehlerhaft zustandekommen (unter Verstoß gegen die<br />
§§ 47 ff. GmbHG) oder inhaltlich mit Mängeln behaftet sein, so dass deren Wirksamkeit je nach Schwere des Mangels<br />
entweder gar nicht erst eintreten kann (Nichtigkeit), oder jedenfalls rückwirkend zu beseitigen sein muss (Anfechtbarkeit)<br />
–wie im AktG in den §§ 241 ff. [vergleichbare Interessenlage!]. Daher sind die §§ 241 ff. AktG hier unter Berücksichtigung<br />
der Besonderheiten einer GmbH analog anzuwenden.<br />
I. Vorliegen von Nichtigkeitsgründen analog § 241 AktG<br />
Da der Anfechtungsantrag die Feststellung der Nichtigkeit mit einschließt, ist zunächst zu prüfen, ob der Gesellschafterbeschluss<br />
nichtig ist. Dazu müsste einer der Nichtigkeitsgründe iSd. § 241 AktG vorliegen.<br />
1. Das Eingreifen von Nichtigkeitsgründen ergibt sich aus der auch im GmbH-Recht grundsätzlich entsprechend anwendbaren<br />
Vorschrift des § 241 AktG.<br />
2. Hier kommt als Nichtigkeitsgrund einzig ein Verstoß gegen § 241 Nr. 3 AktG in Betracht.<br />
a) Denn ein Verstoß gegen Gläubigerschutzvorschriften ist ebenso wenig erkennbar wie Verstöße gegen Vorschriften,<br />
die dem öffentlichen Interesse dienen.<br />
b) Es stellt sich sodann die Frage, ob die unterbliebene Gewinnausschüttung aber dem „Wesen der GmbH“ widersprechen<br />
könnte.<br />
Das „Wesen der GmbH“ ist berührt, wenn der Beschluss grundlegende Strukturmerkmale der Gesellschaft verletzt oder<br />
aus anderen Gründen offensichtlich keinen Bestand haben kann, ohne dass sich dies auf eine konkrete Norm stützen<br />
lässt. (Hierunter fallen Verstöße gegen zwingendes Recht wie bspw. unentziehbare Individualrechte, Minderheitsrechtetc.).<br />
Dem Nichtigkeitsgrund „Wesen der GmbH“ kommt daher nur eine Auffangfunktion zu.<br />
Vorliegend wurde lediglich der Gewinn nicht ausgeschüttet. Das „Wesen der GmbH“ ist aber gerade nicht dadurch<br />
geprägt, dass das GmbH-Recht einen Anspruch auf Gewinnausschüttung gewährt. Vielmehr ergibt sich aus § 29 II<br />
GmbHG, dass das Jahresergebnis auch vollständig in der Gesellschaft verbleiben kann. Der Thesaurierungsbeschluss<br />
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verstößt somit nicht gegen das Wesen der GmbH, sondern entspricht im Gegenteil der Regelung des § 29 II GmbHG.<br />
verstoßen.<br />
3. Eine Nichtigkeit des Beschlusses analog § 241 Nr. 3 AktG scheidet daher aus.<br />
II. Vorliegen von Anfechtungsgründen analog § 243 AktG<br />
Da – wie oben bereits geprüft – der Gewinnverwendungsbeschluss nicht nichtig ist, ist die Klage somit nur begründet,<br />
wenn Anfechtungsgründe vorliegen, F die Klage fristgerecht einreicht und anfechtungsbefugt ist.<br />
Als Anfechtungsgründe kommen entsprechend § 243 I AktG Gesetzes- oder Satzungsverstöße in Frage.<br />
Verstöße gegen die Satzung der A-GmbH sind nicht ersichtlich.<br />
Der Gewinnverwendungsbeschluss könnte jedoch gegen das Gesetz verstoßen.<br />
a) Verstoß gegen § 29 II GmbHG<br />
§ 29 II GmbHG gibt der Gesellschaftermehrheit anders als § 58 AktG keine Bindungen auf, welcher Teil des Jahresüberschusses<br />
in Rücklagen einzustellen bzw. vorzutragen ist und welcher Teil ausgeschüttet werden kann. Die Entscheidung<br />
obliegt allein dem freien Ermessen der Gesellschafter. Ein Verstoß gegen § 29 II GmbHG liegt somit nicht<br />
vor.<br />
b) Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
Anders als im Aktienrecht (§ 53a AktG) ist der Gleichbehandlungsgrundsatz im GmbH-Recht nicht ausdrücklich geregelt.<br />
Er gilt aber auch hier, da er Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens ist.<br />
Der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt von der Gesellschaft, alle Gesellschafter grundsätzlich gleich zu behandeln,<br />
sofern eine Ungleichbehandlung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.<br />
Da hier bei der Gewinnverteilung aber alle Gesellschafter der A-GmbH unberücksichtigt geblieben sind, ist ein Verstoß<br />
gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gegeben.<br />
c) Treuepflichtverstoß<br />
Der Gewinnverwendungsbeschluss könnte gegen die Treuepflicht verstoßen.<br />
aa) Geltung der Treuepflicht im GmbH-Recht<br />
Auch wenn die Rechtsgrundlage der Treuepflicht umstritten ist, besteht Einigkeit darüber, dass eine Pflichtenbindung<br />
nicht nur zwischen den Gesellschaftern einer Personengesellschaft, sondern auch zwischen den Gesellschaftern einer<br />
GmbH besteht. Eine GmbH ist oftmals ähnlich personalistisch strukturiert wie eine Personengesellschaft, zudem bedarf<br />
die Möglichkeit der Gesellschaftermehrheit, kraft Mehrheitsbeschluss auf die Rechte der Minderheit einzuwirken, als<br />
Gegengewicht der entsprechenden Pflicht der Mehrheit auf die Interessen der Minderheit angemessen Rücksicht zu<br />
nehmen.<br />
bb) Inhalt der Treuepflicht<br />
Die Treuepflicht besteht im Einzelnen aus der Förderpflicht, der Rücksichtsnahmepflicht und dem Schädigungsverbot.<br />
Hier kommt einzig eine Verletzung der Rücksichtsnahmepflicht in Betracht.<br />
[Inhalt der anderen Pflichten im einzelnen:<br />
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Förderpflicht: Mitwirkung an allen Maßnahmen, die zur Erhaltun g des in der Ges. Geschaffenen und zur Erreichung<br />
ihres Zweckes dringend geboten sind wie bspw. die Mitwirkung an bestimmten Entscheidungen wie Jahresabschlussfeststellung,<br />
Änderung einer unzureichenden Satzung, die Sanierung der Ges. in der Krise oder Liquidation.<br />
Schädigungsverbot: Unterlassung unmittelbar schädigender Verhaltensweisen wie Diskreditierung gegnüber Dritten,<br />
sich in Geschäftschancen zu drängen etc. ]<br />
Welche Intensität die Rücksichtsnahmepflicht entwickelt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und wird im<br />
Wege einer Interessenabwägung ermittelt (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der jeweiligen Maßnahme).<br />
Der Gesellschafter beschluss muss sich daher stets des mildesten Mittels bedienen und keine Belastung zur Folge<br />
haben, die außer Verhältnis zum erzielten Vorteil steht.<br />
Deshalb verstößt der Gewinnverwendungsbeschluss der A-GmbH nur gegen die Treuepflicht, wenn die Rücklagenbildung<br />
als erzielter Vorteil im Hinblick auf das Gesellschaftsinteresse als nicht geeignet, als nicht erforderlich oder als<br />
nicht angemessen anzusehen ist.<br />
Hier ist fraglich, ob die Einstellung des gesamten Jahresgewinns unter Berücksichtigung der guten wirtschaftlichen<br />
Situation der A-GmbH erforderlich ist. Zwar begründen H und K den Beschluss damit, dass die Gesellschaft Rücklagen<br />
für schlechtere Zeiten bilden müsse, für die Beurteilung der Erforderlichkeit ist allerdings nicht die subjektive Sicht der<br />
Mitgesellschafter maßgeblich, sondern ist entscheidend, ob unter Berücksichtigung aller Umstände die Reservenbildung<br />
kaufmännisch objektiv erforderlich ist.<br />
Laut Sachverhalt verfügt die GmbH über ausreichend liquide Mittel und bilanzielle Polster, die Betriebsmittel entsprechen<br />
dem neuesten Stand der Technik und müssen frühestens in 5 Jahren erneuert werden. Letztlich sind auch die Risiken<br />
aus dem operativen Geschäft als gering einzuschätzen, da die GmbH sowohl Marktführer ist als auch – laut Sachverhalt<br />
– über einen treuen Kundenstamm verfügt. Die Einstellung des gesamten Jahresgewinns ist daher bei kaufmännisch<br />
objektiver Betrachtung nicht erforderlich.<br />
Der Gewinnverwendungsbeschluss verstößt damit gegen die Treuepflicht.<br />
Ein Anfechtungsgrund liegt somit vor.<br />
III. Anfechtungsbefugnis<br />
F muss jedoch auch anfechtungsbefugt sein. Anders als im Aktienrecht (§ 245 AktG) ist im GmbH-Recht jeder Gesellschafter<br />
anfechtungsbefugt, und zwar unabhängig davon, ob er an der Beschlussfassung teilgenommen hat und Widerspruch<br />
zu Protokoll erhoben hat. Eine Übertragung der speziellen aktienrechtlichen Anfechtungsbefugnis (§ 245 Nr. 1-3<br />
AktG) ergibt für die GmbH keinen Sinn, weil GmbH-Beschlüsse nicht protokollpflichtig sind.<br />
F ist daher als Gesellschafter der A-GmbH ohne weiteres zur Anfechtung des Gewinnverwendungsbeschlusses befugt.<br />
IV. Klagefrist<br />
Für die Klagefrist bei der Anfechtung von GmbH-Beschlüssen gilt nicht die starre Monatsfrist des § 246 I AktG. Denn<br />
die Einführung einer solchen Frist ist Sache des Gesetzgebers. Dennoch besteht Einigkeit darüber, dass die Klage nicht<br />
unbefristet erhoben werden kann und eine den Umständen nach zu bemessende angemessene Frist gelten muss.<br />
Als Leitbild wird dabei die Monatsfrist des § 246 I AktG herangezogen, so dass grundsätzlich innerhalb eines Monats<br />
Klage erhoben werden sollte, je nach den Umständen die Frist aber auch gewahrt sein kann, wenn die Klage noch innerhalb<br />
von bis zu 3 Monaten nach Beschlussfassung erhoben wird, sofern sachliche Gründe dies rechtfertigen. (Ein<br />
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solcher Grund wären bspw. Verhandlungen um einvernehmliche Bereinigung mit Überlegungsfrist oder die Klärung<br />
schwiweriger Tatsachen- oder Rechtsfragen).<br />
Vorliegend erhebt F die Klage knapp einen Monat nach Beschlussfassung, so dass die Frist in jedem <strong>Fall</strong> eingehalten<br />
ist.<br />
V. Ergebnis: Die zulässige Anfechtungsklage des F gegen den Gewinnverwendungsbeschluss ist begründet.<br />
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