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­ 7 ­<br />

1. Anlage und Durchführung <strong>de</strong>r Untersuchung<br />

1.1 Die Ausgangslage – Die „Krise <strong>de</strong>s Ehrenamts“<br />

Jürgen Wolf<br />

In <strong>de</strong>r öffentlichen Aufmerksamkeit hat das Thema <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements<br />

in <strong>de</strong>r jüngsten Vergangenheit einen konstanten Spitzenplatz eingenommen.<br />

Einen Höhepunkt erreichte die Aufmerksamkeit 2001 im „internationalen<br />

Jahr <strong>de</strong>r Freiwilligen“. Dabei hat eine Akzentverschiebung stattgefun<strong>de</strong>n. Das<br />

hergebrachte Ehrenamt hat zugunsten neuartiger Formen <strong>de</strong>s freiwilligen o<strong>de</strong>r<br />

bürgerschaftlichen Engagements an Attraktivität eingebüßt. So hat eine Reihe von<br />

Untersuchungen in <strong>de</strong>r letzten Deka<strong>de</strong> einen Rückgang <strong>de</strong>s „traditionellen“ehrenamtlichen<br />

Engagements konstatiert – sowohl beim sozialen Ehrenamt, z.B. im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s sozialen Engagements in Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong>n, als auch im interessenpolitischen<br />

Ehrenamt, z.B. im Rahmen von Gewerkschaften. Zurückgeführt<br />

wird dieser Rückgang auf die Prozesse <strong>de</strong>s Wertewan<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>r Individualisierung,<br />

mit <strong>de</strong>nen zugleich jene sozialen Milieus geschwächt wur<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren Zugehörigkeit<br />

<strong>de</strong>m Engagement in weltanschaulich, konfessionell und politisch orientierten<br />

Organisationen zugrun<strong>de</strong> lag (vgl. ausführlich Heinze / Strünck 1999).<br />

Im konzeptionellen Rahmen <strong>de</strong>r „Zivilgesellschaft“und <strong>de</strong>s „Wohlfahrtsmix“<br />

(vgl. Evers / Olk 1996), haben empirische Studien dagegen gezeigt, dass es weniger<br />

zu einem Rückgang als zu einem Formwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements<br />

gekommen ist, <strong>de</strong>r im Begriff <strong>de</strong>r neuen Ehrenamtlichkeit zusammengefasst<br />

wird (vgl. Olk 1988). Diese Form <strong>de</strong>s Engagements fin<strong>de</strong>t sich in selbstorganisierten<br />

Gruppen, Initiativen und Projekten, in <strong>de</strong>nen die traditionellen Orientierungen<br />

<strong>de</strong>r „Ehre“und <strong>de</strong>s „Amts“von <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rneren <strong>de</strong>r Selbstverwirklichung<br />

und <strong>de</strong>r freiwilligen Assoziation abgelöst wor<strong>de</strong>n sind (vgl. Braun 2001a1997). Für<br />

diese als neu apostrop<strong>hier</strong>te Form <strong>de</strong>s Engagements wird keine Ab­, son<strong>de</strong>rn eine<br />

<strong>de</strong>utliche Zunahme festgestellt. 1 Ab Mitte <strong>de</strong>r 70er Jahre gab es einen „Gründungsboom“(Priller/Zimmer<br />

1998) von Initiativen und Projekten, die auf dieser<br />

Form <strong>de</strong>s Engagements beruhten und beruhen – von lokalen Bürgerinitiativen<br />

über Selbsthilfegruppen bis hin zur Partei <strong>de</strong>r GRÜNEN, die sich zumin<strong>de</strong>st in<br />

<strong>de</strong>n ersten Jahren als Sammelbecken und Sprachrohr dieser Vereinigungen<br />

verstand.<br />

Der Hintergrund dieser Entwicklung ist zum einen die nachlassen<strong>de</strong> Bin<strong>de</strong>wirkung<br />

und Verpflichtungskapazität von Großorganisationen gegenüber ihren<br />

Mitglie<strong>de</strong>rn, zum an<strong>de</strong>ren ein gewan<strong>de</strong>ltes Verständnis <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong>de</strong>r<br />

Bürgerinnen und Bürger zum Gemeinwesen und <strong>de</strong>m gesellschaftlichen Prozess.<br />

„Aktive Bürgerschaft“und freiwilliges Engagement wer<strong>de</strong>n als Momente <strong>de</strong>r gelebten<br />

Demokratie in einer „Bürgergesellschaft“(Enquete­Kommission 2002a; b)<br />

interpretiert, in <strong>de</strong>r die gesellschaftliche Integration immer weniger über die Erwerbsarbeit<br />

und die an sie gekoppelten Ansprüche auf soziale Anerkennung und<br />

materielle Sicherung verläuft. Das Engagement, <strong>de</strong>m nun die Aufmerksamkeit gilt,<br />

1 Für <strong>de</strong>tailliertere Angaben vgl. unten, 1.3.


­ 8 ­<br />

knüpft in diesem Rahmen eher an die Traditionen <strong>de</strong>r Bürgerinitiativen und <strong>de</strong>r<br />

Selbsthilfe an als an die organisierte Interessenvertretung im Rahmen von Großorganisationen.<br />

An<strong>de</strong>rerseits sind die Mitglie<strong>de</strong>rorganisationen – Vereine, Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong>,<br />

Kirchen, Gewerkschaften – auf das Engagement ihrer Mitglie<strong>de</strong>r angewiesen,<br />

wenn sie nicht in einen Anonymisierungs­ und Bürokratisierungsprozess geraten<br />

wollen. Auch die Mitglie<strong>de</strong>r und „Kun<strong>de</strong>n“sind darauf angewiesen, <strong>de</strong>nn die<br />

Organisationen und Verbän<strong>de</strong> erfüllen zentrale Funktionen im korporatistischen<br />

System <strong>de</strong>r Interessenaushandlung und wirken somit auf die Lebensbedingungen<br />

großer Teile <strong>de</strong>r Bevölkerung ein.<br />

Vor diesem Hintergrund richtet sich die vorliegen<strong>de</strong> Untersuchung auf die<br />

Frage nach <strong>de</strong>n Entwicklungsbedingungen für die neuen, mo<strong>de</strong>rnen Formen <strong>de</strong>s<br />

Engagements innerhalb <strong>de</strong>r „alten“Verbän<strong>de</strong>. Diese Fragestellung beruht auf<br />

zwei Hypothesen:<br />

• Nicht nur in Selbsthilfegruppen und bürgerschaftlichen Assoziationen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch unter Mitglie<strong>de</strong>rn „traditioneller“Mitglie<strong>de</strong>rorganisationen haben sich Orientierungen<br />

im Sinne <strong>de</strong>r „neuen Ehrenamtlichkeit“herausgebil<strong>de</strong>t. Hierdurch<br />

wird die subjektive Wahrnehmung <strong>de</strong>r Betätigungsmöglichkeiten im Rahmen<br />

<strong>de</strong>r verbandlichen Arbeit bestimmt. Die „traditionellen“und gegenwärtig noch<br />

weit verbreiteten Formen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements sowie <strong>de</strong>r überwiegend<br />

funktionale Umgang mit Ehrenamtlichen durch die Hauptamtlichen<br />

sind mit diesen Orientierungen schwer verträglich und vermutlich mitverantwortlich<br />

für <strong>de</strong>n Rückgang <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements. Vor diesem Hintergrund<br />

muss die Engagementför<strong>de</strong>rung verstärkt die „allgemeinen“, nicht<br />

unmittelbar auf die Verbandsinteressen bezogenen Interessen und Orientierungen<br />

aufgreifen und Strukturen schaffen, die in <strong>de</strong>r Lage sind, die Individuen<br />

zu aktivieren, in<strong>de</strong>m geeignete Verfahren <strong>de</strong>r Anerkennung und Belohnung<br />

<strong>de</strong>s Engagements etabliert wer<strong>de</strong>n.<br />

• Die seit einiger Zeit vorherrschen<strong>de</strong> Begriffsvielfalt für das ehrenamtliche Engagement<br />

ist einerseits Ausdruck einer schärferen Konkurrenz um Mitglie<strong>de</strong>r<br />

und finanzielle Ressourcen, an<strong>de</strong>rerseits aber auch Ausdruck <strong>de</strong>r Konkurrenz<br />

um die Schlüsselkonzepte <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Integration (Erwerbsarbeit<br />

versus Bürgergesellschaft). Welche Formen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements<br />

von <strong>de</strong>n intermediären Mitglie<strong>de</strong>rorganisationen ermöglicht und geför<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n, hat <strong>de</strong>shalb gesellschaftspolitische Auswirkungen – auf die<br />

Wahrnehmung <strong>de</strong>r Verbän<strong>de</strong> als gestalten<strong>de</strong> Kräfte bei <strong>de</strong>r Bewältigung <strong>de</strong>r<br />

sozialen Kosten <strong>de</strong>s ökonomischen Prozesses und ihre Fähigkeit, eine aktive<br />

Funktion bei <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s Verhältnisses von arbeitsgesellschaftlichen<br />

Strukturen und <strong>de</strong>r „Kultur <strong>de</strong>s Sozialen“einzunehmen.<br />

Der Frage wird in <strong>de</strong>r Untersuchung in ausführlichen Fallstudien zu innovativen<br />

Ansätzen <strong>de</strong>s freiwilligen Engagements in <strong>de</strong>n Gewerkschaften und in bürgerschaftlichen<br />

Vereinigungen nachgegangen. Auf <strong>de</strong>r Basis einer schriftlichen<br />

Befragung <strong>de</strong>r Verwaltungsstellen bzw. Bezirksverwaltungen <strong>de</strong>r IG Metall, IG<br />

BCE, ver.di und IG BAU sowie 45 Experteninterviews mit Repräsentanten von<br />

Vereinigungen, Verbän<strong>de</strong>n und Behör<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n die Fallstudien in <strong>de</strong>n Bereichen<br />

<strong>de</strong>r Jugend­, Erwerbslosen­ und Seniorenarbeit in <strong>de</strong>n alten und neuen


­ 9 ­<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn angefertigt. Dabei wur<strong>de</strong>n 40 Einzelinterviews und 16 Gruppendiskussionen<br />

durchgeführt.<br />

Die Untersuchungsergebnisse sollen die Realisierungsbedingungen innovativer<br />

Formen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements nachvollziehbar machen und<br />

anhand von Fallbeispielen exemplifizieren. Hierbei wird ein beson<strong>de</strong>res Gewicht<br />

auf folgen<strong>de</strong> Punkte gelegt:<br />

• die Bestimmung von Inhalten und Formen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements<br />

aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Interessen und Orientierungen <strong>de</strong>r Beteiligten (Mitglie<strong>de</strong>r).<br />

Dabei fin<strong>de</strong>t keine Begrenzung auf die Erwerbsinteressen statt; vielmehr<br />

wird danach gefragt, wie allgemeine, lebenslagenbezogene und biographische<br />

Interessen mit <strong>de</strong>r Betätigung in <strong>de</strong>r Organisation verknüpft wer<strong>de</strong>n<br />

können<br />

• die Bestimmung von Schnittstellen <strong>de</strong>r Handlungsfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements in <strong>de</strong>n Schwerpunkten <strong>de</strong>r Interessenorganisation einerseits,<br />

<strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements an<strong>de</strong>rerseits<br />

• die Realisierungsmöglichkeiten einer Brückenfunktion <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements<br />

zum Arbeitsmarkt, d.h. Möglichkeiten, die sich aus <strong>de</strong>m Engagement<br />

für eine (Re­) Integration <strong>de</strong>r Beteiligten in <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt eröffnen.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r institutionellen Arrangements zwischen<br />

Erwerbsarbeit, „drittem Sektor“und Privatbereich stellt sich die Frage nach <strong>de</strong>r<br />

Gestaltung und organisatorischen Verankerung neuer Formen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements, durch welche die Verbän<strong>de</strong> als intermediäre Akteure darauf<br />

hinwirken können, dass das gesellschaftliche Engagement auch über sie und mit<br />

ihnen verläuft. Die Gewerkschaften nehmen in diesem Prozess eine herausragen<strong>de</strong><br />

Rolle ein. Gegenüber <strong>de</strong>r „Staatslastigkeit“<strong>de</strong>r Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong> (Anheier<br />

et al. 1998, S. 58 ff.) zeichnen sie sich als Akteure <strong>de</strong>r Interessenvermittlung<br />

aus und verstehen sich als politische Gegenmacht, die ihre Stärke zu einem wesentlichen<br />

Teil aus <strong>de</strong>r Mobilisierung <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r gewinnen. Für das ehrenamtliche<br />

Engagement ist <strong>de</strong>shalb von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung, die Differenzen zum<br />

Engagement in an<strong>de</strong>ren Organisationen o<strong>de</strong>r Assoziationen herauszuarbeiten.<br />

Dies bezieht sich auf die Schnittstelle zwischen betrieblichem und außerbetrieblichem<br />

Engagement, das Verhältnis von Haupt­ und Ehrenamtlichen und die Ziele<br />

<strong>de</strong>s jeweiligen Engagements.<br />

Damit wird auch die politische Frage nach <strong>de</strong>n einflussreichen Akteuren bei<br />

<strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>r Lebensbedingungen und nach <strong>de</strong>r Balance zwischen <strong>de</strong>r Befähigung<br />

zur Eigeninitiative und <strong>de</strong>r Garantie von Schutzrechten. Im Konzept <strong>de</strong>r<br />

„Bürgergesellschaft“(vgl. Dettling 1998) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s „Dritten Sektors“(vgl. Anheier et<br />

al. 2000) wird mit <strong>de</strong>r Ausweitung <strong>de</strong>s freiwilligen und bürgerschaftlichen Engagements<br />

auch <strong>de</strong>r Bereich <strong>de</strong>r Sozialpolitik neu <strong>de</strong>finiert. Gegenüber <strong>de</strong>n Schutzund<br />

Sicherungsfunktionen <strong>de</strong>s Staates und <strong>de</strong>r Sozialversicherung wird in stärkerem<br />

Maße die aktivieren<strong>de</strong> Funktion <strong>de</strong>r Sozialpolitik betont (vgl. Behrens 1999),<br />

mit <strong>de</strong>r die Bürgerinnen und Bürger zu Koproduzenten <strong>de</strong>r Wohlfahrt wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m<br />

sie die soziale Sicherung in verstärktem Maße auf das Engagement in <strong>de</strong>n<br />

unmittelbaren Solidarbeziehungen legen. Diese Aktivierung wird dabei mit <strong>de</strong>n<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen zur Kostendämpfung im sozialen Bereich verbun<strong>de</strong>n. Der Vorschlag<br />

<strong>de</strong>r „Bürgerarbeit“, <strong>de</strong>r in jüngerer Zeit von <strong>de</strong>r Kommission für Zukunfts­


­ 10 ­<br />

fragen <strong>de</strong>r Freistaaten Bayern und Sachsen (1997, S. 146 ff.) formuliert wur<strong>de</strong>,<br />

radikalisiert diesen Gedanken. Soziales und gemeinwesenorientiertes Engagement<br />

soll <strong>de</strong>mnach Ansprüche auf soziale Sicherung begrün<strong>de</strong>n und als Mittel zur<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit wirken (zur Kritik vgl. Klammer / Bäcker 1998;<br />

Wagner et al. 1998).<br />

Die Bereitschaft zum Engagement scheint bei einem erheblichen Teil <strong>de</strong>r<br />

Bürger vorhan<strong>de</strong>n zu sein. Die entsprechen<strong>de</strong>n Befun<strong>de</strong> über das aktive Bürgerengagement<br />

relativieren die gängigen Zeitdiagnosen <strong>de</strong>r „Ellbogengesellschaft“<br />

die durch Entsolidarisierung und Vereinzelung gekennzeichnet sei (vgl. z.B. Putnam<br />

2000). Offen bleibt jedoch die Frage, ob <strong>de</strong>m konzeptionellen Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s<br />

Leitbil<strong>de</strong>s vom pflichtbewussten Mitglied zum engagierten Bürger, das von Teilen<br />

<strong>de</strong>r Wissenschaft und Politik propagiert wird, ein entsprechen<strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n<br />

Motiven und Orientierungen <strong>de</strong>r Bürgerinnen und Bürger gegenübersteht.<br />

So stellen beispielsweise Schmitz­Scherzer et al. (1994, S. 70) fest, dass<br />

die Herausbildung <strong>de</strong>r „neuen Ehrenamtlichkeit“mit einer stärkeren Professionalisierung<br />

<strong>de</strong>r Tätigkeiten und zugleich mit einer Abkehr vom Prinzip <strong>de</strong>r Unentgeltlichkeit<br />

einher gehe – die ehrenamtlichen Tätigkeiten also <strong>de</strong>n Charakter „schlecht<br />

bezahlter Erwerbsarbeit“annähmen. Hinter <strong>de</strong>m Engagement dürfte in diesem<br />

Fall also eine Orientierung auf die Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt stehen.<br />

Selbst wenn man diesen Charakter in Kauf nehmen wollte, weil damit Arbeitslosigkeit<br />

gemin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n könnte und für die Betroffenen <strong>de</strong>nnoch sinnvolle<br />

Tätigkeiten eröffnet wür<strong>de</strong>n (vgl. Kommission 1997, S. 146 f.), bleiben ungelöste<br />

Fragen offen. Die dringendste Frage richtet sich auf die <strong>de</strong>n Umgang mit <strong>de</strong>r ungleichen<br />

Chancenstruktur und daraus resultieren<strong>de</strong>n Ausschlussgefahren. So<br />

kommen auch Wagner et al. (1998) in ihrer Untersuchung zum Schluss, dass <strong>de</strong>r<br />

Vorschlag, Ehrenamt als „Bürgerarbeit“zu entlohnen, lediglich für gut gebil<strong>de</strong>te<br />

Ehrenamtliche attraktiv“sei, da das ehrenamtliche Engagement ein<strong>de</strong>utig mit Bildung<br />

und Qualifikation korreliert. Für die Problemgruppen <strong>de</strong>s Arbeitsmarktes, die<br />

gering Qualifizierten, stün<strong>de</strong>n dagegen we<strong>de</strong>r Erwerbsarbeit noch „Bürgerarbeit“<br />

offen. Sie sähen sich also einem verschärften Risiko <strong>de</strong>s sozialen Ausschlusses<br />

gegenüber (vgl. auch Klammer/Bäcker 1998).<br />

1.2 Die Rolle <strong>de</strong>r Gewerkschaften<br />

Die geschil<strong>de</strong>rten Beobachtungen stellen beson<strong>de</strong>re Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />

für die korporatistischen Großorganisationen dar und werfen Fragen nach ihrer<br />

gesellschaftspolitischen Rolle auf:<br />

• Auf Seiten <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r ist die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement<br />

zurück gegangen. Bei <strong>de</strong>n Engagierten hat sich die Bereitschaft zum kontinuierlichen,<br />

dauerhaften Engagement reduziert. Die traditionellen Kernbereiche<br />

<strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mnach ebenso wie die an<strong>de</strong>ren<br />

Bereiche zunehmend unter <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Diskontinuität. Angesichts <strong>de</strong>r<br />

begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen sind diese Organisationen<br />

an<strong>de</strong>rerseits verstärkt auf freiwilliges Engagement bzw. ehrenamtliche Arbeit<br />

angewiesen.


­ 11 ­<br />

• Die politische Legitimität <strong>de</strong>r Verbän<strong>de</strong>, wird zunehmend an ihren Fähigkeiten<br />

gemessen, Möglichkeiten <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Bewältigung <strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>r<br />

Arbeitslosigkeit und <strong>de</strong>r Krise <strong>de</strong>r sozialstaatlichen Sicherung mit zu gestalten.<br />

• Durch <strong>de</strong>n wachsen<strong>de</strong>n Anteil <strong>de</strong>r Erwerbslosen, Vorruheständler und Ruheständler<br />

ist z.B. <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r ohne betriebliche Anbindung<br />

und entsprechen<strong>de</strong> Betreuung erheblich gestiegen – in <strong>de</strong>r IG Metall<br />

liegt dieser Anteil bei 48% (2002). Damit wird die seit längerem aufgeworfene<br />

Frage nach <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Organisation verstärkt zum Thema.<br />

Das geringer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Angebot an Erwerbsarbeit und <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungszuwachs<br />

<strong>de</strong>r außerberuflichen Lebensbereiche war in <strong>de</strong>r Gewerkschaftsforschung<br />

bereits in <strong>de</strong>n 80er Jahren <strong>de</strong>r Anlass für die For<strong>de</strong>rung nach einem außerbetrieblichen<br />

Organisationszentrum <strong>de</strong>r Gewerkschaften (vgl. Negt et al. 1989; kritisch:<br />

Wolf et al. 1994: 74 ff). Auch die Schwächung <strong>de</strong>s Verpflichtungsgefühls und die<br />

stärkere Betonung <strong>de</strong>r Selbstentfaltungsmotive beim Engagement hat sich in Untersuchungen<br />

zu <strong>de</strong>n Mitgliedschaftsmotiven von Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>rn gezeigt.<br />

Wolfgang Streeck fasst die entsprechen<strong>de</strong>n Beobachtungen für die Gewerkschaften<br />

im Begriff <strong>de</strong>r „institutionellen Mitgliedschaftsmotive“ zusammen<br />

(Streeck 1987: 393), die an die Stelle persönlicher o<strong>de</strong>r milieugeprägter Bindungen<br />

getreten seien. Gewerkschaftsmitglied ist man <strong>de</strong>mnach nur noch unter an<strong>de</strong>rem<br />

und unter relativ klar begrenzten Bedingungen. Die Mitgliedschaft kann als<br />

ein Verhältnis <strong>de</strong>r „partiellen Inklusion“(Wiesenthal 1987) charakterisiert wer<strong>de</strong>n,<br />

die je<strong>de</strong>rzeit kündbar ist, wenn sie <strong>de</strong>n eigenen Interessenlagen und Orientierungen<br />

nicht mehr entspricht. Neben <strong>de</strong>r stärkeren Be<strong>de</strong>utung utilitaristischer Motive<br />

sind aber zugleich auch die moralischen und politischen Ansprüche an die Gewerkschaften<br />

gestiegen. Die Mitglie<strong>de</strong>r verstehen sich mehr o<strong>de</strong>r weniger als<br />

Kun<strong>de</strong>n und die Gewerkschaft als Dienstleister und/o<strong>de</strong>r als engagierte Bürger<br />

und die Gewerkschaft als Interessenvertretung, die sich gegenüber allgemeinen<br />

Wertorientierungen legitimieren muss. Entsprechend wer<strong>de</strong>n die Mitgliedschaft<br />

und das Engagement sowohl unter utilitaristischen („was habe ich davon?“) und<br />

selbstentfaltungsbezogenen („macht es mir Spaß?“) als auch unter politischen<br />

(„stimme ich <strong>de</strong>n Zielen zu?“) und moralischen („stimmt die Praxis mit <strong>de</strong>m Programm<br />

überein?“) Gesichtspunkten wahrgenommen (vgl. Wolf et al. 1994, S. 153<br />

ff.).<br />

Die Aussage von André Gorz (1989, S. 327), nach <strong>de</strong>r „die Gewerkschaft<br />

... sich selbst als Bestandteil einer sehr viel weiteren und vielgestaltigeren Bewegung<br />

für die individuelle und gesellschaftliche Emanzipation begreifen“müsse, gilt<br />

unter diesen Voraussetzungen in verstärktem Maße. Für die Forschung stellt sich<br />

dabei die Aufgabe, die spezifisch gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten im<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>m allgemeinen bürgerschaftlichen Engagement zu<br />

bestimmen. Für diese Frage bietet die neuere Verbän<strong>de</strong>forschung theoretische<br />

Anschlussmöglichkeiten. Demnach steht das gewerkschaftliche nicht im Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

zum bürgerschaftlichen Engagement. Entgegen <strong>de</strong>n Thesen <strong>de</strong>r Korporatismus­Kritik<br />

<strong>de</strong>r 80er Jahre hat die neuere Verbän<strong>de</strong>forschung darauf hingewiesen,<br />

dass nicht nur erwerbsbezogene, son<strong>de</strong>rn auch „schwache“ Interessen<br />

(Frauen, Ökologie, Behin<strong>de</strong>rte, Alte) organisations­ und konfliktfähig sind. Da<br />

komplexe Großverbän<strong>de</strong> „overlapping memberships“ integrieren, sind sie ge­


­ 12 ­<br />

zwungen, aber auch in <strong>de</strong>r Lage, auch ressourcenschwache (d.h. nicht an das<br />

Erwerbssystem gekoppelte) Gruppierungen und Interessen zu vertreten und ihnen<br />

mittelbaren Anschluss an die korporatistischen Verhandlungssysteme zu verschaffen<br />

(vgl. Scharpf 1993; Willems / v. Winter 2000; zu empirischen Beobachtungen<br />

im Bereich <strong>de</strong>r Altenpartizipation vgl. Evers / Wolf 1997).<br />

1.3 „Neue Ehrenamtlichkeit“ – Zum Forschungsstand<br />

Frank Ernst<br />

1.3.1 Ausgangsüberlegungen und Thesen<br />

In Verbän<strong>de</strong>n und Organisationen ist ehrenamtliches Engagement seit längerem<br />

rückläufig. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen ist aber gesamtgesellschaftlich<br />

ein Anstieg freiwilligen Engagements zu verzeichnen. 2 Auch die Bereitschaft,<br />

sich freiwillig zu engagieren nimmt zu. 3 Helmut Klages verweist auf eine<br />

„riesige schlafen<strong>de</strong> Ressource“. Bei <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Bevölkerung bestehe „eine<br />

Grundbereitschaft zum Engagement“. (Klages 1998: 34)<br />

Für die großen Mitglie<strong>de</strong>rorganisationen und Verbän<strong>de</strong> stellt sich die Frage:<br />

Wie attraktiv kann und muss ehrenamtliche Arbeit sein, um Ehrenamtliche zu<br />

halten, zu gewinnen und um potentielle Ehrenamtliche abzuholen? Bei <strong>de</strong>r Suche<br />

nach Antworten auf diese Fragen muss berücksichtigt wer<strong>de</strong>n, dass sich ein<br />

„Strukturwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamtes“(Beher et. al. 2000) vollzogen hat. 4 Die Motive,<br />

Bedürfnisse, Ansprüche und Erwartungen <strong>de</strong>r Engagierten an das Engagement<br />

haben sich verän<strong>de</strong>rt. Diese verän<strong>de</strong>rten Haltungen in bezug auf ehrenamtliches<br />

Engagement wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen und politischen Debatte im Begriff<br />

<strong>de</strong>s „neuen Ehrenamtes“zusammengefasst.<br />

Unter „neuem Ehrenamt“wird eine neue Verbindung von<br />

• sozialer Gesinnung<br />

• persönlicher Betroffenheit<br />

• Selbstverwirklichungsmotiven und<br />

• politischem Verän<strong>de</strong>rungswillen verstan<strong>de</strong>n. (s. Heinze/ Strünck 2001: 236)<br />

Neue Ehrenamtlichkeit zeichnet sich allgemein durch<br />

• seinen Projektbezug (themenorientiert)<br />

• eine zeitliche Begrenzung<br />

• die Ausrichtung an <strong>de</strong>n Orientierungen <strong>de</strong>r einzelnen Mitglie<strong>de</strong>r und<br />

• einen geringeren Formalisierungsgrad aus.<br />

2 In <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik sind 34% aller Bun<strong>de</strong>sbürger ehrenamtlich tätig. Im inner<strong>de</strong>utschen Vergleich<br />

engagieren sich 28% <strong>de</strong>r Ost<strong>de</strong>utschen gegenüber 35% <strong>de</strong>r West<strong>de</strong>utschen. Vgl. v. Rosenblatt<br />

2001: 18ff.<br />

3 37% <strong>de</strong>r Bevölkerung sind laut Freiwilligensurvey 1999 bereit, sich freiwillig zu engagieren. (s.<br />

Klages 2001: 200) 31% <strong>de</strong>r Engagierten geben an, ihr Engagement möglicherweise noch auszuweiten.<br />

(ebd: 69)<br />

4 Ein „Strukturwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamtes wird seit <strong>de</strong>n 80er Jahren konstatiert. Wertewan<strong>de</strong>l und<br />

Individualisierung waren dabei Grundmomente <strong>de</strong>r Argumentation.


­ 13 ­<br />

Die Strukturen in Verbän<strong>de</strong>n, die eher auf das „alte Ehrenamt“ausgelegt<br />

sind, hemmen neue Engagementformen eher, als dass sie sie för<strong>de</strong>rn. Dieses<br />

Manko lässt sich auch aus <strong>de</strong>r Feststellung erklären, dass insgesamt ein Anstieg<br />

von freiwilligem Engagement zu beobachten ist, während die ehrenamtliche Bereitschaft<br />

in <strong>de</strong>n Verbän<strong>de</strong>n abnimmt. Deshalb müssen „Prozesse <strong>de</strong>r Selbstentfaltung<br />

und <strong>de</strong>r eigenständigen Problembearbeitung (...) ermöglicht wer<strong>de</strong>n“.<br />

(Heinze/Strünck 2001: 236) Demgegenüber sind altruistische persönliche Einstellungen<br />

und Pflichtgefühle zunehmend weniger ein Anstoß, ein Engagement aufzunehmen.<br />

Das ehrenamtliche Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Engagierten wird mehr und mehr von<br />

ihren individuellen Interessen geprägt statt von <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>r Organisationen.<br />

Heinze und Strünck (ebd.) stellen fest, dass die gesellschaftlichen Zentralwerte<br />

wie christliche Nächstenliebe und Klassensolidarität, durch die das „alte<br />

Ehrenamt“legitimiert wur<strong>de</strong>, an Be<strong>de</strong>utung verlieren. Das Selbstverständnis <strong>de</strong>r<br />

Art und Weise, <strong>de</strong>s Sinns und <strong>de</strong>r Dauer <strong>de</strong>s „alten Engagements“löst sich mit<br />

zunehmen<strong>de</strong>m Verlust <strong>de</strong>r Bin<strong>de</strong>kraft spezifischer Sozialmilieus auf. Auf dieses<br />

Verständnis kann bei <strong>de</strong>m Versuch <strong>de</strong>r Aktivierung von Engagement immer weniger<br />

zurück gegriffen wer<strong>de</strong>n.<br />

1.3.2 Das Interesse am engagierten Bürger<br />

Das breite Interesse, das die Forschung und die Politik ehrenamtlichem<br />

Engagement in <strong>de</strong>n letzten Jahren entgegenbringt, erklärt sich aus <strong>de</strong>m diagnostizierten<br />

starken sozialen Wan<strong>de</strong>l mit seinen Folgeproblemen sowie aus <strong>de</strong>n Potentialen,<br />

die man <strong>de</strong>m ehrenamtlichen Engagement zuspricht. Roland Roth<br />

spricht in diesem Zusammenhang von einem „ungehobenen Schatz“, <strong>de</strong>r – so<br />

wird angemahnt – von <strong>de</strong>n politischen und gesellschaftlichen Institutionen schleunigst<br />

geborgen wer<strong>de</strong>n sollte. (Roth 2003: 19 ff.)<br />

Der politisch aktive Bürger wird in dieser Debatte zum politischen Programm<br />

erhoben, auf <strong>de</strong>ssen Klaviatur Parteien und Organisationen verschie<strong>de</strong>nster<br />

Couleur spielen. Ausgangspunkt <strong>de</strong>s Interesses ist die Krise, in die marktwirtschaftliche,<br />

<strong>de</strong>mokratisch verfasste und sozialstaatlich abgesicherte Gesellschaften<br />

geraten sind. Braun fasst diese arbeitsmarktliche und wohlfahrtsstaatliche Krisensituation<br />

in drei Schwerpunkten zusammen: die „Krise <strong>de</strong>r Arbeitsgesellschaft“,<br />

die „Krise <strong>de</strong>s Sozialstaates“sowie die „Krise <strong>de</strong>r Demokratie als Partizipationsgemeinschaft“.<br />

(Braun 2001b: 84 ff.)<br />

In verschie<strong>de</strong>nen Lösungsansätzen rückt <strong>de</strong>r ehrenamtlich engagierte Bürger<br />

stärker in <strong>de</strong>n Mittelpunkt <strong>de</strong>r Diskussion. Er soll helfen, diese Krisen einzudämmen<br />

und zu beheben. Zentral ist die Frage nach <strong>de</strong>r sozialen Integration mo<strong>de</strong>rner<br />

<strong>de</strong>mokratischer Gesellschaften. Der Angst vor Auflösung, Ausschluss und<br />

Ausgrenzung begegnet <strong>de</strong>r engagierte Bürger durch Selbstorganisation und Eigenverantwortung,<br />

Partizipation sowie gemeinwohlorientiertes Han<strong>de</strong>ln. (vgl.<br />

Braun 2001a, 2001b)<br />

Der ‚engagierte Bürger’ist kein geronnener Fakt aus sozialwissenschaftlicher<br />

Empirie, son<strong>de</strong>rn vielmehr ein Postulat politischer Machbarkeitsi<strong>de</strong>en. Er ist<br />

<strong>de</strong>r eigentliche Garant für die Aufrechterhaltung von Standards westlicher Demokratien,<br />

in <strong>de</strong>nen sich <strong>de</strong>r Staat aus Sicherungs­ und Integrationsfunktionen im­


­ 14 ­<br />

mer mehr zurück zieht. Die Gewährleistung sozialer Sicherung und politischer<br />

Teilhabe wird stärker in die Eigenverantwortlichkeit <strong>de</strong>s Bürgers gelegt.<br />

1.3.3 Bürgerschaftliches Engagement als „Begriffsbrücke“<br />

Der Begriff <strong>de</strong>s Ehrenamts konzipiert <strong>de</strong>n Bürger vor allem als Funktionsträger<br />

und Amtsinhaber in gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen. Im<br />

Ehrenamt übernimmt <strong>de</strong>r einzelne Aufgaben innerhalb einer institutionellen Struktur.<br />

Diese können von <strong>de</strong>r Übernahme <strong>de</strong>s Vereinsvorsitzes über karitative Pflegeleistungen<br />

bis zur Ausübung eines Mandats in politischen politischen Gremien<br />

reichen.<br />

Der begriffliche Rahmen für freiwillige Tätigkeiten reicht von ‚bürgerschaftlichem<br />

Engagement’bis ‚Ehrenamt’, von ‚Selbsthilfe’bis ‚Freiwilligenarbeit’. Diese<br />

Diffusität ist nicht zuletzt <strong>de</strong>m Anspruch geschul<strong>de</strong>t, alle freiwilligen, unentgeltlichen<br />

Tätigkeiten zu erfassen. Solche Tätigkeiten fin<strong>de</strong>n aber nicht nur unter verschie<strong>de</strong>nen<br />

Umstän<strong>de</strong>n und Rahmenbedingungen statt, son<strong>de</strong>rn sie unterschei<strong>de</strong>n<br />

sich auch in Motivation, Anspruch und Voraussetzung. Gemeinsam ist ihnen,<br />

dass sie freiwillig und unentgeltlich sind. Auf einen begrifflichen Nenner lassen<br />

sich freiwillige Tätigkeiten nicht bringen. Dies ist auch eine Erklärung dafür, warum<br />

verschie<strong>de</strong>ne Studien in <strong>de</strong>n letzten Jahren so stark voneinan<strong>de</strong>r abweichen<strong>de</strong><br />

Einschätzungen in bezug auf die Engagementquote lieferten. Einzelne Untersuchungen<br />

kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nach<strong>de</strong>m mit welchem<br />

Begriff sie operieren und was sie in diesem diffusen Feld konkret suchen. 5<br />

Den Freiwilligen ist ebenfalls oft selbst nicht klar, dass sie ‚ehrenamtlich’,<br />

‚bürgerschaftlich’o<strong>de</strong>r ähnlich engagiert sind. Nicht nur weil sie für ihre Tätigkeit<br />

einen an<strong>de</strong>ren Begriff als <strong>de</strong>n abgefragten wählen, son<strong>de</strong>rn weil ihnen überhaupt<br />

nicht bewusst ist, dass ihr Engagement unter einen <strong>de</strong>r Begriffe fallen könnte.<br />

(vgl. Klages 1998: 30 f.)<br />

Das Bun<strong>de</strong>sministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat<br />

2001 in Anlehnung an Thomas Rauschenbach vier Begriffe freiwilliger Tätigkeit,<br />

die häufig synonym verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, kurz zusammengefasst und voneinan<strong>de</strong>r<br />

abgegrenzt:<br />

Ehrenamt:<br />

• Traditionelle Bezeichnung für freiwilliges Engagement<br />

• In <strong>de</strong>r Regel organisierte und unentgeltliche Mitarbeit in Verbän<strong>de</strong>n, Vereinen,<br />

Kirchen, Gewerkschaften o<strong>de</strong>r Parteien; Basis ist die Mitgliedschaft<br />

• I<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>n Zielen Werten <strong>de</strong>r Verbän<strong>de</strong><br />

Selbsthilfe:<br />

• Organisationsferne Form <strong>de</strong>s Engagements<br />

• Autoritäts­ und expertenskeptische, wertpluralistische Milieus<br />

• Entwickelte sich in <strong>de</strong>n 70er und 80er Jahren als Gegenpol zum traditionellen<br />

Ehrenamt<br />

5 Engagementquoten aus verschie<strong>de</strong>nen Erhebungen: Zeitbudget­Erhebung <strong>de</strong>s statistischen<br />

Bun<strong>de</strong>samtes 1991: 17%, European Volunteering Study (Euro­Vol) Anfang <strong>de</strong>r 90er Jahre: 18%,<br />

Speyerer Wertesurvey 1997: 38%, ISO­Institut 1999: 18,2%, Freiwilligensurvey 1999: 34%


­ 15 ­<br />

Bürgerschaftliches Engagement:<br />

• Hat seinen Ursprung im bürgerschaftlichen Wohlfahrtsgedanken <strong>de</strong>s 19.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

• Selbstverpflichtung und praktische Solidarität<br />

• Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gemeinwohlorientierung<br />

Freiwilligenarbeit:<br />

• Begriff unabhängig von sozialen Milieus<br />

• Individuell, spontan han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Menschen<br />

• Hilfe auf Gegenseitigkeit für sich und an<strong>de</strong>re, in einer Gruppe o<strong>de</strong>r allein<br />

Festzuhalten ist: Freiwillige Tätigkeiten wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>n Formen ihrer<br />

Ausübung sowie nach <strong>de</strong>n Bereichen, in <strong>de</strong>nen sie ausgeübt wer<strong>de</strong>n unterschie<strong>de</strong>n.<br />

6 Darüber hinaus wer<strong>de</strong>n sie unter verschie<strong>de</strong>ne gesellschaftspolitische Ansprüche<br />

und Gestaltungsi<strong>de</strong>en subsumiert. Hinter <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Begriffen<br />

stehen damit nicht nur verschie<strong>de</strong>ne Verständnisse von freiwilligen unentgeltlichen<br />

Tätigkeiten, son<strong>de</strong>rn auch unterschiedliche politische I<strong>de</strong>en und Konzepte.<br />

Das Konzept <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements ist eine Antwort auf die<br />

Krisen mo<strong>de</strong>rner Gesellschaften. Der Wan<strong>de</strong>l (o<strong>de</strong>r Abbau) wohlfahrtsstaatlicher<br />

Strukturen und die wachsen<strong>de</strong> Zahl von Erwerbslosen birgt Gefahren zunehmen<strong>de</strong>r<br />

Ausgrenzung. Die Teilhabe am politisch­gesellschaftlichen Leben <strong>de</strong>r Individuen<br />

wird als notwendige Bedingung lebendiger Demokratien verstan<strong>de</strong>n. So<br />

wer<strong>de</strong>n Ausgrenzungsten<strong>de</strong>nzen nicht nur als soziales, son<strong>de</strong>rn auch als gesellschaftspolitisches<br />

Problem betrachtet. Bürgerschaftliches Engagement soll dagegen<br />

die Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess stärken bzw. ermöglichen. Es<br />

wird als eine Voraussetzung für die Partizipation <strong>de</strong>r Bürger an öffentlichen politischen<br />

Prozessen in <strong>de</strong>n Kommunen angesehen und trägt somit zur Aufrechterhaltung<br />

<strong>de</strong>mokratischer Strukturen bei. Angesichts <strong>de</strong>r Arbeitsmarktkrise wird<br />

bürgerschaftliches Engagement für jene, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen<br />

sind, auch als gesellschaftliche Integrationsmöglichkeit verstan<strong>de</strong>n.<br />

Ein weitere Effekt bürgerschaftlichen Engagements ist die Entstehung von<br />

sozialem Kapital (siehe unten). Dieses Vermögen stärkt die sozialen Gemeinschaften,<br />

trägt zur Wohlfahrt bei und hilft zugleich, die Kommunen und <strong>de</strong>n Bund<br />

in Zeiten <strong>de</strong>r schwierigen Haushaltslage zu entlasten. Deshalb gelte es, bürgerschaftliches<br />

Engagement zu ermutigen, zu för<strong>de</strong>rn, zu stärken und Gelegenheiten<br />

für ein Engagement zu schaffen.<br />

Um diesem Anspruch gerecht wer<strong>de</strong>n zu können, müssen die Formen und<br />

Motive freiwilliger unentgeltlicher Arbeit Berücksichtigung fin<strong>de</strong>n. Diese sind in<br />

Bewegung geraten und haben sich verän<strong>de</strong>rt. Der „Strukturwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamtes“wird<br />

als Wan<strong>de</strong>l vom „klassischen Ehrenamt“zum „neuen Ehrenamt“verstan<strong>de</strong>n.<br />

För<strong>de</strong>rstrukturen müssen <strong>de</strong>shalb auf Selbstentfaltungsansprüche und<br />

eigenständige Problembearbeitungen zugeschnitten sein und außer<strong>de</strong>m eine<br />

„biographische Passung“ (Jakob 1993) aufweisen. Diese entsteht, wenn die<br />

6 Die Enquete­Kommission nennt folgen<strong>de</strong> Formen bürgerschaftlichen Engagements: politisches<br />

Engagement, soziales Engagement, Engagement in Vereinen, Verbän<strong>de</strong>n, Kirchen; Engagement<br />

in öffentlichen Funktionen, Formen <strong>de</strong>r Gegenseitigkeit, Selbsthilfe, bürgerschaftliches Engagement<br />

in und von Unternehmen. (Enquete­Kommission 2002: 27 f.; vgl. auch Roth 2000: 30 f.)


­ 16 ­<br />

Strukturen und Gelegenheiten <strong>de</strong>s Engagements <strong>de</strong>n lebensphasenspezifischen<br />

Bedürfnissen, Erwartungen und Möglichkeiten <strong>de</strong>r Individuen gerecht wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Konjunktur <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s „bürgerschaftlichen Engagements“darf<br />

aber nicht nur auf die I<strong>de</strong>e vom politisch aktiven Bürger zurückgeführt wer<strong>de</strong>n. „In<br />

seiner Unbestimmtheit“– befin<strong>de</strong>t Roland Roth – „ist <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s ‚bürgerschaftlichen<br />

Engagements’aber beson<strong>de</strong>rs ‚anschlussfähig’“. (Roth. 2003: 19) Es<br />

gehe darum, „Brücken zu schlagen, d.h. alte und neue Formen gemeinsam und<br />

nicht gegeneinan<strong>de</strong>r zur Sprache zu bringen“. (Roth 2000: 32) Verschie<strong>de</strong>ne Engagementformen<br />

wer<strong>de</strong>n „mit Bedacht in <strong>de</strong>n gleichen Begriffstopf geworfen“.<br />

(Roth ebd.) So wer<strong>de</strong>n etwa nicht nur „neue ordnungspolitische Leitbil<strong>de</strong>r in einen<br />

Gesamtzusammenhang gestellt, son<strong>de</strong>rn auch disparate Handlungsformen und<br />

Tätigkeiten synthetisiert“. (Heinze/ Olk 2001: 15)<br />

Die Enquete­Kommission <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages „Zukunft <strong>de</strong>s Bürgerschaftlichen<br />

Engagements“ 7 hat die „Brückenfunktion“<strong>de</strong>s Sammelbegriffs <strong>de</strong>s<br />

bürgerschaftliches Engagements hervorgehoben. Dabei ist trotz <strong>de</strong>r viel<strong>de</strong>utigen<br />

Begrifflichkeit freiwilliger Tätigkeiten das Leitbild <strong>de</strong>s „wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckten“aktiven<br />

Bürgers zentral. „Bürgerschaftliches Engagement ist eine freiwillige, nicht auf das<br />

Erzielen eines persönlichen materiellen Gewinns gerichtete, auf das Gemeinwohl<br />

hin orientierte, kooperative Tätigkeit. Sie entfaltet sich in <strong>de</strong>r Regel in Organisationen<br />

und Institutionen im öffentlichen Raum <strong>de</strong>r Bürgergesellschaft.“(Enquete­<br />

Kommission 2002a: 40) Bürgerschaftliches Engagement ist, wenn man so will,<br />

Klammer und gleichzeitig Programm. Darin besteht auch seine <strong>de</strong>finitorische Fragilität.<br />

Grundsätzlich beinhaltet <strong>de</strong>r Begriff „bürgerschaftliches Engagement“aber auch<br />

Abgrenzungen. Obwohl er als begriffliche Klammer für unterschiedliche Engagementformen<br />

dient, grenzt er sich von Tätigkeiten auf <strong>de</strong>r Erwerbsebene und <strong>de</strong>r<br />

privaten Familiensphäre ab. Bürgerschaftliches Engagement muss auch jenseits<br />

staatlicher Intervention operieren. Der Begriff kann „sein Differenzierungspotential<br />

(...) nur dann zur Wirkung bringen, wenn bei <strong>de</strong>ssen Verwendung tatsächlich<br />

,bürgerschaftliche‘von an<strong>de</strong>ren Engagementformen unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n können“.<br />

(Heinze / Olk 2001: 16) Roth bemerkt <strong>hier</strong>zu kritisch, dass nicht je<strong>de</strong>s Engagement,<br />

das zwischen Staat, Markt und Familie angesie<strong>de</strong>lt ist, „mit <strong>de</strong>m Titel<br />

bürgerschaftlich gea<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n kann“. Denn: “Nicht je<strong>de</strong>s Beziehungsnetzwerk in<br />

<strong>de</strong>r ‚Zivilgesellschaft’ist sozial und bürgerschaftlich gestimmt“. (Roth 2000: 31)<br />

1.3.4 Bürgerschaftliches Engagement in verschie<strong>de</strong>nen Diskursen<br />

Das Engagement­Verständnis lässt sich nach Evers (1998: 186) grundsätzlich<br />

zwei Polen zuordnen. Einem individualistisch­liberalen Verständnis, das die<br />

Interessen und die Neigungen <strong>de</strong>s einzelnen in <strong>de</strong>n Mittelpunkt stellt, und einem<br />

kommunitaristischen Verständnis von Gemeinwesen und Zivilgesellschaft, in welchem<br />

das Engagement als produktiver Beitrag für die Entwicklung von Gesellschaft<br />

und Gemeinschaft thematisiert wird. (vgl. Evers 1999: 53 f.) Bei<strong>de</strong> Begründungszusammenhänge<br />

sind zeitlich versetzt aufgetreten. So hat die Debatte um<br />

7 Im folgen<strong>de</strong>n Text zitiert als Enquete­Kommission.


­ 17 ­<br />

Gemeinwohl und Bürgersinn erst in <strong>de</strong>n letzten Jahren an Be<strong>de</strong>utung zugenommen.<br />

„Für die Verwendung <strong>de</strong>s Begriffs [bürgerschaftliches Engagement, Anm. F.<br />

Ernst] spricht, dass damit (...) auf die gesellschaftliche Be<strong>de</strong>utung und die Gemeinwohldimension<br />

hingewiesen wird.“(Backhaus­Maul et al. 2003: 12)<br />

Mit <strong>de</strong>r Konstatierung zunehmen<strong>de</strong>r Individualisierungsten<strong>de</strong>nzen kam<br />

auch die These vom Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamts ins Spiel. Die Motive <strong>de</strong>r Freiwilligen,<br />

ihr Anspruch an die Tätigkeiten sowie ihre zeitliche Einbindungsabsicht haben<br />

sich verän<strong>de</strong>rt. Begrün<strong>de</strong>t wird dies mit <strong>de</strong>n Freisetzungsprozessen durch die Individualisierung<br />

mo<strong>de</strong>rner Gesellschaften. Die Herauslösung aus <strong>de</strong>n Bindungen<br />

von Klasse, Milieu, Stand und Status haben auch <strong>de</strong>n normativen Einfluss auf die<br />

Motivation von Engagement verän<strong>de</strong>rt. Die freiwillig Tätigen formulieren verstärkt<br />

eigene Ansprüche an Form, Inhalt und Dauer <strong>de</strong>s Engagements.<br />

Im liberal­individualistischen Diskurs wird <strong>hier</strong>bei die mikrosoziologische<br />

Ebene beleuchtet. Im Vor<strong>de</strong>rgrund stehen die individuellen Motive <strong>de</strong>s Engagements,<br />

und es wird in diesem Zusammenhang <strong>de</strong>shalb häufig als „freiwilliges Engagement“gefasst.<br />

Im Diskurs über Gemeinschaft und Gemeinwesen wird Engagement<br />

eher als bürgerschaftliches Engagement bezeichnet, betrachtet wird <strong>hier</strong><br />

die makrosoziologische Ebene. Dabei wer<strong>de</strong>n Fragen nach <strong>de</strong>n sozialen, politischen<br />

und gesellschaftlichen Folgen und Voraussetzungen von Engagement gestellt.<br />

Im liberal­individualistischen Diskurs wird die Freisetzung aus <strong>de</strong>n traditionellen<br />

Bindungen als Auffor<strong>de</strong>rung zu Selbstentfaltung und Unabhängigkeit verstan<strong>de</strong>n.<br />

Freiwillige Tätigkeit wird unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Nutzens für <strong>de</strong>n<br />

einzelnen betrachtet. Hierbei wer<strong>de</strong>n unterschiedliche Perspektiven eingenommen.<br />

So kann es sich bei freiwilligen Tätigkeiten um die Verfolgung individueller<br />

Interessen han<strong>de</strong>ln (utilitaristische Konzepte) o<strong>de</strong>r aber auch um die innere Befriedigung<br />

<strong>de</strong>s einzelnen (psychologische Ansätze). (vgl. Evers 1999: 54 f.) Die<br />

erste Form beruht auf <strong>de</strong>r Grundannahme eines nutzenmaximieren<strong>de</strong>n rationalen<br />

Akteurs, die zweite Form zielt auf das psychische Wohlbefin<strong>de</strong>n durch Sinn und<br />

Befriedigung durch ein Engagement. (vgl. Heinze/ Olk 1999: 82)<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>s republikanisch­kommunitaristischen Diskurses stehen<br />

Fragen nach <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Funktionen freiwilliger unentgeltlicher Tätigkeiten<br />

im Mittelpunkt. Es interessiert vor allem, welche Be<strong>de</strong>utung diese Tätigkeiten<br />

in bezug auf Gemeinwohl und Gemeinsinn im Verständnis eines politischen<br />

Gemeinwesens haben. Engagement ist Ausdruck <strong>de</strong>r Zugehörigkeit zur Gemeinschaft.<br />

Weiter steht das politische Gemeinwesen im Mittelpunkt, in <strong>de</strong>m „Bürgerschaftlichkeit<br />

– Ausdruck <strong>de</strong>r Mitgliedschaft in einem republikanischen Gemeinwesen<br />

– zu einem Motiv für die Beteiligung wird“. (Evers 1999: 57) In diesem Diskurs<br />

spielt <strong>de</strong>shalb auch <strong>de</strong>r Netzwerkgedanke eine wichtige Rolle. Die Konzepte,<br />

die sich innerhalb dieses Diskurses mit <strong>de</strong>m politischen Gemeinwesen auseinan<strong>de</strong>rsetzen,<br />

haben einen gesellschaftsreformerischen Anspruch.<br />

1.3.4.1 Arbeitsgesellschaftlicher Diskurs<br />

In Abgrenzung zu dieser eher sozialmoralischen und politischen Diskussion<br />

thematisiert das Konzept gesellschaftlicher Arbeit die „Krise <strong>de</strong>r Arbeitsgesell­


­ 18 ­<br />

schaft“innerhalb einer sozioökonomischen Debatte. Engagement wird <strong>hier</strong> als<br />

Tätigkeit verstan<strong>de</strong>n, die sich von <strong>de</strong>r Erwerbstätigkeit abgrenzt. „Aus <strong>de</strong>m arbeitsgesellschaftlichen<br />

Diskurs heraus entsteht ein Konzept <strong>de</strong>r Bürgerschaft als<br />

Gemeinschaft <strong>de</strong>r Tätigen.“(Enquete­Kommission 2002d: 38) Vorschläge, die auf<br />

einen Umbau arbeitsgesellschaftlicher Strukturen orientieren, greifen oftmals auf<br />

das Konzept <strong>de</strong>r „Tätigkeitsgesellschaft“bei Hannah Arendt zurück. Die Verän<strong>de</strong>rungen<br />

auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt wer<strong>de</strong>n dabei als Chance begriffen, die Zentrierung<br />

auf Erwerbsarbeit aufzubrechen und Tätigkeitsformen jenseits <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit<br />

gesellschaftlich aufzuwerten sowie eine Flexibilität zwischen <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

Tätigkeitsformen herzustellen.<br />

Zwei Konzepte sind in dieser Debatte in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund getreten: die I­<br />

<strong>de</strong>e einer „Tätigkeitsgesellschaft“von Mutz (1997) und das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r „Bürgerarbeit“von<br />

Beck (1997 u. 1999). Ein wesentlicher Punkt in <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll von Beck,<br />

das im Rahmen <strong>de</strong>r bayrisch­sächsischen „Kommission für Zukunftsfragen“1997<br />

entwickelt wur<strong>de</strong>, ist, dass „Bürgerarbeit“auch als Mittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit<br />

verstan<strong>de</strong>n wird. Ausgangspunkt solcher Überlegungen ist die steigen<strong>de</strong><br />

Arbeitslosigkeit, die nicht als Übergangsproblem, son<strong>de</strong>rn als Dauerszenario<br />

verstan<strong>de</strong>n wird. Mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaften gehe auf Dauer die Arbeit aus, so<br />

lautet – in Anlehnung an Rifkin (1995) eine Kernthese in diesem Zusammenhang.<br />

8 Erwerbsarbeit hat aber innerhalb <strong>de</strong>r „Arbeitsgesellschaft“einen zentralen<br />

Stellenwert für die soziale Integration ihrer Mitglie<strong>de</strong>r. Wie kann man, wenn immer<br />

mehr Menschen aus <strong>de</strong>m Arbeitsprozess ausgeglie<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, die gesellschaftliche<br />

Integration garantieren, die ja überhaupt erst eine Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Leben sichert?<br />

Übereinstimmung gibt es unter <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Ansichten und Ansätzen<br />

darin, dass von einem grundlegen<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r „Arbeitsgesellschaft“ausgegangen<br />

wird. Konsens gibt es ebenfalls in <strong>de</strong>r Annahme, dass Arbeit ihre gesellschaftlichen<br />

Integrationsmechanismen nur aufrecht erhalten könne, wenn Tätigkeiten<br />

außerhalb <strong>de</strong>r erwerblichen Arbeit diese Funktion mit übernehmen. Dazu<br />

müssen Tätigkeiten außerhalb <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit aufgewertet und mit dieser (im<br />

I<strong>de</strong>alfall) gleichgestellt wer<strong>de</strong>n. Die Unterscheidung ist dann eine funktionale, keine<br />

graduelle.<br />

Bisher dominiert die Erwerbsarbeit alle an<strong>de</strong>ren Tätigkeitsformen – sie gilt<br />

als wertschöpfend, sozial anerkannt und individuell sinnstiftend. (vgl. Kühnlein/Mutz<br />

1999: 291) Mutz sieht nicht das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Arbeitsgesellschaft“, son<strong>de</strong>rn<br />

möglicherweise das <strong>de</strong>r Erwerbsgesellschaft, an <strong>de</strong>ren Horizont eine „neue Arbeitsgesellschaft“schimmere.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>r Arbeit wird bei Mutz aus <strong>de</strong>r Zentrierung<br />

um die Erwerbsarbeit gelöst. „Die Neue Arbeitsgesellschaft ist, ebenso wie<br />

die <strong>de</strong>rzeitige Erwerbsgesellschaft, eine beson<strong>de</strong>re Ausprägung <strong>de</strong>r Arbeitsgesellschaft.“(Mutz<br />

1999: 6) Sie umfasse nicht „das gesamte Feld <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

[Hervorh. F. Ernst] Arbeit“. (Mutz 2001: 142) Das Problem ist laut Mutz<br />

nicht, dass Arbeit eine knappe Ressource sei, son<strong>de</strong>rn Zeit. (<strong>de</strong>rs. 1999: 7) So<br />

gesehen ist die Krise <strong>de</strong>r „Arbeitsgesellschaft“keine vorübergehen<strong>de</strong> und be<strong>de</strong>ute<br />

auch keinen Abschied von Arbeit. „Vielmehr han<strong>de</strong>lt es sich um einen komple­<br />

8 Dahrendorf und Offe hatten diese Problematik schon 1983 und 1984 aufgegriffen.


­ 19 ­<br />

xen Entwicklungsprozess, <strong>de</strong>r die bislang dominieren<strong>de</strong>n Formen <strong>de</strong>r Organisation<br />

gesellschaftlicher Arbeit mit ihren starren Raum­ Zeitmustern in Frage stellt.“<br />

(Mutz 2001: 149) In <strong>de</strong>r „neuen Arbeitsgesellschaft“– <strong>de</strong>ren Ausprägung sich<br />

durch „abzeichnen<strong>de</strong> Transformationspotentiale“ in Richtung Tätigkeitsgesellschaft<br />

à la Arendt bewegt –, stehen drei Elemente von Arbeit nebeneinan<strong>de</strong>r: Erwerbsarbeit,<br />

Eigenarbeit und bürgerschaftliches Engagement. (vgl. Mutz 1999: 6) 9<br />

Im Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r „Bürgerarbeit“von Ulrich Beck, geht es in erster Linie um<br />

gemeinwohlorientierte Arbeit, die für <strong>de</strong>n einzelnen sinnstiftend ist, Integrationsmöglichkeiten<br />

eröffnet und eventuell <strong>de</strong>n Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert.<br />

Gleichzeitig wird dadurch die Teilhabe <strong>de</strong>r Bürger am politischen Gemeinwesen<br />

ermöglicht und gestärkt sowie durch die (Re­)Produktion sozialer Netzwerke <strong>de</strong>r<br />

Umbau sozialstaatlicher Strukturen erleichtert und abgefe<strong>de</strong>rt. „Bürgerarbeit“<br />

meint:<br />

• organisierten, schöpferischen Ungehorsam<br />

• Selbstbestimmung<br />

• Selbstverwirklichung in Form eines freiwilligen politischen und sozialen Engagements<br />

• projektgebun<strong>de</strong>ne, kooperative, selbstorganisierte Arbeit für Dritte<br />

• die unter <strong>de</strong>r Regie eines Gemeinwohlunternehmers durchgeführt wird. „Bürgerarbeit“soll<br />

be­ nicht entlohnt wer<strong>de</strong>n durch Bürgergeld, Qualifikationen,<br />

Anerkennung von Rentenansprüchen und Sozialzeiten, Favor Credits. Die<br />

Höhe <strong>de</strong>s Bürgergelds könnte dabei an das Arbeitslosengeld o<strong>de</strong>r die Arbeitslosen­<br />

und Sozialhilfe angepasst wer<strong>de</strong>n. (Beck 1999: 132 f.)<br />

Das Mo<strong>de</strong>ll „Bürgerarbeit“stößt bei einigen Experten/innen auf Kritik: Zum<br />

einen weil es das Tätigbleiben unterstützen, gleichzeitig aber das Untätigbleiben<br />

von staatlicher Alimentierung abkoppeln will. So erklärt Beck: „Eine Quelle <strong>de</strong>s<br />

Bürgergel<strong>de</strong>s sind beispielsweise die Unsummen, die in Europa in Form von Arbeitslosen­<br />

und Sozialhilfe dafür ausgegeben wer<strong>de</strong>n, dass jemand nichts tut.“<br />

(<strong>de</strong>rs. 1999: 128) Damit gerät dieses Ansinnen gera<strong>de</strong> innerhalb <strong>de</strong>r gemeinwohlorientierten<br />

kommunitaristischen und <strong>de</strong>r auf Bürgerpflichten rekurrieren<strong>de</strong>n republikanischen<br />

Diskussion in die Nähe <strong>de</strong>s Konzeptes „Arbeitszwangs statt Sozialhilfeberechtigung“.<br />

(vgl. Kistler/ Hilpert: 1999: 270) So verlangt beispielsweise<br />

Priddat (2000: 164) „die leistungslosen Sozialeinkommen zu been<strong>de</strong>n“, um einen<br />

strikten Distributionsprozess zu legitimieren: „Transfer wird nur noch gegen Tätigkeitsleistungen<br />

gegeben.“<br />

Ein weiterer Schwachpunkt wird von an<strong>de</strong>ren Kritikern in <strong>de</strong>r Gefährdung<br />

<strong>de</strong>s „Eigensinns“freiwilligen Engagements durch die „Bürgerarbeit“gesehen. Jakob<br />

verweist darauf, dass „in <strong>de</strong>r Konstruktion von ‚Bürgerarbeit’... eine Angleichung<br />

freiwilligen Engagements an Erwerbsarbeit und eine Indienstnahme <strong>de</strong>s<br />

Engagements für die Lösung gesellschaftlicher Probleme wie <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit<br />

und <strong>de</strong>r Sozialstaatskrise angelegt“sei. (Jakob 2001: 176) Eine Differenz<br />

9 Erwerbsarbeit ist gesellschaftsbezogen und hat gleichermaßen einen individuellen und gesellschaftlichen<br />

Nutzen. Eigenarbeit als personenbezogene Arbeit ist vom individuellen Nutzen dominiert.<br />

Im gemeinschaftsbezogenen Bürgerschaftliches Engagement dominiert <strong>de</strong>r gesellschaftliche<br />

Nutzen. (vgl. Kühnlein/ Mutz 1999: 298)


­ 20 ­<br />

zwischen bei<strong>de</strong>n Tätigkeiten ergibt sich aber, weil bei<strong>de</strong> unterschiedliche gesellschaftliche<br />

Funktionen erfüllen und verschie<strong>de</strong>ne individuelle Be<strong>de</strong>utungen haben.<br />

Auch brauche es für kontinuierliches, sinnstiften<strong>de</strong>s Engagement Anknüpfungspunkte<br />

in <strong>de</strong>r Biographie.(Jakob 2001: 181 f.) Engagement kann kein<br />

gleichwertiger Ausgleich für eine fehlen<strong>de</strong> Erwerbsarbeit sein und diese schon gar<br />

nicht ersetzen. Solche Instrumentalisierungsversuche liefen Gefahr, die beson<strong>de</strong>ren<br />

Sinnstrukturen freiwilligen Engagements zu zerstören, da sie die individuelle<br />

und gesellschaftliche Be<strong>de</strong>utung von Erwerbsarbeit ignorierten, welche in <strong>de</strong>r Regel<br />

die Voraussetzung <strong>de</strong>s freiwilligen Engagements darstellt. (dies.: 183)<br />

1.3.4.2 In welcher Beziehung steht bürgerschaftliches Engagement zur Erwerbsarbeit?<br />

Die Enquete­Kommission stellt fest: „Es [das bürgerschaftliche Engagement,<br />

F.E.] rückt als eigenes Tätigkeitsfeld neben <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit und Familienarbeit<br />

ins Blickfeld.“(Enquete­Kommission 2002d: 46) Bürgerschaftliches Engagement<br />

soll zur I<strong>de</strong>ntitätsbildung beitragen, gera<strong>de</strong> weil dies durch Erwerbstätigkeit<br />

nicht mehr umfassend geleistet wer<strong>de</strong>n kann. Es soll eine Bandbreite von<br />

Tätigkeiten in sinnvollen gesellschaftlichen Handlungsfel<strong>de</strong>rn offerieren und nicht<br />

zuletzt zur Reform <strong>de</strong>s Sozialstaates seinen Beitrag leisten. (vgl. Heinze/ Olk<br />

2001: 12) Die Enquete­Kommission sieht im bürgerschaftlichen Engagement folgen<strong>de</strong><br />

Brückenfunktionen: Männern soll ein Hinüberwechseln von <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit<br />

in die Familie und Frauen ein Hinüberwechseln in umgekehrter Richtung erleichtert<br />

wer<strong>de</strong>n. Zweitens soll ein Wechseln vom bürgerschaftlichen Engagement<br />

in die Erwerbsarbeit o<strong>de</strong>r in die Familie gewährleistet wer<strong>de</strong>n bzw. umgekehrt.<br />

Und schließlich soll es eine Brücke bauen, die aus <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit in die Erwerbsarbeit<br />

führe. (Enquete­Kommission 2002: 46)<br />

Allerdings ist Skepsis angeraten, wenn bürgerschaftliches Engagement als<br />

Problemlösung für die Krise auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt herangezogen wird. Es taugt<br />

nicht als „arbeitsmarktpolitisches Instrument und lässt sich auch nicht politisch<br />

verordnen“. (Jakob 2001: 167) Laut Mutz kann bürgerschaftliches Engagement<br />

nicht als Ersatz für Erwerbsarbeit dienen, da es „immer nur eine Ergänzung zur<br />

Erwerbsarbeit“ist und streng genommen Erwerbstätigkeit sogar voraussetze. Es<br />

„ist eine nicht­erwerbswirtschafltiche Organisationsform gesellschaftlicher Arbeit“.<br />

(Mutz 2001: 157f.) Ähnlich diskutieren auch Böhle und Kratzer. Engagement könne<br />

nur als Komplementärverhältnis zu Erwerbstätigkeit gesehen wer<strong>de</strong>n, ähnlich<br />

wie Freizeit. Falle Erwerbsarbeit weg, zerbricht auch ein solches Komplementärverhältnis.<br />

„Es kann also ‚nur’um eine stärkere ‚Komplementarität’von Erwerbsarbeit<br />

und Ehrenamt gehen, nicht um die Substitution <strong>de</strong>s einen durch das an<strong>de</strong>re.“(Böhle/<br />

Kratzer 1999: 287)<br />

Angesichts <strong>de</strong>r hohen Arbeitslosenzahlen stellt sich in Anbetracht solcher<br />

Aussagen die Frage nach einer Verteilung von Erwerbsarbeit. Wie kann und sollte<br />

je<strong>de</strong>m Bürger <strong>de</strong>r Zugang zu Erwerbsarbeit sichergestellt wer<strong>de</strong>n, um ihm u.a. so<br />

seine Bürgerrechte zu garantieren. Die Verwehrung <strong>de</strong>s Zugangs zu Erwerbsarbeit<br />

hat die Desintegration von Bürgern zur Folge. Sie gefähr<strong>de</strong>t damit die Partizipation<br />

am politischen Gemeinwesen.


­ 21 ­<br />

Beson<strong>de</strong>rs in Ost<strong>de</strong>utschland, wo die Arbeitslosenzahlen Rekordstän<strong>de</strong><br />

halten, muss in bezug auf bürgerschaftliches Engagement beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit<br />

erfahren. Hier hat sich „eine Praxis herausgebil<strong>de</strong>t, in <strong>de</strong>r das Engagement<br />

als sinnstiften<strong>de</strong> Betätigung während <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit gezielt genutzt<br />

wird“. (Jakob 2003: 65) Allerdings wird gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn das<br />

bürgerschaftliche Engagement „nachhaltig von <strong>de</strong>r Dynamik <strong>de</strong>r Arbeitsmärkte<br />

geprägt“. (Roth 2000: 38) Es besteht die Gefahr, dass bürgerschaftliches Engagement<br />

zu einer unentgeltlichen Erwerbsarbeit mutiert, in <strong>de</strong>r sich seine spezifischen<br />

Eigenschaften auflösen.<br />

Trotz <strong>de</strong>r dargestellten Skepsis, die bei einer Verbindung von Erwerbslosigkeit<br />

und bürgerschaftlichem Engagement angebracht ist, bleibt zu fragen, welchen<br />

Potentiale sich aus dieser Verbindung eröffnen.<br />

1.3.5 Zum Konzept <strong>de</strong>s „Sozialkapitals“<br />

Im Zusammenhang mit bürgerschaftlichem Engagement ist es sinnvoll, auf<br />

die Debatte um „Sozialkapital“einzugehen. Soziales Kapital wird über bürgerschaftliches<br />

Engagement aufrechterhalten bzw. hergestellt. Es soll vor allem auch<br />

helfen, Desintegrationsprozessen entgegenzuwirken (grundsätzlich <strong>hier</strong>zu: Putnam<br />

1995; 2000).<br />

Soziales Kapital fasst die sozialen Beziehungen von Individuen, die auf<br />

Vertrauen basieren und quasi als „Schmiermittel“bei <strong>de</strong>r Verfolgung gemeinsamer<br />

Interessen dienen. Es fin<strong>de</strong>t sich in interpersonalen Beziehungen (Familie,<br />

Nachbarschaft, Freun<strong>de</strong>skreis, religiöse Gemeinschaft), im intermediären Bereich<br />

(in Vereinen, Verbän<strong>de</strong>n Parteien, Unternehmen, regionalen Zugehörigkeiten)<br />

und im gesellschaftlichen Großbereich. (vgl. Immerfall 1999: 121ff.) Putnam sieht<br />

soziales Kapital vor allem in religiösen, politischen, beruflichen und gesellschaftlichen<br />

Vereinigungen, die durch Mitgliedschaft einen Zugang zu Gemeinschaften<br />

herstellen.<br />

Aufmerksamkeit hat das Konzept <strong>de</strong>s sozialen Kapitals in <strong>de</strong>r Debatte um<br />

bürgerschaftliches Engagement erlangt, weil mit zunehmen<strong>de</strong>r Individualisierung<br />

sein Rückgang o<strong>de</strong>r gar Verlust befürchtet wird. Gemeinwohlorientierte Haltungen<br />

nähmen zugunsten entsolidarisierter individualistischer Haltungen ab. In Krisenzeiten<br />

wohlfahrtstaatlich <strong>de</strong>mokratisch verfasster Staaten nimmt das Interesse an<br />

sozialem Kapital zu, weil in seiner För<strong>de</strong>rung eine Möglichkeit zur Überwindung<br />

<strong>de</strong>r daraus resultieren<strong>de</strong>n Dilemmata gesehen wird. Es ist eine „kommunitaristische<br />

Hoffnung“, dass die För<strong>de</strong>rung und Stärkung von Gemeinwohlorientierungen<br />

und Bürgertugen<strong>de</strong>n die gesellschaftlichen sozialmoralischen Grundlagen in einer<br />

zunehmend individualisierten Gesellschaft verbessert bzw. wie<strong>de</strong>rherstellt.<br />

Unabhängig von gesellschaftlichen Krisen ist soziales Kapital generell für<br />

das Funktionieren <strong>de</strong>mokratischer Gesellschaften von Be<strong>de</strong>utung. Es wird <strong>hier</strong>bei<br />

ein Zusammenhang zwischen freiwilligem, gemeinwohlorientierten Engagement<br />

und Demokratie hergestellt. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, dass „soziales<br />

Kapital, bürgerschaftliches Engagement und Gemeinsinn ... vorteilhaft für die<br />

Lebensbedingungen und <strong>de</strong>n Wohlstand in einer Gesellschaft“sind. (Jungbauer­<br />

Gans 2002: 190) Laut Enquete­Kommission wer<strong>de</strong>n mit sozialem Kapital vor al­


­ 22 ­<br />

lem ‚Netzwerke bürgerschaftlichen Engagements’, ‚Normen generalisierter Gegenseitigkeit’und<br />

‚soziales Vertrauen’beschrieben. Der Ort sozialen Kapitals ist<br />

die Bürgergesellschaft, in <strong>de</strong>ren Strukturen sich das soziale Kapital bil<strong>de</strong>. (vgl.<br />

Enquete­Kommission 2002c: 34) Positiv wer<strong>de</strong>n die Wirkungen sozialen Kapitals<br />

eingeschätzt, wenn es hilft, „durch soziale Netzwerke ethnische, soziale, generationelle,<br />

geschlechtliche und religiöse Grenzziehungen zu überwin<strong>de</strong>n“. (ebd.)<br />

Putnam, auf <strong>de</strong>n diese Überlegungen zurückgehen, bezeichnet diese Funktion als<br />

„bridging social capital“. Soziales Kapital, das zur Elitenbildung und sozialen<br />

Trennung beiträgt, <strong>de</strong>finiert er dagegen als „bonding social capital“.<br />

Offe (1999: 115f ) äußert Skepsis wenn es um die „Entwicklungschancen“<br />

von sozialem Kapital in kommunitaristischer Absicht geht. 10 Der Geltungsbereich<br />

<strong>de</strong>r Normen und Routinen, die Kooperation för<strong>de</strong>rn, beziehe sich auf feststehen<strong>de</strong><br />

soziale Gemeinschaften (lokale, religiöse, familiale). Aus zivilgesellschaftlicher<br />

Disposition wer<strong>de</strong> kooperatives Han<strong>de</strong>ln nicht nur innerhalb von Gruppen motiviert,<br />

son<strong>de</strong>rn auch zwischen diesen. Hier bleibe <strong>de</strong>r soziale Geltungsbereich <strong>de</strong>s<br />

sozialen Kapitals ausgesprochen diffus. Relevant für för<strong>de</strong>rpolitische Absichten<br />

erscheinen in diesem Zusammenhang Formen, die ein niedriges Maß an Exklusivität<br />

aufweisen. Es komme darauf an, ob bürgerschaftliches Engagement in kleinräumigen<br />

Verwurzelungen gefangen bleibe o<strong>de</strong>r sich als generalisierungsfähig<br />

erweise.<br />

Da die Entstehung und Erhaltung <strong>de</strong>s Sozialkapitals auf Netzwerken beruht<br />

und Vernetzung konstituiert, wird ihm von <strong>de</strong>r Enquete­Kommission eine produktive<br />

gesellschaftliche Funktion zugesprochen. Es trägt dazu bei, Vertrauen auszubil<strong>de</strong>n<br />

und eine Kooperationskultur zu entwickeln. Gleichzeitig wer<strong>de</strong> damit „politisches<br />

Institutionenvertrauen und ökonomische Stabilität“gesteigert. (vgl. Enquete­Kommission<br />

2002: 46) Dieses <strong>de</strong>m sozialem Kapital zugesprochene Potential<br />

erklärt auch seine Entwicklung vom analytischen Begriff zum gesellschaftspolitischen<br />

Programm. Ursprünglich von Putnam als unersetzliches Vermögen für die<br />

Funktionsfähigkeit marktwirtschaftlicher Demokratien analysiert, wur<strong>de</strong> es gera<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>r Debatte um Gemeinwohl und Zivilgesellschaft zum politischen Programm<br />

erhoben, das es zu unterstützen und zu för<strong>de</strong>rn gelte.<br />

Will man mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Sozialkapitals die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s freiwilligen<br />

Engagements begrün<strong>de</strong>n, muss berücksichtigt wer<strong>de</strong>n, dass er kulturell unterschiedliche<br />

Be<strong>de</strong>utungen aufweist. So verweist Joas (2001) auf die unterschiedlichen<br />

kulturellen Traditionen zwischen <strong>de</strong>n USA und <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland.<br />

Zwei geistesgeschichtliche Traditionslinien sind bei <strong>de</strong>r Motivation zum Engagement<br />

in <strong>de</strong>n USA prägend. Eine biblische Tradition (christlich und jüdisch)<br />

sowie eine republikanische Tradition, die auf die Tradition <strong>de</strong>r Selbstregierung<br />

tugendhafter freier Bürger abstellt. (vgl. Joas 2001: 19) In Deutschland hat die<br />

republikanische Tradition keine große Rolle gespielt und entbehrt einer breiten<br />

Basis. Die biblische Tradition spielt dagegen in ganz an<strong>de</strong>rer Form eine Rolle.<br />

Jedoch gibt es in Deutschland zwei an<strong>de</strong>re Traditionslinien <strong>de</strong>s Gemeinsinns: ei­<br />

10 Auf die Probleme bei <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung von Sozialem Kapital im allgemeinen weist z. B. Immerfall<br />

hin. Da Soziales Kapital extrem flüchtig sei, lasse es sich kaum regenerieren. „Der Versuch, Soziales<br />

Kapital direkt herbeiführen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt.“(Immerfall 1999: 125)


­ 23 ­<br />

ne sozial<strong>de</strong>mokratisch­gewerkschaftliche und eine konservativ­nationale Tradition.<br />

Joas argumentiert dahingehend, dass die Auflösung sozialer, sich voneinan<strong>de</strong>r<br />

abgrenzen<strong>de</strong>r Milieus nicht zu sozialer Desintegration führen müsse, son<strong>de</strong>rn<br />

– über Mobilität, sozialen Aufstieg und Angleichung <strong>de</strong>r Lebensverhältnisse – zu<br />

einer Integration in eine über kleinräumliche Milieus hinausreichen<strong>de</strong>, milieuübergreifen<strong>de</strong><br />

Gemeinschaft mün<strong>de</strong>n könne. (Joas 2001: 21) Hier stimmt er mit Offe<br />

überein, <strong>de</strong>r betont, dass es auf die Generalisierungsfähigkeit von Engagement<br />

ankomme, wenn sich soziales Kapital entfalten soll.<br />

Brömme und Strasser (2001: 12 ff) weisen vor <strong>de</strong>m Hintergrund sich verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r<br />

Mitgliedschaftszahlen in traditionalen Organisationen auf eine „zunehmen<strong>de</strong><br />

Ungleichverteilung von sozialem Kapital zwischen verschie<strong>de</strong>nen sozialen<br />

Gruppen“hin. Der Verlust von sozialem Kapital, das über Mitgliedschaften in traditionellen<br />

Assoziationen zugänglich war, sei weitestgehend irreversibel, und<br />

neue, assoziative Formen – z.B. Selbsthilfegruppen, Initiativen – erwiesen sich als<br />

exklusiv. In ähnlicher Weise führt Jungbauer­Ganz (2002: 201 ff) an, dass die<br />

schwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Mitgliedschaftszahlen in <strong>de</strong>n Gewerkschaften auf die wirtschaftliche<br />

Situation zurückzuführen seien und nicht als Ablehnung <strong>de</strong>r Organisation als<br />

solcher zu interpretieren sei. Dagegen spräche auch <strong>de</strong>r Befund, dass das Vertrauen<br />

in die Gewerkschaften generell zugenommen habe, während es bei an<strong>de</strong>ren<br />

Institutionen gesunken sei. Auch sie kommt zu <strong>de</strong>m Schluss, dass es wichtiger<br />

sei, nach <strong>de</strong>r Verteilung von sozialem Kapital zu fragen als nach <strong>de</strong>ssen Umfang.<br />

Damit stellt sich die Frage nach Inklusion und Exklusion. 11 Wird <strong>de</strong>n „verän<strong>de</strong>rten<br />

Produktionsbedingungen von sozialem Kapital“aber zu wenig Aufmerksamkeit<br />

geschenkt, kommt das „<strong>de</strong>r Schließung eines Beteiligungspfa<strong>de</strong>s gleich“,<br />

von <strong>de</strong>m beson<strong>de</strong>rs Niedrigqualifizierte betroffen sind. (Brömme/ Strasser 2001:<br />

14) Hier kommt <strong>de</strong>n Gewerkschaften eine wichtige Rolle zu, um einer sich so anbahnen<strong>de</strong>n<br />

„gespaltenen Bürgerschaft“entgegenzuwirken<br />

1.3.6 Folgerungen für das ehrenamtliche Engagement<br />

Nimmt man die Folgerungen von Brömme/Strasser, die sie anhand <strong>de</strong>s<br />

Zusammenhangs von Bildungsabschlüssen und Mitgliedschaften (in Organisationen,<br />

Verbän<strong>de</strong>n, Parteien) machen, ernst, dann leitet sich daraus die Frage ab,<br />

ob die These vom „Strukturwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamtes“so haltbar ist. Denn dann ist<br />

die Verlagerung von Engagement aufgrund <strong>de</strong>s Motivationswan<strong>de</strong>ls beim Engagement<br />

weg von Organisationen, Verbän<strong>de</strong>n, Parteien hin zu selbstorganisierten,<br />

kleinräumlichen situativen Organisationsformen (Selbsthilfegruppen, Initiativen)<br />

11 Zu diesen negativen Folgen Sozialen Kapitals siehe auch Bourdieus Ausführungen (1983) zu<br />

seinem gleichnamigen Begriff, <strong>de</strong>n er in Zusammenhang mit ökonomischen und kulturellen Kapital<br />

diskutiert. Er beschreibt mit dieser Begrifflichkeit die (subtilen) Mechanismen <strong>de</strong>r Produktion und<br />

Reproduktion sozialer Ungleichheit. Bourdieu hatte Soziales Kapital als Ressource begriffen. Die<br />

Kompetenzen, die aus dieser Ressource resultieren, wer<strong>de</strong>n eingesetzt, um ökonomisches Kapital<br />

und schließlich kulturelles Kapitals zu erlangen. Diese Kapitalien steigern sich gegenseitig und<br />

dienen letztlich <strong>de</strong>r Befähigung zur Durchsetzung <strong>de</strong>r eigenen sozialen, ökonomischen und politischen<br />

Interessen, was nicht zuletzt über die Dominierung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Diskurses hergestellt<br />

wird.


­ 24 ­<br />

nur statistisch plausibel. An<strong>de</strong>rs gesagt, hinter <strong>de</strong>r gleichbleiben<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r noch<br />

zunehmen<strong>de</strong>n Engagementquote verbergen sich nicht gewan<strong>de</strong>lte Interessen von<br />

Individuen, die diese nun in an<strong>de</strong>ren Organisationsformen befriedigen, son<strong>de</strong>rn<br />

an<strong>de</strong>re Individuen. Erkennbar ist, dass sich Personen mit höheren Bildungsabschlüssen<br />

verstärkt engagieren, während Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen<br />

sich zunehmend weniger engagieren. Damit wird aber für letztere <strong>de</strong>r<br />

Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe und zum Engagement zusätzlich verengt<br />

bzw. abgebaut. Soziales Kapital kann dann nicht wachsen, son<strong>de</strong>rn geht verloren.<br />

Es droht die Gefahr <strong>de</strong>r „gespaltenen Bürgerschaft“.<br />

Der Strukturwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamtes beruht <strong>de</strong>mnach nicht (nur) auf einer<br />

gewan<strong>de</strong>lten Motivationslage <strong>de</strong>r Individuen – die individualisierungstheoretisch<br />

begrün<strong>de</strong>t wird – son<strong>de</strong>rn vor allem in einer an<strong>de</strong>ren Bezugsgruppe von Engagierten.<br />

Das heißt, dass <strong>de</strong>r konstatierte Motivationswan<strong>de</strong>l lediglich auf die Motive<br />

einer bestimmten Bezugsgruppe zutrifft. Er unterbelichtet <strong>de</strong>n gruppenspezifischen<br />

(bzw. milieuspezifischen) Motivationswan<strong>de</strong>l, so dass <strong>de</strong>r Abgang bzw.<br />

Zugang beim Engagement nicht auf die gewan<strong>de</strong>lten Motive ein und <strong>de</strong>rselben<br />

Gruppe zurückgeführt wer<strong>de</strong>n können, son<strong>de</strong>rn auf eine gruppenspezifische Erklärung<br />

hinauslaufen muss. Das wür<strong>de</strong> dann auch das Verhältnis <strong>de</strong>s Rückgangs<br />

in <strong>de</strong>n klassischen Organisationen bei gleichzeitiger Zunahme in Initiativen und<br />

Projekten erklären bzw. an<strong>de</strong>rs erklären. So haben sich zwar die klassischen Milieus<br />

aufgelöst und daran gebun<strong>de</strong>ne Motive und Werte haben ihre Verpflichtungskraft<br />

und Selbstverständnis verloren, aber die Motive haben sich eben nur<br />

bedingt gewan<strong>de</strong>lt: im Sinne einer Bin<strong>de</strong>wirkung und Verpflichtung. So gesehen<br />

ist <strong>de</strong>r Motivationswan<strong>de</strong>l nur eine Teilerklärung für die Abnahme von Engagement<br />

in klassischen Organisationen wie <strong>de</strong>n Gewerkschaften. Der Befund, dass<br />

sich die klassischen Milieus auflösen besagt ja nicht, dass sich keine neuen Milieus<br />

gebil<strong>de</strong>t hätten. Dabei müssen neue Milieus auch nicht die gleichen Strukturmerkmale<br />

wie die alten Milieus aufweisen. So wird konstatiert, dass die neuartigen<br />

Strömungen <strong>de</strong>s Individualismus – wie <strong>de</strong>r „expressive“Individualismus –<br />

milieubil<strong>de</strong>nd gewirkt haben. Dieser „selbstverwirklichungsorientierte“Individualismus,<br />

<strong>de</strong>r sich am ehesten in <strong>de</strong>r Klientel <strong>de</strong>r Grünen und ökologischalternativen<br />

Szene fin<strong>de</strong>t, hat wertebil<strong>de</strong>nd gewirkt. Eine eigene organisatorische<br />

und kommunikative Infrastruktur, eine beson<strong>de</strong>re Symbolik, ein spezifischer Mythos<br />

und eine alternative gesellschaftliche Elite“ist entstan<strong>de</strong>n. (Walter 1999)<br />

Freiwillige aus diesem Milieu, so die Annahme, engagieren sich vornehmlich in<br />

<strong>de</strong>n neuen Organisationsformen aus diesem Umfeld.<br />

Daraus lässt sich vereinfachend schlussfolgern, dass die Verän<strong>de</strong>rungen<br />

im organisatorischen Rahmen von Engagement nicht primär im Motivationswan<strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>r Engagierten begrün<strong>de</strong>t sind, son<strong>de</strong>rn in einer Werteverschiebung, die an<br />

Milieus gebun<strong>de</strong>n ist und die die Motivation an diese Werte bin<strong>de</strong>t.<br />

Brömme und Strasser argumentieren in dieser Hinsicht auf <strong>de</strong>r Folie abund<br />

zunehmen<strong>de</strong>r Mitgliedschaften in Vereinen und Verbän<strong>de</strong>n und fragen nach<br />

<strong>de</strong>n Konsequenzen für das soziale Kapital. Mitgliedschaften in <strong>de</strong>r Bezugsgruppe<br />

„Arbeiter/innen“o<strong>de</strong>r „Mitglie<strong>de</strong>r mit niedrigen Bildungsabschlüssen“sind stark<br />

abnehmend, während Mitglie<strong>de</strong>r mit höheren Bildungsabschlüssen o<strong>de</strong>r aus an<strong>de</strong>ren<br />

Berufsgruppen nur marginale Einbußen zu verzeichnen haben. Das heißt


­ 25 ­<br />

aber nicht, dass z.B. die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>n Gewerkschaften einfach eine Verschiebung<br />

hin zu höheren Bildungsabschlüssen verzeichnet. „Wer<strong>de</strong>n Mitgliedschaften<br />

im DGB, in kirchlichen Vereinen und in Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong>n ... unterschie<strong>de</strong>n,<br />

kehrt sich die Zusammensetzung <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Bildungsgrad<br />

teilweise um: Personen mit Fachhochschul­ o<strong>de</strong>r Hochschulreife sind als Mitglie<strong>de</strong>r<br />

in <strong>de</strong>n Gewerkschaften stark unterrepräsentiert.“(Brömme/ Strasser 2001: 10)<br />

Es geht aber <strong>hier</strong> nicht um die Argumentationslinie, nach <strong>de</strong>r sich anhand von<br />

Mitgliedschaften <strong>de</strong>r Schwund von sozialem Kapital bei bestimmten Bildungs­ und<br />

Berufsgruppen als Partizipationsvermögen abzeichnet. Bemerkenswert ist, dass<br />

<strong>de</strong>r Formenwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Engagements, <strong>de</strong>r angeblich aus einem Motivationswan<strong>de</strong>l<br />

zum Engagement resultiert, auf wertetragen<strong>de</strong> (neue) Milieus zurückzuführen<br />

ist. Die Motive, die zum Engagement animieren, resultieren aus diesen Werten.<br />

Und, das Engagement sucht sich neue Formen im Sinne eines angepassten Organisationsrahmens.<br />

Insofern ist die Frage von Joas von zentraler Be<strong>de</strong>utung:<br />

wie entstehen Werte und wie wer<strong>de</strong>n sie weitergegeben? Wichtig ist, nach <strong>de</strong>n<br />

Bedingungen für die Möglichkeit einer Verbreitung bürgerschaftlichen Engagements<br />

zu fragen. (Joas 2001: 22)<br />

Milieuauflösung be<strong>de</strong>utet nicht zwangsläufig Desintegration und führt we<strong>de</strong>r<br />

zu dramatischen Verlusten <strong>de</strong>s Gemeinsinns noch zur Abnahme <strong>de</strong>s Engagements.<br />

Wenn <strong>de</strong>m so ist, dann muss es „an<strong>de</strong>re Formen <strong>de</strong>r Entstehung und<br />

<strong>de</strong>r Reproduktion <strong>de</strong>s Gemeinsinns und überhaupt <strong>de</strong>r Werte geben, als es die<br />

Milieukonzeption unterstellt“. (Joas 2001: 21).Die Frage sollte nicht sein, wie Milieus<br />

stabilisiert o<strong>de</strong>r gerettet wer<strong>de</strong>n könnten, son<strong>de</strong>rn wie Werte entstehen und<br />

weitergegeben wer<strong>de</strong>n können – und zwar nicht durch Indoktrination und Abwehr<br />

konkurrieren<strong>de</strong>r Einflüsse, son<strong>de</strong>rn durch Beteiligungsmöglichkeiten, Vorbil<strong>de</strong>r<br />

und Erfahrungskonstellationen. (<strong>de</strong>rs.: 22) 12<br />

Was heißt das für die Gewerkschaften und welche Aufgaben können daraus<br />

folgen? Gewerkschaften sollten:<br />

• Bedürfnisse und Interessen <strong>de</strong>r Individuen im Be<strong>de</strong>utungskontext <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Milieuzugehörigkeit konkret herausfin<strong>de</strong>n und stärken<br />

• Angebote machen, die sich auf diese Bedürfnisse und Interessen beziehen<br />

statt auf die allgemeine Aussage <strong>de</strong>s Strukturwan<strong>de</strong>ls, <strong>de</strong>r die gewan<strong>de</strong>lten<br />

Motiven in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund stellt<br />

• Anschlussoptionen bieten, die <strong>de</strong>n einzelnen nicht auf eine „Klassensolidarität“<br />

verweisen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ssen eigene situative Lage berücksichtigen<br />

12 Es gibt drei Dilemmata, die sich aus <strong>de</strong>m Spannungsverhältnis <strong>de</strong>s Gemeinsinns zu drei Formen<br />

<strong>de</strong>r Ungleichheit ergeben (sozialer, kultureller, politsicher): Spannung zwischen Gemeinsinn<br />

und sozialer Gerechtigkeit, Verhältnis zwischen Gemeinsinn und kultureller Ungleichheit und<br />

Spannung zwischen Gemeinsinn und Demokratie. Gemeinsinn sei nur dann etwas Gutes wenn<br />

seien Ausdrucksformen sich in <strong>de</strong>r Prüfung durch die drei Dilemmata <strong>de</strong>r sozialen, kulturellen und<br />

politischen Ungleichheit bewähren. (Joas 2001: 23) Stichworte zu <strong>de</strong>n Dilemmata und <strong>de</strong>ren Lösung:<br />

sozial –Zugangschancen, kulturell – Werte (Transport), politisch – politische Handlungsfähigkeit<br />

(Verknüpfung von bürgerschaftliches Engagement mit <strong>de</strong>n politischen Strukturen <strong>de</strong>r Willensbildung).


­ 26 ­<br />

• „Heimat“für Individuen mit unterschiedlichen Wertekanon bieten; also Öffnung<br />

für Werte, die die klassischen Muster sozial<strong>de</strong>mokratischer und gewerkschaftlicher<br />

I<strong>de</strong>ologie verlassen<br />

• Betätigungsmöglichkeiten, die von einer Zentrierung auf Erwerbsarbeit absehen<br />

• Durchsetzungsmöglichkeiten – als Sprachrohr und Exekutive – bereitstellen,<br />

die an <strong>de</strong>n gewan<strong>de</strong>lten Interessen und Werten orientiert sind<br />

• Raum für soziale und politische Integration bieten (Heimat)<br />

1.4 Engagementformen – Eine Systematisierung mit Blick auf die Gewerkschaftspolitik<br />

Jürgen Wolf<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r letzten zehn Jahre hat sich für das ehrenamtliche Engagement<br />

eine Vielfalt von Begriffen herausgebil<strong>de</strong>t: neben das „Ehrenamt“sind vor<br />

allem die Begriffe <strong>de</strong>s „freiwilligen“und <strong>de</strong>s „bürgerschaftlichen“Engagements<br />

getreten, mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Entwicklung zur „neuen Ehrenamtlichkeit“Rechnung getragen<br />

wer<strong>de</strong>n soll. Diese Begriffe wer<strong>de</strong>n zum Teil als gleichrangig behan<strong>de</strong>lt<br />

und wechselseitig füreinan<strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>t. Bei einer genaueren Betrachtung zeigt<br />

sich aber, dass dahinter jeweils unterschiedliche Vorstellungen über die Voraussetzungen,<br />

Motive und Ziele <strong>de</strong>s Engagements und unterschiedliche Leitbil<strong>de</strong>r<br />

über <strong>de</strong>n Zusammenhang von Bürger und Gesellschaft stecken. Darüber hinaus<br />

referieren sie auf unterschiedliche gesellschaftstheoretische und –politische Konzepte<br />

– <strong>de</strong>r liberal­individualistischen Tradition <strong>de</strong>s angloamerikanischen „volunteering“<br />

einerseits, <strong>de</strong>r „linken“ Fassung <strong>de</strong>s kommunitaristischen Programms<br />

(z.B. Barber 1994) an<strong>de</strong>rerseits. Für die Frage nach <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements in Mitglie<strong>de</strong>rverbän<strong>de</strong>n ist es wichtig, diese unterschiedlichen<br />

Bezüge zu ver<strong>de</strong>utlichen und gegebenenfalls in differenzierte Angebote umzusetzen<br />

(vgl. <strong>hier</strong>zu Evers 1998; Heinze/Strünck 1999, Wolf 1999).<br />

Dies hat auch Auswirkungen auf das gewerkschaftliche Engagement, und<br />

es ist sinnvoll, die unterschiedlichen Konzepte auf ihre Auswirkungen auf die Gewerkschaften<br />

hin zu befragen und gegeneinan<strong>de</strong>r abzugrenzen, wenn neue Wege<br />

<strong>de</strong>r Engagementför<strong>de</strong>rung gesucht wer<strong>de</strong>n sollen (Abb. 1; vgl. zum folgen<strong>de</strong>n<br />

auch Evers 1998).<br />

Wenn vom „freiwilligen Engagement“gere<strong>de</strong>t wird, stehen selbstbezogene<br />

Motive <strong>de</strong>s Engagements im Vor<strong>de</strong>rgrund, die dadurch verwirklicht wer<strong>de</strong>n können,<br />

dass man sich für sich selbst (im Bereich <strong>de</strong>r Selbsthilfe) o<strong>de</strong>r für an<strong>de</strong>re<br />

engagiert. Das Konzept setzt an individualisierten Motiven an – das Engagement<br />

vermittelt mir Sinn und Spaß, und ich kann mit ihm immaterielle o<strong>de</strong>r materielle<br />

Vorteile erzielen, die ich bei an<strong>de</strong>ren Aktivitäten nicht erreichen könnte. Das Engagement<br />

wird als ein Bereich <strong>de</strong>r Freizeitaktivitäten unter mehreren gesehen, die<br />

gleichrangig existieren und zwischen <strong>de</strong>nen ich eine Wahl treffe. Es kann für mich<br />

z.B. befriedigen<strong>de</strong>r sein, in <strong>de</strong>r Jugend­ o<strong>de</strong>r Seniorenbetreuung <strong>de</strong>s Sportvereins<br />

tätig zu wer<strong>de</strong>n, als ins Fitness­Studio zu gehen. Das Leitbild dieser Form <strong>de</strong>s<br />

Engagements ist <strong>de</strong>r Kun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m „Markt“<strong>de</strong>r Möglichkeiten <strong>de</strong>s Engage­


­ 27 ­<br />

ments das Angebot wählt, das <strong>de</strong>n größten individuellen Nutzen in bezug auf die<br />

eigenen Motive verspricht. Dieser Nutzen kann durchaus auch darin bestehen,<br />

dass man Anerkennung und Unterstützung in <strong>de</strong>r Gruppe erfährt o<strong>de</strong>r das Gefühl<br />

hat, etwas zu tun, das an<strong>de</strong>ren hilft. Bezogen auf die Gewerkschaft hieße die<br />

För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s freiwilligen Engagements, solche individualisierten Motivlagen in<br />

<strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund zu stellen und Möglichkeiten für ihre Verwirklichung zu bieten.<br />

Die Gewerkschaft erhält in diesem Konzept <strong>de</strong>n Charakter eines Dienstleisters,<br />

<strong>de</strong>r kun<strong>de</strong>norientiert Leistungen anbietet und Anreiz­ und Belohnungsstrukturen<br />

für das <strong>hier</strong>auf bezogene Engagement entwickelt. Engagementför<strong>de</strong>rung be<strong>de</strong>utet<br />

<strong>hier</strong>bei vor allem Marketing: Die Organisation muss ihr „Markenimage“verbessern<br />

und pflegen, um sich auf <strong>de</strong>m Markt <strong>de</strong>r Möglichkeiten gut „verkaufen“, und ehrenamtliche<br />

Mitarbeiter gewinnen zu können (z.B. Deckstein 2003).<br />

Das bürgerschaftliche Engagement setzt dagegen an gemeinschaftsorientierten<br />

Motiven an, die Ausdruck <strong>de</strong>r Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen<br />

Gruppe sind. Im Vor<strong>de</strong>rgrund steht also die Mitgliedschaft – allerdings nicht unbedingt<br />

in einer Organisation, son<strong>de</strong>rn in einem Gemeinwesen, für <strong>de</strong>ssen Funktionieren<br />

man sich mit verantwortlich fühlt. So können sich Eltern für die Verbesserung<br />

<strong>de</strong>r Bedingungen an <strong>de</strong>r Schule ihrer Kin<strong>de</strong>r engagieren, Nachbarn für die<br />

Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r gegenseitigen Unterstützung, Anwohner für die Gestaltung<br />

<strong>de</strong>r Verkehrs­ und Wohnbedingungen. Das Engagement in diesem Sinne stellt für<br />

die Beteiligten eine höher bewertete Form <strong>de</strong>r Tätigkeit als an<strong>de</strong>re Freizeitaktivitäten<br />

dar und geht mit einem gewissen Maß an Verpflichtung (commitment) einher.<br />

Es setzt voraus, dass Möglichkeiten zur Mitwirkung im Prozess <strong>de</strong>r politischen<br />

Willensbildung bereit gestellt wer<strong>de</strong>n, die sich nicht nur als Durchsetzung individueller<br />

Interessen verstehen, son<strong>de</strong>rn ihre Funktion „als öffentliche Verständigung<br />

über gemeinsame Aufgaben und Prioritäten“(Evers 1998, S. 198) erfahrbar machen.<br />

Das Leitbild dieser Form <strong>de</strong>s Engagements ist <strong>de</strong>r aktive (Mit­) Bürger, <strong>de</strong>r<br />

an <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Lebensverhältnisse interessiert ist. Die<br />

Gewerkschaft wird <strong>hier</strong>bei in einem politischen Sinn angesprochen, entsprechend<br />

ihrer Tradition einer sozialen Bewegung, <strong>de</strong>r es um die Mitgestaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen<br />

Zusammenlebens geht. Engagementför<strong>de</strong>rung heißt <strong>hier</strong>, offene Foren<br />

und wirksame Mitwirkungsangebote bereitzustellen, über welche die Interessen<br />

zur Gestaltung <strong>de</strong>r gemeinsamen Lebensbedingungen artikuliert, ausgehan<strong>de</strong>lt<br />

und gestaltet wer<strong>de</strong>n können.<br />

Diese Typisierung ist nicht als Gegenüberstellung sich ausschließen<strong>de</strong>r Alternativen<br />

zu verstehen. Engagementför<strong>de</strong>rung kann und muss bei<strong>de</strong> Elemente<br />

aufgreifen, um die unterschiedlichen Mitglie<strong>de</strong>rgruppen ansprechen und <strong>de</strong>m eigentümlichen<br />

Charakter <strong>de</strong>r Gewerkschaftsorganisationen gerecht wer<strong>de</strong>n zu<br />

können. Wür<strong>de</strong> versucht wer<strong>de</strong>n, nur eine Strategie konsequent umzusetzen –<br />

Professionalität o<strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rbeteiligung –, ginge das mit Verlusten auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Ebene einher. Die Übersicht dient dazu, die zentralen Elemente <strong>de</strong>r bereichsspezifischen<br />

Engagementför<strong>de</strong>rung aufzuzeigen. Es han<strong>de</strong>lt sich dabei um<br />

die Frage <strong>de</strong>r Gewichtung und Akzentuierung. So muss etwa Beratung – auch<br />

wenn sie ehrenamtlich durchgeführt wird – professionellen Charakter haben und<br />

gegenüber an<strong>de</strong>ren Anbietern konkurrenzfähig sein. Die fachliche Qualifizierung<br />

und professionelle Betreuung <strong>de</strong>r Ehrenamtler steht <strong>hier</strong>bei im Vor<strong>de</strong>rgrund. Die


­ 28 ­<br />

soziale Integration von Jugendlichen o<strong>de</strong>r Erwerbslosen im Wohngebiet erfor<strong>de</strong>rt<br />

dagegen soziale Kompetenzen seitens <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen, und eine Vernetzung<br />

<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Projekte, durch welche eine offene Artikulation von Interessen<br />

und Bedürfnissen und die Verständigung über sie möglich wird. Für die Engagementför<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaften wird es <strong>de</strong>shalb darauf ankommen, eine Balance<br />

zwischen diesen Konzepten zu fin<strong>de</strong>n und Lösungen zu entwickeln, die mit<br />

<strong>de</strong>n „traditionellen“Aufgaben <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Arbeit – etwa die Tätigkeit in<br />

Vertrauens­ und Betriebsräten – vereinbar sind.<br />

Abbildung 1: Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>s freiwilligen und <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements<br />

„freiwilliges Engagement“<br />

„bürgerschaftliches Engagement“<br />

Individualisierte Motive<br />

­ Verfolgung von Eigeninteressen (z.B. „ich<br />

helfe, damit auch mir geholfen wird“;<br />

­ „Vermittlung von Sinn, Befriedigung und<br />

Spaß<br />

Gemeinschaftsorientierte Motive<br />

­ Ausdruck von Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen<br />

Gruppe bzw. Gemeinschaft<br />

­ Verpflichtung und Mitverantwortung gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Gemeinwesen<br />

Engagement ist ein Bereich <strong>de</strong>r Freizeitaktivitäten<br />

unter an<strong>de</strong>ren, die gleichrangig existieren<br />

Engagement ist eine höherwertige Form <strong>de</strong>r<br />

Aktivität, die beson<strong>de</strong>rs anerkannt wird<br />

Leitbild: Kun<strong>de</strong><br />

Individualisierte, „rationale“ Mitgliedschaftsmotive<br />

Gewerkschaft als Dienstleister<br />

Leitbild: (Mit­) Bürger<br />

Gesellschaftsbezogene, politische Mitgliedschaftsmotive<br />

Gewerkschaft als soziale Bewegung und Gegenmacht<br />

1.5 Die Anlage und methodische Umsetzung <strong>de</strong>r Untersuchung<br />

Der Umfang <strong>de</strong>r Untersuchung umfasst folgen<strong>de</strong> Erhebungsschritte:<br />

• Eine schriftliche Befragung <strong>de</strong>r Verwaltungsstellen bzw. Bezirksverwaltungen<br />

<strong>de</strong>r IG Metall, IG BCE, ver.di und IG BAU.<br />

• 45 Experteninterviews<br />

• 40 sonstige Einzelinterviews<br />

• 16 Gruppendiskussionen (davon eine Experten­Gruppendiskussion)


­ 29 ­<br />

1.5.1 Formen <strong>de</strong>s Zugangs und die Auswahl <strong>de</strong>r Untersuchungsfälle<br />

Frank Ernst<br />

Das Ausmaß <strong>de</strong>s Engagements nimmt offenbar mit steigen<strong>de</strong>m Formalisierungsgrad<br />

und zunehmen<strong>de</strong>r <strong>hier</strong>archischer Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Organisationen ab. In<br />

kleinen Vereinigungen und Initiativen, welche die Chance zur sozialen Selbstorganisation<br />

bieten, ist dieses Ausmaß dagegen groß. Für die Auswahl <strong>de</strong>s Untersuchungsfel<strong>de</strong>s<br />

hat es sich <strong>de</strong>mnach angeboten, Fälle mit diesen bei<strong>de</strong>n Charakteristika<br />

zu kontrastieren.<br />

Welche Möglichkeiten sich innerhalb von großen Mitglie<strong>de</strong>rorganisationen<br />

bieten, die Merkmale <strong>de</strong>r „neuen Ehrenamtlichkeit“zu integrieren, wur<strong>de</strong> am Beispiel<br />

von DGB­Gewerkschaften nachgegangen, weil sie Kernorganisationen <strong>de</strong>r<br />

korporatistischen Arrangements darstellen und sich als erwerbsbezogene Interessenorganisationen<br />

verstehen, die sich mit gesellschaftspolitischem Anspruch auf<br />

die Vermittlung von Erwerbs­ und Lebensbedingungen richten. Exemplarisch<br />

wur<strong>de</strong>n die Organisationsbereiche <strong>de</strong>r IG Metall, <strong>de</strong>r IG Bergbau, Chemie, Energie<br />

und <strong>de</strong>r Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einbezogen, ergänzt<br />

durch die IG BAU und die DGB­Lan<strong>de</strong>sbezirke.<br />

Die Grundgesamtheit für diesen Untersuchungsteil besteht aus gewerkschaftlichen<br />

Projekten <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements, die im Sinne <strong>de</strong>s Konzepts<br />

<strong>de</strong>r „neuen Ehrenamtlichkeit“ als innovativ angesehen wer<strong>de</strong>n können.<br />

Merkmale für <strong>de</strong>n neuartigen Charakter beziehen sich<br />

• auf die Struktur <strong>de</strong>s Angebots (projektbezogen, zeitlich befristet, Ausrichtung<br />

an Orientierungen <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r, Zusammenhang zwischen <strong>de</strong>m Engagement<br />

und einer entsprechen<strong>de</strong>n Belohnung, kooperatives Zusammenwirken mit an<strong>de</strong>ren<br />

Gruppierungen, ggf. eigenständige Organisationsform)<br />

• auf <strong>de</strong>n Adressatenkreis (Jugendliche im Übergang ins Erwerbsleben, Ältere<br />

im Übergang in <strong>de</strong>n Ruhestand, Arbeitslose, aber auch Merkmale wie<br />

Stadt/Land, Beschäftigungssituation, Organisationsgrad).<br />

Als Vergleichsgruppe wur<strong>de</strong>n lokale Initiativen <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements<br />

herangezogen. Sie richten sich auf unmittelbare Belange <strong>de</strong>r Bürger,<br />

ermöglichen in hohem Ausmaß eine direkte Partizipation, tragen zur Integration<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwesens bei und sind weniger interessen­ als gemeinsinnorientiert.<br />

In einem ersten Schritt wur<strong>de</strong>n Projekte mit innovativem Charakter i<strong>de</strong>ntifiziert,<br />

im zweiten Schritt dann diejenigen bestimmt, die in die weitere Untersuchung<br />

einbezogen wur<strong>de</strong>n. Diese Schritte erfolgten auf <strong>de</strong>r Grundlage einer<br />

schriftlichen Befragung und von Experteninterviews. Die Auswahlkriterien sind im<br />

Laufe <strong>de</strong>r Untersuchung aufgrund <strong>de</strong>r empirischen Beobachtungen präzisiert und<br />

modifiziert wor<strong>de</strong>n.<br />

Als empirische Voraussetzung für die Auswahl <strong>de</strong>r in die Untersuchung<br />

einzubeziehen<strong>de</strong>n Fälle wur<strong>de</strong> eine postalische Befragung unter <strong>de</strong>n Bezirksverwaltungen<br />

<strong>de</strong>r IG Metall, <strong>de</strong>r IG BCE und ver.di sowie <strong>de</strong>r IG BAU und <strong>de</strong>s DGB<br />

mittels eines Fragebogens durchgeführt, ergänzt durch Experteninterviews. Erkenntnisziel<br />

war eine möglichst <strong>de</strong>taillierte Übersicht über die ehrenamtlichen Aktivitäten,<br />

ihre Zielsetzung und zeitliche Dauer, die Adressaten, ihre Organisations­


­ 30 ­<br />

formen, Finanzierung, die Art <strong>de</strong>r Einbindung in Gewerkschafts­ und (beispielsweise<br />

kommunale) Netzwerkstrukturen.<br />

Im ersten Teil <strong>de</strong>r Projektphase wur<strong>de</strong>n – während die Fragebogenaktion<br />

lief – einige Überlegungen in bezug auf die Auswahl und <strong>de</strong>n Zugang von potentiellen<br />

Projekten getroffen. Ausgehend von <strong>de</strong>r These, dass sich ein „Formwan<strong>de</strong>l“<strong>de</strong>s<br />

ehrenamtlichen Engagements vollzogen habe, lag die Vermutung nahe,<br />

dass sich neue Engagementformen innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaften am ehesten im<br />

Bereich <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit fin<strong>de</strong>n lassen. So beziehen<br />

sich beispielsweise Projekte im Wohnbereich auf die eigene Lebensumfeldgestaltung<br />

von Engagierten. Der Umstand, dass das Engagement in lokalen Initiativen<br />

zunimmt, während die Verbän<strong>de</strong> über einen Rückgang <strong>de</strong>s Engagements klagen,<br />

schien dies zu belegen. Weiterhin lag die Annahme nah, dass ehrenamtliches<br />

Engagement häufig im Bereich <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit in<br />

Form von Projektarbeit stattfin<strong>de</strong>t. Damit fällt möglicherweise auch <strong>de</strong>r Formalisierungsgrad<br />

von Engagement geringer aus. Außer<strong>de</strong>m erwächst aus <strong>de</strong>n (in <strong>de</strong>n<br />

oberen Kapiteln diskutierten) Folgen <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Wan<strong>de</strong>ls ein immer<br />

größeres Potential an Engagierten für die Gewerkschaften im außerbetrieblichen<br />

Bereich. So sind mittlerweile nicht mehr nur Ruheständler und Vorruheständler<br />

nicht betrieblich gebun<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch Erwerbslose. Das stellt die Gewerkschaften<br />

beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn vor bisher nicht gekannte Probleme.<br />

Nicht zuletzt die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rstruktur – Zuwachs an Ruheständlern,<br />

Vorruheständlern und Erwerbslosen – legte also nahe, dass sich gera<strong>de</strong><br />

im außerbetrieblichen Bereich <strong>de</strong>r Gewerkschaftsarbeit am ehesten neue<br />

Formen ehrenamtlichen Engagements fin<strong>de</strong>n lassen. Aufgrund dieser Überlegungen<br />

und Ergebnisse wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Fokus <strong>de</strong>r Untersuchung auf <strong>de</strong>n außerbetrieblichen<br />

Bereich <strong>de</strong>r Gewerkschaftsarbeit gelegt.<br />

Dies korrespondierte mit <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>r vorgeschalteten schriftlichen<br />

Befragung und <strong>de</strong>n Informationen aus <strong>de</strong>n ersten Experteninterviews. So hatten<br />

die befragten Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftsstellenleiter 86% <strong>de</strong>r von<br />

ihnen aufgeführten Arbeitskreise und/o<strong>de</strong>r Projekte im Bereich <strong>de</strong>r außerbetrieblichen<br />

Gewerkschaftsarbeit verortet. (vgl. Kap. 2)<br />

Zu <strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Erwerbsleben Ausgetretenen (Ruheständler und Erwerbslose)<br />

kommt ein weiterer Personenkreis: die Gruppe <strong>de</strong>r Jugendlichen, die noch<br />

nicht o<strong>de</strong>r erst jüngst o<strong>de</strong>r ins Erwerbsleben eingetreten sind. Beson<strong>de</strong>rs Jugendliche<br />

sind häufig diesen „alten“Engagementformen und ­legitimationen gegenüber<br />

abstinent und sie weisen die höchsten Selbstentfaltungsmotive auf.<br />

Aufgrund dieser Resultate legten wir <strong>de</strong>n gruppenbezogenen Fokus auf die<br />

folgen<strong>de</strong>n Untersuchungsgruppen:<br />

• Senioren<br />

• Erwerbslose<br />

• Jugendliche<br />

Die Auswahl von geeigneten Arbeitskreisen bzw. Projekten in <strong>de</strong>n vier beteiligten<br />

Gewerkschaften – IG­Bau, IG­BCE, IG­Metall und ver.di – sollte mittels<br />

<strong>de</strong>s Fragebogens und <strong>de</strong>r Experteninterviews getroffen wer<strong>de</strong>n. Das Ziel, Zugänge<br />

zu Arbeitskreisen bzw. Projekten „neuen ehrenamtlichen Engagements“zu<br />

schaffen, konnte <strong>de</strong>r Fragebogen jedoch nur eingeschränkt erfüllen. So war nicht


­ 31 ­<br />

nur <strong>de</strong>r Rücklauf unerwartet zögerlich und niedrig ausgefallen. Es traten auch<br />

Schwierigkeiten angesichts <strong>de</strong>r Ortung von Projekten „neuen ehrenamtlichen Engagements“auf.<br />

Um eine adäquate Auswahl treffen zu können, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb<br />

verstärkt auf Experteninterviews zurückgegriffen.<br />

Die Projektgruppe einigte sich darauf, dass die Intensivfallstudien verschie<strong>de</strong>ne<br />

Projekte in einem <strong>de</strong>finierten Feld einschließen sollten. Es ging also<br />

nicht darum, einzelne Projekte in nicht aufeinan<strong>de</strong>rbezogenen Fel<strong>de</strong>rn zu fin<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn um ein Feld, das <strong>de</strong>n Rahmen für die einzelnen Projekte für die jeweilige<br />

Fallstudie abgab.<br />

Zweitens wur<strong>de</strong> gewerkschaftlichen Projekten bei <strong>de</strong>r Auswahl <strong>de</strong>r Vorrang<br />

gegeben. Diese ausgewählten gewerkschaftlichen Projekte bestimmten anschließend<br />

<strong>de</strong>n zentralen Standort <strong>de</strong>s Fel<strong>de</strong>s. Das heißt, an<strong>de</strong>re relevante Projekte<br />

innerhalb dieser Fallstudie wur<strong>de</strong>n um dieses ausgewählte Projekt herum ausfindig<br />

gemacht.<br />

Das Feld <strong>de</strong>finiert sich dabei einerseits über die netzwerklichen Verbindungen<br />

und über die Reichweite <strong>de</strong>s ersten Projektes sowie an<strong>de</strong>rerseits nach seiner<br />

geographischen Verortung – z.B. Mecklenburg­Vorpommern versus Ba<strong>de</strong>n­<br />

Württemberg.<br />

Übersicht <strong>de</strong>r einzelnen Zugangsformen<br />

• Theoretischer Zugang:<br />

a) Fokus auf die außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit<br />

b) nicht­gewerkschaftliche Vergleichsgruppe im gleichen Untersuchungsfeld<br />

c) Unterscheidung ehrenamtlich engagierter Gruppen:<br />

1) Senioren<br />

2) Erwerbslose<br />

3) Jugendliche<br />

• Zugang über <strong>de</strong>n Fragebogen:<br />

Auswahl von Projekten, die eine nicht­klassische Form ehrenamtlicher Tätigkeit<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft aufweisen. Projekte, die sich vor allem<br />

durch einen Projektbezug, eine zeitliche Begrenzung und ihrer Ausrichtung<br />

an <strong>de</strong>n Orientierungen <strong>de</strong>r einzelnen Mitglie<strong>de</strong>r auszeichnen.<br />

• „Insi<strong>de</strong>r­Zugang“:<br />

a) Expert/inn/en innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft:<br />

­ Zuständige für die einzelnen Bereiche<br />

­ Verwaltungsstellenleiter/Bezirksgeschäftstellenleiter/innen<br />

­ Referent/innen<br />

­ Projektleiter/Geschäftsführer/innen<br />

­ Vereinsvorsitzen<strong>de</strong><br />

b) Expert/inn/en außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft:<br />

­ Vereinvorsitzen<strong>de</strong><br />

­ Projektleiter/Geschäftsführer/innen<br />

­ Zuständige staatliche Stellen<br />

­ Angestellte in Verbän<strong>de</strong>n und Verwaltungen<br />

Insgesamt kann das empirische Material auf drei Vergleichsebenen kontrastiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Einmal lassen sich die strukturellen Gruppen (Jugendliche, Erwerbslose,<br />

Senioren) miteinan<strong>de</strong>r vergleichen. Des weiteren sind Vergleiche zwi­


­ 32 ­<br />

schen gewerkschaftlichen und nicht­gewerkschaftlichen Projekten möglich. Und<br />

schließlich lassen sich Projekte in <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn Projekten in <strong>de</strong>n neuen<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn gegenüberstellen.<br />

Übersicht: Die Vergleichsebenen<br />

1. Vergleichsebene<br />

Engagement innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

Engagement außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

2. Vergleichsebene<br />

Engagement <strong>de</strong>r einzelnen Gruppen: Senioren, Erwerbslose, Jugendliche<br />

3. Vergleichsebene<br />

Engagement in <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

Engagement in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

Zur Auswahl <strong>de</strong>r Fallstudien<br />

Generell ist zwischen Kurzfallstudien und Intensivfallstudien zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Die Kurzfallstudien dienten vor allem <strong>de</strong>r Fel<strong>de</strong>rschließung und/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Ergänzung<br />

<strong>de</strong>r Intensivfallstudien.<br />

Folgen<strong>de</strong> Kurzfallstudien wur<strong>de</strong>n erstellt:<br />

• Freiwilligenagentur Halle<br />

• Senioren­Kreativ­Verein Halle<br />

• Bürgerstiftung Sachsen­Anhalt<br />

• Staatskanzlei Mecklenburg­Vorpommern<br />

• AWO – Hannover<br />

• Erwerbslosenausschuss ver.di Essen<br />

Anmerkung zu <strong>de</strong>n Freiwilligenagenturen<br />

Freiwilligenagenturen o<strong>de</strong>r Ehrenamtsbörsen verstehen sich als Brücke<br />

zwischen engagementbereiten Bürgern und engagementinteressierten gemeinnützigen<br />

Organisationen. Sie reagieren damit auf die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Engagements.<br />

Zugänge zum Engagement ergeben sich zunehmend nicht mehr selbstläufig,<br />

son<strong>de</strong>rn bedürfen <strong>de</strong>r Vermittlung. Der Fokus liegt dabei auf <strong>de</strong>n individualisierten<br />

und pluralisierten Bereitschaften zum Engagement und auf <strong>de</strong>n motivationalen,<br />

inhaltlichen und zeitlichen Präferenzen <strong>de</strong>r Interessierten. Die Agenturen<br />

wollen also beson<strong>de</strong>rs jene Gruppe ansprechen, die selbständig nach freiwilligen<br />

Tätigkeiten suchen, welche nicht über die klassischen Zugangswege wie z.B. in<br />

Organisationen laufen. Die Interessierten stellen oft jene Erwartungen an ein Engagement,<br />

die in <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s „neuen Ehrenamtes“zusammengefasst sind.


­ 33 ­<br />

Freiwilligenagenturen beziehen sich auf alle Altersgruppen, Engagementfel<strong>de</strong>r<br />

und Bevölkerungsgruppen. Sie versuchen passgenaue Vermittlungen durch genaue<br />

Recherche entsprechend <strong>de</strong>r Erwartungen und Anfor<strong>de</strong>rungen seitens <strong>de</strong>r<br />

Organisationen und durch eine professionelle Beratung bei <strong>de</strong>n Interessierten<br />

herzustellen. Bun<strong>de</strong>sweit existieren (laut Enquete­Kommission) ca. 180 Freiwilligenagenturen<br />

und ähnliche Einrichtungen. (vgl. Beher et al. 2001; Ebert/ Hesse<br />

2003; Jakob/ Janning 2001; Enquete­Kommission 2002) In <strong>de</strong>n Intensivfallstudien<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb darauf geachtet, dass Freiwilligenagenturen bzw. Ehrenamtsbörsen<br />

ein Untersuchungsbestandteil <strong>de</strong>r Fallstudie waren.<br />

1.5.2 Forschungsmetho<strong>de</strong>n<br />

1.5.2.1 Gruppendiskussion<br />

Für die Erhebung <strong>de</strong>s Datenmaterials wur<strong>de</strong>n mehrere Metho<strong>de</strong>n verwen<strong>de</strong>t.<br />

Methodisch stehen Gruppendiskussionen und Experteninterviews im Zentrum<br />

<strong>de</strong>r Erhebung. Daneben wur<strong>de</strong>n aber auch ein schriftlicher, quantifizieren<strong>de</strong>r Fragebogen<br />

sowie die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Dokumentenanalyse und <strong>de</strong>r teilnehmen<strong>de</strong>n<br />

Beobachtung eingesetzt.<br />

Mit <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gruppendiskussion wer<strong>de</strong>n kollektive Deutungsmuster<br />

erhoben. Ziel ist es also nicht, individuelle Interpretationen biographischer Erfahrungen<br />

bzw. individuelle Selbstrechtfertigungen <strong>de</strong>s jeweiligen eigenen Status zu<br />

untersuchen, son<strong>de</strong>rn die Deutungs­ und Legitimitätsmuster sozialer Gruppen zu<br />

rekonstruieren. Durch die sich im Diskussionsprozess artikulieren<strong>de</strong> „informelle<br />

Gruppenmeinung“(Mangold 1973) ist es möglich, einen empirischen „Zugriff auf<br />

das Kollektive“zu erhalten (Bohnsack 1999). In <strong>de</strong>r Diskussion wer<strong>de</strong>n „gemeinsame<br />

Zentren <strong>de</strong>r Erfahrung“(Loos/Schäffer 2000) artikuliert und aktualisiert, die<br />

sich bei <strong>de</strong>n Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn bereits herausgebil<strong>de</strong>t haben.<br />

Gruppendiskussionen lassen sich aber nicht nur auf ‚natürliche Gruppen’<br />

anwen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn verstehen das Kollektive aus <strong>de</strong>m Zusammenhang einer gemeinsamen<br />

Kommunikationsgeschichte. Die ähnlichen Sozialerfahrungen <strong>de</strong>r<br />

einzelnen Diskussionsteilnehmer in bezug auf das zu untersuchen<strong>de</strong> Thema sind<br />

von Be<strong>de</strong>utung. Ihr Bezug auf gemeinsame „konjunktive Erfahrungsräume“<br />

(Mannheim 1980) soll in <strong>de</strong>r Diskussion zum Tragen kommen. Die Gruppendiskussionen<br />

thematisieren die Perspektive <strong>de</strong>r Engagierten.<br />

Die Experteninterviews erfüllen zwei Funktionen. Sie wer<strong>de</strong>n einerseits<br />

explorativ verwen<strong>de</strong>t, um <strong>de</strong>n Feldzugang zu gewährleisten (Abstellen auf das<br />

„Kontextwissen“). An<strong>de</strong>rerseits thematisieren sie die Perspektive <strong>de</strong>r Organisation<br />

(Abstellen auf das „Betriebswissen“).<br />

Die Auswahlstrategien <strong>de</strong>r Untersuchungsfälle orientierten sich in einem<br />

ersten Abschnitt an Expertenaussagen und <strong>de</strong>n Fragebogenergebnissen. Die<br />

ausgewählten Intensivfallstudien wur<strong>de</strong>n im Forschungsprozess laufend mit weiteren<br />

Daten angereichert. Anhand erster Ergebnisse aus <strong>de</strong>n Fallstudien wur<strong>de</strong>n<br />

weitere Fallstudien ausgewählt.


­ 34 ­<br />

1.5.2.2 Experteninterview<br />

Kirstin Bromberg<br />

Im Forschungsprozess waren insbeson<strong>de</strong>re die von <strong>de</strong>n Experten und <strong>de</strong>n<br />

ehrenamtlich Engagierten gesammelten Erfahrungen mit <strong>de</strong>m Engagement von<br />

Interesse, weshalb die Form offener Interviews mit erzählgenerieren<strong>de</strong>m Stimulus<br />

gewählt wur<strong>de</strong>. Im Rahmen <strong>de</strong>r <strong>hier</strong> eingesetzten Untersuchungsverfahren wird<br />

grob zwischen zwei Formen <strong>de</strong>r explorativen Befragung unterschie<strong>de</strong>n, welche<br />

sich je nach Erkenntnisinteresse entwe<strong>de</strong>r auf Prinzipien <strong>de</strong>s Experteninterviews<br />

o<strong>de</strong>r auf die Prinzipien <strong>de</strong>s biographischen Interviews bzw. auf bei<strong>de</strong> beziehen<br />

(Honer 1994: 631). In <strong>de</strong>r Untersuchung wur<strong>de</strong> eine Kombination dieser bei<strong>de</strong>n<br />

Interviewtechniken eingesetzt. Diese Kombination zielt sowohl auf die Hervorlockung<br />

biographischer Erzählungen als auch auf die Rekonstruktion sachlichen<br />

Expertenwissens (Honer 1994 634). Insofern sind manche Experteninterviews<br />

durch biographische Erzählpassagen ergänzt und unterschei<strong>de</strong>n sich insofern von<br />

<strong>de</strong>r Konzeption zum Experteninterview von Meuser und Nagel (1991: 441).<br />

Vor allem am Beginn <strong>de</strong>s Erhebungsprozesses stan<strong>de</strong>n explorativ angelegte<br />

Experteninterviews. Die Interviews stützten sich auf einen Interview­Leitfa<strong>de</strong>n<br />

(vgl. Anhang), welcher situativ, <strong>de</strong>m Gesprächsfluss <strong>de</strong>s Interviews folgend, flexibel<br />

eingesetzt wur<strong>de</strong>. Entsprechend enthielt <strong>de</strong>r Leitfa<strong>de</strong>n grobe inhaltlichrelevante<br />

Themenkomplexe sowie gezielte (Nach­)Fragen zu <strong>de</strong>n gemachten<br />

Ausführungen, um <strong>de</strong>taillierte Beschreibungen zu <strong>de</strong>n interessieren<strong>de</strong>n Sachverhalten<br />

zu erhalten und darüber hinaus aus <strong>de</strong>m bis dahin analysierten Datenmaterial<br />

generierte Kategorien zu prüfen.<br />

Hauptamtliche Vertreter von Gewerkschaften und an<strong>de</strong>ren Organisationen<br />

wur<strong>de</strong>n als Experten im Sinne von Funktionsträgern o<strong>de</strong>r Repräsentanten im institutionellen<br />

Kontext befragt, wobei die Frage, wer als Experte gilt hat, durch die<br />

Forschungsfrage <strong>de</strong>s Forschungsteams beantwortet wird. Die durchgeführten Interviews<br />

zielten inhaltlich vorwiegend auf die Rekonstruktion <strong>de</strong>r Wissensbestän<strong>de</strong><br />

über das ehrenamtliche Engagement im Zuständigkeitsbereich <strong>de</strong>s / <strong>de</strong>r Interviewten.<br />

Sie erheben also in erster Linie eine subjektive, aus <strong>de</strong>r Einbindung in<br />

die Organisationsstrukturen resultieren<strong>de</strong> Sichtweise von hauptamtlichen Akteuren<br />

für <strong>de</strong>n gewählten Untersuchungsgegenstand. Neben diesem exklusiven und<br />

<strong>de</strong>taillierten Wissen <strong>de</strong>r GesprächspartnerInnen in ihrer Rolle als RepräsentantInnen<br />

einer Organisation o<strong>de</strong>r Institution erhielten auch subjektive Relevanzen <strong>de</strong>r<br />

InterviewpartnerInnen Raum. 13 Diese methodische Offenheit ergibt sich aus <strong>de</strong>m<br />

inhaltlichen Interesse an <strong>de</strong>r biographischen Einbettung ehrenamtlicher Arbeit<br />

sowohl <strong>de</strong>r hauptamtlichen als auch <strong>de</strong>r ehrenamtlichen Akteure.<br />

13 Meuser und Nagel geben ausschließlich <strong>de</strong>m ExpertInnen­Wissen als Erfahrungs­ und damit<br />

Betriebswissen bzw. <strong>de</strong>m Kontextwissen Be<strong>de</strong>utung und Raum. An<strong>de</strong>re als diese Daten wer<strong>de</strong>n<br />

nicht nur nicht in die Auswertung einbezogen, son<strong>de</strong>rn als misslungene Variante <strong>de</strong>s Experteninterviews<br />

behan<strong>de</strong>lt. Da eben dieses Wissen aber nicht von <strong>de</strong>n subjektiven Orientierungen und<br />

Erfahrungen <strong>de</strong>r Interviewten zu trennen ist, bezog sich unsere Untersuchung auf bei<strong>de</strong>s, wobei in<br />

<strong>de</strong>r Auswertung auf eine Trennung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungsebenen geachtet wur<strong>de</strong>.


­ 35 ­<br />

Demgegenüber sind die biographischen Einzelinterviews in ihrer Konzeption<br />

schwerpunktmäßig auf die Hervorlockung von biographischen Erzählungen <strong>de</strong>r<br />

ehrenamtlich Tätigen und <strong>de</strong>m Zustan<strong>de</strong>kommen von Ehrenamtlichkeit in ihren<br />

jeweiligen biographischen Bezügen gerichtet, <strong>de</strong>n <strong>hier</strong>bei gesammelten Erfahrungen<br />

und subjektiven Sichtweisen. Hieraus wird <strong>de</strong>utlich, dass es sich im vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Forschungskontext um die Kombination unterschiedlicher konzeptioneller<br />

Perspektiven han<strong>de</strong>lt – <strong>de</strong>r Sinnperspektive und die <strong>de</strong>r Strukturperspektive (vgl.<br />

Fischer­Rosenthal, 1991, 254f). Je<strong>de</strong> dieser Perspektiven lässt <strong>de</strong>n Forschungsgegenstand<br />

in einem an<strong>de</strong>ren Licht erscheinen und erschließt damit spezifische<br />

Ergebnisse. Eine solche Kombination von Forschungsperspektiven wird auch als<br />

Perspektiven­Triangulation bezeichnet (vgl. Flick et al. 1991: 153). 14<br />

Ebenso wie das Erhebungsverfahren orientierte sich die Auswertungsstrategie<br />

für die Einzelinterviews an <strong>de</strong>n Prinzipien <strong>de</strong>r groun<strong>de</strong>d theory – <strong>de</strong>m Kodierverfahren<br />

nach Strauss und Corbin (1996). Hierbei wur<strong>de</strong>n Kategorien induktiv<br />

aus <strong>de</strong>m Datenmaterial gewonnen, auf <strong>de</strong>ren Grundlage verallgemeinerungsfähige<br />

Ergebnisse zum ehrenamtlichen gewerkschaftlichen und bürgerschaftlichen<br />

Engagement präsentiert wer<strong>de</strong>n können.<br />

Der Prozess <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>ll­ o<strong>de</strong>r Typenbildung erfolgte über vier eng miteinan<strong>de</strong>r<br />

verbun<strong>de</strong>ne Auswertungsschritte, die logisch aufeinan<strong>de</strong>r aufbauen, jedoch<br />

nicht linear und starr, son<strong>de</strong>rn vielmehr mehrfach reflexiv durchlaufen wer<strong>de</strong>n.<br />

(vgl. Kelle / Kluge 1999: 82). Die empirisch begrün<strong>de</strong>te Kategorien­ und Typenbildung<br />

verläuft von <strong>de</strong>r Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen, <strong>de</strong>r Gruppierung<br />

<strong>de</strong>r Fälle sowie <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>r empirischen Regelmäßigkeiten über die A­<br />

nalyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge zur Charakterisierung <strong>de</strong>r gebil<strong>de</strong>ten<br />

Typen (vgl. Kelle / Kluge 1999: 83ff).<br />

Für je<strong>de</strong>s einzelne Interview wur<strong>de</strong> anhand eines umfangreichen thematischen<br />

Verlaufs 15 ein Kategorien­Schema erarbeitet. Auf dieser Grundlage wur<strong>de</strong>n<br />

Passagen für eine intensive Interpretation ausgewählt, die entwe<strong>de</strong>r im Hinblick<br />

auf die forschungsleiten<strong>de</strong>n Fragen sowie sich sukzessiv herausschälen<strong>de</strong>r Vergleichsdimensionen<br />

relevant waren, o<strong>de</strong>r die sich wegen ihrer beson<strong>de</strong>ren interaktiven<br />

und metaphorischen Dichte auszeichneten. Diese ausgewählten Passagen<br />

wur<strong>de</strong>n vollständig transkribiert und in Interpretationsgruppen hermeneutisch<br />

analysiert und kategorisiert.<br />

Bei <strong>de</strong>r in diesem Teilbereich <strong>de</strong>s Forschungsprozesses verwandten Form<br />

<strong>de</strong>r Kodierung wur<strong>de</strong>n neue Kategorien aus <strong>de</strong>m Datenmaterial exploriert. Um<br />

einen hinreichen<strong>de</strong>n Abstraktionsgrad zu erreichen, wur<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Grundlage<br />

dieser Kategorien fallübergreifen<strong>de</strong> Vergleiche durchgeführt. Hierfür wur<strong>de</strong> ein<br />

softwaregestütztes Auswertungsverfahren angewandt, in <strong>de</strong>m das Analyseprogramm<br />

für qualitative Daten MaxQda eingesetzt wur<strong>de</strong> (Co<strong>de</strong>system siehe Anhang).<br />

Diese fallvergleichen<strong>de</strong>n Kontrastierungen dienten <strong>de</strong>r Ermittlung von<br />

14 Triangulation wird in diesem Kontext also nicht als Möglichkeit verstan<strong>de</strong>n, eine Metho<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren zu validieren verstan<strong>de</strong>n (Flick et al, 1991, 427).<br />

15 Das Datenmaterial wird <strong>hier</strong>bei in Ober­ und Unterthemen geglie<strong>de</strong>rt und durch eine Inhaltsangabe<br />

<strong>de</strong>r thematischen Passage ergänzt. Darüber hinaus wer<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>rs auffällige Aussagen<br />

und Bemerkungen, die im Hinblick auf unsere Fragestellungen relevant waren teilweise o<strong>de</strong>r ganz<br />

transkribiert in die thematische Verlaufsübersicht aufgenommen (vgl. Bohnsack, 1999,150).


­ 36 ­<br />

„Achsen“, also von Vergleichsdimensionen für die Verallgemeinerungsfähigkeit<br />

<strong>de</strong>r Fallbeson<strong>de</strong>rheiten (vgl. Kelle / Kluge: 1999: 83f). In Anlehnung an Kelle und<br />

Kluge wur<strong>de</strong> schließlich auf die Entwicklung von 4­Fel<strong>de</strong>r­Schemata als Typisierungsgrundlage<br />

zurückgegriffen. Über die ermittelten Ähnlichkeiten und Unterschie<strong>de</strong><br />

konnten die untersuchten Fälle unterschiedlichen Gruppen zugeordnet<br />

wer<strong>de</strong>n, welche in Kapitel 5.6.3 im Mo<strong>de</strong>ll zu Bindungspotentialen ehrenamtlichen<br />

Engagements abgebil<strong>de</strong>t sind.


­ 37 ­<br />

2. „Neue Ehrenamtlichkeit“in <strong>de</strong>n Gewerkschaften – Ergebnisse<br />

<strong>de</strong>r schriftlichen Befragung<br />

Frank Ernst und Marcel Kabel<br />

Die Fragebogenkonstruktion und Organisation <strong>de</strong>r Befragung<br />

Der empirische Zugang zu <strong>de</strong>n Formen „neuer Ehrenamtlichkeit“innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaften sollte mit Hilfe einer Fragebogenerhebung durch eine postalische<br />

Befragung gewährleistet wer<strong>de</strong>n. Dieses Erhebungsverfahren sollte sowohl vorbereitend<br />

als auch ergänzend genutzt wer<strong>de</strong>n. Die standardisierte quantitative<br />

Erhebung hatte zum Ziel, Auswahlkriterien für die anschließen<strong>de</strong>n Fallstudien<br />

empirisch zu gewinnen. Anhand <strong>de</strong>r Daten sollte darüber hinaus eine „Landkarte<br />

neuen ehrenamtlichen Engagements“erstellt wer<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>r quantitative Aussagen<br />

über das Ausmaß, die inhaltliche Ausrichtung und die regionale Verteilung<br />

innovativer Ehrenamtsprojekte <strong>de</strong>r beteiligten Gewerkschaften – IG­Metall, ver.di,<br />

IG BAU und IG­BCE – möglich wären. Dieses Vorhaben ließ sich jedoch nicht<br />

verwirklichen, da <strong>de</strong>r Rücklauf <strong>de</strong>r Fragebögen keine hinreichen<strong>de</strong> Datenbasis<br />

verfügbar machte (siehe unten).<br />

Der Fragebogen wur<strong>de</strong> so konzipiert, dass er einerseits die Perspektive <strong>de</strong>r<br />

Organisation (über die hauptamtlichen Funktionäre) und an<strong>de</strong>rerseits die Perspektive<br />

<strong>de</strong>r Beteiligten (über die ehrenamtlich Engagierten) erfassen sollte. Dazu<br />

wur<strong>de</strong>n zwei Teilfragebögen erstellt. 16 Der erste Teil <strong>de</strong>s Fragebogens war auf die<br />

Verwaltungsstellenleiter bzw. auf die Bezirksgeschäftsstellenleiter abgestimmt<br />

und sollte von diesen ausgefüllt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r zweite Teil <strong>de</strong>s Fragebogens von<br />

<strong>de</strong>n jeweiligen Projekt­ o<strong>de</strong>r Arbeitskreisleitern.<br />

Der Schwerpunkt <strong>de</strong>s Fragebogens Teil 1 war die Gewinnung von Informationen<br />

über vorhan<strong>de</strong>ne Projekte. Darüber hinaus wur<strong>de</strong>n die Hauptamtlichen<br />

nach ihren Erfahrungen mit und Einstellungen zu <strong>de</strong>n Möglichkeiten gefragt, Personen<br />

für ein ehrenamtliches Engagement zu interessieren, nach Hin<strong>de</strong>rnissen,<br />

die einem solchen Engagement im Wege stehen, auftreten<strong>de</strong>n Konflikten zwischen<br />

Haupt­ und Ehrenamtlichen, nach <strong>de</strong>m Informationsaustausch zwischen<br />

<strong>de</strong>n einzelnen Arbeitskreisen/Projekten, <strong>de</strong>r Motivation von Ehrenamtlichen, <strong>de</strong>m<br />

Sinn und Nutzen ehrenamtlicher Tätigkeit für die Gewerkschaften und nach Zielgruppen,<br />

die für eine Ausweitung <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements in Frage<br />

kommen.<br />

Schwerpunkte <strong>de</strong>s Fragebogens Teil 2 waren u.a. nähere Angaben zum<br />

jeweiligen Projekt/Arbeitskreis, die Art <strong>de</strong>r Unterstützung <strong>de</strong>s Arbeitskreises/Projektes<br />

durch die Gewerkschaft, Aussagen zur Alters­ und Geschlechterstruktur<br />

<strong>de</strong>r Engagierten sowie zur Motivation <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen. Analog zu Teil<br />

1 wur<strong>de</strong> auch <strong>hier</strong> nach Erfahrungen und Einstellungen hinsichtlich <strong>de</strong>r Hin<strong>de</strong>rnisse,<br />

die einem ehrenamtlichen Engagement im Wege stehen, <strong>de</strong>s Informationsaustauschs<br />

zwischen Arbeitskreisen/Projekten und Konflikten zwischen Hauptund<br />

Ehrenamtlichen.<br />

Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Suche nach neuen Formen ehrenamtlichen Engagements<br />

ergaben sich bereits bei <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>r Begrifflichkeit. Die „Neue Eh­<br />

16 Die Fragebögen sind im Anhang dokumentiert.


­ 38 ­<br />

renamtlichkeit“, die es ja noch zu fin<strong>de</strong>n galt, wur<strong>de</strong> aus diesem Grun<strong>de</strong> vorläufig<br />

negativ <strong>de</strong>finiert: „Neue Ehrenamtlichkeit“wur<strong>de</strong> in Abgrenzung zum klassischen<br />

Ehrenamt innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaften beschrieben. Es wur<strong>de</strong> also nach ehrenamtlichen<br />

Tätigkeiten gefragt, die sich von <strong>de</strong>r traditionellen ehrenamtlichen gewerkschaftlichen<br />

Tätigkeit (Betriebs­/Personalräte, Vertrauensleute) unterschie<strong>de</strong>n.<br />

Nach <strong>de</strong>r Erstellung <strong>de</strong>s Fragebogenentwurfs fand am 29.08. 2001 ein<br />

Workshop statt, an <strong>de</strong>m das Projektteam sowie Vertreter (Kontaktpersonen aus<br />

<strong>de</strong>n Vorstän<strong>de</strong>n) aller teilnehmen<strong>de</strong>n Gewerkschaften ­ im Falle <strong>de</strong>r IG­BCE ein<br />

lokaler Gewerkschaftsvertreter – und lokale Vertreterinnen <strong>de</strong>s DGB teilnahmen.<br />

Der Workshop diente u.a. dazu, <strong>de</strong>n Fragebogen mit Hilfe <strong>de</strong>r Gewerkschaftsvertreter/innen<br />

zu testen 17 , <strong>de</strong>n zeitlichen Rahmen und organisatorischen Ablauf <strong>de</strong>r<br />

Befragung festzulegen.<br />

Die Verteilung <strong>de</strong>r Fragebögen wur<strong>de</strong> folgen<strong>de</strong>rmaßen gehandhabt: Die<br />

Fragebögen, bestehend aus Teil 1 und Teil 2 sowie einer Projektskizze, wur<strong>de</strong>n<br />

zusammen mit einem Anschreiben <strong>de</strong>r Projektgruppe am 14.09.2001 an die Kontaktpartner<br />

in <strong>de</strong>n jeweiligen Gewerkschaften (IG Metall, ver.di, IG BAU, IG­BCE)<br />

versandt. Diese leiteten die Fragebögen dann zusammen mit einem Anschreiben<br />

<strong>de</strong>s jeweiligen Gewerkschaftsvorstands an die Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftsstellenleiter<br />

weiter. Die Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftsstellenleiter<br />

wur<strong>de</strong>n gebeten, <strong>de</strong>n Fragebogen 2 an die Leiter je<strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Projekts bzw. Arbeitskreises weiterzuleiten.<br />

Der Rücklauf <strong>de</strong>r Fragebögen<br />

In die Auswertung wur<strong>de</strong>n alle auswertbaren Fragebögen einbezogen, die bis<br />

zum 31.01.2002 vorlagen. Der Rücklauf <strong>de</strong>r Fragebögen (vgl. Abb. 1), blieb allerdings<br />

hinter <strong>de</strong>n Erwartungen zurück. Im Nachhinein erscheint <strong>de</strong>r Weg, die Fragebögen<br />

über die Gewerkschaftsvorstän<strong>de</strong> zu versen<strong>de</strong>n, keine günstige Voraussetzung<br />

für einen entsprechen<strong>de</strong>n Rücklauf gewesen zu sein. Die Projektgruppe<br />

hat damit die Kontrolle über <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>r Befragung aus <strong>de</strong>r Hand gegeben.<br />

Hierfür gab es zunächst gute Grün<strong>de</strong>. Auf <strong>de</strong>m vorbereiten<strong>de</strong>n Workshop versicherten<br />

die Gewerkschaftsvertreter, dass sie die Verbindlichkeit <strong>de</strong>r Befragung<br />

absichern und die Bereitschaft zur Mitwirkung erhöhen könnten. Doch es stellte<br />

sich heraus, dass <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r Vorstandsverwaltungen auf die regionalen Unterglie<strong>de</strong>rungen<br />

in dieser Hinsicht geringer ist als vermutet. Weiterhin traten unvorhergesehene<br />

Hin<strong>de</strong>rnisse auf. Die IG­BCE konnte – aufgrund von Krankheitsund<br />

Urlaubszeiten – erst Mitte Dezember mit <strong>de</strong>m Versand <strong>de</strong>r Fragebögen beginnen,<br />

so dass <strong>hier</strong> die Zeit davonlief. Die Gewerkschaft ver.di befand sich gera<strong>de</strong><br />

in einem Umstrukturierungsprozess, so dass <strong>de</strong>r Fragebogen schlicht „unterging“.<br />

Die notwendigen Mahn­ und Nachfass­Aktionen bei einer schriftlichen Befragung<br />

konnten aufgrund <strong>de</strong>s gewählten Vorgehens nicht von <strong>de</strong>r Forschungsgruppe<br />

durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Von Seiten <strong>de</strong>r Vorstandsverwaltungen wur<strong>de</strong> in<br />

dieser Hinsicht jedoch offensichtlich nicht in ausreichen<strong>de</strong>r Systematik gehan<strong>de</strong>lt.<br />

Dies lässt sich anhand <strong>de</strong>r Erfahrungen in <strong>de</strong>r IG BAU ver<strong>de</strong>utlichen. Die <strong>hier</strong> zuständige<br />

Kontaktperson hat sämtliche Bezirksgeschäftstellen mehrfach an das<br />

17 Die Teilnehmer wur<strong>de</strong>n gebeten, <strong>de</strong>n Fragebogen selbst auszufüllen, bevor eine ausführliche<br />

Item­Diskussion durchgeführt wur<strong>de</strong>.


­ 39 ­<br />

Ausfüllen <strong>de</strong>r Fragebögen erinnert und auch verloren gegangene Fragebögen<br />

nachgereicht. Prozentual ist <strong>de</strong>shalb bei <strong>de</strong>r IG BAU <strong>de</strong>r größte Rücklauf zu verzeichnen,<br />

aber er bleibt trotz<strong>de</strong>m noch unter 50%.<br />

Aus diesem Sachverhalt ergibt sich die Problematik, dass Vergleiche zwischen<br />

allen teilnehmen<strong>de</strong>n Gewerkschaften aufgrund <strong>de</strong>r Datenlage lei<strong>de</strong>r nicht<br />

möglich sind. Lediglich ein Vergleich zwischen IG BAU und ­IG Metall ist möglich<br />

und wird in diesem Kapitel im Anschluss an die Gesamtdarstellung auch durchgeführt.<br />

Abbildung 1: Rücklauf <strong>de</strong>r Fragebögen<br />

Gewerkschaft<br />

Bezirksgeschäftsstellen/<br />

Verwaltungsstellen<br />

auswertbare Fragebögen<br />

Teil 1<br />

Rücklauf in Prozent<br />

(Teil1)<br />

auswertbare<br />

Fragebögen Teil 2<br />

IG Metall 170 42 24,7% 61<br />

ver.di 120 5 6% 4<br />

IG BAU 60 28 46,7% 42<br />

IG BCE 55 9 16,4% 6<br />

405 84 20,8% 113<br />

Bei <strong>de</strong>r Interpretation <strong>de</strong>s Rücklaufs ist auch nicht zu unterschätzen, dass die Befragten<br />

mit <strong>de</strong>n Begrifflichkeiten <strong>de</strong>s Fragebogens Schwierigkeiten gehabt haben<br />

könnten. Während <strong>de</strong>s vorbereiten<strong>de</strong>n Workshops wur<strong>de</strong>n die Begriffe und Item­<br />

Formulierungen zwar ausführlich mit <strong>de</strong>n Gewerkschaftsvertretern erörtert, doch<br />

scheint es bei <strong>de</strong>n Adressaten auf lokaler Ebene teilweise Verständnisschwierigkeiten<br />

gegeben zu haben. Ein Indiz <strong>hier</strong>für kann man in <strong>de</strong>r Tatsache sehen, dass<br />

durch die Befragten insbeson<strong>de</strong>re die „klassischen“Formen <strong>de</strong>s betrieblichen ehrenamtlichen<br />

Engagements aufgeführt wur<strong>de</strong>n. Die Begrifflichkeit scheint <strong>hier</strong><br />

nicht ausreichend <strong>de</strong>finiert bzw. abgegrenzt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Befragten nicht hinreichend<br />

geläufig gewesen zu sein.<br />

Trotz nicht vorhan<strong>de</strong>ner Repräsentativität für die Gewerkschaften und <strong>de</strong>r<br />

nur bedingten Möglichkeit, Schlussfolgerungen zu ziehen, lassen sich jedoch<br />

Ten<strong>de</strong>nzen aufzeigen, auf welche im Folgen<strong>de</strong>n näher eingegangen wird. 18<br />

Gesamtauswertung über alle beteiligten Gewerkschaften<br />

2.1.1 Die Befragung <strong>de</strong>r Hauptamtlichen (Fragebogen Teil 1)<br />

Insgesamt lagen 84 auswertbare Fragebogen Teil 1 vor. Die Angaben erfolgten<br />

i.d.R. durch <strong>de</strong>n jeweiligen Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftsstellenleiter.<br />

18<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich um eine <strong>de</strong>skriptiv­statistische Auswertung. Auf weiterreichen<strong>de</strong> statistische<br />

Verfahren wur<strong>de</strong> verzichtet, weil von vorne herein lediglich eine beschreiben<strong>de</strong> Darstellung<br />

angestrebt wur<strong>de</strong>. Die Auswertung erfolgt <strong>de</strong>shalb vorwiegend unter Zuhilfenahme absoluter Häufigkeiten,<br />

relativer Häufigkeiten und Maßzahlen <strong>de</strong>r zentralen Ten<strong>de</strong>nz (Modus, Median, arithmetisches<br />

Mittel). Unter Modus (o<strong>de</strong>r auch Modalwert) ist <strong>de</strong>r am häufigsten vorkommen<strong>de</strong> Wert einer<br />

Verteilung zu verstehen. Der Median, vorwiegend im Falle ordinal skalierter Daten angewandt<br />

(z.B. Antwortskala: „trifft voll und ganz zu“bis „trifft überhaupt nicht zu“), gibt jenen Punkt auf <strong>de</strong>r<br />

Messskala an, an <strong>de</strong>m sich eine Häufigkeitsverteilung in zwei gleich große Hälften teilt.


­ 40 ­<br />

Bereiche „neuen“ehrenamtlichen Engagements<br />

Die häufigsten Nennungen von Arbeitskreisen/Projekten „neuen ehrenamtlichen<br />

Engagements“fin<strong>de</strong>n sich im Bereich <strong>de</strong>r Seniorenarbeit. So geben mehr als vier<br />

Fünftel <strong>de</strong>r Befragten an, diese seien im Bereich ihrer Bezirksgeschäftsstelle/Verwaltungsstelle<br />

vorhan<strong>de</strong>n. Als weitere wichtige Bereiche „neuen ehrenamtlichen<br />

Engagements“wer<strong>de</strong>n „Jugend­ und Frauenarbeit“genannt. „Wohngebietsarbeit“und<br />

„Arbeit mit Erwerbslosen“vereinen die geringsten Nennungen auf<br />

sich, sind aber mit 22,2% und 21% <strong>de</strong>nnoch recht stark vertreten (vgl. Abb. 2).<br />

Die hohe Besetzung <strong>de</strong>r Kategorie „Sonstige Formen“lässt sich dadurch erklären,<br />

dass die traditionellen, betriebsbezogenen ehrenamtlichen Tätigkeiten, die von<br />

<strong>de</strong>n Befragten angegeben wur<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>r Forschungsgruppe unter diese Kategorie<br />

subsumiert wur<strong>de</strong>. Nur vereinzelt wer<strong>de</strong>n <strong>hier</strong> Engagementbereiche genannt,<br />

die Charakteristika <strong>de</strong>s „neuen Ehrenamtes“aufweisen (z. B. „Redaktionsteam<br />

Homepage“in Braunschweig).<br />

Abb. 2: Tätigkeitsbereiche „neuen“ehrenamtlichen Engagements in Verwaltungsstellen<br />

(Mehrfachnennungen waren möglich)<br />

Tätigkeitsbereiche in Verwaltungsstellen<br />

Verwaltungsstellen in<br />

Prozent<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

84<br />

50,6 49,3<br />

Senioren Sonstiges Jugend Frauen Arbeit mit<br />

Erwerbslosen<br />

Bereich<br />

37<br />

22,2 21<br />

Wohngebietsarbeit<br />

Je<strong>de</strong> Verwaltungsstelle/Bezirksgeschäftsstelle führt zwischen null und fünf Arbeitskreise<br />

/ Projekte „neuen ehrenamtlichen Engagements“auf. 29,5% <strong>de</strong>r Verwaltungsstellen/Bezirksgeschäftsstellen<br />

benennen drei Arbeitskreise / Projekte,<br />

9,6% können gar kein Arbeitskreis/Projekt nennen und 8% geben fünf Arbeitskreise<br />

/ Projekte an(vgl. Abb. 3). 86% dieser Arbeitskreise / Projekte wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />

außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit verortet, und <strong>hier</strong> vor allem in <strong>de</strong>r Seniorenarbeit.<br />

Seniorenarbeit fin<strong>de</strong>t häufig im Wohngebiet statt. An<strong>de</strong>rs gesagt, die<br />

gewerkschaftliche „Wohngebietsarbeit“wird hauptsächlich von Senioren getragen.<br />

Die hohe Nennung <strong>de</strong>r Seniorenarbeit bei <strong>de</strong>n Tätigkeitsbereichen korreliert<br />

mit <strong>de</strong>r hohen Zuordnung <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte zur außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit.


­ 41 ­<br />

Abb. 3: Anzahl <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte neuen ehrenamtlichen Engagements<br />

je Verwaltungsstelle<br />

Anzahl aufgeführter Projekte je Verwaltungsstelle<br />

Häufigkeit in Prozent<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

9,8<br />

17,1<br />

24,4<br />

29,3<br />

11<br />

8,5<br />

0<br />

Anzahl Projekte<br />

Gefragt wur<strong>de</strong> auch nach zukünftig geplanten Arbeitskreisen/Projekten.<br />

Fast ein Drittel <strong>de</strong>r Verwaltungsstellen/Bezirksgeschäftsstellen plant ein neues<br />

Projekt. Zwei o<strong>de</strong>r mehr neue Arbeitskreise / Projekte wer<strong>de</strong>n von 16% <strong>de</strong>r Verwaltungsstellen/Bezirksgeschäftsstellen<br />

geplant. Je<strong>de</strong> zweite Verwaltungsstelle/Bezirksgeschäftsstelle<br />

machte keine Angaben zu zukünftig geplanten Arbeitskreisen/Projekten.<br />

Einbringen von Projekten<br />

Die Frage nach <strong>de</strong>m Einbringen neuer Arbeitskreise / Projekte sollte zeigen,<br />

wie weit ehrenamtlich Engagierte <strong>de</strong>n institutionellen Rahmen <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

nutzen, um eigene Arbeitskreise / Projekte zu initiieren. Eingebracht wer<strong>de</strong>n<br />

Arbeitskreise / Projekte nahezu ausschließlich von Hauptamtlichen (48%)<br />

bzw. von Haupt­ und Ehrenamtlichen gemeinsam (45%). Projekte, die auf die Initiative<br />

von Ehrenamtlichen zurückgehen, spielen <strong>hier</strong> eine eher unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />

Rolle (6%). Kooperationspartner erreichen gera<strong>de</strong> mal 1%. Dies muss nicht nur<br />

an <strong>de</strong>r Einfallslosigkeit <strong>de</strong>r ehrenamtlich Engagierten liegen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>utet eher<br />

auf die strukturellen Bedingungen <strong>de</strong>r Gewerkschaften hin. Wenn man be<strong>de</strong>nkt,<br />

dass viele <strong>de</strong>r ehrenamtlichen Senioren oft auch hauptamtlich in <strong>de</strong>n Gewerkschaften<br />

tätig waren, so relativieren sich die 6% <strong>de</strong>r eingebrachten Projekte durch<br />

Ehrenamtliche. Man kann also davon ausgehen, dass die eingebrachten Arbeitskreise<br />

/ Projekte nicht nahezu, son<strong>de</strong>rn ausschließlich von Hauptamtlichen bzw.<br />

ehemaligen Hauptamtlichen eingebracht wer<strong>de</strong>n. Die Unterscheidung zwischen<br />

Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen bekommt unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Ruhestan<strong>de</strong>s<br />

eine an<strong>de</strong>re Gewichtung.<br />

Konflikte beim Aufbau von Arbeitskreisen/ Projekten<br />

Konflikte zwischen haupt­ und ehrenamtlichen Kollegen treten beim Aufbau neuer<br />

Arbeitskreise / Projekte nur selten o<strong>de</strong>r gar nicht auf. Lediglich gut ein Zehntel <strong>de</strong>r


­ 42 ­<br />

Befragten gibt an, dass es „häufig“o<strong>de</strong>r „sehr häufig“zu Konflikten kommt (vgl.<br />

Abb. 4).<br />

Abb. 4: Konflikthäufigkeit zwischen Haupt­ und Ehrenamtlichkeit beim Aufbau von<br />

Arbeitskreisen / Projekten<br />

Die Befragten wur<strong>de</strong>n weiterhin gebeten, die Art <strong>de</strong>r Konflikte – wenn diese<br />

auftreten – kurz zu beschreiben. Das Spektrum dieser Angaben ist breit gefächert,<br />

kann jedoch in einige Kernpunkte gruppiert wer<strong>de</strong>n: Am häufigsten wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Umstand erwähnt, dass es bei <strong>de</strong>n Ehrenamtlichen eine zu große Erwartungshaltung<br />

in bezug auf die <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte gebe. Außer<strong>de</strong>m seien<br />

unterschiedliche Auffassungen über Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und generelle<br />

Verständigungsprobleme zwischen Haupt­ und Ehrenamtlichen als häufige<br />

Konfliktursache zu sehen. Auch wur<strong>de</strong> mehrfach angemerkt, dass zwar ein großes<br />

Engagement von Ehrenamtlichen bei <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>enfindung für neue Arbeitskreise<br />

/ Projekte existiert, dieses bei <strong>de</strong>r Umsetzung aber nicht mehr in gleichem Maße<br />

vorhan<strong>de</strong>n sei. Diese Beobachtungen führten dann bei <strong>de</strong>n Hauptamtlichen oft<br />

zur Reserviertheit gegenüber <strong>de</strong>n Projektvorschlägen und Wünschen seitens <strong>de</strong>r<br />

Ehrenamtlichen, weil letzten En<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Hauptteil <strong>de</strong>r Arbeit auf ihnen laste. Als<br />

weitere Probleme wer<strong>de</strong>n die Absprache von Terminen, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Wahrnehmung<br />

dieser Termine verbun<strong>de</strong>ne Zeitaufwand und generell die Verbindlichkeit<br />

von Terminabsprachen genannt. Angegeben wird auch, dass <strong>de</strong>r investierte Zeitaufwand<br />

zum gegenseitigen Vorwurf wer<strong>de</strong>. Das <strong>de</strong>utet darauf hin, dass sich die<br />

Hauptamtlichen überlastet fühlen bei gleichzeitiger unsteter Zeiteinteilung durch<br />

die Ehrenamtlichen. Umgekehrt ist <strong>hier</strong> ein Gefühl <strong>de</strong>r Nichtanerkennung <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen<br />

durch die Hauptamtlichen zu vermuten. Dass <strong>hier</strong>durch vielleicht<br />

auch ein Druck auf die Ehrenamtlichen entsteht, ist <strong>de</strong>r Anmerkung auf einem<br />

Fragebogen zu entnehmen, dass sich viele Ehrenamtliche „genötigt sähen“, sich<br />

entsprechend zu engagieren. Konflikte entstehen laut <strong>de</strong>n Befragten aber auch<br />

durch die Sicht auf die Arbeitsmöglichkeiten von ehrenamtlich Engagierten sowie<br />

durch Meinungsverschie<strong>de</strong>nheiten über die Anbindung von Projekten. Schließlich<br />

wird auch erwähnt, dass die Befürchtung von hauptamtlichen Mitarbeitern, ihre


­ 43 ­<br />

Rolle o<strong>de</strong>r ihren Job zu verlieren, Konfliktpotential berge. Auch dies dürfte zu Reserviertheiten<br />

gegenüber <strong>de</strong>n ehrenamtlich Engagierten führen.<br />

Scheitern von Arbeitskreisen / Projekten<br />

Das Scheitern von Arbeitskreisen / Projekten ist laut <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Befragten<br />

„selten“<strong>de</strong>r Fall. Es geschieht vorwiegend aus personellen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Grün<strong>de</strong>n,<br />

nicht jedoch aus finanziellen Grün<strong>de</strong>n. Als Zeitpunkt <strong>de</strong>s Scheiterns wer<strong>de</strong>n<br />

in ähnlichem Maße sowohl die Planungs­ als auch die Projektphase angegeben.<br />

Die angegebene Anzahl von Projekten ohne Erfolg je Verwaltungsstelle ist Abbildung<br />

5 zu entnehmen.<br />

Abb. 5: Anzahl von Arbeitskreisen/Projekten ohne Erfolg je Verwaltungsstelle<br />

Informationsaustausch<br />

Abb.6: Informationsaustausch zwischen Arbeitskreisen/Projekten<br />

Das Vorhan<strong>de</strong>nsein eines Informationsaustausches zwischen neuen ehrenamtlichen<br />

Arbeitskreisen/Projekten hängt vor allem von <strong>de</strong>r organisatorischen<br />

Nähe zwischen diesen ab. So geben beinahe vier Fünftel <strong>de</strong>r Befragten an, dass<br />

es einen Informationsaustausch zwischen <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Arbeitskreisen /<br />

Projekten <strong>de</strong>r jeweiligen Verwaltungsstelle gebe. Für <strong>de</strong>n Austausch mit Arbeitskreisen<br />

/ Projekten an<strong>de</strong>rer Verwaltungsstellen beträgt das Ausmaß nur noch ein


­ 44 ­<br />

Fünftel, für <strong>de</strong>n Austausch mit nicht gewerkschaftlichen Projekten gar nur ein<br />

Zehntel (vgl. Abb. 6).<br />

Zwei Drittel <strong>de</strong>r Befragten sind <strong>de</strong>r Meinung, dass <strong>de</strong>r Informationsaustausch<br />

durch die Gewerkschaft geför<strong>de</strong>rt wird, während nur je<strong>de</strong>r Zehnte <strong>de</strong>r Meinung<br />

ist, dies sei „eher nicht“o<strong>de</strong>r „überhaupt nicht“<strong>de</strong>r Fall.<br />

Formen „neuer Ehrenamtlichkeit“<br />

Die Befragten sehen auf Seiten <strong>de</strong>r Gewerkschaften noch große Potentiale<br />

für eine stärkere Unterstützung von ehrenamtlichen Arbeitskreisen/ Projekten. Nur<br />

ein Fünftel meint, dies treffe „eher nicht“o<strong>de</strong>r „überhaupt nicht“zu. Hieraus lässt<br />

sich schlussfolgern, dass <strong>de</strong>r Grossteil <strong>de</strong>r Befragten Ressourcen und Reserven<br />

sieht, die für eine Unterstützung ehrenamtlicher Tätigkeit herangezogen wer<strong>de</strong>n<br />

könnten. Das ehrenamtliche Engagement in <strong>de</strong>n Gewerkschaften wird dabei generell<br />

als sinnvoll betrachtet, und ihrer För<strong>de</strong>rung und Ausweitung wer<strong>de</strong>n günstige<br />

Effekte zugeschrieben. So ist gut ein Drittel <strong>de</strong>r Befragten <strong>de</strong>r Ansicht, dass<br />

mit „neuen ehrenamtlichen Tätigkeiten“auch neue Mitglie<strong>de</strong>r für die Gewerkschaft<br />

gewonnen wer<strong>de</strong>n können. Weiterhin ist immerhin beinahe je<strong>de</strong>r zweite Befragte<br />

<strong>de</strong>r Meinung, dass mit „neuen ehrenamtlichen Tätigkeiten“Austritte aus <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Auch eine Stärkung <strong>de</strong>s politischen Einflusses <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaften wird durch „neue ehrenamtliche Tätigkeiten“erwartet. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

wer<strong>de</strong>n „neuen ehrenamtlichen Tätigkeiten“positive Auswirkungen auf das<br />

Image <strong>de</strong>r Gewerkschaft zugeschrieben. Nur 5% sind <strong>de</strong>r Meinung, dass Gewerkschafts­Image<br />

wer<strong>de</strong> <strong>hier</strong>durch nicht verbessert (vgl. Abb. 7).<br />

Bei je<strong>de</strong>m dritten Befragten herrscht dagegen die Meinung vor („es trifft<br />

eher/voll und ganz zu“), man sollte die Aufmerksamkeit lieber auf die betriebliche<br />

Gewerkschaftsarbeit konzentrieren, anstatt „neuen ehrenamtlichen Tätigkeiten“<br />

zuviel Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. Abb. 8)<br />

Abb. 8: Schwerpunktsetzung auf betriebli­<br />

Gewerkschaftsarbeit<br />

Abb. 7: Verbesserung <strong>de</strong>s Gewerkschafts­Images<br />

che durch Ehrenamtsför<strong>de</strong>rung<br />

Insgesamt lässt sich daran ablesen, dass die Mehrheit <strong>de</strong>r Befragten ehrenamtlicher<br />

Tätigkeit als auch „neuer ehrenamtlicher Tätigkeit“positiv gegenüberstehen<br />

und sich daraus auf verschie<strong>de</strong>nen Ebenen <strong>de</strong>r Gewerkschaftsarbeit<br />

einen Nutzen versprechen (vgl. Abb. 9).


­ 45 ­<br />

Abb.9: Auswirkungen Neuer ehrenamtlicher Tätigkeiten<br />

Gewinnung von Ehrenamtlichen<br />

Von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Möglichkeiten, Personen für eine ehrenamtliche<br />

Tätigkeit in <strong>de</strong>r Gewerkschaft zu interessieren, sollten die Befragten die – aus ihrer<br />

Sicht – drei wichtigsten nennen, die erfolgreich in ihrer Arbeit genutzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Lei<strong>de</strong>r hat sich nur eine Min<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>r Befragten daran gehalten, lediglich die drei<br />

wichtigsten Möglichkeiten zu nennen, so dass die Auswertung sich <strong>hier</strong> problematisch<br />

gestaltet, aber <strong>de</strong>nnoch Ten<strong>de</strong>nzen abzulesen sind.<br />

Abb.10: Möglichkeiten <strong>de</strong>r Gewinnung Ehrenamtlicher<br />

(Mehrfachnennungen waren möglich)<br />

Als wichtigste Mittel zur Gewinnung neuer Ehrenamtlicher sind die klassischen<br />

Formen „persönliche Ansprache“, gefolgt von „Betriebsräten/Vertrauensleuten“<br />

und „Seminare/Schulungen“zu nennen. Die geringste Rolle bei <strong>de</strong>r Werbung<br />

neuer Ehrenamtlicher spielen „Wohngebietsarbeit“und das „Internet“(vgl. Abb.<br />

10). Lediglich ein Befragter gibt an, es wer<strong>de</strong> nicht explizit versucht, Ehrenamtli­


­ 46 ­<br />

che zu gewinnen. Im Vor<strong>de</strong>rgrund steht also <strong>de</strong>r persönliche Kontakt, wobei es<br />

<strong>hier</strong>bei Überschneidungen gibt – persönliche Ansprache kann im Rahmen von<br />

Seminaren o<strong>de</strong>r durch Betriebsräte und Vertrauensleute erfolgen. Das Ausmaß<br />

<strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit muss in diesem Zusammenhang höher gewichtet wer<strong>de</strong>n,<br />

weil bislang nur die IG Metall mit dieser Bezeichnung operiert. Auch das Ausmaß<br />

<strong>de</strong>r Rekrutierung durch das Internet wird durch das Angebot bestimmt. Während<br />

die Befragten <strong>de</strong>r IG BAU <strong>hier</strong>zu keine Angaben machen, beläuft sich <strong>de</strong>r Wert<br />

bei <strong>de</strong>r IG Metall auf 22,5%.<br />

Für die Gewinnung von Ehrenamtlichen sind jedoch nicht nur die Form <strong>de</strong>r<br />

Ansprache und <strong>de</strong>r Erstkontakt von Be<strong>de</strong>utung, son<strong>de</strong>rn auch die Möglichkeiten,<br />

die potentiellen Engagierten geboten wer<strong>de</strong>n, wenn sie sich für ein ehrenamtliches<br />

Engagement interessieren. Das Interesse gilt <strong>hier</strong> insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Offenheit<br />

und Flexibilität <strong>de</strong>r Gewerkschaften hinsichtlich ehrenamtlicher Arbeit in Arbeitskreisen<br />

/ Projekten. Laut Angaben <strong>de</strong>r Befragten wird Interessierten in sehr<br />

großem Maße ermöglicht, sich in bereits bestehen<strong>de</strong>n Projektgruppen zu engagieren,<br />

neue Projektvorschläge einzubringen, eigene I<strong>de</strong>en umzusetzen o<strong>de</strong>r ein<br />

befristetes Engagement aufzunehmen.<br />

Gruppen für die Ausweitung ehrenamtlichen Engagements<br />

Abb.11: Geeignete Gruppen für eine Ausweitung ehrenamtlichen Engagements<br />

Für eine Ausweitung ehrenamtlichen Engagements in <strong>de</strong>n Gewerkschaften erscheinen<br />

<strong>de</strong>n Befragten die Gruppe <strong>de</strong>r Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r Senioren<br />

am geeignetsten. Bei dieser Aussage ist zu be<strong>de</strong>nken, dass die meisten genannten<br />

Arbeitskreise / Projekte im Seniorenarbeitsbereich zu verzeichnen sind.<br />

Bemerkenswert ist, dass „Schüler/Stu<strong>de</strong>nten“ und „Nicht­<br />

Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r“als am wenigsten geeignet eingeschätzt wer<strong>de</strong>n. Bei<strong>de</strong>n<br />

Gruppen wird ten<strong>de</strong>nziell zugeschrieben, für ein ehrenamtliches Engagement<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaften eher nicht geeignet zu sein. So befin<strong>de</strong>t beispielsweise<br />

beinahe je<strong>de</strong>r zweite Befragte Nicht­Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r als „weniger“


­ 47 ­<br />

o<strong>de</strong>r “gar nicht“geeignet. Bei <strong>de</strong>r Kategorie „Schüler/Stu<strong>de</strong>nten“ist in Betracht zu<br />

ziehen, dass die herangezognen Daten fast ausschließlich auf die IG­Metall und<br />

die IG BAU rekurrieren (vgl. Abb. 11).<br />

Was hin<strong>de</strong>rt an <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit?<br />

Einen zentralen Aspekt im Rahmen <strong>de</strong>r Befragung stellt die Frage nach<br />

<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n dar, die <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Rahmen<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaft hin<strong>de</strong>rlich sind. Die Auswahl <strong>de</strong>r Items orientierte sich <strong>hier</strong>bei<br />

an <strong>de</strong>n wesentlichen Studien zur Thematik und wür<strong>de</strong> eine vergleichen<strong>de</strong> Sicht<br />

zulassen.<br />

Als größte Hür<strong>de</strong> wird <strong>de</strong>r Zeitaspekt („erhalten keine Freistellungsmöglichkeit“und<br />

„sind nicht bereit, Zeit dafür aufzuwen<strong>de</strong>n“) gesehen. Doch auch die fehlen<strong>de</strong><br />

Beschäftigung mit <strong>de</strong>r Thematik ehrenamtlicher Tätigkeit („haben noch nicht<br />

darüber nachgedacht“) und die fehlen<strong>de</strong> aktive Ansprache potentieller Ehrenamtlicher<br />

(„sie wer<strong>de</strong>n nicht angesprochen“) wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Befragten als wichtige<br />

Grün<strong>de</strong> angesehen, die die Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit behin<strong>de</strong>rn.<br />

Abb.12: Hin<strong>de</strong>rnisse bezüglich <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Rahmen <strong>de</strong>r Gewerkschaft


­ 48 ­<br />

Die angesprochenen Grün<strong>de</strong> weisen auf eine Kritik <strong>de</strong>r Befragten an <strong>de</strong>n<br />

vorhan<strong>de</strong>nen Rahmenbedingungen und auf Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Motivation<br />

von Ehrenamtlichen hin. Keine Rolle scheinen hingegen finanzielle, i<strong>de</strong>ologische<br />

und politische Aspekte zu spielen. Auch bisherige schlechte Erfahrungen auf <strong>de</strong>m<br />

Feld ehrenamtlichen Engagements wer<strong>de</strong>n nicht als gewichtiger Grund i<strong>de</strong>ntifiziert.<br />

Ein fehlen<strong>de</strong>r Versicherungsschutz wird ebenfalls nicht als Hin<strong>de</strong>rnis angesehen<br />

(vgl. Abb. 12).<br />

2.3.2 Die Befragung <strong>de</strong>r Projektleiter (Fragebogen Teil 2)<br />

Wie bereits angesprochen, wur<strong>de</strong>n die Fragebogen Teil 2 durch <strong>de</strong>n jeweiligen<br />

Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftstellenleiter an die entsprechen<strong>de</strong>n Arbeitskreise<br />

/ Projekte „neuen ehrenamtlichen Engagements“in seinem Verwaltungsbereich<br />

weitergeleitet. Insgesamt wur<strong>de</strong>n 113 auswertbare Fragebögen Teil<br />

2 zurück gesen<strong>de</strong>t.<br />

Bis auf einen Befragten sind alle an<strong>de</strong>ren Arbeitskreis­/ Projektleiter Mitglied<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaft und mit überwiegen<strong>de</strong>r Mehrheit selbst ehrenamtlich tätig.<br />

Weniger als ein Drittel von ihnen ist hauptamtlich im Projekt/Arbeitskreis beschäftigt.<br />

Vier Fünftel <strong>de</strong>r Befragten sind Männer, 60% <strong>de</strong>r Befragten sind erwerbstätig.<br />

Tätigkeitsbereiche <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte<br />

Die Arbeitskreise / Projekte sind überwiegend unter <strong>de</strong>r Verantwortung eines<br />

hauptamtlichen gewerkschaftlichen Mitarbeiters organisiert. Sie sind mehrheitlich<br />

im Bereich „Senioren“tätig (vgl. Abb. 13). Wie<strong>de</strong>rum ist <strong>de</strong>r hohe Anteil <strong>de</strong>r Kategorie<br />

„Sonstiges“mit <strong>de</strong>n klassischen Formen ehrenamtlicher Tätigkeiten zu erklären,<br />

die nicht Gegenstand <strong>de</strong>r Untersuchung waren.<br />

Abb.13: Tätigkeitsbereiche <strong>de</strong>r Arbeitskreise/Projekte<br />

Die Verortung <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte spiegelt eine ähnliche Verteilung wi<strong>de</strong>r<br />

wie in Teil 1 <strong>de</strong>s Fragebogens. Der hohe Anteil <strong>de</strong>s Seniorenbereiches ist möglicherweise<br />

<strong>de</strong>m Unstand geschul<strong>de</strong>t, dass die Weiterleitung <strong>de</strong>s Fragebogens Teil<br />

2 in stärkerem Maße an Senioren­Arbeitskreise / Projekte erfolgte, weil die zentra­


­ 49 ­<br />

le Verschickung <strong>de</strong>n jeweiligen Seniorenbeauftragten <strong>de</strong>r einzelnen Gewerkschaften<br />

oblag.<br />

Sozio<strong>de</strong>mographische Merkmale <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen<br />

Die in <strong>de</strong>n Arbeitskreisen / Projekten ehrenamtlich Engagierten sind überwiegend<br />

männlich (82%) und nicht erwerbstätig (69%, vgl.. Abb.14 und 15). Bis<br />

auf vier Ehrenamtliche sind die in <strong>de</strong>n Arbeitskreisen / Projekten Tätigen auch<br />

Mitglied <strong>de</strong>r Gewerkschaft. Diesen Angaben liegt <strong>hier</strong> nicht die Anzahl <strong>de</strong>r Befragten,<br />

son<strong>de</strong>rn die Anzahl <strong>de</strong>r durch die Befragten aufgeführten ehrenamtlichen<br />

Mitarbeiter <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte zugrun<strong>de</strong>.<br />

Abbildung 14: Ehrenamtliche nach Geschlecht<br />

Abb. 15: Ehrenamtliche nach Erwerbsstatus<br />

Die Altersstruktur <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen zeigt ein klares Übergewicht <strong>de</strong>r Alterskohorte<br />

„60 und älter“. Hierin – wie auch beim Erwerbsstatus – spiegelt sich<br />

die Tatsache wi<strong>de</strong>r, dass <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong> Teil <strong>de</strong>r erfassten Arbeitskreise / Projekte<br />

im Bereich <strong>de</strong>r Seniorenarbeit angesie<strong>de</strong>lt ist (vgl. Abb. 16).


­ 50 ­<br />

Abb.16: Altersstruktur <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen<br />

Ziele und Zielgruppen<br />

Die Befragten wur<strong>de</strong>n neben <strong>de</strong>r Zuordnung <strong>de</strong>s eigenen Arbeitskreises/Projektes<br />

gebeten, Zielgruppen zu benennen, die mit ihrer Arbeit erreicht<br />

wer<strong>de</strong>n sollen und/o<strong>de</strong>r die eventuell als potentiell ehrenamtlich Engagierte in<br />

Frage kommen.<br />

Da diese Abfrage mittels „offener“Fragen erfolgte, ist die Streuung <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Zuordnungen auch recht breit. Die Fragen wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Befragten<br />

beantwortet, lediglich zehn Arbeitskreise / Projekte antworteten nicht (8,8%.). Als<br />

häufigste Zielgruppen wer<strong>de</strong>n Senioren, Jugendliche, Erwerbslose und Frauen<br />

genannt (in dieser Reihenfolge). Am ein<strong>de</strong>utigsten dominieren <strong>hier</strong> die Senioren,<br />

gefolgt von <strong>de</strong>n Jugendlichen. Das überrascht nicht, wenn man beachtet, dass<br />

86% <strong>de</strong>r angegebenen Arbeitskreise / Projekte in <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit<br />

tätig sind. Allerdings ist wie<strong>de</strong>r die Dominanz <strong>de</strong>r Senioren zu berücksichtigen,<br />

die in <strong>de</strong>n <strong>hier</strong> angegebenen Arbeitskreisen / Projekten überwiegen<br />

wie auch in <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Wohngebietsarbeit.<br />

Auch <strong>de</strong>r dominieren<strong>de</strong> Anteil <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte, die darauf zielen,<br />

Mitglie<strong>de</strong>r zu gewinnen, zu halten und zu betreuen, erscheint <strong>hier</strong> folgerichtig.<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich also um die klassischen Personengruppen, die über die betriebliche<br />

Gewerkschaftsarbeit noch nicht o<strong>de</strong>r nicht mehr erreichbar sind (Jugendliche<br />

und Senioren). Auch Frauen und Erwerbslose stellen einen relativ hohen Anteil<br />

als Zielgruppe dar. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r<br />

erwerbslosen Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn stark angestiegen<br />

ist. So liegt <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r erwerbslosen Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r im IG­<br />

Metall Bezirk Küste bei 15%, nur 3% weniger als <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Senioren. In Bran<strong>de</strong>nburg­Sachsen<br />

liegt <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r erwerbslosen Mitglie<strong>de</strong>r gar bei 28%. Dagegen<br />

machen im Bezirk Ba<strong>de</strong>n­Württemberg die erwerbslosen Mitglie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r IG­


­ 51 ­<br />

Metall nur 6% aus. 19 Da Erwerbslose nicht mehr in einem betrieblichen Zusammenhang<br />

eingebun<strong>de</strong>n sind, können diese auch nur über die außerbetriebliche<br />

Gewerkschaftsarbeit erreicht wer<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m bedarf es <strong>hier</strong> spezieller Beratungs­<br />

und Informationsangebote, um diese zu „halten“o<strong>de</strong>r zu gewinnen. Als<br />

weitere Zielgruppen wer<strong>de</strong>n Beschäftigte kleiner und mittlerer Handwerksbetriebe<br />

genannt, sowie Mitglie<strong>de</strong>r (ganz allgemein), die nicht über Betriebsräte zu erreichen<br />

sind und Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>. Zuletzt beziehen sich die Bemühungen <strong>de</strong>r Arbeitskreise<br />

/ Projekte auf Funktionäre, Nichtorganisierte und aktive Vertrauensleute.<br />

In diesem Zusammenhang wur<strong>de</strong> mit einer weiteren Frage nach <strong>de</strong>n Zielen<br />

<strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte gefragt. Diese Frage wur<strong>de</strong> von lediglich vier Arbeitskreisen<br />

/ Projekten (3,5%) nicht ausgefüllt. An erster Stelle dominierte <strong>hier</strong> das<br />

Ziel, Mitglie<strong>de</strong>r zu werben, zu rekrutieren und zu „halten“. Häufig wird auch die<br />

Intention erwähnt, Mitglie<strong>de</strong>r zu informieren. Vor allem zu gewerkschafts­ und tarifpolitischen,<br />

aber auch zu allgemeinpolitischen Themen. Ebenfalls häufig wird<br />

Mitglie<strong>de</strong>rbetreuung und Bildungsarbeit bzw. Fortbildung genannt. Diese Beschreibungen<br />

sind allgemein gehalten und können <strong>de</strong>mzufolge auch Themen <strong>de</strong>r<br />

folgen<strong>de</strong>n Zielbeschreibungen implizieren.<br />

Mehrere Arbeitkreise/Projekte geben ihre Ziele in <strong>de</strong>r Beratung von Mitglie<strong>de</strong>rn,<br />

<strong>de</strong>r Mobilisierung von Mitglie<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>r Unterstützung von sozialen und politischen<br />

Aktivitäten, <strong>de</strong>r Organisation von Freizeitgestaltung, <strong>de</strong>m Vermitteln von Veranstaltungsbesuchen<br />

und von Computerwissen an. Diese Ziele liegen sowohl im<br />

Bereich politischer Aktivitäten als auch <strong>de</strong>r beruflichen Weiterqualifizierung und<br />

sind verbun<strong>de</strong>n mit Freizeitangeboten. Einige <strong>de</strong>r Befragten geben an, dass es<br />

ihnen um die Schaffung von Ausbildungsplätzen, um Informationen über verschie<strong>de</strong>ne<br />

Arbeitszeitformen und um die Verbesserung <strong>de</strong>r kulturellen und sozialen<br />

Lage von Mitglie<strong>de</strong>rn gehe. Betrachtet man die von <strong>de</strong>n Befragten am häufigsten<br />

erwähnten Ziele ihrer Arbeitskreise / Projekte, so lässt sich unschwer ein Zusammenhang<br />

zu <strong>de</strong>n meisten erwähnten Zielgruppen herstellen.<br />

Frequenz und Orte von Arbeitstreffen<br />

Abb.17: Ort <strong>de</strong>r Arbeitstreffen<br />

19 Quelle: IG­Metall, Vorstandsbereich 09, Außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit, Stand Juli 2001


­ 52 ­<br />

Regelmäßige Arbeitstreffen fin<strong>de</strong>n in mehr als 90 Prozent aller Arbeitskreise /<br />

Projekte statt. Ort dieser Treffen sind hauptsächlich Gewerkschaftsräume, teilweise<br />

auch angemietete Räume o<strong>de</strong>r Räume öffentlicher Einrichtungen (vgl.<br />

Abb.:17).<br />

Unterstützung<br />

Bis auf wenige Ausnahmen können alle Arbeitskreise / Projekte – von <strong>de</strong>nen<br />

übrigens mehr als je<strong>de</strong>s zweite voll finanziert wird (vgl. Abb. 18) – auf Dienstleistungen<br />

durch die Gewerkschaft (Postversand, Kopierarbeiten etc.) und Sachleistungen<br />

(Computer, Telefon, Bürobedarf etc.) zurückgreifen. Aufwandsentschädigungen<br />

für die ehrenamtlichen Tätigkeiten wer<strong>de</strong>n laut 40% <strong>de</strong>r Befragten<br />

gewährt.<br />

Insgesamt gesehen wird die Unterstützung <strong>de</strong>r Gewerkschaft überwiegend<br />

als „gut“ eingeschätzt. Lediglich vier Prozent bezeichnen diese als „unzureichend“.<br />

Abb.18: Finanzierung <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte<br />

Arten <strong>de</strong>r Anerkennung<br />

Etwa je<strong>de</strong>r zweite Befragte gibt an, dass es Anerkennungen für die geleistete<br />

ehrenamtliche Arbeit gebe. Am häufigsten wird die i<strong>de</strong>elle Würdigung ehrenamtlichen<br />

Engagements benannt. Darunter sind zu verstehen: Auszeichnungen,<br />

Gratulationen, Belobigungen und öffentliche Anerkennung. Recht oft wer<strong>de</strong>n auch<br />

Essen und Geschenke als Form <strong>de</strong>r Anerkennung erwähnt. Ein kleinerer Teil gibt<br />

Feste, Fahrten, Gruppenreisen und Prämien an. Am geringsten wer<strong>de</strong>n Qualifikationen,<br />

Seminare sowie Freu<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Arbeit und gegenseitige Anerkennung erwähnt.<br />

Die Frage nach <strong>de</strong>r Anerkennung ehrenamtlichen Engagements zielte auf<br />

<strong>de</strong>n Ist­Zustand, nicht auf die Wünsche o<strong>de</strong>r Präferenzen <strong>de</strong>r ehrenamtlich Engagierten.<br />

Diese Benennungen heben also auf Arten <strong>de</strong>r Anerkennung ab, die die<br />

Gewerkschaften gegenwärtig für geeignet halten, weniger auf die Bedürfnisse <strong>de</strong>r<br />

Engagierten selbst.


­ 53 ­<br />

Konflikte beim Aufbau von Arbeitskreisen / Projekten<br />

Wie bereits bei <strong>de</strong>n Hauptamtlichen gibt auch <strong>hier</strong> gibt die Mehrzahl <strong>de</strong>r Befragten<br />

an, Konflikte seien „selten“. Gegenüber <strong>de</strong>n hauptamtlichen Befragten aus <strong>de</strong>m<br />

Fragebogen 1 geben <strong>hier</strong> sogar mehr als doppelt so viele <strong>de</strong>r Befragten an, dass<br />

Konflikte „nie“auftreten. Dagegen bescheinigen 11,4% <strong>de</strong>r Verwaltungsstellenbzw.<br />

Bezirksgeschäftstellenleiter ein „häufiges“bzw. „sehr häufiges“Auftreten von<br />

Konflikten. Diese bei<strong>de</strong>n letztgenannten Kategorien wer<strong>de</strong>n hingegen nur von<br />

4,5% <strong>de</strong>r Arbeitskreis­/Projektleiter angegeben. Ein größeres Konfliktpotential bei<br />

<strong>de</strong>r Zusammenarbeit wird also von <strong>de</strong>n Hauptamtlichen (Verwaltungsstellen­ bzw.<br />

Bezirksgeschäftstellenleiter) gesehen als von jenen, die in Ehrenamtsprojekten<br />

engagiert sind (vgl. Abb. 19).<br />

Abb.19: Konflikte zwischen Haupt­ und Ehrenamtlichen beim Aufbau von Arbeitskreisen / Projekten.<br />

(Vergleich zwischen Teil 1 und Teil 2)<br />

Engagement <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen<br />

Den ehrenamtlich Engagierten wird überwiegend bescheinigt, sich mit hohem<br />

Einsatz zu engagieren. Auch die Bereitschaft, sich noch stärker zu engagieren, ist<br />

laut <strong>de</strong>n Befragten vorhan<strong>de</strong>n, wobei die Ten<strong>de</strong>nz <strong>hier</strong> etwas zurückhalten<strong>de</strong>r ist.<br />

Es wird häufig kommentiert, dass ein noch höherer Einsatz nicht möglich sei. Der<br />

Meinung, dass die strukturellen Voraussetzungen <strong>de</strong>r Gewerkschaft für ein stärkeres<br />

Engagement ungeeignet seien, wi<strong>de</strong>rsprechen mehr als zwei Drittel <strong>de</strong>r<br />

Befragten.<br />

Motivation <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen<br />

Um zu ergrün<strong>de</strong>n, welche Ambitionen hinter einem ehrenamtlichen Engagement<br />

stehen, wur<strong>de</strong> nach Motiven hinsichtlich <strong>de</strong>r Aufnahme eines Engagements<br />

gefragt. Zu beachten ist, dass es sich <strong>hier</strong> um Angaben <strong>de</strong>r Befragten –<br />

i.d.R. also <strong>de</strong>n Projektleitern – über die Motivation <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen ihres Arbeitskreises/Projektes<br />

han<strong>de</strong>lt und somit eine Fremdauskunft vorliegt.


­ 54 ­<br />

Abb.20: Motive ehrenamtlich Engagierter<br />

So steht hinter <strong>de</strong>m ehrenamtlichen Engagement vorrangig <strong>de</strong>r Wunsch, „sich<br />

nützlich zu machen“, „etwas zu leisten“, „sich sozial zu engagieren“, aber auch<br />

„eine Tätigkeit auszuüben, an <strong>de</strong>r man Spaß hat“. Diese Hierarchie <strong>de</strong>r Motivation<br />

für ehrenamtliches Engagement korrespondiert mit <strong>de</strong>n Messungen über alle Bereiche<br />

freiwillig Engagierter im „Freiwilligensurvey“(vgl. von Rosenbladt 2001:<br />

112ff.). Die am häufigsten angegebenen Grün<strong>de</strong> sind dort: „Dass die Tätigkeit<br />

Spaß macht“, „Mit sympathischen Menschen zusammenkommen“, „Etwas für das<br />

Gemeinwohl tun“, „An<strong>de</strong>ren Menschen helfen“. Man sieht <strong>hier</strong>, dass die Ambitionen<br />

<strong>de</strong>r Engagierten innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft, sich nicht wirklich von <strong>de</strong>n allgemeinen<br />

Trendaussagen unterschei<strong>de</strong>n – obwohl die Items nicht genau das<br />

Gleiche abfragen. Auffällig ist die Stellung <strong>de</strong>s Items „die Tätigkeit soll Spaß machen“.<br />

So kommt sie im „Freiwilligensurvey“an erster Stelle, in unserer Befragung<br />

an dritter Stelle. Diese geringe Abweichung hat möglicherweise eine Ursache in<br />

<strong>de</strong>r hohen Beteiligung von Senioren an <strong>de</strong>r Befragung.


­ 55 ­<br />

Abb. 21: Vergleich <strong>de</strong>r Motive zu ehrenamtlicher Tätigkeit zwischen Seniorenprojekten und an<strong>de</strong>ren<br />

Projekten<br />

Auch <strong>de</strong>r Wunsch, die eigene „Lebenserfahrung zu erweitern“sowie die<br />

Suche nach „Kontakten“wur<strong>de</strong>n häufig angegeben. Der Wunsch, Kontakte über<br />

eine ehrenamtliche Tätigkeit aufzunehmen, rangiert im „Freiwilligensurvey“an 2.<br />

Stelle, in unserer Untersuchung an 5. Stelle. Hier kann die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft seitens <strong>de</strong>r Befragten zur Erklärung herangezogen wer<strong>de</strong>n, da eine<br />

Integration <strong>hier</strong>über schon besteht.<br />

Weniger motivierend ist die Absicht, „neue Fertigkeiten und Qualifikationen zu<br />

erlangen“o<strong>de</strong>r „<strong>de</strong>n Alltag besser zu strukturieren“. Auch das ist auf die hohe Beteiligung<br />

von Senioren zurückzuführen. So kann man gut sehen, dass die Aussage<br />

„die Lebenserfahrung zu erweitern“einiges vor <strong>de</strong>r Aussage „neue Fertigkeiten<br />

zu erlangen“rangiert. Senioren haben natürlich nur in geringem Maße die Absicht,<br />

neue (berufliche) Fertigkeiten bzw. Qualifikationen zu erlangen. Zu erwähnen<br />

ist <strong>hier</strong>, dass fast keine <strong>de</strong>r Vorgaben ten<strong>de</strong>nziell als „eher nicht“/„überhaupt<br />

nicht“zutreffend bewertet wur<strong>de</strong>. Die Motivationen sind also als sehr vielschichtig<br />

zu betrachten (vgl. Abb. 20).<br />

Zusätzlich wur<strong>de</strong>n die Motive <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen aus vergleichen<strong>de</strong>r Perspektive<br />

zwischen Seniorenprojekten und allen übrigen Arbeitskreisen / Projekten betrachtet.<br />

Unterschie<strong>de</strong> treten insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>n Items „wollen ihren Alltag besser


­ 56 ­<br />

strukturieren“, „wollen ihre Freizeit gestalten“und „suchen Kontakt“auf. Diese<br />

wer<strong>de</strong>n in Arbeitskreisen / Projekten aus <strong>de</strong>m Seniorenbereich <strong>de</strong>utlich zutreffen<strong>de</strong>r<br />

eingeschätzt als in Arbeitskreisen / Projekten aus an<strong>de</strong>ren Bereichen (vgl.<br />

Abb. 21). Diese Differenz zwischen Arbeitskreisen / Projekten im Seniorenbereich<br />

und <strong>de</strong>n übrigen Bereichen ist aber nicht als spektakulär zu bezeichnen. Die Differenz<br />

weist eher auf typische Alltagsunterscheidungen und ­probleme hin, die ein<br />

Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Erwerbstätigkeit mit sich bringen. Auffälliger ist da schon die<br />

Differenz – wenn auch nicht sehr groß – beim Item „Spaß“. Das lässt sich dahingehend<br />

interpretieren, dass <strong>hier</strong> eine Steigerung <strong>de</strong>s Anspruchs auf Lebensqualität<br />

zu vermuten ist.<br />

Austausch mit an<strong>de</strong>ren Arbeitskreisen / Projekten<br />

Mehr als ein Viertel aller Arbeitskreise / Projekte steht in mehr o<strong>de</strong>r weniger intensivem<br />

Kontakt – <strong>de</strong>r übrigens zu gleichen Teilen auf formeller bzw. informeller<br />

Ebene stattfin<strong>de</strong>t – mit an<strong>de</strong>ren Arbeitskreisen / Projekten. Nur bei je<strong>de</strong>m zehnten<br />

Projekt / Arbeitskreis ist dies nicht <strong>de</strong>r Fall und auch nicht für die Zukunft geplant.<br />

Was hin<strong>de</strong>rt an <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit?<br />

Analog zu Teil 1 wur<strong>de</strong> auch <strong>hier</strong> nach <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n gefragt, die <strong>de</strong>r Aufnahme<br />

eines ehrenamtlichen Engagements im Wege stehen. Wie die Verwaltungsstellen­<br />

und Bezirksgeschäftstellenleiter machen auch die Projekt­<br />

/Arbeitskreisleiter die vorhan<strong>de</strong>nen Rahmenbedingungen („erhalten oft keine Freistellungsmöglichkeit“,<br />

„wer<strong>de</strong>n nicht angesprochen“) und die Schwierigkeiten bei<br />

<strong>de</strong>r Motivation („sind nicht bereit, Zeit dafür aufzuwen<strong>de</strong>n“, „haben nicht darüber<br />

nachgedacht“) hauptsächlich für die Verhin<strong>de</strong>rung einer Aufnahme ehrenamtlichen<br />

Engagements verantwortlich. Sowohl in Teil 1 als auch in Teil 2 <strong>de</strong>s Fragebogens<br />

fällt auf, dass die Befragten <strong>hier</strong> <strong>de</strong>ckungsgleich und auch relativ häufig<br />

angeben, dass potentiell Engagierte einem ehrenamtlichen Engagement „keinen<br />

Nutzen für sich selbst“abgewinnen können.<br />

In <strong>de</strong>m sich im allgemeinen sehr ähneln<strong>de</strong>n Antwortmuster <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Befragtengruppen<br />

zeigen sich aber auch einige Differenzen: Die Projekt­/ Arbeitskreisleiter<br />

(Teil 2) schätzen „fehlen<strong>de</strong> Freistellungsmöglichkeiten“und „Überfor<strong>de</strong>rung“als<br />

geringeres Hin<strong>de</strong>rnis ein als die Verwaltungsstellen­ und Bezirksgeschäftstellenleiter<br />

(Teil 1). Dass „Jugendliche sich nicht ernst genommen fühlen“,<br />

sehen dagegen die Projekt­/ Arbeitskreisleiter als größeres Hin<strong>de</strong>rnis als die<br />

Hauptamtlichen an (vgl. Abb. 22).


­ 57 ­<br />

Abb.22: : Hin<strong>de</strong>rungsgrün<strong>de</strong> für die Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Rahmen <strong>de</strong>r Gewerkschaft.<br />

Vergleich zwischen Fragebogen Teil 1 und Teil 2.<br />

Ergänzen<strong>de</strong> Anmerkungen <strong>de</strong>r Befragten in <strong>de</strong>n Fragebögen (Teil 1 und Teil 2)<br />

Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Fragebogens hatten die Befragten jeweils die Gelegenheit,<br />

Anmerkungen zu ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen zu machen, o<strong>de</strong>r Kritik zu<br />

äußern. 8% (Teil 1) bzw. 14% (Teil 2) <strong>de</strong>r Befragten machen von dieser Möglichkeit<br />

Gebrauch.<br />

Überwiegend han<strong>de</strong>lt es sich bei diesen Anmerkungen um weitergehen<strong>de</strong> Beschreibungen<br />

<strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte, auf die <strong>hier</strong> nicht näher eingegangen<br />

wer<strong>de</strong>n soll. Auf die Gewerkschaft ver.di bezogen wird geäußert, dass <strong>de</strong>r Fragebogen<br />

aufgrund <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeitigen Situation durch <strong>de</strong>n Zusammenschluss zu früh<br />

komme.<br />

Mehrmals wird angeregt, das „bezahlte Ehrenamt“einzuführen bzw. die<br />

Aufwandsentschädigungen zu erhöhen. Desweiteren sollte die Außendarstellung<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaft (u.a. durch Werbekampagnen) verbessert wer<strong>de</strong>n. Sie sollte<br />

insgesamt attraktiver wer<strong>de</strong>n und es müsste zu einer Erhöhung <strong>de</strong>s Spaßfaktors<br />

kommen. Bezahltes Ehrenamt, Freizeitcharakter und Spaßfaktor sind als Indizien<br />

für Formen <strong>de</strong>s „Neuen Ehrenamts“zu sehen. Insbeson<strong>de</strong>re Projekte mit Freizeitaktivitäten<br />

bin<strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>r und weisen eine gute Resonanz bei <strong>de</strong>ren Angehörigen<br />

auf.


­ 58 ­<br />

2.4 Vergleich zwischen <strong>de</strong>n Gewerkschaften IG­Metall und IG BAU<br />

Aufgrund <strong>de</strong>s geringen Rücklaufs <strong>de</strong>r Fragebögen lassen sich Vergleiche<br />

zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Gewerkschaften nur für die IG Metall und die IG BAU<br />

anstellen. Im folgen<strong>de</strong>n sollen <strong>hier</strong>zu einzelne Aspekte aus vergleichen<strong>de</strong>r Perspektive<br />

betrachtet wer<strong>de</strong>n. Analog zu <strong>de</strong>n vorangegangenen Auswertungen wird<br />

zunächst auf <strong>de</strong>n ersten Teil <strong>de</strong>s Fragebogens Bezug genommen. Zu beachten<br />

ist, dass die Aussagen nicht repräsentativ für die Gewerkschaften sind und <strong>de</strong>shalb<br />

nicht ohne weiteres generalisiert wer<strong>de</strong>n können.<br />

Da die Ergebnisse aufgrund <strong>de</strong>r vergleichsweise hohen Anteile <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Organisationen im <strong>gesamten</strong> Sample nur vereinzelt von <strong>de</strong>n vorangegangenen<br />

Aussagen abweichen, wird nicht auf alle Aspekte näher eingegangen und verstärkt<br />

eine graphische Darstellungsform gewählt.<br />

Abb.23: Rücklaufquoten IG BAU und IG Metall<br />

Gewerkschaft<br />

Bezirksgeschäftsstellen/<br />

Verwaltungsstellen<br />

Erhaltene auswertbare<br />

Fragebögen Teil 1<br />

Rücklauf in<br />

Prozent<br />

(Teil 1)<br />

Erhaltene auswertbare<br />

Fragebögen Teil 2<br />

IG Metall 170 42 24,7% 61<br />

IG BAU 60 28 46,7% 42<br />

230 70 30,4% 103<br />

2.4.1 Die Befragung <strong>de</strong>r Hauptamtlichen (Fragebogen Teil 1)<br />

Bereiche „Neuen ehrenamtlichen Engagements“<br />

„Neue“ehrenamtliche Tätigkeiten fin<strong>de</strong>n sich unter Vernachlässigung <strong>de</strong>r Kategorie<br />

„Sonstiges“in bei<strong>de</strong>n Gewerkschaften insbeson<strong>de</strong>re im Bereich „Senioren“. In<br />

<strong>de</strong>r IG BAU sind weiterhin die Bereiche „Jugend“und „Frauen“als wichtige Größe<br />

zu nennen. Sind im Falle <strong>de</strong>r IG­Metall in <strong>de</strong>n übrigen Bereichen auf etwa gleich<br />

hohem Niveau Arbeitskreise / Projekte zu fin<strong>de</strong>n, fällt auf, dass die Bereiche „Erwerbslose“und<br />

„Wohngebietsarbeit“in <strong>de</strong>r IG BAU nur sehr gering durch ein Vorhan<strong>de</strong>nsein<br />

neuer ehrenamtlicher Tätigkeiten gekennzeichnet sind (vgl. Abb. 24).<br />

Es ist festzustellen, dass in <strong>de</strong>r IG­Metall die Bereiche „Jugend“, „Frauen“, „Erwerbslose“und<br />

„Wohngebietsarbeit“ungefähr gleich stark vertreten sind. Dass<br />

<strong>de</strong>r Bereich „Jugend“bei <strong>de</strong>r IG­Metall schwächer ausgeprägt ist als bei <strong>de</strong>r IG<br />

BAU, lässt sich dadurch erklären, dass es bei <strong>de</strong>r IG­Metall eine gleichmäßigere<br />

Verteilung über alle Bereiche gibt als bei <strong>de</strong>r IG BAU.<br />

Bei <strong>de</strong>r IG BAU zeigt sich, dass ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten vorrangig in <strong>de</strong>n<br />

konventionellen Bereichen stattfin<strong>de</strong>n. Der Bereich „Erwerbslose“und „Wohngebietsarbeit“ist<br />

nur sehr gering vertreten. Das lässt darauf schließen, dass die IG­<br />

Metall weitaus intensiver als die IG BAU auf <strong>de</strong>n Umstand zunehmen<strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit<br />

reagiert. Das ist nicht nur an <strong>de</strong>r Menge <strong>de</strong>r Erwerbslosenprojekte erkennbar,<br />

son<strong>de</strong>rn auch an <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung, die <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit zugeschrieben<br />

wird. Diese soll gera<strong>de</strong> jene erreichen, die nicht mehr in einem betrieblichen<br />

Zusammenhang zur Gewerkschaft stehen, sprich: diejenigen, die aus <strong>de</strong>m Er­


­ 59 ­<br />

werbsleben ausgeschie<strong>de</strong>n sind. Das sind aber bei steigen<strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit<br />

nicht nur die Senioren. Da Mehrfachnennungen möglich waren, wur<strong>de</strong> auch geprüft,<br />

ob sich die bei<strong>de</strong>n Gewerkschaften hinsichtlich <strong>de</strong>r Häufigkeit <strong>de</strong>r Arbeitskreise<br />

/ Projekte unterschei<strong>de</strong>n, die in mehreren Bereichen tätig sind. Dass ihr<br />

Projekt/Arbeitskreis mehrere <strong>de</strong>r genannten Bereiche ab<strong>de</strong>ckt, geben 34 Prozent<br />

<strong>de</strong>r IG­Metall­Befragten und 21 Prozent <strong>de</strong>r IG BAU Befragten an.<br />

Abb.24: Tätigkeitsbereiche „Neuen ehrenamtlichen Engagements“. Vergleich IG BAU und IGM<br />

Konflikte beim Aufbau von Arbeitskreisen / Projekten<br />

Abb.25: Häufigkeit von Konflikten zwischen Haupt­ und Ehrenamtlichen beim Aufbau von Arbeitskreisen/Projekten.<br />

Vergleich zwischen IG BAU und IGM<br />

Beim Aufbau von Arbeitskreisen / Projekten kommt es laut <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong>n<br />

Mehrheit <strong>de</strong>r Befragten (Verwaltungsstellen­ und Bezirksgeschäftstellen­


­ 60 ­<br />

leiter) „selten“zu Konflikten zwischen Haupt­ und Ehrenamtlichen. Die Konflikthäufigkeit<br />

ist auf Seiten <strong>de</strong>r IG­Metall allgemein geringer, so geben <strong>hier</strong> fast ein<br />

Fünftel an, es komme nie zu Konflikten o<strong>de</strong>r aber „selten“(75%). 7,5% bescheinigen<br />

ein „häufiges“Auftreten von Konflikten. Bei <strong>de</strong>r IG BAU geben immerhin<br />

14,8% ein „häufiges“bzw. ein „sehr häufiges“Auftreten von Konflikten an (vgl.<br />

Abb. 25). Es lassen sich aus <strong>de</strong>n Daten jedoch keine Schlüsse ziehen, welche<br />

Grün<strong>de</strong> für die unterschiedlichen Konflikthäufigkeiten verantwortlich sind.<br />

Neue ehrenamtliche Tätigkeiten<br />

Die Auswirkungen neuer ehrenamtlicher Tätigkeiten auf die Gewerkschaft<br />

wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Befragten bei<strong>de</strong>r Gewerkschaften sehr ähnlich beurteilt. Uneinigkeit<br />

herrscht jedoch hinsichtlich <strong>de</strong>r Möglichkeiten, durch diese Tätigkeiten neue<br />

Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r zu gewinnen. Die Befragten <strong>de</strong>r IG BAU sehen <strong>hier</strong> größere<br />

Chancen, als die Befragten <strong>de</strong>r IG­Metall (vgl. Abb. 26).<br />

Abb.26: Auswirkungen Neuer ehrenamtlicher Tätigkeiten. Vergleich IG BAU und IGM<br />

Gewinnung von Ehrenamtlichen<br />

Die Gewinnung neuer Ehrenamtlicher erfolgt in bei<strong>de</strong>n Gewerkschaften<br />

vorrangig über „persönliche Ansprache“und über „Betriebsräte/Vertrauensleute“.<br />

Unterschie<strong>de</strong> gibt es bei „Seminaren/Schulungen“und bei „Mitglie<strong>de</strong>rversammlungen“.<br />

Die ersteren nutzt die IG­Metall stärker zur Gewinnung von Ehrenamtlichen<br />

als die IG BAU. Dagegen nutzt die IG BAU stärker die Mitglie<strong>de</strong>rversammlungen<br />

als die IG­Metall. Auffallen<strong>de</strong> Differenzen sind in <strong>de</strong>n Kategorien „Wohngebietsarbeit“und<br />

„Internet“zu beobachten. Diese wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r IG BAU fast gar<br />

nicht für die Gewinnung von Ehrenamtlichen genutzt. In <strong>de</strong>r IG­Metall haben sie<br />

dagegen fast eine ebensolche Be<strong>de</strong>utung wie „Mitglie<strong>de</strong>rversammlungen“, „Informationsmaterial“und<br />

„Mitglie<strong>de</strong>rzeitschriften/Presse“für die Gewinnung von ehrenamtlich<br />

Engagierten.<br />

Insgesamt lässt sich sagen, dass die IG BAU <strong>hier</strong> eher die klassischen<br />

Wege zur Gewinnung von Ehrenamtlichen geht, während die IG­Metall nicht nur<br />

<strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit verstärkt nutzt, son<strong>de</strong>rn


­ 61 ­<br />

auch auf mo<strong>de</strong>rne Informationssysteme wie das Internet zurückgreift, um potentielle<br />

Engagierte zu erreichen (vgl. Abb. 27).<br />

Abb.27: Die Gewinnung Ehrenamtlicher. Vergleich IG BAU und IG Metall.<br />

(Mehrfachnennungen waren möglich)<br />

Gruppen für die Ausweitung ehrenamtlichen Engagements<br />

Neben <strong>de</strong>m Zugang zu potentiellen Ehrenamtlichen wur<strong>de</strong> nach Gruppen gefragt,<br />

die für eine Ausweitung <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements in Frage kommen. Für<br />

solch eine Ausweitung wer<strong>de</strong>n von bei<strong>de</strong>n Gewerkschaften vor allem „Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r“und<br />

„Senioren“als geeignet eingeschätzt. „Schüler/Stu<strong>de</strong>nten“<br />

und „Nicht­Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r“wer<strong>de</strong>n als am wenigsten geeignet eingestuft.<br />

Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Einschätzung zeichnen sich in <strong>de</strong>n Items „Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r“und<br />

„Erwerbstätige“, welche die IG BAU geeigneter als die IG­<br />

Metall einschätzt und „Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>“, die die IG­Metall geeigneter als die IG<br />

BAU einschätzt, ab (vgl. Abb. 28).


­ 62 ­<br />

Abb.28: Geeignete Gruppen für eine Ausweitung ehrenamtlichen Engagements. Vergleich IG BAU<br />

und IGM<br />

Was hin<strong>de</strong>rt an <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit?<br />

Hin<strong>de</strong>rnisse für ein ehrenamtliches Engagement sehen die Befragten vor<br />

allem in „fehlen<strong>de</strong>n Freistellungsmöglichkeiten“und <strong>de</strong>r „fehlen<strong>de</strong>n Bereitschaft,<br />

Zeit für ein Engagement aufzuwen<strong>de</strong>n“. Dass die potentiellen Ehrenamtlichen<br />

„nicht angesprochen“wer<strong>de</strong>n, sehen die Befragten <strong>de</strong>r IG­Metall als weitaus größeres<br />

Hin<strong>de</strong>rnis an, als die Befragten auf Seiten <strong>de</strong>r IG BAU. Da aber bei<strong>de</strong> Gewerkschaften<br />

die „persönliche Ansprache“zur Gewinnung von Ehrenamtlichen an<br />

erster Stelle nannten, lässt sich <strong>hier</strong> vermuten, dass die Befragten <strong>de</strong>r IG­Metall<br />

diese Art <strong>de</strong>r Gewinnung von Ehrenamtlichen trotz<strong>de</strong>m noch für zu gering halten<br />

o<strong>de</strong>r aber das Erreichen <strong>de</strong>r potentiellen Ehrenamtlichen über Internet und<br />

Wohngebietsarbeit für ungeeignet erachten.<br />

Das „schlechte Image <strong>de</strong>r Gewerkschaft“sehen dagegen eher die Befragten<br />

<strong>de</strong>r IG BAU als Grund, keine ehrenamtliche Tätigkeit aufzunehmen. „Politischen<br />

und i<strong>de</strong>ologischen Grün<strong>de</strong>n“, einem „fehlen<strong>de</strong>n Versicherungsschutz“und<br />

<strong>de</strong>m Gefühl „finanzieller Ausnutzung“wird jeweils die geringste Be<strong>de</strong>utung als<br />

Hin<strong>de</strong>rnis beigemessen (vgl. Abb. 29).


­ 63 ­<br />

Abb.29: : Hin<strong>de</strong>rnisse bezüglich <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft. Vergleich zwischen IG BAU und IGM<br />

2.4.2 Die Befragung <strong>de</strong>r Projektleiter (Fragebogen Teil 2)<br />

Bereiche „Neuen ehrenamtlichen Engagements“<br />

Die Arbeitskreise / Projekte <strong>de</strong>r Gewerkschaften IG­Metall und IG BAU sind<br />

vorwiegend im Bereich „Senioren“tätig. Die Ergebnisse aus Fragebogen Teil 1<br />

spiegeln sich <strong>hier</strong> wi<strong>de</strong>r. Die Angaben <strong>de</strong>r hauptamtlichen Geschäftsstellenleiter<br />

und <strong>de</strong>r Projektleiter unterschei<strong>de</strong>n sich jedoch in <strong>de</strong>r Rangfolge <strong>de</strong>r Bereiche<br />

„Jugend“und „Sonstiges“. Die absolute Dominanz, welche die Seniorenarbeit aus<br />

<strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r hauptamtlichen Geschäftsstellenleiter aufweist, spiegelt sich in <strong>de</strong>n<br />

Angaben <strong>de</strong>r Projektleiter nicht wi<strong>de</strong>r. Erstere geben bei <strong>de</strong>r IG BAU einen Anteil<br />

<strong>de</strong>r Seniorenarbeit von knapp über 90%, bei <strong>de</strong>r IG Metall von rund 50% an. Die


­ 64 ­<br />

Projektleiter beziffern diesen Anteil bei <strong>de</strong>r IG BAU aber auf lediglich 50%, bei <strong>de</strong>r<br />

IG Metall auf 57%.<br />

Auch die „Arbeit mit Erwerbslosen“und „Wohngebietsarbeit“weist Differenzen<br />

auf, wenn auch in geringerem Ausmaß. In <strong>de</strong>r IG BAU wer<strong>de</strong>n diese bei<strong>de</strong>n<br />

Bereiche von <strong>de</strong>n Geschäftsstellenleitern bei 5% angesie<strong>de</strong>lt, die Projektleiter<br />

beziffern ihren Anteil jedoch auf 10%. Das legt nahe, dass diese Bereiche <strong>de</strong>n<br />

Bezirksgeschäftsstellenleitern weniger präsent sind als sie tatsächlich in <strong>de</strong>r Arbeit<br />

<strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte vorkommen. Insgesamt lässt sich bei <strong>de</strong>r IG BAU<br />

eine ausgewogenere Verteilung <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte im Fragebogen Teil 2<br />

(Unterschie<strong>de</strong> zwischen 9,5% und 50%) gegenüber <strong>de</strong>m Fragebogen Teil 1 (Unterschie<strong>de</strong><br />

zwischen 3,5% und 92%) ausmachen.<br />

So auffällig wie bei <strong>de</strong>r IG BAU sind die Differenzen zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />

Fragebogenteilen bei <strong>de</strong>r IG­Metall nicht. Bemerkenswert ist <strong>hier</strong>, dass die „Arbeit<br />

mit Erwerbslosen“, „Wohngebietsarbeit“und „Jugendarbeit“im Fragebogen Teil 1<br />

ähnlich hoch ist. Im Fragebogen Teil 2 liegt die „Wohngebietsarbeit“und die „Arbeit<br />

mit Erwerbslosen“um min<strong>de</strong>stens 6 Prozentpunkte höher als die <strong>de</strong>r „Jugendarbeit“.<br />

Das könnte darauf zurück zu führen sein, dass <strong>de</strong>r Fragebogen Teil 2<br />

seltener Projekte im „Jugendbereich“erreicht hat o<strong>de</strong>r von diesen ausgefüllt wur<strong>de</strong>.<br />

Insgesamt ist die Verteilung <strong>de</strong>r einzelnen Bereiche zwischen <strong>de</strong>r IG­Metall und<br />

<strong>de</strong>r IG BAU strukturell gesehen – mit Ausnahme <strong>de</strong>s Seniorenbereichs – gleich<br />

<strong>de</strong>r im Fragebogen Teil 1. Die Differenzen zwischen <strong>de</strong>r „Arbeit mit Erwerbslosen“,<br />

„Wohngebietsarbeit“und „Jugendarbeit“sind am <strong>de</strong>utlichsten ausgeprägt.<br />

So weist die IG BAU mehr Arbeitskreise / Projekte im Jugendbereich aus, die IG­<br />

Metall dagegen mehr in <strong>de</strong>r „Wohngebietsarbeit“und in <strong>de</strong>r „Arbeit mit Erwerbslosen“.<br />

Allerdings sind die Differenzen <strong>hier</strong> nicht so groß wie im Fragebogen Teil 1.<br />

Die Ab<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r einzelnen Bereiche ist somit aus Sicht <strong>de</strong>r Arbeitskreise / Projekte<br />

eher gegeben als aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftsstellenleiter<br />

(vgl. Abb. 30 und Abb. 24).<br />

Abb.30: Tätigkeitsbereiche „Neuen ehrenamtlichen Engagements“. Vergleich IG BAU und IGM


­ 65 ­<br />

Unterstützungen<br />

Bis auf wenige Ausnahmen können alle Arbeitskreise/ Projekte auf Dienstleistungen<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft, wie z.B. Kopierarbeiten und Postversand, zurückgreifen<br />

und wer<strong>de</strong>n mit Sachleistungen (Bürobedarf, Computer, Telefon etc.)<br />

unterstützt.<br />

Der Anteil <strong>de</strong>r durch die Gewerkschaft voll finanzierten Arbeitskreise/ Projekte<br />

ist auf Seiten <strong>de</strong>r IG­Metall etwas höher (58%) als in <strong>de</strong>r IG BAU (49%).<br />

Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten wer<strong>de</strong>n nach Angaben<br />

<strong>de</strong>r Befragten in <strong>de</strong>r IG BAU häufiger praktiziert (56,1%) als in <strong>de</strong>r IG Metall<br />

(32,8%) (vgl. Abb. 31).<br />

Abb.31: Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten. Vergleich IG BAU und IGM<br />

Die Unterstützung <strong>de</strong>s jeweiligen Arbeitskreises/Projektes durch die<br />

Gewerkschaft beurteilen jeweils mehr als drei Viertel <strong>de</strong>r Befragten als<br />

„hervorragend“o<strong>de</strong>r „gut“, wobei die Unterstützung durch die IG­Metall im<br />

Vergleich zur IG BAU als noch etwas besser eingeschätzt wird. (vgl. Abb.<br />

32)


­ 66 ­<br />

Abb.32: Unterstützung <strong>de</strong>s Arbeitskreises/Projektes durch die Gewerkschaft. Vergleich IG BAU<br />

und IGM<br />

Konflikte beim Aufbau von Arbeitskreisen / Projekten<br />

Im Gegensatz zu Fragebogen Teil 1 wird in bezug auf <strong>de</strong>n Aufbau von Arbeitskreisen<br />

/ Projekten eine geringere Konflikthäufigkeit zwischen Haupt­ und<br />

Ehrenamtlichen attestiert. Weiterhin kommt es auf diesem niedrigen Niveau häufiger<br />

innerhalb <strong>de</strong>r IG­Metall zu Konflikten. Im Teil 1 <strong>de</strong>s Fragebogens galt dies für<br />

die IG BAU.<br />

Generell kann man sagen, dass die Arbeitskreis­/Projektleiter ein geringeres<br />

Konfliktpotential bescheinigen als die Verwaltungsstellen­ und Bezirksgeschäftsstellenleiter.<br />

In <strong>de</strong>r IG­Metall differieren die Einschätzungen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Befragtengruppen nicht<br />

so weit wie in <strong>de</strong>r IG BAU. Dort geben 52,4% <strong>de</strong>r befragten Arbeitskreis­<br />

/Projektleiter die Kategorie „selten“an und 47,6% die Kategorie „nie“. Von <strong>de</strong>n<br />

befragten Bezirksgeschäftsstellenleitern geben sogar 81,5% die Kategorie „selten“an,<br />

aber es geben immerhin auch 11% die Kategorie „häufig“und 3,7% sogar<br />

die Kategorie „sehr häufig“an. Die Kategorie „nie“wird dagegen ebenfalls nur von<br />

3,7% angegeben. (vgl. Abb. 33 und Abb. 25)


­ 67 ­<br />

Abb.33: Häufigkeit von Konflikten zwischen Haupt­ und Ehrenamtlichen beim Aufbau von Arbeitskreisen/Projekten.<br />

Vergleich zwischen IG BAU und IGM<br />

Was hin<strong>de</strong>rt an <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit?<br />

Wie in <strong>de</strong>n vorangegangenen Abschnitten gilt es abschließend, Hin<strong>de</strong>rnisse<br />

bezüglich <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu i<strong>de</strong>ntifizieren. Die<br />

<strong>hier</strong> befragten Arbeitskreis­/Projektleiter <strong>de</strong>r IG­Metall sehen das größte Hin<strong>de</strong>rnis<br />

darin, dass die Engagierten durch eine ehrenamtliche Tätigkeit „keinen Nutzen für<br />

sich selbst sehen“, o<strong>de</strong>r einfach „noch nicht über ein ehrenamtliches Engagement<br />

nachgedacht haben“. Die „fehlen<strong>de</strong> Bereitschaft Zeit aufzuwen<strong>de</strong>n“wird durch die<br />

Arbeitskreis­/Projektleiter <strong>de</strong>r IG BAU als primäres Hin<strong>de</strong>rnis empfun<strong>de</strong>n.<br />

Zu geringen Differenzen in <strong>de</strong>r Einschätzung kommt es bei <strong>de</strong>n Items „sie<br />

sehen keinen Nutzen für sich selbst“(als zutreffen<strong>de</strong>r durch IG­Metall eingeschätzt)<br />

und „sie fühlen sich überfor<strong>de</strong>rt“(als zutreffen<strong>de</strong>r durch IG BAU eingeschätzt).<br />

Auch <strong>hier</strong> zeigt sich insgesamt eine ähnliche Gewichtung wie im Fragebogen<br />

Teil 1. So sind die am häufigsten genannten Ursachen im Fragebogen Teil<br />

1: Freistellungsmöglichkeit, Zeit, darüber nach<strong>de</strong>nken, Ansprechen (das betrifft<br />

nur die IG­Metall), Überfor<strong>de</strong>rung und keinen Nutzen für sie selbst. Die geringste<br />

Rolle spielen: politisch/i<strong>de</strong>ologische Grün<strong>de</strong>, Versicherungsschutz und finanzielle<br />

Ausnutzung. Die von <strong>de</strong>n Projektleitern (Fragebogen Teil 2) am häufigsten genannten<br />

Ursachen sind weisen mit lediglich geringen Abweichungen die gleiche<br />

Reihenfolge auf. (vgl. Abb. 34, 12, 22, 29)<br />

Allerdings lässt die geringe Be<strong>de</strong>utung, die <strong>de</strong>m Item „finanzielle Ausnutzung“beigemessen<br />

wird, einige Zweifel aufkommen. So wird erstens die Aussage<br />

„sie sehen darin keinen Nutzen für sich selbst“von <strong>de</strong>n Befragten allgemein als<br />

wichtiger Hin<strong>de</strong>rungsgrund eingeschätzt. Es ist wenig plausibel, in <strong>de</strong>r Orientierung<br />

auf <strong>de</strong>n eigenen Nutzen die finanzielle Gratifikation auszublen<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m<br />

ist von mehreren Befragten in <strong>de</strong>n zusätzlichen Anmerkungen gera<strong>de</strong> betont


­ 68 ­<br />

wor<strong>de</strong>n, dass Egoismus ein Hin<strong>de</strong>rungsgrund für die Aufnahme eines ehrenamtlichen<br />

Engagements sei. Es gab auch Anmerkungen, dass das „bezahlte Ehrenamt“gestärkt<br />

wer<strong>de</strong>n müsse o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st eine Erhöhung <strong>de</strong>r Aufwandsentschädigung<br />

notwendig wäre. Hieraus lässt sich vermuten, dass die Befragten es<br />

als anstößig empfin<strong>de</strong>n, ehrenamtliches Engagement und finanzielle Entschädigung<br />

zusammen zu bringen. Diese Problematik führt somit in die Diskussion um<br />

die Grenzen von bezahlter Arbeit.<br />

Abb.34: : Hin<strong>de</strong>rnisse bezüglich <strong>de</strong>r Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft. Vergleich zwischen IG BAU und IGM<br />

2.5 Fazit<br />

Die Mehrheit <strong>de</strong>r Befragten steht neuen Formen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements<br />

positiv gegenüber. Sie wer<strong>de</strong>n aus verschie<strong>de</strong>nen Grün<strong>de</strong>n als sinnvoll<br />

für die gewerkschaftliche Arbeit angesehen. Das <strong>hier</strong> abgefragte „neue Ehrenamt“<br />

wird zu 86% von <strong>de</strong>n Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftsstellenleitern <strong>de</strong>m<br />

Bereich <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit zugeordnet. Mit an<strong>de</strong>ren<br />

Worten fin<strong>de</strong>n sich die innovativen Ansätze aus ihrer Sicht am ehesten in <strong>de</strong>r außerbetrieblichen<br />

Gewerkschaftsarbeit.


­ 69 ­<br />

Zwei Fragen stellen sich sofort: Könnte es sein, dass die Verteilungsprozedur<br />

<strong>hier</strong> Verzerrungen bewirkt hat? Und was impliziert das Wort „neu“in Bezug<br />

auf das ehrenamtliche Engagement? Die erste Frage verweist auf Schwierigkeiten<br />

bei <strong>de</strong>r Organisation <strong>de</strong>r Befragung. Im Laufe <strong>de</strong>r Erhebung und <strong>de</strong>r Auswertung<br />

wur<strong>de</strong> klar, dass gewerkschaftliche Organisationsabläufe trotz <strong>de</strong>s durchgeführten<br />

Workshops und eines Pretests nicht hinreichend realistisch eingeschätzt<br />

wur<strong>de</strong>n – und zwar von <strong>de</strong>n Projektmitarbeit/inn/en wie auch <strong>de</strong>n Beteiligten Vorstandsvertretern<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaften.<br />

Die zweite Frage muss in Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Wortes<br />

„neu“gesehen wer<strong>de</strong>n. Meint „neu“<strong>hier</strong> eine qualitative Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Formen<br />

ehrenamtlichen Engagements o<strong>de</strong>r eher neue Formen für „alte“Ziele? Ein Teil<br />

<strong>de</strong>r Befragten betont in <strong>de</strong>n Anmerkungen <strong>de</strong>n Freizeitcharakter und <strong>de</strong>n „Spaßfaktor“sowie<br />

die finanzielle Entschädigung in bezug auf ehrenamtliches Engagement.<br />

Das sind Themen, die sich generell in <strong>de</strong>n Beschreibungen zu Verän<strong>de</strong>rungen<br />

ehrenamtlicher Tätigkeiten fin<strong>de</strong>n. Sie wer<strong>de</strong>n häufig als Indizien für <strong>de</strong>n<br />

„Strukturwan<strong>de</strong>l“<strong>de</strong>s Ehrenamtes herangezogen. Die Mehrheit <strong>de</strong>r Befragten gibt<br />

aber an, dass es in <strong>de</strong>n Arbeitskreisen / Projekten vorrangig um Mitglie<strong>de</strong>rgewinnung,<br />

­werbung, ­haltung, ­information und ­betreuung sowie um Bildungsarbeit<br />

geht. Das sind eher klassische Themen <strong>de</strong>r Gewerkschaftsarbeit. Insofern ist anzunehmen,<br />

dass es hauptsächlich um neue Formen für „alte“Ziele geht. Neu (o<strong>de</strong>r<br />

wie<strong>de</strong>r aktiviert) ist dabei die „Wohngebietsarbeit“, aber auch die sogenannten<br />

mobilen „B­Teams“. Neu sind auch die Betreuungs­ und Beratungsformen für Erwerbslose<br />

in eigens dafür geschaffenen Projekten o<strong>de</strong>r ihre in <strong>de</strong>n Gewerkschaften<br />

steigen<strong>de</strong> Mitsprachemöglichkeit (z.B. Erwerbslosenausschüsse bei ver.di).<br />

Dieser Umstand liefert eine weitere Erklärung dafür, dass die Mehrzahl <strong>de</strong>r<br />

Befragten, Arbeitskreise / Projekte im Bereich <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit<br />

benannten. Aber dies erklärt nicht das Problem <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Wortes „neu“. Denn zum einen geht es um gewerkschaftliche Ziele und zum an<strong>de</strong>ren<br />

geht es um persönliche Motive. Die gewerkschaftlichen Ziele betreffen die<br />

Absichten <strong>de</strong>r Organisation Gewerkschaft. Dabei wird versucht, neue Formen für<br />

die Mitglie<strong>de</strong>rgewinnung und ­betreuung zu fin<strong>de</strong>n, um entsprechend auf gesellschaftliche<br />

Verän<strong>de</strong>rungen reagieren zu können. Steigen<strong>de</strong> und anhalten<strong>de</strong> Arbeitslosigkeit<br />

und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mographische Wan<strong>de</strong>l sind solche Verän<strong>de</strong>rungen. Das<br />

heißt aber nicht, dass sich die persönlichen Motive <strong>de</strong>r ehrenamtlich Engagierten<br />

nicht verän<strong>de</strong>rt hätten. So wird zum Beispiel die Orientierung am „Spaß“in bezug<br />

auf die ausgeübte ehrenamtliche Tätigkeit von <strong>de</strong>n Befragten mit an erster Stelle<br />

genannt – bei <strong>de</strong>n Senioren sogar noch etwas ausgeprägter als bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Gruppen. Ein an<strong>de</strong>res Indiz ist die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Zeitaufwands. So wird beklagt,<br />

dass viele potentiell Engagierte keine Zeit aufwen<strong>de</strong>n mögen. Engagierte klagen<br />

dagegen, dass Zeit ein Problem sei. Das korrespondiert mit <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>s<br />

Freiwilligensurvey (1999). Dort gab die Mehrheit (37%) <strong>de</strong>r Proban<strong>de</strong>n auf die<br />

Frage nach <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n für eine Beendigung freiwilligen Engagements <strong>de</strong>n zeitlichen<br />

Aufwand an. (vgl. v. Rosenbladt: 2001: 123) Zum Spaßfaktor lässt sich<br />

Ähnliches sagen. Auch dieser steht im Freiwilligensurvey (1999) an erster Stelle,<br />

wenn es um die Erwartungen in bezug auf freiwilliges Engagement geht. (ebd.,<br />

113). Zeitlicher Aufwand kann aber nicht nur als Überlastung interpretiert wer<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn auch als ein Detail verän<strong>de</strong>rter individueller Intentionen. An<strong>de</strong>rs gesagt,


­ 70 ­<br />

mit Zeitaufwand wird unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt einer Verpflichtung an<strong>de</strong>rs ungegangen.<br />

Das zeigt, dass sich auch bei <strong>de</strong>n Engagierten in <strong>de</strong>n Gewerkschaften die<br />

Motive verän<strong>de</strong>rt haben. Zu fragen ist also nicht einfach nach neuen Formen gewerkschaftlicher<br />

Arbeit, son<strong>de</strong>rn wie und ob diese Arbeitsformen außer auf neue<br />

Bedingungen verän<strong>de</strong>rter Verhältnisse einzugehen, auch auf verän<strong>de</strong>rte Bedürfnisse<br />

<strong>de</strong>r potentiell Engagierten einzugehen in <strong>de</strong>r Lage sind. Diese verän<strong>de</strong>rten<br />

Bedürfnisse und daraus resultieren<strong>de</strong>n Motive können natürlich mit <strong>de</strong>n Fragebogenergebnissen<br />

nur angerissen und gewichtet wer<strong>de</strong>n.<br />

Eine weitere Vermutung aus <strong>de</strong>r Befragung ist, dass <strong>de</strong>r organisatorische<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Gewerkschaften von Engagierten „neuen“Stils kaum genutzt wird<br />

(o<strong>de</strong>r genutzt wer<strong>de</strong>n kann). Zwar sehen die befragten Verwaltungsstellen­ bzw.<br />

Bezirksgeschäftstelleleiter noch große Ressourcen und Reserven für die ehrenamtliche<br />

Tätigkeit, bescheinigen <strong>de</strong>n potentiellen Engagierten aber oft ein Desinteresse.<br />

Um eigene Projekte zu kreieren, bleibt <strong>de</strong>r institutionellen Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft von <strong>de</strong>n ehrenamtlich Engagierten fast ungenutzt. Die Initiierung<br />

von Arbeitskreisen / Projekten erfolgt nahezu ausschließlich von Hauptamtlichen<br />

bzw. von Hauptamtlichen gemeinsam mit Ehrenamtlichen. Auch die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Sichtweisen zwischen Haupt­ und Ehrenamtlichen tragen <strong>hier</strong>zu offensichtlich<br />

bei. Den Ehrenamtlichen wird von Seiten <strong>de</strong>r Hauptamtlichen eine zu hohe Erwartungshaltung<br />

attestiert, worauf diese mit Reserviertheit reagieren. Das Eingehen<br />

auf die Projektvorschläge und Wünsche <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen be<strong>de</strong>ute am En<strong>de</strong> für<br />

die hauptamtlichen Mitarbeiter <strong>de</strong>n (zusätzlichen) Hauptteil <strong>de</strong>r Arbeit zu tragen.<br />

Vergleicht man die IG­Metall und die IG BAU, so sind innovative Projekte<br />

eher bei <strong>de</strong>r IG­Metall zu fin<strong>de</strong>n. So dominieren zwar bei <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rgewinnung<br />

die klassischen Rekrutierungsformen wie „persönliche Ansprache“, „Betriebsräte/Vertrauensleute“,<br />

„Versammlungen“und „Schulungen“, aber die Werbung von<br />

Mitglie<strong>de</strong>rn und Ehrenamtlichen erfolgt bei <strong>de</strong>r IG­Metall auch über das Internet<br />

und die Wohngebietsarbeit. Die Wohngebietsarbeit ist neben <strong>de</strong>r Arbeit mit Erwerbslosen<br />

ein neues Feld, in das die IG­Metall investiert. Allerdings gibt es <strong>hier</strong><br />

Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Einschätzungen <strong>de</strong>r befragten Geschäftsstellenleiter und <strong>de</strong>r<br />

Projektleiter. So fällt die Anzahl <strong>de</strong>r erwähnten Arbeitskreise / Projekte in <strong>de</strong>r<br />

„Wohngebietsarbeit“und <strong>de</strong>r „Arbeit mit Erwerbslosen“bei <strong>de</strong>n Arbeitskreis­/ Projektleitern<br />

höher aus als bei <strong>de</strong>n Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftstellenleitern.<br />

Diese Ten<strong>de</strong>nz ist auch bei <strong>de</strong>r IG BAU zu sehen, auch wenn <strong>hier</strong> diese<br />

Bereiche insgesamt weitaus geringer als bei <strong>de</strong>r IG­Metall ausfallen. Eine ähnliche<br />

Unterscheidung ist auch bei <strong>de</strong>r Frage nach Konflikten zu sehen. Hier bescheinigen<br />

die Verwaltungsstellen­ bzw. Bezirksgeschäftstellenleiter häufigere<br />

Konflikte als die Arbeitskreis­/ Projektleiter. Dabei ist die Differenz innerhalb <strong>de</strong>r<br />

IG BAU größer als in <strong>de</strong>r IG­Metall. Die Mehrheit konstatiert aber, dass Konflikte<br />

selten auftreten.<br />

Wie zu erwarten, ist <strong>de</strong>r größere Teil <strong>de</strong>r ehrenamtlich Engagierten in <strong>de</strong>n<br />

Arbeitskreisen / Projekten männlich (82%). 69% sind erwerbstätig und bis auf vier<br />

Ausnahmen sind alle Mitglied in <strong>de</strong>r Gewerkschaft. Die Mehrzahl <strong>de</strong>r ehrenamtlich<br />

Engagierten ist 60 Jahre und älter (63%), was mit <strong>de</strong>m hohen Anteil <strong>de</strong>r Seniorenarbeitskreise<br />

zusammenhängt.


­ 71 ­<br />

3. Erwerbslose und ehrenamtliches Engagement<br />

Frank Ernst<br />

3.1 Situation und Möglichkeiten<br />

Wür<strong>de</strong> man entlang <strong>de</strong>r Zeitachse die Frage stellen, wer sich am häufigsten<br />

engagiert, dann könnte man vermuten, dass es jene sind, die keiner Erwerbsarbeit<br />

nachgehen. Das sind neben Senioren und Vorruheständlern, Hausfrauen,<br />

Kranken, Behin<strong>de</strong>rten, Erwerbsunfähigen auch Erwerbslose. Letztere sind aber<br />

im Bereich Engagement unterrepräsentiert. Laut Freiwilligensurvey 1999 sind<br />

22% <strong>de</strong>r Erwerbslosen freiwillig engagiert. Der Anteil <strong>de</strong>r Vergleichgruppe <strong>de</strong>r 25­<br />

59 Jährigen liegt dabei bei 37%. Mehrfach engagiert sind 40% <strong>de</strong>r Teilgruppe <strong>de</strong>r<br />

Erwerbslosen, nahezu genauso viele wie in <strong>de</strong>r Gesamtgruppe (39%). Bei <strong>de</strong>r<br />

Frage nach potentiellem Mehrengagement dreht sich das Verhältnis um. Hier geben<br />

56% <strong>de</strong>r Teilgruppe <strong>de</strong>r Erwerbslosen an, ihr Engagement noch auszuweiten<br />

und weitere Aufgaben zu übernehmen, wenn sich etwas Interessantes böte. Bei<br />

<strong>de</strong>r Gesamtgruppe sind dies nur 31%.<br />

Erwerbslose sind laut dieser Studie in allen Engagementfel<strong>de</strong>rn unterrepräsentiert<br />

und insgesamt dort weniger beteiligt „wo es um das aktive Mitmachen<br />

... geht“. (v. Rosenbladt 2001: 69) Da es aber nicht an <strong>de</strong>r Engagementbereitschaft<br />

<strong>de</strong>r Erwerbslosen liege, „müssten Überlegungen zur stärkeren Einbeziehung<br />

von Arbeitslosen“auf dieser Ebene ansetzen. (ebd.) Eine zentrale Schwierigkeit<br />

besteht <strong>hier</strong>für jedoch in <strong>de</strong>m Merkmal <strong>de</strong>r biographischen Kontinuität <strong>de</strong>s<br />

Engagements. Die Mehrheit <strong>de</strong>r erwerbslosen Engagierten war schon vor <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit<br />

ehrenamtlich engagiert. Nur je<strong>de</strong>r Vierte hat sein Engagement erst<br />

in <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit aufgenommen. Von <strong>de</strong>nen, die schon vorher engagiert<br />

waren, hat je<strong>de</strong>r Vierte sein Engagement mit Beginn <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit ausgeweitet.<br />

Betrachtet man das Engagement von Erwerbslosen nach <strong>de</strong>r Verteilung in<br />

verschie<strong>de</strong>nen Bereichen, so sind im Bereich „berufliche Interessenvertretung“<br />

nur 4% <strong>de</strong>r Erwerbslosen aktiv. (<strong>de</strong>rs.: 68) 10% <strong>de</strong>r erwerbslosen Engagierten<br />

sind nach eigenen Angaben 20 mehr als 15 Stun<strong>de</strong>n pro Woche tätig. (<strong>de</strong>rs.: 66 ff.)<br />

Die Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Engagementquote zwischen <strong>de</strong>n alten und neuen<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn sind in <strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r Erwerbslosen marginal. In <strong>de</strong>n neuen<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn engagieren sich 22% <strong>de</strong>r Erwerbslosen, in <strong>de</strong>n alten Län<strong>de</strong>rn<br />

24%. Interessant ist auch, die Gewichtung <strong>de</strong>r Lebensbereiche zu betrachten. So<br />

wird laut Wohlfahrtssurvey 1998 <strong>de</strong>r Lebensbereich „Arbeit“in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

von 70% als „sehr wichtig“angesehen, in <strong>de</strong>n alten Län<strong>de</strong>rn dagegen<br />

nur von 50% <strong>de</strong>r Engagierten. 69% in <strong>de</strong>n neuen Län<strong>de</strong>rn schätzen „Einkommen“<br />

als „sehr wichtig“gegenüber 47% in <strong>de</strong>n alten Län<strong>de</strong>rn. „Erfolg im Beruf“beurteilen<br />

43% <strong>de</strong>r neuen Bun<strong>de</strong>sbürger als „sehr wichtig“, aber nur 30% in <strong>de</strong>n alten<br />

Län<strong>de</strong>rn. (Gensicke 2001a: 44 f.)<br />

In <strong>de</strong>n neuen Län<strong>de</strong>rn hat durch die Transformation die Infrastruktur <strong>de</strong>r<br />

aktiven Beteiligung ihre Grundlage verloren, „weil sie in erhöhtem Maße betriebs­<br />

20 „Nach eigenen Angaben“ist <strong>hier</strong> ein zu be<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>r Hinweis. Denn möglicherweise hat ein<br />

beträchtlicher Anteil <strong>de</strong>r Befragten die 15 Stun<strong>de</strong>n­Grenze beim Beantworten nicht überschritten,<br />

da diese ja bei Nichteinhalten die Leistungsansprüche <strong>de</strong>r Erwerbslosen gefähr<strong>de</strong>t.


­ 72 ­<br />

und institutionengebun<strong>de</strong>n war“. (Ders.: 106) Eine Organisations­ und Vereinsstruktur,<br />

die an die Stelle <strong>de</strong>r „in starkem Maße an Großbetriebe und staatlichen<br />

Institutionen gebun<strong>de</strong>nen Infrastruktur <strong>de</strong>r aktiven Beteiligung und <strong>de</strong>s Engagements“(ebd.)<br />

getreten ist, hat sich „auch längere Zeit nach <strong>de</strong>r staatlichen Vereinigung<br />

nicht entsprechend entwickelt“. (Ders. 2001b: 25)<br />

Tabelle 1 Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten lt. Freiwilligensurvey und Sozioökonomischem<br />

Panel 1999 in alten (einschl. Westberlin) und neuen (einschl. Ostberlin) Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

(in % <strong>de</strong>r Wohnbevölkerung ab 16 Jahren)<br />

Freiwilligensurvey<br />

SOEP<br />

West Ost West Ost<br />

insgesamt 35,5 28,4 30,8 24,0<br />

Erwerbsstatus<br />

erwerbstätig 38,5 33,0 34,9 29,3<br />

nicht erwerbstätig 31,9 23,2 25,7 18,3<br />

davon: arbeitslos 24,6 22,2 21,8 18,5<br />

Datenbasis: Dathe/Kistler 2002; Berechnungen nach Freiwilligensurvey (Personen­<br />

Gewichtungsfaktor) und SOEP (querschnittsgewichtet)<br />

Quelle: Enquete­Kommission 2002: 202<br />

Aus <strong>de</strong>m Befund, dass Arbeitslose unter <strong>de</strong>n Engagierten unterrepräsentiert<br />

sind, wird ein Zusammenhang zwischen sozialer Einbindung und Engagement<br />

abgeleitet. (vgl. Enquete­Kommission 2002: 27) Die Bereitschaft zum Engagement<br />

ist also ganz offensichtlich von <strong>de</strong>r sozialen Integration abhängig. Das<br />

wird umso plausibler, wenn man davon ausgeht, dass Erwerbslose von <strong>de</strong>r Ressource<br />

„Zeit“relativ viel zur Verfügung haben.<br />

Auch bei lokalen Projekten nach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r „Bürgerarbeit“lassen sich<br />

Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Gewinnung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern<br />

feststellen. (vgl. Jakob 2003: 67) Das wur<strong>de</strong> auch innerhalb <strong>de</strong>r „Fallstudie Küste“<br />

unserer eigenen Untersuchung bestätigt. So gab es nicht nur Schwierigkeiten (z.<br />

B. beim „Dau wat“e.V. Rostock) Erwerbslose für ehrenamtliche Tätigkeiten zu<br />

gewinnen, son<strong>de</strong>rn schon bei <strong>de</strong>n Versuchen, sie zu Informationsveranstaltungen<br />

einzula<strong>de</strong>n. Diese Veranstaltungen hatten nichts mit ehrenamtlichem Engagement<br />

zu tun. „Das Anliegen von „Dau wat“wäre ja auch, die Erwerbslosen vor<br />

allen Dingen zu erreichen. Aber die erreicht man eigentlich nicht.“(Zitat Experteninterview<br />

K, Rostock, 21.5.02) 21<br />

Ein Zusammenhang zwischen Engagement und Erwerbslosigkeit zeigt sich<br />

nicht zuletzt in <strong>de</strong>r Feststellung, dass sich Erwerbslose vorwiegend nur dann engagieren,<br />

wenn sie sich bereits während ihrer Erwerbstätigkeit engagiert haben.<br />

Ein Zugang zu bürgerschaftlichem Engagement ist aus <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit<br />

scheinbar schwieriger, wenn man in keine Engagementstrukturen eingebun<strong>de</strong>n<br />

ist. Dazu kommt, dass Erwerbslose, die vor ihrer Erwerbslosigkeit engagiert waren,<br />

ihr Engagement in <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit überdurchschnittlich häufig aufgeben.<br />

Die Enquete­Kommission hat keine Antworten auf dieses Phänomen: Erwerbslose<br />

hätten eine Reihe von Grün<strong>de</strong>n, sich zunächst weiter zu engagieren, dann a­<br />

ber das Engagement einzustellen. (Enquete­Kommission 2002: 205)<br />

Es ist aber nicht nur sinnvoll über För<strong>de</strong>r­ und Aktivierungsmöglichkeiten<br />

nachzu<strong>de</strong>nken, die dazu beitragen einen Abbruch <strong>de</strong>s Engagements zu verhin­<br />

21 Siehe dazu die Ausführungen im Kapitel 3.5, Fallstudie Küste.


­ 73 ­<br />

<strong>de</strong>rn. Überlegungen zur Erleichterung und Motivierung für eine Wie<strong>de</strong>raufnahme<br />

o<strong>de</strong>r Aufnahme von Engagement sind ebenso unabdingbar. Zumal „etwa 50% <strong>de</strong>r<br />

west<strong>de</strong>utschen und 46% <strong>de</strong>r ost<strong>de</strong>utschen Arbeitslosen (angeben), dass sie – ‚ja<br />

bzw. vielleicht’– zu <strong>de</strong>r Aufnahme eines Ehrenamtes bereit wären“. (dies.: 208)<br />

Tabelle 2 Ehrenamtliche Tätigkeiten insgesamt in <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn 1985, 1992,<br />

1999<br />

(in % <strong>de</strong>r Wohnbevölkerung ab 16 Jahre)<br />

1985 1992 1999<br />

insgesamt 22,7 25,5 30,8<br />

Erwerbsstatus<br />

erwerbstätig 27,6 28,0 334,9<br />

voll erwerbstätig 28,8 29,1 32,9<br />

teilzeitbeschäftigt 1 22,3 27,5 40,3<br />

geringfügig/unregelmäßig erwerbstätig 27,6 39,6 43,1<br />

nicht erwerbstätig 16,7 20,9 25,7<br />

arbeitslos gemel<strong>de</strong>t 13,6 13,4 21,8<br />

1 1985–92: Regelmäßig teilzeitbeschäftigt.<br />

Datenbasis: Dathe/Kistler 2002; Berechnungen nach SOEP (querschnittsgewichtet).<br />

Quelle: Enquete­Kommission 2002: 202<br />

Tabelle 3 Ehrenamtliche Tätigkeiten in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn 1992 und 1999<br />

(in % <strong>de</strong>r Wohnbevölkerung ab 16 Jahren)<br />

1992 1999<br />

insgesamt 17,5 24,0<br />

Erwerbsstatus<br />

erwerbstätig 21,7 29,3<br />

voll erwerbstätig 22,6 29,6<br />

teilzeitbeschäftigt 1 22,3 29,3<br />

geringfügig/unregelmäßig erwerbstätig ­ (24,8)*<br />

nicht erwerbstätig 12,1 18,3<br />

arbeitslos gemel<strong>de</strong>t 12,0 18,5<br />

1 1985–92: Regelmäßig teilzeitbeschäftigt; * Fallzahl unter 30; ­ Fallzahl unter 10.<br />

Datenbasis: SOEP (querschnittsgewichtet).<br />

Quelle: Enquete­Kommission 2002: 202<br />

Bei ehrenamtlichen Tätigkeiten ist im Zeitraum von 1985 bis 1999 generell<br />

eine Zunahme <strong>de</strong>s Engagements zu beobachten (vgl. Tabelle 2 u. 3). Diese Zunahme<br />

wird mancherorts jedoch auch kritisch hinterfragt und auf methodische<br />

Grün<strong>de</strong> zurückgeführt. So äußert sich zum Beispiel Braun (2001: 98) kritisch zu<br />

<strong>de</strong>n Ergebnissen steigen<strong>de</strong>r Engagementquoten und bezweifelt <strong>de</strong>ren Aussagekraft:<br />

„Neue Untersuchungs<strong>de</strong>signs, Definitionen und Erhebungskategorien (also<br />

Frageformulierungen und Bewertungen, was als ‚Engagement’gilt) führten dazu,<br />

dass Deutschland in die Champions­League aufstieg“. Weiterhin ist zu beachten,<br />

dass Arbeitslosigkeit sich nicht mehr vorrangig auf bestimmte Berufsgruppen bezieht,<br />

son<strong>de</strong>rn dass sie alle Berufsgruppen erfasst. Engagement und Engagementbereitschaft<br />

ist aber stärker in <strong>de</strong>n Berufsgruppen mit höheren Bildungsabschlüssen<br />

zu verzeichnen. Diese Berufsgruppen sind heute aber ebenfalls von<br />

hoher Arbeitslosigkeit betroffen, so dass sich ein Anstieg <strong>de</strong>s Engagements bei<br />

Erwerbslosen auch aus diesem Engagementpotential erklären lässt.


­ 74 ­<br />

Gera<strong>de</strong> in Zeiten verstärkter Arbeitslosigkeit rückt bürgerschaftliches Engagement<br />

als eine sinnhafte Betätigung außerhalb von Erwerbsarbeit in <strong>de</strong>n<br />

Blickpunkt. Es ist aber problematisch, bürgerschaftliches Engagement als Ersatz<br />

für fehlen<strong>de</strong> Erwerbsarbeit anzusehen. Denn dadurch wird die Spezifik bürgerschaftliches<br />

Engagement unterlaufen und sein Charakter aufgehoben. (vgl. Jakob<br />

2001) Hier entsteht eine beson<strong>de</strong>re Problematik: was kann bürgerschaftliches<br />

Engagement in <strong>de</strong>r Situation <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit überhaupt leisten? Einig ist<br />

man sich, dass Arbeitslose, und <strong>hier</strong> beson<strong>de</strong>rs Langzeitarbeitslose, von gesellschaftlicher<br />

Desintegration bedroht sind. Dies wirkt sich auch auf ihr Engagement<br />

aus. Prozesse <strong>de</strong>r Desintegration animieren nicht zu einem Engagement, son<strong>de</strong>rn<br />

beför<strong>de</strong>rn einen Abbau o<strong>de</strong>r hemmen eine Aufnahme engagementorientierter Aktivitäten.<br />

Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand sowie an gesellschaftlicher<br />

Partizipation wird vorrangig über die Integration in Erwerbsarbeit geleistet.<br />

Über zeitliche Ressourcen zu verfügen, um sich bürgerschaftlich engagieren zu<br />

können, reiche nach Jakob noch nicht aus. „Auch wenn sich die Erwerbsarbeit<br />

stark verän<strong>de</strong>rt hat (Zunahme flexibler und prekärer Arbeitsverhältnisse, Arbeitslosigkeit<br />

etc.) ist sie nach wie vor von zentraler Be<strong>de</strong>utung sowohl für die persönliche<br />

I<strong>de</strong>ntität und <strong>de</strong>n sozialen Status <strong>de</strong>r einzelnen als auch für ihre Partizipation<br />

an gesellschaftlichen Prozessen. Der Verlust von Erwerbsarbeit kann nicht einfach<br />

durch bürgerschaftliches Engagement kompensiert wer<strong>de</strong>n.“Dieser erfor<strong>de</strong>re<br />

eine innovative Arbeitsmarktpolitik. (Jakob 2003: 68 f.)<br />

Erwerbslosigkeit führt nicht nur zur Ausgrenzung am Arbeitsmarkt, sie kann<br />

auch zu sozialer Ausgrenzung durch Arbeitslosigkeit führen. (vgl. Kronauer/ Vogel<br />

1998) Bürgerschaftliches Engagement kann <strong>hier</strong> „die Integration in eine soziale<br />

Gemeinschaft (sichern helfen) und ... Gelegenheiten für sinnhaftes Han<strong>de</strong>ln außerhalb<br />

<strong>de</strong>r Erwerbsarbeit“bereitstellen. (Jakob 2003: 73) Die Autoren <strong>de</strong>s Endberichtes<br />

<strong>de</strong>r Enquete­Kommission argumentieren vor diesem Hintergrund und<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnis, dass soziales Kapital – also die Einbindung in soziale Netz­ und<br />

Kommunikationsstrukturen – bürgerschaftliches Engagement positiv beeinflusst,<br />

mit einer quasi ‚doppelten’Integrationsvoraussetzung. Diese müsste bei <strong>de</strong>r Engagementför<strong>de</strong>rung<br />

berücksichtigt wer<strong>de</strong>n. Denn nicht nur die Integration in Erwerbsarbeit<br />

sei von Be<strong>de</strong>utung, son<strong>de</strong>rn auch die „allgemeine soziale Integration“.<br />

„Es muss bei<strong>de</strong>s gegeben sein und bei<strong>de</strong>s geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n: Die Integration<br />

über Erwerbsarbeit und die allgemeine soziale Einbindung außerhalb <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit“.<br />

(Enquete­Kommission 2002c: 208) Auch wenn „eine stabile Erwerbstätigkeit<br />

... <strong>de</strong>r beste Garant für ein lang andauern<strong>de</strong>s Engagement zu sein<br />

scheint“(ebd.), so ist es doch nicht so, dass eine För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Engagements<br />

bei Erwerbslosen vernachlässigt wer<strong>de</strong>n darf, weil sie keine hohe ‚Engagementrendite’verspricht.<br />

Politik steht <strong>hier</strong> vor <strong>de</strong>r Aufgabe, soziale Integration zu sichern<br />

und zu ermöglichen. Den Engagierten dabei nur als freiwilligen Helfer zu<br />

sehen, wäre fatal. Denn gera<strong>de</strong> die hohe Arbeitslosigkeit schafft Kontingenzen<br />

gesellschaftlicher Desintegration und gefähr<strong>de</strong>t damit auch die Grundlagen <strong>de</strong>r<br />

Bürgergesellschaft, in<strong>de</strong>m sie Gefahr läuft, eine „gespaltene Bürgergesellschaft“<br />

zu produzieren. Dieses Problem besteht um so mehr, als sich bei <strong>de</strong>nen, die dauerhaft<br />

aus <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind, „Ten<strong>de</strong>nzen zur ‚Verfestigung<br />

von Arbeitslosigkeit zu einer mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r dauerhaften Soziallage’abzeichnen“.<br />

(Jakob 2003: 71) Diese Ten<strong>de</strong>nz ist in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn stärker<br />

ausgeprägt als in <strong>de</strong>n alten.


­ 75 ­<br />

Die Spezifik Ost<strong>de</strong>utschlands<br />

Die massiven Deindustrialisierungsprozesse im in Ost<strong>de</strong>utschland haben<br />

die Arbeitslosenquote in manchen Regionen bis zu 30% steigen lassen. In Orten<br />

mit einer solch hohen Arbeitslosigkeit gewinnt <strong>de</strong>r Zweite Arbeitsmarkt für die Arbeitssuchen<strong>de</strong>n<br />

eine zentrale Be<strong>de</strong>utung. Die Aussichtslosigkeit, in <strong>de</strong>n Ersten<br />

Arbeitsmarkt integriert zu wer<strong>de</strong>n, begünstigt ein ‚Pen<strong>de</strong>ln’zwischen Beschäftigungsmaßnahme<br />

und freiwilligem Engagement, führt aber auch dazu, dass die<br />

Grenzen zwischen bei<strong>de</strong>n unscharf wer<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements gehen Gemeinwohlorientierung<br />

und Selbstbezug eine neue Verbindung ein. Dieser Prozess<br />

wird aber gefähr<strong>de</strong>t, „wenn das Engagement in erster Linie als ‚Übergang’zur<br />

Erwerbsarbeit o<strong>de</strong>r gar als <strong>de</strong>ren ‚Ersatz’konstruiert wird. Dann geht dabei sein<br />

Eigensinn als bürgerschaftliche Aktivität, die auf biographischen Erfahrungen basiert<br />

und auf das Gemeinwesen bezogen ist, verloren.“(Jakob 2003: 79) Die<br />

Wahrscheinlichkeit, „dass sich gesellschaftliche Strukturen sozialer Beteiligung<br />

und sozialer Ausgrenzung auch im bürgerschaftlichen Engagement reproduzieren“nimmt<br />

dadurch zu. (dies.: 68)<br />

In <strong>de</strong>r Verbindung von bürgerschaftlichem Engagement und Arbeitslosigkeit<br />

zeichnen sich zwei Entwicklungen ab. Zum einen erweist sich die „’Nutzung’<br />

<strong>de</strong>s Engagements für die Bewältigung <strong>de</strong>r Auswirkungen einer hohen und dauerhaften<br />

Arbeitslosigkeit als funktional sowohl für die betroffenen Individuen als<br />

auch für das Gemeinwesen“. Zum an<strong>de</strong>rn „zeichnen sich aber auch Prozesse einer<br />

Instrumentalisierung und Zweckentfremdung <strong>de</strong>s Engagements ab“. (dies.:<br />

79) Somit ließen sich auch zwei Szenarien imaginieren. Ein „eigener ost<strong>de</strong>utscher<br />

Entwicklungspfad <strong>de</strong>r Herausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen“ aus <strong>de</strong>r<br />

Verbindung von Engagement und Arbeitslosigkeit. O<strong>de</strong>r das Fortschreiben einer<br />

‚Partizipationslücke’, in<strong>de</strong>m bürgerschaftliches Engagement „für die Bewältigung<br />

<strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit“zweckentfrem<strong>de</strong>t wird. (dies.: 80) Eine ermöglichen<strong>de</strong><br />

Politik müsse Rahmenbedingungen und Gelegenheitsstrukturen für ein<br />

Engagement schaffen. Stärker als bisher müssen die Engagierten „Möglichkeiten<br />

zur Mitsprache und Partizipation an politischen und verwaltungstechnischen Entscheidungsprozessen<br />

erhalten, die ihre Situation betreffen“. Das setze auch „eine<br />

stärkere Öffnung von Organisationen wie <strong>de</strong>n Gewerkschaften für die Belange <strong>de</strong>r<br />

Arbeitslosen voraus“. (dies.: 83)<br />

Kritisch ist m. E. die Problematik zu beurteilen, dass gera<strong>de</strong> in Ost<strong>de</strong>utschland<br />

Engagement als Strategie zur Bewältigung von Arbeitsmarktproblemen gedacht<br />

und genutzt wird, bei einer gleichzeitigen stärkeren Arbeitsmarktorientierung<br />

<strong>de</strong>r Betroffenen ­ nicht nur weil es eine höhere Arbeitslosenquote gibt, son<strong>de</strong>rn<br />

weil die Erwerbsorientierung ausgeprägter ist. (vgl. Jakob 2003, Mutz 2003)<br />

Wird das Engagement aber als Ersatzbeschäftigung gesehen, läuft es Gefahr,<br />

unbezahlte Erwerbsarbeit zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Wenn es als Ergänzung betrachtet wer<strong>de</strong>n soll, stellt sich die Frage, was<br />

es bei Erwerbslosen ergänzen kann? Wenn es als ergänzen<strong>de</strong>s Zeitsegment gedacht<br />

wird, dann muss es die Perspektive auf Erwerbsarbeit geben. Folglich sind<br />

auch die Orientierungen beim Engagement gera<strong>de</strong> bei Erwerbslosen auf Erwerbsarbeit<br />

gerichtet (als Qualifikation, als Ersatz, als Zugangsmöglichkeit). Immerhin<br />

wür<strong>de</strong>n sich 48% <strong>de</strong>jenigen, die in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn an einem


­ 76 ­<br />

Engagement interessiert sind, engagieren, wenn ihnen dieses beruflich nützt.<br />

(Gensicke 2001: 112) Das wirft die Frage auf, ob überhaupt in bezug auf die neuen<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r davon gesprochen wer<strong>de</strong>n kann, dass laut individualisierungstheoretischer<br />

Lesart die Erwerbszentriertheit nachlässt.<br />

Betrachtet man aber die weitgehen<strong>de</strong> Praxis <strong>de</strong>s Engagements bei Arbeitslosen<br />

– Qualifizierung, Wartezeitüberbrückung, Anschlüsse für <strong>de</strong>n Ersten und<br />

Zweiten Arbeitsmarkt herstellen –, dann scheint es, dass die Erwerbszentrierung<br />

nicht durch bürgerschaftliches Engagement aufgeweicht wird, son<strong>de</strong>rn umgekehrt,<br />

dass die Erwerbsorientierung sich das bürgerschaftliche Engagement einverleibt,<br />

weil es Partizipationsmöglichkeiten am Arbeitsmarkt offen hält, in <strong>de</strong>r Regel<br />

aber wie<strong>de</strong>r in die Spirale von Zweitem Arbeitsmarkt und freiwilliger Arbeit<br />

führt. Angestrebt wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel allerdings „Normalarbeitsverhältnisse“. Und<br />

wie schon im Begriff enthalten, sind es ‚normale’Arbeitsverhältnisse, welche als<br />

Regel begriffen wer<strong>de</strong>n und dies, obwohl ‚normale’Arbeitsverhältnisse für immer<br />

mehr Menschen schon lange nicht mehr die Regel sind.<br />

Zugespitzt lässt sich sagen, dass die Zentrierung auf Erwerbsarbeit nur da<br />

ab nimmt, wo die soziale Integration gesichert ist). Dies ist sie normalerweise<br />

durch Normalarbeitsverhältnisse, die ökonomische und soziale Sicherheit gewähren<br />

und damit auch I<strong>de</strong>ntität und Anerkennung. Und das bleibt sie dort, wo <strong>de</strong>r<br />

einzelne Rollenverständnisse, Anerkennungsformen und Status, die zentriert um<br />

Erwerbsarbeit sind, soweit in Frage stellen kann, ohne dadurch <strong>de</strong>r sozialen Integration<br />

verlustig zu gehen o<strong>de</strong>r sie zu gefähr<strong>de</strong>n. Dies ist zum Beispiel beim<br />

normierten und regelhaften Übergang vom Erwerbsleben in <strong>de</strong>n Ruhestand <strong>de</strong>r<br />

Fall (vgl. Wolf 1994). Wo solche Sicherheiten und institutionellen Entlastungen<br />

nicht vorhan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r erreichbar sind, wird die Erwerbslosigkeit nicht nur zum ö­<br />

konomischen Problem, son<strong>de</strong>rn stellt die soziale Integration in Frage, gefähr<strong>de</strong>t<br />

und zerstört sie. Hier wird die Zentrierung auf Erwerbsarbeit kontrafaktisch bestehen<br />

bleiben und sich eher noch festigen.<br />

Bürgerschaftliches Engagement wird an Erwerbsarbeit gemessen, weil ü­<br />

ber diese Anerkennung und Status zugewiesen wer<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r Aufwertung und<br />

Anerkennung von freiwilligem Engagement ist es <strong>de</strong>shalb nicht getan. Es besteht<br />

die Gefahr, dass bürgerschaftliches Engagement als Äquivalent zur Erwerbsarbeit<br />

gesehen wird. Voraussetzung für bürgerschaftliches Engagement ist zuallererst<br />

eine ökonomische Grundsicherheit, die es <strong>de</strong>n einzelnen ermöglicht, sich frei für<br />

ein Engagement zu entschei<strong>de</strong>n. Solange die ökonomische Sicherheit <strong>de</strong>r einzelnen<br />

unklar ist, wer<strong>de</strong>n sie doch im besten Fall bürgerschaftliches Engagement<br />

instrumentalisieren, um <strong>hier</strong>über mögliche Anschlüsse vor allem an <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt<br />

herzustellen und finanzielle Quellen zu fin<strong>de</strong>n. Um so höher die finanziellen<br />

Konsequenzen für die einzelnen, um so höher die eigene Instrumentalisierung<br />

ihres Engagements in bezug auf Erwerbsarbeit. Voraussetzung für eine wirklich<br />

freie Entscheidung ist aber die soziale Integration. Sinn und I<strong>de</strong>ntität im bürgerschaftlichen<br />

Engagement zu fin<strong>de</strong>n, bleibt fragil, weil diese (immer noch) fast ausschließlich<br />

über Erwerbarbeit hergestellt wer<strong>de</strong>n. Eine Erwerbszentrierung hebt<br />

sich nur dort auf, wo zwischen Tätigkeiten (Erwerbsarbeit, Eigenarbeit, bürgerschaftlichem<br />

Engagement) gewechselt wer<strong>de</strong>n kann, ohne die soziale Integration<br />

ernsthaft zu gefähr<strong>de</strong>n.<br />

Um einen Wechsel zwischen <strong>de</strong>n Tätigkeitsformen zu erleichtern, darf es<br />

nicht dabei bleiben, zu solchen Wechseln zu ermuntern und darauf zu vertrauen,


­ 77 ­<br />

dass es sich in bestimmten Gruppen – die es sich leisten können – durchsetzt,<br />

son<strong>de</strong>rn es bedarf <strong>hier</strong> gezielter För<strong>de</strong>rung und Ermöglichung. Diese sollte sich<br />

aber nicht in einer rechtlichen „Begleitung“eines solchen Prozesses erschöpfen,<br />

son<strong>de</strong>rn muss auch versuchen, die finanziellen Voraussetzungen dafür sicherzustellen.<br />

Es ist eine Politik gefor<strong>de</strong>rt, die dafür Sorge trägt, dass Erwerbsarbeit<br />

entwe<strong>de</strong>r so verteilt wird, dass nahezu alle darüber integriert wer<strong>de</strong>n können<br />

und/o<strong>de</strong>r die eine (gleichwertige) Aufwertung von bürgerschaftlichem Engagement<br />

betreibt.Solange aber Erwerbsarbeit diese uneingeschränkte Be<strong>de</strong>utung<br />

behält, wer<strong>de</strong>n sich eben vor allem Erwerbslose auch im bürgerschaftlichen Engagement<br />

in ihren Orientierungen auf Erwerbsarbeit orientieren. 22<br />

Eine Rhetorik, die ein ‚Recht auf Faulheit’abspricht, bedient die klassischen<br />

Stereotype. Sie bleibt allerdings auch in ihrem Han<strong>de</strong>ln konsequent, wenn<br />

sie <strong>de</strong>n ausgemachten „Hort <strong>de</strong>r Faulheit austrocknet“, in<strong>de</strong>m sie bei <strong>de</strong>n Arbeitslosen<br />

kürzt. Solch eine Politik verharrt in ihrem Denken in einer Erwerbszentrierung<br />

und kann sich <strong>de</strong>s Verdachts nicht entledigen, dass sie bürgerschaftliches<br />

Engagement instrumentalisiert, um finanzielle Engpässe und arbeitsmarktpolitische<br />

Probleme lösen zu wollen bei gleichzeitiger Aushöhlung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s „aktiven<br />

Bürgers“.<br />

3.2 Gewerkschaftliches Engagement im Zusammenhang mit Erwerbslosen<br />

3.2.1 Gewerkschaften und ehrenamtliches Engagement<br />

Gewerkschaften sind primär Organisationen <strong>de</strong>r Erwerbssphäre. Für die<br />

Gewerkschaften ergibt sich aus <strong>de</strong>m Zusammenhang von bürgerschaftlichem Engagement<br />

und Erwerbsarbeit die Frage, wie sie sich als Akteure <strong>de</strong>r Bürgergesellschaft<br />

betätigen können. Betrachtet man freiwilliges Engagement in bezug auf<br />

die Organisationsform, in <strong>de</strong>r es stattfin<strong>de</strong>t, so entfallen auf die Gewerkschaft lediglich<br />

2% <strong>de</strong>s Gesamtanteils. Das ist <strong>de</strong>r geringste Anteil unter <strong>de</strong>n Organisationen,<br />

welche ehrenamtliches Engagement ermöglichen. An erster Stelle steht <strong>hier</strong><br />

<strong>de</strong>r „Verein“mit 43%. Glie<strong>de</strong>rt man das Engagement innerhalb <strong>de</strong>r Organisationsform<br />

nach einzelnen Bereichen, so sind die Gewerkschaften in <strong>de</strong>m Bereich „berufliche<br />

Interessenvertretung“mit 38% vertreten. Das ist mehr als bei <strong>de</strong>r Organisationsform<br />

‚Verbän<strong>de</strong>’, die nur 27% in diesem Bereich aufweisen, bei einem Gesamtanteil<br />

<strong>de</strong>s Engagements von 7%. Sieht man sich zum Vergleich die Zahl <strong>de</strong>r<br />

aktiv Beteiligten geordnet nach verschie<strong>de</strong>nen gesellschaftlichen Bereichen an,<br />

so sind es <strong>hier</strong> 9%, die im Bereich berufliche Interessenvertretung außerhalb <strong>de</strong>s<br />

Betriebes tätig sind. (Zahlen nach v. Rosenbladt 2001: 41 u. 72)<br />

Das Selbstverständnis <strong>de</strong>r Gewerkschaften speist sich aus ihrer Funktion<br />

als Interessenvertretung von Arbeitnehmer/innen. Insofern gehören die Bereiche,<br />

in <strong>de</strong>nen bürgerschaftliches Engagement aktiv wird, nicht zu ihren klassischen<br />

Fel<strong>de</strong>rn. Gewerkschaftliche Aktivitäten konzentrieren sich auf Erwerbsarbeit. Eh­<br />

22 Im übrigen dient nicht je<strong>de</strong> Alimentierung wirklich <strong>de</strong>m Zweck <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements,<br />

so z. B. die Möglichkeit Jugendlicher, Anerkennungsnachweise für freiwilliges Engagement<br />

für Lehrstellen und Studienplätze im Sinne von selbstgewählten Praktika zu nutzen. Auch <strong>hier</strong><br />

besteht eine Instrumentalisierung im Sinne einer Erwerbszentrierung, die durch <strong>de</strong>n Ausbildungsplatzmangel<br />

verstärkt wer<strong>de</strong>n dürfte.


­ 78 ­<br />

renamtliches Engagement ist innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaften ein wichtiges und<br />

integriertes Moment. Es dient in erster Linie <strong>de</strong>n klassischen Funktionen gewerkschaftlicher<br />

Arbeit.<br />

Bürgerschaftliches Engagement meint jedoch mehr als eine Begriffserneuerung,<br />

die vor allem auf einen geän<strong>de</strong>rten Motivationswan<strong>de</strong>l eingeht. Es meint<br />

auch, dass neue Formen von Engagement, die spezifischen Lebenslagen und<br />

<strong>de</strong>n daraus entstehen<strong>de</strong>n Bedürfnissen und Interessen gerecht wer<strong>de</strong>n, im Rahmen<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaften ermöglicht wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

3.2.2 Wan<strong>de</strong>l und Bedingungen <strong>de</strong>s Engagements<br />

Wür<strong>de</strong> sich die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Gewerkschaften auf <strong>de</strong>n konstatierten<br />

Motivationswan<strong>de</strong>l bei <strong>de</strong>n ehrenamtlich Engagierten beschränken, so bliebe sie<br />

<strong>hier</strong> in <strong>de</strong>r Polarität von Angebot und Nachfrage befangen. Was muss geboten<br />

wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n nutzenorientierten und selbstentfaltungsbezogenen Mitglie<strong>de</strong>rn –<br />

die Mitgliedschaft nur noch als eine „partielle Inklusion“(Wiesenthal 1987) verstehen<br />

– eine ehrenamtliche Tätigkeit attraktiv zu machen? Diese und ähnliche Fragen<br />

gehen auf <strong>de</strong>n Umstand ein, dass Mitgliedschaft weniger traditionellen, gemeinschaftsbezogenen<br />

als immer mehr individualisierten Maßstäben folgt. Aus<br />

dieser Sichtweise heraus wird auch die Ten<strong>de</strong>nz plausibel, dass die Gewerkschaften<br />

zunehmend zum „Dienstleister“und die Mitglie<strong>de</strong>r zu „Kun<strong>de</strong>n“wer<strong>de</strong>n.<br />

Die (mögliche) Verengung dieser Sichtweise liegt darin, dass <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l individueller<br />

Motivationen im Brennpunkt <strong>de</strong>r Beobachtung liegt, während die gesellschaftlichen<br />

Gegebenheiten dabei als unverän<strong>de</strong>rt betrachtet bleiben. Diese individualisierungstheoretische<br />

Sichtweise setzt aber die unverän<strong>de</strong>rt vorhan<strong>de</strong>ne<br />

Integrationsoption über Erwerbsarbeit voraus. Dies zeigt sich z. B. beson<strong>de</strong>rs in<br />

<strong>de</strong>r Wertewan<strong>de</strong>lforschung. So seien beispielsweise nicht nur die Ansprüche an<br />

Arbeit gestiegen, son<strong>de</strong>rn auch die Zentrierung auf Erwerbsarbeit habe sich verän<strong>de</strong>rt.<br />

Statt von einer Arbeitsgesellschaft, könne man nun von einer „Freizeitbzw.<br />

Erlebnisgesellschaft“sprechen. Es geht <strong>hier</strong> nicht darum, diese These zu<br />

diskutieren. Sie soll nur ver<strong>de</strong>utlichen, dass ihre Annahmen auf <strong>de</strong>r Voraussetzung<br />

aufbauen, dass die Organisation von erwerblicher Arbeit unverän<strong>de</strong>rt besteht.<br />

Gera<strong>de</strong> diese Voraussetzung wird aber im arbeitsgesellschaftlichen Diskurs<br />

in Frage gestellt. Die Beobachtung, dass mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaften die Erwerbsarbeit<br />

ausgeht, stellt diese vor ganz vielschichtige Probleme. Zentral ist dabei<br />

die Frage nach <strong>de</strong>r sozialen Integration, die vorrangig über Erwerbsarbeit geleistet<br />

wird. Die Abnahme o<strong>de</strong>r die Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Erwerbszentrierung<br />

steht in einem engen Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r sozialen Integration.<br />

Wie kann soziale Integration bei zunehmen<strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit gewährleistet<br />

wer<strong>de</strong>n? Ist bürgerschaftliches Engagement ein Element welches <strong>hier</strong> einen<br />

Beitrag leisten kann? Dies interessiert beson<strong>de</strong>rs, da im vorliegen<strong>de</strong>n Kapitel unserer<br />

Untersuchung <strong>de</strong>r Zusammenhang von Erwerbslosigkeit und bürgerschaftlichem<br />

Engagement im Vor<strong>de</strong>rgrund steht.<br />

In an<strong>de</strong>rer Weise befasst sich Mutz (2003: 314ff.) mit diesen Fragen und<br />

i<strong>de</strong>ntifiziert beim Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements drei globale<br />

Trends. Als ersten Trend konstatiert er einen „Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s institutionellen Rahmens“.<br />

„In ähnlicher Weise wie sich die Organisation gesellschaftlicher Arbeit<br />

wan<strong>de</strong>lt, verän<strong>de</strong>rt sich auch die Organisation gesellschaftlichen Engagements“.


­ 79 ­<br />

(316) So sind neben die klassische Form <strong>de</strong>r verbandlichen Organisation bürgerschaftlichen<br />

Engagements neue Formen selbstorganisierter Zusammenschlüsse<br />

getreten. Das be<strong>de</strong>ute jedoch keineswegs, dass das „alte“Ehrenamt abgelöst<br />

wor<strong>de</strong>n sei. Statt <strong>de</strong>ssen seien neue Fel<strong>de</strong>r bürgerschaftlichen Engagements hinzugekommen.<br />

Ein zweiter Trend betrifft eine verän<strong>de</strong>rte Zusammensetzung <strong>de</strong>s Personenkreises,<br />

<strong>de</strong>r sich engagiert. Dies sei insbeson<strong>de</strong>re in selbstorganisierten Engagementfel<strong>de</strong>rn<br />

zu beobachten. Gut ausgebil<strong>de</strong>te Personen mit hoher Gestaltungskompetenz<br />

fühlen sich von diesen Bereichen eher angesprochen. Eine wichtige<br />

Rolle für die Aufnahme eines Engagements spiele <strong>de</strong>r Lebensabschnitt, die<br />

konkrete Lebenslage und die biografische Ausgangssituation.<br />

Der dritte Trend bezeichnet <strong>de</strong>n Motivationswan<strong>de</strong>l. Diesen leitet Mutz theoretisch<br />

her, da die empirischen Untersuchungen unzureichend seien. Hier bleibt<br />

vor allem festzustellen, dass Engagierte Verantwortung tragen, mitgestalten und<br />

entschei<strong>de</strong>n wollen. Dies tun sie lieber in selbstorganisierten Bereichen o<strong>de</strong>r sie<br />

versuchen, die charakteristischen Formen <strong>de</strong>r selbstbestimmten Aktivitäten in traditionelle<br />

Organisationen hineinzutragen.<br />

Nimmt man diese drei Trends als Folie, so lässt sich daran gut sehen, dass<br />

Überlegungen zum bürgerschaftlichen Engagement, die <strong>de</strong>n Fokus ausschließlich<br />

auf einen Motivationswan<strong>de</strong>l legen, zu kurz greifen. Das ist insbeson<strong>de</strong>re für Ost<strong>de</strong>utschland<br />

wichtig, da wir <strong>hier</strong> einerseits eine an<strong>de</strong>re Engagementtradition als in<br />

West<strong>de</strong>utschland und an<strong>de</strong>rerseits eine viel höhere Arbeitslosigkeit mit zum Teil<br />

weitgehen<strong>de</strong>ren Folgen beobachten können.<br />

Der von Jakob eingeführte Begriff <strong>de</strong>r „biografischen Passung“ist bei Überlegungen<br />

zum bürgerschaftlichem Engagement von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung. Jakob<br />

weist nach, dass „ein verbindliches, sinnhaftes Engagement nur dann zustan<strong>de</strong><br />

kommt, wenn direkte Bezüge zwischen <strong>de</strong>n biographischen Erfahrungen<br />

<strong>de</strong>r Engagierten und <strong>de</strong>n Engagementanfor<strong>de</strong>rungen hergestellt wer<strong>de</strong>n können“.<br />

(2001: 182) Gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r immer größer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Gruppe <strong>de</strong>r Erwerbslosen,<br />

die als Engagementpotential bei gleichzeitiger Unterrepräsentierung immer stärker<br />

in Betracht gezogen wird, ist die „biografische Passung“genau zu betrachten:„...<br />

die biografischen Erfahrungen <strong>de</strong>r Engagierten und eine ausgeprägte<br />

Aufmerksamkeit für die Belange in ihrem jeweiligen Umfeld“können dabei als Anknüpfungspunkte<br />

dienen. (Jakob 2003: 77)<br />

Für die Gewerkschaften als Akteure in <strong>de</strong>r Bürgergesellschaft erfor<strong>de</strong>rt dies<br />

eine Öffnung <strong>de</strong>r Organisation zur Bürgergesellschaft hin. Sie müssen stärker<br />

über die Arbeitswelt hinausgehen und sich mehr für die Belange von Arbeitslosen<br />

öffnen. Der Fokus meiner Betrachtung liegt auf bürgerschaftlichem Engagement<br />

von Erwerbslosen. Dabei wer<strong>de</strong>n, wie weiter oben schon erwähnt, Projekte innerhalb<br />

und außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft in die Betrachtung einbezogen. Das Feld,<br />

in <strong>de</strong>m sich gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit fin<strong>de</strong>t, wird als außerbetriebliche<br />

Gewerkschaftsarbeit (AGA) bezeichnet.<br />

3.2.3 Außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit (AGA)<br />

Außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit meint in erster Linie jenen Bereich,<br />

in <strong>de</strong>m Mitglie<strong>de</strong>r nicht mehr o<strong>de</strong>r erschwert über die betriebliche Gewerkschaftsarbeit<br />

erreichbar sind. Das betrifft vor allem die Mitglie<strong>de</strong>rgruppen <strong>de</strong>r Senioren<br />

und Vorruheständler, <strong>de</strong>r Jugendlichen, <strong>de</strong>r Erwerbslosen sowie <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r in


­ 80 ­<br />

kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit<br />

dient aber nicht nur <strong>de</strong>r Beratung und Betreuung von Mitglie<strong>de</strong>rn, son<strong>de</strong>rn soll<br />

auch Erwerbstätige – vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen – sowie<br />

Handwerksbetrieben erreichen. Hierbei sind drei Stichworte zentral: Mitglie<strong>de</strong>rbetreuung<br />

und ­beratung, Mitglie<strong>de</strong>rrückgewinnung und Mitglie<strong>de</strong>rgewinnung.<br />

Durch <strong>de</strong>n Anstieg <strong>de</strong>s Anteils von Mitglie<strong>de</strong>rn, die ohne betriebliche Anbindung<br />

sind, wird die Frage nach <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Organisation immer<br />

mehr zum Thema. 23 So hat beispielsweise die IG Metall auf diese Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />

mit <strong>de</strong>r Einrichtung einer eigenen Vorstandsabteilung im <strong>de</strong>r Bezeichnung<br />

„Außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit (AGA)“reagiert.<br />

Die Zielsetzungen, die in <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit formuliert<br />

sind, wur<strong>de</strong>n auch von <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n einzelnen Projekten/Arbeitskreisen,<br />

die an unserer schriftlichen Befragung teilnahmen, wi<strong>de</strong>rgespiegelt. So gaben die<br />

meisten Projekte/Arbeitskreise als Ziel ihrer Arbeit an: „Mitglie<strong>de</strong>rgewinnung“,<br />

„Mitglie<strong>de</strong>rbetreuung“und „Halten von Mitglie<strong>de</strong>rn“. Zielgruppen sind diejenigen,<br />

die entwe<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m betrieblichen Erwerbsleben ausgeschie<strong>de</strong>n sind (Senioren,<br />

Erwerbslose) bzw. noch nicht eingestiegen sind (Jugendliche) sowie diejenigen,<br />

die für die Gewerkschaft schwer erreichbar sind (Erwerbstätige in kleinen und<br />

mittleren Unternehmen).<br />

Um eine mitglie<strong>de</strong>rnahe Infrastruktur gewährleisten zu können, wur<strong>de</strong> innerhalb<br />

<strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit die ‚Wohngebietsarbeit’eingeführt.<br />

24 Über diese sollen Mitglie<strong>de</strong>r und potentielle Mitglie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n oben<br />

benannten Gruppen in ihrem unmittelbarem Wohnumfeld erreicht wer<strong>de</strong>n. Durch<br />

diese Öffnung <strong>de</strong>r Praxis gewerkschaftlicher Arbeit für lebensweltliche Themen<br />

wird erwartet, dass die Gewerkschaft bei <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn besser verankert wird.<br />

Das scheint um so drängen<strong>de</strong>r, als nicht nur die Mitglie<strong>de</strong>rzahlen sinken, son<strong>de</strong>rn<br />

sich auch die Zusammensetzung <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rt hat. So ist die Zahl <strong>de</strong>r<br />

nichterwerbstätigen Mitglie<strong>de</strong>r (Senioren, Vorruheständler, Erwerbslose) beträchtlich<br />

angestiegen. Durch einen Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r ökonomischen Strukturen sind zu<strong>de</strong>m<br />

Arbeitsverhältnisse hinzugekommen, die neben <strong>de</strong>r klassischen Form <strong>de</strong>s sogenannten<br />

Normalarbeitsverhältnisses bestehen. Selbständig abhängige, befristete,<br />

geringfügige Arbeitsverhältnisse etc. haben ebenfalls keinen unbeträchtlichen Einfluss<br />

auf die Mitgliedschaften.<br />

Hielscher sieht die Debatte um die Wohngebietsarbeit als Reflexion auf<br />

neue Herausfor<strong>de</strong>rungen für die Gewerkschaften. Nach ihm verfolgt <strong>de</strong>r Ansatz<br />

<strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Wohngebietsarbeit eine „organisationspolitische Perspektive,<br />

<strong>de</strong>ren Zielorientierung auf <strong>de</strong>r Ausweitung von Partizipation liegt und die die<br />

Stärkung o<strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rherstellung bzw. die Neubegründung <strong>de</strong>r Bindung zwischen<br />

Organisation und Mitglied in <strong>de</strong>n Mittelpunkt stellt.“(Hielscher 1999: 24) Die Debatte<br />

um die außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit und „die Praxisversuche zur<br />

gewerkschaftlichen Wohngebietsarbeit verweisen also auf einen Mo<strong>de</strong>rnisierungsansatz,<br />

mit <strong>de</strong>m die Begrenzungen sowohl <strong>de</strong>s betrieblichen Handlungsbe­<br />

23 So liegt <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r erwerbslosen Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r im IG­Metall Bezirk Küste bei<br />

15%. Das sind nur 3% weniger im Vergleich zu <strong>de</strong>n Senioren. Im Bran<strong>de</strong>nburg­Sachsen liegt <strong>de</strong>r<br />

Anteil <strong>de</strong>r erwerbslosen Mitglie<strong>de</strong>r gar bei 28%. Dagegen machen im Bezirk Ba<strong>de</strong>n­Württemberg<br />

die erwerbslosen Mitglie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r IG­Metall nur 6% aus. (Quelle: IG­Metall, Vorstandsbereich 09,<br />

Außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit, Stand Juli 2001)<br />

24 Zur Geschichte <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit vgl. das entsprechen<strong>de</strong> Kapitel in Richter et al. 1996.


­ 81 ­<br />

zuges als auch <strong>de</strong>s engen tarif­ und betriebspolitischen Themenbezuges überschritten<br />

wer<strong>de</strong>n sollen“. (<strong>de</strong>rs.: 16) Für die Fallstudien war die Wohngebietsarbeit<br />

unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit interessant. In <strong>de</strong>r<br />

Fallstudie Küste wur<strong>de</strong> daher ein Projekt ausgewählt, in <strong>de</strong>m die gewerkschaftliche<br />

Erwerbslosenarbeit in die Wohngebietsarbeit integriert ist.<br />

3.3 Die Fallstudien<br />

3.3.1 Einführung und Übersicht<br />

Im Zentrum <strong>de</strong>r Untersuchung zu ehrenamtlichen Engagement stehen die Intensivfallstudien<br />

„Küste“und „Stuttgart“. Diese wur<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>r Fokussierung auf<br />

erwerbslose und jugendliche Engagierte durchgeführt. Ausschlaggebend waren<br />

<strong>hier</strong> folgen<strong>de</strong> Bedingungen:<br />

• die Vergleichsebene zwischen alten und neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

• die unterschiedliche Engagementquote. In Ba<strong>de</strong>n­Württemberg wird die Engagementquote<br />

mit 40% angegeben und ist damit die höchste in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik.<br />

In Mecklenburg­Vorpommern liegt die Engagementquote bei 29%. 25<br />

Insgesamt sind die Quoten in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r geringer als in <strong>de</strong>n alten<br />

Län<strong>de</strong>rn. Mecklenburg­Vorpommern liegt insgesamt auf Platz 11 und innerhalb<br />

<strong>de</strong>r neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r an 3. Stelle. Die Engagementquoten sind<br />

nicht zuletzt auf eine unterschiedliche ehrenamtliche Tradition zurückzuführen.<br />

• die mehr o<strong>de</strong>r weniger erfolgreiche Etablierung bürgerschaftlichen Engagements,<br />

die sich im Verständnis <strong>de</strong>r engagierten Bürger sowie <strong>de</strong>r zuständigen<br />

Verwaltungsstellen (Experten/innen) spiegelt<br />

• Interviews und Gespräche, die außerhalb dieser Fallstudien durchgeführt wur<strong>de</strong>n,<br />

dienten zum einen <strong>de</strong>r Exploration und zum an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>m Vergleich sowie<br />

<strong>de</strong>r Ergänzung <strong>de</strong>r Ergebnisse <strong>de</strong>r Intensivfallstudien. Ergebnisse aus diesen<br />

Erhebungen wer<strong>de</strong>n <strong>hier</strong> nicht geson<strong>de</strong>rt dargestellt, son<strong>de</strong>rn in die Darstellung<br />

<strong>de</strong>r Erhebungen aus <strong>de</strong>n Intensivfallstudien mit einbezogen.<br />

Folgen<strong>de</strong> Interviews, Gespräche und Beobachtungen wur<strong>de</strong>n durchgeführt: 26<br />

Übersicht 3: Die Erhebungen<br />

Nr. Ort Wer/Was Erhebung<br />

1 Halle Freiwilligenagentur EI<br />

2 Halle Senioren­Kreativ­Verein EI<br />

3 Mag<strong>de</strong>burg Bürgerstiftung Sachsen­Anhalt EI (BI)<br />

4 Mag<strong>de</strong>burg Lan<strong>de</strong>skoordinierungsstelle Agenda 21 G<br />

5 Frankfurt/M IG­Metall, AbGA EI<br />

6 Hannover Arbeiterwohlfahrt (AWO) EI<br />

7 Düsseldorf Arbeit u. Leben e.V. Ex­GD<br />

Fallstudie Küste<br />

8 Schwerin Staatskanzlei Mecklenburg­Vorpommern EI<br />

25 Die Engagementquoten insgesamt liegen zwischen 24% (Berlin) und 40% (Ba<strong>de</strong>n­<br />

Württemberg), vgl. v. Rosenbladt 2001: 64.<br />

26 Insgesamt wur<strong>de</strong>n 8 Gruppendiskussionen und 27 Experten/inneninterviews durchgeführt und<br />

dokumentiert.


­ 82 ­<br />

9 Schwerin DGB­Jugend EI<br />

10 Schwerin „Dau wat“e.V./DGB EI<br />

11 Schwerin „Dau wat“e.V. GD<br />

12 Wismar Jugendberatungscafé „Come In“ EI, GD<br />

13 Stralsund „Dau wat“e.V. EI<br />

14 Rostock „Dau wat“e.V. 2 EI, GD,<br />

3 Beob, 3 G<br />

15 Rostock Verwaltungstelle IGM EI<br />

16 Rostock Ehrenamtsbörse „Marientreff“ GD, 2 G<br />

17 Rostock Jugendberatungscafé „Lunte“ EI<br />

18 Rostock Begegnungsstätte EI, Beob<br />

19 Rostock Soziales Fürsorgezentrum TI<br />

20 Rostock Arbeit u. Leben EI<br />

21 Greifswald Nachbarschaftsagentur TI<br />

22 Greifswald Verein für Nachbarschaftshilfe TI<br />

Feldstudie zum Arbeitstreffen gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen in Bad Orb<br />

23 Hannover Lan<strong>de</strong>sarbeitsgemeinschaft <strong>de</strong>r Arbeitslosenprojekte<br />

G<br />

in Nie<strong>de</strong>rsachsen (ZEPRA)<br />

24 Essen Erwerbslosenausschuss/ver.di EI<br />

25 Augsburg Arbeitsloseninitiative G<br />

26 Erfurt Arbeitslosen­Beratung­IGM G<br />

27 Chemnitz „Neue Arbeit“/Bürgerbüro G<br />

28 Eisenhüttenstadt „Haltestelle“/Arbeitslosenberatung­<br />

G<br />

Serviceeinrichtung<br />

29 Bielefeld Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosenprojekte<br />

EI<br />

(KOS)<br />

Fallstudie Stuttgart<br />

30 Stuttgart Verwaltungsstelle DGB EI<br />

31 Stuttgart DGB­Jugend EI, GD<br />

32 Stuttgart Ver.di­Jugend EI<br />

33 Stuttgart Interessenbörse TI<br />

34 Stuttgart Treffpunkt Senior TI<br />

35 Stuttgart Mehrwert­Agentur TI<br />

36 Stuttgart FrEE­Aka<strong>de</strong>mie TI<br />

37 Stuttgart Initiative Bürgerengagement in Stuttgart (IBIS; EI, Beob<br />

Freiwilligenvermittlung)<br />

38 Stuttgart Kontakt­ und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen<br />

EI, Beob<br />

(KISS)<br />

39 Stuttgart Stuttgarter Arbeitslosenzentrum SALZ e.V. EI, GD<br />

40 Stuttgart Lan<strong>de</strong>sbüro Ehrenamt (Kultusministerium) EI<br />

41 Stuttgart Geschäftsstelle bürgerschaftliches Engagement EI<br />

(Sozialministerium)<br />

42 Stuttgart Paritätisches Bildungswerk EI<br />

43 Esslingen Koordinierungsstelle bürgerschaftliches Engagement<br />

EI<br />

/Sozialamt<br />

44 Esslingen Forum Im Heppäcker GD, Beob<br />

Legen<strong>de</strong>:<br />

EI = Expert/inneninterview; GD = Gruppendiskussion; G = Gespräch; TI = Telefoninterview; Beob<br />

= Beobachtung; Ex­GD = Expert/innen­Gruppendiskussion<br />

Desweiteren wur<strong>de</strong>n diverse Telefonate mit gewerkschaftlichen Stellen geführt sowie teilnehmen<strong>de</strong><br />

Beobachtungen in <strong>de</strong>n einzelnen Arbeitsgruppen beim 16. Treffen gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen<br />

durchgeführt.


­ 83 ­<br />

3.3.2 Die Auswahl <strong>de</strong>r Fallstudien<br />

Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Auswahl sollten gewerkschaftliche Erwerbslosenprojekte<br />

stehen. Anhand dieser Auswahl wur<strong>de</strong> dann das Feld für die Intensivfallstudie<br />

bestimmt. Mit <strong>de</strong>r Intensivfallstudie I / Fallstudie Küste wur<strong>de</strong> anhand <strong>de</strong>r Expert/inn/en­Interviews<br />

(aus <strong>de</strong>r Gewerkschaft und <strong>de</strong>r Staatskanzlei Mecklenburg­<br />

Vorpommern) das Erwerbslosenprojekt <strong>de</strong>r „Dau wat“Vereine ausgewählt. Alle<br />

an<strong>de</strong>ren Einrichtungen bzw. Institutionen wur<strong>de</strong>n dann in diesem Feld eruiert<br />

Weitere Fallstudien sollten Vergleichsebenen und Kontrastierungsmöglichkeiten<br />

zur Intensivfallstudie I bieten. Hierzu wur<strong>de</strong> mit allen Erwerbslosenbeauftragten<br />

<strong>de</strong>r einzelnen beteiligten Gewerkschaften Kontakt aufgenommen. Weiterführen<strong>de</strong><br />

Hinweise erbrachten nur die Kontakte mit <strong>de</strong>r IG­Metall. Hierüber wur<strong>de</strong><br />

ein Kontakt zur Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosenprojekte in<br />

Bielefeld und ein Feldaufenthalt zur „16. Arbeitstagung gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen“in<br />

Bad Orb organisiert. So war es möglich, mit Erwerbslosenprojekten<br />

in einem Feldaufenthalt direkt Kontakt aufzunehmen und entsprechen<strong>de</strong><br />

Daten zu erheben. Es gelang auch, über Experten/inneninterviews geeignete Erwerbslosenprojekte<br />

auszuwählen, die für die Intensivfallstudie II in Frage kommen<br />

konnten. Von <strong>de</strong>n insgesamt sieben näher in Betracht kommen<strong>de</strong>n Projekten<br />

wur<strong>de</strong> das Stuttgarter Arbeitslosenzentrum SALZ e.V. ausgewählt.<br />

Übersicht 2: Die nähere Auswahl gewerkschaftlicher Erwerbslosenprojekte<br />

Ort Name Org.­Form Angebot gegrün<strong>de</strong>t<br />

Essen Erwerbslosenaus­schuss<br />

Arbeitskreis/<br />

– Gruppe/<br />

1999<br />

ver.di<br />

Initiative<br />

Hannover Arbeitskreis Arbeitslose<br />

Hannover­Lin<strong>de</strong>n<br />

Köln Kölner Arbeitslosenzentrum<br />

KALZ e.V.<br />

Moers<br />

Moerser Arbeitslosen­zentrum<br />

MALZ e.V.<br />

Stuttgart<br />

Stuttgarter Arbeitslosenzentrum<br />

SALZ e.V.<br />

Wetzlar Wetzlarer Arbeitsloseninitiative<br />

e.V.<br />

Arbeitslosenzentrum/ ­<br />

treff, Arbeitskreis, Gruppe,<br />

Initiative<br />

Beratungsstelle, Arbeitslosenzentrum/<br />

­<br />

treff, Beschäftigungs­<br />

/Qualifizierungsprojekt,<br />

e.V.<br />

Arbeitslosenzentrum/ ­<br />

treff<br />

Ol<strong>de</strong>nburg ALSO Arbeitslosenselbsthilfe<br />

Ol<strong>de</strong>nburg e.V.<br />

Beratungsstelle, Arbeitslosenzentrum/<br />

­<br />

treff, e.V.<br />

Beratungsstelle, Arbeitslosenzentrum/<br />

­<br />

treff, e.V.<br />

Beratungsstelle, Arbeitslosenzentrum/<br />

­<br />

treff, Arbeitskreis,<br />

Gruppe, Initiative<br />

Beratung auch für ausländische<br />

Ratsuchen<strong>de</strong>, Bildungs­<br />

und Freizeitangebote,<br />

Lobby­Restaurant<br />

Sozialabbau, Zweiter Arbeitsmarkt,<br />

Langzeitarbeitslose,<br />

Netzwerk Nie<strong>de</strong>rrhein:<br />

„Arbeit für alle“<br />

Zeitung, Rock­Theater, Kurse<br />

zum AFG u. BSHG,<br />

Stadtteilberatung<br />

Psychologische Beratung<br />

und Coaching nach Vereinbarung<br />

Gartenprojekt, Kultur u. Soziales<br />

gemeinsam präsentieren,<br />

Bewerbungsbüro, Arbeitslosencafé,<br />

aktuelle<br />

Projekte<br />

1998<br />

1983<br />

1986<br />

1982<br />

1985<br />

1989<br />

Das Stuttgarter Arbeitslosenzentrum SALZ e.V. ist nicht nur Arbeitslosentreff<br />

und ­zentrum, son<strong>de</strong>rn auch Beratungsstelle wie die „Dau wat“Vereine. Es


­ 84 ­<br />

ist schon seit Mitte <strong>de</strong>r 80er Jahre tätig und kann also auf eine langjährige Erfahrung<br />

zurückblicken. Und schließlich liegt es in <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn, eine für<br />

die Auswahl notwendige Tatsache, um die Vergleichsebene neue versus alte<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r zu gewährleisten.<br />

Wichtig für die Vergleichsebene war auch, dass SALZ ein Projekt in Ba<strong>de</strong>n­<br />

Württemberg ist. Dieses Bun<strong>de</strong>sland spielt in bezug auf bürgerschaftliches Engagement<br />

in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik eine Vorreiterrolle. Traditionell gibt es <strong>hier</strong> ein größeres<br />

Potential und eine größere Bereitschaft zu freiwilligem Engagement. Im<br />

Selbstverständnis <strong>de</strong>r Bürger haben sich im Sinne von bürgerschaftlichen Engagement<br />

in <strong>de</strong>n letzten Jahren, vor allem durch die Intervention <strong>de</strong>s dortigen Sozialministeriums,<br />

beobachtbare Verän<strong>de</strong>rungen ergeben. Parallel dazu haben sich<br />

auch För<strong>de</strong>rstrukturen und Netzwerkstrukturen entwickelt. (vgl. Sozialministerium<br />

Ba<strong>de</strong>n­Württemberg 2001)<br />

Die drastischen Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erwerbslosenquoten <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r<br />

und die damit bedingten Schwerpunkte für gewerkschaftliche Arbeit sowie<br />

die Statusunterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>ten eine weitere Kontrastierung.<br />

Diese vier zentralen Überlegungen veranlassten die Projektgruppe,<br />

<strong>de</strong>r Auswahl <strong>de</strong>s Arbeitslosenzentrums SALZ e.V. zuzustimmen. 27<br />

3.4 Intensivfallstudie I: „Fallstudie Küste“<br />

3.4.1 Auswahl <strong>de</strong>r Erhebungen<br />

Zu dieser Fallstudie gibt es verschie<strong>de</strong>ne Zugänge. Einen Anknüpfungspunkt<br />

bil<strong>de</strong>te die Staatskanzlei von Mecklenburg­Vorpommern in Schwerin mit<br />

<strong>de</strong>m Bürgerreferat. Von <strong>hier</strong> gab es verschie<strong>de</strong>ne Anknüpfungspunkte an weitere<br />

Projekte. Der an<strong>de</strong>re Zugang und zentrale Ausgangspunkt <strong>de</strong>r „Fallstudie Küste“<br />

liegt bei <strong>de</strong>n „Dau wat“Vereinen. Diese sind auf Anregung und mit Unterstützung<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaft an mehreren Orten im Bereich Küste gegrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n.28 Im<br />

Mittelpunkt <strong>de</strong>r „Fallstudie Küste“steht <strong>de</strong>r „Dau wat“e.V. Rostock. Der „Dau wat“<br />

e.V. Schwerin wird als Vergleichsebene herangezogen.<br />

Insgesamt gab es neun Tage Feldaufenthalt, davon waren fünf Tage in einem<br />

Feldaufenthalt konzentriert.<br />

Übersicht 4: Die einzelnen Institutionen in bezug zur Gewerkschaft<br />

Ort „Dau wat“ ­ Bezug Gewerkschaftsbezug außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

Schwerin<br />

Staatskanzlei, Bürgerreferat<br />

Schwerin „Aktion Strandgut“,<br />

DGB­Jugend­Nord<br />

Schwerin<br />

„Dau wat“e.V. Schwerin;<br />

Vereinsvorsitzen<strong>de</strong>r<br />

– DGB­Kreis Schwerin<br />

Schwerin<br />

„Viva Lüd“ Beratungsstelle<br />

und Begegnungs­<br />

27 Ausgewählte Übersichts­Skizzen zu <strong>de</strong>n Fallstudien befin<strong>de</strong>n sich im Anhang.<br />

28 Insgesamt gibt es neun „Dau wat“Vereine: Boizenburg, Greifswald, Güstrow (geschlossen),<br />

Neubran<strong>de</strong>nburg, Rostock, Schwerin, Stralsund, Wismar und Wolgast.


­ 85 ­<br />

stätte von „Dau wat“<br />

Rostock<br />

„Haltepunkt“Beratungsstelle<br />

und Begegnungsstätte<br />

von „Dau wat“<br />

Rostock IG­Metall, Vereinsvorsitz<br />

von „Dau wat“<br />

Rostock<br />

Rostock<br />

Rostock<br />

Rostock<br />

Wismar<br />

Stralsund<br />

Greifswald<br />

Jugendberatungscafé<br />

„Come In“<br />

„Dau wat“e.V.<br />

Soziales Fürsorgezentrum<br />

Begegnungsstätte<br />

Ehrenamtsbörse<br />

Jugendberatungscafé<br />

„Lunte“<br />

Nachbarschaftsagentur<br />

Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r „Fallstudie Küste“stehen die Gruppendiskussionen im<br />

„Dau wat“e.V. Rostock und Schwerin sowie die Gruppendiskussion <strong>de</strong>r Rostocker<br />

Ehrenamtsbörse „Marientreff“. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n Experten/inneninterviews,<br />

Gespräche und teilnehmen<strong>de</strong> Beobachtungen in diesen Einrichtungen durchgeführt.<br />

Darüber hinaus wur<strong>de</strong>n Experten/inneninterviews in an<strong>de</strong>ren Einrichtungen<br />

innerhalb <strong>de</strong>r „Fallstudie Küste“erhoben.29 In <strong>de</strong>r „Fallstudie Küste“wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Schwerpunkt <strong>de</strong>r Untersuchung auf die Gruppen <strong>de</strong>r Erwerbslosen und auf Jugendliche<br />

gelegt. Zu <strong>de</strong>n Ergebnissen, in <strong>de</strong>nen Jugendliche im Mittelpunkt stehen<br />

vgl. Kapitel 5.<br />

3.4.2 Die „Dau wat“Vereine als Teil <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit<br />

3.4.2.1 "Dau wat" e.V. Rostock und Wohngebietsarbeit<br />

„Dau wat“ist Platt<strong>de</strong>utsch und be<strong>de</strong>utet: tu was. In <strong>de</strong>n 90er Jahren sind<br />

insgesamt neun „Dau wat" Vereine im Bereich Küste (Mecklenburg­Vorpommern)<br />

von <strong>de</strong>n Gewerkschaften IG­Metall und ver.di initiiert wor<strong>de</strong>n. Ab 1996 hat sich<br />

das Land mit eigenen finanziellen Mitteln aus <strong>de</strong>m AQMV­Programm (Arbeit und<br />

Qualifizierung für Mecklenburg­Vorpommern)30 beteiligt. Die Absicht war dabei,<br />

Ausgründungen aus <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n „Dau wat" Vereinen entwickelten Projekten zu<br />

för<strong>de</strong>rn. Der Lan<strong>de</strong>sverband wur<strong>de</strong> gegrün<strong>de</strong>t, um die ersten vier „Dau wat“Vereine<br />

zu koordinieren. Über diesen wur<strong>de</strong>n zwei Koordinierungsstellen und vier<br />

Regionalleiter finanziert. Das Mo<strong>de</strong>ll­Projekt Rostock wur<strong>de</strong> vom Land finanziert.<br />

Die Finanzierung <strong>de</strong>r einzelnen Mitarbeiter/innen vor Ort wur<strong>de</strong> über das Arbeitsamt<br />

bzw. Versorgungsamt bewerkstelligt (öffentliche För<strong>de</strong>rung). Kontakte<br />

29 Insgesamt wur<strong>de</strong>n 15 Diskussionen und Gespräche durchgeführt: drei Gruppendiskussionen<br />

und sieben Expert/innenintervies im Erwerbslosenbereich, zwei Gruppendiskussionen und drei<br />

Expert/inneninterviews im Jugendbereich.<br />

30 In diesem arbeitspolitischen Lan<strong>de</strong>sprogramm wur<strong>de</strong>n sechs „Stammstellen“(vollfinanzierte<br />

Stellen) geför<strong>de</strong>rt. Ab 40 ABM­Beschäftigte gibt es eine „Stammstelle“. Diese Lan<strong>de</strong>sfinanzierung<br />

ist nach Expertenauskunft zusammengebrochen, so dass die festen Stellen mittlerweile weggefallen<br />

sind. Das neue Finanzierungsprogramm <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s ist das ASP (Arbeitsmarkt­ und Strukturentwicklungsprogramm).


­ 86 ­<br />

gab es zu „Dau wat" e.V. Rostock, Schwerin und Stralsund. Im Zentrum <strong>de</strong>r Betrachtung<br />

steht <strong>de</strong>r „Dau wat" e.V. Rostock31, <strong>de</strong>r 1991gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>.<br />

Der Verein wird als „gewerkschaftliche Arbeitslosenbetreuung“ausgewiesen. So<br />

ist es auf <strong>de</strong>n Flyern und Broschüren von „Dau wat" zu lesen. Das Aufgabenfeld<br />

ist aber viel weiter gesteckt. Im Internet und auf Faltblättern wirbt „Dau wat" mit:<br />

• Informationen über Arbeitsför<strong>de</strong>rungsrecht, ABM, Arbeitslosengeld, Arbeitslosen­<br />

und Sozialhilfe<br />

• Hilfe beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen, Schreiben von Wi<strong>de</strong>rsprüchen,<br />

Ausfüllen von Anträgen, Umgang mit Behör<strong>de</strong>n<br />

• Durchführung von Informationsveranstaltungen, Seminaren, Klönsnack, Projektarbeit,<br />

Sportveranstaltungen, Kin<strong>de</strong>rferienlagern, Wohnbereichsarbeit<br />

• Mitarbeit und Beteiligung in Interessen­ und Selbsthilfegruppen<br />

Im Rostocker „Dau wat" sind zur Zeit acht Mitarbeiter/innen tätig: drei GAP­<br />

(gemeinwohlorientierte Arbeitsför<strong>de</strong>rprojekte) (3 Jahre), drei SAM­ (3 Jahre) und<br />

zwei ABM­Beschäftigte (1Jahr).<br />

Die Mitarbeiter/innen benennen folgen<strong>de</strong> Projektarbeit, die im „Dau wat"<br />

stattfin<strong>de</strong>t:<br />

• Beratung und Betreuung von Erwerbslosen<br />

o Informationsveranstaltungen für Bildungsträger (Erwerbslosenklassen)<br />

o Interessengruppen (Wan<strong>de</strong>rn, Kegeln, Bowling, kreatives Gestalten<br />

­ Töpfern, Weben, Sei<strong>de</strong>nmalerei)<br />

• Klönsnack<br />

• Schmarler Gespräche (Stadtteilgespräche mit an<strong>de</strong>ren Vereinen)<br />

• Selbsthilfewerkstätten (gemeinwohlorientierte Hilfe zur Selbsthilfe)<br />

• Computerunterweisungen<br />

• Computerkurs/Internet für Jugendliche<br />

• Kin<strong>de</strong>rferienlager (zusammen mit allen „Dau wat“Vereinen)<br />

• Erwerbslosenfrühstück (monatlich)<br />

Die Mitarbeiter/innen von „Dau wat" wer<strong>de</strong>n über <strong>de</strong>n Zweiten Arbeitsmarkt<br />

finanziert. Fast alle waren vorher in <strong>de</strong>r Fischerei­ und Werftindustrie beschäftigt.<br />

Die meisten von ihnen haben Hochschulabschlüsse im technischen bzw. ökonomischen<br />

o<strong>de</strong>r im pädagogischen Bereich (wie z. B. Maschinenbauingenieur/in auf<br />

<strong>de</strong>r Neptun­Werft, Ingenieurökonom/in im Fischkombinat o<strong>de</strong>r Lehrer/in). Ein<br />

Hochschulabschluss ist Voraussetzung, um als Sozialberater/in tätig zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Mitarbeiter/innen sind von <strong>de</strong>n Massenentlassungen nach <strong>de</strong>r Schließung<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m dramatischen Abbau von Arbeitsplätzen in <strong>de</strong>n Großbetrieben vor Ort<br />

ebenfalls betroffen und kennen Passagen <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit, was sie als Vorteil<br />

für ihre jetzige Tätigkeit ansehen.<br />

Diese Erfahrung [<strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit, Anm. F.Ernst] ist ganz wichtig, um<br />

diese Arbeit <strong>hier</strong> machen zu können, um sich in die Menschen hineinversetzen zu<br />

können.(Expertinneninterview „Dau wat“) 32<br />

31 Im folgen<strong>de</strong>n Text steht die Bezeichnung „Dau wat“ohne weiteren Angaben allein für <strong>de</strong>n „Dau<br />

wat" e.V. Rostock.<br />

32 Alle Zitate aus <strong>de</strong>n Interviews und Gruppendiskussionen sind im Folgen<strong>de</strong>n kursiv gekennzeichnet.


­ 87 ­<br />

Um die Beratungs­ und Betreuungstätigkeit im „Dau wat" professionell<br />

ausüben zu können, haben die Mitarbeiter/innen Umschulungen im Sozialbereich<br />

und/o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Rechtsberatung absolviert. So sei es mittlerweile nicht selten,<br />

dass das Arbeitsamt bei ihnen anrufe, um sich über bestimmte Probleme Antworten<br />

einzuholen.<br />

Die Leute sind qualifizierter als mancher Rechtsschutzsekretär, gera<strong>de</strong> was<br />

solche Instrumente wie Sozialgesetzgebung anbetrifft.(Experteninterview IGM­<br />

Rostock)<br />

Die hohe Professionalität <strong>de</strong>s Personals allein reichte aber zu Beginn <strong>de</strong>s<br />

„Dau wat" Projektes nicht aus, <strong>de</strong>nn die Angebote wur<strong>de</strong>n kaum wahrgenommen.<br />

Das lag nach Meinung <strong>de</strong>r IG­Metall Rostock an <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Erfahrung und an<br />

<strong>de</strong>r Konzeptionslosigkeit <strong>de</strong>r außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit, in die das<br />

„Dau wat" Projekt eingebettet ist. Diese Konzeptionslosigkeit lässt sich vor Ort auf<br />

folgen<strong>de</strong>n Sachverhalt zurückführen. Die außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit<br />

war unterentwickelt, weil <strong>de</strong>ren Notwendigkeit nicht gesehen wur<strong>de</strong>. Sie habe e­<br />

her die Funktion einer „Feigenblattrolle“gehabt. Man setzte auf an<strong>de</strong>re Konzepte.<br />

Wir haben dann diese Auffanggesellschaften gebil<strong>de</strong>t, quasi mit <strong>de</strong>r Verbindung<br />

<strong>de</strong>s Instrumentariums <strong>de</strong>s AFG, Qualifizieren statt Entlassen, teilweise<br />

auch mit einer naiven Vorstellung. Wir schulen die alle um und hinterher fin<strong>de</strong>n<br />

die in an<strong>de</strong>ren Branchen Arbeit, die es überhaupt nicht gibt <strong>hier</strong>. Und die Kerne,<br />

die erhalten bleiben, wer<strong>de</strong>n dann möglicherweise so viel an Synergieeffekten<br />

auslösen, dass sich rundherum eine neue Beschäftigungsperspektive entwickelt.<br />

(...) Aber das <strong>bitte</strong>re Erwachen kam dann, nach<strong>de</strong>m eben halt das, was man sich<br />

so gerne gewünscht hat, eben halt nicht passiert ist. Es hat keine maßgeblichen<br />

Beschäftigungsalternativen gegeben und soweit trat massenhaft Arbeitslosigkeit<br />

ein. (Ders.)<br />

Daraus resultierte für die Gewerkschaft noch ein an<strong>de</strong>res Folgeproblem.<br />

Da sie in <strong>de</strong>n Umbau <strong>de</strong>s regionalen Arbeitsmarktes eingebun<strong>de</strong>n war, wur<strong>de</strong> sie<br />

für <strong>de</strong>n Exodus mit verantwortlich gemacht. Mit zunehmen<strong>de</strong>r Perspektivlosigkeit<br />

<strong>de</strong>r Betroffenen wuchs <strong>de</strong>ren Misstrauen gegenüber <strong>de</strong>r Gewerkschaft. Das hatte<br />

massenhafte Mitglie<strong>de</strong>rverluste zur Folge.<br />

In <strong>de</strong>r Folgekette: Arbeitsplatzverlust, Glaubwürdigkeitsverlust, Hoffnungsverlust,<br />

Mitgliedschaftsverlust. (...)<br />

Wir haben dann sehr früh darüber nachgedacht, was bieten wir <strong>de</strong>n Menschen<br />

an, an sozialem Zusammenhalt, an Bün<strong>de</strong>lung, an Kampagnefähigkeit, an Politikfähigkeit.(Ders.)<br />

Diese Situation war ausschlaggebend für eine Gewerkschaftspolitik, die<br />

sich einer völlig verän<strong>de</strong>rten Arbeitsmarktsituation gegenüber sah und die hohe<br />

Mitglie<strong>de</strong>rverluste nach sich zog. Es ging dabei nicht nur um die Angebote, die<br />

<strong>de</strong>n Menschen gemacht wer<strong>de</strong>n sollten, son<strong>de</strong>rn auch darum, wie diese außerhalb<br />

<strong>de</strong>r betrieblichen Strukturen zu erreichen sind. Dazu war es auch innerhalb<br />

<strong>de</strong>r IG­Metall notwendig, „klar zu machen, das auch die an<strong>de</strong>re Hälfte <strong>de</strong>r Mitgliedschaft<br />

einen Anspruch auf Beteiligung, auch auf politische Beteiligung und<br />

natürlich auch auf Integration hat.“(Experteninterview IGM Rostock). Die Rostocker<br />

Verwaltungsstelle versteht ihre außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit als<br />

„integrierte Gewerkschaftsarbeit“und meint damit die Verbindung von betrieblicher<br />

und außerbetrieblicher Gewerkschaftsarbeit. Um dieses Anliegen umsetzen<br />

zu können, sei es wichtig gewesen Strukturen aufzubauen, die wohnbereichsbe­


­ 88 ­<br />

zogen sind. „Dau wat" wird in diesem Zusammenhang als Teil <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit<br />

verstan<strong>de</strong>n.<br />

1999 zog „Dau wat" in ein mit ehrenamtlicher Hilfe als „Kommunikationsund<br />

Beteiligungszentrum“hergerichtetes ehemaliges Bahnhofshäuschen. Dieses<br />

liegt mitten in einem Wohngebiet <strong>de</strong>s Rostocker Nordwestens (Plattenbausiedlung)<br />

und firmiert nun unter <strong>de</strong>m Namen „Haltepunkt“. Die Bezeichnung „Kommunikations­<br />

und Beteiligungszentrum“ist Programm. Sie verweist auf die Offenheit<br />

<strong>de</strong>s Zentrums, das nicht nur Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Gewerkschaften offen stehen soll und<br />

verfolgt die I<strong>de</strong>e, dass die Menschen „wie<strong>de</strong>r anfangen miteinan<strong>de</strong>r zu re<strong>de</strong>n und<br />

die Sprachlosigkeit untereinan<strong>de</strong>r zu verlieren“. (Experteninterview IGM Rostock)<br />

Im „Haltepunkt“wer<strong>de</strong>n nicht nur Beratungsgespräche33 durchgeführt. Hier<br />

fin<strong>de</strong>n auch Vortragsreihen, Informationsveranstaltungen, Versammlungen und<br />

die stadtteilbezogenen „Schmarler Gespräche“mit an<strong>de</strong>ren Vereinen und Einrichtungen<br />

statt. Die Interessengruppen treffen sich <strong>hier</strong>, das Beratungsteam (B­<br />

Team) hat <strong>hier</strong> einen Raum und die IG­Metall Jugend trifft sich im eigens eingerichteten<br />

Keller <strong>de</strong>s Hauses. Im Hof befin<strong>de</strong>n sich die Selbsthilfewerkstätten. Darüber<br />

hinaus ist <strong>de</strong>r Hof so hergerichtet, dass Veranstaltungen und Feste ausgerichtet<br />

wer<strong>de</strong>n können.34<br />

Mittlerweile hat sich „Dau wat" als feste Einrichtung etabliert. Das beruht<br />

auf <strong>de</strong>r Verbindung verschie<strong>de</strong>ner Voraussetzungen und Bedingungen:<br />

• Die Arbeit von „Dau wat" ist wohnbereichsbezogen und an <strong>de</strong>n Bedürfnissen<br />

<strong>de</strong>r einzelnen orientiert.<br />

• „Dat wat“ist auch für Nicht­Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gewerkschaften offen<br />

• Mit <strong>de</strong>m dafür geschaffenen „Beteiligungs­ und Kommunikationszentrum“wird<br />

dieser Arbeit auch Symbolkraft verliehen.<br />

• Die Mitarbeiter/innen von „Dau wat“kennzeichnet hohe Professionalität<br />

und großes Engagement<br />

• „Dau wat“erhält Unterstützung durch die IG­Metall und ver.di, die <strong>de</strong>m<br />

Aufbau außerbetrieblicher Strukturen großes Gewicht beimessen.<br />

• Die Unterstützung durch die IG­Metall wird von <strong>de</strong>n Mitarbeiter/innen<br />

von „Dau wat" hervorgehoben. Ohne diese wäre eine Arbeit, wie sie sie<br />

<strong>hier</strong> ausführen gar nicht möglich. Damit ist nicht nur die technische und<br />

finanzielle Unterstützung gemeint, son<strong>de</strong>rn vor allem die strukturelle.<br />

Diese sei nach Auskunft <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r IG­Metall aber sehr personenabhängig.<br />

Das lässt sich am Beispiel Rostock gut ver<strong>de</strong>utlichen. Außerbetriebliche<br />

Gewerkschaftsarbeit wird <strong>hier</strong> nicht nur als Beratungs­ und Betreuungsarbeit aufgefasst,<br />

son<strong>de</strong>rn als Beteiligungsmöglichkeit für „die an<strong>de</strong>re Hälfte“(die aus <strong>de</strong>r<br />

Erwerbsarbeit Ausgegrenzten). Dieser Unterschied ist nicht nur ein lapidar begrifflicher,<br />

son<strong>de</strong>rn er verweist auf unterschiedliche Auffassungen und Konzepte.<br />

Daraus leiten sich verschie<strong>de</strong>ne Verständnisse ab, welche sich in <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung<br />

manifestieren, die man <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit zumisst. Geht<br />

man über die Auffassung einer Beratungs­ und Betreuungsarbeit nicht hinaus, so<br />

zieht das auch eine begrenzte Angebotsstruktur nach sich. Aus Sicht einer ge­<br />

33 Einmal wöchentlich führt "Dau wat" zusätzlich im Gewerkschaftshaus im Stadtzentrum Beratungsgespräche<br />

durch.<br />

34 Die Stiftung für „Solidarität und Armut“hat 2000 <strong>de</strong>n Rostocker "Dau wat" e. V. von 74 Bewerbern<br />

ausgewählt und ausgezeichnet.


­ 89 ­<br />

werkschaftlichen Beteiligungsperspektive müssen darüber hinaus Angebote offerieren<br />

wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n einzelnen die Chance von Teilhabe bietet. Dabei kommt<br />

sie letzten En<strong>de</strong>s nicht umhin, an <strong>de</strong>n konkreten alltäglichen Interessen und Bedürfnissen<br />

anzusetzen. Sie muss einer Öffnung für Belange, die außerhalb <strong>de</strong>r<br />

Erwerbsarbeit liegen, das Wort re<strong>de</strong>n.<br />

Der Unterschied bei<strong>de</strong>r Perspektiven besteht nicht in verschie<strong>de</strong>nen Auffassungen<br />

in <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung von Mitgliedschaften. Es wäre eine verkürzte Sicht,<br />

anzunehmen, dass es sich dabei um moralisch divergieren<strong>de</strong> Einschätzungen<br />

han<strong>de</strong>lt. Denn aus Sicht <strong>de</strong>r Beteiligungsperspektive geht es nicht einfach darum,<br />

sozialmoralischen Ansprüchen in einer von Erwerbslosigkeit gekennzeichneten<br />

Zeit gerecht zu wer<strong>de</strong>n. Auch <strong>hier</strong> steht das Problem <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rverluste im<br />

Mittelpunkt. Das Ziel, Mitglie<strong>de</strong>r zu gewinnen und zu halten, steht einer Öffnung<br />

für außerbetriebliche Belange nicht entgegen. Nur können diese sich eben nicht in<br />

Beratung und Betreuung von aus <strong>de</strong>m Erwerbsleben ausgeschie<strong>de</strong>nen Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

erschöpfen. Die einigen<strong>de</strong> Frage ist, wie können Mitglie<strong>de</strong>rverluste verhin<strong>de</strong>rt<br />

und neue Mitglie<strong>de</strong>r gewonnen wer<strong>de</strong>n? Die Beratungs­ und Beteiligungsperspektive<br />

bleibt <strong>hier</strong> in <strong>de</strong>n Denkmustern <strong>de</strong>r Erwerbsgesellschaft gefangen. D. h.<br />

nicht, dass perspektivisch an eine Vollbeschäftigung geglaubt wird. Sie hat die<br />

Situation einer hohen Dauerarbeitslosigkeit aber nicht als Status Quo in ihr<br />

Selbstverständnis integriert. Beratung­ und Betreuung reicht für Erwerbslose, die<br />

sich perspektivisch höchstens am Zweiten Arbeitsmarkt orientieren können, nicht<br />

aus, um an die Gewerkschaften gebun<strong>de</strong>n zu bleiben bzw. um für diese gewonnen<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Die Beteiligungsperspektive setzt dagegen am Status Quo <strong>de</strong>r<br />

Unterbeschäftigung an. Sie stellt von <strong>hier</strong> aus die Frage, wie können Mitglie<strong>de</strong>r<br />

und potentielle Mitglie<strong>de</strong>r, die dauerhaft aus <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit ausgegrenzt sind,<br />

in die Gewerkschaften integriert wer<strong>de</strong>n?<br />

Der Erwartung an die Gewerkschaften, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen,<br />

kann diese nicht gerecht wer<strong>de</strong>n. Sie kann auch nur sehr bedingt <strong>de</strong>n<br />

massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen verhin<strong>de</strong>rn. Das wirft – neben <strong>de</strong>m daraus<br />

resultieren<strong>de</strong>n Vertrauensverlust ­ eine generelle Frage für die Gewerkschaften<br />

auf: Wie kann sie ihre gesellschaftspolitische Macht, die nicht zuletzt von ihren<br />

Mitglie<strong>de</strong>rzahlen abhängt, gewährleisten, wenn Erwerbsarbeit sukzessive abnimmt?<br />

Antworten liegen in <strong>de</strong>n Überlegungen, die eine Beteiligungsperspektive<br />

eröffnet.<br />

Diese unterschiedlichen Verständnisse spiegeln sich auch im Verständnis<br />

zu ehrenamtlicher Arbeit. Sollen ehrenamtliche Tätigkeiten mehr sein als<br />

Hilfs(dienst­) leistungen, die die Arbeit <strong>de</strong>r Hauptamtlichen unterstützen? Diese<br />

Diskrepanz fin<strong>de</strong>t sich nicht nur zwischen „altem“und „neuem“Ehrenamt, son<strong>de</strong>rn<br />

auch innerhalb <strong>de</strong>s „neuen Ehrenamtes“selbst. Es wird zwar auf das Bedürfnis<br />

<strong>de</strong>r Engagierten auf mehr Eigenverantwortung und Eigengestaltung in <strong>de</strong>r<br />

ehrenamtlichen Arbeit eingegangen und <strong>de</strong>m Rechnung getragen, aber die Interessen<br />

am Engagement sind ausschließlich am Organisationsinteresse ausgerichtet.<br />

Die Engagierten leisten <strong>hier</strong> vor allem Arbeit im Bereich <strong>de</strong>r Betreuung.<br />

Das konnte in verschie<strong>de</strong>nen Gesprächen, Experten/inneninterviews und Gruppendiskussionen<br />

festgestellt wer<strong>de</strong>n (beispielsweise in Erfurt, Rostock und Düsseldorf).<br />

Diese Form <strong>de</strong>s Engagements setzt eine Bindung an die Gewerkschaften<br />

voraus. Die kann zum einen sozialisationsbedingt, zum an<strong>de</strong>ren arbeitstechnisch<br />

bedingt sein, und natürlich auch bei<strong>de</strong> Gegebenheiten beinhalten. Vorruhe­


­ 90 ­<br />

ständler und Senioren, die gewerkschaftlich sozialisiert sind, bil<strong>de</strong>n eine Gruppe,<br />

die für diese Form <strong>de</strong>s Engagements prä<strong>de</strong>stiniert ist. Die an<strong>de</strong>re Gruppe ist in<br />

<strong>de</strong>n Beratern und Betreuern auszumachen, die in Projekten, die über <strong>de</strong>n Zweiten<br />

Arbeitsmarkt finanziert wer<strong>de</strong>n, gewerkschaftliche Arbeit leisten. Erwerbslose waren<br />

in diesem Sinne nur dann ehrenamtlich tätig, wenn ihre über <strong>de</strong>n Zweiten Arbeitsmarkt<br />

finanzierte Stelle ausgelaufen war, sie also vorher quasi hauptamtlich<br />

beschäftigt waren. Oft ist das Engagement dann von <strong>de</strong>r Hoffnung getragen, über<br />

neue Maßnahmen wie<strong>de</strong>r in diese Form <strong>de</strong>s Beschäftigungsverhältnisses zu gelangen.<br />

Diese Erhebungsresultate korrespondieren auch mit <strong>de</strong>n Befun<strong>de</strong>n aus<br />

an<strong>de</strong>ren Studien, die ebenfalls zu <strong>de</strong>r Feststellung gelangen, dass viele Beschäftigte<br />

<strong>de</strong>s Zweiten Arbeitsmarktes nach Auslaufen <strong>de</strong>r befristeten Stellen weiterhin<br />

<strong>de</strong>n Kontakt auf ehrenamtlicher Basis halten.<br />

Generell bleibt festzustellen, dass Erwerbslose – wie allgemein bei freiwilligem<br />

Engagement – auch im „Dau wat" Projekt unterrepräsentiert sind. Sie sind<br />

über die Strukturen von „Dau wat" nur schwer zu erreichen. Die Tatsache, dass<br />

man mit <strong>de</strong>r Bezeichnung „Kommunikations­ und Beteiligungszentrum“ einer<br />

Stigmatisierung, die im Begriff Arbeitslosenzentrum liegt, entgegenzuwirken ge<strong>de</strong>nkt,<br />

än<strong>de</strong>rt daran wenig. Gera<strong>de</strong> in Ost<strong>de</strong>utschland ist die Gefahr <strong>de</strong>r Isolation<br />

bei anhalten<strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit groß. Die DDR­Betriebe hatten sich <strong>de</strong>n betriebswirtschaftlich<br />

unrentablen „Luxus“einer betrieblichen Sozialpolitik erlaubt.<br />

Die Erwerbstätigen waren über ihre Arbeitskollektive in Zusammenhänge integriert,<br />

die über die Erwerbsarbeit hinausreichten. Mit <strong>de</strong>m Verlust <strong>de</strong>s Arbeitsplatzes<br />

sind die einzelnen damit auch von diesen Netzwerken – soweit sie heute<br />

noch bestehen – abgeschnitten. Die Annahme, die in Interviews in <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

geäußert wur<strong>de</strong>, dass Massenarbeitslosigkeit einen Solidarisierungseffekt<br />

zur Folge hätte, <strong>de</strong>r einer Isolation durch Stigmatisierung entgegenwirke,<br />

führt zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn ins Leere.<br />

Die Gewerkschaften wer<strong>de</strong>n als berufliche Interessen­Vertretungs­<br />

Organisationen wahrgenommen, die das Interesse <strong>de</strong>r Erwerbslosen, in Erwerbsverhältnisse<br />

zu kommen, nicht erfüllen können. Der in Frage gestellte Nutzen einer<br />

Mitgliedschaft seitens <strong>de</strong>r Betroffenen ist daher nicht auf <strong>de</strong>n ihnen häufig von<br />

dritten unterstellten Egoismus, son<strong>de</strong>rn auf die Organisationen selbst zurückzuführen.<br />

Bei <strong>de</strong>r (Rück­) Gewinnung und <strong>de</strong>m Halten von Mitglie<strong>de</strong>rn sowie bei <strong>de</strong>r<br />

Gewinnung von Ehrenamtlichen muss sich die Gewerkschaft in <strong>de</strong>r außerbetrieblichen<br />

Gewerkschaftsarbeit dieser Situation stellen. Ein Appellieren an Gemeinschaftsziele,<br />

von <strong>de</strong>nen die Erwerbslosen nicht mehr unmittelbar betroffen sind,<br />

dürfte keine geeignete Strategie sein.<br />

Die gewerkschaftliche Wohngebietsarbeit in Rostock läuft zum großen Teil<br />

über engagierte Senioren. Sie sind <strong>hier</strong> unter an<strong>de</strong>rem in <strong>de</strong>n sogenannten B­<br />

Teams in <strong>de</strong>n Wohngebieten aktiv. Der Aufbau von gewerkschaftlichen Strukturen<br />

im Wohngebiet über die Senioren trägt laut einiger Mitarbeiter/innen von „Dau<br />

wat" allerdings auch zum Teil dazu bei, dass Erwerbslose nicht erreicht wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Wohngebietsarbeit ist eigentlich was, was uns noch nicht so befriedigt,<br />

weil bei <strong>de</strong>n Veranstaltungen in <strong>de</strong>n Wohnbereichen ja überwiegend Senioren<br />

sind. Wir ham‘s noch nicht geschafft, die Erwerbslosen zu diesen Veranstaltungen<br />

in Scharen hin zu kriegen. (...) Das sind eingelaufene Strukturen, die schon jahrelang<br />

praktisch über die Gewerkschaft selber auch gehen, und zu <strong>de</strong>nen, äh, fast<br />

ausschließlich Senioren kommen, die immer wie<strong>de</strong>r da sind, und das ist auch


­ 91 ­<br />

schon von einigen Jüngeren dann gesagt wor<strong>de</strong>n, na ja also, da sind ja nur die<br />

Senioren, nee, da fühl ich mich nich wohl.<br />

Frage: Und was sind das für Veranstaltungen innerhalb <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit,<br />

die Sie da machen?<br />

Ja, das sind auch so themenbezogene Veranstaltungen. Und die wer<strong>de</strong>n<br />

aber auch schon jahrelang von <strong>de</strong>n Senioren praktisch organisiert. Den Gewerkschaftssenioren,<br />

ne. Und in diese Strukturen jetzt einzugreifen ist nich einfach.<br />

(Expertin "Dau wat")<br />

Aus Sicht von „Dau wat" haben die Senioren sozusagen eine doppelte<br />

Dominanz. Zum einen sind sie die dominieren<strong>de</strong> Gruppe bei <strong>de</strong>n Veranstaltungen,<br />

wodurch sich die Nicht­Senioren offensichtlich <strong>de</strong>plaziert fühlen. Zum an<strong>de</strong>ren<br />

dominieren sie die gewerkschaftliche Wohngebietsarbeit. Diese Arbeit ist für<br />

„Dau wat“quasi außenpolitische Arbeit, über die sie Menschen erreichen. Sie ist<br />

aus Sicht von „Dau wat“ein Teil ihres Arbeitsgebietes und nicht umgekehrt „Dau<br />

wat“Teil <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Wohngebietsarbeit.<br />

Da die Wohngebietsarbeit in erster Linie ehrenamtlich erfolgen soll, war<br />

und ist das Engagement <strong>de</strong>r Senioren für <strong>de</strong>n Aufbau entsprechen<strong>de</strong>r Strukturen<br />

in <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit unerlässlich. Auf sie konnte dabei am ehesten zurück<br />

gegriffen wer<strong>de</strong>n. Wie die Wohngebietsarbeit aus Sicht <strong>de</strong>r Senioren eingeschätzt<br />

wird, was ihre Motive für ein ehrenamtliches Engagement sind und in welchem<br />

Zusammenhang <strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>m Engagement <strong>de</strong>r Erwerbslosen steht, soll anhand<br />

<strong>de</strong>r Gruppendiskussion analysiert wer<strong>de</strong>n, die mit ehrenamtlich Engagierten im<br />

„Kommunikations­ und Beteiligungszentrum Haltepunkt“durchgeführt wur<strong>de</strong>. 35<br />

3.4.2.2 Die Be<strong>de</strong>utung ehrenamtlichen Engagements aus Sicht <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen<br />

Grundlegend für ein Engagementverständnis und <strong>de</strong>r daraus resultieren<strong>de</strong>n<br />

Motivation ist die biographische Situation <strong>de</strong>r Engagierten. Das Motiv zum<br />

Engagement und die Gelegenheit sich zu engagieren, müssen in <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Lebenssituation zusammentreffen. Dabei spielt <strong>de</strong>r Rahmen, in <strong>de</strong>m dieses Engagement<br />

stattfin<strong>de</strong>t bzw. stattfin<strong>de</strong>n soll, eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle. Dieser muss<br />

ein Engagement ermöglichen, <strong>de</strong>r es erlaubt, normative Werte zu integrieren. Für<br />

Erwerbslose ist es wichtig, perspektivische Integrationsoptionen in diesem Rahmen<br />

o<strong>de</strong>r über diesen Rahmen hinaus zu gewährleisten.<br />

Die ehrenamtlich Engagierten, die in bzw. über „Dau wat" engagiert sind,<br />

lassen sich zwei Gruppen zuordnen: <strong>de</strong>n Senioren und <strong>de</strong>n Erwerbslosen. 36 Erstere<br />

sind in <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Wohngebietsarbeit aktiv. Das ist nicht zuletzt<br />

<strong>de</strong>m Umstand geschul<strong>de</strong>t, dass beim Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen im<br />

Wohngebiet auf ein ehrenamtliches Potential mit Organisationserfahrung zurück<br />

gegriffen wer<strong>de</strong>n musste. Für die Senioren hat sich damit ein Feld eröffnet, in<strong>de</strong>m<br />

sie selbständig und eigenverantwortlich agieren. Mitte <strong>de</strong>r 90er Jahre schlossen<br />

sie sich in einem Seniorenarbeitskreis zusammen, <strong>de</strong>r sich die Aufgabe stellte,<br />

35 Die Gruppendiskussion wur<strong>de</strong> am 24. Mai 2002 durchgeführt. Insgesamt nahmen fünf Ehrenamtliche<br />

(eine Frau, vier Männer) und eine Mitarbeiterin teil. Die Diskussion wur<strong>de</strong> technisch aufgezeichnet<br />

und später zu Auswertungszwecken transkribiert.<br />

36 Alle Engagierten sind Mitglied <strong>de</strong>r Gewerkschaft. Die Senioren waren während ihres Berufslebens<br />

ehrenamtlich o<strong>de</strong>r hauptamtlich in <strong>de</strong>r Gewerkschaft tätig.


­ 92 ­<br />

Strukturen zu bil<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>nen die Mitglie<strong>de</strong>r im Wohngebiet erreicht wer<strong>de</strong>n<br />

können.<br />

Das führte dann dazu, dass 1995 sich ein Seniorenarbeitskreis bil<strong>de</strong>te mit<br />

<strong>de</strong>n Aktivsten <strong>de</strong>r Seminarteilnehmer. Und dieser Seniorenarbeitskreis beschäftigte<br />

sich dann damit und sagte, wir müssen die Wohnbereiche, in die Wohngebiete<br />

rein und haben dann angefangen eine Seniorenarbeit innerhalb <strong>de</strong>r einzelnen<br />

Stadtteile zu organisieren, mit <strong>de</strong>n aktiven Mitglie<strong>de</strong>rn dieses Seniorenarbeitskreises.<br />

Wo dann immer mehr Senioren zusammengeführt wur<strong>de</strong>n und somit war<br />

dann schon eine aktive Ehrenamtlichkeit nicht nur die <strong>de</strong>s Teilnehmens an Seminaren<br />

und Versammlungen, son<strong>de</strong>rn es war etwas zu organisieren und dadurch<br />

entstand eben eine geordnete, organisierte ehrenamtliche Arbeit in <strong>de</strong>n Wohnbereichen.<br />

(Senior E)<br />

E ist ehrenamtlich tätig, um sich nach <strong>de</strong>m Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Berufsleben<br />

gesellschaftlich zu betätigen. Er wollte etwas im Bereich soziale Betreuung<br />

machen. Beruflich war er auf <strong>de</strong>r Werft für soziale Fragen zuständig. Ehrenamtlich<br />

tätig zu sein, be<strong>de</strong>utet für ihn auch, seine Lebenserfahrung, Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

sowie Sachkenntnis einzubringen. Durch das Organisieren <strong>de</strong>r Seniorenarbeit<br />

in <strong>de</strong>n Wohngebieten entstand nach E eine „aktive Ehrenamtlichkeit“,<br />

die sich nicht nur durch die Teilnahme an Seminaren und Versammlungen auszeichnet,<br />

son<strong>de</strong>rn die im speziellen Bereich <strong>de</strong>s Wohngebietes gewerkschaftliche<br />

Arbeit organisierte. „Dadurch entstand eben eine geordnete, organisierte ehrenamtliche<br />

Arbeit in <strong>de</strong>n Wohnbereichen“(Senior E). Eine „aktive Ehrenamtlichkeit“<br />

im Sinne von E meint eine Ehrenamtlichkeit, die nicht nur partizipiert (Veranstaltungen),<br />

son<strong>de</strong>rn die selbst tätig wird (organisieren <strong>de</strong>r Senioren­ und Arbeitslosenarbeit).<br />

Ziel sei es dabei auch gewesen, die Arbeitslosen und die Kollegen aus<br />

<strong>de</strong>n Klein­ und Mittelbetrieben zu erreichen.<br />

E versteht <strong>de</strong>n Seniorenarbeitskreis als aktiven Teil <strong>de</strong>r Gewerkschaftsarbeit.<br />

Durch die Zielsetzung <strong>de</strong>s Seniorenarbeitskreises, Einfluss auf die Arbeit<br />

(und auf die Vertrauensleutekörperleitungen) in <strong>de</strong>n Wohnbereichen zu nehmen,<br />

bekommt das ehrenamtliche Engagement einen gewichtigeren Inhalt. Es zeigt<br />

sich, dass die Beteiligung an gewerkschaftlicher Arbeit motivierend wirkt und als<br />

eigentliche Aktivität verstan<strong>de</strong>n wird. Man bleibt nicht nur interessiert, son<strong>de</strong>rn<br />

man bleibt tätig.<br />

Ja, ich muss mal sagen, wir alle machen schon lange ehrenamtliche Arbeit.<br />

Wir haben das also zu DDR­Zeiten schon gemacht und es ist eigentlich immer<br />

noch für mich persönlich das gleiche, wie damals, dass ich gesagt habe, bestimmte<br />

Dinge, die müssten gemacht wer<strong>de</strong>n. Das ist, also, das ist erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Also die Einsicht in bestimmte Notwendigkeiten und es ist natürlich jetzt ein zusätzliches<br />

Element dazu gekommen, nach Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Arbeitsprozess,<br />

dass man sich natürlich dann auch ne Aufgabe suchen wollte, in <strong>de</strong>r man also<br />

sich selber da ein bisschen bestätigen kann, ohne das an<strong>de</strong>re aus <strong>de</strong>m Auge zu<br />

verlieren. Also für eine bestimmte Sache etwas zu leisten, für eine Sache, die<br />

man für notwendig erachtet. (Senior C)<br />

Deutlich wird an diesem Zitat, dass C an seine Tätigkeit in <strong>de</strong>r DDR anschließt.<br />

Er verweist darauf, dass „wir“(gemeint sind die an<strong>de</strong>ren Senioren) schon<br />

lange ehrenamtliche Arbeit machen wür<strong>de</strong>n. Sie waren schon zu DDR­Zeiten ehrenamtlich<br />

aktiv und es sei immer noch das Gleiche wie damals: „bestimmte Din­


­ 93 ­<br />

ge, die müssen gemacht wer<strong>de</strong>n. Das ist also, das ist erfor<strong>de</strong>rlich. Also Einsicht in<br />

bestimmte Notwendigkeiten.“<br />

Der Wechsel aus <strong>de</strong>m FDGB in die Gewerkschaften <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

hat das grundlegen<strong>de</strong> Moment gewerkschaftlicher Arbeit nicht verän<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r gar<br />

zerstört: Die Einsicht, dass „bestimmte Dinge getan wer<strong>de</strong>n müssen“, sowie „die<br />

Pflicht und die Aufgabe, einen Beitrag zu leisten“. Ehrenamtliches Engagement<br />

weist eine Kontinuität auf, die durch die Wen<strong>de</strong> nicht unterbrochen wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn<br />

im Kern gleich blieb. Neben dieser „Notwendigkeit“ist es ein zusätzliches<br />

Moment, sich nach Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Arbeitsprozess eine Aufgabe zu suchen,<br />

„in <strong>de</strong>r man also sich selber da ein bisschen bestätigen kann, ohne das an<strong>de</strong>re<br />

aus <strong>de</strong>m Auge zu verlieren. Also für eine bestimmte Sache etwas zu leisten.“<br />

(Senior C)<br />

Erkennbar sind zwei Beweggrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Senioren, sich ehrenamtlich zu engagieren:<br />

1. die Einsicht in die Notwendigkeit, dass bestimmte Dinge getan wer<strong>de</strong>n<br />

müssen und 2. sich im Ruhestand eine Aufgabe zu suchen, die einen bestätigt.<br />

Das nachberufliche Engagement kommt zusätzlich hinzu und darf nicht dazu<br />

führen, das an<strong>de</strong>re aus <strong>de</strong>n Augen zu verlieren. Das an<strong>de</strong>re ist die gewerkschaftliche<br />

Arbeit o<strong>de</strong>r etwas allgemeiner, gesellschaftspolitisches Engagement. Nach<br />

wie vor hat dieses Priorität. Die Notwendigkeit gewerkschaftspolitischer Arbeit<br />

bleibt bestehen.<br />

Ich sehe in <strong>de</strong>r Ehrenamtlichkeit als Rentner noch folgen<strong>de</strong>n positiven Effekt,<br />

dass man viele Kollegen aus <strong>de</strong>m Arbeitsleben wie<strong>de</strong>r trifft. Wenn man sich<br />

zum Beispiel jetzt in <strong>de</strong>r Gewerkschaft engagiert, dann hat man hin und wie<strong>de</strong>r<br />

auch eine Zusammenkunft zu bestimmten Themen. (...) Und das möchte ich ganz<br />

dick unterstreichen, wie C das schon sagt, dass man das Gefühl hat, man wird<br />

noch gebraucht irgendwie.“(Vorruheständler D)<br />

Ehrenamtliche Tätigkeit verweist <strong>hier</strong> auf die Möglichkeit, Kontakte aus<br />

<strong>de</strong>m Berufsleben aufrechtzuerhalten und ein Zusammengehörigkeitsgefühl – besser<br />

vielleicht Zugehörigkeitsgefühl – zu reproduzieren. Wichtig ist aber vor allem<br />

das Gefühl, gebraucht zu wer<strong>de</strong>n: „das möchte ich ganz dick unterstreichen.“In<br />

<strong>de</strong>m man das Gefühl <strong>de</strong>s Gebraucht­Wer<strong>de</strong>ns vermittelt bekommt, kann Sinnhaftigkeit<br />

und I<strong>de</strong>ntität über die ehrenamtliche Tätigkeit garantiert und beför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ehrenamtliche Tätigkeit, vor allem aber gewerkschaftliche Arbeit, war Teil<br />

<strong>de</strong>s Berufslebens. Sinn und I<strong>de</strong>ntität wer<strong>de</strong>n durch eine Fortführung ehrenamtlicher<br />

Tätigkeit aufrechterhalten. Die Kontinuität besteht letzten En<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Aufrechterhaltung<br />

dieser Bestätigungen. Normative Orientierungen erfahren dadurch<br />

keinen Bruch, son<strong>de</strong>rn können immer wie<strong>de</strong>r bestärkt und reproduziert wer<strong>de</strong>n.<br />

Das ist über die Erfahrungen und beson<strong>de</strong>rs die konkreten Tätigkeiten innerhalb<br />

<strong>de</strong>r Ehrenamtlichkeit gegeben.<br />

Es geht <strong>hier</strong> um die Kontinuität <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung gewerkschaftlicher Arbeit.<br />

Dass ehrenamtliches Engagement darin eine beson<strong>de</strong>re Stellung erfährt, ist <strong>de</strong>m<br />

Umstand geschul<strong>de</strong>t, dass man aus <strong>de</strong>m Erwerbsleben ausgeschie<strong>de</strong>n ist. Über<br />

die ehrenamtliche Tätigkeit lassen sich Kontakte zu ehemaligen Arbeitskollegen<br />

aufrecht erhalten. Da man noch gebraucht wird fühlt man sich bestätigt. Aber vor<br />

allem verliert man darüber nicht die (sinnstiften<strong>de</strong>) Be<strong>de</strong>utung gewerkschaftlicher<br />

Arbeit aus <strong>de</strong>n Augen. Im Gegenteil, man hat weiterhin daran Teil, und ist somit<br />

weiter integrativer Bestandteil in <strong>de</strong>r Gewerkschaft. Wen<strong>de</strong> und Ruhestand verlie­


­ 94 ­<br />

ren damit ihre Gefahren. Trotz dieser Brüche, o<strong>de</strong>r besser über diese Brüche hinaus<br />

wird die Kontinuität sinnstiften<strong>de</strong>r Tätigkeit aufrecht erhalten.<br />

Wir haben nun aber auch, als unsere Aufgabe sehen wir an, dass wir bestimmte,<br />

äh, Dinge entgegenwirken, die eigentlich nicht in die Landschaft passen.<br />

Es gibt einige Kollegen, aus welchen Grün<strong>de</strong>n auch immer, die erklären dann <strong>de</strong>n<br />

Austritt. Wir nehmen uns dieser Kollegen an und sprechen mit ihnen, dass es<br />

doch darum geht, die Solidarität und bestimmte Dinge <strong>de</strong>r, äh, Zusammengehörigkeit<br />

weiterzuführen. Weil ja bestimmte Kreise, in Anführungsstriche Unternehmer<br />

und so, die halten schon zusammen, ne. Aber die Arbeiter o<strong>de</strong>r die Beschäftigten,<br />

ich will das nicht auf Arbeiter reduzieren, müssen in <strong>de</strong>r heutigen Zeit, das<br />

ist notwendiger <strong>de</strong>nn je, zusammenhalten, um bestimmte, äh, Interessen, die unbedingt<br />

richtig sind, durchsetzen zu können. (...) Also aus dieser Sicht heraus sehe<br />

ich meine ehrenamtliche Tätigkeit auch als Vertrauensmann im Wohngebiet<br />

und mit <strong>de</strong>n Senioren zusammenzuarbeiten und, äh, ich fin<strong>de</strong> das eine gute Sache<br />

und erfülle damit auch mein eigenes egoistisches Vorhaben. (...) Gewerkschaftsarbeit<br />

habe ich mal hauptamtlich gemacht. (...) Aber trotz<strong>de</strong>m ist die Gewerkschaftsarbeit<br />

das, was ich eigentlich, ich nenn es mal so, noch brauche.( Vorruheständler<br />

D)<br />

Über die konkrete Aufgabe, innerhalb <strong>de</strong>s B­Teams Mitglie<strong>de</strong>r zu beraten<br />

und zu betreuen, wird <strong>de</strong>r allgemeineren Aufgabe „bestimmten Dingen entgegenzuwirken,<br />

die eigentlich nicht in die Landschaft passen“genüge getan. Ehrenamtliche<br />

Tätigkeit dient <strong>hier</strong> nicht nur dazu, die eigenen Erfahrungen und Kompetenzen<br />

zu Verfügung zu stellen, son<strong>de</strong>rn an politischer Gestaltung teilzuhaben. „Dinge<br />

die eigentlich nicht in die Landschaft passen“, sind z.B. die Austrittserklärungen<br />

einiger Mitglie<strong>de</strong>r. Diese wer<strong>de</strong>n vom B­Team angesprochen. Auf <strong>de</strong>r Argumentationsebene<br />

– dass es um „Solidarität“gehe, um „Zusammengehörigkeitsgefühl“,<br />

um die „Weiterführung bestimmter Dinge“in Abgrenzung zu „bestimmten<br />

Kreisen“, in „Anführungsstichen Unternehmer“, bei <strong>de</strong>nen ein Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

vorhan<strong>de</strong>n sei – wird <strong>de</strong>n „Arbeitern o<strong>de</strong>r Beschäftigten“klargemacht,<br />

dass es „notwendiger <strong>de</strong>nn je ist, zusammenzuhalten, um bestimmte Interessen,<br />

die unbedingt richtig sind, durchsetzen zu können“. Dabei wird in <strong>de</strong>r alten, bekannten<br />

Klassendichotomie argumentiert, Arbeiter und Unternehmer (Ausgebeutete<br />

und Ausbeuter).<br />

Aus dieser Sicht seiner ehrenamtlichen Tätigkeit sieht D auch seine Tätigkeit<br />

als Vertrauensmann im Wohngebiet und mit <strong>de</strong>n Senioren. Er verfolge damit<br />

auch sein eigenes „egoistisches Vorhaben“. Dieses „egoistische Vorhaben“ist die<br />

wie auch schon bei C angelegte Aufrechterhaltung größtmöglicher Kontinuität<br />

beim Übergang in <strong>de</strong>n Ruhestand. Innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft und begünstigt<br />

durch die Tätigkeiten, die sie in <strong>de</strong>r Gewerkschaft während ihres Erwerbslebens<br />

inne hatten, ist ihnen das sehr weitreichend gelungen. Außer<strong>de</strong>m geht damit eine<br />

Kompensation <strong>de</strong>r Erfahrung <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>zeit einher. Während an<strong>de</strong>re die Arbeit<br />

verloren o<strong>de</strong>r ihre bisherige Arbeit unter <strong>de</strong>m Sinn­Aspekt in Frage stellten o<strong>de</strong>r<br />

stellen lassen mussten, scheint es auch <strong>hier</strong>in eine Kontinuität zu geben. Die Gewerkschaft<br />

gibt es immer noch. Sie sind immer noch Mitglie<strong>de</strong>r. Sie sind immer<br />

noch in ihr tätig. Die Themen sind mehr o<strong>de</strong>r weniger die gleichen geblieben. Und<br />

<strong>de</strong>r gesellschaftspolitische Aspekt sozialer Ungerechtigkeit ist wichtiger <strong>de</strong>nn je.<br />

Wir sehen in unserer ehrenamtlichen Tätigkeit als Seniorenarbeitskreis und<br />

auch in <strong>de</strong>n Wohnbereichsversammlungen nicht als Organisator von Freizeitver­


­ 95 ­<br />

anstaltungen im großen Sinne. Da sagen wir, sind Vereine, die genügend sind.<br />

(...) Wir sehen unsere Aufgabe insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Zielstellung Gewerkschaftsund<br />

gesellschaftliche Arbeit. (Senior E)<br />

Hier wird noch einmal unterstrichen, dass es nicht um die Organisation von<br />

Geselligkeit geht, son<strong>de</strong>rn um gewerkschaftliche Arbeit. In diesem Sinne scheinen<br />

die Senioren für die außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit im Wohnbereich <strong>de</strong>shalb<br />

prä<strong>de</strong>stiniert, weil sie we<strong>de</strong>r auf eine bloße Beteiligung (gehen zu Veranstaltungen)<br />

noch auf „Freizeitgestaltung“(organisieren von Freizeitveranstaltungen)<br />

reduziert wer<strong>de</strong>n können. Über die „aktive Ehrenamtlichkeit“in <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit<br />

wer<strong>de</strong>n sie an <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Arbeit beteiligt. Im Bereich <strong>de</strong>r<br />

Wohngebietsarbeit sind sie die Garanten für <strong>de</strong>n Aufbau von Strukturen und das<br />

Gelingen <strong>de</strong>r Arbeit. Aus organisationsspezifischer Beteiligungsperspektive wird<br />

so eine Kontinuität gewerkschaftlicher relevanter Arbeit für sie aufrecht erhalten.<br />

Das bedient <strong>de</strong>n Aspekt <strong>de</strong>s „Noch­Gebraucht­Wer<strong>de</strong>n­“ bzw. <strong>de</strong>s „Nützlich­<br />

Seins“und stellt einen Anschluss an ihr Selbstverständnis gesellschaftspolitischer<br />

Arbeit her. Dass sie diese Arbeit für wichtig halten, ja wichtiger <strong>de</strong>nn je, haben sie<br />

ja betont. Außer<strong>de</strong>m wird in <strong>de</strong>r Äußerung, dass es nicht um Freizeitgestaltung<br />

gehe, <strong>de</strong>utlich, dass eine klare Unterscheidung gemacht wird zwischen ehrenamtlicher<br />

Tätigkeit, die Freizeitaktivitäten organisiert und solcher Tätigkeit, die gesellschaftspolitische<br />

bzw. gewerkschaftliche Arbeit leistet. Gewerkschaftliche Arbeit<br />

ist solche, die <strong>de</strong>r Gewerkschaft nützt bzw. die als gesellschaftspolitisch relevante<br />

anerkannt ist. Insofern sind <strong>hier</strong> auch Anschlüsse an gewerkschafts­ und gesellschaftspolitische<br />

Verständnisse aus <strong>de</strong>r Zeit vor 1989 möglich. Es ist also nicht<br />

nur die Sinnhaftigkeit, die einer solchen Tätigkeit durch ihre Relevanz für die Gewerkschaft<br />

innewohnt, son<strong>de</strong>rn auch die Verbindungen zu gesellschaftspolitischen<br />

Verständnissen und Interpretationen aus <strong>de</strong>r Zeit vor <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>, die <strong>hier</strong><br />

integriert wer<strong>de</strong>n können und <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung aufrecht erhalten wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Zusammengefasst heißt das:<br />

• Der Sinn dieser Tätigkeiten muss von <strong>de</strong>n Tätigen nicht erst erschlossen<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn es ist mehr o<strong>de</strong>r weniger ein Anknüpfen an Themen und Relevanzen,<br />

die auch im Berufsleben (Gewerkschaft) eine Rolle spielten;<br />

• Das Einbringen <strong>de</strong>r eigenen Erfahrungen und Kompetenzen wird in einem<br />

spezifischen Raum sichergestellt (Wohngebiet), in <strong>de</strong>m die gewerkschaftlich<br />

relevante Arbeit zu großen Teilen auf ihnen lastet. Das sichert einen<br />

sinnvollen Tätigkeitsbezug an das Erwerbsleben (Syndrom <strong>de</strong>r Nutzlosigkeit<br />

wird suspendiert);<br />

• Alte Glaubenssätze und Verständnisse, die nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> in Zweifel gezogen<br />

wur<strong>de</strong>n, können <strong>hier</strong> ihren Wahrheits­ und Be<strong>de</strong>utungsgehalt aufrecht<br />

erhalten.<br />

Insofern ist die ehrenamtliche Tätigkeit für <strong>de</strong>n Seniorenarbeitskreis in <strong>de</strong>r<br />

Rostocker Wohngebietsarbeit ein Betätigungsrahmen, <strong>de</strong>r für die Aktiven größtmögliche<br />

Kontinuität einer sinnvollen Tätigkeit gewährleistet (Übergang von Erwerbsarbeit<br />

in <strong>de</strong>n Ruhestand) sowie diese Tätigkeit in <strong>de</strong>n unmittelbarsten Alltagsrahmen<br />

stellt – das Wohnumfeld. Damit beteiligt er die Senioren gleichzeitig<br />

bzw. verschafft ihnen Einflussmöglichkeiten eben in diesen unmittelbaren Lebenszusammenhang.<br />

Denn die Lebensqualität misst sich vorrangig im Wohnumfeld<br />

und nicht in einem Betrieb, <strong>de</strong>r durch die Pensionierung fiktiv gewor<strong>de</strong>n ist.<br />

Erfolge können so von <strong>de</strong>n Senioren nicht nur spezifisch in einem jeweiligen Betä­


­ 96 ­<br />

tigungsfeld wahrgenommen wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld.<br />

Die Senioren dominieren damit aber nicht nur die Wohngebietsarbeit, sie<br />

greifen auch auf völlig an<strong>de</strong>re Voraussetzungen als die Erwerbslosen zurück. Die<br />

Herstellung von Kontinuität in bezug auf berufliche und gesellschaftspolitische<br />

Präferenzen ist für letztere nicht möglich.<br />

„Ich möchte zu ‚Dau wat‘sagen, Haltepunkt“. (Erwerbsloser A) ­ In diesem<br />

ersten Satz von A konzentriert sich das, was „Dau wat“und sein dortiges Engagement<br />

für ihn be<strong>de</strong>utet. Von <strong>de</strong>r Politik fühlt sich A im Stich gelassen. Der Regierung<br />

wird eine Verantwortung für seine private Misere zugeschrieben, die sie aber<br />

nicht löst. Die Versprechen, die sie gibt, sind für seine Lebenssituation nichts<br />

wert:<br />

Das erst mal von unserer Regierung, die sabbern viel und halten nichts und<br />

<strong>hier</strong> ist es umgedreht, <strong>hier</strong> wird wenig gesprochen, aber viel gemacht. (Erwerbsloser<br />

A)<br />

Das genaue Gegenteil, fand er <strong>hier</strong> im „Haltepunkt“bei „Dau wat“. Hier<br />

wur<strong>de</strong> er aufgenommen, „als ob ich schon Jahre lang dazugehörte“.<br />

A war 23 Jahre auf <strong>de</strong>r Warnow­Werft beschäftigt und ist gleich nach <strong>de</strong>r<br />

Wen<strong>de</strong> arbeitslos gewor<strong>de</strong>n. Dann war er zwei Jahre lang bei einer Zeitarbeitsfirma<br />

beschäftigt, wo er seiner Meinung nach nur ausgenutzt wur<strong>de</strong>. Danach stand<br />

er wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Straße. So wur<strong>de</strong> sein eigener Haltepunkt <strong>de</strong>r Imbiss an <strong>de</strong>r<br />

Ecke, bei <strong>de</strong>m er sich mit ehemaligen Arbeitskollegen traf. A beschreibt kurz und<br />

knapp seinen Abstieg nach <strong>de</strong>r Entlassung. Orte, wo soziale Kontakte gepflegt<br />

wer<strong>de</strong>n konnten, gab es außerhalb <strong>de</strong>s Arbeitslebens offensichtlich nicht. So blieb<br />

nur <strong>de</strong>r Imbiss.<br />

Weil er noch Mitglied <strong>de</strong>r IG­Metall war, wur<strong>de</strong> er angesprochen, ob er<br />

nicht bei „Dau wat“mithelfen könne.<br />

Ich mich gefreut, ich dachte, wär eine feste Einstellung. (...) Bin da aufgenommen<br />

wor<strong>de</strong>n, als ob ich schon Jahre lang dazugehörte. Ich dachte, das ist ne<br />

Arbeit, ne feste Einstellung und so. (...) Und <strong>de</strong>nn, obwohl das nachher <strong>hier</strong> so<br />

ehrenamtlich war, ja und bin so aufgenommen wor<strong>de</strong>n im Kollektiv, als ob ich<br />

schon Jahre da auch zugehöre und das war, das war <strong>de</strong>r Grund ,Haltepunkt‘bei<br />

mir. (Erwerbsloser A)<br />

Durch seine Tätigkeit bei „Dau wat“(in <strong>de</strong>r Selbsthilfe­Werkstatt) trifft er<br />

auch alte Kollegen wie<strong>de</strong>r, lernt Kollegen aus an<strong>de</strong>ren Berufen kennen, von <strong>de</strong>nen<br />

er neue Fertigkeiten lernen und diese für sich in seinem Umfeld nutzen kann.<br />

Durch die Arbeit bei „Dau wat" ist es möglich, Menschen über ein Engagement<br />

und die Aufnahme ins „Kollektiv“wie<strong>de</strong>r sozial zu integrieren.<br />

A lehnt ein ehrenamtliches Engagement nicht ab, bleibt aber in seiner Situation<br />

(Arbeitslosigkeit) auf Erwerbsarbeit orientiert: „Ich dachte, das ist ne Arbeit“.<br />

Eine Orientierung auf Erwerbsarbeit bei bestehen<strong>de</strong>r Ausgrenzung aus <strong>de</strong>m Erwerbsleben<br />

bleibt erhalten und verhin<strong>de</strong>rt die Aufnahme eines ehrenamtlichen<br />

Engagements in Erwägung zu ziehen. Somit bleibt auch <strong>de</strong>r Zugang zu ehrenamtlichem<br />

Engagement an die (netzwerkliche) Voraussetzung gebun<strong>de</strong>n, Mitglied <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft zu sein.<br />

Selbst in Freiwilligenagenturen, die die „Selbstermächtigung“(Hesse 2001:<br />

18f.) <strong>de</strong>s einzelnen für eine Engagementaufnahme i<strong>de</strong>ologisch voraussetzen, fin<strong>de</strong>t<br />

ein Großteil <strong>de</strong>r Vermittelten über die Mund­zu­Mund­Werbung Zugang. In


­ 97 ­<br />

einem Vergleich <strong>de</strong>r Freiwilligenagenturen Halle und Frankfurt/O<strong>de</strong>r liegt <strong>de</strong>r Anteil<br />

<strong>de</strong>r Mund­zu­Mund­Werbung bei <strong>de</strong>r Gewinnung ehrenamtlich Engagierter um<br />

die 70%. (Ebert/ Strittmatter 2003: 118)<br />

Das ist auch bei B <strong>de</strong>r Fall: Also ich bin durch meine Arbeitslosigkeit eben<br />

zur ehrenamtlichen Tätigkeit gekommen, <strong>de</strong>nn zu Hause, das weiß ja je<strong>de</strong>r, da<br />

hört man nichts, man erfährt nichts und durch Kollegen habe ich eben erfahren,<br />

Mensch, komm doch mal mit zur IG­Metall. (Erwerbslose B)<br />

B kommt ebenso wie A durch das (unfreiwillige) Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Arbeitsprozess<br />

und über das Ansprechen durch Kollegen zum ehrenamtlichen Engagement.<br />

Die Isolation durch die Arbeitslosigkeit wird dabei als Grund für die<br />

Aufnahme <strong>de</strong>s Engagements angeführt. Hierüber gelangt sie in das Projekt zur<br />

Mitglie<strong>de</strong>rrückgewinnung. Sie muss sich neu einarbeiten, da sie auf <strong>de</strong>r Warnow­<br />

Werft als Industriekauffrau tätig war. Im Projekt ist es ihre Aufgabe, austrittsbereite<br />

Mitglie<strong>de</strong>r zurück zu gewinnen.<br />

Es war erst sehr schwer am Telefon mit <strong>de</strong>n Leuten zu sprechen. (...) Na ja<br />

dann habe ich auch <strong>de</strong>n richtigen Draht dazu gefun<strong>de</strong>n, hab auch einige zurückgewonnen.<br />

Das war für mich wie<strong>de</strong>r toll und für „Dau wat“.(Erwerbslose B)<br />

Über die für sie neue Tätigkeit gewinnt B wie<strong>de</strong>r Zuversicht und Bestätigung:<br />

„das war für mich wie<strong>de</strong>r toll“. Anschließend arbeitet sie für ein Jahr bei<br />

„Dau wat" in einer ABM. Das Engagement eröffnet ihr einen Zugang zu unentgeltlicher<br />

Beschäftigung und schließlich einen Zugang zum Zweiten Arbeitsmarkt.<br />

Ehrenamtliches Engagement dient <strong>hier</strong> als Ersatz für verlorengegangene Erwerbsarbeit.<br />

Durch die Möglichkeit, über ehrenamtliches Engagement auf <strong>de</strong>n<br />

Zweiten Arbeitsmarkt zu gelangen, bleibt B auch nach <strong>de</strong>m Auslaufen <strong>de</strong>r befristeten<br />

Stelle ehrenamtlich an das neue Tätigkeitsfeld gebun<strong>de</strong>n: Nun bin ich wie<strong>de</strong>r<br />

arbeitslos und bleib aber <strong>hier</strong> ehrenamtlich weiter tätig, ne.(Erwerblose B)<br />

In erster Linie ist ein Engagement für B eine Möglichkeit aus <strong>de</strong>r Isolation<br />

<strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit herauszukommen und in zweiter Linie, sich die Möglichkeit für<br />

einen Einstieg in <strong>de</strong>n (zumin<strong>de</strong>st Zweiten) Arbeitsmarkt offen zu halten. Obwohl<br />

neue Kompetenzen erworben wer<strong>de</strong>n, macht diese Aktivität <strong>de</strong>n einzelnen nicht<br />

für einen sich schnell wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Arbeitsmarkt mit seinen Anfor<strong>de</strong>rungen fit.<br />

Denn Qualifikation hat einen Einfluss auf einen Arbeitsmarktwan<strong>de</strong>l, nicht aber<br />

auf einen Arbeitsmarktabbau. Kompetenzaneignung wird notwendig, um überhaupt<br />

freiwillige unentgeltliche Tätigkeiten ausüben zu können. (Professionalisierung<br />

<strong>de</strong>s Ehrenamtes) Darin liegt aber die Gefahr, dass Engagement seinen Eigensinn<br />

verliert und sich leistungsbezogener Erwerbsarbeit angleicht.<br />

Ehrenamtliches Engagement hat <strong>hier</strong> we<strong>de</strong>r mit einer individuellen Verpflichtung<br />

gegenüber <strong>de</strong>r Gewerkschaft zu tun noch mit einem bürgerschaftlichen<br />

Engagement im Sinne von Teilhabe und Einflussnahme. Für A ist ehrenamtliches<br />

Engagement nicht die Sicherstellung größtmöglicher Kontinuität (wie bei C, D und<br />

F), son<strong>de</strong>rn es ist ein Neuanfang, nach<strong>de</strong>m er durch die Arbeitslosigkeit immer<br />

mehr sozial ausgrenzt wur<strong>de</strong>. Ehrenamtliches Engagement ist <strong>hier</strong> ein be<strong>de</strong>utungsvolles<br />

Mittel zur sozialen Integration. Dabei geht es A nicht (wie <strong>de</strong>n Senioren)<br />

darum, noch irgendwie gebraucht zu wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn überhaupt gebraucht<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Durch eine starke Zentrierung auf Erwerbsarbeit, fallen bei Verlust<br />

womöglich alle Bindungen weg, da sie über die Arbeit bestehen und dies um so<br />

mehr in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn. Hier ist eine stärkere Erwerbszentrierung als<br />

in <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn zu beobachten. Die Verbindung von Beruf (Erwerbs­


­ 98 ­<br />

arbeit) und Privatem (Familie etc.) entsteht über das Kollektiv. Arbeitsleben und<br />

Privatleben sind nicht so stark voneinan<strong>de</strong>r abgegrenzt. Das mag eine Folge <strong>de</strong>r<br />

in <strong>de</strong>r DDR praktizierten Einheit von Wirtschafts­ und Sozialpolitik sein. Bei Verlust<br />

<strong>de</strong>s Arbeitsplatzes gibt es dann seltener Netzwerke, die außerhalb und unabhängig<br />

vom ehemaligen Arbeitsleben bestehen und auf die zurückgegriffen wer<strong>de</strong>n<br />

könnte. Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s arbeitsweltlichen Begriffes (Arbeits­)Kollektiv wird<br />

ja auch von A thematisiert. Für die Gewerkschaften liegt <strong>hier</strong> ein Potential, auf das<br />

in <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit angeknüpft wer<strong>de</strong>n kann.<br />

An <strong>de</strong>r unterschiedlichen Ausgangssituation von A und B zeigt sich <strong>de</strong>utlich,<br />

dass die Bedingungen für die Aufnahme eines Engagements von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

Senioren völlig verschie<strong>de</strong>n sind. Deshalb ist es auch fraglich, ob über die Information<br />

bzw. die Beratung und Betreuung von Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>rn (durch<br />

die Senioren) hinaus, Engagement von diesen motiviert wer<strong>de</strong>n kann. Zu<strong>de</strong>m trifft<br />

die Argumentation auf unterschiedliche Verständnisse.<br />

Ein wichtiges Thema ist dabei eigentlich noch mehr Kolleginnen und Kollegen<br />

für ehrenamtliche Tätigkeit auch in Wohnbereichen zu gewinnen, unabhängig<br />

vom Alter. Ne, um alle erfassen zu können, anzusprechen, dass sie nicht mehr<br />

sagen können, äh wir hören ja von <strong>de</strong>r Gewerkschaft nichts. Son<strong>de</strong>rn dass sie<br />

alle Quartale, zumin<strong>de</strong>st einen Quartalsplan reinbekommen, einige machen es<br />

halbjährlich, aber sie haben was in Kasten bekommen. Das Argument, was ist<br />

<strong>de</strong>nn Gewerkschaft, was tut die Gewerkschaft, das wur<strong>de</strong> ihnen genommen, son<strong>de</strong>rn<br />

jetzt können wir sagen, was tust du, warum nimmst du nicht teil an <strong>de</strong>n Angeboten,<br />

die da kommen? (Senior E)<br />

Ehrenamtlich Tätige sind nach E für die zunehmen<strong>de</strong>n Aufgaben in <strong>de</strong>r<br />

Wohngebietsarbeit wichtig. Die Argumentation folgt dabei einer spezifischen Logik.<br />

Sie geht von einem Pflichtgefühl gesellschaftspolitischer Tätigkeit aus, das an<br />

die Plausibilität aus DDR­Zeiten erinnert. Der Hinweis auf erfolgte Information und<br />

die dafür abverlangte Rechtfertigung <strong>de</strong>r Angesprochenen bei einem Nichtreagieren<br />

erfolgt auf einer moralischen Ebene, die Druck ausüben soll. Das dürfte an<br />

<strong>de</strong>n Befindlichkeiten <strong>de</strong>r Angesprochenen vorbeigehen.<br />

Auch C konstatiert bei <strong>de</strong>r Werbung von Mitglie<strong>de</strong>rn, vor allem aber bei <strong>de</strong>r<br />

Verhin<strong>de</strong>rung von Austritten, eine Abstinenz gegenüber <strong>de</strong>n Gewerkschaften.<br />

Wenn wir sagen, Mensch, wenn es die Gewerkschaft nicht mehr gibt, was<br />

ist <strong>de</strong>nn dann. Wir wissen alle, dass <strong>de</strong>r Druck <strong>de</strong>r Arbeitgeber also <strong>de</strong>rartig groß<br />

ist, dass letztendlich überhaupt nichts mehr hilft. Der Arbeitnehmer, <strong>de</strong>r muss sich<br />

<strong>de</strong>m Druck beugen und er muss also zu immer niedrigeren Löhnen arbeiten und<br />

wir versuchen auch immer wie<strong>de</strong>r in dieser Hinsicht die Gewerkschaft am Leben<br />

zu halten. Und das ist, das sehe ich eigentlich als meine Hauptaufgabe an, dass<br />

ich sage, um Gottes Willen, mit <strong>de</strong>n Leuten re<strong>de</strong>n, dass sie in <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

bleiben, erst mal, wenn wir <strong>hier</strong> diese Diskussionen führen, auf solche Austrittserklärungen<br />

hin. Du re<strong>de</strong>st ja natürlich wie mit einem kranken Gaul und es ist erstaunlich,<br />

also, wie wenig Erfolg man eigentlich hat in solchen Gesprächen, äh,<br />

die Leute, die sagen, das bringt für mich persönlich keine Nutzen ein, fürchterlicher<br />

Egoismus. Und dann kannst du ihnen sagen, mein Gott noch mal, wie soll<br />

<strong>de</strong>nn das wer<strong>de</strong>n, wenn in <strong>de</strong>r Gewerkschaft dann bloß noch die fünfzig Prozent<br />

von heute sind.“(Senior C)<br />

Ehrenamtliches Engagement erfüllt eine wichtige gesellschaftspolitische<br />

Aufgabe, in <strong>de</strong>ren Mittelpunkt <strong>de</strong>r Zusammenhalt <strong>de</strong>r Arbeitnehmer steht. Es gibt


­ 99 ­<br />

keinen Bruch mit dieser Erklärung aus <strong>de</strong>r Vergangenheit, son<strong>de</strong>rn eine Bestätigung.<br />

Diese Bestätigung wirkt sinnstiftend, motiviert ihn mit <strong>de</strong>n Leuten zu re<strong>de</strong>n,<br />

um in <strong>de</strong>r Gewerkschaft zu bleiben. Allerdings fin<strong>de</strong>t C es „erstaunlich, wie wenig<br />

Erfolg man eigentlich in solchen Gesprächen (hat).“Die Frage nach <strong>de</strong>m Nutzen<br />

einer Mitgliedschaft wird als Egoismus ge<strong>de</strong>utet. Dabei bleibt aber unberücksichtigt,<br />

dass die Gewerkschaften eben das Interesse <strong>de</strong>r Erwerbslosen – Erwerbsarbeit<br />

zu schaffen – gera<strong>de</strong> nicht erfüllen können, wobei gleichzeitig im Zentrum <strong>de</strong>r<br />

Argumentation die Erwerbsarbeit steht, die es zu verteidigen gelte. Die Aussagen<br />

vom Zwang auf die Arbeitnehmer bleiben für <strong>de</strong>n einzelnen allgemein und berücksichtigen<br />

und treffen nicht seine Bedürfnisse. Zum an<strong>de</strong>ren wird das alte<br />

Klassenkampf­Argument vom Zusammenhalt <strong>de</strong>r Arbeiter vorgebracht. Die Rhetorik<br />

vom Zusammenhalten dürfte gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>nen wenig bewirken, die sich von<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaftsarbeit ausgegrenzt fühlen.<br />

Nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> waren die Gewerkschaften zwar nicht mit ihrem ost<strong>de</strong>utschen<br />

Pendant zu vergleichen, aber auch sie hielten nicht das was man von ihnen<br />

erwartete: die Verhin<strong>de</strong>rung eines massenhaften Arbeitsplatzabbaus, gera<strong>de</strong> in<br />

<strong>de</strong>r Werftindustrie und <strong>de</strong>n jeweiligen Zulieferbetrieben. Der Nutzen <strong>de</strong>r Gewerkschaften<br />

für sich selbst wird <strong>de</strong>mzufolge vom einzelnen in Frage gestellt. Erst<br />

recht, wenn er aus <strong>de</strong>m Erwerbsleben ausgegrenzt ist. Die Gewerkschaften müssen<br />

sich eine an<strong>de</strong>re Sicht auf sich selbst in bezug auf diese Zielgruppe erst erarbeiten.<br />

Gera<strong>de</strong> <strong>hier</strong> sind Überlegungen in <strong>de</strong>r außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit<br />

aus Sicht <strong>de</strong>r Beteiligungsperspektive notwendig, will man Mitglie<strong>de</strong>r erreichen,<br />

halten und werben. Eine Argumentation, die auf einen klassenkampfbegrün<strong>de</strong>ten<br />

Zusammenhalt abstellt, erscheint abträglich.<br />

Verständnis und Funktion <strong>de</strong>s Ehrenamtes<br />

Bezogen auf <strong>de</strong>n Seniorenarbeitskreis dient ehrenamtliches Engagement<br />

in <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Wohngebietsarbeit zur Herstellung <strong>de</strong>r größtmöglichen<br />

Kontinuität in bezug auf Arbeit und Leben.<br />

a) Die Gewerkschaft ist weiterhin <strong>de</strong>r Rahmen innerhalb <strong>de</strong>ssen das ehrenamtliche<br />

Engagement stattfin<strong>de</strong>t.<br />

b) Die ehrenamtliche Tätigkeit unterschei<strong>de</strong>t sich thematisch nur geringfügig von<br />

<strong>de</strong>r ehemaligen beruflichen Arbeit.<br />

c) Die sozialen Kontakte, vor allem zum ehemaligen Kollegenkreis können weiter<br />

aufrecht erhalten wer<strong>de</strong>n.<br />

d) Bestehen<strong>de</strong> gesellschaftspolitische Überzeugungen können beibehalten wer<strong>de</strong>n<br />

und lassen sich über die Thematik <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements sogar<br />

bestätigen.<br />

e) Die einzelnen erfahren Sinnhaftigkeit und Bestätigung. (man wird auch als Senior<br />

noch gebraucht)<br />

Neu ist, dass diese Tätigkeiten aus <strong>de</strong>r Position <strong>de</strong>s Ruhestan<strong>de</strong>s gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />

Das Engagement stellt über <strong>de</strong>n erfahrenen Sinn und die Bestätigung hinaus,<br />

durch das „aktive Ehrenamt“eine größtmögliche Beteiligung an gewerkschaftspolitischer<br />

Arbeit sicher. Das trägt in hohem Maße zu sozialer Integration<br />

bei.<br />

Für die Erwerbslosen im "Dau wat" Projekt stellt sich die Situation an<strong>de</strong>rs dar.<br />

Ehrenamtliches Engagement ist weitestgehend ein Beschäftigungsersatz für verlorene<br />

Erwerbsarbeit.


­ 100 ­<br />

f) Ehrenamtliches Engagement verhin<strong>de</strong>rt soziale Ausgrenzung und Desintegration.<br />

g) Die einzelnen erfahren Sinn und Bestätigung durch das Einbringen von Kompetenzen,<br />

die sie besitzen o<strong>de</strong>r neu erlernen.<br />

h) Die neu erlernten o<strong>de</strong>r über einen Austausch mit an<strong>de</strong>ren Kollegen erfahrenen<br />

Kompetenzen, können auch im privaten Bereich genutzt wer<strong>de</strong>n.<br />

3.4.3 „Viva Lüd“im „Dau wat“e.V. Schwerin<br />

Der „Dau wat" e.V. Schwerin hat ähnlich wie in Rostock ein altes Gebäu<strong>de</strong><br />

(ein ehemaliges KFZ­Instandsetzungswerk) zu einem „Beratungs­ Betreuungsund<br />

Kommunikationszentrum ausgebaut. Die Ehrenamtlichen haben das Haus<br />

„Viva Lüd“getauft, was so viel be<strong>de</strong>utet wie „es leben die Leute“. Das Zentrum<br />

wur<strong>de</strong> zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Untersuchung 37 nur noch von ehrenamtlich Engagierten<br />

betrieben. Die letzte ABM­Stelle, die das Beratungsangebot abge<strong>de</strong>ckt hatte, war<br />

gera<strong>de</strong> ausgelaufen. Bei <strong>de</strong>n Engagierten han<strong>de</strong>lt es sich ausschließlich um<br />

Männer, die alle Gewerkschaftsmitglied sind und sich im Vorruhestand befin<strong>de</strong>n.<br />

Angeboten wer<strong>de</strong>n: ein Computerkurs (2x wöchentlich), zu <strong>de</strong>m fast ausschließlich<br />

Senioren kommen, ein Klönsnackfrühstück (monatlich) und die Selbsthilfewerkstatt<br />

(2x wöchentlich). Eine Wohngebietsarbeit wie in Rostock fin<strong>de</strong>t <strong>hier</strong><br />

nicht statt. Die Kapazität in bezug auf Information, Veranstaltungen, Kurse, Stadtteilarbeit<br />

(in Netzwerkstrukturen mit an<strong>de</strong>ren Vereinen) und Beratung ist weitaus<br />

geringer o<strong>de</strong>r gar nicht vorhan<strong>de</strong>n. „Viva Lüd“wird vor allem als Treff genutzt.<br />

Zum einen von <strong>de</strong>n Senioren, die zum „Klönsnack“aber auch zum Computerkurs<br />

kommen. Zum an<strong>de</strong>ren von <strong>de</strong>n ehrenamtlich Engagierten. Auch diese verstehen<br />

das Zentrum als Treff, in <strong>de</strong>n man die eigenen Erfahrungen und Kompetenzen<br />

einbringen kann.<br />

Die Engagierten in „Viva Lüd“thematisieren in <strong>de</strong>r Gruppendiskussion die<br />

Anschlussoption an eine sinnstiften<strong>de</strong> Tätigkeit nach <strong>de</strong>m vorzeitigen Ausschei<strong>de</strong>n<br />

aus <strong>de</strong>m Erwerbsleben. Mit ehrenamtlichem Engagement sind sie alle vertraut.<br />

Während ihres Berufslebens waren sie in unterschiedlichen Ehrenämtern<br />

aktiv.<br />

A: Also Ehrenamt haben wir alle gemacht.<br />

B: Ja also wir kenn uns damit eben aus und wissen was es be<strong>de</strong>utet und fühln<br />

uns ganz wohl dabei. Wir haben je<strong>de</strong>nfalls Aufgaben und Tätigkeiten, die<br />

sonst so schlummern wür<strong>de</strong>n und gar nicht mehr rauskommen wür<strong>de</strong>n.<br />

Das wollten wir immer noch so’n bisschen forcieren damit diese grauen<br />

Zellen <strong>hier</strong> oben gar normal, ja auf gar kein Fall ...<br />

C: Wir wolln eben nicht auf <strong>de</strong>r Parkbank sitzen mit <strong>de</strong>r Pulle in <strong>de</strong>r<br />

Hand.<br />

A: Ja das wollten wir natürlich nicht.<br />

B: Ja wir bewegen natürlich auch viele sich <strong>hier</strong> anzuschließen ne. Dass viele<br />

Leute auch herkommen.<br />

37 Die Gruppendiskussion fand am 13.12. 01 im Haus „Viva Lüd“statt, an <strong>de</strong>r fünf engagierte Vorruheständler<br />

teilnahmen.


­ 101 ­<br />

Den Engagierten von „Viva Lüd“geht es vor allem darum, tätig sein zu<br />

können, in<strong>de</strong>m sie ihre Erfahrungen einbringen und über Aktivität rege zu bleiben.<br />

Dabei können sie auf ihre Erfahrungen mit ehrenamtlicher Arbeit zurückgreifen.<br />

Aber nicht die Erfahrung selbst ist zentral, son<strong>de</strong>rn die Möglichkeit, die eigenen<br />

Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen zu können. Die Erfahrung ist insofern relevant,<br />

dass ihnen unentgeltliche Tätigkeiten außerhalb <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit nicht<br />

fremd sind. Welche Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Möglichkeit beigemessen wird, eigene Fähigkeiten<br />

einzubringen, wird mit <strong>de</strong>m Beispiel extremen Ausgegrenzt­Seins beschrieben:<br />

„auf <strong>de</strong>r Parkbank sitzen mit <strong>de</strong>r Pulle in <strong>de</strong>r Hand“. Ihr <strong>de</strong>rzeitiges Engagement<br />

grenzen sie aber von <strong>de</strong>m während <strong>de</strong>s Berufslebens ab. Ging es dort<br />

eher um eine Funktion (z.B. in <strong>de</strong>r Schiedskommission), sehen sie im jetzigen<br />

Engagement eine Freizeitbeschäftigung, <strong>de</strong>r sie zusammen mit an<strong>de</strong>ren nachgehen.<br />

Frage: Und wie wür<strong>de</strong>n sie die Tätigkeit, die sie <strong>hier</strong> ausüben bezeichnen?<br />

D: Hobby.<br />

E: Ich wür<strong>de</strong> sagen es iss `n Hobby. Ich mach das ja freiwillig in meine Freizeit.<br />

Meine Frau iss Gott sei dank noch ar­, arbeitet noch und zu hause<br />

rumsitzen bringt ja nichts.<br />

A: Ja<br />

B: Das iss, das iss für alle <strong>hier</strong>.<br />

Mehrere: Ja<br />

Am:<br />

Einmal iss es so, dass wir selber daran interessiert sind, nicht nur mit unserm<br />

Wissen, unseren Fähigkeiten zu hause rumzusitzen, son<strong>de</strong>rn auch<br />

an<strong>de</strong>ren Leuten damit zu helfen Ja und unsere Fähigkeiten und unsre Möglichkeiten<br />

weiterzugeben<br />

D: Iss `n Hobby und ich kann mein Wissen praktisch an<strong>de</strong>rn vermitteln o<strong>de</strong>r<br />

helfen.<br />

C: Austauschen.<br />

D: Austauschen ne.<br />

C: Gedanken austauschen.<br />

(...)<br />

B: So ’ne Begegnungsstätte.<br />

D: Ja.<br />

B: Für viele Leute, die mit sich nichts anzufangen wissen. (lacht) Die Freizeit<br />

haben. Die auch arbeitslos sind. Hier zusammenzutreffen, um sich auszutauschen.<br />

(...)<br />

B: Na ja, so wir haben uns so zusammen gefun<strong>de</strong>n und wollen das auch so<br />

weiter führen. Solange bis <strong>de</strong>nn uns <strong>de</strong>r Tod schei<strong>de</strong>t <strong>hier</strong>.<br />

A: Solange das die IG­Metall noch hält <strong>hier</strong>.<br />

B: O<strong>de</strong>r das Haus gehalten wird von <strong>de</strong>r IG­Metall.<br />

(...)<br />

A: Auf je<strong>de</strong>n Fall haben wir festgestellt so was gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r heutigen Zeit<br />

sehr gebraucht wird so `ne Begegnungsstätte sozusagen. Es muss ja nicht<br />

unbedingt IG­Metall o<strong>de</strong>r Gewerkschaft sein. Aber es müsste auch so in<br />

<strong>de</strong>n Wohnbezirken in <strong>de</strong>n Wohnabschnitten, so was müsste sein, wo die<br />

Leute die so zu hause im Prinzip mit sich nichts anzufangen wissen. Dass<br />

die nen Punkt haben, wo se hingehen können, wo zum Beispiel etwas organisiert<br />

wird. Denn die meisten warten doch nur darauf das jemand sagt,


­ 102 ­<br />

kommt <strong>hier</strong> wir machen heute so was. Denn sind se hellauf begeistert. Und<br />

so was brauchen wir. Das iss ja gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r heutigen kalten Gesellschafts­<br />

eh Zeit <strong>hier</strong>, das iss ja schlimm <strong>hier</strong>. Was diese zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen, dieses Kollegiale, was früher so war, das iss ja lei<strong>de</strong>r<br />

heute alles nich mehr vorhan<strong>de</strong>n.<br />

Und das versuchen wir <strong>hier</strong> so’n klein bisschen, aufrecht zu erhalten.<br />

Alle Engagierten stimmen <strong>de</strong>r von D eingebrachten Definition, dass es<br />

„Hobby“sei, zu. Sie unterschei<strong>de</strong>n die Tätigkeiten in „Viva Lüd“von ehrenamtlicher<br />

Arbeit. Dieses „Hobby“dient ihren eignen Interessen. Sie können sich mit<br />

an<strong>de</strong>ren austauschen, an<strong>de</strong>ren helfen, das eigene Wissen einbringen und diese<br />

Tätigkeiten selbst gestalten.<br />

Wichtig ist die Begegnungsstätte nicht nur für sie selbst, son<strong>de</strong>rn sie konstatieren<br />

ein großes Interesse auch bei an<strong>de</strong>ren, die „mit sich nichts anzufangen<br />

wissen“, die „Freizeit haben“o<strong>de</strong>r „arbeitslos sind“. Sie verstehen sich dabei nicht<br />

als Sozialstation, son<strong>de</strong>rn rekurrieren auch auf ihre eigenen Verhältnisse als Vorruheständler.<br />

Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r „heutigen Zeit“, in <strong>de</strong>r heutigen „kalten Gesellschaft<br />

bzw. Zeit“wür<strong>de</strong> eine Begegnungsstätte sehr gebraucht. Viele warteten darauf,<br />

dass etwas angeboten wer<strong>de</strong>. Dabei steht ihre eigene Tätigkeit in <strong>de</strong>r Selbsthilfewerkstatt,<br />

im Computerkurs und in organisierten (Freizeit)­Veranstaltungen im<br />

Zentrum.<br />

Die Engagierten verbin<strong>de</strong>n in „Viva Lüd“ihre eigenen Interessen mit <strong>de</strong>r<br />

Möglichkeit an<strong>de</strong>ren zu helfen. Aus <strong>de</strong>r Hilfe für an<strong>de</strong>re ziehen sie auch Bestätigung<br />

und Befriedigung. „Du hast an<strong>de</strong>ren Leuten etwas gegeben, was beigebracht,<br />

und das ist für mich eine Befriedigung.“<br />

Diese Tätigkeiten grenzen sie von ehrenamtlicher Arbeit ab und fassen sie<br />

mit <strong>de</strong>m Begriff Hobby. Das heißt nicht, dass sie dabei keine organisatorischen<br />

Arbeiten übernehmen. Denn Veranstaltungen, Computerkurse, die Selbsthilfewerksatt<br />

und <strong>de</strong>n Klönsnack organisieren sie selbst. Ehrenamtliche Arbeit ist für<br />

sie aber eher Tätigkeit im Sinne <strong>de</strong>r Organisationsinteressen. Seniorenarbeit o<strong>de</strong>r<br />

Radtouren seien keine ehrenamtliche Tätigkeit. Ehrenamtlich sei man im Betrieb<br />

als Vertrauensmann o<strong>de</strong>r im Betriebsrat tätig. Eine Ausweitung <strong>de</strong>s Engagements<br />

lehnen sie aber nicht ab. Wenn sie <strong>hier</strong> im „Viva Lüd“gebraucht wür<strong>de</strong>n, wären<br />

sie da. Aber auch für ehrenamtliche Tätigkeiten – also klassische Gewerkschaftsarbeit<br />

– wären sie offen, wenn man sie fragen wür<strong>de</strong>.<br />

Das Gemeinsame zwischen ihnen und ihren Rostocker Kollegen <strong>de</strong>s Seniorenarbeitskreises<br />

ist, dass sie ihr Engagement selbstbestimmt gestalten können.<br />

Im Unterschied zu diesen verstehen sie ihr Engagement aber nicht als ehrenamtliche<br />

Tätigkeit, da sie nicht gewerkschaftspolitisch ist. Das liegt in erster Linie<br />

nicht an <strong>de</strong>n unterschiedlichen Interessen, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>r Einbindung in die<br />

Strukturen gewerkschaftlicher Arbeit im außerbetrieblichen Bereich. Hier dürften,<br />

wie sich in <strong>de</strong>r Rostocker Wohngebietsarbeit gezeigt hat, noch Potentiale für die<br />

Gewerkschaften liegen.<br />

Es müssen Handlungsfel<strong>de</strong>r geschaffen wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen die Engagierten<br />

eigene Interessen und Bedürfnisse einbringen und in <strong>de</strong>nen sie weitestgehend<br />

selbstbestimmt und verantwortlich tätig sein können. Sie nur als einen verlängerten<br />

Arm hauptamtlicher Arbeit zu begreifen, ist ebenso falsch wie die Engagierten<br />

nur in einer organisatorischen Arbeit für Freizeitveranstaltungen zu unterstützen.<br />

Ersteres <strong>de</strong>gradiert sie zum Anhängsel, das an<strong>de</strong>re suspendiert sie von <strong>de</strong>n in­


­ 103 ­<br />

haltlichen Themen gewerkschaftlicher Arbeit. Ebenso ist Erwerbslosenarbeit, die<br />

sich in Beratung erschöpft, nur ein Moment zusätzlicher Sozialpolitik. Wie sich in<br />

Schwerin zeigen lässt, gibt es <strong>hier</strong> Potentiale für gewerkschaftspolitische Arbeit im<br />

Wohnbereich. Allerdings scheint es von Vorteil, wenn diese Tätigkeiten auch in<br />

die Strukturen einer sich entfalten<strong>de</strong>n außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit<br />

eingebettet sind. Die Anbindung <strong>de</strong>r Senioren in Rostock an die Arbeit <strong>de</strong>s "Dau<br />

wat" ist för<strong>de</strong>rlich und motivierend für ihre eigene Tätigkeit. Bei <strong>de</strong>n Schweriner<br />

Engagierten för<strong>de</strong>rt gera<strong>de</strong> die Möglichkeit, interessegeleitetes Engagement<br />

selbstbestimmt zu gestalten, die Bereitschaft darüber hinaus gewerkschaftspolitisch<br />

tätig zu sein. Nicht Desinteresse an gewerkschaftlicher Arbeit und Politik ist<br />

einem Ehrenamt abträglich, son<strong>de</strong>rn die fehlen<strong>de</strong>n Strukturen, dieses zur Verfügung<br />

zu stellen.<br />

Dies gilt mehr o<strong>de</strong>r weniger auch für die Gruppe <strong>de</strong>r Erwerbslosen. Auch<br />

wenn die Aktivierung dieser Gruppe schwieriger ist, so ist ein Engagement in diesem<br />

Sinne überhaupt nicht auszuschließen. Die Einbindung in Projekte, in <strong>de</strong>nen<br />

gera<strong>de</strong> über selbstbestimmte und selbstverantwortliche gemeinsame Tätigkeit<br />

soziale Integrationsoptionen ermöglicht wer<strong>de</strong>n, eröffnen auch Engagementpotentiale<br />

für klassische gewerkschaftspolitische Arbeit im außerbetrieblichen Bereich.<br />

Dafür sind Senioren, Vorruheständler und Erwerbslose insofern prä<strong>de</strong>stiniert, da<br />

sie eine zeitlich größer Präsenz in <strong>de</strong>n Wohnbereichen aufweisen. Zu beachten<br />

ist dabei allerdings, dass diese Tätigkeiten nicht von einzelnen Gruppen dominiert<br />

wer<strong>de</strong>n sollten, da die Lebenssituationen <strong>de</strong>r einzelnen verschie<strong>de</strong>n sind. „Kommunikations­<br />

und Beteiligungszentren“wie sich das vor allem beim „Haltepunkt“in<br />

Rostock zeigt, sind gute Basen für gewerkschaftliche Tätigkeiten, die sozial­,<br />

kommunal­ und gewerkschaftspolitische Anliegen verbin<strong>de</strong>n.<br />

3.4.4 Zusammenfassung<br />

Wie sich anhand von "Dau wat" Rostock und <strong>de</strong>m Schweriner „Viva Lüd“<br />

zeigt, gibt es unterschiedliche Engagementvoraussetzungen und Interessen, aber<br />

auch verschie<strong>de</strong>ne Bedingungen, um ein Engagement überhaupt aufzunehmen.<br />

Die Be<strong>de</strong>utung, die das Engagement für die einzelnen hat, ist sowohl ihrer biographischen<br />

Situation geschul<strong>de</strong>t als auch <strong>de</strong>r ehemaligen Einbindung in gewerkschaftliche<br />

Strukturen. Für die Bindung an die Gewerkschaften ist dies aber nicht<br />

<strong>de</strong>r ausschlaggeben<strong>de</strong> Punkt. Über die Ermöglichung sozial integrativer und<br />

selbstbestimmter Tätigkeit können <strong>hier</strong> dauerhafte Bindungspotentiale erreicht<br />

wer<strong>de</strong>n. Das zeigt sich beson<strong>de</strong>rs bei <strong>de</strong>n Schweriner Engagierten, die auch für<br />

eine gewerkschaftspolitische Tätigkeit offen sind. Voraussetzung dafür scheint<br />

aber, in einem ersten Schritt auf die <strong>de</strong>r sozialen Situation entspringen<strong>de</strong>n Bedürfnisse<br />

einzugehen und Engagementoptionen anzubieten. Die Engagierten in<br />

Schwerin und die erwerbslosen Engagierten in Rostock machen ihr Engagement<br />

nicht davon abhängig, dass es bei <strong>de</strong>r Gewerkschaft stattfin<strong>de</strong>t. Das hat mit <strong>de</strong>r<br />

speziellen Form ihres Engagements zu tun, das sie nicht als ein gesellschaftspolitisches<br />

verstehen. Ihnen geht es darum, ein Engagement grundsätzlich aufrechterhalten<br />

zu können. Dadurch, dass dies über die Gewerkschaften funktioniert,<br />

erwachsen Bindungspotentiale an die Gewerkschaften und eröffnen sich für diese<br />

Engagementpotentiale für gewerkschaftspolitische Arbeit im Wohngebiet. Darüber<br />

hinaus erlangen Gewerkschaften auch einen praxisbezogenen Einfluss auf kommunal­<br />

und sozialpolitische Strukturen.


­ 104 ­<br />

Zusammenfassend lassen sich vier Engagementverständnisse ausmachen:<br />

• gewerkschaftspolitisches Engagement (Seniorenarbeitkreis Rostock)<br />

• Hobby (Schweriner Engagierte)<br />

• soziales Engagement (Erwerbsloser A)<br />

• Engagement als Brücke und Ersatz für Erwerbsarbeit (Erwerbslose A u.<br />

B)<br />

Engagement wird beson<strong>de</strong>rs im Fall von A als ein soziales interpretiert.<br />

Das hängt mit <strong>de</strong>m von ihm ausgeübten Engagement zusammen, vor allem aber<br />

spiegelt sich darin eine Erwartung an Engagement: Ehrenamtlichkeit ist die Bereitschaft<br />

gegen an<strong>de</strong>re, die hilflos sind, die erst mal nicht wissen, was sie anfangen<br />

sollen mit sich selber. Ja und wenn man <strong>de</strong>n motiviert und das sie dann<br />

nachher mitziehen, das ist eine ehrenamtliche Arbeit. (Erwerbsloser A)<br />

Das Engagement, das ihm bei "Dau wat" einen Zugang zu einer sinnvollen<br />

Tätigkeit eröffnete, baute damit auch eine Brücke aus sozialer Ausgrenzung heraus.<br />

Aus <strong>de</strong>r eigenen Erfahrung wird die Be<strong>de</strong>utung eines sozialen Engagements<br />

dadurch zentral. Einige Kernaussagen <strong>de</strong>r Interviewinterpretationen wer<strong>de</strong>n folgend<br />

noch einmal in thesenförmig formulierten Folgerungen zusammengefasst.<br />

3.4.5 Folgerungen<br />

a) Die Effizienz von Wohngebietsarbeit beruht auf <strong>de</strong>r Integration von ehemaligen<br />

Gewerkschaftsfunktionären (Engagement und Professionalität)<br />

b) Die ehrenamtliche Tätigkeit ermöglicht bei ehemaligen Funktionären eine<br />

Kontinuität in <strong>de</strong>r Tätigkeit und im Sinn.<br />

c) Durch die stärkeren Desintegrationspotentiale eines schrumpfen<strong>de</strong>n Arbeitsmarktes<br />

und <strong>de</strong>n Nachwirkungen <strong>de</strong>r ost<strong>de</strong>utschen Einheit von Wirtschaftsund<br />

Sozialpolitik liegen in <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit beson<strong>de</strong>re Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

und Möglichkeiten an und bei <strong>de</strong>n Gewerkschaften: Arbeitslosigkeit und I<strong>de</strong>ntitätsbrachen.<br />

d) Die Argumentation <strong>de</strong>s Seniorenarbeitkreis bei <strong>de</strong>r Gewinnung von potentiellen<br />

Ehrenamtlichen greift auf eine klassenkämpferische I<strong>de</strong>ologie zurück und<br />

läuft dadurch Gefahr, auch abschrecken<strong>de</strong> Wirkung zu haben.<br />

e) Der Zugang zum ehrenamtlichen Engagement erfolgt über die bestehen<strong>de</strong><br />

Mitglie<strong>de</strong>rstruktur, <strong>de</strong>r die potentiell Engagierten als Mitglie<strong>de</strong>r angehören.<br />

f) Um ein Engagement ausüben zu können, müssen teilweise neue Kompetenzen<br />

erlernt wer<strong>de</strong>n. Hier gerät ehrenamtliches Engagement in die Gefahr <strong>de</strong>r<br />

Professionalisierung.<br />

g) Durch das Pen<strong>de</strong>ln Erwerbsloser zwischen zweitem Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit<br />

wird eine Kontinuität <strong>de</strong>s Engagements sichergestellt, die aber die<br />

Gefahr in sich birgt, dass sich das Engagement an leistungsbezogener Erwerbsarbeit<br />

orientiert.<br />

h) Eine Abstinenz ehrenamtlichen Engagements innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft ist<br />

nicht einem unterstellten Egoismus geschul<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n organisatorischen<br />

Strukturen, in die Engagement und Engagementverständnis eingebettet<br />

sind.


­ 105 ­<br />

i) Über die außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit kann ein praxisbezogener<br />

Einfluss auf kommunal­ und sozialpolitische Themen gewonnen wer<strong>de</strong>n.<br />

j) Engagementoptionen im sozialpolitischen Bereich wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Bedürfnissen<br />

<strong>de</strong>r Engagierten gerecht, stärken die Bindungen an die Gewerkschaften und<br />

motivieren zu zusätzlichem gewerkschaftspolitischem Engagement.<br />

3.5 Intensivfallstudie II: Die „Fallstudie Suttgart“<br />

3.5.1 Auswahl <strong>de</strong>r Erhebungen<br />

In <strong>de</strong>r „Fallstudie Stuttgart“war das Arbeitslosenzentrum SALZ e.V. Ausgangspunkt<br />

und Mittelpunkt <strong>de</strong>r Untersuchung. Das SALZ war anhand von Expert/inn/en­Interviews,<br />

die bei einem Feldaufenthalt <strong>de</strong>r „16. Arbeitstagung gewerkschaftlicher<br />

Arbeitslosengruppen“in Bad Orb geführt wur<strong>de</strong>n, ausgewählt<br />

wor<strong>de</strong>n. Daran anknüpfend wur<strong>de</strong> eine Gruppendiskussion und Expert/inn/en­<br />

Interviews im SALZ sowie im DGB erhoben. Im außergewerkschaftlichen Bereich<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zugang vor allem über die Ehrenamtsbörse in Esslingen (EBBE) hergestellt.<br />

Anschließend daran wur<strong>de</strong> eine Gruppendiskussion im Forum „Häppeker“,<br />

das als Plattform für unterschiedliche bürgerschaftlich engagierte Projekte<br />

dient, geführt. Weiterhin wur<strong>de</strong>n Expert/inneninterviews in verschie<strong>de</strong>nen Vereinen<br />

und Projekten, Behör<strong>de</strong>n und Verbän<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Stadt Stuttgart und in Esslingen<br />

geführt. Eine weitere Gruppendiskussion wur<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r DGB­Jugend durchgeführt.<br />

38<br />

Übersicht 5: Die einzelnen Institutionen in bezug zur Gewerkschaft<br />

Ort in <strong>de</strong>r Gewerkschaft Gewerkschaftsbezug außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

Stuttgart Verwaltungsstelle DGB,<br />

Regionsvorsitz<br />

Stuttgart<br />

DGB, Jugendbildungsreferent,<br />

Stuttgart DGB­Jugend, Jugendprojekt<br />

“Arbeitsweltradio“<br />

Stuttgart ver.di, ­Jugendsekretärin<br />

Stuttgart<br />

Stuttgart<br />

Stuttgart<br />

Stuttgart<br />

Stuttgart<br />

Stuttgarter Arbeitslosenzentrum<br />

SALZ<br />

e.V.<br />

Initiative Bürgerengagement in<br />

Stuttgart (IBIS; Freiwilligenvermittlung)<br />

Kontakt­ und Informationsstelle<br />

für Selbsthilfegruppen (KISS)<br />

Lan<strong>de</strong>sbüro Ehrenamt (Kultusministerium)<br />

Geschäftsstelle bürgerschaftliches<br />

Engagement (Sozialministerium)<br />

Stuttgart<br />

Paritätisches Bildungswerk<br />

Esslingen Koordinierungsstelle bürgerschaftliches<br />

Engagement<br />

/Sozialamt<br />

Esslingen<br />

Forum Im Heppäcker*<br />

Stuttgart<br />

Interessenbörse<br />

38 Zur Übersicht <strong>de</strong>r Interviews, Gespräche und Beobachtungen siehe Übersicht 3.


­ 106 ­<br />

Stuttgart<br />

Treffpunkt Senior<br />

Stuttgart<br />

Mehrwert­Agentur<br />

Stuttgart<br />

FrEE­Aka<strong>de</strong>mie<br />

* Im Forum Häppeker waren Engagierte aus folgen<strong>de</strong>n Projekten vertreten: Balance, Rat und Tat,<br />

Seniorenstadtrat, Postmichel, Mentoren, Esslinger Börse für Bürgerengagement EBBE, Wohnberatung<br />

3.5.2 Ehrenamtliches Engagement am Beispiel <strong>de</strong>s Stuttgarter Arbeitslosenzentrums<br />

SALZ e.V.<br />

3.5.2.1 Das SALZ als Beispiel gewerkschaftlicher Arbeitslosenbetreuung<br />

Das SALZ besteht seit 1985 und versteht sich als „Beratungsstelle, Arbeitslosenzentrum<br />

und ­treff“. Es kann auf eine länger Vergangenheit zurückblicken als<br />

<strong>de</strong>r "Dau wat" Verein in Mecklenburg­Vorpommern. Wesentlicher ist aber die Unterscheidung,<br />

dass das Projekt SALZ nicht in eine gewerkschaftliche Wohngebietsarbeit<br />

integriert ist und sich auch selbst nicht als solche versteht. Das mag<br />

nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass die Arbeitslosenquote in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn stark divergiert. Laut statistischem Lan<strong>de</strong>samt Ba<strong>de</strong>n­<br />

Württemberg lag diese im Jahr 2001 bei 5,5% (damit liegt sie im Vergleich sogar<br />

niedriger als die bisher höchste <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>slan<strong>de</strong>s von 8,7% im Jahr 1997). In<br />

Mecklenburg­Vorpommern lag die Arbeitslosenquote 2001 bei 19,6%. 39 Damit<br />

überstieg sie die von Ba<strong>de</strong>n­Württemberg um ein Vielfaches. Beson<strong>de</strong>rs die Region<br />

um Rostock, wo tausen<strong>de</strong> Arbeiter/innen aus <strong>de</strong>r Werftindustrie und ihren<br />

Zulieferbetrieben entlassen wur<strong>de</strong>n, ist davon stark betroffen. 40<br />

Das SALZ glie<strong>de</strong>rt seine Angebote nach vier Bereichen:<br />

• offener Bereich – <strong>hier</strong>unter fallen ein wöchentliches Frühstück und Mittagessen<br />

sowie Treffen im Café­Bereich<br />

• Veranstaltungen und Informationsmaßnahmen<br />

• Beratung (von Erwerbslosen)<br />

• sonstige Angebote – wie die Arbeitsloseninitiative, PC­Nutzung und<br />

Frauentreff<br />

Die höchste Nutzung erfuhr das Beratungsangebot mit 30%, gefolgt vom<br />

offenen Bereich (25%) und <strong>de</strong>n Veranstaltungen/Kursen (23%).<br />

Im Unterschied zu Rostock fällt auf, dass <strong>hier</strong> eine Arbeitsloseninitiative<br />

besteht, die eigenständig arbeitet und dabei <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>s SALZ nutzt. Getragen<br />

wird das SALZ gemeinsam vom DGB, <strong>de</strong>r Kirche und <strong>de</strong>r Stadt Stuttgart.41<br />

Drei Mitarbeiter/innen teilen sich die zwei unbefristeten Stellen. Das SALZ ist mittlerweile<br />

eine etablierte Institution in <strong>de</strong>r Stadt und weist für das Jahr 2001 einen<br />

Besucherkontakt von 2.930 aus. Die höchste Beratungsquote liegt mit 31% bei<br />

<strong>de</strong>r Altersgruppe <strong>de</strong>r 35 bis 45Jährigen.<br />

39 2000 lag die Arbeitslosenquote bei 19,0%. Damit ist wie<strong>de</strong>r ein Anstieg zu verzeichnen. In<br />

Mecklenburg Vorpommern liegt die Arbeitslosenquote zu<strong>de</strong>m höher als die <strong>de</strong>r neuen Län<strong>de</strong>r insgesamt<br />

(18,9%). Das Stellenangebot hat sich zum Jahr 2000 um 6,9% verringert (114 721 Stellenangebote<br />

2001). ABM­Stellen waren 2001 immer noch wesentlichstes Entlastungselement<br />

(25.300). Von Langzeitarbeitslosigkeit waren 2001 37,4% <strong>de</strong>r Frauen und 26,7% <strong>de</strong>r Männer betroffen.<br />

(Quelle: Statistisches Lan<strong>de</strong>samt Mecklenburg­Vorpommern)<br />

40 Von <strong>de</strong>n ca. 55.000 aus dieser Branche verloren zwei Drittel ihre Arbeit. (Angabe: IGM­Rostock)<br />

41 Die Finanzierung erfolgt zu je einem Drittel vom DGB, <strong>de</strong>r Kirche und <strong>de</strong>r Stadt.


­ 107 ­<br />

Ehrenamtliches Engagement fin<strong>de</strong>t im SALZ vor allem bei <strong>de</strong>r Mitorganisation<br />

von Veranstaltungen und bei <strong>de</strong>n wöchentlichen Frühstück­ und Mittagsessen<br />

statt. Die Arbeitsloseninitiative wird ausschließlich von Ehrenamtlichen bestritten.<br />

Diese wird vom DGB, <strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>n 2. Vereinsvorsitzen<strong>de</strong>n stellt (im Wechsel mit<br />

<strong>de</strong>r Kirche), als politische Arbeit verstan<strong>de</strong>n:<br />

... dass die [die Arbeitsloseninitiative, Anm. F. Ernst] so eher <strong>de</strong>n politischen<br />

Part spielt. Ja, wir haben auch festgestellt, also die Arbeitslosen sind nicht<br />

ohne weiteres politisch mobilisierbar, in unserem Sinne. (Experteninterview DGB­<br />

Stuttgart)<br />

Die an<strong>de</strong>ren Bereiche <strong>de</strong>s SALZ sind eher ein sozialpolitisches Engagement<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaft, das zusätzlich zu <strong>de</strong>n offiziellen Angeboten offeriert wird:<br />

Wir machen dort ne Beratungsarbeit, die eigentlich Aufgabe <strong>de</strong>s Sozialamtes,<br />

<strong>de</strong>s Arbeitsamtes wäre. (<strong>de</strong>rs.)<br />

Die Notwendigkeit einer Wohngebietsarbeit, wie sie in Rostock stattfin<strong>de</strong>t,<br />

wird <strong>hier</strong> nicht gesehen. Dazu trägt die relativ gute Situation auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt<br />

in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg bei:<br />

Da haben wir [im Gegensatz zu Ost<strong>de</strong>utschland, Anm. F. Ernst] paradiesische<br />

Zustän<strong>de</strong>. Also da müssten wir uns eigentlich schämen von Arbeitslosen<br />

und Erwerbslosigkeit zu re<strong>de</strong>n. (<strong>de</strong>rs.)<br />

Insgesamt sind im SALZ ca. 25 Erwerbslose ehrenamtliche engagiert. In<br />

<strong>de</strong>r Arbeitsloseninitiative arbeiten bis zu zehn Engagierte mit.<br />

Mit <strong>de</strong>m Begriff Ehrenamt haben die Engagierten nach Aussage eines Mitarbeiters<br />

<strong>de</strong>s SALZ ein Problem, weil ihre Tätigkeit für sie nichts mit Ehre zu tun<br />

habe. Der Begriff bürgerschaftliches Engagement spiele ebenfalls keine Rolle,<br />

son<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong> eher von Institutionen gebraucht. Auch <strong>de</strong>r Befragte <strong>de</strong>s DGB hat<br />

gegenüber <strong>de</strong>m Begriff bürgerschaftliches Engagement eher eine ablehnen<strong>de</strong><br />

Haltung, obwohl er das Engagement <strong>de</strong>s DGB im SALZ als „große Portion bürgerschaftlichen<br />

Engagements <strong>de</strong>r Gewerkschaften“bezeichnet.<br />

Ja, wir haben, wir haben ja <strong>hier</strong> in Stuttgart das Problem, dass <strong>de</strong>r Oberbürgermeister<br />

und auch die Stadtverwaltung <strong>de</strong>s Thema bürgerschaftliches Engagement<br />

sehr hoch hängt.<br />

Allerdings, wenn man jetzt mal, äh, so manche Papiere zu <strong>de</strong>m Thema<br />

liest, dann wird sehr schnell <strong>de</strong>utlich, dass die oftmals mit bürgerschaftlichem Engagement<br />

Privatisierung gleichsetzen. Also die Gleichsetzung von gesellschaftlichen<br />

o<strong>de</strong>r sozialen Aufgaben, die eben durch bürgerschaftliches Engagement<br />

preiswerter wer<strong>de</strong>n bzw. ganz ersetzt wer<strong>de</strong>n, zur Entlastung <strong>de</strong>r Stadtkasse. (...)<br />

Und die Lobbyarbeit ist <strong>hier</strong> an <strong>de</strong>r Stelle sehr groß. Und wir haben in Stuttgart da<br />

extra einen Beauftragten für bürgerschaftliches Engagement bei <strong>de</strong>r Stadt, <strong>de</strong>r da<br />

also die Vereine und so weiter berät. (...) Also wir nehmen <strong>de</strong>n auch net zur K­,<br />

äh, wir benutzen <strong>de</strong>n auch net. (<strong>de</strong>rs.)<br />

Der DGB­Experte sieht in <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung bürgerschaftlichen Engagements<br />

die Gefahr, öffentliche Aufgaben zugunsten <strong>de</strong>s kommunalen Haushaltes auf private<br />

Initiativen abzuwälzen. Ein an<strong>de</strong>res Problem sei die Lobbyarbeit <strong>de</strong>r Vereine<br />

in Zusammenhang mit bürgerschaftlichem Engagement. Diese undifferenzierte<br />

Einschätzung kann als Resultat <strong>de</strong>r Distanz <strong>de</strong>s DGB zu bürgerschaftlichem Engagement<br />

außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n.<br />

In Ba<strong>de</strong>n­Württemberg gibt es auf Verwaltungsebene zwei Stellen, die für<br />

freiwilliges Engagement zuständig sind. Das ist zum einen das „Lan<strong>de</strong>sbüro Eh­


­ 108 ­<br />

renamt“beim Ministerium für Kultus, Jugend und Sport. Dieses ist zuständig für<br />

ehrenamtliches Engagement in Vereinen in <strong>de</strong>n Bereichen Sport, Kultur und Jugend.<br />

Hier wird unter Engagement eher das klassische Ehrenamt verstan<strong>de</strong>n. Für<br />

bürgerschaftliches Engagement zeichnet die Abteilung 4 (Soziales) im Sozialministerium<br />

verantwortlich. Hier wird ein neues Verständnis von Engagement vertreten<br />

und geför<strong>de</strong>rt.<br />

Eine skeptische o<strong>de</strong>r kritische Haltung gegenüber <strong>de</strong>m Begriff bürgerschaftliches<br />

Engagement fand sich nicht nur beim DGB und im SALZ, son<strong>de</strong>rn<br />

auch in an<strong>de</strong>ren Einrichtungen <strong>de</strong>r Selbsthilfe und <strong>de</strong>r Vermittlung von freiwilligen<br />

Tätigkeiten. Das war nur dort an<strong>de</strong>rs, wo von Verwaltungsebene aus eine konsequente<br />

För<strong>de</strong>rung und Unterstützung erfolgte (z.B. in Esslingen). Das Verständnis<br />

ehrenamtlichen Engagements von Erwerbslosen wird anhand <strong>de</strong>r Gruppendiskussion,<br />

die im SALZ durchgeführt wur<strong>de</strong>, analysiert. 42<br />

3.5.2.2 Die Be<strong>de</strong>utung ehrenamtlichen Engagements aus Sicht <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen<br />

Gemeinsam ist <strong>de</strong>n ehrenamtlichen Engagierten, dass sie die Freiwilligkeit<br />

ihrer Tätigkeit im Arbeitslosenzentrum betonen. Unterschie<strong>de</strong> bestehen in <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung,<br />

die sie <strong>de</strong>m SALZ für ihr Engagement zuweisen. So ist das SALZ für die<br />

Teilnehmer/innen <strong>de</strong>r Arbeitsloseninitiative <strong>de</strong>r Rahmen, innerhalb <strong>de</strong>ssen und<br />

von <strong>de</strong>m aus sie politisch aktiv sein können. Sie sehen es als Notwendigkeit bzw.<br />

als Verpflichtung an, auf die Probleme und die Situation von Arbeitslosen hinzuweisen.<br />

Mit diesen Problemen an die Öffentlichkeit zu gehen, ist ein vitales Interesse<br />

<strong>de</strong>r Arbeitsloseninitiative.<br />

C: Da wir ja arbeitslos sind und sonst nicht so viel zu tun haben, ist das halt a<br />

wenig a Abwechslung auch.<br />

E: Für dich.<br />

C: Ja, also für mich schon, ja.<br />

D: Ja, für mich ist, ich mache ehrenamtliche Sachen, freiwillig mach ich das.<br />

E: Ja.<br />

D: Ich engagier mich aus Zivilcourage auf freiwilliger Basis.<br />

C: Also ich koch, also wir machen fast, je nach <strong>de</strong>m was ... (Unterbrechung)<br />

E: was anfällt.<br />

C: Was anfällt. Ja.<br />

D: Ich habe was an<strong>de</strong>res gemacht. Flugblätter verteilt. (...) Also in die Öffentlichkeit<br />

zu gehen. Sich mal zu zeigen.<br />

Während C ihr Engagement als Abwechslung zu ihrem Alltag darstellt, welcher<br />

durch die Arbeitslosigkeit und die dadurch zur Verfügung stehen<strong>de</strong> Zeit stärkere<br />

Be<strong>de</strong>utung erlangt, insistiert D auf ein gesellschaftspolitisches Engagement,<br />

das er als Zivilcourage begreift. Diese wird als ein Anspruch verstan<strong>de</strong>n, sich<br />

selbst in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zu zeigen und dadurch das Thema Arbeitslosigkeit ins<br />

allgemeine Bewusstsein zu heben. Dieses Anliegen, die eigenen Interessen in <strong>de</strong>r<br />

Öffentlichkeit zu artikulieren, wird von allen geteilt. Unterschie<strong>de</strong> sind aber in <strong>de</strong>r<br />

42 Bei <strong>de</strong>n Teilnehmer/innen han<strong>de</strong>lte es sich fast ausschließlich um Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Arbeitsloseninitiative<br />

im SALZ. Insgesamt waren es sechs Teilnehmer/innen (vier Männer und zwei Frauen). Die<br />

Gruppendiskussion fand am 14.10.02 statt.


­ 109 ­<br />

Gewichtung zu sehen. So wird C zurückgewiesen, als sie für alle („wir“) auf die<br />

Frage antwortet, warum sie ehrenamtlich engagiert seien. Schon am Anfang <strong>de</strong>r<br />

Gruppendiskussion zeigte sich – und dies wie<strong>de</strong>rholte sich in ihrem Fortgang –,<br />

dass es für die aktiv Engagierten zwei Tätigkeitsbereiche gibt: ein Engagement im<br />

Innenbereich <strong>de</strong>s SALZ und ein Engagement, das politisch in die Öffentlichkeit<br />

wirkt. Letzteres wird von allen als wichtig erachtet und von <strong>de</strong>n meisten als das<br />

zentrale Anliegen betont. Die einzelnen weisen diesem Engagement aber unterschiedliche<br />

Be<strong>de</strong>utungen zu. Diese Zuweisungen rekurrieren dabei auf die jeweilige<br />

Betroffenheit und <strong>de</strong>n Anspruch <strong>de</strong>r Engagierten.<br />

Ich bin in <strong>de</strong>n Treffpunkt SALZ mehr o<strong>de</strong>r weniger durch Zufall gekommen.<br />

Durch ein Plakat, es wur<strong>de</strong> Foto­AG o<strong>de</strong>r so was angeboten. Und dann bin ich<br />

öfters daher und dann hab ich gemerkt, dass man sich auch politisch betätigen<br />

kann, insofern auf die Strasse zu gehen, um gegen das zu gehen, was uns betrifft.<br />

Damit das Thema Nummer eins nicht immer unter <strong>de</strong>n Tisch fällt, sah ich es<br />

als zwingen<strong>de</strong> Notwendigkeit, mitzumachen bei Demonstrationen. (...)<br />

Das hat mich ganz stark interessiert und weil ich fin<strong>de</strong>, dass wir einfach untergehen<br />

in <strong>de</strong>n Medienlandschaften. Die vielleicht <strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>r Milch o<strong>de</strong>r irgendwie<br />

was an<strong>de</strong>res o<strong>de</strong>r Aktionärskurse höher bewerten und öfters interpretieren,<br />

als wie die Arbeitslosigkeit, die Thema Nummer eins sein sollte. Aber die Arbeitslosen<br />

wer<strong>de</strong>n bekämpft und <strong>de</strong>s ist, was mir wi<strong>de</strong>rstrebt. Und wenn dann<br />

noch ein Kanzler uns als Faulpelze hinstellt, dann muss man um so mehr was<br />

tun. Weil das kann es nicht sein. Für die eigenen Unzulänglichkeiten, die die Regierungen<br />

verantworten müssen, die Leute dann zusätzlich noch bestrafen, wenn<br />

man ihnen <strong>de</strong>n Teppich unter <strong>de</strong>n Füßen wegzieht, sprich die Erwerbsarbeit. Ich<br />

spreche nicht von Beschäftigung. (...)<br />

Ich halte es einfach für wichtig, dieses Thema wach zu halten und einfach,<br />

äh, was zu tun, um doch nicht unterzugehen, um gehört zu wer<strong>de</strong>n und darum<br />

mach ich in <strong>de</strong>r Initiative mit. (Erwerbslose E)<br />

E kommt über ein Angebot zu SALZ und erkennt <strong>hier</strong> die Möglichkeit, sich<br />

politisch zu betätigen. Das „Thema Nummer Eins“brennt ihr auf <strong>de</strong>n Nägeln und<br />

sie sieht es als „zwingen<strong>de</strong> Notwendigkeit“sich dafür auch in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit<br />

einzusetzen, damit es nicht „immer unter <strong>de</strong>n Tisch falle“. Das SALZ bietet <strong>de</strong>n<br />

Rahmen, um mit <strong>de</strong>m wichtigen Thema Arbeitslosigkeit in die Öffentlichkeit gehen<br />

zu können. Zumal „wir“(die Betroffenen) auch in <strong>de</strong>n Medien untergehen. Obwohl<br />

die Arbeitslosigkeit in <strong>de</strong>n Medien an erster Stelle stehen sollte, beschäftigen diese<br />

sich sowohl in Quantität als auch in Qualität entwe<strong>de</strong>r mit belanglosen Themen<br />

(Tag <strong>de</strong>r Milch) o<strong>de</strong>r mit Themen, die <strong>de</strong>r eigenen Lebensrealität entrückt sind<br />

(Aktionärskurse). Statt <strong>de</strong>ssen wer<strong>de</strong>n die Arbeitslosen sogar bekämpft. Diese<br />

macht sie am Beispiel <strong>de</strong>s Kanzlerzitats fest, in <strong>de</strong>m die Arbeitslosen als Faulpelze<br />

bezeichnet wer<strong>de</strong>n. E nimmt diese Kampfansage durch <strong>de</strong>n Kanzler an, und<br />

meint dass man <strong>de</strong>shalb um so mehr dagegen tun müsse.<br />

E betont, dass es ihr nicht um Beschäftigung gehe, son<strong>de</strong>rn um Erwerbsarbeit.<br />

Erwerbsarbeit bezieht sich <strong>hier</strong> auf <strong>de</strong>n „Teppich unter <strong>de</strong>n Füßen“, also<br />

auf die Grundlage <strong>de</strong>s einzelnen Individuums. Erwerbslosigkeit thematisiert <strong>hier</strong><br />

nicht das Problem <strong>de</strong>r Nichtbeschäftigung bzw. <strong>de</strong>s Nichttätigseins, son<strong>de</strong>rn die<br />

ökonomische Grundlage <strong>de</strong>s einzelnen. Dieser verliert diese Grundlage aber nach<br />

E nicht, son<strong>de</strong>rn sie wird ihm „unter <strong>de</strong>n Füßen weggezogen“. Statt Arbeit zu<br />

schaffen, was ihres Erachtens in <strong>de</strong>r Verantwortung <strong>de</strong>r Regierung liegt, lenke


­ 110 ­<br />

diese von <strong>de</strong>n eigenen Unzulänglichkeiten ab, in<strong>de</strong>m sie jene beschuldigt, <strong>de</strong>nen<br />

<strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Füßen weggezogen wur<strong>de</strong>. Sie verhin<strong>de</strong>re nicht nur Arbeitsplatzverlust,<br />

son<strong>de</strong>rn schaffe auch keine neuen Arbeitsplätze. Um die Verantwortung<br />

für die eigenen Unzulänglichkeiten abzugeben, stigmatisiere sie die Arbeitslosen<br />

als Faulpelze. E fühlt sich nicht nur im Stich gelassen, son<strong>de</strong>rn angegriffen.<br />

Sie empfin<strong>de</strong>t das Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Medien und <strong>de</strong>r Regierung nicht als nur ein Ignorantes,<br />

das sich um die Probleme <strong>de</strong>r Arbeitslosen nicht schert, son<strong>de</strong>rn als ein<br />

Aggressives, das die Arbeitslosen als Sün<strong>de</strong>nbock benutzt. Für E manifestiert<br />

sich darin ein Existenzkampf um die eigene I<strong>de</strong>ntität und Integrität. Diesen Kampf<br />

muss man in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit führen, dort, wo auch die Angriffe getätigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Dass es ihr dabei nicht um einen ökonomischen Existenzkampf geht, unterstreicht<br />

sie, in<strong>de</strong>m sie ihre „nur“mittelbare Betroffenheit als Erwerbsunfähigkeitsrentnerin<br />

unterstreicht.<br />

Für E ist Engagement als Betroffene auch Artikulation ihrer eigenen Lebenserfahrung.<br />

Das SALZ sei dafür „ne ganz nette Plattform“, die ihr die Möglichkeit<br />

bietet, zusammen mit an<strong>de</strong>ren in die Öffentlichkeit zu wirken. Allerdings fin<strong>de</strong>t<br />

es E betrüblich, dass es trotz <strong>de</strong>r großen Anzahl von Arbeitslosen nicht gelingt,<br />

noch mehr Menschen für das Thema zu mobilisieren. Das liege nicht zuletzt daran,<br />

dass Arbeitslosigkeit durch ABM, kurzfristige Arbeitsverhältnisse o<strong>de</strong>r Praktika<br />

unterbrochen wer<strong>de</strong>. Und somit kein Grund bestün<strong>de</strong>, sich als Erwerbsloser im<br />

Sinne <strong>de</strong>r eigenen Interessen zu engagieren. Außer<strong>de</strong>m gebe es auch Angst und<br />

Scham. Angst, sich seine zukünftige Stelle zu verbauen. Scham, einzugestehen,<br />

dass man arbeitslos sei. Angst und Scham müssten erst überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Und man hoffe auch noch, wie<strong>de</strong>r Arbeit zu fin<strong>de</strong>n, um aus dieser misslichen Lage<br />

herauszukommen und wie<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>nen zu gehören, die nicht ausgestoßen<br />

sind. Arbeitslosigkeit muss von <strong>de</strong>n Betroffenen erst realisiert wer<strong>de</strong>n und sie<br />

müssen Mut aufbringen, sich gegen die Stigmatisierung als Ausgegrenzte zu<br />

wehren.<br />

E: Ein Punkt ist, dass sie teilweise dann in Maßnahmen verschwin<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r aber<br />

in kurzfristigen Arbeitsverhältnissen o<strong>de</strong>r im Praktikum. (...) Es ist auch ein<br />

Stück weit äh, man möchte sich ja seine künftige Stelle nicht verbauen. (...)<br />

Deshalb mach ich aber jetzt gera<strong>de</strong> mit Fleiß meinen Mund auf, weil jetzt kann<br />

ich es mir erlauben. (...) Und vorher hätte ich <strong>de</strong>s nicht getan. Am Anfang bin<br />

ich auch zu hause geblieben. Bin eigentlich nur aus <strong>de</strong>m Haus raus, so wie<br />

die An<strong>de</strong>ren, ne, die in Arbeit stehn, weil ich mich direkt geniert hab, weil ich<br />

auch noch gehofft hab, ich fin<strong>de</strong> Arbeit.<br />

B: Also ich <strong>de</strong>nk, dass das schon ein Teil ist, dass das ein Großteil zuerst mal<br />

diesen Schock verarbeiten muss und sich zu hause verkriecht. Und dann ist<br />

es so, dass es zwar massiv viele Arbeitslose gibt, das aber, wenn man sich<br />

das genauer anguckt, sehr viel Leut doch sehr schnell wie<strong>de</strong>r in eine Arbeit<br />

reinkommen, so dass die gar nicht erst auffällig wer<strong>de</strong>n nach außen hin. (...)<br />

Also so dass, es für die jetzt gar nicht als Notwendigkeit empfun<strong>de</strong>n wird, da<br />

irgendwas öffentlich zu tun, son<strong>de</strong>rn zuerst einmal wirst du auch noch mit <strong>de</strong>m<br />

Ding im Kopf, du kriegst wie<strong>de</strong>r Arbeit, umrennen. (...) Und dann bei <strong>de</strong>n<br />

Langzeitarbeitslosen, da ist es dann wirklich schon so, dass sie sich zu hause<br />

verkriechen.<br />

Das Eingeständnis <strong>de</strong>r eigenen Betroffenheit von Arbeitslosigkeit wird verlagert.<br />

Solange es Hoffnung gibt, wie<strong>de</strong>r erwerbstätig zu wer<strong>de</strong>n, gibt es keinen


­ 111 ­<br />

Grund sich zu engagieren. Die Langzeitigkeit von Arbeitslosigkeit führe aber oft zu<br />

Handlungsunfähigkeit. Grund dafür sind Rückzug und Depressionen, mit <strong>de</strong>nen<br />

auf Betroffenheit und Stigmatisierung reagiert wird. Für die Diskussionsteilnehmer/innen<br />

setzt Engagement also erst ein, wenn man die Arbeitslosigkeit als eigenes<br />

Schicksal realisiert habe, dann sei es aber für viele schon nicht mehr möglich,<br />

aktiv zu agieren.<br />

Ein Engagement in einem Arbeitslosenzentrum wird aber ein Problem bleiben,<br />

solange Arbeitsloseninitiativen die Arbeitslosigkeit zum zentralen Thema haben.<br />

Wenn das Engagement <strong>hier</strong> als Selbsthilfe zur Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rung verstan<strong>de</strong>n<br />

wird, die sich um das Thema Arbeit zentriert, dann wird ein breiteres Engagement<br />

ausbleiben. Arbeitslose wer<strong>de</strong>n Beratung suchen, aber ihre Arbeitslosigkeit<br />

nicht als Auslöser und Thema für ein Engagement einbringen wollen. Dafür<br />

spricht <strong>de</strong>r geringe Mobilisierungsgrad unter <strong>de</strong>n Erwerbslosen. Dafür spricht aber<br />

auch, dass es viele Arbeitslosenzentren gibt, in <strong>de</strong>nen Erwerbslose nicht ehrenamtlich<br />

engagiert sind.<br />

Innerhalb eines Engagements im SALZ ist es möglich, Beschäftigungen<br />

nachzugehen, die selber strukturiert wer<strong>de</strong>n können:<br />

Erstens ist es <strong>hier</strong> problemlos. Man kann <strong>hier</strong> viel machen. Man kann sich<br />

engagieren. Man, man muss es net, man kann es halt machen, je nach <strong>de</strong>m, wie<br />

je<strong>de</strong>r will. Man kann kochen, es gibt aber auch an<strong>de</strong>re Sachen. Wir haben ein<br />

paar Feiern im Jahr, die kann man mitmachen, mitgestalten. Es ist immer wie<strong>de</strong>r<br />

was Neues also es ist schon viel Abwechslung da. (Erwerbslose C)<br />

C hebt die Unkompliziertheit beim Engagement hervor und unterstreicht die<br />

Offenheit <strong>de</strong>r eigenen Engagementgestaltung. Damit wird auf die Abwesenheit<br />

von Zwang hingewiesen, die <strong>de</strong>m Engagement zugrun<strong>de</strong> liegt. Auch die mögliche<br />

Einteilung <strong>de</strong>r eigenen körperlichen Ressourcen wird dabei als wichtiges Moment<br />

geschätzt:<br />

Es ist ne gute Sache <strong>hier</strong> im SALZ, sich so zu engagieren, wie es <strong>de</strong>r eigene<br />

Energiehaushalt zulässt. (Erwerbslose E)<br />

Hier zeichnet sich ab, was ehrenamtliches Engagement ausmacht: die freie<br />

Entscheidung, sich zu engagieren, das Engagement selbstbestimmt gestalten zu<br />

können und das Engagement <strong>de</strong>n individuell körperlichen und seelischen Präferenzen<br />

anzupassen.<br />

Den Begriff „Ehrenamt“lehnen die Engagierten für ihre Tätigkeit rigoros ab.<br />

Er drückt nicht das aus, was sie unter ihrem Engagement verstehen:<br />

Ehrenamt hat eigentlich damit ganz wenig zu tun, weil ich’s gar nicht als<br />

Ehre betrachte. Es ist für mich eigentlich so ne gewisses Reich <strong>de</strong>r Freiheit. Man<br />

kann im Ehrenamt das machen, was man gern tut und ist nicht gebun<strong>de</strong>n an irgendwelche<br />

Vorstellungen, wie bringt mir das jetzt en Lohn o<strong>de</strong>r ist das jetzt nützlich.<br />

(...) Warum mach ich, in Anführungszeichen, ehrenamtliche Arbeit? Weil es<br />

Spaß macht, weil man es freiwillig macht und weil auch ne Notwendigkeit ist. (Erwerbsloser<br />

B)<br />

Im Engagement kann man <strong>de</strong>m nachgehen, was man gern tut und ist dabei<br />

o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb frei von Nutzenkalkülen. Die Rationalität erwerbsorientierter<br />

Arbeit ist <strong>hier</strong> nicht notwendig vorhan<strong>de</strong>n. B geht es damit eher um Selbstentfaltung<br />

als um Anerkennung und öffentliche Äußerung wie das von E beschrieben<br />

wur<strong>de</strong>.


­ 112 ­<br />

F: Das [Wort Ehrenamt, Anm. F. Ernst] ist mir gar nicht eingefallen. Ich weiß net<br />

mal was <strong>de</strong>s alte und ob es das neue Ehrenamt ist.<br />

E: Ja.<br />

F: Ich kann es also nicht <strong>de</strong>finieren, weiß ich nicht. Ich hab <strong>de</strong>s aus so ner Notwendigkeit<br />

heraus gemacht. Erstens war ich selber Betroffener o<strong>de</strong>r bin ich<br />

noch Betroffener.<br />

(...) Ich hab mir da keine Gedanken drum gemacht, ob das Ehrenamt heißt o<strong>de</strong>r<br />

nicht.<br />

E: Mich stört <strong>de</strong>s.<br />

F: Mir ist es eigentlich scheißegal, wie es heißt.<br />

E: Ja.<br />

D: Mich stört <strong>de</strong>s Wort Ehrenamt auch.<br />

E: Ich find’s total unpassend.<br />

F: Ja.<br />

E: Ich seh’s für mich selber auch eine ...(Unterbrechung)<br />

F: Notwendigkeit.<br />

E: Ja, ne Notwendigkeit. Ich möchte <strong>de</strong>s gern tun, weil ich da auch einen Sinn<br />

drin sehe und weil ich <strong>de</strong>nke, wenn wir <strong>de</strong>s nicht machen o<strong>de</strong>r wenn wir <strong>de</strong>s<br />

jetzt nicht machen wür<strong>de</strong>n, wär es noch weniger.<br />

Ehrenamtliches Engagement wird aus einer Betroffenheit heraus aufgenommen,<br />

die sich in <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Ehrenamtes offenbar nicht integrieren lässt.<br />

Neben <strong>de</strong>r Freiwilligkeit <strong>de</strong>s Engagements und <strong>de</strong>r Abwesenheit von Zwang gibt<br />

es aber auch eine Notwendigkeit, diese Tätigkeiten auszuführen. Diese Notwendigkeit<br />

bezieht sich einerseits auf das Ziel, die eigenen Interessen zu artikulieren,<br />

an<strong>de</strong>rerseits auf bestimmte Aufgaben, die kontinuierlich auszuführen sind.<br />

Ich halt es für meine Verpflichtung. Nicht unbedingt Spaß machen. (Erwerbslose<br />

E)<br />

Verpflichtung wird <strong>hier</strong> im Sinne einer Moral verstan<strong>de</strong>n, sich für die Situation<br />

von Erwerbslosen zu engagieren. Dabei grenzt sich E von Spaß ab. Die erlebte<br />

und erfahrene Ungerechtigkeit, gegen die „die Politiker“nicht nur nichts tun,<br />

son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>r sie beteiligt sind, muss man jenen vor Augen führen. Das Gefühl,<br />

Arbeitslose seien Menschen zweiter Klasse, ist <strong>hier</strong> ein tragen<strong>de</strong>s Motiv. Notwendigkeit<br />

wird mit <strong>de</strong>r Verpflichtung verbun<strong>de</strong>n, etwas gegen die Ungerechtigkeit zu<br />

tun.<br />

Für B ist Notwendigkeit eine Voraussetzung, um Spaß zu empfin<strong>de</strong>n.<br />

Ich möchte <strong>de</strong>s gern tun, weil ich da auch einen Sinn drin sehe. (...) Es<br />

muss schon Spaß machen. (...) Wenn sich nicht ein Ehrenamtlicher fin<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r<br />

sich da hinsteht und kocht, dann gibt’s eben kein Mittagessen. So schlicht und<br />

ergreifend ist das. (Erwerbsloser B)<br />

Damit wird auf die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Selbstorganisation hingewiesen. Ehrenamtliches<br />

Engagement besteht auch darin, es selbst zu organisieren und nicht nur<br />

auf Angebote zu reagieren. Das ist <strong>hier</strong> <strong>de</strong>shalb erwähnenswert, weil in an<strong>de</strong>ren<br />

Erwerbsloseneinrichtungen die Möglichkeit und die Notwendigkeit zur Selbstorganisation<br />

nur gering vorhan<strong>de</strong>n ist. Sie ist aber für die Entfaltung selbstbestimmten<br />

Engagements unerlässlich.<br />

3.5.2.3 Zusammenfassung


­ 113 ­<br />

Im Engagement erfahren die Engagierten <strong>de</strong>s SALZ die Möglichkeit, sich<br />

politisch zu artikulieren. Hierüber wird auch fehlen<strong>de</strong> Anerkennung kompensiert.<br />

Es setzt voraus, dass die Situation <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit individuell anerkannt und<br />

eine Notwendigkeit für öffentliche Äußerung befun<strong>de</strong>n wird. In diesem Sinne ist<br />

das SALZ ein Rahmen für das politische Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Erwerbslosen.<br />

Ehrenamtliches Engagement wird auch <strong>hier</strong> als Selbstentfaltung verstan<strong>de</strong>n,<br />

mit <strong>de</strong>m die eigenen Interessen verfolgt wer<strong>de</strong>n können, ohne bestimmten<br />

Zwängen unterworfen zu sein. Hervorgehoben wird die selbstbestimmte Einteilung<br />

<strong>de</strong>r Tätigkeit, die es erlaubt, <strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>s „eigenen Energiehaushaltes“angepasst<br />

zu wer<strong>de</strong>n und außer<strong>de</strong>m als zusätzliches Element neben <strong>de</strong>n<br />

alltäglichen Aufgaben (Abwechslung) erlebt wird.<br />

Der Rahmen, <strong>de</strong>n das SALZ bietet, ist für die Entfaltung <strong>de</strong>s Engagements<br />

unerlässlich. Hier ist es innerhalb einer Gruppe möglich, das individuelle Engagement<br />

selbstbestimmt und an <strong>de</strong>n eigenen Interessen orientiert einzubringen,<br />

ohne die eigenen physischen Grenzen außer acht zu lassen. Das Zentrum wird<br />

einerseits als Treff, an<strong>de</strong>rerseits als Rahmen für die Organisation eigener politischer<br />

Ansprüche genutzt. Sinn und Kompetenzen wer<strong>de</strong>n vor allem auch entwickelt,<br />

in <strong>de</strong>m man zusammen mit an<strong>de</strong>ren gemeinsam tätig ist.<br />

Die starke Zentrierung auf das Thema Erwerbsarbeit legt allerdings die<br />

Richtung <strong>de</strong>s Engagements weitgehend fest, wie sich vor allem im nach außen<br />

gerichteten politischen Engagement zeigt. Außer<strong>de</strong>m dürfte die Bezeichnung Arbeitslosenzentrum<br />

auch in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg viele Erwerbslose abschrecken,<br />

selbst wenn sie die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit für sich realisiert haben, liegt<br />

doch in <strong>de</strong>m Begriff die Gefahr einer Stigmatisierung.<br />

3.5.3 Bürgerschaftliches Engagement. Das Beispiel Esslingen<br />

3.5.3.1 Bürgerschaftlich Engagierte im „Forum Häppeker“<br />

Ein Beispiel für die Be<strong>de</strong>utung, wie wichtig und för<strong>de</strong>rlich es ist, die eigenen<br />

Interessen einbringen zu können, zeigt sich am Beispiel <strong>de</strong>r Gruppendiskussion<br />

in Esslingen.43 Die Beteiligten sind in unterschiedlichen Initiativen und Vereinen<br />

aktiv und verstehen ihre Tätigkeit explizit als bürgerschaftliches Engagement<br />

und grenzten es klar vom Ehrenamt ab.<br />

Bürgerschaftliches Engagement ist wirklich, dass ich engagiere mich mit allem, ob<br />

<strong>de</strong>s jetzt Diskussionen, ob <strong>de</strong>s Schwierigkeiten, ob <strong>de</strong>s schöne Dinge sind. Während<br />

beim Ehrenamt, beim Ehrenamt hat so was, wenigstens früher bei uns, da<br />

übernimmt man <strong>de</strong>s Amt, da sagt man er macht <strong>de</strong>s ehrenamtlich. Er schenkt,<br />

sie, die Frauen schenken ehrenamtlich am Seniorennachmittag <strong>de</strong>n Kaffee aus,<br />

die dürfen ehrenamtlich <strong>de</strong>n Tisch <strong>de</strong>cken und abräumen, ja irgendwas machen.<br />

Des ist die Funktion, die einem von oben her aufgetragen wird. Ehrenamt. Während<br />

<strong>de</strong>s bürgerschaftliche Engagement, das ist, da bring ich mich selber ein und<br />

mein Wissen und mein Können. So seh ich praktisch auch <strong>de</strong>s was ich, ich bin<br />

43 An <strong>de</strong>r Gruppendiskussion am 17.10.02 nahmen sieben Teilnehmer/innen (drei Frauen, vier<br />

Männer) zwischen 43 und 79 Jahren teil.


­ 114 ­<br />

<strong>hier</strong> nicht im Ehrenamt. (Engagierte B)<br />

Bürgerschaftliches Engagement ist <strong>hier</strong> auch ein Stück Emanzipation aus<br />

alten Strukturen. Die Engagierten stellen das Übernehmen von Aufgaben innerhalb<br />

eines fremdbestimmten Rahmens in Frage, in <strong>de</strong>n man durch Gruppen­ bzw.<br />

Milieuanbindung gestellt ist. Hier kommt auch eine geschlechtspezifische Thematisierung<br />

zum Tragen. Frauen übernehmen in Ehrenämtern in <strong>de</strong>n meisten Fällen<br />

an<strong>de</strong>re Funktionen als Männer, was sich nicht zuletzt darin spiegelt, dass Frauen<br />

insgesamt mehr im Bereich <strong>de</strong>s „sozialen Engagements“tätig sind, also im pflegen<strong>de</strong>n<br />

und sorgen<strong>de</strong>n Bereich.<br />

Für B ergibt sich über bürgerschaftliches Engagement die Möglichkeit, die<br />

eigenen Intentionen umzusetzen. Das heißt in ihrem Falle, nicht eine zugewiesene<br />

Funktion auszuüben, son<strong>de</strong>rn sich selbst mit ihrem Wissen und Können einzubringen.<br />

Über diese Form <strong>de</strong>s Engagements gelingt auch eine Emanzipation von<br />

zugewiesenen geschlechtsspezifischen Rollenverständnissen im Ehrenamt. Dazu<br />

bedarf es aber Gelegenheiten, die dies ermöglichen. Die starke Unterstützung<br />

bürgerschaftlichen Engagements von seiten <strong>de</strong>r kommunalen Verwaltung leitstet<br />

dabei einen nicht unbeträchtlichen Beitrag. In Esslingen wird dies nicht nur vom<br />

Bürgermeister getragen, es wur<strong>de</strong>n auch Stellen eingerichtet, die die bürgerschaftlichen<br />

Gruppen unterstützen. Hier existiert eine sehr enge Zusammenarbeit<br />

zwischen <strong>de</strong>n bürgerschaftlich engagierten Gruppen und <strong>de</strong>r Stadt.<br />

Eine Aushandlung gab es zwischen <strong>de</strong>n Teilnehmer/innen <strong>de</strong>r Gruppendiskussion<br />

in bezug auf <strong>de</strong>n Begriff „Altruismus“. Dieser wur<strong>de</strong> als die Bereitschaft<br />

verstan<strong>de</strong>n, freiwillig zu helfen. Es stellte sich aber im Laufe <strong>de</strong>r Diskussion heraus,<br />

dass ein Unterschied in <strong>de</strong>r begrifflichen Besetzung bestand, die ihm zugeschrieben<br />

wur<strong>de</strong>. Auf das eigene Verhalten hatte dies keinen Einfluss. Denn Engagement<br />

wur<strong>de</strong> von allen als die Bereitschaft interpretiert, sich freiwillig einzubringen.<br />

Das eigene Engagement wur<strong>de</strong> dabei nicht als Pflicht verstan<strong>de</strong>n, Aufgaben<br />

innerhalb einer Organisation zu übernehmen, son<strong>de</strong>rn als Möglichkeit, die<br />

eigenen Interessen und Bedürfnisse in <strong>de</strong>r jeweiligen Lebenssituation mit einem<br />

Engagement zu verbin<strong>de</strong>n.<br />

Und dann hab auf <strong>de</strong>m Level was gesucht, was ich studiert habe. Und da<br />

hab ich gedacht, ich bin ein Philologe und jetzt kommt meine pädagogische, äh,<br />

da vielleicht auch zum Tragen. (...) Vielleicht war auch im Hinterkopf etwas von<br />

Gestaltenwollen, also im Besten Sinne. (...) Und dieses Helfen, dass sich das<br />

nicht nur im geistigen Bereich abspielt, son<strong>de</strong>rn im Für­ und Miteinan<strong>de</strong>r. Das hat<br />

man auch mitgekriegt über ein Stück weit Familie. (...), Dann spielt noch ne große<br />

Rolle eben, das was man mitgekriegt hat von <strong>de</strong>r Uni, dieses Verständnis, meinetwegen,<br />

wenn Sie wollen, Martin Buber, <strong>de</strong>s dialogische Prinzip. (Engagierte D)<br />

D. formuliert in dieser Passage das Konzept <strong>de</strong>r „biographischen Passung“<br />

aus ihrer individuellen und alltagsweltlichen Sicht. Sie beginnt ihr Engagement mit<br />

<strong>de</strong>m Übertritt in <strong>de</strong>n Ruhestand. Hier wird versucht, an die eigene berufliche Ausbildung<br />

anzuknüpfen. Dabei spielt es auch eine Rolle, Verantwortung übernehmen<br />

zu können – „ein Stück mit Gestalten wollen“. Ihr Verständnis von sinnvollem<br />

Engagement, das mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Helfens und <strong>de</strong>s Miteinan<strong>de</strong>rs beschrieben<br />

wird, speist sich aus <strong>de</strong>r Familienerfahrung, <strong>de</strong>n beruflichen Kenntnissen und aus<br />

einem humanistischen Weltbild. Ausgangspunkt ist eine Motivation zu Helfen, a­<br />

ber mit Helfen innerhalb eines Ehrenamtes im klassischen Sinne hat das nichts zu


­ 115 ­<br />

tun. D sucht Möglichkeiten, durch eigenes Engagement die mit­ und zwischenmenschlichen<br />

Verhältnisse mit zu gestalten und qualifiziert sich <strong>hier</strong>für sogar weiter.<br />

Sie hat an Kursen teilgenommen und leitet mittlerweile selbst Kurse. Ihr Engagement<br />

dient in erster Linie <strong>de</strong>m Bedürfnis, sich mit <strong>de</strong>n eigenen Fähigkeiten<br />

einbringen und selbstbestimmt han<strong>de</strong>ln zu können.<br />

Den Disput zwischen Altruismus und Egoismus, <strong>de</strong>r während <strong>de</strong>r Diskussion<br />

immer wie<strong>de</strong>r aufflackert, bringt A zu einem befriedigen<strong>de</strong>n Abschluss. Sie<br />

verweist darauf, dass zu altruistischen Motiven <strong>de</strong>r Anspruch hinzu gekommen<br />

sei, Spaß und Bestätigung zu erfahren. Außer<strong>de</strong>m habe man individuelle Zeitsouveränität<br />

gewonnen: man darf sich heute nach einer bestimmten Zeit wie<strong>de</strong>r etwas<br />

an<strong>de</strong>res suchen. Damit knüpfte sie an die Beobachtung an, dass bürgerschaftliches<br />

Engagement als neue Form <strong>de</strong>s Engagements zeitlich begrenzt ist<br />

und nicht mehr lebenslang an eine Institution gebun<strong>de</strong>n bleiben muss:<br />

Ja, aber zu <strong>de</strong>n altruistischen Motiven ist heute auch Spaß dazugekommen.<br />

Man fin<strong>de</strong>t ja auch Bestätigung für sich selbst. Das ist ein Stück weit ehrlicher<br />

auch. Und heute kann sich auch je<strong>de</strong>r erlauben, was an<strong>de</strong>res zu machen,<br />

nach `ner bestimmten Zeit, was an<strong>de</strong>res zu machen, und das ist im Grun<strong>de</strong> ehrlicher.<br />

(Engagierte A)<br />

Jetzt muss man sich wirklich überlegen, dies was wir <strong>hier</strong> auch sagen, dass<br />

wir einfach dies net so nehmen, wie wir das gemacht hatten, nämlich unser ganzes<br />

Leben, son<strong>de</strong>rn dies was jetzt auch das neue äh bürgerschaftliche Engagement<br />

ist, nämlich dieses Projektbezogene. Dass heißt, wenn das Projekt zu En<strong>de</strong><br />

ist, dann mache ich mal wie<strong>de</strong>r Pause mit <strong>de</strong>m bürgerschaftlichen Engagement<br />

und wenn mir dann wie<strong>de</strong>r was behagt, dann mache ich wie<strong>de</strong>r weiter. (Engagierte<br />

B)<br />

Bürgerschaftliches Engagement wird als ein projektbezogenes, befristetes<br />

und themenorientiertes Engagement interpretiert, <strong>de</strong>m jeweils eine freiwillige Entscheidung<br />

zugrun<strong>de</strong> liegt. Dadurch grenzt es sich auch von <strong>de</strong>n bisherigen Formen<br />

<strong>de</strong>s Engagements <strong>de</strong>r Teilnehmer/innen ab. Die Option, ein Engagement<br />

aufnehmen und unterbrechen zu können, wann es <strong>de</strong>m einzelnen „behagt“, gewährleistet<br />

eine eigene Gestaltung <strong>de</strong>s Engagements in <strong>de</strong>r Zeit und in <strong>de</strong>r Thematik.<br />

Dabei ist nicht die aufgebrachte Zeit gemeint, die an das alltägliche Zeitbudget<br />

angepasst wird, son<strong>de</strong>rn die zeitlichen Passagen, in <strong>de</strong>nen abhängig von<br />

<strong>de</strong>r Lebenssituation generell ein Engagement aufgenommen wird. Die Projektorientiertheit<br />

<strong>de</strong>s Engagements ermöglicht darüber hinaus, eine Orientierung und<br />

Beteiligung an und eine Initiierung von bestimmten Themen. Gera<strong>de</strong> dadurch ist<br />

es eher auf die eigenen Interessen und Bedürfnisse abgestellt, die sich aus einem<br />

unmittelbaren individuellen Kontext herleiten. So gesehen ist bürgerschaftliches<br />

Engagement auch eine Emanzipation von hergebrachten Formen <strong>de</strong>s Engagements,<br />

die auf die Zuweisung von Funktionen angewiesen sind, um die institutionelle<br />

Abläufe in Organisationen und Verbän<strong>de</strong>n gewährleisten zu können. Bürgerschaftliches<br />

Engagement trägt in diesem Zusammenhang auch zur Auflösung<br />

geschlechtsspezifischer Rollenverständnisse bei, die sich in <strong>de</strong>n klassischen<br />

Formen <strong>de</strong>s Engagements (wie <strong>de</strong>m Ehrenamt) fin<strong>de</strong>n.<br />

Die zeitliche Begrenzung <strong>de</strong>s projektbezogenen Engagements scheint aber<br />

nicht die Kontinuität von Engagement generell in Frage zu stellen. Diese bleibt bei<br />

unterschiedlichem Projektbezug erhalten. Allerdings verweist B <strong>hier</strong> auf einen Unterschied<br />

zwischen <strong>de</strong>n Generationen:


­ 116 ­<br />

Die Kontinuität, die jetzt da ist, durch diese Generation [die eigene, Anm. F.<br />

Ernst], die eben immer noch da ist, die fällt weg. (...) Unsere Generation ist ne<br />

aussterben<strong>de</strong> Generation, dies sind die Frauen, die nach <strong>de</strong>r Familienphase sich<br />

engagiert hatten. Die heutigen jungen Frauen können dies schon aus finanziellen<br />

Dingen nicht mehr. (Engagierte B)<br />

Im bürgerschaftlichen Engagement sieht B in gewisser Weise ein generationenspezifisches<br />

Dilemma. Einerseits ermöglicht es Formen <strong>de</strong>r Ausübung eines<br />

Engagements, die <strong>de</strong>n eigenen Interessen und Selbstentfaltungsmotiven gerecht<br />

wer<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>rerseits muss man es sich finanziell leisten können. Deshalb wer<strong>de</strong><br />

es für berufstätige junge Frauen, die berufstätig sind schwierig, sich zu engagieren.<br />

Sie sind zwar finanziell unabhängig, aber zeitlich gebun<strong>de</strong>n.<br />

Für B, die einen Großteil ihres Lebens Hausfrau war, ist bürgerschaftliches<br />

Engagement letztlich die Möglichkeit, sich in einem außerfamilialen Zusammenhang<br />

innerhalb eines eigenen Tätigkeitszusammenhangs zu entfalten. Das um so<br />

mehr, als die klassische Form <strong>de</strong>s Ehrenamtes ihr eine bestimmte Funktion und<br />

damit eine Rolle im Engagement zuwies. Die Selbstentfaltung setzt einen selbstbestimmten<br />

Tätigkeitsbereich voraus, <strong>de</strong>r sich im bürgerschaftlichen Engagement<br />

verwirklichen lässt. Das ist insoweit von Be<strong>de</strong>utung, da es <strong>hier</strong> um ein Engagement<br />

geht, das nicht zusätzlich zur Erwerbstätigkeit aufgeführt wird, son<strong>de</strong>rn anstatt<br />

<strong>de</strong>r Erwerbstätigkeit entbehrt. Allerdings sind dafür finanzielle Sicherungen<br />

notwendig.<br />

Die meisten <strong>de</strong>r Teilnehmer/innen verweisen aber auch (wie D) auf die<br />

Selbstverständlichkeit eines Engagements, die aus <strong>de</strong>r Erziehung erwachse. Eine<br />

Engagementbereitschaft müsse man von klein auf mitbekommen haben. Entwe<strong>de</strong>r<br />

wer<strong>de</strong> ein Engagementverständnis über Nachbarschaftshilfe o<strong>de</strong>r über das in<br />

bestimmten Milieus eingelagerte Verständnis <strong>de</strong>r Verpflichtung sozialisiert. Deshalb<br />

äußerten einige auch Zweifel daran, ob man bürgerschaftliches Engagement<br />

erlernen könne. Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n neu aufgelegten Mentorenprogrammen in Ba<strong>de</strong>n­<br />

Württemberg sollen dafür qualifizierte Engagierte <strong>de</strong>n sich neu Engagieren<strong>de</strong>n mit<br />

Beratung und Unterstützung zur Seite stehen. Diese Mentoren/innen sollen die<br />

Heranführung an ein Engagement erleichtern und zu einer Aufnahme motivieren.<br />

B und C meinen dazu, dass ein Engagement von unten kommen müsse und nicht<br />

von oben (Verwaltung) her geschaffen wer<strong>de</strong>n könne. A begreift die kommunalen<br />

politischen Stellen dagegen als notwendige Bedingung für eine Engagementunterstützung,<br />

die Gelegenheiten schaffen müssen.<br />

Die <strong>hier</strong> befragten Engagierten haben in ihrem Selbstverständnis ein Engagement<br />

aus eigenem Antrieb aufgenommen. Dabei schließen sie die Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>r Sozialisation nicht aus, legen aber <strong>de</strong>ren Verpflichtungsbindungen ab.<br />

Die jeweiligen Engagements, die die einzelnen ausüben, haben sie sich auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage gesucht, sich selbstbestimmt in bestimmten Bereichen einzubringen.<br />

Dabei spielte bei einigen das Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Erwerbsleben eine Rolle, bei<br />

an<strong>de</strong>ren die Entfaltung eigener Bedürfnisse. Niemand äußert sich dahingehend,<br />

dass er / sie sich vor allem aus <strong>de</strong>m Gefühl einer Verpflichtung heraus engagiere.<br />

Den einzelnen erwachsen aber aus einer Sozialisation, in <strong>de</strong>r Verantwortung und<br />

Engagement eingebettet ist, biographische Ressourcen, die sie für ein eigenes<br />

Engagement nutzen können. Dies könnte man als traditionelle Wertorientierung<br />

auffassen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass wir es tatsächlich mit<br />

einem neuen, mo<strong>de</strong>rnen Verständnis <strong>de</strong>s Engagements zu tun haben: die soziali­


­ 117 ­<br />

satorischen Voraussetzungen schaffen zwar die grundsätzliche Bereitschaft zum<br />

Engagement, das tatsächliche Han<strong>de</strong>ln wird aber von <strong>de</strong>n Aspekten <strong>de</strong>r Freiwilligkeit,<br />

Sinnhaftigkeit und <strong>de</strong>r individuellen Befriedigung geleitet.<br />

Dieser Akzentverschiebung versucht die lokale Politik im Untersuchungsfeld<br />

Rechnung zu tragen, in<strong>de</strong>m sie Mentorenprogramme auflegt, durch welche<br />

<strong>de</strong>n Bürgerinnen und Bürgern das Wissen um die Möglichkeiten eines Engagements<br />

zugänglich gemacht wird, und an<strong>de</strong>rerseits eine persönliche „Begleitung“<br />

bereitgestellt wird. Diese Programme wen<strong>de</strong>n sich vor allem an Jugendliche, um<br />

sie auf die Optionen <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements aufmerksam zu machen<br />

und sie zu motivieren und zu för<strong>de</strong>rn.<br />

Generelle Voraussetzung für ein Engagement ist allerdings eine finanzielle<br />

Absicherung. Alle Teilnehmer/innen sind nicht erwerbstätig, sie sind entwe<strong>de</strong>r im<br />

Ruhe­ bzw. Vorruhestand, erwerbsunfähig o<strong>de</strong>r Hausfrau.<br />

C: Für mich ist <strong>de</strong>s Freiwilligenarbeit, <strong>de</strong>s ist ne Sache, die muss mir Spaß machen.<br />

Wenn ich Geld dafür kriegen wür<strong>de</strong>, wär es noch schöner. Aber weil,<br />

<strong>de</strong>s ist was Interessantes, dann mach ich es halt auch ohne Geld, weil ich<br />

brauch keins. Aber wenn ich Geld bräuchte, ... (Unterbrechung)<br />

D: Muss man es an<strong>de</strong>rs machen.<br />

C: Dann müsst ich natürlich gucken.<br />

D: Ja.<br />

G: wir hatten auch die Diskussion <strong>hier</strong> schon mal im an<strong>de</strong>rn Kreis. Es lässt sich<br />

auch, auch viel, viel leichter grad <strong>hier</strong> in <strong>de</strong>m Rahmen arbeiten, wenn man<br />

von <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>n Rücken frei hat.<br />

G: Jemand, <strong>de</strong>r Geld braucht ... (Unterbrechung)<br />

E: Der kann <strong>de</strong>s nicht.<br />

G: ist <strong>hier</strong> nicht in <strong>de</strong>r richtigen Run<strong>de</strong>.<br />

F: Ja, ja.<br />

G: Ne. Der auf je<strong>de</strong>n Cent gucken muss.<br />

D: Der wird sich’s an<strong>de</strong>rs überlegen.<br />

Es besteht kein Zweifel darüber, dass Engagement einer Absicherung bedarf,<br />

die es erst erlaubt, sich freiwillig zu engagieren, wobei es sogar „noch schöner“wäre,<br />

wenn die freiwillige Arbeit auch finanzielle Anerkennung fän<strong>de</strong>. Ein Engagement,<br />

das als Beschäftigungsersatz zu fehlen<strong>de</strong>r Erwerbsarbeit aufgenommen<br />

wird, wird nicht thematisiert. Es bleibt bei <strong>de</strong>n Überlegungen zum Engagement<br />

ausgeschlossen. Das mag daran liegen, dass die Thematik <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit<br />

<strong>hier</strong> kaum eine Rolle spielt. Zusammenhänge von sozialer Ausgrenzung<br />

und Engagement wer<strong>de</strong>n nicht aufgegriffen.<br />

Und dann muss ich sagen, wenn ich gewusst hätte, wie sich die finanzielle<br />

Lage entwickelt, mit <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> und mit allem, dann hätte ich mir schwer überlegt,<br />

ob ich nach <strong>de</strong>r Familienphase, da weiterhin mich bürgerschaftlich engagiert hätte<br />

o<strong>de</strong>r ob ich da net zurück wär in <strong>de</strong>n Beruf. (Engagierte B)<br />

Ein Engagement wird nicht zuungunsten <strong>de</strong>s eigenen Lebensstandards<br />

aufgenommen. Nur wenn dieser perspektivisch gesichert scheint, kommt ein Engagement<br />

zum Tragen. Bürgerschaftliches Engagement muss gewährleisten, die<br />

eigenen Kompetenzen in einer selbstbestimmten Tätigkeit einzubringen, die Entfaltungsperspektiven<br />

bietet, je<strong>de</strong>rzeit kündbar ist und keine langfristige Verpflichtung<br />

be<strong>de</strong>utet. Für die Ermöglichung von bürgerschaftlichem Engagement bedarf<br />

es För<strong>de</strong>rstrukturen, die diese Bedürfnisse berücksichtigen, gera<strong>de</strong> weil die En­


­ 118 ­<br />

gagierten in kleine Gruppen o<strong>de</strong>r Initiativen arbeiten, die über keine Lobbies durch<br />

Verbandsstrukturen verfügen. In Ba<strong>de</strong>n­Württemberg hat sich auf staatlicher E­<br />

bene eine beachtliche Struktur zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Engagements entwickelt. Der<br />

Einsatz und die Überzeugung zur Bereitstellung von Gelegenheiten ist in einigen<br />

<strong>de</strong>r von uns befragten Einrichtungen stark ausgeprägt. Nur diese Strukturen ermöglichen<br />

aber überhaupt solche Formen <strong>de</strong>s Engagements. 44<br />

Dennoch muss kritisch betont wer<strong>de</strong>n, dass in diesem Zusammenhang die<br />

Gefahr besteht, dass bürgerschaftliches Engagement für die Zwecke <strong>de</strong>r Kommune<br />

instrumentalisiert wer<strong>de</strong>n kann. Einige Experten äußerten in unseren Interviews<br />

aber auch, dass mit <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung bürgerschaftlichen Engagements das<br />

Selbstbewusstsein <strong>de</strong>r Bürger wächst, Unterstützung für eigene Projekte einzufor<strong>de</strong>rn.<br />

Dabei bemerke man mittlerweile aber auch ein „Zurückdrehen“an einigen<br />

Stellen, da diese Entwicklung einigen politischen Stellen zu weit gehe:<br />

Einige verantwortliche politische Stellen <strong>hier</strong> in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg ru<strong>de</strong>rn<br />

da auch schon ein Stück zurück. Sie spüren, dass das, wenn sie das, was initiiert<br />

wur<strong>de</strong>, ernst nehmen, dann kommen sie in gewisse Erklärungsnöte. Sie wer<strong>de</strong>n<br />

ja von <strong>de</strong>n Bürgern ganz an<strong>de</strong>rs angegangen und angegriffen. Die for<strong>de</strong>rn das<br />

ein, die sind da auch ein Stück selbstbewusster gewor<strong>de</strong>n. (...) Das sind die<br />

Punkte wo es kritisch wird. Dann wird eben auch oft gestoppt, von <strong>de</strong>r Politik aus.<br />

(Experteninterview)<br />

Hieran zeigen sich auch die Grenzen in <strong>de</strong>r Schaffung von Gelegenheiten,<br />

an die politische För<strong>de</strong>rstrukturen stoßen. Der selbstbestimmte aktive Bürger ist<br />

eben nicht teilbar. Ein eigenverantwortliches Übernehmen kommunaler Aufgaben,<br />

die im Engagement liegen, kann mit <strong>de</strong>n situativen Interessen <strong>de</strong>r Politik kollidieren.<br />

Wenn Politik bürgerschaftliches Engagement in einem selbstbestimmten und<br />

selbstverantwortlichen Rahmen för<strong>de</strong>rn will, muss sie auch <strong>de</strong>n Gegebenheiten<br />

unterschiedlicher Interessen Rechnung tragen. Ansonsten setzt sie sich <strong>de</strong>m Verdacht<br />

aus, bürgerschaftliches Engagement für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.<br />

Damit wird bürgerschaftliches Engagement aber letztlich behin<strong>de</strong>rt und<br />

unter die Kuratel einer Politik gestellt, die öffentliche Aufgaben <strong>de</strong>legiert, aber die<br />

vollständige Kontrolle über die Formen und Inhalte <strong>de</strong>r Aktivitäten sicherstellen<br />

will. In dieser Weise wäre bürgerschaftliches Engagement die Indienstnahme <strong>de</strong>r<br />

Engagementbereitschaft <strong>de</strong>r Bürger, bei gleichzeitiger Beschneidung <strong>de</strong>r<br />

Selbstbestimmungs­, Beteiligungs­ und Mitwirkungsmöglichkeiten.<br />

3.5.3.2 Zusammenfassung<br />

Engagementformen, die sich an einem themenorientierten, selbstbestimmten<br />

und zeitlich begrenzten Engagement orientieren, offerieren Selbstentfaltungspotentiale<br />

für die Engagierten. Für die <strong>hier</strong> Engagierten, die nicht erwerbstätig<br />

sind, bieten sie Anschlüsse an selbstbestimmte Tätigkeitsbereiche. Das geschieht<br />

nach einer beruflichen Phase (Eintritt in <strong>de</strong>n Ruhestand o<strong>de</strong>r Erwerbsunfähigkeit)<br />

und/o<strong>de</strong>r außerhalb <strong>de</strong>r Familienarbeit (Hausfrau).<br />

Bürgerschaftliches Engagement bietet einen Rahmen, <strong>de</strong>r sich von <strong>de</strong>n<br />

zuweisen<strong>de</strong>n Funktionen innerhalb <strong>de</strong>s „alten“Ehrenamtes emanzipiert. Damit<br />

44 Hier ist auf eine starke För<strong>de</strong>rung von Netzwerken auf kommunaler und Lan<strong>de</strong>sebene hinzuweisen, zum<br />

Beispiel in <strong>de</strong>r Stadtverwaltung –<strong>hier</strong> beson<strong>de</strong>rs Esslingen ­, im Sozialministerium, im Paritätischen Bildungswerk,<br />

in <strong>de</strong>r Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen.


­ 119 ­<br />

entfällt eine Unterordnung unter institutionelle Rationalitätskriterien, die das Funktionieren<br />

von Verbän<strong>de</strong>n, Organisationen und Vereinen sichern. Einer Emanzipation<br />

von <strong>de</strong>n Formen eines „alten“Ehrenamtes ist zugleich auch eine Emanzipation<br />

von typischen geschlechtsspezifischen Rollen innerhalb <strong>de</strong>s Ehrenamtes immanent.<br />

Wertgeleitete sozialisatorische Voraussetzungen sind eine Ressource für<br />

die Engagementbereitschaft, zurückgreifen, die die Aufnahme eines Engagements<br />

erleichtern. Dennoch fin<strong>de</strong>t sich <strong>hier</strong> eine Akzentverschiebung: die Bereitschaft<br />

zum Engagement wird nicht hinreichend aus einem Verpflichtungsgefühl<br />

heraus geleitet, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>n Möglichkeiten, Sinn, Befriedigung und Spaß in<br />

<strong>de</strong>r jeweiligen Tätigkeit erfahren zu können.<br />

Die Schaffung von Rahmenbedingungen für neue Formen <strong>de</strong>s Engagements<br />

setzt die Ermöglichung von Gelegenheiten voraus. Hierfür müssen Strukturen<br />

von Politik und großen Verbän<strong>de</strong>n Sorge tragen. Darin liegt aber zugleich die<br />

Gefahr einer Indienstnahme von Engagement. Priorität muss die Aktivierung <strong>de</strong>s<br />

Bürgers/<strong>de</strong>r Bürgerin haben und nicht die Vorteilnahme von Engagement für eigene<br />

Interessen.<br />

In <strong>de</strong>r Beschreibung <strong>de</strong>s eigenen Engagements durch die Diskussionsteilnehmer/innen<br />

wird <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Helfens inhaltlich transformiert. Helfen im Sinne<br />

von Altruismus ist in <strong>de</strong>r Selbst<strong>de</strong>finition von Engagement immer noch präsent,<br />

ohne dabei das individuelle Verhalten zu <strong>de</strong>terminieren. Die Verwendung <strong>de</strong>s<br />

Begriffs „Helfen“transformiert die I<strong>de</strong>e eines Miteinan<strong>de</strong>rs in neue Engagementformen,<br />

in <strong>de</strong>nen selbstbestimmen<strong>de</strong> Motive gegenüber verpflichten<strong>de</strong>n Motiven<br />

im Vor<strong>de</strong>rgrund stehen.<br />

Bürgerschaftliches Engagement, wie es am Beispiel <strong>de</strong>r Engagierten im „Forum<br />

Häppeker“beschrieben wird, bedarf zweier Voraussetzungen. Erstens ist eine<br />

finanzielle Absicherung <strong>de</strong>r Engagierten notwendig. Und zweitens darf Engagement<br />

nicht primär als Instrument aufgefasst wer<strong>de</strong>n, um Zugänge zu Erwerbsarbeit<br />

zu ermöglichen. Bürgerschaftliches Engagement wird we<strong>de</strong>r im Zusammenhang<br />

eines möglichen Ersatzes für Erwerbsarbeit gesehen noch in einer Instrumentalisierungsstrategie<br />

für einen möglichen Arbeitsmarktzugang. Das mag auch<br />

<strong>de</strong>shalb <strong>hier</strong> nicht relevant sein, weil die Frage nach sozialer Integration bzw.<br />

Desintegration durch Erwerbslosigkeit eine sehr marginale Rolle spielt. Außer<strong>de</strong>m<br />

ist diese Frage für an<strong>de</strong>re Nicht­Erwerbstätige nicht zentral, weil eine Gefährdung<br />

sozialer Integration für diese offensichtlich nicht wirklich zur Disposition steht.<br />

3.5.4 Engagementtypen<br />

Bei <strong>de</strong>n ehrenamtlich Engagierten variieren die eigenen Be<strong>de</strong>utungsgehalte<br />

in bezug auf ihr eigenes Engagement in Abhängigkeit von ihrer sozialen Situation.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r untersuchten Projekte konnten unterschiedliche Engagementtypen<br />

ausgemacht wer<strong>de</strong>n. Die Vorstellung dieser Typen, ist als eine kurze Zusammenfassung<br />

<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Projekten analysierten verschie<strong>de</strong>nen Engagementausprägungen<br />

zu verstehen. Es wird dabei nicht auf die Details <strong>de</strong>r differenzierten<br />

Formen <strong>de</strong>r Interpretation zu <strong>de</strong>n einzelnen Engagements in <strong>de</strong>n Projekten eingegangen.<br />

Vier Engagementtypen wer<strong>de</strong>n zusammenfassend im folgen<strong>de</strong>n vorgestellt:


­ 120 ­<br />

• <strong>de</strong>r pensionierte Funktionär<br />

• <strong>de</strong>r Vorruheständler<br />

• <strong>de</strong>r Erwerbslose<br />

o <strong>de</strong>r Arbeitsmarktanwärter<br />

o <strong>de</strong>r sozial engagierte Erwerbslose<br />

o <strong>de</strong>r politisch engagierte Erwerbslose<br />

• <strong>de</strong>r bürgerschaftlich Engagierte<br />

Entsprechend <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Ausgangssituationen unterschei<strong>de</strong>n sich<br />

auch die Motivationen und Be<strong>de</strong>utungszuschreibungen von Engagement <strong>de</strong>r einzelnen<br />

Typen.<br />

Der <strong>de</strong>m traditionellen Ehrenamt am nächsten kommen<strong>de</strong> Typ ist <strong>de</strong>r pensionierte<br />

Funktionär. Er möchte noch für die Gewerkschaft da sein bzw. sich „Nützlich­<br />

Machen“. Dass dies notwendig ist, ergibt sich aus <strong>de</strong>r Tatsache rückläufiger Mitglie<strong>de</strong>rzahlen.<br />

Die Gewerkschaft wird als gesellschaftspolitische Kraft begriffen,<br />

die mittlerweile die einzige sei, die die Interessen <strong>de</strong>r arbeiten<strong>de</strong>n Bevölkerung<br />

vertritt und sich für <strong>de</strong>ren soziale Belange einsetzt. In<strong>de</strong>m man sich in diese Organisation<br />

einbringt, leistet man (weiterhin) gesellschaftlich be<strong>de</strong>utsame politische<br />

Arbeit. Als eine <strong>de</strong>r Hauptaufgaben wird die Betreuung und Werbung von Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

im außerbetrieblichen Bereich angesehen.<br />

Der Typ <strong>de</strong>s Vorruheständlers nutzt das ehrenamtliche Engagement als Beschäftigung,<br />

in <strong>de</strong>r er berufliches Wissen und Kompetenzen weitergeben kann. Hier ist<br />

das „Noch­Gebraucht­Wer<strong>de</strong>n“bzw. „Sich nützlich machen“vorrangig auf die e­<br />

hemals berufliche Kompetenz abgestellt und hat erst nachrangig (und nicht wie<br />

beim Typ <strong>de</strong>s „pensionierten Funktionärs)“mit gewerkschaftspolitischer Arbeit zu<br />

tun. Das ehrenamtliche Engagement wird als Hobby interpretiert, was darauf verweist,<br />

dass es sich für die Engagierten ein<strong>de</strong>utig von <strong>de</strong>r Struktur von Erwerbsarbeit<br />

unterschei<strong>de</strong>t und von gewerkschaftspolitischer Arbeit abgrenzt.<br />

Diese Be<strong>de</strong>utung fin<strong>de</strong>n sich auch bei Vorruheständlerinnen und Erwerbstätigen<br />

außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft. Allerdings wird die freiwillige Arbeit dort nicht als<br />

Hobby verstan<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn als Möglichkeit sich interessante Tätigkeitsfel<strong>de</strong>r zu<br />

erschließen, die sich aber bezüglich <strong>de</strong>r Zeit, <strong>de</strong>r Eingebun<strong>de</strong>nheit etc. von Erwerbsarbeit<br />

unterschei<strong>de</strong>n. Unterstrichen wird die Voraussetzung, dass das Engagement<br />

Spaß machen muss. Hier wird ehrenamtliches Engagement genutzt,<br />

um sich einen Tätigkeits­Ersatz zu schaffen, <strong>de</strong>r vor allem <strong>de</strong>n Selbstentfaltungskriterien<br />

<strong>de</strong>r Engagierten entsprechen muss. Diese Selbstentfaltungsmotive lassen<br />

sich für die Engagierten trotz<strong>de</strong>m in Einklang mit sogenannten Werten <strong>de</strong>s<br />

sozialen Engagements bringen. Gesellschaftlich notwendige Arbeit, die an<strong>de</strong>ren<br />

zugute kommt, wird <strong>hier</strong> nicht als Pflicht aufgefasst. Bemerkenswert ist <strong>hier</strong>bei,<br />

dass das ehrenamtliche Engagement, welches im kirchlichen Umfeld stattfin<strong>de</strong>t,<br />

keine Milieuspezifik aufweist. Das mag <strong>de</strong>r Situation im Osten geschul<strong>de</strong>t sein,<br />

verweist aber auch auf die Innovation solcher Projekte. Diese liegt in <strong>de</strong>r Öffnung<br />

<strong>de</strong>s Zugangs zu solchen Projekten und in <strong>de</strong>r damit möglichen Einbindung von<br />

Engagierten.<br />

In <strong>de</strong>n Erwerbslosenprojekten sind die erwerbslosen Engagierten in <strong>de</strong>r<br />

Min<strong>de</strong>rzahl. Das hat zum einen mit <strong>de</strong>r Nichtorganisation und <strong>de</strong>m „Hang“zur Isolation<br />

von Erwerbslosen zu tun. An<strong>de</strong>rerseits hat sich in <strong>de</strong>n Gruppendiskussionen<br />

sowie in Experten/inneninterviews herauskristallisiert, dass die viel zitierte<br />

und gefor<strong>de</strong>rte „Hilfe zur Selbsthilfe“eher diese Phänomene verstärkt anstatt sie<br />

zu überwin<strong>de</strong>n. Dies erklärt sich aus <strong>de</strong>m politischen Kontext, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Begriff


­ 121 ­<br />

benutzt wird und <strong>de</strong>ssen Be<strong>de</strong>utung ihm anhaftet. Hier gibt es entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Unterschie<strong>de</strong><br />

zwischen West­ und Ost<strong>de</strong>utschland. In Ost<strong>de</strong>utschland firmiert <strong>de</strong>r<br />

Begriff fast ausschließlich unter <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung gegenseitiger Hilfe von Personen,<br />

die sich aufgrund eines bestimmten Problems zusammenfin<strong>de</strong>n. Arbeitslosigkeit<br />

wird als Makel interpretiert, <strong>de</strong>r selbstverschul<strong>de</strong>t ist und <strong>de</strong>n man nicht gern nach<br />

außen trage. Erwerbslosigkeit wirkt in diesem Sinne stigmatisierend und hemmend<br />

für die Engagementbereitschaft.<br />

In <strong>de</strong>n Erwerbslosenprojekten selbst konnten drei Typen ausfindig gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n. Die sozial engagierten Erwerbslosen, die politisch engagierten Erwerbslosen<br />

und die Arbeitsmarktanwärter. Letztere kümmern sich, in<strong>de</strong>m sie sich für die<br />

Interessen <strong>de</strong>r Erwerbslosen einsetzen, um die eigenen Interessen. Ein zentrales<br />

Motiv ist die Intention, über ehrenamtliches Engagement wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt<br />

zu gelangen. Diese Engagierten gelangen oft über Qualifizierungsmaßnahmen<br />

in <strong>de</strong>n zweiten Arbeitsmarkt. Häufig bleiben sie <strong>de</strong>n Projekten nach Auslaufen<br />

dieser Maßnahmen mehr o<strong>de</strong>r weniger – unterstützend – erhalten, in <strong>de</strong>m<br />

sie sich weiterhin ehreamtlich engagieren. Hier sind <strong>de</strong>utliche Unterschie<strong>de</strong> zwischen<br />

Ost­ und West<strong>de</strong>utschland sichtbar, was vor allem auf die unterschiedliche<br />

Strukturpolitik zurückzuführen ist.<br />

Der Typ <strong>de</strong>s sozial engagierten Erwerbslosen interpretiert sein Engagement aus<br />

<strong>de</strong>r Erwartung, die er an ein Engagement heranträgt. Grundlage ist dabei die eigene<br />

Situation, die auf <strong>de</strong>r Erfahrung von drohen<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r realer sozialer Ausgrenzung<br />

beruht. Für diesen Typ bieten die Möglichkeiten <strong>de</strong>s Engagements vor<br />

allem Integrationschancen, Chancen zur Strukturierung <strong>de</strong>s Alltags und <strong>de</strong>r<br />

Durchbrechung <strong>de</strong>r Isolation sowie Chancen zu erwerbsloser Tätigkeit. Die Nutzung<br />

<strong>de</strong>r Chance, seine Interessen über solche Projekte politisch zu vertreten,<br />

ließen sich in Ost<strong>de</strong>utschland nicht fin<strong>de</strong>n.<br />

Die Möglichkeit, seine Interessen politisch in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zu artikulieren,<br />

fin<strong>de</strong>n sich im Typ <strong>de</strong>s politisch engagierten Erwerbslosen. Hier steht über<br />

die selbstbestimmte, sinnstiften<strong>de</strong>, gemeinsame Tätigkeit mit an<strong>de</strong>ren hinaus, die<br />

Intention politischer Teilhabe im Mittelpunkt. Der strukturelle Rahmen von Projekten<br />

wird dabei genutzt, die eigenen Befindlichkeiten <strong>de</strong>r sozialen Situation <strong>de</strong>r<br />

Erwerbslosigkeit in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit bekannt zu machen und die eignen Interessen<br />

zu vertreten.<br />

Der bürgerschaftlich engagierte Typ beschreibt sein Engagement als selbstbestimmt,<br />

themenorientiert, projektbezogen und zeitunabhängig. Es bietet ihm die<br />

Möglichkeit, außerhalb <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit, nach <strong>de</strong>r beruflichen Phase und außerhalb<br />

<strong>de</strong>r privaten Sphäre ein selbstentfaltungsorientiertes Engagement innerhalb<br />

einer Gruppe von Engagierten aufzunehmen. In <strong>de</strong>r neuen Form <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen<br />

Engagements wird das Verständnis <strong>de</strong>s „Helfens“als gemeinwohlorientiertes<br />

Han<strong>de</strong>ln aufrechterhalten und in ein selbstbezogenes Engagement<br />

transformiert, in<strong>de</strong>m die Verpflichtungszwänge <strong>de</strong>s „alten“Ehrenamts abgestreift<br />

wer<strong>de</strong>n. Dadurch gelingt auch eine Emanzipation von Funktionszuweisungen und<br />

Rollenverständnissen, die im „alten“Ehrenamt eingebettet sind.<br />

3.6 Zusammenfassung<br />

In <strong>de</strong>r Untersuchung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schwerpunkt auf erwerbslose ehrenamtlich<br />

Engagierte gelegt. Dabei stan<strong>de</strong>n gewerkschaftliche Erwerbslosenprojekte im<br />

Zentrum. In diesen Projekten sind aber Erwerbslose – mit Ausnahme <strong>de</strong>s Stutt­


­ 122 ­<br />

garter Arbeitslosenzentrum SALZ – als Engagierte unterrepräsentiert. Das hat<br />

nicht zuletzt damit zu tun, dass diese Projekte in erster Linie <strong>de</strong>r Beratung und<br />

Betreuung von Erwerbslosen dienen. Die Frage, die sich <strong>hier</strong> stellt, ist die nach<br />

<strong>de</strong>r möglichen Einbindung von potentiell Engagierten in ein Engagement. Dazu<br />

sind unterschiedliche Bedingungen zu beachten, die an die Voraussetzungen von<br />

Erwerbslosen anknüpfen.<br />

Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n Interessen und Bedürfnissen<br />

<strong>de</strong>r potentiell Engagierten gerecht wer<strong>de</strong>n. Wie sich am Beispiel SALZ<br />

zeigen ließ, gehen Engagierte ihrem Interesse nach selbstbestimmter, gemeinsamer<br />

Tätigkeit dort nach, wo sie selbstorganisiert ihre Bedürfnisse entfalten können.<br />

Das SALZ bietet auch die Möglichkeit, sich öffentlich als Gruppe zu artikulieren.<br />

Hierzu bedarf es aber einer selbstbewussten Anerkennung <strong>de</strong>r eigenen Situation.<br />

Das ermächtigt zu einem politischen Engagement im eigenen Interesse als<br />

Erwerbslose/r, bleibt damit aber auf das Thema Erwerbsarbeit orientiert. Erwerbslose<br />

treten <strong>hier</strong> als erwerblose Engagierte im eignen Interesse auf, die sich über<br />

die isolieren<strong>de</strong>n Wirkungen einer Stigmatisierung hinwegzusetzen versuchen.<br />

Für viele Erwerbslose ist die Stigmatisierung ein Grund, sich gera<strong>de</strong> nicht<br />

in Arbeitslosenzentren zu engagieren. Darauf haben die "Dau wat" Vereine reagiert,<br />

in<strong>de</strong>m sie ihre Zentren als „Kommunikations­ und Beteiligungszentren“bezeichnen,<br />

die für je<strong>de</strong>n offen sind. Die Angebote dürfen sich jedoch nicht in Beratung<br />

und Informationsveranstaltungen erschöpfen, son<strong>de</strong>rn müssen strukturelle<br />

Voraussetzungen für ein Engagement schaffen. Das kann über die Beteiligung an<br />

Tätigkeiten geschehen, die ehrenamtlich ausgeführt wer<strong>de</strong>n können wie am Beispiel<br />

Rostock gezeigt wur<strong>de</strong> (Selbsthilfewerkstatt, Beratung). Das kann aber auch<br />

durch die Möglichkeit selbstorganisierter Tätigkeit ermöglicht wer<strong>de</strong>n wie es sich<br />

am Beispiel SALZ zeigt. Dabei muss allerdings sensibel mit <strong>de</strong>r Etikettierung von<br />

solchen Gruppen umgegangen wer<strong>de</strong>n. So lehnen zum Beispiel die engagierten<br />

Frauen im "Dau wat" Stralsund die Bezeichnung „Hilfe zur Selbsthilfe“ab, weil<br />

auch diese stigmatisierend wirke:<br />

Selbsthilfe im sozialen Bereich hat irgendwo so´n negativen Touch angenommen.<br />

(...)Wir wür<strong>de</strong>n uns gerne treffen, aber nicht in einer Selbsthilfegruppe. Und <strong>de</strong>swegen<br />

heißt unser Arbeitskreis „Frauenarbeitskreis“, was immer sich dahinter<br />

verbirgt. (...) Zu ner Selbsthilfegruppe zu gehen, wo sich Arbeitslose treffen, nee,<br />

zumin<strong>de</strong>st ham wir die Erfahrung gemacht. (...) Ja, weil das ne Sache is, die Arbeitslosigkeit,<br />

je<strong>de</strong>r sieht das ja. (Expertin, "Dau wat" Stralsund)<br />

Unter <strong>de</strong>r Bezeichnung „Frauenarbeitskreis“ sind dort ca. 25 Frauen<br />

selbstorganisatorisch aktiv. Die selbstbestimmte Tätigkeit in einer Gruppe ist <strong>hier</strong><br />

von beson<strong>de</strong>rer Relevanz, da es nicht nur um Selbstentfaltung und ein sich „Nützlich­machen“wie<br />

das am Beispiel Esslingen sichtbar wur<strong>de</strong>, geht, son<strong>de</strong>rn um die<br />

Selbstbestätigung aus einer Tätigkeit, die durch eine infrage gestellte I<strong>de</strong>ntität<br />

aufgrund von Erwerbslosigkeit ihre Be<strong>de</strong>utung erlangt. Die Be<strong>de</strong>utung selbstorganisierter<br />

Tätigkeit in einer Gruppe, die gleichzeitig als Netzwerk dient, fin<strong>de</strong>t<br />

sich auch beispielhaft in <strong>de</strong>r Rostocker Ehrenamtsbörse „Marientreff“.45 Die Ehrenamtsbörse<br />

dient nicht nur <strong>de</strong>r Vermittlung engagementbereiter Freiwilliger,<br />

45 Die Rostocker Ehrenamtsbörse „Marientreff“wird über drei SAM­Stellen betrieben. Sie ist seit<br />

1999 eröffnet und wird von <strong>de</strong>r Kirche getragen. Ca 40 Frauen sind <strong>hier</strong> ehrenamtlich involviert.<br />

Mit fünf Frauen wur<strong>de</strong> am 20.6.02 eine Gruppendiskussion durchgeführt. Zwei Expertengespräche<br />

wur<strong>de</strong>n am 23.5.02 erhoben.


­ 123 ­<br />

son<strong>de</strong>rn ist vor allem auch ein „Treff“engagierter Frauen, die auch in an<strong>de</strong>ren<br />

Institutionen ehrenamtlich tätig sind. Der „Treff“ist offen für je<strong>de</strong>/n und dient als<br />

Kommunikations­ und Informationszentrum. Hier fin<strong>de</strong>t ein Austausch Gleichgesinnter<br />

statt, <strong>de</strong>ren Gemeinsamkeit es ist, sich engagieren zu wollen, um „aktiv zu<br />

bleiben“, sich „nützlich zu machen“, „Dinge auszuprobieren“und „Spaß zu haben“.<br />

Ausgangspunkt eines Engagements ist oft die sogenannte Selbstermächtigung<br />

(„Empowerment“), die für eine Engagementaufnahme Voraussetzung ist,<br />

aber nicht bei je<strong>de</strong>m vorausgesetzt wer<strong>de</strong>n kann. Das hat bei Erwerbslosen nicht<br />

zuletzt mit ihrer Orientierung auf Erwerbsarbeit zu tun. Bei <strong>de</strong>r Werbung von potentiell<br />

Engagierten ist dabei auf ihre biographische Situation zu achten, die mit<br />

<strong>de</strong>n offerierten Möglichkeiten in ein Passungsverhältnis gelangen muss. Das setzt<br />

eine Sensibilisierung <strong>de</strong>r Kontaktpersonen voraus (vgl. Beispiel "Dau wat" Rostock).<br />

Außer<strong>de</strong>m ist das „Abholen“von Erwerbslosen nicht zu unterschätzen, gera<strong>de</strong><br />

weil sie aufgrund <strong>de</strong>r Erwerbsorientierung und/o<strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>r Selbstermächtigung<br />

kein Engagement aufnehmen. Statt in zentralen Einrichtungen zu warten,<br />

bis die Erwerbslosen von selbst die Angebote wahrnehmen, verfolgt die Wohngebietsarbeit<br />

gera<strong>de</strong> das Ziel, die Erwerbslosen in ihrem sozialen Umfeld erreichen<br />

und motivieren zu können. Hier kann generell ein Netzwerk, wie es eine Mitglie<strong>de</strong>rstruktur<br />

darstellt, von strategischem Vorteil sein. Dies zeigt sich anhand <strong>de</strong>r<br />

erwerbslosen Engagierten im "Dau wat" Rostock.<br />

Ein Angebot von Engagementoptionen bietet <strong>de</strong>n einzelnen die Möglichkeit<br />

zur Aufnahme eines Engagements und gewährt damit Sinn und Bestätigung in<br />

einer Tätigkeit zu fin<strong>de</strong>n sowie an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben. Nur<br />

auf die Nachfrage seitens <strong>de</strong>r Erwerbslosen zu warten, führt dagegen ins Leere<br />

und in die Resignation. Durch offene Angebote wer<strong>de</strong>n Gelegenheiten geschaffen,<br />

welche sekundär auch die Bindung an die Organisation festigen bzw. herstellten<br />

können und die Bereitschaft för<strong>de</strong>rn, sich auch in <strong>de</strong>r gewerkschaftspolitischen<br />

Arbeit zu engagieren. Dies zeigt sich beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich am Beispiel „Viva<br />

Lüd“in Schwerin.<br />

Die Ermöglichung eines Engagements für Personen, die sich in keinem betrieblichen<br />

Zusammenhang mehr befin<strong>de</strong>n, setzt eine Be<strong>de</strong>utungssteigerung <strong>de</strong>r<br />

außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit voraus. Potentiell Engagierte müssen in<br />

ihrem zentralen Lebensumfeld integriert wer<strong>de</strong>n können. Die fehlen<strong>de</strong> Engagementbereitschaft<br />

ist zum großen Teil <strong>de</strong>n organisatorischen Strukturen geschul<strong>de</strong>t<br />

und damit <strong>de</strong>r Unfähigkeit einer breiteren Integration <strong>de</strong>r einzelnen in die Organisationsstrukturen<br />

und nicht <strong>de</strong>m Egoismus <strong>de</strong>r Individuen. Ein Insistieren in selbständiges<br />

Engagement reicht <strong>de</strong>shalb nicht aus, <strong>de</strong>nn es ist im Kern auf die organisatorischen<br />

Interessen abgestellt. Es bedarf vielmehr <strong>de</strong>r Ermöglichung eines<br />

selbstbestimmten Engagements. Hierzu ist eine Reflexion über bestehen<strong>de</strong> Organisationsstrukturen<br />

notwendig. Eine kritische Auseinan<strong>de</strong>rsetzung über die<br />

Notwendigkeit gewerkschaftlicher Arbeit, die über betriebliche Strukturen hinausgeht,<br />

wird zu einem bestimmen<strong>de</strong>n Teil von <strong>de</strong>r Stärke <strong>de</strong>r nicht erwerbstätigen<br />

Mitglie<strong>de</strong>r angestoßen. So hat das Beispiel <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit in Rostock Zukunftsrelevanz,<br />

wenn man davon ausgeht, dass Erwerbsarbeit in Arbeitsgesellschaften<br />

stetig abnimmt.<br />

Für Gewerkschaften lassen sich zwei Pole <strong>de</strong>r Orientierung bei <strong>de</strong>r Gewinnung<br />

von ehrenamtlich Engagierten aufzeigen, wobei <strong>de</strong>r erste Pol eher im Sinne<br />

einer Gewinnung von Engagementbereitschaft zu verstehen ist, <strong>de</strong>r zweite im


­ 124 ­<br />

Sinne einer Verhin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Verlustes von Engagementbereitschaft potentiell<br />

Engagierter.<br />

Zum einen geht es dabei um die These eines Motivationswan<strong>de</strong>ls <strong>de</strong>r Engagierten.<br />

Dabei steht eine Gruppe im Mittelpunkt, die sich durch die Zuschreibung<br />

von Selbstentfaltungsmotiven auszeichnet. Diese Menschen engagieren<br />

sich eher in Initiativen und Vereinen mit geringem Formalisierungsgrad. Angebote<br />

an diese Gruppe zu machen, be<strong>de</strong>utet eine Öffnung im Sinne einer Wertepluralität,<br />

in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r einzelne mit seinen Interessen und Bedürfnissen an Teilhabe und<br />

Gestaltung im Verständnis einer „Politik <strong>de</strong>r Lebensführung“(Gid<strong>de</strong>ns) im Mittelpunkt<br />

steht.<br />

Zum an<strong>de</strong>ren geht es dabei um die Gruppe jener, die aufgrund von spezifischen<br />

Lebenssituationen und <strong>de</strong>r Erwerbszentriertheit von Gewerkschaften keine<br />

<strong>de</strong>n eigenen Bedürfnissen und Interessen gerecht wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Engagementmöglichkeit<br />

in <strong>de</strong>n Gewerkschaften sehen. Dabei bestehen oft noch Bindungspotentiale<br />

an die Gewerkschaften. Hier geht es eher um die Anpassung von Strukturen an<br />

die gewan<strong>de</strong>lten Lebenssituationen potentiell Engagierter.<br />

Vorsicht ist allerdings bei <strong>de</strong>m Hinweis geraten, Gewerkschaften müssten<br />

sich zu Service­Centern entwickeln. Sie laufen damit Gefahr, <strong>de</strong>n (potentiell) Engagierten<br />

lediglich als Kun<strong>de</strong>n zu sehen, <strong>de</strong>r sich das Passen<strong>de</strong> sucht. Dieser<br />

Ansatz stellt <strong>de</strong>n nutzenorientierten Engagierten in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund. Das ist ein<br />

verengter Ansatz, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Motivationswan<strong>de</strong>l im Engagement in verengen<strong>de</strong>r<br />

Weise als Orientierung auf Nutzenkalküle rationaler Akteure interpretiert. Es geht<br />

darum, bürgerschaftliches Engagement zu ermöglichen und zu motivieren. Dazu<br />

braucht es allerdings an<strong>de</strong>re Formen <strong>de</strong>r Unterstützung. Ein Nach<strong>de</strong>nken über zu<br />

unterbreiten<strong>de</strong> Angebote für potentielle Engagierte reicht nicht aus. Die Angebote<br />

müssen <strong>de</strong>n jeweiligen biographischen Passungen gerecht wer<strong>de</strong>n. Diese müssen<br />

auch ein Nach<strong>de</strong>nken über die Einbeziehung von Gruppen beinhalten, die die<br />

klassische Typik <strong>de</strong>s Engagements nicht mehr aufweisen. Die Attraktivität <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft hängt damit von <strong>de</strong>r Öffnung für soziale Gruppen ab, die in <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft einen gesellschaftspolitischen Akteur sehen, <strong>de</strong>r sie über Arbeitsrechte<br />

hinaus vertritt und beheimatet.<br />

Die Voraussagen, dass durch die gesellschaftlichen Individualisierungsten<strong>de</strong>nzen<br />

auch die Grundlagen für die Engagementbereitschaft schwin<strong>de</strong>n, haben<br />

sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, es wird bescheinigt, dass bürgerschaftliches<br />

Engagement und Selbstentfaltungsmotive sich nicht ausschließen müssen. (vgl.<br />

Klages 1998: 32) Auch wenn <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l von Motivationen die Form <strong>de</strong>s Engagements<br />

verän<strong>de</strong>rt habe, so sei Engagement als solches nicht bedroht. Anschlüsse<br />

ließen sich <strong>hier</strong> an neu gewachsene Interessen und Bedürfnisse herstellen:<br />

„Suche nach neuen sozialen Beziehungen“, „Aufwertung nicht­familialer sozialer<br />

Netzwerke“, „neue Selbsthilfe­Potentiale im Alter“, „Chancen <strong>de</strong>r Sozialzeit“.<br />

(Heinze/ Olk 1999: 81f.)<br />

Bürgerschaftliches Engagement entfaltet sich in Initiativen und Projekten.<br />

Damit stehen <strong>de</strong>m Staat und <strong>de</strong>r Verwaltung aber nicht mehr mächtige korporative<br />

Akteure gegenüber, son<strong>de</strong>rn schwache Gruppierungen, die <strong>de</strong>m Steuerungsund<br />

Kontrollbedürfnis staatlicher Stellen wenig entgegensetzen können und somit<br />

<strong>de</strong>r Gefahr einer Indienstnahme ausgesetzt sind. (vgl. Zimmer/ Nährlich 2000b)<br />

Gewerkschaften zeichnen sich gegenüber <strong>de</strong>r „Staatslastigkeit“von Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong>n<br />

als Akteure <strong>de</strong>r Interessenvermittlung aus und verstehen sich als politische<br />

Gegenmacht, die ihre Stärke zum wesentlichen Teil aus <strong>de</strong>r Mobilisierung


­ 125 ­<br />

<strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r gewinnen“. (Wolf 2002: 2) „Da komplexe Großverbän<strong>de</strong> ‚overlapping<br />

memberships’integrieren, sind sie gezwungen, aber auch in <strong>de</strong>r Lage, auch<br />

ressourcenschwache (d.h. nicht an das Erwerbssystem gekoppelte) Gruppierungen<br />

und Interessen zu vertreten und ihnen mittelbaren Anschluss an die korporatistischen<br />

Verhandlungssysteme zu verschaffen.“(<strong>de</strong>rs.: 3)<br />

Organisationen wie <strong>de</strong>n Gewerkschaften erwächst aus <strong>de</strong>r Entwicklung von<br />

Bedürfnissen zu neuen Engagementformen damit eine wichtige Be<strong>de</strong>utung. Dies<br />

zeigt sich auch in <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>r Untersuchung. Gewerkschaften können<br />

gewissermaßen eine Garantiefunktion für bürgerschaftliches Engagement gegenüber<br />

staatlicher Indienstnahme herausbil<strong>de</strong>n. Wie an<strong>de</strong>re Verbän<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n aber<br />

auch Gewerkschaften als bürokratische Organisationen wahrgenommen, <strong>de</strong>nen<br />

Menschen mit einer Bereitschaft zu selbstbestimmtem Engagement skeptisch<br />

gegenüber stehen. Gewerkschaften müssen <strong>hier</strong> eine neue Politik <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung<br />

und Öffnung entwickeln, um neue Engagementformen und ­bedürfnisse zu integrieren.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit für immer mehr Menschen<br />

als (klassische) Organisation uninteressant. Darüber hinaus wird ihnen auch eine<br />

politische Skepsis entgegengebracht. Dies gilt beson<strong>de</strong>rs für Ost<strong>de</strong>utschland.<br />

Hier fin<strong>de</strong>t sich immer noch eine verbandsschwache Struktur, was einerseits die<br />

Skepsis verstärken mag, an<strong>de</strong>rerseits aber Chancen bietet, an die die Gewerkschaften<br />

anknüpfen können.


­ 126 ­<br />

4. Ehrenamtliches Engagement von Jugendlichen<br />

Nicole Berndt<br />

4.1 Jugendliche und ehrenamtliches Engagement<br />

4.1.1 Ein Überblick<br />

Das Engagement von Jugendlichen wur<strong>de</strong> gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n letzten Jahren in<br />

zahlreichen Studien untersucht. Nach <strong>de</strong>r anfänglichen Annahme eines Mangels<br />

an Engagement wer<strong>de</strong>n Jugendliche heute als eine <strong>de</strong>r aktivsten Altersgruppe<br />

beschrieben. Nach Angaben <strong>de</strong>s Freiwilligensurveys 1999 engagieren sich 37%<br />

<strong>de</strong>r Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren freiwillig bzw. ehrenamtlich. Somit<br />

liegt die Zahl <strong>de</strong>r engagierten Jugendlichen weit über <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r engagierten<br />

Senioren, die bei 26% liegt. (Picot 2000: 127) Die 14. Shell­Studie Jugend 2002<br />

spricht von 35% <strong>de</strong>r Jugendlichen, die häufig gesellschaftlich aktiv sind und 41%,<br />

die zumin<strong>de</strong>st gelegentlich gesellschaftlich aktiv sind. Allerdings dürfte ihre breit<br />

gefächerte soziale Aktivität nicht mit politischem Engagement verwechselt wer<strong>de</strong>n.<br />

Sie wer<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Jugendlichen nicht so verstan<strong>de</strong>n, auch wenn die positive<br />

Wirkung dieser gesellschaftlichen Aktivität „politisch“außeror<strong>de</strong>ntlich wichtig sei.<br />

(vgl. Deutsche Shell 2002)<br />

In einer Vielzahl von Veröffentlichungen wur<strong>de</strong> als Folge <strong>de</strong>s gesellschaftlichen<br />

Individualisierungsprozesses ein „Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamtes“vermutet und die Jugendlichen<br />

<strong>de</strong>ssen treiben<strong>de</strong> Kraft beschrieben. „Die ‚Krise <strong>de</strong>s Ehrenamtes’wur<strong>de</strong><br />

mit abnehmen<strong>de</strong>r Hilfs­ und Verantwortungsbereitschaft assoziiert und ein Bild<br />

von Individualisierung eingefügt, das mit <strong>de</strong>n Begriffen: Ich­Gesellschaft und Egotrip<br />

korrespondierte“(Hacket / Mutz 2002: 39). Zwei Themenbereiche kristallisierten<br />

sich heraus: einerseits wur<strong>de</strong> ein Strukturwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamtes <strong>de</strong>utlich,<br />

an<strong>de</strong>rerseits ein Motivwan<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r mit einem gesellschaftlichen Wertewan<strong>de</strong>l einhergeht.<br />

Gera<strong>de</strong> Jugendliche müssen sich in <strong>de</strong>r gewärtigen gesellschaftlichen<br />

Lage hohen Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen stellen und sind gleichzeitig erhöhten Risiken<br />

ausgesetzt. Sie reagieren <strong>hier</strong>auf eben nicht mit „Protest“o<strong>de</strong>r „Nullbock­<br />

Einstellung“, son<strong>de</strong>rn erhöhen ihre Leistungsanstrengungen und betreiben ein<br />

aktives „Umweltmonitoring“, d.h. sie überprüfen ihre soziale Umwelt auf Risiken<br />

und Chancen, wobei Chancen ergriffen und Risiken minimiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Neu ist die Verknüpfung „mo<strong>de</strong>rner“und „alter“Werte. Die sogenannten<br />

„<strong>de</strong>utschen Sekundärtugen<strong>de</strong>n“wie Ordnung, Fleiß und Sicherheit wer<strong>de</strong>n verknüpft<br />

mit Kreativität, Toleranz und Genussfreudigkeit. „Altbürgerliche Werte“<br />

wur<strong>de</strong>n von ihrem „Staub befreit“. Zum Zwecke <strong>de</strong>s Erfolges in einer Leistungsgesellschaft<br />

wird die Orientierung an solchen Prinzipien als wichtig erachtet, um<br />

so die Grundlage für ein interessantes, erlebnisreiches und sinnvolles Leben zu<br />

schaffen. (Deutsche Shell 2002: 18 ff.)<br />

„Hedonistische und materialistische Wertorientierungen, wie „das Leben in<br />

vollen Zügen genießen“, „hoher Lebensstandard“, „Macht und Einfluss haben“,<br />

sind bei Jugendlichen gegenwärtig stark ausgeprägt, und zwar stärker als in <strong>de</strong>r<br />

Erwachsenengeneration. In dieser Orientierung an <strong>de</strong>n Werten <strong>de</strong>r Wettbewerbsund<br />

Konsumgesellschaft unterschei<strong>de</strong>n sich engagierte und nicht engagierte Jugendliche<br />

aber keineswegs. Engagement und Hedonismus/ Materialismus schlie­


­ 127 ­<br />

ßen sich offensichtlich nicht aus. Auch Selbstentfaltungswerte wie Kreativität und<br />

Phantasie zu entwickeln, sowie Pflicht­ und Akzeptanzwerte haben für Jugendliche<br />

einen hohen Stellenwert.“(Picot 2000, zit. Nach Enquete­Kommission 2002a:<br />

99) Das Ehrenamt gilt als Medium für Prozesse <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntitätssuche und Selbstfindung.<br />

Es ist gekennzeichnet durch Selbstverwirklichung, sozialen Nutzen und „Ich<br />

tue etwas für mich“, während das alte Ehrenamt ein tradiertes Selbstverständnis<br />

aufweist, gekennzeichnet durch Aufopferung und die Vorstellung, Gutes für an<strong>de</strong>re<br />

zu tun. An die Stelle <strong>de</strong>r bedingungslosen Hingabe an die Organisation tritt<br />

heute <strong>de</strong>r Wunsch nach einem freiwillig gewählten Engagement, das sich zeitlich<br />

<strong>de</strong>n Bedürfnissen und <strong>de</strong>n immer individueller wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Lebensläufen anpassen<br />

lässt. (v. Rosenbladt 2000: 121)<br />

Zentrales Moment zur Aktivierung <strong>de</strong>s neuen Engagements ist nicht mehr<br />

die Sozialisation in einem bestimmten Milieu, son<strong>de</strong>rn die biographische Passung<br />

in einer bestimmten Lebensphase. Erst wenn Motiv, Anlass und Gelegenheit biographisch<br />

zusammenpassen (wie <strong>de</strong>r Bedarf an sozialen Kontakten bei Seniorinnen<br />

und Senioren, die Suche nach persönlichen Orientierungen bei Jugendlichen<br />

o<strong>de</strong>r die Überwindung von Phasen <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit), dann konstituiert sich das<br />

Engagement. (vgl. Heinz et al. 1996: 193 ff.) Die Bereitschaft Jugendlicher, sich<br />

dauerhaft zu engagieren, ist vergleichsweise gering. Jugendliche engagieren sich<br />

dann, wenn sie es für sinnvoll erachten. Allerdings wollen sie nicht institutionell<br />

einverleibt und auch nicht formell in die Pflicht genommen wer<strong>de</strong>n. Die Ten<strong>de</strong>nz<br />

geht eher zu einem projektbezogenen Engagement, welches zweck­ und zeitgebun<strong>de</strong>n<br />

ist.<br />

Neben <strong>de</strong>m klassischen Ehrenamt haben sich weitere Formen <strong>de</strong>s Engagements<br />

herausgebil<strong>de</strong>t. Menschen organisieren sich nicht mehr nur in Vereinen und Verbän<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn suchen nach eigenen Organisationsformen. Es haben sich informelle<br />

Strukturen herausgebil<strong>de</strong>t, die ein hohes Maß an Beweglichkeit und Gestaltungsmöglichkeiten<br />

bieten. Engagement umfasst heute mehr als das vertraute<br />

Ehrenamt, nämlich auch Tätigkeiten in <strong>de</strong>r Selbsthilfe, <strong>de</strong>r Nachbarschaftshilfe<br />

sowie Bürgerinitiativen und Projekten aller Art; es sind freiwillige und auf das Gemeinwesen<br />

bezogene Aktivitäten, <strong>de</strong>nen kein Erwerbszweck zugrun<strong>de</strong> liegt und<br />

die zu einem großen Teil gemeinschaftlich und in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit stattfin<strong>de</strong>n.<br />

(vgl. Mutz 2002)<br />

4.1.2 Gewerkschaftliche Jugendarbeit<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaften nimmt die Jugendarbeit eine wichtige Rolle ein.<br />

Jugendarbeit wird als Interessenvertretung verstan<strong>de</strong>n. Jugendlichen und jungen<br />

Erwachsenen sollen Möglichkeiten gegeben wer<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>r Gewerkschaft in allen<br />

gesellschaftlichen Bereichen soziale, politische und berufliche Perspektiven zu<br />

entwickeln. Traditionell stellt die Jugendbildungsarbeit einen Bereich dar, <strong>de</strong>r<br />

stark von bürgerschaftlichen Engagement geprägt ist, in <strong>de</strong>m regionale Bezüge<br />

hergestellt wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r auch gegenüber Nichtmitglie<strong>de</strong>rn offen ist.<br />

Die „traditionellen“Formen im außerbetrieblichen Engagement sind dadurch gekennzeichnet,<br />

dass sie eine I<strong>de</strong>ntifizierung mit <strong>de</strong>r Rolle als Arbeitnehmer und<br />

Gewerkschaftsmitglied voraussetzen, Arbeitserfahrungen im Fokus <strong>de</strong>r Tätigkeiten<br />

haben sowie in die gewerkschaftliche Gremienstruktur eingebun<strong>de</strong>n sind.<br />

„Neue“Formen knüpfen dagegen an Erfahrungen und Interessen an, die nicht<br />

selbstverständlich auf diesen Erfahrungshintergrund rekurrieren können und neu­


­ 128 ­<br />

ere, flexible Formen <strong>de</strong>s Verhältnisses von Organisation und Engagierten ermöglichen.<br />

(vgl. Wolf 2002) Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Jugendarbeit lassen sich jedoch Ansätze<br />

<strong>de</strong>r Öffnung <strong>de</strong>r Organisation erkennen. So ist (z. B. in <strong>de</strong>n Richtlinien für die Jugendarbeit<br />

bei ver.di) zu erkennen, dass eigene Interessen <strong>de</strong>r Jugendlichen im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Gewerkschaft umgesetzt wer<strong>de</strong>n können und geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Einen<br />

wichtigen Aspekt stellen auch projektbezogene Aktivitäten dar. Diese Projekte<br />

stehen nicht mehr nur Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>rn offen, son<strong>de</strong>rn integrieren<br />

auch (Noch­) Nichtmitglie<strong>de</strong>r. Zielorientiert wird mit an<strong>de</strong>ren Jugendverbän<strong>de</strong>n,<br />

wie Jugendringen, Organisationen und Initiativen zur Durchsetzung gemeinsamer<br />

For<strong>de</strong>rungen zusammengearbeitet. Für die Jugendlichen sind <strong>hier</strong>bei beson<strong>de</strong>rs<br />

Menschenrechts­ und Umweltschutzorganisationen von beson<strong>de</strong>rs großem Interesse.<br />

Als Beispiel für internationale Aktivitäten kann das Projekt „Xolelanani“aufgeführt<br />

wer<strong>de</strong>n, welches im Kapitel 5 von Kirstin Bromberg näher beschrieben<br />

wird.<br />

4.2 Fallstudie Küste<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r Fallstudie „Küste“wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Fokus auf Erwerbslose und Jugendliche<br />

gelegt (ebenso wie in <strong>de</strong>r Fallstudie „Stuttgart“)46. Im Rahmen dieser<br />

Fallstudie wur<strong>de</strong>n zwei Gruppendiskussionen („StrandGut“47, „Come In“48) mit<br />

Jugendlichen und drei Experteninterviews (Projektleiter „Come In“– Wismar, Projektleiter<br />

„Lunte“– Rostock, Jugendreferentin DGB­Jugend Nord ­ Schwerin) geführt.<br />

4.2.1 „StrandGut“<br />

„StrandGut“wur<strong>de</strong> im Jahre 1997 vor <strong>de</strong>m Hintergrund von Zeltplatzüberfällen<br />

auf Jugendgruppen in Leisten ins Leben gerufen. In Zusammenarbeit mit<br />

verschie<strong>de</strong>nen Jugendverbän<strong>de</strong>n sollten <strong>de</strong>n Jugendlichen Möglichkeiten zur<br />

Freizeitgestaltung angeboten wer<strong>de</strong>n, um so präventiv gegen eventuelle Überfälle<br />

zu arbeiten. In <strong>de</strong>n ersten drei Jahren ist „StrandGut“vom Lan<strong>de</strong>sjugendring<br />

Mecklenburg­Vorpommern ausgeschrieben und veranstaltet wor<strong>de</strong>n. Im Jahre<br />

2001 wur<strong>de</strong> „StrandGut“erstmals von <strong>de</strong>r DGB­Jugend Nord organisiert, allerdings<br />

in Kooperation mit <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>sjugendring, da dieser die Verbindung zwischen<br />

<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Lan<strong>de</strong>sjugendverbän<strong>de</strong>n 49 herstellt.<br />

Das Projekt “StrandGut“wird während <strong>de</strong>r Sommerferien über einen Zeitraum<br />

von vier Wochen auf verschie<strong>de</strong>nen Zeltplätzen in Mecklenburg­<br />

Vorpommern durchgeführt. Die Jugendlichen aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Jugendver­<br />

46 Zur Auswahl und Methodik <strong>de</strong>r Fallstudien vgl. Kap. 1.5.<br />

47 An <strong>de</strong>r Gruppendiskussion nahmen 9 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 23 Jahren teil. Eine<br />

Skizze mit genaueren Angaben befin<strong>de</strong>t sich im Anhang.<br />

48 Hier nahmen 6 Jugendliche im Alter zwischen 17 und 22 Jahren teil. Hierzu befin<strong>de</strong>t sich ebenfalls<br />

eine Skizze mit genaueren Angaben im Anhang.<br />

49 Mitwirken<strong>de</strong> Jugendverbän<strong>de</strong> sind <strong>de</strong>r Jugendmedienverband, die Sportjugend, die Bundjugend,<br />

die Landjugend, die evangelische Aka<strong>de</strong>mie, die DGB­Jugend.


­ 129 ­<br />

bän<strong>de</strong>n (Teamer 50 ) organisieren vor Ort die Gestaltung von Freizeitangeboten für<br />

Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche auf <strong>de</strong>n Zeltplätzen.<br />

Zu Beginn <strong>de</strong>s Jahres 2002 hat für das Projekt eine neue Phase begonnen.<br />

„StrandGut“sollte nicht weitergeführt wer<strong>de</strong>n, da keiner <strong>de</strong>r Jugendverbän<strong>de</strong> aufgrund<br />

<strong>de</strong>s zu großen Zeitaufwan<strong>de</strong>s bereit war, dieses Projekt durchzuführen. Ein<br />

Teil <strong>de</strong>r Jugendlichen beschloss daher, „die Sache selbst in die Hand zu nehmen“<br />

51 . Die Jugendlichen organisierten die Finanzierung <strong>de</strong>s Projektes, die Pressearbeit<br />

und die gesamte Durchführung in Eigeninitiative selbst. Insgesamt gesehen<br />

ist die I<strong>de</strong>ntifikation <strong>de</strong>r Jugendlichen mit <strong>de</strong>m Projekt selbst über die Verbän<strong>de</strong><br />

hinaus sehr stark.<br />

Fm: Ähm es gab dann so persönlich, persönliche Differenzen im Verband zwischen<br />

mir und all <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Leuten und lag unter an<strong>de</strong>rem auch an diesem<br />

Projekt, weil ich halt im letzten Jahr in <strong>de</strong>m ich dort in <strong>de</strong>m Verband war, gesagt<br />

hab, ich mache diese Projekte nicht weiter und das hat sich halt in <strong>de</strong>m Verband<br />

so weiter entwickelt, dass es halt mehr mehr o<strong>de</strong>r weniger son Konkurrenzkampf<br />

war. Ich mache mehr, ich mache besser und ja, da ich daran nicht mehr teilgenommen<br />

habe, bin ich dann relativ schnell dort hinten runterge[.]. Aber das Projekt<br />

ist halt mir irgendwie so wichtig, daß ich gesagt hab, dann mache ich es entwe<strong>de</strong>r<br />

für nen an<strong>de</strong>rn Verband, ich also ich wollte jetzt ursprünglich für die DGB­<br />

Jugend fahren.<br />

⎣<br />

Y1: Hmm.<br />

Fm: Da das nun von gar keinen Verbän<strong>de</strong>n gemacht wird, machen wirs halt<br />

selbst und ich <strong>de</strong>nke nicht, dass das unbedingt schlechter sein muss. Glaube ich<br />

da nicht dran. Ich <strong>de</strong>nke, es ist <strong>de</strong>nn ist <strong>de</strong>nn wie<strong>de</strong>r ne neue Phase, wo das dann<br />

wie<strong>de</strong>r ganz an<strong>de</strong>rs wird. Aber ich bin gespannt drauf.<br />

Diese nun beginnen<strong>de</strong> „neue Phase“ist für die Jugendlichen mit <strong>de</strong>r Hoffnung<br />

einer stressfreien Zusammenarbeit verbun<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n letzten Jahren ist je<strong>de</strong>r für<br />

seinen Verband gefahren. Aus dieser Tatsache kam es zu Problemen zwischen<br />

<strong>de</strong>n Jugendlichen. Der eine Verband warf <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Faulheit vor. Da nun alle<br />

„StrandGut“sind, gibt es eine neue Basis für die Zusammenarbeit. Je<strong>de</strong>r kann<br />

alles machen. Dennoch spielt die Repräsentation <strong>de</strong>r Verbän<strong>de</strong> eine Rolle.<br />

Bm: Also wir wer<strong>de</strong>n die Verbän<strong>de</strong> vertreten und auch wie<strong>de</strong>r Werbung für die<br />

Verbän<strong>de</strong> machen, aber es ist nicht so, dass je<strong>de</strong>r für seinen Verband fährt, weil<br />

es da in <strong>de</strong>n letzten Jahren auch ein bisschen Probleme gab. Der <strong>de</strong>r eine Verband<br />

hat <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Verband Faulheit vorgeworfen. Wir haben <strong>de</strong>n ganzen Tag<br />

gearbeitet, ihr nicht und<br />

⎣<br />

Fm: Ja.<br />

⎣<br />

50 Die Teamer erhalten über die Jugendverbän<strong>de</strong> eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 70€<br />

in <strong>de</strong>r Woche. Kosten für die Verpflegung müssen sie nicht tragen, allerdings muss die An­ und<br />

Abreise selbst bezahlt wer<strong>de</strong>n. In diesem Jahr (2002) erfolgte die Bezahlung <strong>de</strong>r Teamer erstmals<br />

für alle gleich. In <strong>de</strong>n vorherigen Jahren wur<strong>de</strong>n die Teamer abhängig von Jugendverband unterschiedlich<br />

bezahlt.<br />

51 Fm in GD StrandGut am 06.07.2002 in Flessenow


­ 130 ­<br />

Y1: Hmm.<br />

Bm: da gab es untereinan<strong>de</strong>r auch ein bisschen Streit und das wollten wir eigentlich<br />

dadurch vermei<strong>de</strong>n, dass wir alle für Strandgut da sind und nicht äh <strong>de</strong>r<br />

eine fährt für die Gewerkschaft und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re für für irgen<strong>de</strong>inen an<strong>de</strong>ren Verband.<br />

(5) Und das wird bestimmt ein schönes Zusammenarbeiten, <strong>de</strong>nn die Basis<br />

je<strong>de</strong>r macht alles<br />

Unter Ehrenamt im Allgemeinen wird von <strong>de</strong>n Jugendlichen eine freiwillige<br />

Arbeit verstan<strong>de</strong>n, für die es keine Bezahlung gibt, die jedoch einen gesellschaftlichen<br />

Nutzen hat. Der finanzielle Aspekt steht im Hintergrund, man könnte sogar<br />

auf ihn verzichten:<br />

Bm: Oh, also für mich ist das ähm ne freiwillige Arbeit,<br />

⎣<br />

Y 1 :<br />

Hmm<br />

Bm: für die es eigentlich keine offizielle Bezahlung gibt. Es soll, wie gesagt,<br />

⎣<br />

Y 1 :<br />

Bm:<br />

Hmm<br />

äh Kosten­Nutzen ähm Aufwandsentschädigung geben, aber äh die Kosten,<br />

dass die wie<strong>de</strong>r reinkommen, wenn überhaupt, aber selbst das ist<br />

noch nicht mal ähm <strong>de</strong>r<br />

⎣<br />

Y 1 :<br />

Hmm<br />

Bm: Hintergrund. Ich mach das ähm freiwillig, weil es eben äh gesellschaftlichen<br />

Nutzen hat<br />

⎣<br />

Y 1 : Hmm<br />

⎣<br />

Aw: [Richtig, das hätte ich auch gemacht.]<br />

Bm: und ähm mehr nicht.<br />

Ew: Ja dass man eben seine Zeit und sein Engagement mit einbringt und auch<br />

aufbringt und das mit einfließen lässt in ein Projekt.<br />

Aw: [...]<br />

Bm: Das war auch ähm unser unsere auf <strong>de</strong>m Hauptausschuss damals im Februar<br />

als wir das erste Mal Strandgut angesprochen haben, als es eigentlich<br />

fast so aussah, als wenn Strandgut nicht stattfin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, als wir dann<br />

eben sagten, es fin<strong>de</strong>t statt. Das war auch äh gesagt, wir wür<strong>de</strong>n auch auf<br />

unser Honorar verzichten, <strong>de</strong>nn das sind immerhin 3000 Euro noch mal<br />

wie<strong>de</strong>r dieses Jahr,<br />

⎣<br />

Y 1 : Ja<br />

Bm: die wir dann hätten äh weglassen können und (3) so so ist das Budget [...]<br />

Jemand <strong>de</strong>r nur aus finanziellem Interesse bei „StrandGut“mitmacht, ist<br />

aus ihrer Sicht nicht für diese Arbeit geeignet. Man bringt seine Zeit und sein Engagement<br />

ein, um für sich und für an<strong>de</strong>re etwas zu erreichen.<br />

Ehrenamtliches Engagement wird als sinnvolle Freizeitbeschäftigung mit <strong>de</strong>m Ziel<br />

gesehen, sich selbst auszuprobieren, sich entfalten zu können, Erfahrungen zu<br />

sammeln und sich mit an<strong>de</strong>ren Jugendlichen auszutauschen. Es ist aber auch<br />

eine Möglichkeit, Qualifikationen zu erlangen, die beispielsweise in <strong>de</strong>r Schule


­ 131 ­<br />

nicht vermittelt wer<strong>de</strong>n (können). Hierzu zählen einerseits soziale Kompetenzen<br />

(Umgang mit an<strong>de</strong>ren Menschen, kommunikative Fähigkeiten, Verantwortung für<br />

sich und an<strong>de</strong>re tragen), aber auch die Möglichkeit Kompetenzen im Umgang mit<br />

Institutionen zu erlangen. Über diese selbstbezogenen Motive hinaus führt die<br />

Wahrnehmung <strong>de</strong>s „gesellschaftlichen Nutzens“<strong>de</strong>s Engagements zur Wahl dieses<br />

spezifischen Projekts. Ihre Be<strong>de</strong>utung erhält das freiwillige Engagement also<br />

durch ihre über die individuelle Freizeitbeschäftigung hinaus gehen<strong>de</strong> gesellschaftliche<br />

Wirksamkeit.<br />

In diesem Sinne wir <strong>de</strong>m Ehrenamt eine tragen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung für die Suche<br />

nach <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>r Zukunft zugeschrieben. In einer Phase, in <strong>de</strong>r erwartet<br />

wird sich zu orientieren, besteht in <strong>de</strong>r freiwilligen Betätigung die Chance Wege<br />

für die Lebensgestaltung auszuprobieren und zu fin<strong>de</strong>n. Man kann etwas tun für<br />

ein bestimmtes Lebensziel. 52<br />

Fm: Das ist, man lernt im, also man hat die Chance im Ehrenamt so viel zu lernen,<br />

was man in <strong>de</strong>r Schule niemals vermittelt bekommen kann.<br />

⎣<br />

Y 1 : Hmm<br />

Fm: Ich zum Beispiel hab mein Studium gefun<strong>de</strong>n über das Ehrenamt. Also ich<br />

studiere im ersten Hauptfach Politik.<br />

⎣<br />

Y 1 : Hmm<br />

Fm: Ähm und auch wenn das vielleicht mit mit Presse und so weiter nicht ganz<br />

direkt zu tun hat, aber irgendwie hängts doch ein bisschen damit zusammen<br />

und es sind halt so die Abläufe in <strong>de</strong>r Gesellschaft und und in <strong>de</strong>n Institutionen<br />

und manchmal weiß man halt, wie es auf <strong>de</strong>m Papier steht und<br />

wie es wirklich ist.<br />

Wie schon in an<strong>de</strong>ren Studien beschrieben, steht bei diesen Jugendlichen<br />

ebenfalls Spaß im Vor<strong>de</strong>rgrund als Motiv für ihr Engagement: Also bei mir ist das<br />

in erster Linie, das macht Spaß. Und das ist die Hauptsache. (Cm) 53 „Spaß“ist<br />

allerdings nicht gleichzusetzen mit „Fun“. „Spaß haben“be<strong>de</strong>utet mehr als dieses.<br />

Es ist auch ein Wort für Freu<strong>de</strong>, Lust, Motivation und Sinnhaftigkeit und <strong>de</strong>shalb<br />

nicht gleichzusetzen mit <strong>de</strong>r Erwartung schnelllebigen Vergnügens und „Zeitvertreibs“.<br />

Fm:<br />

Und vor allen Dingen also ja dann kommt <strong>de</strong>r Anspruch, das was da jetzt<br />

gesagt wur<strong>de</strong>, soll natürlich auch noch Spaß machen und was für mich<br />

auch immer ganz wichtig war, ist das man ähm ja diesen Spaß o<strong>de</strong>r das Interesse<br />

an <strong>de</strong>r Sache <strong>de</strong>n Leu <strong>de</strong>n Leuten, die dann zu diesem Seminar<br />

52 In früheren Veröffentlichungen wird <strong>hier</strong> von „Biographischer Passung“gesprochen. Zentrales<br />

Moment zur Aktivierung <strong>de</strong>s neuen Engagements ist nicht mehr die Sozialisation in einem bestimmten<br />

Milieu, son<strong>de</strong>rn die biographische Passung in einer bestimmten Lebensphase. Erst<br />

wenn Motiv, Anlass und Gelegenheit biographisch zusammenpassen (wie <strong>de</strong>r Bedarf an sozialen<br />

Kontakten bei Seniorinnen und Senioren, die Suche nach persönlichen Orientierungen bei Jugendlichen<br />

o<strong>de</strong>r die Überwindung von Phasen <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit), dann konstituiert sich das<br />

Engagement. Vgl.: Heinze, R.G./ Bucksteeg, M./ Helmer, A.: Freiwilliges soziales Engagement in<br />

NRW. Potentiale und För<strong>de</strong>rmöglichkeiten. In: Zukunft <strong>de</strong>s Sozialstaates. Freiwilliges soziales<br />

Engagement und Selbsthilfe. Hrsg. Vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />

Nordrhein­Westfalen. Düsseldorf 1996. S. 193­200<br />

53 Cm in GD StrandGut am 06.07.2002 in Flessenow


­ 132 ­<br />

kommen o<strong>de</strong>r an dieser Arbeit teilhaben dann weitervermittelt, sozusagen<br />

multipliziert.<br />

Die Rolle von Verbän<strong>de</strong>n<br />

Die Verbän<strong>de</strong> bieten für diese Jugendlichen <strong>de</strong>n Rahmen, sich selbst entfalten zu<br />

können. Dies geschieht auf verschie<strong>de</strong>n Ebenen. Einerseits bietet <strong>de</strong>r „richtige<br />

Verband“ihnen die Möglichkeiten, sich durch ihr Engagement (also die Übernahme<br />

von Aufgaben innerhalb <strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s, die auch ihren Interessen entsprechen)<br />

sich ausprobieren zu können:<br />

„… Ähm es ist, also die Ehrenamtsarbeit, wenn man sich <strong>de</strong>n richtigen Verband<br />

raussucht, sag ich mal, <strong>de</strong>r sich mit einem Gebiet befasst, das einen selber<br />

auch anspricht, ähm ist ne sehr gute Möglichkeit sich selbst auszuprobieren und<br />

sich selbst zu entfalten… “54<br />

An<strong>de</strong>rerseits wird <strong>de</strong>m Verband eine Rolle als Bildungsträger zugeschrieben.<br />

Verbän<strong>de</strong> übernehmen in ihren Augen Bildungsaufträge, die in <strong>de</strong>r Schule<br />

nicht erfüllt wer<strong>de</strong>n und zum Teil innerhalb <strong>de</strong>s Rahmens Schule auch nicht erfüllt<br />

wer<strong>de</strong>n können. In ihren Augen kommt die Schule ihrem Bildungsauftrag in Bezug<br />

auf die Vorbereitung auf das Leben sogar nur im ungenügen<strong>de</strong>n Maße nach, da<br />

eben ein Großteil wichtiger sozialer Kompetenzen in diesem Rahmen nicht vermittelt<br />

wer<strong>de</strong>n (können):<br />

Fm: Und ähm die man auch in <strong>de</strong>r Schule, also es heißt ja so, man lernt fürs<br />

Leben und nicht für die Schule und und das tut man aber nicht in <strong>de</strong>r Schule.<br />

Also die die Schule ähm kommt ihrem Bildungsauftrag, <strong>de</strong>r im Schulgesetz<br />

steht, ähm in nur sehr ungenügen<strong>de</strong>m Maße nach, also Charakterbildung<br />

und Vorbereitung auf das Leben und so weiter. Das fin<strong>de</strong>t da alles,<br />

⎣<br />

Y1: Hmm<br />

Fm: das ist alles Blödsinn. Ich mein Pisa hi­ hin o<strong>de</strong>r her, also ob die Studie nun<br />

so sinnvoll ist, ist ne an<strong>de</strong>re Sache, aber ähm <strong>de</strong> facto wir da von uns sehr<br />

sehr seine Schule, wird da sicherlich mehr als ein Beispiel aufzählen können,<br />

⎣<br />

Bm: Hmm<br />

Fm: was absolut dummsinnig war, äh ob das nun im Unterricht war o<strong>de</strong>r organisationstechnisch.<br />

Und ich <strong>de</strong>nke, die Verbän<strong>de</strong> im Land und die Ehrenamtlichen<br />

ähm, die diesen Prozess schon durchgemacht haben und untereinan<strong>de</strong>r<br />

vermitteln, die nehmen einen Teil dieses Bildungsauftrages wahr,<br />

⎣<br />

Y1: Hmm<br />

Fm: wo einfach <strong>de</strong>r Bedarf da ist und <strong>de</strong>r ist da, ansonsten wür<strong>de</strong>n diese Verbän<strong>de</strong><br />

ja nicht, zumin<strong>de</strong>st von <strong>de</strong>n Leuten, die es wissen und die es interessiert,<br />

äh <strong>de</strong>n Zulauf erhalten und <strong>de</strong>n Zuspruch erhalten.<br />

Den Verbän<strong>de</strong>n wird <strong>hier</strong> eine produktive Rolle zugesprochen, die sich auf<br />

eigene Entwicklungsmöglichkeiten günstig auswirken. Menschen, die um die Rolle<br />

<strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s als Ort Bildung wissen und daran auch interessiert sind, können<br />

54 Fm in GD StrandGut am 06.07.2002 in Flessenow


­ 133 ­<br />

diese Möglichkeit nutzen. Aus diesem Hintergrundwissen heraus ergibt sich ein<br />

weiteres Ziel <strong>de</strong>s Engagements dieser Jugendlichen: nicht die direkte Rekrutierung<br />

von Jugendlichen, son<strong>de</strong>rn die Präsentation <strong>de</strong>r Jugendverbän<strong>de</strong> und somit<br />

die Eröffnung von Möglichkeiten, die eigenen Interessen und Ziele durch Verbreiterung<br />

<strong>de</strong>r Wissensbasis zielgerichtet verfolgen und durchsetzen zu können. Im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r gesellschaftspolitischen Interessen ihres Engagements informieren<br />

an<strong>de</strong>re Jugendliche darüber, welche Jugendverbän<strong>de</strong> es im Land gibt und was<br />

diese Verbän<strong>de</strong> <strong>de</strong>m einzelnen bieten können.<br />

Fm: Und dann haben wir wie<strong>de</strong>r das Ziel erreicht, dass wir halt die Jugendverbän<strong>de</strong><br />

präsentieren o<strong>de</strong>r repräsentieren wollen, halt auch oftmals ist gar<br />

nicht bekannt, was es für Möglichkeiten gibt, welche Verbän<strong>de</strong> es im Land<br />

gibt.<br />

⎣<br />

Y 1 : Ja.<br />

Fm: Was man, also die Kids hängen o<strong>de</strong>r die Jugendlichen hängen in <strong>de</strong>n Ghettos<br />

ab und und ja<br />

⎣<br />

Aw: [.].<br />

⎣<br />

?w: Stimmt.<br />

Fm: haben nichts besseres zu tun, als sich zu betrinken o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Sachen<br />

noch zu tun ähm und wissen meist gar nicht um die Möglichkeiten, die sie<br />

eigentlich haben und und auch viele von diesen Leuten, das hat man ja auf<br />

<strong>de</strong>n Zeltplätzen auch gemerkt, so die eigentlich so gesagt haben, ey die arbeiten<br />

freiwillig, ist ja bescheuert, die ähm auch die Leute haben Interesse<br />

und auch die Leute haben bestimmte Talente und wenn man die <strong>de</strong>nn son<br />

bisschen<br />

⎣<br />

Aw: Hmm.<br />

Fm: ähm, ja weiß nicht, herausfor<strong>de</strong>rt, dann dann springen sie darauf auch an.<br />

Wenn wenn sie merken so nach <strong>de</strong>m Motto, die sind gar nicht so, dass sie<br />

uns jetzt auslachen, wenn wir jetzt irgendwas tun, son<strong>de</strong>rn (3)<br />

Da viele Jugendliche außerhalb von Organisationen stehen und nicht wissen,<br />

welche Möglichkeiten zur Selbstentfaltung sie innerhalb von Verbän<strong>de</strong>n haben,<br />

„hängen sie in <strong>de</strong>n Ghettos ab“. Dadurch bleiben ihnen Möglichkeiten verwehrt,<br />

für das Leben wichtige Kompetenzen zu erlangen, die innerhalb <strong>de</strong>s für je<strong>de</strong>n zugänglichen<br />

Rahmen Schule nicht vermittelt wer<strong>de</strong>n. Verbän<strong>de</strong> bieten die Möglichkeit<br />

aus <strong>de</strong>m „Ghetto“herauszukommen, und daher wird von <strong>de</strong>n engagierten<br />

Jugendlichen versucht, die Verbän<strong>de</strong> nach außen hin zu repräsentieren, um so<br />

langfristige Wirkungen ihrer Arbeit zu erreichen. Nicht nur auf <strong>de</strong>m Zeltplatz sollen<br />

sinnvolle Beschäftigungen im Mittelpunkt <strong>de</strong>s Lebens <strong>de</strong>r „an<strong>de</strong>ren Jugendlichen“<br />

stehen, son<strong>de</strong>rn auch über die zwei Wochen auf <strong>de</strong>m Zeltplatz hinaus.<br />

Die pure Existenz <strong>de</strong>s Verbands bietet nicht mehr <strong>de</strong>n Anlass sich ehrenamtlich<br />

zu engagieren, weil das Interesse an seinen Aktivitäten und Betätigungsangeboten<br />

durch Eigeninitiative erworben wer<strong>de</strong>n muss 55 . Er übernimmt die Rolle<br />

55 Auch schon beschrieben bei Beher. et al. (2000): „Allerdings scheint die Verbandsi<strong>de</strong>ntifikation<br />

als Motiv für ehrenamtliche Mitarbeit mehr und mehr zu schwin<strong>de</strong>n.“ In <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn


­ 134 ­<br />

als Rahmen in <strong>de</strong>m individuelle Interessen <strong>de</strong>s Einzelnen verwirklicht wer<strong>de</strong>n<br />

können („ausprobieren“, „entfalten“, „Bildung“) und neue Wege für die Gestaltung<br />

<strong>de</strong>r Zukunft gezeigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Wahrnehmung <strong>de</strong>s Engagements durch Außenstehen<strong>de</strong><br />

Die Sinnhaftigkeit <strong>de</strong>s Engagements <strong>de</strong>r beteiligten Jugendlichen wird von Außenstehen<strong>de</strong>n<br />

häufig in Frage gestellt. Oftmals wird selbst innerhalb <strong>de</strong>r Familien<br />

die Kritik laut, sie sollten ihre Zeit mit nützlicheren Dingen verbringen. Auch von<br />

Behör<strong>de</strong>n und Institutionen wird ihnen – aus ihrer Sicht – die Fähigkeit aberkannt,<br />

auch als Jugendliche Verantwortung zu tragen. Dies wird von <strong>de</strong>n Engagierten als<br />

Degradierung empfun<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>m möchten sie entgegenwirken. Sie möchten<br />

zeigen, dass das häufig von Medien geprägte Bild „<strong>de</strong>s Jugendlichen“nicht zutrifft.<br />

Sie grenzen sich jedoch klar gegen an<strong>de</strong>re, nichtengagierte Jugendliche ab<br />

(„Kids“). Diesen wird dabei kein generelles Desinteresse unterstellt, son<strong>de</strong>rn ein<br />

fehlen<strong>de</strong>s Wissen um die Möglichkeiten, etwas zu tun.<br />

Fm: Ähm Ehrenamtlichkeit. Ähm.<br />

⎣<br />

Aw: [...]<br />

Fm: Viele Leute sagen ähm, mach doch mal was Richtiges.<br />

⎣<br />

Mehrere: Morgen.<br />

Fm: Ähm, kümmer dich um das, was du eigentlich wirklich tun musst, also<br />

Schule, Studium, Job was auch immer.<br />

⎣<br />

Y 1 : Hmm<br />

Fm: Ähm. Was bringt dir das. Ähm was bringt das <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren o<strong>de</strong>r was nützt<br />

das überhaupt. Ähm kannst du <strong>de</strong>ine Zeit nicht sinnvoller ver verbringen.<br />

Ähm was ich damit auch verbin<strong>de</strong> ist, ähm ja man wird belächelt bei Behör<strong>de</strong>n<br />

und offiziellen ja Institutionen, wenn man irgendwas will,<br />

⎣<br />

Y 1 : Hmm<br />

Fm: weil man ist ja bloß ein Jugendlicher.<br />

⎣<br />

Y 1 : Hmm<br />

Fm: Ähm wir machen sowieso nichts richtig, wir ja so wa so wie sich die Reihe<br />

halt fortsetzt und für mich steht auch so ganz persönlich son bisschen <strong>de</strong>r<br />

Anreiz dahinter, das Gegenteil zu beweisen.<br />

⎣<br />

Y 1 : Hmm<br />

Fm: Ganz einfach. (4) Und das, was ich halt vorhin gesagt hab, möglichst, also<br />

ich kann oftmals nicht verstehen was ähm Jugendliche mit ihrer Zeit und<br />

mit ihren Talenten anfangen, und das natürlich dann son son Bild in <strong>de</strong>r Öfmag<br />

ein weiterer Aspekt hinzukommen: durch die verpflichten<strong>de</strong> Mitgliedschaft in <strong>de</strong>n „Massenorganisationen“zu<br />

DDR­Zeiten haben die heutigen Jugendlichen nur wenige Vorbil<strong>de</strong>r, die aufgrund<br />

von Eigeninitiative <strong>de</strong>n Weg zu einer Organisation bzw. einem Jugendverband suchen und die<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Erfahrungen lebensweltlich tradieren können.


­ 135 ­<br />

fentlichkeit entsteht, was natürlich dann auch noch von diversen Medien<br />

und an<strong>de</strong>ren Gruppen in <strong>de</strong>r Gesellschaft geschürt wird,<br />

Zusammenfassung<br />

Grundlegen<strong>de</strong> Aspekte für ein Engagement sind bei <strong>de</strong>n in diesem Projekt<br />

engagierten Jugendlichen individuelle Motive, die allerdings mit altruistischen und<br />

politischen Hintergrün<strong>de</strong>n verbun<strong>de</strong>n sind. „Sinnvoll“ist in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r engagierten<br />

Jugendlichen nicht gleichbe<strong>de</strong>utend mit „individuell nützlich“. Ihr Engagement<br />

ist Ausdruck einer Haltung, die sich gegen einen utilitaristischen Individualismus<br />

stellt, welcher gera<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Erwachsenenwelt und ihren Vertretern eingefor<strong>de</strong>rt<br />

wird. Spaß, Selbstentfaltung und Selbstbestimmung spielen eine ebenso<br />

starke Rolle wie <strong>de</strong>r gesellschaftliche Nutzen, <strong>de</strong>r durch ihre Arbeit erreicht<br />

wer<strong>de</strong>n soll. Im Vor<strong>de</strong>rgrund steht <strong>hier</strong> die nachhaltige Wirkung ihres Engagements.<br />

Den von ihnen betreuten Kin<strong>de</strong>rn und Jugendlichen sollen über die kurzzeitige<br />

Betreuung auf <strong>de</strong>n Zeltplätzen hinaus sinnvolle Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung<br />

aufgezeigt wer<strong>de</strong>n, die dann in Verbindung mit <strong>de</strong>n jeweiligen Jugendverbän<strong>de</strong>n<br />

möglich sind. Verbän<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n engagierten Jugendlichen als<br />

notwendige Rahmen dargestellt und genutzt, um eigene Interessen durchsetzen<br />

zu können, gesellschaftliche Kompetenzen zu erlangen, sich selbst ausprobieren<br />

zu können und als Ort, um neue Möglichkeiten zu erfahren.<br />

Die Tatsache, dass sich nicht alle Jugendlichen in irgen<strong>de</strong>iner Form engagieren,<br />

sehen diese Jugendlichen nicht im mangeln<strong>de</strong>n Interesse <strong>de</strong>r nichtengagierten<br />

Jugendlichen, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>m mangeln<strong>de</strong>n Wissen um die vorhan<strong>de</strong>nen<br />

Möglichkeiten. Man müsse die Jugendlichen „aus <strong>de</strong>n Ghettos“herausfor<strong>de</strong>rn,<br />

ihnen Wege zeigen, dann gelingt es auch diese zu motivieren. Viele Jugendliche<br />

seien jedoch vom klassischen Bild <strong>de</strong>r Gremien abgeschreckt: man „sitzt und sitzt<br />

und man erzählt und labert… aber es passiert nichts“ 56 . Sie nehmen an, dass man<br />

Jugendliche eher über „Projekte kriegen“ 57 könne.<br />

Für sie selbst hat Gremienarbeit ebenfalls einen verstaubten Charakter,<br />

wird aber als Notwendigkeit anerkannt, um auf organisatorischer Ebene bestimmte<br />

Fragen abzuklären. Allerdings wird die mangeln<strong>de</strong> Flexibilität innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Gremien bemängelt. Entscheidungen dauern oftmals zu lange o<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n aufgrund<br />

mangeln<strong>de</strong>r Kompromissbereitschaft und Paragraphenwälzerei nicht gefällt.<br />

Trotz aller Kritik an <strong>de</strong>r Gremienarbeit sehen die Jugendlichen die Verbän<strong>de</strong><br />

nicht als Hin<strong>de</strong>rnis, son<strong>de</strong>rn als notwendige Einrichtungen, welche die Bedingungen<br />

für selbstbestimmtes Engagement bereitstellen. Dass sie die Abstinenz vieler<br />

Jugendlicher gegenüber <strong>de</strong>r Verbandsarbeit als Wissensmangel interpretieren,<br />

lässt sich als Hinweis an die Verbän<strong>de</strong> verstehen, wie sie das Engagementpotential<br />

Jugendlicher erschließen können.<br />

Ein weiterer tragen<strong>de</strong>r Punkt ist für die Jugendlichen die Anerkennung ihres<br />

Engagements. Anerkennung ist für sie nicht primär finanzielle Anerkennung<br />

o<strong>de</strong>r Anerkennung in Form von Urkun<strong>de</strong>n bzw. Zertifikaten. Für sie steht die<br />

Wahrnehmung in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit im Zentrum. Die Infragestellung <strong>de</strong>r Sinnhaftigkeit<br />

ihres Engagements durch Außenstehen<strong>de</strong> und Familienmitglie<strong>de</strong>r und die<br />

56 Fm in GD StrandGut am 06.07.2002 in Flessenow<br />

57 ebd.


­ 136 ­<br />

Abschreibung von Kompetenz seitens <strong>de</strong>r Institutionen und <strong>de</strong>r Medien wird als<br />

<strong>de</strong>gradierend empfun<strong>de</strong>n. Wird von diesen Stellen einerseits <strong>de</strong>r Sinn und an<strong>de</strong>rerseits<br />

die Tatsache wahrgenommen, dass sie als Jugendliche eben doch eigenverantwortlich<br />

han<strong>de</strong>ln können und durchaus in <strong>de</strong>r Lage sind Verantwortung für<br />

an<strong>de</strong>re zu tragen und dies im Gespräch ver<strong>de</strong>utlicht, ist für diese Jugendlichen ihr<br />

Ziel, als verantwortungsbewusst han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Menschen akzeptiert zu wer<strong>de</strong>n erreicht.<br />

4.2.2 Jugendberatungscafé „Come In“<br />

Das „Come In“wur<strong>de</strong> im Jahre 1995 ins Leben gerufen. Der DGB und die IG­<br />

Metall wollten über „DAU WAT“ein Jugendprojekt gestalten. Daraufhin wur<strong>de</strong>n<br />

Räumlichkeiten im Frie<strong>de</strong>nshof in Wismar gemietet. Es han<strong>de</strong>lt sich <strong>hier</strong> um einen<br />

sozialen Brennpunkt (hohe Jugendarbeitslosigkeit, rechtsextreme Jugendliche).<br />

Das „Come In“wen<strong>de</strong>t sich vor allem an erwerbslose bzw. von Erwerbslosigkeit<br />

bedrohte Jugendliche. Die Beratung dieser Jugendlichen steht im Zentrum: über<br />

arbeitsrechtliche Problem wird informiert, bei <strong>de</strong>r Erstellung von Bewerbungsunterlagen<br />

geholfen, Seminare und Informationsveranstaltungen wer<strong>de</strong>n angeboten.<br />

Weiterhin haben sie auch die Möglichkeit ihre Freizeit zu gestalten (Billard, Sport,<br />

Spiele… ).<br />

Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Gruppendiskussion gab es drei Mitarbeiter innerhalb<br />

<strong>de</strong>s „Come Ins“in Form von einer SAM­ (Projektleiter) und zwei ABM­Stellen.<br />

Diese Maßnahmen sollten innerhalb <strong>de</strong>r nächsten acht Wochen auslaufen. Ob<br />

und wie das Projekt weiter geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, war zu diesem Zeitpunkt noch<br />

unklar.<br />

Das „Come In“war im Jahre 2002 zum zweiten Mal auf <strong>de</strong>r In Schwerin<br />

stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n „Jobpara<strong>de</strong>“ 58 vertreten. Im Rahmen <strong>de</strong>r „Jobpara<strong>de</strong>“übernimmt<br />

die Gewerkschaft ein Drittel <strong>de</strong>r Kosten, ein Drittel trägt die Stadt. Es gibt auch<br />

Aktionen, die die Gewerkschaften vollständig finanzieren (z.B. Jugendsommerparty<br />

für Berufsstarter). Ansonsten wer<strong>de</strong>n Infomaterialien gestellt. Die IG­Metall<br />

Wismar übernimmt die Kosten für Kopien, Telefonate und so weiter.<br />

Das „Come In“ist offen für Nichtmitglie<strong>de</strong>r und wird überwiegend von Jugendlichen<br />

genutzt, die in diesem Wohngebiet leben. Im Gespräch mit <strong>de</strong>n Jugendlichen<br />

wur<strong>de</strong>n zwei Nutzungsebenen <strong>de</strong>s „Come Ins“<strong>de</strong>utlich: einerseits die<br />

<strong>de</strong>r Nutzung <strong>de</strong>s „Come Ins“als Treffpunkt und an<strong>de</strong>rerseits die Nutzung als<br />

Rahmen zur Durchsetzung <strong>de</strong>r eigenen Interessen. Durch die unterschiedlichen<br />

Nutzungsebenen wur<strong>de</strong> eine Aufspaltung <strong>de</strong>r Jugendlichen in zwei Gruppen <strong>de</strong>utlich:<br />

„perspektivlose“Jugendliche 59 und „selbstbewusste Macher“ 60 .<br />

Die „perspektivlose“Jugendliche nutzen das „Come In“als Treffpunkt und Beratungszentrum.<br />

Sie leben in diesem Wohngebiet und sehen das „Come In“auch<br />

als „Zufluchtsstätte“vor ihrem Alltag. Sie sind nahezu täglich <strong>hier</strong> und übernehmen<br />

kleinere Aufgaben, wie zum Beispiel die Reinigung <strong>de</strong>r Räume. In <strong>de</strong>n Augen<br />

<strong>de</strong>s Projektleiters ist auch dies schon „ehrenamtlich“.<br />

58 Vgl. die Ausführungen zur „Jobpara<strong>de</strong>“unten.<br />

59 Die von mir so genannten „perspektivlosen“Jugendlichen sind vergleichbar mit <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>r<br />

Shell­Studie 2002 beschriebenen „zögerlichen Unauffälligen“.<br />

60 Angelehnt an die Shell­Studie 2002


­ 137 ­<br />

Cm:<br />

me:<br />

Dm:<br />

Cm:<br />

Dm:<br />

Y 1 :<br />

Da ist man nicht zu hause.<br />

@2@<br />

Na ja, Treffpunkt und das man nicht so immer so durch die Gegend dad<strong>de</strong>lt<br />

so aus Jux und ja Langeweile so.<br />

Also von die Straßen [.] sag ich ma so.<br />

Genau. Und zum Beispiel geht es dann auch so, manchmal so eingerichtet,<br />

dass man über Probleme re<strong>de</strong>n könnte, sei es um Schule, Beruf o<strong>de</strong>r<br />

Familie,<br />

⎣<br />

hmm<br />

⎦<br />

Dm: irgendwie das man einen Ansprechpartner sucht [so irgendwie]<br />

(2) und ja. Und wird auch manchmal so ein Block an­, also dass man ins<br />

Internet gehen kann und irgen<strong>de</strong>in Beruf suchen und so.<br />

Ansonsten nehmen sie verschie<strong>de</strong>ne „Wissensvermittlungsangebote“, wie Bewerbungstrainings,<br />

Umweltschutzvorträge usw. wahr. Die Seminare wer<strong>de</strong>n einerseits<br />

als interessant empfun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nnoch mit einer gewissen Resignation aufgenommen<br />

und die Sinnhaftigkeit in Frage gestellt. Aufgrund ihres Schulabschlusses<br />

(Hauptschulabschluss) haben sie in ihren Augen kaum eine Chance<br />

auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt. Versuche irgen<strong>de</strong>twas zu erreichen, sind stets gescheitert.<br />

Das „Come In“nimmt für sie in gewisser Weise eine „Strohhalmfunktion“ein: ihre<br />

Lage ist ihnen durchaus bewusst, alleine sehen sie jedoch keine Möglichkeit, aus<br />

ihrer Situation herauszukommen, mit Hilfestellung <strong>de</strong>r Mitarbeiter <strong>de</strong>s „Come Ins“<br />

und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Jugendlichen sehen sie zumin<strong>de</strong>st eine geringe Chance. Wenn<br />

ihnen etwas gesagt wird, machen sie auch etwas, eigene I<strong>de</strong>en haben sie nicht<br />

o<strong>de</strong>r haben nicht <strong>de</strong>n Mut diese umzusetzen.<br />

Für die so genannten „selbstbewussten Macher“steht die Nutzung <strong>de</strong>s<br />

„Come In“als Rahmen zur Durchsetzung <strong>de</strong>r eigenen Interessen im Zentrum. Sie<br />

sind jedoch lediglich daran interessiert, sich selbst mit Hilfe <strong>de</strong>s „Come Ins“auf<br />

<strong>de</strong>r jährlich stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n „Jobpara<strong>de</strong>“zu präsentieren.<br />

Fm: Ich kenn <strong>de</strong>n Club jetzt seit 1 ½ Jahren,<br />

⎣<br />

Y 1 : hmm<br />

Fm:<br />

⎦<br />

aber unterm an<strong>de</strong>rn Aspekt. Also<br />

wir haben damals probiert äh an <strong>de</strong>r Jobpara<strong>de</strong> teilzunehmen in Schwerin.<br />

⎣<br />

Y 1 : hmm<br />

⎦<br />

Fm: Und ham ne Auflage von <strong>de</strong>r Stadt bekommen uns nen Verein<br />

zu suchen dafür und haben <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>n Dau wat Verein jetzt [.] o<strong>de</strong>r das<br />

Come In, weil hmm das gehört zum Dau wat und <strong>de</strong>r Dau wat gehört äh<br />

zum DGB, soweit ich irgendwie weiß<br />

⎣<br />

Y 1 : hmm<br />


­ 138 ­<br />

Fm:<br />

Y 1 :<br />

und die DGB­Jugend veranstaltet<br />

die Jobpara<strong>de</strong>. Also so kann man schon mal nicht abgelehnt wer<strong>de</strong>n im<br />

En<strong>de</strong>ffekt,<br />

⎣<br />

Ja<br />

⎦<br />

Fm: von Anfang an mit teilzunehmen. Und na seit<strong>de</strong>m arbeiten<br />

wir in <strong>de</strong>m Punkt eigentlich zusammen, wenn wenn es um die Jobpara<strong>de</strong><br />

geht.<br />

Sie sind ehrgeizig, möchten viel erreichen. Ihr längerfristiges Ziel ist es, über ihr<br />

Engagement einen gewissen Status zu erlangen. Nützliche soziale Beziehungen<br />

sind in ihren Augen die notwendige Voraussetzung, um „nach oben“zu gelangen.<br />

Kontakte wer<strong>de</strong>n gepflegt, Benefizveranstaltungen von ihnen organisiert. Dennoch<br />

liegt das eigentliche Interesse in ihrem persönlichen Vorankommen. Über<br />

diese Aktionen haben sie in ihrer Region einen gewissen Bekanntheitsgrad als<br />

DJ’s und Veranstalter von Partys erlangt.<br />

4.2.3 Die „Jobpara<strong>de</strong>“<br />

Die „Jobpara<strong>de</strong>“wur<strong>de</strong> im Jahre 1997 von <strong>de</strong>r DGB­Jugend in Schwerin<br />

ins Leben gerufen 61 . Es han<strong>de</strong>lt sich <strong>hier</strong>bei um die bun<strong>de</strong>sweit größte Veranstaltung<br />

am 1. Mai. Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r Arbeitsmarktsituation (die Jugendarbeitslosigkeit<br />

in liegt Mecklenburg­Vorpommern zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Untersuchung<br />

bei 20%) sollte eine Veranstaltung geboten wer<strong>de</strong>n, die unter <strong>de</strong>m Motto „Youth<br />

can’t wait“auf die Situation von Jugendlichen aufmerksam macht. Arbeitsmarktpolitische<br />

For<strong>de</strong>rungen stehen im Zentrum <strong>de</strong>r Veranstaltung. Diese sollten mit<br />

Spaß verbun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Daher nahm man sich ein Beispiel an <strong>de</strong>r jährlich in<br />

Berlin stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n „Lovepara<strong>de</strong>“und wählte <strong>de</strong>n daran angelehnten Namen für<br />

die Veranstaltung.<br />

Die „Jobpara<strong>de</strong>“wird von Ehrenamtlichen getragen und veranstaltet. Der<br />

Lan<strong>de</strong>sjugendausschuss in Mecklenburg­Vorpommern entschei<strong>de</strong>t, ob die „Jobpara<strong>de</strong>“stattfin<strong>de</strong>t<br />

und gestaltet diese auch in seiner Verantwortung. Im Zusammenhang<br />

mit <strong>de</strong>r „Jobpara<strong>de</strong>“ist ein starkes Engagement <strong>de</strong>r Jugendlichen zu<br />

verzeichnen. 200 bis 300 Ehrenamtliche aus <strong>de</strong>n Einzelgewerkschaften arbeiten<br />

in <strong>de</strong>r Vorbereitungsphase mit. Die DGB­Jugendreferentin sieht die projektbezogene<br />

Arbeit im Rahmen <strong>de</strong>r „Jobpara<strong>de</strong>“als Beispiel für neue Ehrenamtlichkeit.<br />

Man macht nicht nur pro forma Gremienarbeit, son<strong>de</strong>rn verbin<strong>de</strong>t die Gremienarbeit<br />

mit einem Ziel:<br />

„Also, und halt auch vielleicht ein halbes Jahr Gremienarbeit in sozusagen<br />

in Kauf nimmt, um dann die Jobpara<strong>de</strong> gestalten zu können. Wir haben da auch<br />

immer noch eine extra AG, die AG Jobpara<strong>de</strong>­“ 62 .<br />

Die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Jugendlichen in Bezug auf die „Jobpara<strong>de</strong>“ist unterschiedlich.<br />

Für einen Teil steht nur <strong>de</strong>r Spaß im Vor<strong>de</strong>rgrund:<br />

61 In <strong>de</strong>n Jahren 2001 und 2002 wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r DGB­Jugend NRW in Dortmund ebenfalls eine<br />

„Jobpara<strong>de</strong>“auf Grundlage <strong>de</strong>r Schweriner I<strong>de</strong>e durchgeführt. Allerdings fand diese Veranstaltung<br />

in einem kleineren Rahmen statt.<br />

62 Experteninterview DGB­Jugendbildungsreferentin am 22.11.2001 in Schwerin


­ 139 ­<br />

„Ach so, na ja ich glaub, keiner fährt von <strong>de</strong>nen hin zur Jobpara<strong>de</strong> nach<br />

Schwerin und sagt, oh ich <strong>de</strong>monstrier jetzt <strong>hier</strong> für mehr Ausbildungsplätze. Auf<br />

keinen Fall, wir sehen in erster Linie nur diese Party. Da geht es um dieses Feiern<br />

und um die Musik hören und einfach nur Spaß zu haben. Wenn, wenn wir haben<br />

da auch Interviews geführt für [Input­Radio] und und die meisten die da gesagt<br />

haben, sind eben da gewesen ganz einfach um Spaß zu haben, um zu feiern.<br />

Und und dann kam irgendwann mal, so ganz kurz mal erwähnt, ja und halt weil<br />

viele Leute <strong>hier</strong> auf Jobsuche sind und sich halt son bisschen damit äh ja, was<br />

haben die gesagt, dass sie ein bisschen lautstark mit dagegen angehen o<strong>de</strong>r dafür<br />

<strong>de</strong>monstrieren können, aufmerksam machen ganz einfach. Aber in erster Linie<br />

ist es nur die Party.“ 63<br />

Dem Großteil <strong>de</strong>r Jugendlichen, vor allem <strong>de</strong>njenigen die ehrenamtlich im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r „Jobpara<strong>de</strong>“tätig sind, ist die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Veranstaltung bewusst.<br />

Ihr Engagement beruht auf <strong>de</strong>m Grundsatz, etwas bewegen zu wollen und mit<br />

Hilfe dieser Veranstaltung auch bewegen zu können. „Die Jugendlichen fahren<br />

nicht nur dahin um ihren Spaß zu haben. Diesbezüglich wird die Jugend oft unterschätzt.<br />

Sie wissen, dass da etwas hinter steht was einen größeren Wert hat.“ 64<br />

4.2.4 Experteninterviews Fallstudie „Küste“– Engagement aus Sicht <strong>de</strong>r Expert/inn/en<br />

Aus Sicht <strong>de</strong>r Expert/inn/en wird von einer mangeln<strong>de</strong>n Engagementbereitschaft<br />

Jugendlicher gesprochen. Diese wird von ihnen jedoch nicht generell beschrieben,<br />

son<strong>de</strong>rn ist im En<strong>de</strong>ffekt auf klassische Engagementformen bezogen<br />

zu sehen. Hierfür wer<strong>de</strong>n unterschiedliche Ursachen aufgeführt. Der Projektleiter<br />

eines gewerkschaftsnahen Projektes in Rostock spricht von einer generellen Entpolitisierung<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft, weshalb die eigenen Angebote in einer „Freizeit­<br />

Spaß­Gesellschaft“nicht attraktiv genug seien. Weiterhin glaubt er, dass die wenigsten<br />

Jugendlichen um Möglichkeiten etwas zu tun wissen, und dass eine gewisse<br />

Resignation überhaupt was verän<strong>de</strong>rn zu wollen besteht. Seiner Meinung<br />

nach treffe es <strong>de</strong>r Begriff Ehrenamt nicht mehr, zumin<strong>de</strong>st nicht im Allgemeinen.<br />

Sicherlich gebe es Leute, die Lust haben etwas zu machen, etwas zu geben und<br />

dann bekommen sie auch etwas zurück. Doch hinter <strong>de</strong>n Teilbegriffen „Ehre“und<br />

„Amt“stecke mehr. Jeman<strong>de</strong>n zu begleiten sei die eine Sache. „Amt“be<strong>de</strong>utet<br />

jedoch auch Entscheidungen zu treffen, Kompetenzen zu bekommen o<strong>de</strong>r eine<br />

kostenlose Ausbildung zu erhalten. Heute habe es nichts mehr damit zu tun „ein<br />

Amt zu beklei<strong>de</strong>n“(außer z. B. in <strong>de</strong>r Funktion eines Vereinsvorstands). 65<br />

Nach Angaben <strong>de</strong>r DGB­Jugendreferentin ist es schwieriger gewor<strong>de</strong>n,<br />

verlässliche und gute Leute für Gremienarbeit zu fin<strong>de</strong>n, als Leute zu fin<strong>de</strong>n, die<br />

sich in Projekten engagieren. Gremienarbeit wird als „trocken“angesehen. Das<br />

einmal im Monat stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Treffen wird als etwas zwangsweise verpflichten<strong>de</strong>s<br />

gesehen. Die Anfahrtswege sind in Mecklenburg­Vorpommern meist sehr<br />

weit, so dass es in ihren Augen verwun<strong>de</strong>rlich ist, dass überhaupt welche kommen.<br />

Gremienarbeit ist meistens auch ein abstraktes Arbeiten und das macht „eben<br />

nicht so`n Spaß“. Als ein politischer Jugendverband haben sie jedoch einen<br />

63 Fm in GD „Come In“am 24.05.2002 in Wismar<br />

64 Experteninterview Projektleiter „Come In“24.04.2002<br />

65 vgl. Experteninterview Projektleiter „Lunte“e.V. 18.04.2002


­ 140 ­<br />

Stamm von Leuten, die politisch aktiv sein wollen. Diese Ehrenamtlichen sind<br />

kontinuierlich aktiv. Neu sind die „atypischen Jugendlichen und Ehrenamtlichen“,<br />

die projektbezogen dazukommen. Diese sind nur an einem bestimmten Projekt,<br />

wie z.B. Strandgut o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Jobpara<strong>de</strong> interessiert. Diese Jugendlichen haben auf<br />

die Gremienarbeit meisten keine Lust, arbeiten aber kontinuierlich an <strong>de</strong>n Projekten<br />

mit. Diese Projektarbeit ist auch für die Befragte eine neue Form <strong>de</strong>r Arbeit,<br />

und sie musste selbst lernen, dass Jugendarbeit nicht nur Gremienarbeit sein<br />

muss. Die Jugendlichen, die sich projektbezogen engagieren, sind häufig auch für<br />

verschie<strong>de</strong>ne Organisationen innerhalb <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>sjugendverbands tätig. Sie holen<br />

„sich das, was sie wollen.“Eine Abgrenzung zwischen <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

Verbän<strong>de</strong>n ist nicht för<strong>de</strong>rlich, am Beispiel von Strandgut kann man sehen, dass<br />

die Zusammenarbeit eher bereichernd ist. Das Wort „ehrenamtlich“habe ihrer<br />

Meinung nach „was verstaubtes an sich“. Die heutigen Ehrenamtlichen seien eher<br />

„so coole Typen“, die sich zeigen wollen, sich präsentieren wollen. In <strong>de</strong>r Gremienarbeit<br />

seien meistens die „trockneren Typen“zu fin<strong>de</strong>n. Sich nach außen hin<br />

zu zeigen, sei <strong>de</strong>n Jugendlichen wichtig. Sie wollen sich selbst und auch eine Sache<br />

präsentieren.<br />

Das „neue Ehrenamt“ist das projektbezogene Engagement: zeitlich begrenzt<br />

engagiert man sich für ein bestimmtes Problem o<strong>de</strong>r Anliegen. I<strong>de</strong>en und<br />

Aktionen müssen von <strong>de</strong>n Jugendlichen kommen. Man ist bemüht, die I<strong>de</strong>en aufzunehmen<br />

und umzusetzen in Form eines Dienstleisters für die Ehrenamtlichen. 66<br />

4.2.5 Zusammenfassung Fallstudie „Küste“<br />

Im Zentrum <strong>de</strong>s Engagements <strong>de</strong>r beobachteten Jugendlichen stand kein<br />

gewerkschaftspolitisches, son<strong>de</strong>rn ein soziales Interesse. Verbän<strong>de</strong> nehmen eine<br />

Rolle als Rahmen ein, <strong>de</strong>r die Bedingungen bereitstellt, sich <strong>de</strong>n eigenen Bedürfnissen<br />

entsprechend zu engagieren. Die im Projekt „StrandGut“engagierten Jugendlichen<br />

sind im Rahmen mehrerer Verbän<strong>de</strong> projektbezogen tätig. Wenn ein<br />

Verband ihren Interessen nicht mehr nachkommen kann, gehen sie zu einem an<strong>de</strong>ren.<br />

Sie nehmen sich aus <strong>de</strong>n jeweiligen Verbän<strong>de</strong>n das was sie brauchen, um<br />

ihre Interessen zu verfolgen und ihre Ziele zu erreichen. Auch die Gewerkschaft<br />

ist für die Jugendlichen als Rahmen, in <strong>de</strong>m sie sich selbst verwirklichen und ausprobieren<br />

können, durchaus attraktiv. Eine klare Zielformulierung – wie beispielsweise<br />

bei <strong>de</strong>r „Jobpara<strong>de</strong>“– hat eine große Engagementbereitschaft <strong>de</strong>r Jugendlichen<br />

zur Folge. Das Engagement in solchen Projekten erfolgt dann auch kontinuierlich.<br />

In diesem Zusammenhang wird auch die sonst als trocken und langweilig<br />

empfun<strong>de</strong>ne Gremienarbeit in Kauf genommen.<br />

Ein grundlegen<strong>de</strong>s Problem scheint jedoch <strong>de</strong>r Zugang zum Wissen zu<br />

sein, welche Möglichkeiten es gibt, sich engagieren zu können. Dem möchten die<br />

in „StrandGut“engagierten Jugendlichen durch die Repräsentation <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Jugendverbän<strong>de</strong> entgegenwirken. An<strong>de</strong>rs als von <strong>de</strong>r DGB­Jugendreferentin beschrieben<br />

geht es ihnen nicht um die Rekrutierung neuer Mitglie<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn um<br />

die Eröffnung von Möglichkeiten für Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche, die um diese nicht<br />

wissen, um somit eine nachhaltige Wirkung ihrer Arbeit zu erzielen.<br />

Die Wohngebietsarbeit im Rahmen <strong>de</strong>s „Come Ins“stellt dagegen eine Auffangmöglichkeit<br />

für „perspektivlose“Jugendliche dar. Um <strong>de</strong>r Resignation dieser<br />

66 Experteninterview DGB­Jugendbildungsreferentin am 22.11.2001 in Schwerin


­ 141 ­<br />

Jugendlichen entgegenzuwirken, müssen auch <strong>hier</strong> Möglichkeiten <strong>de</strong>utlicher aufgezeigt<br />

wer<strong>de</strong>n, „dass man etwas tun kann“, und dass man dabei Spaß empfin<strong>de</strong>n<br />

kann. Während die engagierten Jugendlichen <strong>de</strong>s Projekts Strandgut aktiv<br />

ihre Bedürfnisse ausdrücken und ihre Interessen verfolgen, müssen diese Jugendlichen<br />

aufgesucht und interessiert wer<strong>de</strong>n, damit ein freiwilliges Engagement<br />

als Alternative zum „Rumhängen“überhaupt ins Blickfeld gerät.<br />

4.3 Die Fallstudie Stuttgart 67<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r Fallstudie „Stuttgart“wur<strong>de</strong>n zum Schwerpunkt Jugendliche eine<br />

Gruppendiskussion 68 und zwei Experteninterviews durchgeführt.<br />

4.3.1 Das Projekt „Arbeitsweltradio“<br />

Das „Arbeitsweltradio“ist ein Projekt <strong>de</strong>r DGB­Jugend Stuttgart. Die in diesem<br />

Projekt engagierten Jugendlichen gestalten im Rahmen <strong>de</strong>s FRS eigenverantwortlich<br />

eine 60­minütige Sendung mit Beiträgen, Berichten und O­Tönen aus<br />

<strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Arbeit auf. Berichte über Tarifverhandlungen und aus <strong>de</strong>n Gewerkschaften<br />

sind keine Seltenheit. Das Freie Radio für Stuttgart (FRS) ist ein selbstbestimmtes<br />

und unabhängiges Radioprojekt. Es verfolgt keine eigenwirtschaftlichen<br />

Zwecke, son<strong>de</strong>rn versteht sich als gemeinnützige Einrichtung.<br />

Hauptbeweggrün<strong>de</strong> für das Engagement dieser Jugendlichen sind politische<br />

bzw. gewerkschaftliche Interessen. Sie engagieren sich, um etwas zu verän<strong>de</strong>rn.<br />

Beispielsweise wird auf Demonstrationen auf Probleme in <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

aufmerksam gemacht. Sie engagieren sich mit <strong>de</strong>m Ehrgeiz, für diese Demonstrationen<br />

möglichst viele Jugendliche „zusammenzubekommen“und dann<br />

auch etwas zu bewegen. In einer Gruppe ist dies am ehesten möglich:<br />

„Und ich mach das auch ziemlich, ziemlich <strong>de</strong>swegen, weil ich was verän<strong>de</strong>rn<br />

will, ja und ich sehe äh, ähm, ich, ich als Einzelperson kann nichts verän<strong>de</strong>rn<br />

aber wenn ich dann in eine Gruppe komme, dann kann ich sicher mehr verän<strong>de</strong>rn.<br />

Also gemeinsam sind wir stark, so nach <strong>de</strong>m Motto.“(Am in GD „Arbeitsweltradio“am<br />

15.10.2002 in Stuttgart)<br />

Im Zentrum steht die Gemeinschaft: einerseits als Möglichkeit, Dinge zu<br />

bewegen und an<strong>de</strong>rerseits als Gegenpol zum allgemeinen Egoismus in <strong>de</strong>r Gesellschaft:<br />

„… je<strong>de</strong>r bäckt sein eigenes Brötchen und äh es interessiert nicht, was<br />

mein Nachbar macht. So nach diesem Motto, ja. Und ähm es, es ist, es ist halt<br />

<strong>de</strong>r Egoismus steigt an in Deutschland und das ist halt spürbar“. (Am) Man ist<br />

nicht am Nächsten interessiert, es herrscht eine mangeln<strong>de</strong> Solidarität. Für die<br />

untersuchten Jugendlichen ist <strong>de</strong>r soziale Zusammenhalt gera<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>n Jugendlichen<br />

in West<strong>de</strong>utschland nicht mehr so ausgeprägt, was in ihren Augen im<br />

Osten nicht <strong>de</strong>r Fall ist, da dies durch <strong>de</strong>n Kommunismus geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>:<br />

„Na ich [.] hmm, was heißt Gremienarbeit? Es ist irgendwie so ne Art Verein o<strong>de</strong>r<br />

irgendwie, was man vielleicht früher sich irgendwie im Jugendhaus getroffen hat<br />

o<strong>de</strong>r so, ist es vielleicht eher irgend so was. Ähm, wir machen auch irgendwie oft<br />

67 Für eine vollständige Übersicht über die Fallstudie Stuttgart vgl. Kap. 36.<br />

68 Methodisch gesehen han<strong>de</strong>lt es sich nicht um eine Gruppendiskussion, da an <strong>de</strong>m Gespräch<br />

lediglich zwei Jugendliche teilnahmen. Daher beschränke ich mich lediglich auf eine inhaltliche<br />

Auswertung <strong>de</strong>s Materials.


­ 142 ­<br />

Fe­ Feste o<strong>de</strong>r so, gehen am Weihnachten essen, im Sommer zusammen. Das<br />

es irgendwie auch ne Gemeinschaft ist. Ich glaub irgendwie ist das in letzter Zeit<br />

irgendwie auseinan<strong>de</strong>rgedriftet, gera<strong>de</strong> in West<strong>de</strong>utschland, mit <strong>de</strong>m ganzen<br />

ähm, mit <strong>de</strong>m Zusammen­, Zusammenhalt von Jugendlichen. Das ist vielleicht im<br />

Osten noch etwas eher ausgeprägt, weil das grad vom Kommunismus irgendwie<br />

geför<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n ist. Aber ist jetzt egal. Auf je<strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>nk ich halt irgendwie,<br />

man ist sich irgendwie näher, von Gleichgesinnten, mehreren Leuten und kann<br />

irgendwelche Themen besprechen, wo mich interessieren und wo man dann irgendwie<br />

verwirklichen kann, ja.“ (Bm)<br />

Durch ihr politisches bzw. gewerkschaftliches Interesse profilieren sich gegenüber<br />

Jugendlichen, die an<strong>de</strong>re Interessen haben und sich <strong>de</strong>mentsprechend<br />

auch in diesen Bereichen engagieren. Eine starke Abgrenzung erfolgt allerdings<br />

zu <strong>de</strong>n „an<strong>de</strong>ren“, nichtengagierten Jugendlichen. Die von ihnen so genannte<br />

„Fungeneration“zeichne sich durch Desinteresse („… ich leb halt so in <strong>de</strong>n Tag<br />

hinein, nach mir die Sintflut… “ (Bm) und Desillusioniertheit („… man kann eh<br />

nichts verän<strong>de</strong>rn, es bleibt eh alles so… “(Bm) aus. Ihnen fehlt <strong>de</strong>r Gruppensinn,<br />

sie sind eher allein zuhause vor <strong>de</strong>m Fernseher o<strong>de</strong>r Computer und kümmern<br />

sich nicht mehr darum „was so abgeht in <strong>de</strong>r Welt“(Bm). Als Gegenposition zu<br />

<strong>de</strong>n gegenwärtigen „Wohlstandskin<strong>de</strong>rn“beziehen sich die Jugendlichen auf die<br />

68er, welche sie als politisch aktive Jugend beschreiben, die etwas bewegt hat. In<br />

ähnlicher Weise wollen die Befragten – im Gegensatz zum Desinteresse <strong>de</strong>r „an<strong>de</strong>ren“<br />

Jugendlichen – etwas an<strong>de</strong>res machen und die Möglichkeit erfahren,<br />

selbst wirksam sein zu können. Auf Demonstrationen trafen sie auf „coole Leute“,<br />

die gleiche Interessen verfolgen. Sie folgten diesem Beispiel und sind auf diesem<br />

Weg in das gewerkschaftliche Engagement „hineingeschlittert“.<br />

Gewerkschaft als politische Heimat<br />

Die Gewerkschaft nimmt in diesem Fall die Rolle einer politischen Heimat<br />

ein. Ba<strong>de</strong>n­Württemberg ist ein „schwarzes Land“(Am) und in <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

tritt man auf politisch Gleichgesinnte. Die Jugendlichen beschreiben sich selbst<br />

als „eher links eingestellt“(Bm). Als eventuelles Motiv, sich gera<strong>de</strong> innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft politisch zu engagieren wird die Herkunft aus <strong>de</strong>m Arbeitermilieu<br />

genannt: „Vielleicht weil ich auch noch Proletarier bin und ... mich ein bisschen<br />

für die Rechte <strong>de</strong>r Arbeitnehmer einsetzen will. Das kann natürlich auch sein.“<br />

(Bm). Allerdings stellt dies kein „richtiges“Motiv dar – im Gegensatz zum Typus<br />

<strong>de</strong>s „geborenen Gewerkschafters“alter Schule, für <strong>de</strong>n die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft selbstverständlich zum Milieuzusammenhang gehörte, führt <strong>hier</strong><br />

kein direkter Weg von <strong>de</strong>r sozialen Herkunft in die Organisation. Die Gewerkschaft<br />

ist eine Option neben an<strong>de</strong>ren, und die Entscheidung für die Mitwirkung in<br />

ihr unterliegt <strong>de</strong>n Kontingenzen <strong>de</strong>r alltäglichen Lebensrealität. Wäre <strong>de</strong>r interviewte<br />

Jugendliche auf jemand an<strong>de</strong>ren getroffen, hätte er sich möglicherweise<br />

für eine an<strong>de</strong>re Organisation entschie<strong>de</strong>n.<br />

Gegenüber Parteipolitikern haben die Jugendlichen ein großes Misstrauen,<br />

und auch ein Grundvertrauen in die Politik ist nicht vorhan<strong>de</strong>n. Die Gewerkschaft<br />

muss sich ihres Erachtens von Politikern abgrenzen:<br />

„Ähm, für mich wären die Grün<strong>de</strong>, wenn ich merk, dass irgendwie die Gewerkschaft<br />

ähm ein korrupter La<strong>de</strong>n ist, wie die Politiker. Das kann man natürlich<br />

nicht alles verallgemeinern aber ähm es sind im Großen und Ganzen viele Politi­


­ 143 ­<br />

ker gleich. Und wenn ich das irgendwie merk, dass dieser ähm Touch von <strong>de</strong>r<br />

Politik auch ziemlich stark auf die äh Gewerkschaft äh übergreift, was wahrscheinlich<br />

jetzt auch schon in gewissem Sinne so ist, man kann nicht alles um­,<br />

umsetzen, was man sich wünscht als Gewerkschaftler, weil ja immer noch äh<br />

Deutschland ne Wirtschafts­, äh ein Wirtschaftsland ist, und wenn ich irgendwie<br />

merk, dass wie gesagt das ein korrupter Haufen ist und eigentlich die nur eigene<br />

Interessen irgendwie nachgehen, gera<strong>de</strong> die Hauptamtlichen, und nicht irgendwie<br />

auf dieses kleine Volk auch schauen, dann muss ich sagen, dass ich<br />

dann eher zu ´ner kleineren Organisation gehen würd,… “(Bm)<br />

Hier kommt ein politisches Motiv zur Sprache, das dafür verantwortlich ist,<br />

die Gewerkschaft als Ort <strong>de</strong>s Engagements zu wählen. Dieses Motiv wird mit moralischen<br />

Maßstäben bewertet, welche sich aus <strong>de</strong>r Abgrenzung zur „großen Politik“ergeben.<br />

Wenn die Gewerkschaft <strong>de</strong>n Rahmen als politische Heimat in diesem<br />

Sinne nicht mehr bieten kann, stellt dies eine Legitimation zur Beendigung<br />

<strong>de</strong>s Engagements und auch <strong>de</strong>s Austritts dar – bzw. <strong>de</strong>s Wechsels zu einer „kleineren<br />

Organisation“, die direktere Mitwirkungs­ und Kontrollmöglichkeiten bietet.<br />

Gewerkschaft als Karrieremöglichkeit<br />

Die Gewerkschaft wird nicht nur politische Heimat o<strong>de</strong>r Milieu thematisch,<br />

sie stellt auch eine Institution (und nicht nur einen Interessenverband) dar, um<br />

Karriere machen zu können. Die Jugendlichen sind interessiert, hauptamtlich in<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaft tätig zu wer<strong>de</strong>n und sehen ihre ehrenamtliche Tätigkeit als<br />

Sprungbrett:<br />

„Ähm, ok, ich muss jetzt ehrlich sagen, ich kuck vielleicht, ich schiel vielleicht<br />

auch mit einem Auge ein bissel auf was ähm hauptamtliches, wo man dann<br />

vielleicht auch Bez­ ne Bezahlung bekommt. Weil es würd mir auch Spaß machen,<br />

mehr auf je<strong>de</strong>n Fall wie irgendwie am Band zu stehen und das Geld zu verdienen.<br />

Da krieg ich vielleicht weniger, wenn ich für irgend ne Gewerkschaft arbeite<br />

aber es gibt mir auf je<strong>de</strong>n Fall mehr, weil ich <strong>de</strong>nke, ich hab was bewegt, wie<br />

jetzt nur <strong>de</strong>n rechten Hinterreifen montiert.“(Bm)<br />

Die hauptamtliche Tätigkeit ist eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und Mitgestaltung.<br />

Zu<strong>de</strong>m wird dies auch als Aufstieg in einer Hierarchie „unbezahlt ­<br />

bezahlt“gesehen. Durch die Rolle <strong>de</strong>r Gewerkschaft als Karriereinstitution besteht<br />

nunmehr auch keine Bindungspflicht mehr:<br />

„… also ich bin kein eingefleischter Gewerkschaftler. Wenn ich seh, dass<br />

<strong>de</strong>s nicht bringt bin ich auch wahrscheinlich wie<strong>de</strong>r schnell weg, ja.“(Bm) Wenn<br />

Aufstiegsmöglichkeiten nicht mehr gegeben sind, tritt man aus <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

aus und versucht es dann in an<strong>de</strong>ren Organisationen.<br />

4.3.2 Experteninterviews Fallstudie „Stuttgart“­ Engagement aus Sicht <strong>de</strong>r Expert/inn/en<br />

Ehrenamtliches Engagement liegt für <strong>de</strong>n DGB­Jugendreferenten dann vor,<br />

wenn sich Menschen in einer irgendwie gearteten Gemeinschaft selber freiwillig,<br />

unentgeltlich o<strong>de</strong>r für eine Aufwandsentschädigung ein gemeinsames Ziel verfolgen<br />

und das auch gemeinsam umsetzen ­ sei es, dass sie Jugendfreizeiten gestalten<br />

o<strong>de</strong>r politische Aktionen vorbereiten.


­ 144 ­<br />

Jugendliche für verbandliche Belange dauerhaft zu gewinnen, stellt dagegen eine<br />

Schwierigkeit dar. Viele Jugendlich möchten zeitlich begrenzt an einer konkret<br />

abgesteckten Sache arbeiten. In <strong>de</strong>r DGB­Jugendarbeit versucht man <strong>de</strong>shalb,<br />

Jugendliche durch projektbezogene Arbeit zu gewinnen. Dieses projektbezogene<br />

Engagement <strong>de</strong>finiert <strong>de</strong>r DGB­Jugendreferent als neue Form <strong>de</strong>s Engagements.<br />

Eine weitere Neuheit ist für ihn <strong>de</strong>r Anspruch auf Professionalität seitens <strong>de</strong>rjenigen,<br />

die sich engagieren wollen. Die Ehrenamtlichen messen ihre Arbeit immer<br />

häufiger an <strong>de</strong>m was Profis machen, die in vergleichbaren Bereichen tätig sind.<br />

Die Motive sich zu engagieren, liegen in seinen Augen bei <strong>de</strong>n Jugendlichen<br />

im Bedürfnis, in einer Gemeinschaft etwas zu tun, das über reinen Konsum<br />

hinausgeht. Zusätzlich müsse auch die Möglichkeit geboten wer<strong>de</strong>n, selbst etwas<br />

gestalten zu können, eigene Ziele entwickeln und diese auch umsetzen zu können.<br />

Die Beson<strong>de</strong>rheit am ehrenamtlichen Engagement Jugendlicher sei es, dass<br />

die Jugendlichen sehr große Freiheiten hätten und letzten En<strong>de</strong>s in jungen Jahren<br />

bereits Dinge machen und ausprobieren könne, zu <strong>de</strong>nen man „im normalen Leben“wahrscheinlich<br />

noch mal weitere 30 Jahre bräuchte.<br />

Seine Aufgabe als Hauptamtlicher sieht er darin, dass er Ehrenamtlichen<br />

hilft, ihre selbst bestimmten und entwickelten Aktivitäten umzusetzen. Den Ehrenamtlichen<br />

einseitig Aktivitäten vorzuschlagen o<strong>de</strong>r gar stellvertretend auszuführen<br />

und zu kontrollieren, könne nur ein „Notfallplan“sein. Die größte Anerkennung <strong>de</strong>r<br />

Engagierten bestün<strong>de</strong> für ihn darin, das Ehrenamt auch seitens <strong>de</strong>r Organisation<br />

ernst zu nehmen. Vor allen Dingen sollte nicht versucht wer<strong>de</strong>n Ehrenamt zu instrumentalisieren.<br />

Als Beispiel <strong>hier</strong>für führt er die aktuelle Lan<strong>de</strong>spolitik an: in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg<br />

sollen flächen<strong>de</strong>ckend Ganztagsschulen eingerichtet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Lan<strong>de</strong>sregierung versucht nun, Kooperationen mit Jugendverbän<strong>de</strong>n einzugehen,<br />

die dann verlässlich große Teile <strong>de</strong>s Nachmittagsangebotes in <strong>de</strong>r Ganztagsschule<br />

übernehmen sollen. Er meint, dass dies eine Überfor<strong>de</strong>rung und letzten<br />

En<strong>de</strong>s sogar ein Missbrauch <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen sei. Diese Instrumentalisierung<br />

von Ehrenamt wi<strong>de</strong>rspricht seinem eigenen Ehrenamtsverständnis. Für ihn<br />

ist es wichtig, die Unabhängigkeit zu haben, mit einer Gruppe Ziele selbst<br />

bestimmen und diese auch selbst umsetzen zu können. 69<br />

ver.di­Jugend Stuttgart<br />

„Jugendarbeit versteht sich als Interessenvertretung, die gemeinsam mit<br />

Jugendlichen und jungen Erwachsenen in allen gesellschaftlichen Bereichen soziale,<br />

politische und berufliche Perspektiven eröffnet und Angebote für <strong>de</strong>ren Umsetzung<br />

macht. Durch ein vielfältiges Angebot soll <strong>de</strong>r Entwicklungsprozess von<br />

jungen Menschen unterstützt wer<strong>de</strong>n. Um dabei <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Interessen <strong>de</strong>r<br />

jugendlichen Mitglie<strong>de</strong>r gerecht wer<strong>de</strong>n zu können, müssen diese die Möglichkeit<br />

zur Willensbildung in eigenen Gremien haben. Die Gremien <strong>de</strong>r jugendlichen Mitglie<strong>de</strong>r<br />

müssen ihre Auffassung in die Organe <strong>de</strong>r ver.di einbringen können, und<br />

die Organe <strong>de</strong>r ver.di müssen <strong>de</strong>n Gremien <strong>de</strong>r jugendlichen Mitglie<strong>de</strong>r für die<br />

Durchführung ihrer Aufgaben die erfor<strong>de</strong>rliche Unterstützung gewähren. Dadurch<br />

folgt die Notwendigkeit zu enger Zusammenarbeit zwischen <strong>de</strong>n Gremien <strong>de</strong>r ju­<br />

69 Experteninterview DGB­Jugendbildungsreferent Stuttgart 15.10.02


­ 145 ­<br />

gendlichen Mitglie<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>n Organen sowie <strong>de</strong>n Funktionsträger/innen <strong>de</strong>r<br />

ver.di.“ 70<br />

In Stuttgart arbeiten die ehrenamtlichen Jugendlichen bei ver.di in festen<br />

Gremien mit. Es gibt einen Bezirksjugendvorstand. In diesem Gremium wer<strong>de</strong>n<br />

z.B. Entscheidungen getroffen, mit wem die Jugendlichen zusammenarbeiten wollen.<br />

Diese Zusammenarbeit mit an<strong>de</strong>ren Organisationen ist noch in <strong>de</strong>r Aufbauphase.<br />

Aus <strong>de</strong>m Gremium heraus wer<strong>de</strong>n Arbeitsgruppen gebil<strong>de</strong>t, die sich mit<br />

verschie<strong>de</strong>nen Themenbereichen befassen. Nicht je<strong>de</strong>r Jugendliche interessiert<br />

sich für alles, und <strong>de</strong>shalb soll ihnen die Möglichkeit gegeben wer<strong>de</strong>n, sich entsprechend<br />

ihrer Neigungen und Interessen zu engagieren. Hierbei fühlt sich die<br />

Jugendsekretärin sieht sich als „ausführen<strong>de</strong> Hand“ 71 . Nicht sie macht Vorschläge,<br />

„son<strong>de</strong>rn die Jugendlichen sagen was sie wollen und sie versuchen es durchzuführen“.<br />

Wenn die Jugendlichen die Möglichkeit haben „selbst entschei<strong>de</strong>n zu<br />

können, was sie machen wollen, bleiben sie auch länger dabei“.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>s Zusammenschlusses <strong>de</strong>r Einzelgewerkschaften zu ver.di gibt<br />

es nicht nur einen „Typ Jugendlicher“<strong>de</strong>r sich engagiert. „Mittlerweile ist es kunterbunt.<br />

Es gibt <strong>de</strong>n Jugendlichen, <strong>de</strong>r nur politisch interessiert ist, das „typische<br />

Mä<strong>de</strong>l“, diejenigen, die sich nur für Bildungsarbeit interessieren“. Die Jugendlichen<br />

sind alle „total verschie<strong>de</strong>n, das macht aber <strong>de</strong>n Bezirksjugendvorstand interessant.<br />

Wenn man genügend unterschiedliche Menschen hat die zusammen arbeiten,<br />

kann man nur erfolgreich sein. Wenn alle gleich sind, geht man immer nur<br />

in eine Richtung“. Nach Meinung <strong>de</strong>r Jugendsekretärin spricht man so „mehr Leute“an.<br />

Auch bei ver.di soll die Ehrenamtlichkeit programmatisch geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

Hierzu gehört auch die Weiterbildung <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen. Die Jugendlichen haben<br />

die Möglichkeit, an Seminaren teilzunehmen. Wenn Potentiale bei <strong>de</strong>n Jugendlichen<br />

erkannt wer<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n diese dann auf weiterführen<strong>de</strong>n Veranstaltungen<br />

geför<strong>de</strong>rt. Sie selbst hat es auch so erlebt, als sie selbst noch ehrenamtliche<br />

Mitarbeiterin war. Diese Seminare hat sie als wichtig für ihre persönliche Entwicklung<br />

empfun<strong>de</strong>n.<br />

Um die Arbeit <strong>de</strong>r Jugendlichen anzuerkennen, wer<strong>de</strong>n nach Abschluss eines<br />

Projektes beispielsweise kleinere Partys veranstaltet. Es ist auch wichtig „so<br />

<strong>de</strong>n Kontakt zu pflegen“, zu zeigen, dass man „nicht nur an ihrer Arbeitskraft“interessiert<br />

ist, son<strong>de</strong>rn auch „so an <strong>de</strong>m Menschen“. So kann ein Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

und auch eine Art Freundschaft entstehen.<br />

Den Ehrenamtlichen soll eine reale Verantwortlichkeit eingeräumt und somit<br />

die eigene Kompetenz <strong>de</strong>utlich gemacht wer<strong>de</strong>n. Sie sollen Dinge selbst gestalten<br />

können, „<strong>de</strong>nn wenn sie etwas machen und das auch gelingt, so ist dieses<br />

Erfolgserlebnis Motivation mehr zu machen“. Man muss ihnen aber auch <strong>de</strong>shalb<br />

Verantwortung überlassen, weil sie dann das Gefühl vermittelt bekommen, gebraucht<br />

zu wer<strong>de</strong>n und dadurch das Zugehörigkeitsgefühl zur Gewerkschaft dauerhaft<br />

gestärkt wird. Für die Zusammenarbeit zwischen Ehrenamtlichen und<br />

Hauptamtlichen sieht die Interviewte gar die Notwendigkeit einer Kompetenzumkehr.<br />

Die Hauptamtlichen sind gegenüber <strong>de</strong>n Ehrenamtlichen „dazu da, das auszuführen,<br />

was ihnen gesagt wird, sie zu unterstützen und Hilfe anzubieten“. Die<br />

70 vgl. Richtlinien zur Jugendpolitik. Aus Richtlinienband ver.di. S. 25<br />

71 Experteninterview ver.di­Jugendsekretärin, Stuttgart 18.10.02


­ 146 ­<br />

Hauptverantwortung liegt sicherlich bei <strong>de</strong>n Hauptamtlichen, „<strong>de</strong>nnoch entschei<strong>de</strong>n<br />

die Ehrenamtlichen selbst, was sie tun wollen und tragen auch die Verantwortung<br />

dafür“.<br />

4.3.3 Zusammenfassung Fallstudie Stuttgart<br />

Die Gewerkschaft wird von diesen Jugendlichen als politische Heimat gesehen,<br />

in <strong>de</strong>r man eigene politische Interessen mit Hilfe <strong>de</strong>r Gemeinschaft vertreten<br />

kann. Sie gibt einen gewissen Halt und ermöglicht ein Gefühl von Gemeinschaft.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r Gruppe hat man die Möglichkeit, die eigene Wirksamkeit zu<br />

erfahren. Der Zugang zur Gewerkschaft und die Mitgliedschaft in ihr ist keine<br />

Selbstverständlichkeit. Die Gewerkschaft steht in Konkurrenz mit an<strong>de</strong>ren Möglichkeiten<br />

<strong>de</strong>s Engagements, zu <strong>de</strong>nen dann übergewechselt wird, wenn die politische<br />

Programmatik in Wi<strong>de</strong>rspruch zur praktischen Arbeit und zu <strong>de</strong>n moralischen<br />

Wertmaßstäbe geraten. Hierbei wird die Kooperation mit an<strong>de</strong>ren Organisationen<br />

(wie bspw. Umweltschutz­ und Menschenrechtsorganisationen) befürwortet,<br />

jedoch sollte die Gewerkschaft ihre politischen Ziele nicht aus <strong>de</strong>n Augen<br />

verlieren. Zentrales Motiv für ein Engagement sind individuelle Interessen: in diesem<br />

Falle han<strong>de</strong>lt es sich um ein starkes politisches, welches im Rahmen Gewerkschaft<br />

erfüllt wer<strong>de</strong>n kann. Ein weiterer Beweggrund ist die Wahrnehmung<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaft als Organisation, die selbst Karriereaussichten bietet.<br />

In <strong>de</strong>n Aussagen <strong>de</strong>r Experten wird <strong>de</strong>utlich, dass von Seiten <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen<br />

Jugendverantwortlichen das Interesse <strong>de</strong>r Jugendlichen in <strong>de</strong>n Mittelpunkt<br />

gestellt wird. Ihnen wer<strong>de</strong>n im Rahmen Gewerkschaft Möglichkeiten geboten,<br />

über die Alltagssituation hinaus ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend<br />

I<strong>de</strong>en zu entwickeln und diese auch umzusetzen.<br />

Nach Aussage <strong>de</strong>r Experten hat die Qualifikation und För<strong>de</strong>rung von Ehrenamtlichen<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaften hohe Be<strong>de</strong>utung. Einerseits besteht<br />

<strong>de</strong>r Anspruch bei <strong>de</strong>n Engagierten selbst, professioneller han<strong>de</strong>ln zu können, und<br />

an<strong>de</strong>rerseits wird auch von <strong>de</strong>n Ehrenamtlichen mehr Professionalität in ihrem<br />

Han<strong>de</strong>ln verlangt. Für die untersuchten Projekte kann diese Aussage bestätigt<br />

wer<strong>de</strong>n. Ob <strong>de</strong>r Anspruch sich aber nicht doch im wesentlichen auf betriebliche<br />

Funktionen beschränkt, kann zumin<strong>de</strong>st vermutet wer<strong>de</strong>n. Die Qualifikation von<br />

Ehrenamtlichen spielt in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg generell eine große Rolle. Im Jugendbereich<br />

wer<strong>de</strong>n Schüler­Mentorenprogramme angeboten. Ziel dieser Programme<br />

ist es, <strong>de</strong>n Zugang zum ehrenamtlichen Engagement in <strong>de</strong>r Jugendarbeit<br />

<strong>de</strong>r Vereine und Verbän<strong>de</strong> zu ermöglichen und zu begleiten sowie wichtige<br />

Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit, Führungsverantwortung, Kommunikationsfähigkeit,<br />

Selbstständigkeit und Toleranz zu vermitteln. 72<br />

4.3.4 Vergleich <strong>de</strong>r Fallstudien Küste und Stuttgart<br />

Im Vergleich <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Fallstudien wird <strong>de</strong>utlich, dass die Motive für das<br />

Engagement <strong>de</strong>r Jugendlichen ähnlich sind. Individuelle Motive sind ausschlaggebend<br />

für ein Engagement. Der Verband dient als Rahmen, sich selbst zu ver­<br />

72 Vgl. Experteninterview Geschäftsführer Lan<strong>de</strong>sbüro Ehrenamt (Kultusministerium) in Stuttgart<br />

am 18.10.2002 und Nie<strong>de</strong>rschrift über die Sitzung <strong>de</strong>s Ministerrats am 23.06.2002 zum Thema<br />

„Ehrenamt und Bürgerschaftliches Engagement – Schwerpunktaufgabe <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>spolitik“


­ 147 ­<br />

wirklichen und gemeinsam mit Gleichgesinnten eigene Interessen zu vertreten. Im<br />

Projekt „StrandGut“steht dabei das soziale Engagement im Vor<strong>de</strong>rgrund, während<br />

beim „Arbeitsweltradio“die gewerkschaftliche Interessenpolitik ausschlaggebend<br />

ist.<br />

Auffällig sind auch die unterschiedlichen Einschätzungen seitens <strong>de</strong>r Experten<br />

in Bezug auf die Projekte. Trotz ähnlicher Auffassungen bezüglich <strong>de</strong>r Definition<br />

neuerer Formen ehrenamtlichen Engagements verwies die DGB­<br />

Jugendreferentin (Küste) auf das Projekt „StrandGut“, welches klar in <strong>de</strong>n Bereich<br />

<strong>de</strong>s „Neuen Ehrenamtes“einzuglie<strong>de</strong>rn ist und <strong>de</strong>r DGB­Jugendreferent (Stuttgart)<br />

auf das „Arbeitsweltradio“, welches doch eher im Bereich <strong>de</strong>s klassischen<br />

gewerkschaftlichen Engagements im Jugendbereich anzusie<strong>de</strong>ln ist – zumin<strong>de</strong>st<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r inhaltlichen Ausrichtung, weniger in bezug auf die Organisationsform.<br />

Wichtig ist die Schaffung von Zugangsmöglichkeiten für Jugendliche: einerseits<br />

kann dies im Rahmen von Wohngebietsarbeit, wie sie beim „Come In“<br />

vorhan<strong>de</strong>n sind geschehen, an<strong>de</strong>rerseits durch ist Öffnung <strong>de</strong>r Gewerkschaft für<br />

Projekte, in <strong>de</strong>nen sich auch nicht gewerkschaftlich engagierte Jugendliche beteiligen<br />

können. Die untersuchten Projekte sind nie<strong>de</strong>rschwellig, in erreichbarer Nähe<br />

<strong>de</strong>s Lebensraums <strong>de</strong>r Jugendlichen und offen für alle Interessierten, also nicht<br />

nur für Mitglie<strong>de</strong>r. Neben <strong>de</strong>n Daueraufgaben, die von Hauptamtlichen o<strong>de</strong>r eigens<br />

eingestellten Beschäftigten – in <strong>de</strong>r Fallstudie Küste vom zweiten Arbeitsmarkt<br />

– betreut wer<strong>de</strong>n, sind die Aktivitäten auf i<strong>de</strong>ntifizierbare Projekte ausgerichtet,<br />

für die sich die Jugendlichen auch punktuell engagieren können.<br />

Ehrenamt wird von <strong>de</strong>n Jugendlichen nicht als eine (milieubedingt) auferlegte<br />

Pflicht angesehen, son<strong>de</strong>rn verstärkt als Anlass für Selbstverwirklichungsund<br />

Selbstentfaltungsinteressen betrachtet. Die Fallstudien zeigen, dass auch die<br />

Gewerkschaften in <strong>de</strong>r Lage sein können, Strukturen und Angebote zu schaffen,<br />

in <strong>de</strong>nen Jugendliche die Möglichkeit haben, nach ihren eigenen Bedürfnissen<br />

Gestaltungsräume zu fin<strong>de</strong>n. Projektarbeit steht im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>s Interesses,<br />

da in einer relativ kurzen Zeit Ergebnisse ihres Engagements zu sehen sind. Ausgehend<br />

von <strong>de</strong>r Projektarbeit kann dann sogar die reguläre Beteiligung an Gremien<br />

für die engagierten Jugendlichen attraktiv sein, sofern sie ihre Anliegen dort<br />

in einem nachvollziehbaren Rahmen vertreten sehen und zur Sprache bringen<br />

können.<br />

„Man muss <strong>de</strong>n Ehrenamtlern mehr Kompetenz geben und auch ein gewisses<br />

Budget auf das sie zurückgreifen können. Dies be<strong>de</strong>utet aber gleichzeitig,<br />

dass man mehr Vielfalt zulassen muss und auch dass die Ehrenamtlichen mehr<br />

geschult wer<strong>de</strong>n müssen“. 73 Diese Bedingungen für die aktive Teilnahme <strong>de</strong>r Jugendlichen<br />

können dann auch zu einer höheren I<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>r Organisation<br />

führen.<br />

Das Gemeinschaftsgefühl spielt für die Jugendlichen eine tragen<strong>de</strong> Rolle.<br />

Mit Gleichgesinnten zusammenzukommen und mit ihnen auf ein bestimmtes politisches<br />

bzw. soziales Ziel hin zu arbeiten, wird als ausschlaggebend erachtet. Erst<br />

in einer Gruppe ist es möglich, ihre I<strong>de</strong>en umzusetzen und ein bestimmtes Ziel zu<br />

erreichen, da man als diese in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Insofern<br />

kann die Gewerkschaft kann auch als politische Heimat be<strong>de</strong>utsam sein. Aller­<br />

73 Experteninterview DGB­Kreisvorsitzen<strong>de</strong>r Stuttgart 17.10.2002


­ 148 ­<br />

dings muss zunächst <strong>de</strong>r Zugang geschaffen wer<strong>de</strong>n. Hierzu müssen die politischen<br />

Ziele klar formuliert wer<strong>de</strong>n. Eine Abgrenzung zur Politik von Parteien ist<br />

zwingend notwendig. Die Zusammenarbeit mit an<strong>de</strong>ren Organisationen und Verbän<strong>de</strong>n,<br />

insbeson<strong>de</strong>re mit Umweltschutz­ und Menschenrechtsorganisationen,<br />

wird von <strong>de</strong>n Jugendlichen als positiv wahrgenommen und von ihnen auch gefor<strong>de</strong>rt,<br />

wobei das spezifisch Gewerkschaftliche – als Interessenpolitik – auch in diesen<br />

Kooperationen gewahrt wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Einen wichtigen Aspekt stellt für die Jugendlichen die Anerkennung ihres<br />

Engagements dar. Es geht ihnen <strong>hier</strong>bei nicht um eine materielle Anerkennung,<br />

son<strong>de</strong>rn um die Akzeptanz ihres Engagements seitens <strong>de</strong>r Organisation un letztlich<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft als ganzer. Die Anerkennung beginnt mit Aktivitäten wie <strong>de</strong>n<br />

„kleinen Partys“bei ver.di Stuttgart, muss sich aber auch <strong>de</strong>r materiellen und professionellen<br />

Unterstützung durch Hauptamtliche sowie Mitwirkungsrechten in <strong>de</strong>n<br />

Organisationsgremien nie<strong>de</strong>rschlagen.<br />

Die befragten Experten heben die produktive Rolle <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements nicht nur für die jeweilige Organisation, son<strong>de</strong>rn auch für die Jugendlichen<br />

selbst hervor. Jugendliche sind offen und bereit, sich zu engagieren,<br />

haben aber vielfach keine Kenntnisse von <strong>de</strong>n Möglichkeiten. Entsprechen<strong>de</strong> organisierte<br />

Angebote sind in <strong>de</strong>r Regel nicht Teil <strong>de</strong>s im jeweiligen Milieu selbstverständlich<br />

verfügbaren lebensweltlichen Wissens. Sie stehen in Konkurrenz zu<br />

einem überkomplexen Angebot, das kommerzielle Freizeitangebote umfasst, aber<br />

auch das kollektive „Rumhängen“in <strong>de</strong>r Gruppe bis zur privatistischen Beschäftigung<br />

am und mit <strong>de</strong>m Computer. Die Entscheidung für ein Engagement ist also<br />

eine kontingente biographische Option, für die Zugänge geschaffen wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Das erwähnte Mentorenprogramm, das sich in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg an Schülerinnen<br />

und Schüler wen<strong>de</strong>t ist in dieser Hinsicht ein erfolgversprechen<strong>de</strong>r Ansatz,<br />

<strong>de</strong>ssen Resultate jedoch noch nicht feststellbar sind. Kampagnen wie die<br />

„Jobpara<strong>de</strong>“in Schwerin o<strong>de</strong>r „StrandGut“sind eine an<strong>de</strong>re Herangehensweise.<br />

Sie nutzen eher <strong>de</strong>n Mechanismus, <strong>de</strong>n man aus <strong>de</strong>r Verbreitung von Informationen<br />

(„two­step­flow of communication) o<strong>de</strong>r technischen Innovationen kennt: Es<br />

kommt nicht auf die breite Streuung von Informationen an, son<strong>de</strong>rn auf die I<strong>de</strong>ntifizierung<br />

von Personen, die als Meinungsführer akzeptiert sind und Vertrauen genießen.<br />

Es geht darum, diese Personen zur Teilnahme zu bewegen, <strong>de</strong>nn sie dienen<br />

– durch ihre Vorbildfunktion – als Multiplikatoren, welche das Wissen um die<br />

„neuen“Möglichkeiten verbreitern und die Bereitschaft zur Beteiligung för<strong>de</strong>rn.


­ 149 ­<br />

5. Bindungspotentiale <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements – Fallstudien<br />

zur gewerkschaftlichen Seniorenarbeit und einem Jugendprojekt<br />

Kirstin Bromberg<br />

5.1 Einleitung<br />

Im folgen<strong>de</strong>n Kapitel wer<strong>de</strong>n Ergebnisse zur ehrenamtlichen Seniorenarbeit<br />

vorgestellt, die weit über diesen Fokus hinausgehen, in<strong>de</strong>m ein Mo<strong>de</strong>ll zu<br />

Bindungspotentialen ehrenamtlichen Engagements empirisch generiert wird. Damit<br />

sind die Gestaltungsmöglichkeiten und strukturellen Merkmale <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements gemeint, welche eine Bindung <strong>de</strong>r Individuen an Vereinigungen<br />

– von Gewerkschaften bis zu lokalen Initiativen – begünstigen und weiteres<br />

Engagement anregen. Die im folgen<strong>de</strong>n präsentierten Ergebnisse basieren auf<br />

<strong>de</strong>r qualitativen Analyse unterschiedlicher Formen ehrenamtlichen Engagements<br />

in gewerkschaftlichen und außergewerkschaftlichen Kontexten, welche im Rahmen<br />

von Fallstudien untersucht wur<strong>de</strong>n. Ergänzend zu <strong>de</strong>n <strong>hier</strong> dargestellten Ergebnissen<br />

sind noch die Ergebnisse <strong>de</strong>r Fallstudie „Küste“heranzuziehen, in welcher<br />

– im Zusammenhang <strong>de</strong>r Erwerbslosen­ und Wohngebietsarbeit – ebenfalls<br />

das ehrenamtliche Engagement von Senioren untersucht wur<strong>de</strong>.<br />

Die in diesem Teilbereich <strong>de</strong>s Forschungsprojektes erarbeiteten Ergebnisse<br />

rekurrieren einerseits auf <strong>de</strong>n Schwerpunkt Seniorenarbeit, eröffnen darüber<br />

hinaus aber die Möglichkeit, in einem theoretisch abstra<strong>hier</strong>en<strong>de</strong> Mo<strong>de</strong>ll weitere<br />

Beispiele ehrenamtlichen Engagements anhand <strong>de</strong>r analysierten Dimensionen<br />

einzuordnen. Aus <strong>de</strong>n in die Auswertung eingeflossenen empirischen Daten konnten<br />

außer<strong>de</strong>m aufschlussreiche Hinweise im Hinblick auf Engagement­Barrieren,<br />

welche einerseits in <strong>de</strong>n Strukturen und Inhalten <strong>de</strong>r Institutionen und an<strong>de</strong>rerseits<br />

in <strong>de</strong>n han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Subjekten zu verorten sind, gewonnen wer<strong>de</strong>n. Diese<br />

Barrieren liegen <strong>de</strong>mnach in drei Bereichen begrün<strong>de</strong>t: im wechselseitigen Verhältnis<br />

von Haupt­ und Ehrenamtlichen, in <strong>de</strong>r Ressourcenausstattung <strong>de</strong>r örtlichen<br />

ehrenamtlichen Strukturen und <strong>de</strong>n individuellen Belastungsgrenzen sowohl<br />

beim hauptamtlichen als auch beim ehrenamtlichen Personal. Hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

individuellen Dimension kristallisierten sich neben einem hohen I<strong>de</strong>alismus <strong>de</strong>r<br />

ehrenamtlichen Akteure zwei weitere Bedingungen für das ehrenamtliche Engagement<br />

heraus: die Vereinbarkeit mit <strong>de</strong>m Familienleben und die Verfügung über<br />

ein subjektiv ausreichen<strong>de</strong>s Einkommen.<br />

Senioren sind im übrigen ein gutes Beispiel für das Konzept <strong>de</strong>r „biographischen<br />

Passung“<strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements, <strong>de</strong>nn „wichtiger als die Zugehörigkeit<br />

zu einem sozialen Milieu ist die Koppelung <strong>de</strong>r freiwilligen Tätigkeit an<br />

eigene, biographisch konstituierte Erfahrungen und Fähigkeiten“(Heinze / Olk<br />

1999: 77). Im Unterschied zu Erwerbslosen ist ihr Engagement nicht auf die Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rung<br />

in <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt gerichtet (vgl. <strong>hier</strong>zu Kap. 3), und im Unterschied<br />

zu Jugendlichen nicht auf Selbstfindung (vgl. Kap. 4). Sie haben in <strong>de</strong>r<br />

Regel die Familienphase abgeschlossen und müssen <strong>de</strong>n Ruhestand als biographisches<br />

Projekt gestalten. Dabei können Sie auf Organisations­ und Lebenserfahrung<br />

zurückgreifen, die sie auch für Organisationen interessant wer<strong>de</strong>n lässt.<br />

Die Ergebnisse <strong>de</strong>r schriftlichen Befragung sind <strong>hier</strong>für ein guter Beleg: Der über­


­ 150 ­<br />

wiegen<strong>de</strong> Teil neuer ehrenamtlicher Tätigkeitsbereiche wird von <strong>de</strong>n Befragten im<br />

Seniorenbereich angesie<strong>de</strong>lt (vgl. Kap. 2).<br />

Die im vorliegen<strong>de</strong>n Kontext verwandte Forschungsstrategie orientiert sich<br />

an <strong>de</strong>r von Barney Glaser und Anselm Strauss begrün<strong>de</strong>ten „groun<strong>de</strong>d theory“.<br />

Dieser Prozess <strong>de</strong>r gegenstandsbezogenen Theoriegenerierung basiert auf <strong>de</strong>n<br />

zentralen Prinzipien von Interaktion, Zeitlichkeit, Prozesshaftigkeit sowie Strukturiertheit<br />

(Hil<strong>de</strong>nbrand, 2000, 33). Die genannten forschungsleiten<strong>de</strong>n Prinzipien<br />

implizieren eine weitere tragen<strong>de</strong> Notwendigkeit, nämlich die <strong>de</strong>r Offenheit, woraus<br />

sich eine eben solche auch für die zur Systematisierung <strong>de</strong>s Datenmaterials<br />

verwen<strong>de</strong>ten Kodierkategorien ergibt (Kelle/Kluge, 1999, 66).<br />

Die Samplingstrategien folgten zunächst <strong>de</strong>r im Forschungsprojekt­Antrag<br />

festgelegten äußeren Kategorisierung und wur<strong>de</strong>n dann entsprechend <strong>de</strong>r Strategie<br />

<strong>de</strong>s „theoretical sampling“(Strauss 1988; Strauss / Corbin 1996) um zusätzliche<br />

Fälle erweitert. Somit wur<strong>de</strong>n innovative Projekte ehrenamtlichen Engagements<br />

im gewerkschaftlichen und außergewerkschaftlichen Bereich für die Alten<br />

und Neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r ausfindig gemacht und im Sinne <strong>de</strong>s Feldforschungs<strong>de</strong>signs<br />

untersucht. Hierzu wur<strong>de</strong>n Hauptamtliche als Experten einzeln o<strong>de</strong>r in<br />

Gruppen sowie Ehrenamtliche einzeln o<strong>de</strong>r in Gruppen interviewt.<br />

5.2 Das Engagement <strong>de</strong>r Älteren<br />

Insgesamt betrachtet unterschei<strong>de</strong>t sich das freiwillige Engagement Älterer<br />

hinsichtlich seiner Formen nicht beträchtlich vom Engagement an<strong>de</strong>rer Gruppen.<br />

Das heißt, dass die ehrenamtlichen Tätigkeitsfel<strong>de</strong>r älterer Menschen ähnlich<br />

vielseitig sind wie jene aller an<strong>de</strong>ren Altersgruppen. Auch das geringere Ausmaß<br />

<strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements in <strong>de</strong>n neuen gegenüber <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

betrifft nicht nur die Älteren, son<strong>de</strong>rn alle Altersgruppen. 74 Entgegen alltäglicher<br />

Vorurteile ist <strong>de</strong>r Anteil ehrenamtlich engagierter Männer höher als jener <strong>de</strong>r<br />

Frauen – und diese Differenz nimmt über die Altersgruppen zu (vgl. Kohli / Künemund<br />

2000: 285). Mit zunehmen<strong>de</strong>m Alter geht die Beteiligung jedoch stark zurück<br />

– von 22% bei <strong>de</strong>n 40­54jährigen auf 7% bei <strong>de</strong>n 70­85jährigen (vgl. Künemund<br />

2001: 69). Dennoch variieren individuelle Möglichkeiten und Bedarfslagen<br />

entsprechend <strong>de</strong>r Lebenslage und <strong>de</strong>r Zugehörigkeit zu Altersgruppen, Geschlecht<br />

und Familienstand. Jugendliche sind zum Beispiel im Bereich Sport und<br />

Bewegung doppelt so aktiv wie SeniorInnen, und 14 % <strong>de</strong>r Menschen im Erwerbsalter<br />

engagieren sich im Bereich Kin<strong>de</strong>rgarten und Schule, jedoch lediglich<br />

2% <strong>de</strong>r Älteren – welche sich an<strong>de</strong>rerseits überdurchschnittlich in <strong>de</strong>r Enkelbetreuung<br />

betätigen.<br />

Laut Freiwilligensurvey (Picot 2000) gibt es unter <strong>de</strong>n Älteren viele Hochengagierte,<br />

die mehr als 5, zum Teil 15 Stun<strong>de</strong>n wöchentlich für ihr Engagement<br />

aufwen<strong>de</strong>n Diese zeitliche Investition übertrifft teilweise sogar <strong>de</strong>n bereits hohen<br />

Wert (10­12 Stun<strong>de</strong>n) <strong>de</strong>r Jugendlichen). Der Zeitpunkt <strong>de</strong>r Aufnahme <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements liegt in <strong>de</strong>r Regel weit (10 o<strong>de</strong>r mehr Jahre) vor <strong>de</strong>m Ü­<br />

bergang in <strong>de</strong>n Ruhestand. Kurz (vier Jahre) vor <strong>de</strong>m Übergang steigt die Engagementbereitschaft<br />

noch einmal stark an, um danach wie<strong>de</strong>r zu sinken (Kohli /<br />

Künemund 2000: 298).<br />

74 Abweichend zu diesem Befund stellt Olk fest, dass die Unterschie<strong>de</strong> im Ausmaß ehrenamtlichen<br />

Engagements bei einer Nord­Süd­Betrachtung größer ausfallen als die im Ost­West­Vergleich.


­ 151 ­<br />

In <strong>de</strong>n meisten empirischen Studien zum Ehrenamt wird das Kriterium Erwerbstätigkeit<br />

als ein das Engagement begünstigen<strong>de</strong>r Faktor vorgestellt. Erwerbslose<br />

sind in <strong>de</strong>utlich geringerem Umfang ehrenamtlich engagiert als Berufstätige.<br />

Das heißt jedoch nicht, dass die Älteren ihre Engagement nach Ausschei<strong>de</strong>n<br />

aus <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit einstellen wür<strong>de</strong>n. So hat die multivariate Analyse <strong>de</strong>s<br />

Alterssurvey ergeben, dass <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>s Engagements bei <strong>de</strong>n Ruheständlern<br />

und an<strong>de</strong>ren älteren Nicht­Erwerbstätigen (z. B. „Vorruheständlern“) sogar höher<br />

ist als bei <strong>de</strong>n Erwerbstätigen (vgl. Kohli / Künemund 2000: 301f). Es spricht allerdings<br />

vieles dafür, dass dies darauf zurück zu führen ist, dass das bestehen<strong>de</strong><br />

Engagement ausgeweitet und weniger dafür, dass ein Engagement neu aufgenommen<br />

wird. Der Ruhestand unterschei<strong>de</strong>t in dieser Hinsicht <strong>de</strong>utlich von <strong>de</strong>r<br />

Erwerbslosigkeit (vgl. <strong>hier</strong>zu auch die Befun<strong>de</strong> in Kap. 3; allgemein: Wolf 1994).<br />

Der Motivations­ und Formenwan<strong>de</strong>l Freiwilliger Arbeit wird vor allem an<br />

ausgeprägteren Selbstbezügen bei <strong>de</strong>r Ausübung ehrenamtlichen Engagements<br />

<strong>de</strong>utlich. Diesbezüglich wur<strong>de</strong> gezeigt, dass Menschen nach ihrer gegenwärtigen<br />

biographischen Situation entschei<strong>de</strong>n, ob und wie lange sie sich wo ehrenamtlich<br />

engagieren wollen. Auch wenn dieser Motivationswan<strong>de</strong>l (von Pflichtwerten zur<br />

Selbstverwirklichung) zeitlich gesehen sicherlich keine ganz junge Entwicklung ist,<br />

kann diesbezüglich mit Sicherheit von einer enormen Zunahme in <strong>de</strong>n letzten<br />

Jahrzehnten ausgegangen wer<strong>de</strong>n. Hierbei kann die Gruppe <strong>de</strong>r Jugendlichen als<br />

Agenten dieses Trends angesehen wer<strong>de</strong>n, aber auch die Älteren sind davon<br />

nicht unberührt geblieben. Auch bei ihnen haben sich die Pflichtwerte relativiert,<br />

und sie treten <strong>de</strong>m Engagement mit größeren Ansprüchen an die Befriedigung<br />

individueller Bedürfnisse entgegen (allgemein <strong>hier</strong>zu Evers / Wolf 1999). Diese<br />

Entwicklung zeigt sich auch in <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Seniorenarbeit.<br />

5.3 Alterspolitik und gewerkschaftliche Seniorenarbeit<br />

Jürgen Wolf<br />

5.3.1 Die Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>r aktiven Seniorenpolitik<br />

Mit <strong>de</strong>m steigen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mographischen Gewicht <strong>de</strong>r Älteren ist auch die<br />

Frage nach ihrer sozialen und politischen Partizipation in das öffentliche Bewusstsein<br />

gelangt. Die Diagnose ist ein<strong>de</strong>utig: die Teilhabe <strong>de</strong>r älteren Menschen am<br />

öffentlichen Leben ist in unserem Land unterentwickelt. Unterschiedliche Entwicklungen<br />

haben dazu geführt, diese Situation überhaupt als ein gesellschaftliches<br />

Problem wahrzunehmen. Die Altersphase und ihre gesellschaftliche Be<strong>de</strong>utung<br />

haben sich quantitativ und qualitativ verän<strong>de</strong>rt. Die Älteren wur<strong>de</strong>n und wer<strong>de</strong>n<br />

zahlenmäßig mehr, sie verbringen einen <strong>de</strong>utlich längeren Teil <strong>de</strong>r Lebenszeit im<br />

Ruhestand, sie sind – durch <strong>de</strong>n international zu beobachten<strong>de</strong>n Trend zum frühen<br />

Ruhestand – „jünger“gewor<strong>de</strong>n, leben aber zugleich länger, und ihre Ressourcenausstattung<br />

(materielle Sicherung, Bildung und Gesundheit) hat sich während<br />

<strong>de</strong>r letzten Jahrzehnte verbessert. Zugleich ist die Heterogenität <strong>de</strong>r Lebenslagen<br />

im Alter größer gewor<strong>de</strong>n. Vor diesem Hintergrund hat sich das Engagement<br />

<strong>de</strong>r Älteren generell, aber speziell zur Vertretung <strong>de</strong>r eigenen Interessen<br />

sehr stark ausgeweitet (<strong>hier</strong>zu Kohli / Neckel / Wolf 1999; Enquete­Kommission<br />

2002b: 213 ff.). Entschei<strong>de</strong>nd bei dieser Form <strong>de</strong>s Engagements ist nicht nur das<br />

quantitative Ausmaß, son<strong>de</strong>rn auch seine neue qualitative Dimension. Ein Aspekt


­ 152 ­<br />

<strong>hier</strong>von ist die Interessenformulierung auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s Status <strong>de</strong>s Seniors.<br />

Während viele noch davor zurückschrecken, sich unter <strong>de</strong>r Bezeichnung „Senioren“zu<br />

engagieren, können die organisierten Älteren dazu beitragen, das eigene<br />

und das gesellschaftliche Altersbild positiv zu beeinflussen. Der an<strong>de</strong>re Aspekt ist<br />

<strong>de</strong>r Formwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r politischen Beteiligung in Richtung partizipativer Politik. Es<br />

geht nicht nur darum, dass – durch advokatorische Akteure – überhaupt Politik für<br />

Ältere gemacht wird, son<strong>de</strong>rn dass sie von <strong>de</strong>n Älteren selbst bestimmt wird.<br />

Die Chancen <strong>de</strong>r Älteren, ihre politische Vertretung und Mitwirkung auszuweiten,<br />

haben sich verbessert. Es wird sogar davon gesprochen, dass sich ein<br />

breiter „altenpolitischer Aktivismus“(Neckel 1993) entwickelt habe. Da mit <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>mographischen Entwicklung auch <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Älteren unter <strong>de</strong>n Wählern und<br />

<strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn von Verbän<strong>de</strong>n und Parteien zugenommen hat, wirkt auf die bestehen<strong>de</strong>n<br />

Organisationen ein Druck, sich auf die verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Altersstruktur <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung einzustellen und die wachsen<strong>de</strong> Zahl älterer Mitglie<strong>de</strong>r besser zu<br />

integrieren. Als Antwort auf diese Entwicklung hat die CDU bereits 1988 begonnen,<br />

ihre älteren Mitglie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r „Senioren­Union“zu organisieren. Die SPD ist<br />

ihr im Jahr 1994 mit <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r „Arbeitsgemeinschaft 60plus“gefolgt. Auch<br />

die Gewerkschaften folgen diesem Trend und praktizieren seit einigen Jahren<br />

verschie<strong>de</strong>ne Formen <strong>de</strong>r Seniorenarbeit.<br />

Die Zunahme <strong>de</strong>s aktiven Engagements älterer Menschen lässt sich nicht<br />

als Reaktion auf eine Verschlechterung ihrer Lebenslage erklären. Das Gegenteil<br />

ist <strong>de</strong>r Fall. Die Ausweitung <strong>de</strong>s Engagements ging parallel mit einer Verbesserung<br />

<strong>de</strong>r Ressourcenausstattung für die Mehrheit <strong>de</strong>r Älteren – <strong>de</strong>r materiellen<br />

Lage, <strong>de</strong>r Gesundheit und Bildung. Diese Beobachtung steht im Einklang mit Ergebnissen<br />

<strong>de</strong>r Forschung zu <strong>de</strong>n Neuen Sozialen Bewegungen: die Mobilisierung<br />

für das öffentliche Engagement setzt mobilisierbare Ressourcen voraus. Die erfolgreiche<br />

Mobilisierung wie<strong>de</strong>rum erzeugt selbst ihre Fortsetzung – durch die<br />

Anziehungskraft ihrer Aktivitäten o<strong>de</strong>r Führungspersonen, aber auch durch die<br />

Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Öffentlichkeit. Die Voraussetzungen für das Engagement<br />

auch <strong>de</strong>r kommen<strong>de</strong>n Seniorengenerationen sind – angesichts gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r absehbaren<br />

Verschlechterung <strong>de</strong>r Lage Älterer – günstig. Ihr Bildungs­ und Qualifikationsniveau<br />

wird im Mittel noch ansteigen. Sowohl die Beitrittsbereitschaft zu<br />

Organisationen als auch die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit steigen mit <strong>de</strong>m<br />

Bildungsgrad, so wie allgemein für öffentliche Aktivitäten „ein höherer Status das<br />

Engagement begünstigt“(Kohli / Künemund 1997, S. 112).<br />

Der Zuwachs subjektiver Handlungsvoraussetzungen stellt also <strong>de</strong>n sozialstrukturellen<br />

Hintergrund <strong>de</strong>s altenpolitischen Engagements <strong>de</strong>r Senioren dar. Sie<br />

lassen altersbezogene soziale Ausgrenzungen und Diskriminierungen als beson<strong>de</strong>rs<br />

ungerechtfertigt erscheinen – zumal, wenn sich die soziale Altersgrenze vom<br />

biologischen Alter entfernt und so noch über Jahre hinaus die Kraft zum Han<strong>de</strong>ln<br />

bereitsteht. Sozialer Zwang zum „Rückzug“wird dann als Schranke <strong>de</strong>r Selbstverwirklichung<br />

im Alter erfahren. Die Älteren mel<strong>de</strong>n dagegen nicht nur Protest<br />

an, son<strong>de</strong>rn erweitern ihre Handlungsmöglichkeiten praktisch und politisch. Hierbei<br />

haben wir es mit <strong>de</strong>m Ergebnis eines Prozesses <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>r Interessenvertretung<br />

zu tun, <strong>de</strong>r nicht nur in Deutschland, son<strong>de</strong>rn auch und sogar<br />

noch <strong>de</strong>utlicher im Ausland stattgefun<strong>de</strong>n hat (vgl. zum folgen<strong>de</strong>n auch Evers /<br />

Wolf 1999).


­ 153 ­<br />

Traditionellerweise fin<strong>de</strong>n wir zwei Formen <strong>de</strong>r Interessenvertretung Älterer:<br />

gewerkschaftliche o<strong>de</strong>r gewerkschaftsähnliche Gruppierungen, die auf die<br />

materielle Absicherung im Alter gerichtet sind, sowie karitative Einrichtungen, die<br />

Dienstleistungen zur gesundheitlichen und sozialen Versorgung erbringen. Eine<br />

Vertretung <strong>de</strong>r Interessen von Älteren durch die Älteren selbst fin<strong>de</strong>t sich – im<br />

Kontext <strong>de</strong>r Arbeiterbewegung – bereits seit <strong>de</strong>n frühen Jahrzehnten dieses Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

in <strong>de</strong>n skandinavischen Län<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r auch in Österreich durch <strong>de</strong>n dortigen<br />

„Pensionistenverband“. In Deutschland ist Rentenpolitik eine Sache <strong>de</strong>r politischen<br />

und korporativen Akteure, und ihre Politik hat lange nicht dazu geführt,<br />

dass sich die Interessen <strong>de</strong>r Älteren in Form einer eigenständigen Lobby organisieren<br />

mussten. Starke Interessenvertretungen <strong>de</strong>r Älteren fin<strong>de</strong>n sich typischerweise<br />

in Län<strong>de</strong>rn, die eine schwächer ausgebaute soziale Sicherung im Alter bieten.<br />

Ein <strong>de</strong>utliches Beispiel <strong>hier</strong>für sind die USA, in <strong>de</strong>nen Altenorganisationen zu<br />

<strong>de</strong>n mitglie<strong>de</strong>rstärksten Verbän<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n mächtigsten Lobbys gehören – die<br />

„American Association of Retired People“hat beispielsweise mehr als 30 Millionen<br />

Mitglie<strong>de</strong>r, die durch <strong>de</strong>n Verband vergünstigte Lebensversicherungen, Krankenversicherungen<br />

und an<strong>de</strong>re Leistungen erhalten können.<br />

Die Organisations­ und Artikulationsformen <strong>de</strong>r Interessen älterer Bürger<br />

unterliegen aber einem Wandlungs­ und Mo<strong>de</strong>rnisierungsprozess, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Rahmen<br />

für die Mitwirkung Älterer <strong>de</strong>utlich ausweitet. Die skizzierte traditionelle Interessenvertretung<br />

<strong>de</strong>r Älteren formierte sich um ihre Eigenschaft als Empfänger<br />

staatlicher Leistungen, die es einzuklagen und abzusichern gilt. Die neuen Formen<br />

setzen dagegen die materielle Versorgung durch Rente o<strong>de</strong>r Pension bereits<br />

als mobilisierbare Ressource voraus (neben verbesserter Gesundheit und gestiegenem<br />

Bildungsniveau). Sie gehen einher mit einem geän<strong>de</strong>rten Altersbild: Ältere<br />

sind nicht mehr nur Leistungsempfänger, <strong>de</strong>ren Not durch staatliche o<strong>de</strong>r karitative<br />

Einrichtungen gelin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n muss, son<strong>de</strong>rn kompetente Bürger und Konsumenten,<br />

die ihre Lebenslage selbst bestimmen und zwischen verschie<strong>de</strong>nen<br />

Möglichkeiten <strong>de</strong>r Lebensführung wählen können. Sie drängen auf die Demokratisierung<br />

und öffentliche Aushandlung von traditionellerweise als privat erachteten<br />

Lebensbereichen (Wohnen, Pflege).<br />

Die neuen Formen <strong>de</strong>r aktiven Alterspolitik, die von <strong>de</strong>n Älteren selbst getragen<br />

wer<strong>de</strong>n, basieren auf einem weiteren Verständnis <strong>de</strong>r politischen Aktivbürgerschaft.<br />

Ältere Bürger mischen sich in alle Belange ein, die ihre Lebensverhältnisse<br />

betreffen. Der Demokratisierungsimpuls, <strong>de</strong>r dadurch hervorgerufen wird, ist<br />

einer <strong>de</strong>r Kernprozesse, <strong>de</strong>r zugunsten erweiterter Partizipationsmöglichkeiten<br />

gesellschaftlich wirksam wer<strong>de</strong>n kann. Die staatliche Sozialpolitik schafft in diesem<br />

Zusammenhang neue Notwendigkeiten, da ihre Maßnahmen zur Kostendämpfung<br />

zugleich die verstärkte Beteiligung <strong>de</strong>r Betroffenen erfor<strong>de</strong>rn. So zielt<br />

beispielsweise die Pflegeversicherung auf eine „neue Kultur <strong>de</strong>s Helfens“durch<br />

die Mobilisierung <strong>de</strong>r Netzwerke Pflegebedürftiger zur Absicherung <strong>de</strong>r Pflege (§<br />

8 SGB XI). Freiwilliges Engagement wird dabei zu einem notwendigen Bestandteil<br />

<strong>de</strong>r pflegerischen Versorgung. Das Pflegegeld, das als Zuschuss zur Ab<strong>de</strong>ckung<br />

<strong>de</strong>r tatsächlichen Kosten zu verstehen ist, hat dabei die Be<strong>de</strong>utung eines Anreizes<br />

und einer Gratifikation für das freiwillige Engagement <strong>de</strong>r Pflegepersonen. Die<br />

Aktivierung <strong>de</strong>s Hilfepotentials wird faktisch jedoch durch Informationsmängel und<br />

bürokratische Verfahren vielfach behin<strong>de</strong>rt (vgl. Evers 1998b) – und so droht das


­ 154 ­<br />

freiwillige Engagement zum „billigen“Ersatz für professionelle Dienste zu wer<strong>de</strong>n.<br />

75 Die Gewerkschaften stehen <strong>hier</strong> in beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlicher Weise vor <strong>de</strong>r<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung, außerbetriebliche Organisationsformen und allgemeine, nicht<br />

auf das Arbeitsleben begrenzte Interessen zu integrieren. Die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements in Zeiten <strong>de</strong>r Kostendämpfung ist ein Teil <strong>de</strong>r Wohlfahrtsproduktion,<br />

in<strong>de</strong>m es gegen Leistungseinschränkungen und bürokratische<br />

Kontrolle die Hilfe­ und Selbsthilfepotentiale aktiviert, zur Bildung <strong>de</strong>s Bewusstein<br />

über die soziale Lage beiträgt und die Beteiligung <strong>de</strong>r Betroffenen erhöht.<br />

Dies be<strong>de</strong>utet, dass <strong>de</strong>r Schwerpunkt einer entsprechen<strong>de</strong>n Politik darauf<br />

liegen müsste, die Partizipations­ und Aktivierungskultur in Organisationen auszuweiten,<br />

statt auf <strong>de</strong>r Basis einer nur quantitativen Repräsentanz formal garantierte<br />

Mitspracherechte einzuräumen und ansonsten alles beim alten zu belassen.<br />

Generell könnte das wohlmeinen<strong>de</strong> Anliegen, die politische Mitwirkung von Senioren<br />

in allen Bereichen zu formalisieren, gera<strong>de</strong> leer laufen. Wird nämlich einfach<br />

nur ein weiterer Stuhl an <strong>de</strong>n Verhandlungstisch gestellt und ein weiterer Posten<br />

im Vorstand geschaffen, wird das Engagement <strong>de</strong>r Älteren wie<strong>de</strong>r verengt auf<br />

Verfahren, die lediglich ein biographisches Fortsetzungsverhalten für verdiente<br />

Funktionäre erlauben.<br />

5.3.2 Gewerkschaftliche Seniorenarbeit<br />

Die Gewerkschaften haben auf das Altern ihrer Mitgliedschaft in ähnlicher<br />

Weise reagiert wie die politischen Parteien. Sie haben unterschiedliche Formen<br />

von „Seniorenarbeit“entwickelt, in <strong>de</strong>nen die älteren Mitglie<strong>de</strong>r organisatorisch<br />

zusammengefasst sind (vgl. umfassen <strong>hier</strong>zu Wolf et al. 1994).. Mehr als eine<br />

beraten<strong>de</strong> Funktion haben diese in <strong>de</strong>n wichtigen Gewerkschaftsgremien überwiegend<br />

nicht, allerdings ist die Seniorenarbeit inzwischen bei <strong>de</strong>n meisten Gewerkschaften<br />

als Regelaufgabe satzungsmäßig verankert. Außergewerkschaftliche<br />

Gewerkschaftsarbeit be<strong>de</strong>utet in <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>r Gewerkschaften <strong>de</strong>shalb<br />

ganz überwiegend Seniorenarbeit (vgl. Kap. 2). Sie ist inzwischen in allen Gewerkschaften<br />

etabliert und bil<strong>de</strong>t einen erheblichen Anteil im Volumen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements. Die gewerkschaftliche Seniorenarbeit hat sich – auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage unterschiedlicher Vorläufer – in <strong>de</strong>n 90er Jahren ausgebreitet und als<br />

fester Bestandteil <strong>de</strong>r Organisation etabliert.<br />

Rund 1,7 Millionen Ruheständler (rund 18%) sind in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Gewerkschaften<br />

organisiert. Einige Gewerkschaften haben bereits eigene Vorstandsressorts<br />

und Organisationssäulen eingerichtet – bis hin zu einer „Seniorenquote“(Transnet,<br />

ehemals Gewerkschaft <strong>de</strong>r Eisenbahner Deutschlands). Der<br />

Hintergrund dieser Entwicklung ist einerseits die <strong>de</strong>mographische Entwicklung,<br />

an<strong>de</strong>rerseits die Entwicklung <strong>de</strong>s Arbeitsmarktes. Bei<strong>de</strong>s hat dazu geführt, dass<br />

die Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r, die aus Altersgrün<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Arbeit ausgeschie<strong>de</strong>n<br />

sind, einen zunehmen<strong>de</strong>n Anteil in <strong>de</strong>r Mitgliedschaft eingenommen haben. Verstärkt<br />

wur<strong>de</strong> diese Entwicklung durch die Rekrutierungsschwierigkeiten in <strong>de</strong>n<br />

jüngeren Altersgruppen. Die Seniorenarbeit zielt zunächst darauf, die Älteren als<br />

75 Die Kritik vor allem gewerkschaftlicher Vertreter am staatlich geför<strong>de</strong>rten bürgerschaftlichen<br />

Engagement, von <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Fallstudie Stuttgart berichtet wird (vgl. Kap. 3), bezieht sich auf diesen<br />

Zusammenhang.


­ 155 ­<br />

Mitglie<strong>de</strong>r zu behalten. Hinzu kommt aber auch eine stärkere Aktivitätsorientierung<br />

<strong>de</strong>r Älteren selbst. Mit <strong>de</strong>r traditionellen „Betreuung“geben sie sich nicht<br />

mehr zufrie<strong>de</strong>n. Ein Problem für die Seniorenarbeit stellt die Heterogenität <strong>de</strong>r<br />

Zielgruppe dar: Altersrentenempfänger, Frührentner / „Vorruheständler“und ältere<br />

Arbeitslose. Ihre Interessen unterschei<strong>de</strong>n sich, ebenso das Erleben <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Lebenslage. Überlappungen mit an<strong>de</strong>ren Formen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements,<br />

z.B. in <strong>de</strong>r Arbeitslosenarbeit, ergeben sich aus diesem Grund zwangsläufig.<br />

Der Anteil <strong>de</strong>r Senioren unter <strong>de</strong>n Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r hat bereits zu<br />

Beginn <strong>de</strong>r 90er Jahre <strong>de</strong>utlich zugenommen und ist bis heute weiter gestiegen.<br />

In <strong>de</strong>n drei großen Gewerkschaften – ver.di, IG Metall und IG BCE – lauten die<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Daten für das Jahr 2002 folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />

Mitglie<strong>de</strong>r<br />

insgesamt<br />

Gewerkschaftssenioren<br />

(Rentner)<br />

IG Metall<br />

2.651.435 546.925 20,6%<br />

IG BCE 836.500 230.996 27,6%<br />

Ver.di 2.737.927 456.845 16,7%<br />

Die Senioren sind damit in diesen Gewerkschaften jeweils die zweitgrößte<br />

Mitglie<strong>de</strong>rgruppe. Die schwächste Gruppe sind dagegen die jüngeren: bei ver.di<br />

beträgt <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r unter 28jährigen 5,4%.<br />

Abbildung<br />

Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>r und Seniorenanteil En<strong>de</strong> 1989 (nur alte Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r) und En<strong>de</strong><br />

1991 (einschließlich neue Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r) (Quelle: Wolf et al. 1994: 33)<br />

En<strong>de</strong> 1989 En<strong>de</strong> 1991<br />

Mitglie<strong>de</strong>r Gewerkschaftssenioren Mitglie<strong>de</strong>r Gewerkschaftssenioren<br />

Gewerkschaft insgesamt abs. % insgesamt abs. %<br />

<br />

Le<strong>de</strong>r 44.583 2.450 5.4 41.783 3.311 7.9<br />

HBV 407.326 22.710** 5.6 737.075 32.784 4.4<br />

GEW 188.910* 11.231** 5.9 359.852 12.677 3.5<br />

IG Medien 182.150 12.350 6.8 244.774 18.414 7.5<br />

GHK 149.098 11.483 7.7 238.658 17.100 7.2<br />

GTB 250.783 32.862 13.1 348.095 41.166 11.8<br />

IG CPK 664.618 88.990 13.4 817.311 105.000 12.9<br />

ÖTV 1234.546 171.119 13.9 2138.317 206.905 9.7<br />

NGG 271.291 41.345 15.2 431.211 42.584 9.9<br />

DPG 472.145 73.831 15.6 611.969 96.099 15.7<br />

IGM 2679.237 442.227 16.5 3625.428 499.151 13.8<br />

GGLF 43.817 7.321 16.7 134.980 10.850 8.0<br />

IG BSE 460.559 92.143** 20.0 776.781 108.187 13.9<br />

GdP 161.310 33.600 20.8 200.997 36.746 18.3<br />

GdED 319.641 110.700 34.6 527.478 162.948 30.9<br />

IG BE 331.106 136.006 41.1 506.640 161.973 32.0<br />

DGB gesamt 7861.120 1290.368 16.4 11741.349 1555.945 13.3<br />

<br />

Quellen: Angaben <strong>de</strong>r Einzelgewerkschaften, eigene Berechnungen; *: StBA (1990: 634); **: iwd<br />

(1990: 1)


­ 156 ­<br />

Nicht berücksichtigt sind in diesen Daten die älteren Erwerbslosen, Frührentner<br />

und Vorruheständler. Sie wür<strong>de</strong>n die entsprechen<strong>de</strong>n Anteile noch <strong>de</strong>utlich<br />

erhöhen. Ältere Erwerblose sind in <strong>de</strong>r Regel Langzeitarbeitslose. So waren<br />

am 30. September 2000 1,6 Millionen von insgesamt 3,7 Millionen Arbeitslosen im<br />

Alter von 45 bis 65 Jahren. Unter <strong>de</strong>n 56­ bis 65jährigen waren 38% zwei Jahre<br />

und länger arbeitslos gemel<strong>de</strong>t (gegenüber 18,7% unter allen Arbeitslosen). Aber<br />

auch ohne <strong>de</strong>n Weg über die Arbeitslosigkeit schei<strong>de</strong>n Ältere relativ früh aus <strong>de</strong>m<br />

Erwerbsleben aus. Nur je<strong>de</strong>r Fünfte in <strong>de</strong>r Altersgruppe <strong>de</strong>r 60­ bis 64­Jährigen ist<br />

noch erwerbstätig. Nicht zuletzt aus gesundheitlichen Grün<strong>de</strong>n schei<strong>de</strong>n viele vor<br />

Erreichen <strong>de</strong>r gesetzlichen Altersgrenze aus <strong>de</strong>m Berufsleben aus, vor allem im<br />

Baugewerbe. Die Seniorenarbeit liegt damit an <strong>de</strong>r Grenze zur Erwerbslosenarbeit,<br />

die ebenfalls überwiegend von Ehrenamtlichen getragen wird. Diese Engagierten<br />

gehören vielfach jedoch nicht selbst zu <strong>de</strong>n Arbeitslosen, son<strong>de</strong>rn rekrutieren<br />

sich beispielsweise aus <strong>de</strong>r Senioren­ und Wohngebietsarbeit (vgl. Kap. 3).<br />

Prinzipiell kann gewerkschaftliche Alterspolitik drei Formen annehmen: Politik<br />

für die Älteren, Politik von Älteren und schließlich Politik von Älteren für Ältere.<br />

Die erste Alternative benennt das traditionelle Konzept <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong>n Interessenwahrnehmung<br />

und umfasst zum Beispiel die Beteiligung <strong>de</strong>r Gewerkschaften<br />

in <strong>de</strong>n Selbstverwaltungsorganen <strong>de</strong>r Sozialversicherung. Die zweite Alternative<br />

ist auch nicht neu. Ältere Gewerkschaftsfunktionäre fin<strong>de</strong>n sich in zahlreichen<br />

Positionen und Funktionen. Es geht dabei um <strong>de</strong>n Einfluss Älterer in Entscheidungsprozessen,<br />

die nicht unbedingt altersspezifisch ausgerichtet sein müssen.<br />

Die dritte Alternative, welche die Seniorenarbeit als neuartiges Tätigkeitsfeld umschreibt,<br />

zielt dagegen auf die Selbstorganisation <strong>de</strong>r Älteren und die Vertretung<br />

ihrer gruppenspezifischen Interessen innerhalb <strong>de</strong>r Organisation. Gewerkschaftliche<br />

Alterspolitik auf dieser Ebene be<strong>de</strong>utet etwas grundlegend an<strong>de</strong>res als die<br />

traditionelle erste Ebene: Mit ihr wechselt sowohl das Netz relevanter Akteure als<br />

auch die Arena politischer Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen. Die Älteren treten als Akteure<br />

in eigener Sache auf und wer<strong>de</strong>n in die Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen<br />

<strong>de</strong>r Organisation einbezogen. Dies steckt hinter <strong>de</strong>r Feststellung, dass Alterspolitik<br />

neuartige Anfor<strong>de</strong>rungen an die Gewerkschaften stelle und ist sicherlich ein<br />

Grund für die Hemmnisse, die einer entsprechen<strong>de</strong>n Beteiligung <strong>de</strong>r Älteren am<br />

Gewerkschaftsleben entgegenstehen.<br />

Betrachtet man das tatsächliche Aktivitätsspektrum <strong>de</strong>r Seniorenarbeit,<br />

kann man feststellen, dass es sich bei <strong>de</strong>n aktiv ehrenamtlich Engagierten häufig<br />

um gewerkschaftliche Funktionsträger sind, die sich beim Übergang in <strong>de</strong>n Ruhestand<br />

ein neues Tätigkeitsfeld erschließen. Im Vor<strong>de</strong>rgrund steht <strong>de</strong>r Wunsch<br />

nach Aufrechterhaltung <strong>de</strong>s Engagements, das bereits vorher bestan<strong>de</strong>n hat. So<br />

ist das vorrangige Ziel <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Seniorenarbeit die Nutzung <strong>de</strong>r<br />

Erfahrungen und die soziale Integration in die Gemeinschaft <strong>de</strong>r Gewerkschaftssenioren.<br />

Überwiegend han<strong>de</strong>lt es sich bei <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Seniorenarbeit<br />

um Angebote zur Fortsetzung einer bereits vorher bestehen<strong>de</strong>n Mitarbeit. Die<br />

Formen, in <strong>de</strong>nen diese Aktivitäten organisiert sind, erstrecken sich von informellen<br />

und eher zufälligen Zusammenkünften in kleinen Gewerkschaften bzw. Verwaltungsstellen<br />

– die nicht selten das Fehlen von seniorenpolitischen "Aktivisten"<br />

beklagen –, über einzelne Verantwortliche, die von <strong>de</strong>r Verwaltungsstellenleitung<br />

"ernannt" o<strong>de</strong>r kooptiert wer<strong>de</strong>n, bis hin zu gewählten, regelmäßig tagen<strong>de</strong>n Seniorengruppen<br />

mit eigenem Vorstand. In größeren Städten können auch mehrere


­ 157 ­<br />

Seniorenarbeitskreise etwa in Stadtbezirken o<strong>de</strong>r Ortsnebenstellen mit jeweils<br />

eigenem Programm und eigenen Vorstän<strong>de</strong>n bestehen, <strong>de</strong>ren Vorsitzen<strong>de</strong> dann<br />

<strong>de</strong>n zentralen Seniorenarbeitskreis <strong>de</strong>r Verwaltungsstelle bil<strong>de</strong>n.<br />

Neuartige Initiativen, beispielsweise <strong>de</strong>r IG Metall, bei <strong>de</strong>r die Senioren die<br />

tragen<strong>de</strong>n Akteure bei <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r “außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit“darstellen<br />

und ohne die die Wohngebietsarbeit nicht existieren könnte, sind<br />

noch selten. Mit <strong>de</strong>n „B­Teams“engagieren sich <strong>hier</strong> Senioren auch im Schnittfeld<br />

zwischen <strong>de</strong>r betrieblichen und außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit. Mit <strong>de</strong>r<br />

För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s dieses Engagements, bei <strong>de</strong>m Senioren in einzelnen Bezirken die<br />

Aufgabe <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rwerbung und ­betreuung in Kleinbetrieben übernommen<br />

haben, macht sich die Gewerkschaft die Organisationserfahrungen <strong>de</strong>r Älteren<br />

direkt zunutze.<br />

Mit <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>s selbst formulierten Anspruchs, eine Lobby für die<br />

Älteren zu bil<strong>de</strong>n und die Älteren bei <strong>de</strong>r Vertretung ihrer Interessen selbst einzubeziehen,<br />

tun sich die Gewerkschaften dagegen schwerer. Die Zentrierung ihrer<br />

Politik auf die Erwerbsarbeit dürfte <strong>hier</strong>für die wichtigste Hür<strong>de</strong> darstellen. Auch<br />

die einzelgewerkschaftliche Organisationsform könnte bei <strong>de</strong>n Älteren an ihre<br />

Grenzen stoßen. Zwar ist die biographisch gewachsene Zugehörigkeit ein wichtiges<br />

Motiv, um die Mitgliedschaft aufrecht zu erhalten; geht es aber um die Formulierung<br />

und Vertretung <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>r Älteren, ist es fraglich, ob die (ehemalige)<br />

Branchenzugehörigkeit ein sinnvolles Kriterium darstellt. Wenn sich die Interessen<br />

<strong>de</strong>r Senioren aber auf allgemeinere und branchenübergreifen<strong>de</strong> Themen<br />

beziehen, müsste zumin<strong>de</strong>st darüber nachgedacht wer<strong>de</strong>n, ob nicht <strong>de</strong>r DGB die<br />

organisatorische Basis für die Senioren bereitstellen sollte. Überlegungen in dieser<br />

Richtung sind bereits formuliert wor<strong>de</strong>n (vgl. Wolf 1994, S. 393 ff.), und es<br />

wäre sicherlich sinnvoll, sie weiterzuentwickeln und auf ihre Umsetzungsmöglichkeiten<br />

hin zu überprüfen.<br />

5.4 Sample und Feldzugang<br />

Kirstin Bromberg<br />

Untersuchungsgegenstand <strong>de</strong>r Studie waren innovative außerbetrieblich<br />

angesie<strong>de</strong>lte gewerkschaftliche Ehrenamtsprojekte und –zusammenhänge, <strong>de</strong>ren<br />

Adressaten nicht primär als Arbeitnehmer angesprochen wer<strong>de</strong>n. Als solche gelten<br />

neben <strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r Erwerbslosen auch die Gruppe <strong>de</strong>r Senioren, welche<br />

sich aus Rentnern und Vor­Ruheständlern (darunter die sogenannten „Sozialpläner“)<br />

zusammensetzt. 76 Diesen ist gemeinsam, dass die Phase ihrer Erwerbstätigkeit<br />

bereits (planmäßig o<strong>de</strong>r unplanmäßig) been<strong>de</strong>t ist, sie somit aus betrieblichen<br />

Zusammenhängen herausfallen und über diesen Weg nicht mehr erreichbar<br />

sind. Die gewerkschaftliche Seniorenarbeit gehört sicher nicht zu <strong>de</strong>n neuesten<br />

innovativen Ansätzen ehrenamtlicher Gewerkschaftsarbeit, vielmehr fällt sie in<br />

das Handlungsfeld <strong>de</strong>s „traditionellen“außerbetrieblichen Engagements (vgl. Kap.<br />

6.2).<br />

Aus <strong>de</strong>n oben geschil<strong>de</strong>rten Grün<strong>de</strong>n gewinnt die Seniorenarbeit allerdings<br />

zunehmend mehr Be<strong>de</strong>utung für die allgemeine Seniorenpolitik <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik,<br />

aber auch im speziellen für die Gewerkschaften als Ressource ehrenamtli­<br />

76 vgl. Mitglie<strong>de</strong>rstatistiken <strong>de</strong>r Einzelgewerkschaften IGM, IG BCE, verdi, IG BAU


­ 158 ­<br />

chen Engagements. Insofern zählen die Senioren zu <strong>de</strong>n im engeren Sinn fokussierten<br />

Untersuchungsgruppen <strong>de</strong>s Forschungsprojektes, wobei es <strong>hier</strong> darauf<br />

ankam, innovative Ansätze aufzufin<strong>de</strong>n und diese auf ihr verallgemeinerungsfähiges<br />

Potential hinsichtlich gelungener Ehrenamtlichkeit zu untersuchen.<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r beschriebenen konzeptionellen Überlegungen war das<br />

„Östliche Ruhrgebiet“interessant, welches eine hohe Dichte an ehrenamtlichen<br />

Aktivitäten – nicht nur im Bereich <strong>de</strong>r Senioren – aufweist. Diese stellt gleichzeitig<br />

die umfangreichste Fallstudie dieses Untersuchungsfel<strong>de</strong>s dar und fungierte als<br />

weitere Basis für sich anschließen<strong>de</strong> Erhebungen insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n Neuen<br />

Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn, was mit <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Sample­Tabelle veranschaulicht wird.<br />

Sample Seniorenarbeit<br />

Äußere Kategorisierung nach ‚innovativen‘außerbetrieblichen Projekten<br />

ehrenamtlichen Engagements in <strong>de</strong>n Alten und Neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

NBL<br />

ABL<br />

Experteninterviews mit Hauptamtlichen bei IGM, IG BCE, ver.di, DGB<br />

Telefonintervies mit Hauptamtlichen: ver.di Spielwerkstatt<br />

Rudolstadt,<br />

Einzelinterview mit Ehrenamtlicher: LAG „Aktiv im (Vor)<br />

Verein „Eine Welt Projekt Düsseldorf“,<br />

Jugendprojekt IGM „Xolelanani“<br />

Ruhestand“Sachsen­Anhalt e.V.<br />

Experteninterview mit Hauptamtlicher: Arbeitslosenprojekt<br />

„Menschen für Menschen“Kreis Teltow­Fläming<br />

Gruppendiskussion mit Ehrenamtlichen, teilnehmen<strong>de</strong><br />

Beobachtung, Einzelinterviews mit Ehrenamtlichen,<br />

biographische Interviews, Dokumentenanalyse :<br />

Fallstudie:DGB Ueckerrando<br />

ZWAR­Zentralstelle Dortmund<br />

BASTA­Stadtteilmanagment­Büro Dortmund<br />

Fallstudie IGM Jugendprojekt „Xolelanani“<br />

Fallstudie „Östliches Ruhrgebiet“<br />

AGE­Agentur für gesellschaftliches Engagement<br />

Hamm, ZWAR­Gruppe Hamm „Intergeneratives<br />

Internetprojekt“, Seniorenbeirat Dortmund, Kollektives<br />

Experteninterview bei Arbeit und Leben Düsseldor,<br />

Stadtteilgruppen IGM Dortmund, Senioren AK<br />

Dortmund, DGB Lünen, GEBIKO Unna<br />

Gruppendiskussion mit Ehrenamtlichen:<br />

Erwerblose Bad Orb<br />

Telefonisches Experteninterview mit Hauptamtlichem :<br />

Eine wichtige Grundlage für die Fallauswahl im gewerkschaftlichen Bereich<br />

waren die Befragungsergebnisse zu Inhalt, Ausmaß und Verteilung ehrenamtlichen<br />

Engagements in <strong>de</strong>n vier Einzelgewerkschaften IGM, IG Bau, IG BCE und<br />

ver.di (vgl. Kap. 2). In die Auswertung sind alle Angaben in <strong>de</strong>n Fragebögen berücksichtigt<br />

wor<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen ein spezielles Projekt o<strong>de</strong>r Arbeitskreis <strong>de</strong>m Bereich<br />

Seniorenarbeit zugeordnet wur<strong>de</strong> benannt wur<strong>de</strong>n.<br />

Die Erhebungen für diesen Untersuchungsteil umfassen folgen<strong>de</strong> Interviews<br />

und Gruppendiskussionen:<br />

• 18 Experteninterviews (davon: 5 telefonische Interviews und 3<br />

Gruppeninterviews)<br />

• 1 Einzelinterview mit Ehrenamtlichen<br />

• 3 biographische Einzelinterviews mit Ehrenamtlichen<br />

• 8 Gruppendiskussionen mit Ehrenamtlichen


­ 159 ­<br />

Ergebnisse aus <strong>de</strong>r schriftlichen Befragung<br />

Die Auswertung <strong>de</strong>r offenen Fragen aus <strong>de</strong>r schriftlichen Befragung sowie<br />

die systematische Auflistung <strong>de</strong>r genannten Projekte ergab eine umfangreiche<br />

Tabelle 77 , die Aufschluss über die regionale Verteilung ehrenamtlicher außerbetrieblicher<br />

und innerbetrieblicher Arbeitskreise und Projekte gibt. Sie umfasst die<br />

Tätigkeitsfel<strong>de</strong>r, die Inhalte, Ziele und Laufzeit sowie Vermerke zu geplanten bzw.<br />

gescheiterten Projekten außerbetrieblichen Engagements und ggf. die Ursachen<br />

<strong>de</strong>s Scheiterns. Darüber hinaus wur<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n Fragebögen festgehaltene Randnotizen,<br />

Kommentare und <strong>de</strong>r Inhalt <strong>de</strong>r offenen Fragen festgehalten und in Verbindung<br />

mit <strong>de</strong>n qualitativen Daten <strong>de</strong>r Interviews in die Auswertung einbezogen.<br />

Im Hinblick auf die gewerkschaftliche Seniorenarbeit geben die Fragebögen<br />

Aufschluss über die Form <strong>de</strong>r jeweiligen Seniorenarbeit. Hierbei wer<strong>de</strong>n am<br />

häufigsten die Seniorenarbeitskreise genannt, seltener Seniorentreffs o<strong>de</strong>r –clubs<br />

und Stammtische. Vereinzelt wer<strong>de</strong>n Formen wie „übergreifen<strong>de</strong> Seniorenarbeit“,<br />

„außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit und Seniorenarbeit“o<strong>de</strong>r auch „Projektgruppe<br />

im AK Senioren“angegeben. Das Themenspektrum reicht von explizit so<br />

benannter politisch­motivierter Arbeit, Mitglie<strong>de</strong>r(rück)gewinnung über die Stärkung<br />

<strong>de</strong>s Zusammengehörigkeitsgefühls, Durchführung von Informationsveranstaltungen<br />

bis zu kreativen und geselligen Kreisen.<br />

Bei genauerer Betrachtung <strong>de</strong>r Antworten wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass die in <strong>de</strong>n<br />

Fragebögen aufgeführten Kontexte gewerkschaftlicher Seniorenarbeit sich im wesentlichen<br />

in <strong>de</strong>n traditionellen Seniorenarbeitskreisen erschöpfen. Im Zentrum<br />

ihrer Tätigkeiten steht die Pflege <strong>de</strong>r Bindungsgefühle <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r an „ihre Gewerkschaft“und<br />

sind gut frequentiert. Gegenüber diesen traditionell anmuten<strong>de</strong>n<br />

Formen <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rbetreuung fin<strong>de</strong>n sich innovative Formen <strong>de</strong>r Seniorenarbeit<br />

vor allem im Kontext <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit. Diese ist häufiger in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

vorfindbar, was sich mit <strong>de</strong>r seit 1990 massiv einsetzen<strong>de</strong>n Schließung<br />

<strong>de</strong>r DDR­Betriebe erklären lässt, die schlagartig viele Menschen vorzeitig<br />

und zumeist unfreiwillig in <strong>de</strong>n Vor­Ruhestand versetzte. Somit ergab sich in <strong>de</strong>n<br />

neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn im Gegensatz zu <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn, wo sich dieser<br />

De­Industrialisierungsprozess bis heute schleichend abspielt, die Notwendigkeit,<br />

bislang innerbetrieblich angesie<strong>de</strong>lte Strategien <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rgewinnung und –<br />

betreuung auf <strong>de</strong>n außerbetrieblichen Bereich zu verlagern und somit quasi eine<br />

„Vorreiter­Rolle“im Bereich <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit – z.T. recht erfolgreich – einzunehmen.<br />

Die empirischen Ergebnisse zur Seniorenarbeit wer<strong>de</strong>n im folgen<strong>de</strong>n in<br />

fallbezogenen Darstellungen exemplarisch unter individueller und institutioneller<br />

Perspektive dargestellt. Die aus <strong>de</strong>m Datenmaterial gewonnenen Aussagen lassen<br />

sich in eine inhaltliche und eine strukturelle Dimension fassen. Die exemplarischen<br />

Falldarstellungen erörtern insofern neben <strong>de</strong>n Inhalten und Zielen <strong>de</strong>r ehrenamtlichen<br />

Arbeit individuelle Motivationen und institutionelle Anreize für ehrenamtliches<br />

Engagement. 78<br />

77 Siehe Anhang.<br />

78 Die folgen<strong>de</strong> Darstellung ist strikt ergebnisbezogen, d.h. dass die methodische Produktion <strong>de</strong>r<br />

Aussagen zugunsten einer strukturellen Beschreibung geringer gewichtet wird.


­ 160 ­<br />

Die Fälle <strong>de</strong>r Seniorenarbeit wer<strong>de</strong>n anhand eines traditionellen Beispiels<br />

und eines mo<strong>de</strong>rnen Kontrastfalles dargestellt. Das dritte Fallbeispiel wur<strong>de</strong> als<br />

ein weiterer Kontrastfall aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Jugendarbeit<br />

ausgewählt. Es ist thematisch <strong>de</strong>nnoch nicht fehl am Platz (obwohl es als Ergänzung<br />

zum Kapitel 4 zur Jugendarbeit gelesen wer<strong>de</strong>n kann), weil es die anschließen<strong>de</strong><br />

Verallgemeinerung vervollständigt und plausibilisiert.<br />

5.5 Die Fallstudie „östliches Ruhrgebiet“<br />

5.5.1 Die IG­Metall Stadtteilgruppen in Dortmund<br />

Der folgen<strong>de</strong> Fall wur<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re wegen seines traditionellen Charakters<br />

ehrenamtlichen Engagements als Beispiel für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Seniorenarbeit<br />

ausgewählt. Er dient im Rahmen einer größeren Gruppierung empirischer Fälle<br />

als typisches Beispiel, an <strong>de</strong>m vor allem die <strong>de</strong>n Fällen gemeinsame Merkmalsausprägung<br />

ver<strong>de</strong>utlicht wer<strong>de</strong>n kann, auch wenn fallvergleichen<strong>de</strong> Analysen<br />

neben diesen Gemeinsamkeiten auch Unterschie<strong>de</strong> ergeben haben.<br />

Obwohl die Gewerkschaftsstrukturen in Deutschland bis 1933 nach <strong>de</strong>m<br />

Wohnortprinzip organisiert waren, knüpften nur wenige Verwaltungsstellen <strong>de</strong>r IG<br />

Metall an dieses Strukturmuster an (Hielscher 1999: 11).79 Die fortschreiten<strong>de</strong><br />

Separation <strong>de</strong>r Arbeitswelt aus <strong>de</strong>r Lebenswelt und die parallel <strong>hier</strong>zu wachsen<strong>de</strong><br />

Konzentration <strong>de</strong>r Gewerkschaftspolitik auf die Erwerbsinteressen ihrer Mitglie<strong>de</strong>r<br />

stellt lediglich eine Facette in <strong>de</strong>m mehrdimensionalen Prozess dar, <strong>de</strong>r zum<br />

Phänomen eines zunehmend gelockerten Bindungsverhältnisses <strong>de</strong>r Gewerkschaften<br />

und ihrer Mitglie<strong>de</strong>r führte. Diese Situation stellt einen beson<strong>de</strong>ren Verlust<br />

für die einstmals durch Kultur­ und Freizeitaktivitäten geprägte Alltagskultur<br />

<strong>de</strong>r Arbeitnehmerschaft dar. Dieser kollektiv von <strong>de</strong>n älteren Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>rn<br />

erfahrene Verän<strong>de</strong>rungsprozeß spielt im Kontext <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements von Gewerkschaftssenioren eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle.<br />

Niemeyer (1988: 53 ff.) bezeichnet die Verwaltungsstelle Dortmund als<br />

letzte mit einer so weitreichen<strong>de</strong>n Wohnbezirksorganisation in <strong>de</strong>r BRD und verbin<strong>de</strong>t<br />

mit dieser die Chance zu einer <strong>de</strong>zentralisierten und <strong>de</strong>mokratischen Basisorganisation.<br />

Die außerbetriebliche Organisationsstruktur <strong>de</strong>r Stadtteilgruppen<br />

in Dortmund nimmt somit in <strong>de</strong>r IG Metall einen beson<strong>de</strong>ren Status ein.<br />

Die Mitglie<strong>de</strong>r im Bereich <strong>de</strong>r Verwaltungsstelle Dortmund80 sind entsprechend<br />

ihrem Wohnort in <strong>de</strong>rzeit 19 Stadtteilgruppen zusammengefasst. In diesen<br />

wer<strong>de</strong>n die Vertreter für das beschlussfassen<strong>de</strong> Organ <strong>de</strong>r Verwaltungsstelle –<br />

<strong>de</strong>r Vertreterversammlung – gewählt.81 Die Stadtteilgruppen wer<strong>de</strong>n mit ca. 75 %<br />

79 Die IG BCE stellt diesbezüglich eine Ausnahme dar, da sie als einzige Einzelgewerkschaft das<br />

Strukturprinzip <strong>de</strong>r Ortsgruppen wie<strong>de</strong>r aufgenommen hat.<br />

80 Die Stadtteilgruppen sind von männlichen Mitglie<strong>de</strong>rn dominiert, weibliche fin<strong>de</strong>n sich nur vereinzelt.<br />

Dieses Erscheinungsbild stellt sich allerdings im Kontext einer ohnehin vorwiegend männlichen<br />

Mitgliedschaft <strong>de</strong>r IGM lediglich eine strukturelle Fortsetzung und keine lokale Beson<strong>de</strong>rheit<br />

dar. Für die Verwaltungsstelle Dortmund wer<strong>de</strong>n insgesamt 12% weibliche Mitglie<strong>de</strong>r angegeben.<br />

In einer einzigen Stadteilgruppe ist eine überproportionale Teilnahme weiblicher Mitglie<strong>de</strong>r festzustellen.<br />

81 Die Vertreterversammlung wie<strong>de</strong>rum wählt die Ortsverwaltung, welche als Vorstand <strong>de</strong>r Verwaltungsstelle<br />

fungiert. Im Rahmen <strong>de</strong>r kürzlich vorgenommenen Satzungsän<strong>de</strong>rung wur<strong>de</strong>n Mandate<br />

für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Jugend, <strong>de</strong>r Frauen und <strong>de</strong>s Handwerks beschlossen. Die verbleiben<strong>de</strong>n


­ 161 ­<br />

von Rentnern und Vorruheständlern dominiert und nur ungefähr 25 % sind erwerbstätige<br />

Mitglie<strong>de</strong>r.82 Diese Zusammensetzung führt zu einem sehr hohen<br />

Altersdurchschnitt, <strong>de</strong>r über 60 Jahre liegt. Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Stadtteilgruppen, die<br />

jeweils eine ehrenamtliche Stadtteilgruppen­Leitung83 aus ihren Reihen wählen,<br />

treffen sich in <strong>de</strong>r Regel einmal monatlich zu meist informativen Bildungsveranstaltungen<br />

in einem im Stadtteil angemieteten Lokal.84 Eine thematische Analyse<br />

<strong>de</strong>r stadtteilbezogenen Mitglie<strong>de</strong>rversammlungen ergab einen <strong>de</strong>utlichen<br />

Schwerpunkt bei sozialpolitischen und gewerkschaftspolitischen Themen. So waren<br />

für die Mitglie<strong>de</strong>rversammlungen beispielsweise Informationen zur Rentenreform,<br />

zur Rentenversicherung, zu Leistungen <strong>de</strong>r Krankenkassen, zur Einführung<br />

<strong>de</strong>s Euros sowie zur Altersvorsorge von Interesse. Bei <strong>de</strong>n gewerkschaftspolitischen<br />

Themen dominierte das Betriebsverfassungsgesetz, die Zukunfts<strong>de</strong>batte<br />

<strong>de</strong>r IG Metall und die Tarifpolitik. Gelegentlich fin<strong>de</strong>n Veranstaltungen zur Strukturpolitik<br />

im Stadtteil statt, in <strong>de</strong>nen die Infrastruktur und Arbeitsplatzsituation sowie<br />

die allgemeine Lebensqualität im Stadtteil Gegenstand <strong>de</strong>r Versammlungen<br />

sind. Einige Veranstaltungen fan<strong>de</strong>n zu gesellschaftspolitischen Themen wie beispielsweise<br />

zum Rechtsextremismus statt. Darüber hinaus wer<strong>de</strong>n aktuelle Themen<br />

und Entwicklungen aus <strong>de</strong>n Betrieben aufgegriffen o<strong>de</strong>r auch historische<br />

Perspektiven wie die zur „Unternehmensgeschichte von Hoesch“eingenommen.<br />

Kultur und Freizeit spielt lediglich im Rahmen <strong>de</strong>r Veranstaltungen zum Jahresausklang<br />

ein Rolle.<br />

Das ehrenamtliche Aktivitätsniveau zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Stadtteilgruppen<br />

ist stark schwankend, wobei sie strukturell betrachtet im Vergleich zur betriebsbezogenen<br />

Mitglie<strong>de</strong>rorganisation <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Vorteil einer quantitativ<br />

hohen Mobilisierung von Mitglie<strong>de</strong>rn zur Herstellung einer größeren Öffentlichkeit<br />

bieten (vgl. Niemeyer 1988: 58f).<br />

Dennoch sind die Stadtteilgruppen faktisch Seniorengruppen traditioneller<br />

Prägung. In ihnen stellt die gewerkschaftssozialisatorische Habitualisierung eine<br />

bis ins höhere Alter aufrechterhaltene, prägen<strong>de</strong> Kraft für das Engagement dar.<br />

Dies kommt im Rahmen von biographischen Erzählungen ehrenamtlicher Akteure<br />

zum Ausdruck, welche gleichzeitig die ausgeprägte Kontinuität ihres Engagements<br />

<strong>de</strong>utlich machen: sie haben das „gewerkschaftlich tätig sein schon über die<br />

Muttermilch mitbekommen“. Die Engagierten teilen kollektive Erfahrungen wie die<br />

<strong>de</strong>s 2. Weltkrieges, <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>raufbau <strong>de</strong>r Industrie in West<strong>de</strong>utschland und die<br />

damit für sie verbun<strong>de</strong>nen Möglichkeiten kollektiv vor allem über <strong>de</strong>n Alltagsbezug<br />

gewerkschaftlicher Politik, welcher Betriebliches und Außerbetriebliches vereinte,<br />

gebun<strong>de</strong>n zu wer<strong>de</strong>n. Hierbei spielte nach Meinung <strong>de</strong>r ehrenamtlichen Akteure,<br />

die ausnahmslos bereits im Betrieb gewerkschaftspolitisch engagiert waren, zum<br />

Beispiel <strong>de</strong>r Gewerkschaftsunterricht in <strong>de</strong>n Großbetrieben eine wichtige Rolle. In<br />

<strong>de</strong>n Gruppendiskussionen unterschei<strong>de</strong>n die Beteiligten die „Lehre früher“stark<br />

von <strong>de</strong>r „Lehre heute“, was mit <strong>de</strong>r sukzessive abgebauten För<strong>de</strong>rung politischen<br />

Bewusstseins durch die Organisation Gewerkschaft in Verbindung gebracht wird.<br />

Mandate wer<strong>de</strong>n innerhalb <strong>de</strong>r Stadtteilgruppen gewählt und besetzt.<br />

82 Biographisches Einzelinterview mit Herrn Kraft vom 14.05.02<br />

83 Diese besteht aus Stadtteilgruppenleiter, Stellvertreter und Schriftführer (vgl. Niemeyer, 1988,<br />

58).<br />

84 Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich überwiegend um Gaststätten, aber auch AWO­Räumlichkeiten, Bürgerhaus<br />

und Räumlichkeiten in Gartenanlagen wer<strong>de</strong>n für die Treffen genutzt.


­ 162 ­<br />

Das Fehlen „[...] dieses Vorbereitens auch auf ein gesellschaftliches Leben nicht<br />

nur auf <strong>de</strong>n Beruf, dass ich ne Schraube andrehen kann“wird als großer Verlust<br />

im Kontext <strong>de</strong>r gewerkschaftspolitischen Habitualisierung empfun<strong>de</strong>n und führt zu<br />

immer geringeren Rekrutierungsmöglichkeiten. Zu<strong>de</strong>m wird herausgestellt, dass<br />

das Gewerkschaftspolitische früher in Gesellschaftspolitischem aufgegangen sei<br />

– das „politische Bewusstsein als Mensch dieser Gesellschaft“selbstverständlich<br />

gewesen sei, Beruf und Freizeit zusammengehörten und zu Sinnstiftung und Persönlichkeitsbildung<br />

geführt hätten. Auf diesem Hintergrund schwin<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Beschreibung<br />

<strong>de</strong>r Ehrenamtlichen sowohl die betrieblichen als auch die außerbetrieblichen<br />

Gelegenheitstrukturen für ein gesellschaftspolitisches Engagement.<br />

Dass Betriebliches und Außerbetriebliches für die Befragten in einem dialektischen<br />

Verhältnis stehen, kann auch empirisch nachgewiesen wer<strong>de</strong>n. Der Anstoß<br />

zum ehrenamtliches Engagement wur<strong>de</strong> bei ihnen in <strong>de</strong>r Regel im Betrieb entwickelt<br />

und in <strong>de</strong>n außerbetrieblichen Bereich aufgrund eines generativen o<strong>de</strong>r eines<br />

ökonomischen Statuspassagenwechsels transformiert. Diese Verflechtung<br />

kommt in <strong>de</strong>r homogenen Gruppe <strong>de</strong>r Senioren in <strong>de</strong>n Stadtteilgruppen auch im<br />

Bezug auf innerbetriebliche Entwicklungen zum Ausdruck. Auf <strong>de</strong>r kollektiven Be<strong>de</strong>utungsebene<br />

wird gesellschaftspolitisches Engagement eher <strong>de</strong>m außerbetrieblichen<br />

Bereich, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n ehrenamtlichen Akteuren enger an <strong>de</strong>n individuellen<br />

Bedürfnissen verortet wird, und gewerkschaftspolitisches Engagement mehr<br />

<strong>de</strong>m innerbetrieblichen Bereich – <strong>de</strong>r <strong>gesamten</strong> Arbeitnehmerschaft – zugeordnet.<br />

Unter gesellschaftspolitischem Engagement wird im Verständnis <strong>de</strong>r Stadtteilgruppen­Engagierten<br />

insbeson<strong>de</strong>re das Aufgreifen von Themen verstan<strong>de</strong>n,<br />

„die die Leute vor Ort beschäftigen“, insbeson<strong>de</strong>re die stadtteilbezogene Kommunalpolitik.<br />

In diesem Zusammenhang wer<strong>de</strong>n Beispiele wie das Organisieren von<br />

Wi<strong>de</strong>rstand gegen die geplante Abschaffung einer Straßenbahnlinie o<strong>de</strong>r Informationsveranstaltungen<br />

zu Mobilfunkantennen im Stadtteil genannt. Im Jahr 2002<br />

fan<strong>de</strong>n beispielsweise zahlreiche Diskussionsveranstaltungen zur Zukunft <strong>de</strong>r<br />

Stadtteilgruppen statt, die aus <strong>de</strong>r Frustration über die mangeln<strong>de</strong> Resonanz bei<br />

jüngeren Stadtteilbewohner resultierten. Die Ergebnisse beschränkten sich jedoch<br />

auf Überlegungen zur Zusammenlegung von Gruppen. 85<br />

Die beschriebenen empirischen Ergebnisse zuammenfassend, lassen sich<br />

die Stadtteilgruppen als beson<strong>de</strong>rs homogene, hoch institutionalisierte und familialisierte<br />

Gruppe von Ehrenamtlichen beschreiben. Die Akteure – selbst Bewohner<br />

<strong>de</strong>s jeweiligen Stadtteils – sind kontinuierlich langjährig ehrenamtlich engagiert.<br />

Dieses Engagement rührt aus <strong>de</strong>n Arbeitserfahrungen während ihrer Zeit als aktive<br />

Arbeitnehmer her. Ihr Engagement innerhalb <strong>de</strong>r Stadtteilgruppen hat noch<br />

immer <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>s betrieblichen Gewerkschaftsaktivisten. Deshalb gelingt<br />

es so schwer, das gewerkschaftliche Engagement für bürgerschaftliche Ziele auf<br />

eine breitere Basis zu stellen und Nachwuchs aus jüngeren Altersgruppen anzuziehen.<br />

Diese Form <strong>de</strong>s Engagements und die dazugehören<strong>de</strong>n Strukturen wer<strong>de</strong>n<br />

in enger Anbindung an die örtliche Verwaltungsstelle vom betrieblichen auf <strong>de</strong>n<br />

außerbetrieblichen Bereich transformiert. Das führt in <strong>de</strong>n Stadtteilen mit ihren<br />

fast dörflichen Strukturen zu vereinsähnlichen, ritualisierten Sitzungen, die sich<br />

85 Diesbezüglich wur<strong>de</strong> im Februar 2003 eine Satzungsän<strong>de</strong>rung beschlossen, welche die Fusionierung<br />

einiger Stadtteilgruppen vorsieht und die Gesamtzahl auf 19 Stadtteilgruppen reduziert.


­ 163 ­<br />

thematisch eng an sozialpolitischen Entwicklungen und <strong>de</strong>m gewerkschaftspolitischen<br />

Geschehen orientieren, in <strong>de</strong>nen wohngebietsbezogene Themen aufgegriffen<br />

und kommunalpolitisch in einer stadtteilbezogenen Vernetzungsstruktur von<br />

Parteien und Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong>n umgesetzt wer<strong>de</strong>n. Motiviert ist diese Form<br />

ehrenamtlichen Engagements durch <strong>de</strong>n Wunsch nach „sozialer Integration“über<br />

das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erwerbsphase hinaus, <strong>de</strong>m Bedürfnis weiterhin kollektiv im Rahmen<br />

<strong>de</strong>r Gemeinschaft politisch aktiv zu sein. Diese milieugebun<strong>de</strong>ne Form <strong>de</strong>s Engagements<br />

wird individuell sinnstiftend für die Phase <strong>de</strong>s Ruhestands empfun<strong>de</strong>n<br />

und kann als Fortführung <strong>de</strong>r im Erwerbsleben eingenommenen Rolle als Experte<br />

für die Interessen <strong>de</strong>r Arbeitnehmerschaft und <strong>de</strong>r damit einhergehen<strong>de</strong>n Wertschätzung<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. In diesem Zusammenhang wird zwar ein fehlen<strong>de</strong>s<br />

Budget zur selbständigen Umsetzung vorhan<strong>de</strong>ner Wünsche nach kultureller<br />

Geselligkeit beklagt, ansonsten ist eine individuelle materielle Gratifikation aber<br />

nicht von entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung.<br />

Die Bindungspotentiale dieses ehrenamtlichen Engagements liegen nicht in<br />

<strong>de</strong>n Gruppenstrukturen selbst, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>n kollektiven Überzeugungen und<br />

Haltungen, einen sozial verantwortlichen Umgang miteinan<strong>de</strong>r im Stadtteil zu<br />

pflegen. In <strong>de</strong>n von ihnen initiierten stadtteilbezogenen Aktivitäten im Rahmen von<br />

Jugendtreffs, Basketball­Nächten o<strong>de</strong>r Bolzplatzturnieren stellen die Akteure <strong>de</strong>r<br />

Stadtteilgruppen intergenerative Bezüge insbeson<strong>de</strong>re zu jugendlichen Stadtteilbewohnern<br />

her, die über diese Gelegenheiten für Gewerkschaften interessiert<br />

wer<strong>de</strong>n sollen. Zu einer „Verjüngung“<strong>de</strong>r Stadtteilgruppen haben diese Aktivitäten<br />

jedoch nicht geführt.<br />

5.5.2 Die Agentur für Gesellschaftliches Engagement (AGE) in Hamm<br />

Die folgen<strong>de</strong> Falldarstellung wur<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>r Perspektive von Bindungspotentialen<br />

kontrastierend zur ersten Falldarstellung gewählt und steht exemplarisch<br />

für eine vergleichsweise mo<strong>de</strong>rne Form <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung ehrenamtlichen Engagements<br />

auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Seniorenarbeit.<br />

Die Agentur für Gesellschaftliches Engagement (AGE) 86 ist ein vom Ministerium<br />

für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Nordrhein­<br />

Westfalen geför<strong>de</strong>rtes Kooperationsprojekt <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sarbeitsgemeinschaft „Arbeit<br />

und Leben“<strong>de</strong>s DGB und <strong>de</strong>r Stadt Hamm. 87 Sie wur<strong>de</strong> auf Initiative <strong>de</strong>s Bereichs<br />

Seniorenbildung in <strong>de</strong>r Volkshochschule Hamm und „Arbeit und Leben“in<br />

Düsseldorf im April 2001 gegrün<strong>de</strong>t, und ist insofern eine recht junge Einrichtung.<br />

AGE zielt auf die gesellschaftliche Öffnung von Gewerkschaften über verschie<strong>de</strong>ne<br />

Kanäle. Einerseits dient sie als Kontakt­ und Informationsstelle für SeniorInnen,<br />

die aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollen und leistet die Beratung<br />

und Vermittlung interessierter Freiwilliger sowie <strong>de</strong>ren Fort­ und Weiterbildung.<br />

An<strong>de</strong>rerseits zielt sie über Informationsveranstaltungen zu möglichen Engagementformen<br />

in Hamm sowie Weiterbildungen und Seminaren zur Ruhestandsvorbereitung<br />

in Unternehmen unter <strong>de</strong>m Motto "Neue Chance Ruhestand“<br />

auf die Gründung von Betriebsgruppen. Diese I<strong>de</strong>e orientiert sich am Konzept <strong>de</strong>r<br />

86 Die Abkürzung klingt nicht zufällig wie die englische Bezeichnung für das Alter („age“). Die Beteiligten<br />

sprechen es in dieser Weise aus und signalisieren damit, anwelche Zielgruppe sie sich<br />

wen<strong>de</strong>n.<br />

87 Die vom Ministerium getragene För<strong>de</strong>rung läuft bis En<strong>de</strong> 2003.


­ 164 ­<br />

„corporate citizenship“– an <strong>de</strong>r Vorstellung, dass die Unternehmen gleichsam<br />

„Bürger“<strong>de</strong>s Gemeinwesens darstellen, und sie insofern Träger gesellschaftlichen<br />

Engagements sind. Die Betriebsgruppen entstehen in Kooperation mit <strong>de</strong>r Betriebsleitung<br />

von Unternehmen und rekrutieren sich aus älteren Beschäftigten, die<br />

sich in <strong>de</strong>r Phase <strong>de</strong>s Übergangs vom Erwerbsleben zum Ruhestand befin<strong>de</strong>n<br />

und im Rahmen <strong>de</strong>s Fortbildungmoduls „Neue Chance Ruhestand“für ehrenamtliches<br />

Engagement interessiert wer<strong>de</strong>n sollen. Es existiert <strong>de</strong>rzeit eine Betriebsgruppe<br />

mit ca. 35 männlichen Mitglie<strong>de</strong>rn im Alter zwischen 55 und 66 Jahren. 88<br />

Hierunter befin<strong>de</strong>n sich einige, die bereits langjährig gewerkschaftspolitisch engagiert<br />

sind und im Rahmen dieses Konzeptes eine Möglichkeit sehen, ihr Engagement<br />

fortzusetzen. Das Aktivitätsspektrum <strong>de</strong>r Betriebsgruppe spannt sich vom<br />

gesellschaftlichen Engagement über Bildung bis zur Freizeitgestaltung, wobei die<br />

bei<strong>de</strong>n erstgenannten Bereiche in enger Verbindung zu AGE realisiert wer<strong>de</strong>n<br />

und letztere autonom von <strong>de</strong>n Senioren durchgeführt wird. Die Agentur ist in ein<br />

regionales Kooperationsnetz von Gewerkschaften, Betriebsräten und Vertrauensleuten,<br />

örtlichen Bildungsorganisationen sowie <strong>de</strong>r Kommune und ansässigen<br />

Unternehmen eingebun<strong>de</strong>n. Die Akteure <strong>de</strong>r Betriebsgruppe wer<strong>de</strong>n im Rahmen<br />

dieser Kooperationen mit Multiplikatoren­Kompetenzen ausgestattet, die in erster<br />

Linie <strong>de</strong>r Vermittlung von Praktika­ und Ausbildungsplätzen für Sozialhilfeempfänger<br />

o<strong>de</strong>r im Rahmen von ABM dienen sollen. Die „Ehemaligen“sollen aus institutioneller<br />

Sicht als eine Art Werbeträger für das Unternehmen fungieren. Sie wer<strong>de</strong>n<br />

im Kontext regelmäßiger monatlicher Treffen auf <strong>de</strong>m Betriebsgelän<strong>de</strong> stets<br />

aktuell hinsichtlich freiwer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Stellen o<strong>de</strong>r möglicher Praktikumsplätze informiert<br />

und können diese Informationen an interessierte Arbeitnehmer im Rahmen<br />

ihrer jeweiligen persönlichen Netzwerke weitergeben. Das Unternehmen stellt<br />

sowohl Räume als auch Bewirtung für die monatlichen Treffen, die Mo<strong>de</strong>ration<br />

und Fortbildung hingegen wird von AGE gesichert.<br />

Die Arbeit von AGE zielt insofern auf die Herstellung eines Passungsverhältnisses<br />

persönlicher Interessen und Vorlieben ehrenamtlich interessierter älterer<br />

Bürger mit gesellschaftlichen Erfor<strong>de</strong>rnissen und vermittelt somit individuelle<br />

Orientierungen <strong>de</strong>r Engagierten mit gesellschaftlichen Interessen über die aktive<br />

Engagementför<strong>de</strong>rung von Unternehmen.<br />

Im Rahmen von AGE wer<strong>de</strong>n sowohl Projekte initiiert als auch ehrenamtlich<br />

Engagierte für bereits bestehen<strong>de</strong> Projekte gewonnen und vermittelt. Die Projekte<br />

sind in drei Bereichen verortet: <strong>de</strong>m sozialen, <strong>de</strong>m kulturellen und <strong>de</strong>m wirtschaftlichen<br />

Bereich.<br />

AGE för<strong>de</strong>rt die gesellschaftliche Teilhabe Älterer mit <strong>de</strong>m Ziel eines solidarischen<br />

Zusammenwirkens <strong>de</strong>r Generationen und Bevölkerungsgruppen, wobei<br />

es bei dieser Engagementform nicht so sehr auf eine stark ausgeprägte Bindung<br />

innerhalb eines Projektes ankommt, son<strong>de</strong>rn vielmehr auf die themenbezogene<br />

und kooperative Umsetzung gerichtet ist. Beispielsweise wer<strong>de</strong>n von ehrenamtlich<br />

engagierten SchülerInnen eines ortsansässigen Berufskollegs im Rahmen<br />

von Mo<strong>de</strong>llprojekten Sprachkurse für Englisch sowie Internet­Einführungen angeboten.<br />

Diese mehrwöchigen intergenerativen Projekte basieren auf einer Kooperation<br />

<strong>de</strong>r Volkshochschule Hamm mit <strong>de</strong>m Kollegium <strong>de</strong>s Berufskollegs und fin<strong>de</strong>n<br />

regen Zuspruch sowohl bei <strong>de</strong>n SchülerInnen als auch bei <strong>de</strong>n SeniorInnen.<br />

88 Experteninterview mit Herrn Jung am 13.02.03.


­ 165 ­<br />

Die Fokussierung <strong>de</strong>r Selbstverwirklichungsbedürfnisse interessierter Engagierter<br />

ist an <strong>de</strong>r die Arbeit tragen<strong>de</strong> biographischen Orientierung, am hergestellten<br />

Lebensumfeldbezug ­ also <strong>de</strong>r Alltagsnähe <strong>de</strong>r Projekte ­ sowie an <strong>de</strong>r<br />

Möglichkeit <strong>de</strong>s selbstbestimmten Agierens für die Ehrenamtlichen erkennbar.<br />

Gleichzeitig wird <strong>hier</strong>durch die I<strong>de</strong>ntifikation <strong>de</strong>r ehrenamtlich Engagierten mit ihrem<br />

Projekt geför<strong>de</strong>rt, was zu einer hohen Verantwortungsübernahme in diesem<br />

Rahmen führt. In <strong>de</strong>r empirischen Analyse wur<strong>de</strong> zu<strong>de</strong>m ein hohes Maß an Hilfe<br />

zur Selbsthilfe herausgearbeitet. Dieser enge lebenspraktische Bezug, <strong>de</strong>r insbeson<strong>de</strong>re<br />

für ältere Menschen Be<strong>de</strong>utung bekommt, kann anhand weiterer Beispiel­Projekte,<br />

die im Rahmen von AGE erfolgreich gestartet wur<strong>de</strong>n, belegt wer<strong>de</strong>n:<br />

In <strong>de</strong>m einen Beispiel wur<strong>de</strong>n Führungen für behin<strong>de</strong>rte Kin<strong>de</strong>r in einem<br />

Freizeitpark von einem Vater eines behin<strong>de</strong>rten Mädchens konzeptualisiert und<br />

angeboten. Diese I<strong>de</strong>e wur<strong>de</strong> mit in <strong>de</strong>r lokalen Presse veröffentlichten Artikeln<br />

von AGE unterstützt, die neben <strong>de</strong>n Informationen zum Projekt selbst <strong>de</strong>n Aufruf<br />

an potentiell interessierte Bürger enthielt, dieses Projekt aktiv durch eigene Mitarbeit<br />

zu unterstützen. In einem an<strong>de</strong>ren Projekt erstellen ca. 16 Menschen eine<br />

Hörzeitung für die Stadt Hamm. Die von <strong>de</strong>n in vier Gruppen aufgeteilten Akteure<br />

gelesenen Artikel aus <strong>de</strong>r regionalen­ und überregionalen Presse wer<strong>de</strong>n auf<br />

Tonträger aufgenommen, vervielfältigt und an sehbehin<strong>de</strong>rte Menschen in Hamm<br />

abgegeben. Die redaktionelle Arbeit <strong>de</strong>r Hörzeitung fin<strong>de</strong>t im Studio für Bürgerradio<br />

in <strong>de</strong>r Volkshochschule Hamm statt. Über diese Form <strong>de</strong>s Engagements erreichen<br />

die ehrenamtlich Engagierten einen direkten Einfluss auf die jeweils mit<br />

<strong>de</strong>m Engagement verfolgten Ziele, was wie<strong>de</strong>rum das individuelle Verantwortungsgefühl<br />

für das Projekt stärkt und somit zu Stabilisierung und Kontinuität <strong>de</strong>s<br />

Engagements beiträgt. Gleichzeitig stellen sich die im Rahmen von AGE angebotenen<br />

Gratifikationsformen als eher gering dar und fallen vor allem in <strong>de</strong>n Bereich<br />

<strong>de</strong>r Logistik. 89<br />

AGE agiert schwerpunktmäßig in zwei Bereichen: sie unterstützt individuell<br />

motivierte Projekte von älteren Menschen durch Organisation und Ausstattung,<br />

Räumlichkeiten und professionelle Begleitung und initiiert an<strong>de</strong>rerseits Betriebsgruppen<br />

in Kooperation mit regionalen Unternehmen, die sich im Sinne von <strong>de</strong>r<br />

„corporate citizenship“gesellschaftlich verantwortlich zeigen wollen. Die ältere<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Betriebsgruppen engagieren sich ihrerseits ehrenamtlich in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Zusammenhängen. Auf diesen Wegen soll die Statuspassage vom<br />

Erwerbsleben in <strong>de</strong>n Ruhestand erleichtert und erfolgreiches Altern im Sinne eines<br />

aktiven Ruhestan<strong>de</strong>s unterstützt wer<strong>de</strong>n. Dies geschieht nicht zuletzt durch<br />

die För<strong>de</strong>rung von Verantwortungsübernahme für gesellschaftliche Aufgaben, die<br />

in einem zeitlich überschaubaren Rahmen erfolgreich realisiert wer<strong>de</strong>n können<br />

und sowohl individuelle Kompetenzerweiterung als auch Erfolgserlebnisse für die<br />

SeniorInnen bereithalten.<br />

5.5.3 Das IG Metall Jugendprojekt „Xolelanani“<br />

Das Jugendprojekt <strong>de</strong>r IG Metall mit <strong>de</strong>r Bezeichnung „Xolelanani“ 90 stellt<br />

im Sample dieses Untersuchungsteils eine Beson<strong>de</strong>rheit dar, nicht nur weil es von<br />

89 Außer einer einmal im Jahr ausgesprochenen Einladung zum Kaffee in die VHS Hamm fin<strong>de</strong>n<br />

sich neben <strong>de</strong>n oben genannten keine weiteren individuellen Gratifikationen.<br />

90 ‚Xolelanani‘ist <strong>de</strong>r Khosa­Sprache, eine von sieben Muttersprachen in Südafrika und be<strong>de</strong>utet


­ 166 ­<br />

<strong>de</strong>r Untersuchungsgruppe <strong>de</strong>r Senioren abweicht, son<strong>de</strong>rn auch, weil es sowohl<br />

inhaltliches als auch strukturelles Innovationspotential im Bereich <strong>de</strong>s gewerkschaftlichen<br />

Engagements vereint.<br />

Den entstehungsgeschichtlichen Hintergrund für dieses Projekt bil<strong>de</strong>t die<br />

gewerkschaftliche Tradition <strong>de</strong>r internationalen Solidarität. Seit <strong>de</strong>n 80er Jahren<br />

bestehen Kontakte <strong>de</strong>r IG Metall zu südafrikanischen Gewerkschaften, und <strong>hier</strong><br />

verfolgte sie unter an<strong>de</strong>rem das Ziel eines Min<strong>de</strong>ststandard­Lohn­Abkommens für<br />

VW­Betriebe in Südafrika. Das Projekt entstand 1996/1997 im Rahmen einer Delegationsfahrt<br />

von Beschäftigten aus <strong>de</strong>utschen Betrieben, die IG­Metall­Betriebe<br />

in Südafrika besuchten.<br />

„Xolelanani“zielt auf die Begegnung und Kooperation mit <strong>de</strong>r südafrikanischen<br />

Gewerkschaftsjugend und darüber zugleich <strong>de</strong>r Sensibilisierung von Jugendlichen<br />

für an<strong>de</strong>re Kulturen. Zur Realisierung dieses Ziels wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bau eines<br />

Jugendzentrums im Walmer Township bei Port Elisabeth als Möglichkeit <strong>de</strong>r<br />

Begegnung und <strong>de</strong>s wechselseitigen Lernens in Angriff genommen. 91<br />

Das Jugendprojekt wird von einer netzwerkartigen Kooperationsstruktur<br />

aus vier Ortsjugend­Ausschüssen <strong>de</strong>r IG Metall in vier Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>r<br />

engen Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Evangelischen Aka<strong>de</strong>mien getragen. Zu<strong>de</strong>m<br />

wur<strong>de</strong> in Amberg ein gleichnamiger eingetragener Verein gegrün<strong>de</strong>t, welcher das<br />

ehrenamtliche Engagement auf eine noch breitere Basis stellt 92 und einen günstigen<br />

Finanzrahmen für das Projekt abgibt 93 . 2001 wur<strong>de</strong> dieses Jugendprojekt neben<br />

drei weiteren in <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>s Arbeitskreises „Internationale Solidarität“<br />

integriert und seither vom IG Metall­Vorstand finanziell und logistisch unterstützt.<br />

Weitere finanzielle Unterstützung erhält das Projekt aus Bun<strong>de</strong>sjugendmitteln,<br />

vom DGB und <strong>de</strong>m Land Nie<strong>de</strong>rsachsen sowie aus privaten Spen<strong>de</strong>n.<br />

Im Februar 2002 fand die dritte Briga<strong>de</strong>­Fahrt nach Südafrika statt. Während<br />

<strong>de</strong>r Vorbereitungsphase wur<strong>de</strong> das empirische Material für unsere Untersuchung<br />

gewonnen. 94 Unter <strong>de</strong>n 20 TeilnehmerInnen dieser Briga<strong>de</strong> haben 5 bereits<br />

an min<strong>de</strong>stens einer Fahrt nach Südafrika teilgenommen, die übrigen 15 waren<br />

zum ersten Mal dabei. Wie in <strong>de</strong>n vorangehend beschriebenen Gruppen überwiegen<br />

auch in dieser Gruppe die männlichen Teilnehmer (14:6). Die Gruppe setzt<br />

sich überwiegend aus Beschäftigten in Metallbetrieben zusammen, aber auch 5<br />

Studieren<strong>de</strong> waren darunter. Die meisten TeilnehmerInnen waren zwischen 20<br />

und 24 Jahren alt und „vertraten“in <strong>de</strong>r Regel min<strong>de</strong>stens zu zweit ihre jeweilige<br />

Verwaltungsstelle.<br />

Das Projekt verbin<strong>de</strong>t einen hohen Grad an Selbstverwirklichungsmöglichkeiten<br />

mit <strong>de</strong>n kollektiven Orientierungen <strong>de</strong>r Jugendlichen. Dies kann anhand<br />

‚Versöhnung‘(vgl. Protokoll <strong>de</strong>r 7. Sitzung <strong>de</strong>r Enquête­Kommission „Zukunft <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen<br />

Engagements“).<br />

91 Das Gebäu<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> im Rahmen <strong>de</strong>r Briga<strong>de</strong>fahrt 2002 fertiggestellt und darüber hinaus konnte<br />

für das Jahr 2003 ein hauptamtlich Beschäftigter im Jugendzentrum angestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r eine<br />

ganztägige Öffnung <strong>de</strong>sselben sichert.<br />

92 Die Zahl <strong>de</strong>r Vereinsangehörigen belief sich nach Angaben <strong>de</strong>s Vorstands Anfang 2003 auf 90.<br />

93 Im Rahmen <strong>de</strong>s Vereins können ohne weiteres Spen<strong>de</strong>n für die Arbeit eingenommen wer<strong>de</strong>n,<br />

was innerhalb <strong>de</strong>r Verwaltungsstrukturen <strong>de</strong>r IGM nicht o<strong>de</strong>r nur mit unverhältnismäßig viel Verwaltungsaufwand<br />

möglich wäre.<br />

94 Die nächste Briga<strong>de</strong>fahrt ist für das Jahr 2004 geplant und in 2003 soll ein Besuch einiger südafrikanischer<br />

Kooperationspartner in Deutschland realisiert wer<strong>de</strong>n.


­ 167 ­<br />

von Äußerungen <strong>de</strong>r TeilnehmerInnen an <strong>de</strong>r Gruppendiskussion ver<strong>de</strong>utlicht<br />

wer<strong>de</strong>n: „das <strong>hier</strong> ist eine Lebenserfahrung und Hilfe zugleich“, „eben für mich<br />

und an<strong>de</strong>re, aber nicht allein, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Gruppe mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren zusammen“<br />

o<strong>de</strong>r auch die zugeschriebene Be<strong>de</strong>utung einer „Grenzerfahrung“, „die Möglichkeit,<br />

eine an<strong>de</strong>re Kultur ­nicht als Tourist­ kennenzulernen und gleichzeitig direkt<br />

helfen zu können“. 95 Im Rahmen dieses gewerkschaftlich getragenen Projektes<br />

kommen also parallel eine Reihe von individuellen und kollektiven Orientierungen<br />

zum Tragen, die einen Bogen von „Spaß haben“ 96 , „Persönlichkeitslernen“und<br />

„interkulturellem Lernen“zu <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>alen von Gewerkschaft als sozialer Bewegung,<br />

internationaler Solidarität und „Hilfe in <strong>de</strong>r Gemeinschaft“spannen. Der beson<strong>de</strong>re<br />

Reiz für die Jugendlichen, sich in diesem Projekt zu engagieren und zu<br />

integrieren, liegt in <strong>de</strong>r Verbindung <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ell wie materiell gleichermaßen hohen<br />

Gratifikationsstruktur 97 und <strong>de</strong>m ausgeprägten Projektcharakter, <strong>de</strong>r strukturell ein<br />

kurzes, intensives Engagement ermöglicht und verlangt, jedoch auch die Möglichkeit<br />

zu Kontinuität bietet. Das Erfolgreiche an dieser Koppelung läßt sich auch mit<br />

<strong>de</strong>r tatsächlichen Kontinuität eines Kerns ehrenamtlich engagierter Jugendlicher<br />

belegen, welche seit über 6 Jahren Verantwortung für <strong>de</strong>n Fortgang <strong>de</strong>s Projektes<br />

übernehmen. Die TeilnehmerInnen gewinnen über das <strong>hier</strong> mögliche, aber auch<br />

notwendige selbstbestimmte Engagement eine unmittelbare soziale Erfahrung<br />

sowie die Möglichkeit <strong>de</strong>s direkten Einflusses auf die Effekte <strong>de</strong>r Globalisierung<br />

über persönliche Hilfe. Das innovative Potential von ‚Xolelanani‘liegt nicht zuletzt<br />

in <strong>de</strong>r Vielseitigkeit <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements, da nicht nur Sprachkenntnisse,<br />

son<strong>de</strong>rn interkulturelles Wissen vertieft und darüber hinaus praktische<br />

handwerkliche Fähigkeiten wie Mauern erlernt wer<strong>de</strong>n müssen. Die Äußerungen<br />

in <strong>de</strong>r Gruppendiskussion lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass das<br />

Engagement eine hoch emotionale Erfahrung darstellt, die Freizeitangebote beinhaltet<br />

und ohne finanzielle und logistische Unterstützung <strong>de</strong>r IG Metall und <strong>de</strong>n<br />

Schutz <strong>de</strong>r Gruppe für die Einzelnen nicht realisierbar wäre. Den Erfolg ihres ehrenamtlichen<br />

Engagements sehen die Jugendlichen darin „Glück für an<strong>de</strong>re zu<br />

bereiten“, „ein besserer Mensch zu wer<strong>de</strong>n“aber auch „<strong>de</strong>n persönlichen Erfahrungsschatz<br />

zu erweitern“und das „Erleben für südafrikanische Jugendliche zum<br />

Freund zu wer<strong>de</strong>n“.<br />

Eine Analyse <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungszuschreibungen von Gewerkschaftsarbeit<br />

und Projektarbeit ergab, dass zwischen bei<strong>de</strong>n die Gemeinsamkeiten überwiegen.<br />

Das Engagement ziele in die gleiche Richtung, im Projekt zähle jedoch <strong>de</strong>r<br />

„Wille zum Engagement“und <strong>de</strong>r „Weg zum Ergebnis“, wohingegen im Betrieb<br />

lediglich das Ergebnis und nicht <strong>de</strong>r Prozess wichtig sei und das Resultat <strong>de</strong>s Engagements<br />

oft genug keinerlei Wertschätzung erfahre. 98<br />

Die empirischen Ergebnisse zusammenfassend, kommt es im Rahmen <strong>de</strong>s<br />

Projektes „Xolelanani“zur Initiierung gewerkschaftlichen Bewusstseins über die<br />

Vermittlung interkulturellen Wissens und <strong>de</strong>r Möglichkeit zu persönlichen Begeg­<br />

95 Transkript Gruppendiskussion vom 27.01.02<br />

96 Als wichtigster Faktor für Jugendliche, die freiwillig engagiert sind, wird <strong>de</strong>r „Spaß“angegeben.<br />

Dies entspreche <strong>de</strong>m Wertekanon Jugendlicher, in welchem hedonistische und auch materialistische<br />

Lebensziele eine große Rolle spielen (Picot: Freiwilligensurvey, 1999, 124).<br />

97 Die Abteilung Jugend beim IGM­Vorstand finanziert das die Briga<strong>de</strong>fahrt vorbereiten<strong>de</strong> Wochenendseminar<br />

sowie anteilig die Reisekosten nach Südafrika.<br />

98 Transkripte Gruppendiskussionen vom 26. und 27.01.02


­ 168 ­<br />

nungen mit südafrikanischen Jugendlichen in <strong>de</strong>ren Alltagswelt. Das Engagement<br />

zeichnet sich sowohl durch eine klare institutionelle Einbindung in die IG Metall<br />

aus als auch in ein Kooperationsnetz mit Freien Trägern vor Ort und <strong>de</strong>r evangelischen<br />

Kirche. Grundlage für ein kontinuierliches Engagement <strong>de</strong>r Jugendlichen ist<br />

einerseits die familialisiert erlebte Gewerkschaft im Rahmen von Bildungsseminaren<br />

und die <strong>hier</strong>mit verbun<strong>de</strong>ne prozesshafte gewerkschaftliche Sozialisation im<br />

Schutz einer größeren Gemeinschaft. An<strong>de</strong>rerseits die Möglichkeit über selbstbestimmtes<br />

ehrenamtliches Han<strong>de</strong>ln –zum Beispiel das Vorstellen <strong>de</strong>s Projektes im<br />

Rahmen von Tagungen <strong>de</strong>r Gewerkschaft und Evangelischen Aka<strong>de</strong>mien und<br />

<strong>de</strong>m Sammeln von Spen<strong>de</strong>n – Verantwortung durch eine hohe I<strong>de</strong>ntifikation mit<br />

<strong>de</strong>r Projektarbeit zu entwickeln. Diese I<strong>de</strong>ntifikation, die sich durchaus auf die das<br />

Projekt tragen<strong>de</strong> IG Metall bezieht, wird durch speziell gedruckte „Xolelanani­<br />

Shirts“mit <strong>de</strong>m Symbol <strong>de</strong>r IGM nach außen getragen. Der Verkauf dieser Shirts<br />

dient gleichzeitig <strong>de</strong>r Finanzierung <strong>de</strong>r Projektarbeit. Inzwischen entstand eine<br />

weitere Einnahmequelle sowohl für die Projektarbeit als auch für die südafrikanischen<br />

Jugendlichen in Form von Töpferware, die in <strong>de</strong>r selbst erstellten Jugendbegegnungsstätte<br />

gefertigt und von <strong>de</strong>n Projektmitglie<strong>de</strong>rn in Deutschland verkauft<br />

wird.<br />

Die jugendlichen Engagierten beschreiben die Projektarbeit als Möglichkeit<br />

eines gezielten und direkten Einflusses auf die Globalisierungseffekte im Rahmen<br />

einer Interkulturellen Begegnung. Diese wird emotional intensiv im Schutz <strong>de</strong>r<br />

Gruppe erlebt und stellt eine beson<strong>de</strong>re Erfahrung mit nachhaltiger Wirkung auf<br />

ihr Leben dar. Insofern ist das Engagement Jugendlicher in biographische Prozesse<br />

eingebun<strong>de</strong>n und Krisen und Wen<strong>de</strong>punkte im Lebenslauf entfalten Auswirkungen<br />

auf die individuelle Gestaltung ehrenamtlicher Arbeit. Die im Rahmen<br />

<strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements gemachten gesellschaftlichen Erfahrungen<br />

nehmen Einfluß auf an<strong>de</strong>re Lebensbereiche, was in <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n Fall insbeson<strong>de</strong>re<br />

für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r berufsbiographischen Entscheidungen analysiert<br />

wer<strong>de</strong>n konnte. Insgesamt ver<strong>de</strong>utlicht das empirische Material <strong>de</strong>n wechselseitigen<br />

Einfluss zwischen Engagement und <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit. 99<br />

Einschlägige empirische Studien konstatieren gera<strong>de</strong> für die Gruppe <strong>de</strong>r<br />

Jugendlichen eine starke Unterrepräsentation in <strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>s sozialen und<br />

politischen Engagements und stellen statt<strong>de</strong>ssen eine Engagement­Präferenz im<br />

persönlichen Lebensumfeld <strong>de</strong>r jungen Menschen 100 fest. Unter <strong>de</strong>r Perspektive<br />

von Bindungspotentialen ehrenamtlichen Engagements zeigt dieses gewerkschaftliche<br />

Jugendprojekt exemplarisch, dass es gelingen kann, Jugendliche für<br />

eine politische ehrenamtliche Arbeit an Verbandstrukturen zu bin<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m institutionell<br />

sowohl auf ihre solidarischen I<strong>de</strong>ale als auch ihre Selbstverwirklichungs­<br />

Wünsche im Kontext familialisierter Gruppen Bezug genommen wird.<br />

5.6 Bindungspotentiale ehrenamtlichen Engagements<br />

In <strong>de</strong>n nachstehen<strong>de</strong>n Ausführungen wird die <strong>de</strong>n Einzelfalldarstellungen<br />

folgen<strong>de</strong> Ergebnisebene – nämlich die Abstraktion <strong>de</strong>r Einzelfälle ­ dargestellt.<br />

99 Kodierungen <strong>de</strong>r Transkripte vom 26. und 27.01.02<br />

100 stellvertretend: Freiwilligensurvey, 1999, 124f


­ 169 ­<br />

Diese dient <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Verallgemeinerbarkeit <strong>de</strong>r fallbezogenen empirischen<br />

Ergebnisse in Form von Bindungspotentialen und erschließt insofern Optionsräume<br />

zur Stärkung gewerkschaftlichen ehrenamtlichen Engagements.<br />

Die im vorangegangenen Kapitel erörterten Falldarstellungen dienen als<br />

prototypische Beispiele für eine jeweils spezifische Kombination von Merkmalen<br />

über welche eine Bindung an Gewerkschaften und Vereine im Kontext ehrenamtlichen<br />

Engagements hergestellt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Im Vergleich <strong>de</strong>r Fälle konnten verschie<strong>de</strong>ne Formen von Bindungspotentialen<br />

ehrenamtlichen Engagements exploriert wer<strong>de</strong>n, die im folgen<strong>de</strong>n unter zwei<br />

zentralen Perspektiven differenzierter betrachtet wer<strong>de</strong>n. Die aus <strong>de</strong>m empirischen<br />

Material gewonnenen Kategorien wer<strong>de</strong>n somit auf einer abstrakten Ebene<br />

erörtert und dienen als Basis für das Mo<strong>de</strong>ll, in <strong>de</strong>m eine individuelle und eine<br />

institutionelle Perspektive auf Bindungspotentiale <strong>de</strong>utlich wird, welche miteinan<strong>de</strong>r<br />

korrespondieren. Während die individuelle Perspektive die subjektiven Bedingungen<br />

ehrenamtlichen Engagements betrachtet, fokussiert die institutionelle<br />

Perspektive <strong>de</strong>n strukturellen Kontext, in <strong>de</strong>n die ehrenamtliche Arbeit eingebun<strong>de</strong>n<br />

ist.<br />

5.6.1 Die Individuelle Perspektive auf Bindungspotentiale<br />

In <strong>de</strong>r individuellen Perspektive im Hinblick auf Bindungspotentiale in <strong>de</strong>r<br />

Falldarstellung <strong>de</strong>r IGM­Stadtteilgruppen in Dortmund kann eine insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>hier</strong> vorliegen<strong>de</strong> Bindung über die langjährige Zugehörigkeit zur Gruppe ausgemacht<br />

wer<strong>de</strong>n. Bindung entsteht in diesem Fall vor allem über <strong>de</strong>n individuell<br />

ausgeprägten Wunsch <strong>de</strong>r biographisch kontinuierlichen Teilhabe an <strong>de</strong>r kollektiven<br />

Gemeinschaftlichkeit. Die Akteure <strong>de</strong>r Stadtteilgruppen wur<strong>de</strong>n in einem jahrzehntelangen<br />

betrieblich initiierten Prozess in gewerkschaftliche Strukturen eingebun<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Austritt aus <strong>de</strong>m Erwerbsleben hinaus i<strong>de</strong>ntitätsstiftend 101<br />

und sinngebend empfun<strong>de</strong>n wird und zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>s ehrenamtlichen<br />

Engagements führt. Die Engagierten orientieren sich stärker an gemeinschaftlichen,<br />

kollektiven Werten, verfolgen soziale Gerechtigkeit und verstehen Gewerkschaft<br />

als soziale Bewegung. Das zentrale Motiv für die ehrenamtlich Tätigen<br />

kann folglich als eine Orientierung an solidarischen I<strong>de</strong>alen gefaßt wer<strong>de</strong>n, die für<br />

sie sowohl Basis <strong>de</strong>s Zusammenhalts in <strong>de</strong>r Gruppe als auch gesellschaftspolitisches<br />

Ziel darstellt.<br />

Anhand <strong>de</strong>r Falldarstellung <strong>de</strong>s AGE­Projekts konnte eine weitere Ten<strong>de</strong>nz<br />

<strong>de</strong>r individuellen Engagement­Bereitschaft empirisch exploriert wer<strong>de</strong>n. Dieser<br />

Fall steht exemplarisch für eine individuell stärker im Vor<strong>de</strong>rgrund stehen<strong>de</strong> Orientierung<br />

an Bedürfnissen im Rahmen <strong>de</strong>r eigenen Biographie. Unter dieser als<br />

Selbstverwirklichung zusammengefassten Kategorie verstehen die ehrenamtlichen<br />

Akteure beispielsweise Hobby, Spaß, Selbstwertsteigerung und Hilfe zur<br />

Selbsthilfe. Die Motivation für ehrenamtliches Engagement bewegt sich im Kontext<br />

<strong>de</strong>r Projekte bei „AGE“stärker an einer an Selbstverwirklichung orientierten<br />

Bedürfnissen <strong>de</strong>r Engagierten. Im Hinblick auf die von „AGE“initiierte Betriebsgruppe<br />

läßt das empirische Material auf eine Kombination von individuellen Orien­<br />

101 Die kursiv gedruckten Beggriffe sind empirisch gewonnene Kategorien.


­ 170 ­<br />

tierungen schließen, die sich zwischen solidarischen I<strong>de</strong>alen und Selbstverwirklichung<br />

bewegen.<br />

Dass die Kategorien Selbstverwirklichung und solidarische I<strong>de</strong>ale keine<br />

einan<strong>de</strong>r ausschließen<strong>de</strong> Motivationen darstellen, son<strong>de</strong>rn eher als individuelle<br />

Gewichtungen zu verstehen sind , kann auch am Beispiel <strong>de</strong>r dritten Falldarstellung<br />

gezeigt wer<strong>de</strong>n. Im gewerkschaftlichen Jugendprojekt „Xolelanani“fin<strong>de</strong>n<br />

sich sowohl die Orientierung an solidarischen I<strong>de</strong>alen als internationale Solidarität<br />

als auch die Verfolgung eigener Bedürfnisse wie Reisen, Freizeit und Geselligkeit<br />

in <strong>de</strong>r Gruppe o<strong>de</strong>r interkulturelle Bildung gleichgewichtig nebeneinan<strong>de</strong>r.<br />

Als erste wichtige Dimension zur Erläuterung von Bindungspotentialen ehrenamtlichen<br />

Engagements kann exemplarisch anhand <strong>de</strong>r drei Falldarstellungen<br />

zunächst <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Motivation extrapoliert wer<strong>de</strong>n, die sich in solidarisch<br />

und selbstverwirklichend motiviert unterteilen lässt.<br />

Motivation<br />

solidarisch<br />

selbstverwirklichend<br />

Die empirisch unter <strong>de</strong>r individuellen Perspektive von Bindungspotentialen<br />

gewonnene Dimension Motivation korreliert mit einer zweiten zentralen Dimension.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements spielt Anerkennung und Wertschätzung<br />

für die geleistete Arbeit ein große Rolle. Aus <strong>de</strong>n Kontrastierungen <strong>de</strong>r<br />

qualitativen Daten kann für die Stadtteilgruppen in Dortmund eine vor allem i<strong>de</strong>ell<br />

ausgeprägte Anerkennung <strong>de</strong>s individuellen Engagements festgestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Akteure verstehen ihr stadtteilbezogenes Engagement als selbstverständliche<br />

und somit unentgeltliche Leistung im Rahmen <strong>de</strong>r gewachsenen Gruppenstrukturen.<br />

Neben <strong>de</strong>m persönlichen Gewinn <strong>de</strong>r Geselligkeit erwarten die Engagierten<br />

allerdings eine ausdrückliche Wertschätzung ihres ehrenamtlichen Engagements<br />

durch die hauptamtlich Beschäftigten. Diese Wertschätzung kann über kleine<br />

Gesten wie ein „Dankeschön“, kleine Geschenke am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres o<strong>de</strong>r auch<br />

ein gewisses Budget für die Realisierung kultureller Interessen individuell vermittelt<br />

wer<strong>de</strong>n. Auch im Rahmen von „AGE“kann eine eher i<strong>de</strong>elle Wertschätzung<br />

und Anerkennung <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements ausgemacht wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Realisierung eigener biographisch motivierter Bedürfnisse durch professionelles<br />

Know How stellt an sich bereits einen hohen Gewinn für die Akteure dar. Fallübergreifend<br />

konnte eine Reihe von Kategorien i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n, welche mit<br />

<strong>de</strong>r Verstärkung <strong>de</strong>r Engagement­Bereitschaft korrespondieren. Sie lassen sich in<br />

<strong>de</strong>r Dimension Gratifikation zusammenfassen, die sich zwischen i<strong>de</strong>eller und materieller<br />

Gratifikation bewegen. Zur erstgenannten zählen verbale und nonverbale<br />

Anerkennungen und Wertschätzungen sowie Geselligkeit und soziale Integration.<br />

Zur materiellen Gratifikation wer<strong>de</strong>n Aufwandsentschädigungen, Fahrtkosten, Geschenke,<br />

Seminare und Fortbildung, Freizeitangebote sowie Literatur gezählt.<br />

Auch die materielle und i<strong>de</strong>elle Gratifikation schließen einan<strong>de</strong>r nicht aus, son<strong>de</strong>rn<br />

ergänzen sich wie im Fall <strong>de</strong>s IGM Jugendprojektes.


­ 171 ­<br />

Gratifikation<br />

materiell<br />

i<strong>de</strong>ell<br />

Die beschriebenen Kategorien für die individuelle Perspektive können entlang<br />

ihrer zwei Dimensionen schematisch in einem Vierfel<strong>de</strong>r­Schema dargestellt<br />

wer<strong>de</strong>n und zu einem strukurellen Feld abstra<strong>hier</strong>en, in das die <strong>hier</strong> untersuchten<br />

Fälle eingeordnet wer<strong>de</strong>n können.<br />

Abbildung: Bindungspotentiale ehrenamtlichen Engagements: Motivation und Gratifikation<br />

Motivation<br />

Gratifikation<br />

Selbstverwirklichung<br />

Bsp.: Hilfe zur Selbsthilfe, Bildung, Sinnstiftung,<br />

Hobby, Spaß, biographische Kontinuität,<br />

Überbrückungshilfe, Selbstwertsteigerung<br />

Solidarische I<strong>de</strong>ale<br />

Bsp.: Gewerkschaft als soziale Bewegung,<br />

Gemeinschaftlichkeit, gewerkschaftliches Bewußtsein,<br />

Geselligkeit<br />

I<strong>de</strong>elle Gratifikation<br />

Bsp.: verbale und nonverbale Anerkennung<br />

und Wertschätzung, soziale Integration<br />

Materielle Gratifikation<br />

Bsp.: Aufwandsentschädigung, Geschenke,<br />

finanzierte Fortbildung, Freizeitangebote,<br />

Literatur, Seminare, technische Geräte, Budget<br />

Im Datenmaterial zeigen sich vor allem zwei Zusammenhangs­Muster <strong>de</strong>r<br />

Dimensionen aus individueller Perspektive. Das erste kombiniert die hohe Ausprägung<br />

solidarischer I<strong>de</strong>ale mit einer eher i<strong>de</strong>ellen Gratifikationsstruktur und<br />

wer<strong>de</strong>n durch die Fälle „Stadtteilgruppen Dortmund“sowie die DGB­Ortskartelle<br />

repräsentiert. Die ehrenamtlich Engagierten reagieren zumeist auf innerbetriebliche<br />

o<strong>de</strong>r kommunale Ereignisse und Entwicklungen und verfolgen mit Ihrem Engagement<br />

kommunal­ und gewerkschaftspolitische Zielsetzungen innerhalb ihrer<br />

Heimatregion und können <strong>hier</strong>über an Verbän<strong>de</strong> gebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Ihr Engagement<br />

dient insofern oftmals <strong>de</strong>r Flankierung <strong>de</strong>r betrieblichen Arbeit, zum Beispiel<br />

durch außerbetriebliche Unterstützung <strong>de</strong>r Tarifpolitik in Streikphasen (Fallbeispiel<br />

1 und DGB­Ortskartell Eggesin). Diese Form <strong>de</strong>s Engagements weist einen<br />

dienstleisten<strong>de</strong>n Charakter auf und dient vor allem <strong>de</strong>r Aufrechterhaltung und<br />

Verbesserung kollektiver Güter im Bereich <strong>de</strong>s Erwerbssektors. Der zweite Zusammenhang<br />

verbin<strong>de</strong>t einen hohen Grad an Selbstverwirklichung mit einer hoch<br />

ausgeprägten i<strong>de</strong>ellen Gratifikationsstruktur wie „AGE“o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r „Arbeitslosenverein<br />

Teltow­Fläming“. Die Fälle „Xolelanani“und die „DauWat­Vereine“<strong>de</strong>s Bezirks<br />

Küste stellen eine Kombination dieser bei<strong>de</strong>n spezifisch korrelieren<strong>de</strong>n Dimensionen<br />

aus individueller Perspektive dar, wobei das IGM Jugendprojekt insgesamt<br />

die höchste Ausprägung materieller Gratifikationen aufweist.<br />

Im Hinblick auf diese Perspektive können zwei klare Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>r Typisierung<br />

von Motivation ehrenamtlichen Han<strong>de</strong>lns konstatiert wer<strong>de</strong>n. Menschen


­ 172 ­<br />

sind über <strong>de</strong>n Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und kollektiven Werten zu ehrenamtlichem<br />

Engagement motiviert und bin<strong>de</strong>n sich auf diesem Weg an Organisationen<br />

und Vereine, wobei sie sich hinsichtlich ihrer Orientierungen und hergestellten<br />

Selbstbezüge unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Schema zu <strong>de</strong>n Dimensionen von Bindungspotentialen ehrenamtlichen Engagements<br />

aus individueller Perspektive<br />

Individuelle Motivationen für<br />

ehrenamtliches Engagement<br />

Struktur<br />

Gratifikation<br />

materiell<br />

Solidarische I<strong>de</strong>ale<br />

XOLELANANI<br />

Selbstverwirklichung<br />

Ziele/ I<strong>de</strong>ale<br />

Inhalt<br />

AGE<br />

Stadtteilgruppen<br />

DGB­<br />

Ortskartelle<br />

i<strong>de</strong>ell<br />

Gewerkschaftliches ehrenamtliches Engagement wird inhaltlich durch eine<br />

Orientierung <strong>de</strong>r Engagierten an solidarischen I<strong>de</strong>alen und durch einen niedrigen<br />

materiellen Gratifikationsgrad charakterisiert. Ehrenamtliches Han<strong>de</strong>ln steht <strong>hier</strong><br />

zuallererst im Dienst <strong>de</strong>r jeweiligen sozialen Gemeinschaft, also <strong>de</strong>r (örtlichen)<br />

Gewerkschaftsgruppe. Persönliche Wünsche und Bedürfnisse wer<strong>de</strong>n eher <strong>de</strong>n<br />

gemeinschaftlichen Anfor<strong>de</strong>rungen untergeordnet. Diese in traditionellen Milieus ­<br />

wie <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Gewerkschaften ­ gewachsene Ehrenamtlichkeit kann als ein Muster<br />

<strong>de</strong>r Vergesellschaftung bezeichnet wer<strong>de</strong>n, welches zur Orientierung für die eigene<br />

Lebensführung dient (stellvertretend Jakob, 1993, 229 und Olson, 1998, 4f).<br />

Hierdurch wer<strong>de</strong>n biographische Kontinuität und somit Stabilität für die ehrenamt­


­ 173 ­<br />

lich Engagierten erreicht. Pointiert könnte man aus <strong>de</strong>r <strong>hier</strong> vorliegen<strong>de</strong>n Dimensionierung<br />

schlussfolgern, dass für diese Form ehrenamtlichen Han<strong>de</strong>lns in erster<br />

Linie die über kontinuierliches Engagement in verbindlichen Strukturen erreichte<br />

Vertrautheit in und mit <strong>de</strong>r Gemeinschaft katalysatorisch bin<strong>de</strong>nd wirken. Nicht<br />

zufällig fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>r beschriebenen Merkmalskombination nahezu ausschließlich<br />

Senioren und Seniorinnen. Die beschriebene In­Dienststellung <strong>de</strong>r eigenen<br />

Person stellt jedoch keineswegs selbstloses Han<strong>de</strong>ln dar (vgl. Jakob,<br />

1993, 229). Bei einem höheren regionalen Aktivitätsniveau <strong>de</strong>r Engagierten, wie<br />

in einigen DGB­Ortskartellen, bedarf das Engagement verstärkt materieller Gratifikationen,<br />

um dauerhaft in Verbandsstrukturen integriert wer<strong>de</strong>n zu können.<br />

Eine weitere Konzentration <strong>de</strong>r untersuchten Engagement­Formen kann für<br />

die Merkmalskombination „hoher Grad an Selbstverwirklichung“also Selbstbezug<br />

bei gleichzeitig „hoch ausgeprägter i<strong>de</strong>eller Gratifikationsstruktur“ ausgemacht<br />

wer<strong>de</strong>n. Mit diesen Merkmalen fin<strong>de</strong>n sich vor allem Engagementformen <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen<br />

Engagements. Neben „AGE“basieren zwei weitere im Sample<br />

untersuchte und <strong>hier</strong> verortbare Fälle auf einer gewerkschaftlichen Mit­<br />

Trägerschaft, darüber hinaus ist jedoch die strukturelle Anbindung an die Gewerkschaft<br />

gering und für Engagierte z.T. kaum wahrnehmbar. Für die Engagementformen<br />

in diesem Zusammenhang konnten aus <strong>de</strong>m Datenmaterial krisenhafte<br />

Ereignisse als Initialisierungsmoment für ein ehrenamtliches Engagement<br />

herausgefiltert wer<strong>de</strong>n. Das be<strong>de</strong>utet, dass die <strong>hier</strong> vorliegen<strong>de</strong> Sinnorientierung<br />

ehrenamtlichen Han<strong>de</strong>lns im Bezug auf die eigene Person hergestellt wird. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

im Kontext <strong>de</strong>r Transformationsprozesse in Ost<strong>de</strong>utschland entwickelte<br />

sich bei einer Reihe von Engagierten aufgrund eingetretener Arbeitslosigkeit eine<br />

erhöhte Engagementbereitschaft – sofern günstige strukturelle Voraussetzungen<br />

<strong>hier</strong>für vorlagen (Arbeitslosenverein in <strong>de</strong>n NBL).<br />

5.6.2 Die Institutionelle Perspektive auf Bindungspotentiale<br />

Die zweite zentrale, empirisch gewonnene Perspektive auf Bindungspotentiale<br />

fokussiert auf institutionelle Bezüge zu ehrenamtlicher Bindung. Die explorierten<br />

Kategorien lassen sich ebenfalls in zwei Dimensionen vereinen. Die Kategorien<br />

wur<strong>de</strong>n <strong>hier</strong>bei einerseits in Verantwortung für ehrenamtliches Engagement<br />

und an<strong>de</strong>rerseits zur Netzwerkstruktur, in welche das Engagement eingebun<strong>de</strong>n<br />

ist, zusammengefasst. Diese Dimensionen wer<strong>de</strong>n nachfolgend ebenfalls<br />

exemplarisch aus <strong>de</strong>n prototypischen Falldarstellungen dieses Kapitels hergeleitet.<br />

Diese Dimension korrespondiert mit <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r individuellen Perspektive erörterten<br />

Dimension Motivation und berücksichtigt die von gewerkschaftlichen Institutionen<br />

favorisierten Zielsetzungen und Aufgabenbereiche.<br />

In Fällen mit einer <strong>de</strong>r Falldarstellung IGM Stadtteilgruppen ähnlichen<br />

Merkmalskombination wie beispielsweise die untersuchten DGB Ortskartelle können<br />

Engagierte aus institutioneller Sicht vor allem aufgrund ihrer stark ausgeprägten<br />

kollektiven Orientierungen für ehrenamtliche Arbeit gewonnen wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Akteure übernehmen entsprechend <strong>de</strong>r Ausrichtung ihrer Gewerkschaftsgruppen<br />

Verantwortung vor allem durch ihre I<strong>de</strong>ntifikation mit kollektiven Orientierungen im<br />

Rahmen ihres örtlichen bzw. regionalen Engagements. Diese verbandsorientierten<br />

Engagementstrukturen fin<strong>de</strong>n sich insbeson<strong>de</strong>re in überschaubaren kleineren<br />

Städten bzw. Stadtteilen o<strong>de</strong>r auch in strukturschwachen ländlichen Regionen mit<br />

lokal­ökonomischen und gemeinwesenorientierten Ansätzen.


­ 174 ­<br />

Hauptamtliche Akteure <strong>de</strong>r Gewerkschaften stellen in diesen Fällen „Räume“für<br />

ehrenamtliches Engagement zur Verfügung, <strong>de</strong>n Engagierte quasi als<br />

„verlängerter Arm“<strong>de</strong>r Hauptamtlichen belegen können. Insofern wer<strong>de</strong>n gewerkschaftspolitisch<br />

ehrenamtliche Akteure über ihr Verantwortungsgefühl für bereits<br />

errungene o<strong>de</strong>r perspektivisch zu erringen<strong>de</strong> kollektive Güter erfolgreich an Verbän<strong>de</strong><br />

wie Gewerkschaften gebun<strong>de</strong>n. Hauptamtlich in Verbän<strong>de</strong>n Beschäftigte<br />

offerieren über diese Form <strong>de</strong>r Beteiligung ehrenamtlichen Akteuren vor allem<br />

indirekten Einfluß auf die von ihnen verfolgten Ziele. Strukturell betrachtet han<strong>de</strong>lt<br />

es sich <strong>hier</strong>bei um prozessuale kommunal­ und gewerkschaftspolitische Vorgänge,<br />

innerhalb <strong>de</strong>rer ohnehin nur über langfristige Präsenz Erfolge durch ehrenamtliches<br />

Engagement erreicht wer<strong>de</strong>n können. Das Verständnis <strong>de</strong>r Hauptamtlichen<br />

zum ehrenamtlichen Engagement kann auf <strong>de</strong>r Umsetzungsebene mit selbständigem<br />

Reagieren <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen vor Ort charakterisiert wer<strong>de</strong>n. Auf <strong>de</strong>r diskursiven<br />

Ebene konnte für hauptamtliche Gewerkschaftsakteure eine weitere O­<br />

rientierung – jene <strong>de</strong>s selbstbestimmten ehrenamtlichen Han<strong>de</strong>lns exploriert wer<strong>de</strong>n,<br />

die sich jedoch im empirischen Material zu <strong>de</strong>n ehrenamtlich Engagierten in<br />

diesen Kontexten nicht wie<strong>de</strong>rfand.<br />

Zusammenfassend kann aus <strong>de</strong>n vorangegangenen Ausführungen auf eine<br />

Konzentration eines an ehrenamtlich selbstständigem Han<strong>de</strong>ln orientierten<br />

Ehrenamts­Verständnisses hauptamtlicher Akteure – für das vorliegen<strong>de</strong> Sample<br />

– in verbandsorientierten Engagementstrukturen geschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />

In Fällen mit einer <strong>de</strong>r Falldarstellung „Agentur für Gesellschaftliches Engagement“ähnlichen<br />

Merkmalskombination wird in erster Linie auf individuelle<br />

Orientierungen <strong>de</strong>r ehrenamtlich Engagierten Bezug genommen. In dieser Merkmalskombination<br />

fin<strong>de</strong>n sich neben „AGE“vor allem Engagementformen <strong>de</strong>s Bürgerschaftlichen<br />

Engagements wie beispielsweise <strong>de</strong>m Arbeitslosenverein „Menschen<br />

für Menschen“Teltow­Fläming. In diesen Engagementformen wird institutionell<br />

in erster Linie Bezug auf Bewohner­ bzw. Mitglie<strong>de</strong>rorientierungen genommen–<br />

z.B. im Rahmen von Soziokultureller Bürgerarbeit, Kulturarbeit o<strong>de</strong>r auch<br />

Erwerbslosenarbeit. Es wer<strong>de</strong>n institutionell durch Alltagsnähe geprägte Engagementangebote<br />

verfolgt, welche biographieorientiert und vielseitig gestaltet sind.<br />

Darüber hinaus wird <strong>de</strong>n Akteuren über diese Formen selbstbestimmtes Agieren<br />

im Rahmen von lebensumfeldbezogenen Projekten offeriert. Sie setzen aus institutioneller<br />

Perspektive auf eine aktive Mitglie<strong>de</strong>r – bzw. Bewohnerbeteiligung und<br />

bieten <strong>de</strong>n ehrenamtlichen Akteuren eine eher direkte Einflußnahme auf ihre Engagement­Ziele,<br />

<strong>de</strong>ren erfolgreiche Realisierung in einen zeitlich überschaubaren<br />

Rahmen fällt und in sichtbare Ergebnisse mün<strong>de</strong>t.<br />

In <strong>de</strong>n untersuchten Fällen mit einer <strong>de</strong>r Falldarstellung „Xolelanani“ähnlichen<br />

Merkmalskombination wird institutionell sowohl auf kollektive als auch auf<br />

individuelle Orientierungen rekurriert. Diese Fälle vereinen insofern erfolgreich die<br />

vorstehend erörterten Kategorien und führen zu einer gelungenen Bindung ehrenamtlicher<br />

Akteure in Verbands­ o<strong>de</strong>r Vereinsstrukturen wie zum Beispiel in <strong>de</strong>n<br />

DauWat­Vereinen <strong>de</strong>s Bezirks Küste. 102<br />

102 Vergleiche <strong>hier</strong>zu die Falldarstellung in Kapitel 3.


­ 175 ­<br />

Verantwortung<br />

Kollektive Orientierungen<br />

Individuelle Orientierungen<br />

Neben <strong>de</strong>r Dimension Verantwortung konnten die empirischen Kategorien<br />

in eine weitere Dimension, <strong>de</strong>r Netzwerkstruktur zusammengefasst wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Dimension Netzwerkstruktur bewegt sich zwischen Integration in professionelle<br />

Strukturen und autonome Strukturen, in welche die Engagementformen institutionell<br />

eingebun<strong>de</strong>n sind.<br />

Engagementformen wie solche, die mit <strong>de</strong>r Falldarstellung IG­Metall­<br />

Stadtteilgruppen in Dortmund prototypisch beschrieben wur<strong>de</strong>, weisen eine starke<br />

Einbindung in verbandsorientierte Strukturen auf. In diesen wer<strong>de</strong>n verlässliche<br />

und ritualisierte Angebote im Rahmen von Stadtteil­ und Wohngebietsarbeit gemacht.<br />

In diesem Zusammenhang stellt <strong>de</strong>r Kontakt zu <strong>de</strong>n Betrieben vor Ort eine<br />

wichtige Verbindung für lokales Engagement dar; die Räumlichkeiten für die Treffen<br />

wer<strong>de</strong>n institutionell gestellt. Trotz <strong>de</strong>zentralen wohngebietsnahen Bezugs<br />

solcher Engagementformen wird die Teilnahme im Sinne eines „Kommens“Interessierter<br />

zu <strong>de</strong>n jeweiligen Veranstaltungen erwartet – weshalb für diesen Zusammenhang<br />

ein Komm­Struktur­Bezug aus institutioneller Perspektive exploriert<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Darüber hinaus sind die Engagementformen durch einen hohen<br />

Grad an Verbindlichkeit und Vertrautheit gekennzeichnet und können insofern als<br />

familialisierte Engagementformen charakterisiert wer<strong>de</strong>n. Sie weisen sowohl eine<br />

innergewerkschaftliche als auch außergewerkschaftliche Kooperation und Anbindung<br />

auf.<br />

Fälle wie „AGE“weisen eine an<strong>de</strong>re Ausprägung <strong>de</strong>r Dimension Netzwerkstruktur<br />

auf – sind eher durch autonome Strukturen charakterisiert und intendieren<br />

gegenständliche Zielorientierungen. Aufgrund <strong>de</strong>r Engagementför<strong>de</strong>rung von „A­<br />

GE“in zwei Schwerpunkten müssen die <strong>hier</strong> vorfindbaren Netzwerkstrukturen<br />

differenziert dargestellt wer<strong>de</strong>n. Im Rahmen <strong>de</strong>r von „AGE“initiierten Betriebsgruppen<br />

kommt es zu einer stärkeren Integration in professionelle Strukturen –<br />

nämlich in die <strong>de</strong>s Betriebes und in die von „AGE“selbst. In diesem Kontext beschränkt<br />

sich das Autonome auf <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Freizeitgestaltung, welchen die<br />

ehrenamtlichen Akteure selbstbestimmt gestalten. Die bei „AGE“bestehen<strong>de</strong>n<br />

Projekte zielen auf eine stärkere Berücksichtigung selbstbestimmten Agierens<br />

und sind insofern stärker in Kooperationsstrukturen eingebettet als in enge institutionelle<br />

Strukturen. Insgesamt weisen die Merkmalsräume solcher Fälle Gelegenheitsstrukturen<br />

zu ehrenamtlichem Engagement –wie im Fall <strong>de</strong>s Stadtteilmanagments<br />

in Dortmund und einen höheren Grad an Anonymität unter <strong>de</strong>n Beteiligten<br />

auf. Die <strong>hier</strong> praktizierten Kooperationsformen liegen vor allem im außergewerkschaftlichen<br />

Feld und beziehen sich in erster Linie auf Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong>,<br />

Kirche, Vereine und Kommunen sowie Parteien. Die Angebote ehrenamtlicher<br />

Arbeit solcher Engagementformen wer<strong>de</strong>n institutionell häufig im Lebensumfeld<br />

<strong>de</strong>r (potentiellen) ehrenamtlichen Akteure angesie<strong>de</strong>lt und nicht in <strong>de</strong>r Institution<br />

(Verein, Verband) selbst. Diesbezüglich kann man von einem Geh­Struktur­


­ 176 ­<br />

Bezug 103 aus <strong>de</strong>r institutionellen Perspektive sprechen. Im Fall <strong>de</strong>r Gewerkschaften<br />

fin<strong>de</strong>t sich diese Struktur am ehesten in <strong>de</strong>r Wohngebiets­ und Jugendarbeit.<br />

Mit <strong>de</strong>r prototypischen Falldarstellung „Xolelalani“vergleichbare Fälle weisen<br />

wie<strong>de</strong>rum eine Kombination von Kategorien auf, die sich zwischen Integration<br />

in professionelle Strukturen und autonome Strukturen mit gegenständlicher Zielorientierung<br />

bewegen. Schematisch läßt sich diese vierte Dimension wie folgt<br />

darstellen.<br />

Netzwerkstruktur<br />

Integration in professionelle Strukturen<br />

Autonome Strukturen<br />

Die unter <strong>de</strong>r institutionellen Perspektive von Bindungspotentialen gewonnenen<br />

Dimensionen einschließlich <strong>de</strong>r dazugehören<strong>de</strong>n Beispiel­Kategorien lassen<br />

sich im folgen<strong>de</strong>n Vier­Fel<strong>de</strong>r­Schema zusammenfassen.<br />

Abbildung: Schema zu <strong>de</strong>n Dimensionen von Bindungspotentialen ehrenamtlichen<br />

Engagements aus institutioneller Perspektive<br />

Verantwortung<br />

Netzwerkstruktur<br />

Individuelle Orientierung<br />

Bsp.: Bewohner­ / Mitglie<strong>de</strong>rorientierung,<br />

niedrigschwellige Beratung, Kreativkurs,<br />

interkulturelle Arbeit, Konfliktmanagment,<br />

Alltagsnähe, selbstbestimmtes Agieren,<br />

biographieorientiert, vielseitig, direkter Einfluß<br />

Autonome Strukturen<br />

Bsp.: Projektcharakter, Gelegenheitsstruktur,<br />

Anonymität, außergewerkschaftliche<br />

Kooperation mit Parteien, Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong>n,<br />

Kirchen, Vereinen, Anbindung außergewerkschaftlich<br />

und/ o<strong>de</strong>r gewerkschaftlich als<br />

Verein, an Verwaltungsstelle<br />

Kollektive Orientierung<br />

Bsp.: Gemeinwesenorientierung, selbständiges<br />

Reagieren, Dienstleistung, indirekter<br />

Einfluß, Tarifpolitik, Betriebsflankierung<br />

Integration in professionelle<br />

Strukturen<br />

Bsp.: verlässliche und ritualisierte Angebote,<br />

Bereitstellung von Räumen, Kontakt<br />

zu Betrieben, Familialisierung, Verbindlichkeit,<br />

Vertrautheit, innergewerkschaftliche und<br />

außergewerkschaftliche Kooperation, gewerkschaftliche<br />

und/ o<strong>de</strong>r außergewerkschaftliche<br />

Anbindung<br />

Abbildung: Institutionelle Anreize für das ehrenamtliche Engagement<br />

103 Hiermit ist das Hinwen<strong>de</strong>n, Gehen zu <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn bzw. Bewohnern in <strong>de</strong>ren Lebensumfeld<br />

gemeint.


­ 177 ­<br />

Institutionelle Anreize für Ehrenamtliches<br />

Engagement<br />

Netzwerkstruktur<br />

Kollektive Orientierung<br />

Struktur<br />

Stadtteilgruppen<br />

DGB­<br />

Ortskartelle<br />

XOLELANANI<br />

Integration in<br />

professionelle<br />

Strukturen<br />

AGE<br />

AL­Verein<br />

NBL<br />

Individuelle<br />

Orientierung<br />

Verantwortung<br />

Inhalt<br />

Autonome<br />

Strukturen/<br />

Projektcharakter<br />

Auch für die institutionelle Perspektive zeigen sich zwei Zusammenhangs­<br />

Muster <strong>de</strong>r Dimensionen Netzwerkstruktur und Verantwortungsbereiche. Hier verbin<strong>de</strong>t<br />

sich eine kollektive Orientierung eher mit einer starken Einbindung in professionelle<br />

Strukturen bzw. eine hohe individuelle Orientierung mit autonomen<br />

Strukturen und Projektcharakter. Aus diesen Zusammenhängen ergeben sich<br />

spezifische Merkmalsräume, <strong>de</strong>nen die untersuchten Fälle zugeordnet wer<strong>de</strong>n<br />

können. Hierbei können Konzentrationen verbandsorientierten Engagements vor<br />

allem für die erstgenannte Kombination festgestellt wer<strong>de</strong>n, wohingegen insbeson<strong>de</strong>re<br />

Formen <strong>de</strong>s Bürgerschaftlichen Engagements für die zweite Kombination<br />

ausgemacht wer<strong>de</strong>n können. Das AGE­Projekt kann in Bezug auf die Dimension<br />

Netzwerkcharakter als „Grenzfall“bezeichnet wer<strong>de</strong>n, da sie sich durch institutionelle<br />

Bezüge sowohl im Rahmen autonomer Strukturen mit Projektcharakter als<br />

auch durch die Integration in professionelle Strukturen auszeichnet. In <strong>de</strong>n Engagement­Angeboten<br />

<strong>de</strong>s Jugendprojektes „Xolelanani“ sowie <strong>de</strong>r „DauWat“­<br />

Vereine können an<strong>de</strong>re als die beschriebenen Merkmalsräume erschlossen wer<strong>de</strong>n,<br />

da sie bei<strong>de</strong> Dimensionen berücksichtigen – also individuelle und kollektive


­ 178 ­<br />

Orientierungen vereinen sowie in professionelle und autonome Strukturen integriert<br />

sind. Das <strong>hier</strong> vorfindbare Engagement stellt eine beson<strong>de</strong>rs innovative Variante<br />

gewerkschaftlicher ehrenamtlicher Arbeit dar. Sie fokussiert auf <strong>de</strong>r individuellen<br />

Ebene sowohl die Wünsche nach Selbstentfaltung als auch solche <strong>de</strong>r Solidarität<br />

und bietet die Möglichkeit einer <strong>de</strong>m Inhalt <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements<br />

weitestgehend angemessenen materiellen Gratifikation. Aus institutioneller<br />

Perspektive konnte eine erfolgreiche Verbindung individueller und kollektiver Orientierungen<br />

für ein gewerkschaftspolitisches projektförmiges Engagement im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Verbandsstruktur hergestellt wer<strong>de</strong>n. Diese innovative Verbindung<br />

<strong>de</strong>r beschriebenen Dimensionen führt zu einer erfolgreichen Bindung ehrenamtlich<br />

Engagierter an gewerkschaftliche Strukturen.<br />

5.6.3 Mo<strong>de</strong>ll für Bindungspotentiale ehrenamtlichen Engagements<br />

Das Mo<strong>de</strong>ll zu Bindungspotentialen ehrenamtlichen Engagements eröffnet<br />

neben <strong>de</strong>r Möglichkeit zur differenzierten Darstellung <strong>de</strong>r in diesem Forschungsprojekt<br />

untersuchten Engagementformen die Chance zur gezielten verbandsorientierten<br />

Engagementför<strong>de</strong>rung und erschließt somit Optionsräume, wie ehrenamtliches<br />

Engagement in die (gewerkschaftlichen) Organisationsstrukturen erfolgreich<br />

integriert wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Sowohl für die individuelle als auch die institutionelle Perspektive konnten<br />

die Dimensionen einer inhaltlichen und einer strukturellen Ebene zugeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Dimensionen Motivation und Verantwortung stellen in <strong>de</strong>r jeweiligen Perspektive<br />

<strong>de</strong>n inhaltlichen Bezug dar und die Dimensionen Gratifikation und Netzwerkstruktur<br />

analog <strong>hier</strong>zu <strong>de</strong>n strukturellen Bezug.<br />

Aus <strong>de</strong>m empirischen Material konnte sowohl für das gewerkschaftliche als<br />

auch das außergewerkschaftliche Engagement vorrangig die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r i­<br />

<strong>de</strong>ellen Gratifikation exploriert wer<strong>de</strong>n. Im Kontext <strong>de</strong>r außergewerkschaftlichen<br />

Engagement­Formen führt eine hohe i<strong>de</strong>elle Gratifikation über die starke Berücksichtigung<br />

selbstverwirklichen<strong>de</strong>r Motive in <strong>de</strong>r ehrenamtlichen Arbeit zu einer<br />

Bindung <strong>de</strong>r ehrenamtlich Engagierten, so dass eine darüber hinaus gehen<strong>de</strong><br />

materielle Gratifikation als anreizstrukturelles Moment nicht nötig ist. Die Engagementformen<br />

in verbandsorientierten Strukturen zeichnen sich jedoch vor allem<br />

durch kollektive Orientierungen und eine geringe i<strong>de</strong>elle und materielle Gratifikation<br />

aus.<br />

Für die Engagement­För<strong>de</strong>rung aus gewerkschaftlicher Perspektive kann<br />

somit geschlussfolgert wer<strong>de</strong>n, dass Gewerkschaften ihre strukturellen Angebote<br />

an <strong>de</strong>r Motivation ihrer (potentiellen) Mitglie<strong>de</strong>r – also an <strong>de</strong>ren vorliegen<strong>de</strong>n individuellen<br />

bzw. kollektiven Orientierungen ausrichten müssen, um erfolgreich ehrenamtliches<br />

Engagement in ihren Verbandsstrukturen zu stärken. Das heißt aus<br />

institutioneller Perspektive künftig eine verstärkte materielle Gratifikation (z. B.<br />

durch unbürokratische Aufwandsentschädigungen) zu installieren, um die Engagement­Bereitschaft<br />

für eine von Verantwortungsbewusstsein getragene ehrenamtliche<br />

Arbeit im Rahmen von Verbän<strong>de</strong>n und Vereinen zu erhöhen. Eine erfolgreiche<br />

Bindung ehrenamtlicher Akteure gelingt am ehesten über die Berücksichtigung<br />

je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vier vorangehend erörterten Dimensionen. Die Art und das Ausmaß<br />

<strong>de</strong>r strukturellen För<strong>de</strong>rung über eine materielle Gratifikation hängt nicht nur<br />

von Engagement­Bereich (Thema) und Engagement­Form (Projekt o<strong>de</strong>r zeitlich<br />

langfristig angelegt) ab, son<strong>de</strong>rn wird auch vom Alter <strong>de</strong>r anvisierten Engagierten


­ 179 ­<br />

abhängig sein. So können beispielsweise institutionelle Anreizstrukturen, die erwachsene<br />

Engagierte erfolgreich in Verbän<strong>de</strong> und Vereine bin<strong>de</strong>n, bei einer Übertragung<br />

auf die Gruppe <strong>de</strong>r Jugendlichen scheitern. Insgesamt sollte jedoch das<br />

Engagement­Angebot eine Schnittmenge <strong>de</strong>r 4 Dimensionen bil<strong>de</strong>n, da es ansonsten<br />

zu Engagement­Barrieren kommen kann. Einige Hinweise auf solche,<br />

das Engagement hemmen<strong>de</strong>, Barrieren konnten aus <strong>de</strong>m empirischen Datenmaterial<br />

gewonnen und sollen nachstehend erörtert wer<strong>de</strong>n.<br />

5.6.4 Institutionelle und individuelle Barrieren verbandsorientierten Engagements<br />

Das Mo<strong>de</strong>ll zu Bindungspotentialen ehrenamtlichen Engagements ermöglicht<br />

neben empirischen Ergebnissen zu Bindungspotentialen ehrenamtlichen Engagements<br />

eine Analyse von Engagement­Barrieren. Die in die Auswertung eingeflossenen<br />

empirischen Daten geben über die fallübergreifen<strong>de</strong>, vergleichen<strong>de</strong><br />

Analyse von Textpassagen aufschlussreiche Hinweise im Hinblick auf solche Barrieren.<br />

104<br />

Die Engagement­Hemmnisse können analog <strong>de</strong>r Dimensionen aus institutioneller<br />

und individueller Perspektive beschrieben wer<strong>de</strong>n. Die Barrieren sind<br />

einerseits in <strong>de</strong>n Strukturen und Inhalten <strong>de</strong>r Institutionen und an<strong>de</strong>rerseits in <strong>de</strong>n<br />

han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Subjekten zu verorten. Sie liegen in drei Bereichen:<br />

• im wechselseitigen Verhältnis <strong>de</strong>r Haupt­ und Ehrenamtlichen,<br />

• <strong>de</strong>r Ressourcenausstattung <strong>de</strong>r örtlichen ehrenamtlichen Strukturen<br />

• <strong>de</strong>n individuellen Belastungsgrenzen sowohl beim hauptamtlichen als<br />

auch beim ehrenamtlichen Personal.<br />

Insgesamt sind hinsichtlich <strong>de</strong>r strukturellen Dimension vor allem eine partiell<br />

mangelhafte materielle Ressourcenausstattung <strong>de</strong>r ehrenamtlichen Engagement­Zusammenhänge<br />

festzustellen. Dieser Mangel bezieht sich vor allem auf<br />

Engagement­Strukturen in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn in strukturschwachen ländlichen<br />

Regionen, weniger auf die untersuchten großstädtischen Strukturen in <strong>de</strong>n<br />

alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn.<br />

Hin<strong>de</strong>rlich für das Wachsen ehrenamtlichen Engagements insgesamt wirkt<br />

<strong>de</strong>r verstärkte Personalabbau sowohl bei <strong>de</strong>n Einzelgewerkschaften als auch<br />

beim DGB. Diese Prozesse führen bei <strong>de</strong>n in die Untersuchung einbezogenen<br />

ehrenamtlich­aktiven Mitglie<strong>de</strong>rn zunächst zu einer tieferen Solidarität mit <strong>de</strong>n<br />

verbleiben<strong>de</strong>n Hauptamtlichen und zur erhöhten Bereitschaft eigenen Engagements.<br />

Mittelfristig führt es jedoch bei <strong>de</strong>n betroffenen Engagierten zum Gefühl<br />

<strong>de</strong>s Zwangs, ehrenamtlich tätig sein zu müssen. Dieses Gefühl läßt sich trotz hohen<br />

I<strong>de</strong>alismus‘und einer stark ausgeprägten kollektiven Orientierung dieser ehrenamtlichen<br />

Akteure nicht mit <strong>de</strong>n oben angeführten Bedingungen individuellen<br />

Engagements ­ wie <strong>de</strong>r biographischen Passung und schwächer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Altruismus<br />

– in Einklang bringen. Bei einer Beibehaltung <strong>de</strong>rzeit existieren<strong>de</strong>r struktureller<br />

und inhaltlicher Rahmenbedingungen ehrenamtlichen Engagements wird<br />

es auch weiterhin zunehmend schwerer für Verbän<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n, ehrenamtliche Engagierte<br />

erfolgreich für verbandsorientiertes Engagement zu bin<strong>de</strong>n. 105<br />

104 Zur Analyse von Hemmnissen ehrenamtlicher Arbeit wur<strong>de</strong>n die Daten <strong>de</strong>r Fragebögen triangulierend<br />

mit einbezogen.<br />

105 Als wichtiger Schritt zur Erhöhung <strong>de</strong>r materiellen Gratifikation kann die bessere finanzielle und


­ 180 ­<br />

Neben <strong>de</strong>m hohen I<strong>de</strong>alismus kristallisierten sich zwei weitere Voraussetzungen<br />

für das ehrenamtliche Engagement heraus:<br />

• die Vereinbarkeit mit <strong>de</strong>m Familienleben und<br />

• das Verfügen über ein subjektiv ausreichen<strong>de</strong>s Einkommen.<br />

Die befragten Experten heben die produktive Rolle <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements<br />

nicht nur für die jeweilige Organisation, son<strong>de</strong>rn auch für die Jugendlichen<br />

selbst hervor. Jugendliche sind offen und bereit, sich zu engagieren, haben aber<br />

vielfach keine Kenntnisse von <strong>de</strong>n Möglichkeiten. Entsprechen<strong>de</strong> organisierte Angebote<br />

sind in <strong>de</strong>r Regel nicht Teil <strong>de</strong>s im jeweiligen Milieu selbstverständlich verfügbaren<br />

lebensweltlichen Wissens. Sie stehen in Konkurrenz zu einem überkomplexen<br />

Angebot, das kommerzielle Freizeitangebote umfasst, aber auch das<br />

kollektive „Rumhängen“in <strong>de</strong>r Gruppe bis zur privatistischen Beschäftigung am<br />

und mit <strong>de</strong>m Computer. Die Entscheidung für ein Engagement ist also eine kontingente<br />

biographische Option, für die Zugänge geschaffen wer<strong>de</strong>n müssen. Das<br />

erwähnte Mentorenprogramm, das sich in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg an Schülerinnen<br />

und Schüler wen<strong>de</strong>t ist in dieser Hinsicht ein erfolgversprechen<strong>de</strong>r Ansatz, <strong>de</strong>ssen<br />

Resultate jedoch noch nicht feststellbar sind. Kampagnen wie die „Jobpara<strong>de</strong>“in<br />

Schwerin o<strong>de</strong>r „StrandGut“sind eine an<strong>de</strong>re Herangehensweise. Sie nutzen<br />

eher <strong>de</strong>n Mechanismus, <strong>de</strong>n man aus <strong>de</strong>r Verbreitung von Informationen<br />

(„two­step­flow of communication) o<strong>de</strong>r technischen Innovationen kennt: Es<br />

kommt nicht auf die breite Streuung von Informationen an, son<strong>de</strong>rn auf die I<strong>de</strong>ntifizierung<br />

von Personen, die als Meinungsführer akzeptiert sind und Vertrauen genießen.<br />

Es geht darum, diese Personen zur Teilnahme zu bewegen, <strong>de</strong>nn sie<br />

dienen – durch ihre Vorbildfunktion – als Multiplikatoren, welche das Wissen um<br />

die „neuen“Möglichkeiten verbreitern und die Bereitschaft zur Beteiligung för<strong>de</strong>rn.<br />

Die Vereinbarkeit mit <strong>de</strong>m Familienleben – insbeson<strong>de</strong>re das uneingeschränkte<br />

Einverständnis <strong>de</strong>r Ehefrau bzw. <strong>de</strong>s Ehemanns – bezieht sich sowohl<br />

auf ehrenamliche Akteure <strong>de</strong>r alten als auch <strong>de</strong>r neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r. Die Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>s verfügbaren Einkommens, welches für die Bereitschaft und Ausübung<br />

einer ehrenamtlichen Tätigkeit subjektiv als ausreichend eingeschätzt wer<strong>de</strong>n<br />

müssen – im Sinne von „Ehrenamtlichkeit muss man sich leisten können“– trifft<br />

stärker auf Ost<strong>de</strong>utschland zu, was mit <strong>de</strong>n nicht vollständig an das west<strong>de</strong>utsche<br />

Niveau angepaßten objektiven Lebensbedingungen und sich <strong>hier</strong>aus entwickeln<strong>de</strong><br />

Beeinträchtigungen im subjektiven Wohlbefin<strong>de</strong>n korrespondiert (vgl. Datenreport<br />

1999, 420ff). Diese empirische Ten<strong>de</strong>nz wird allerdings durch das vorliegen<strong>de</strong><br />

Sample, welches in Ost<strong>de</strong>utschland insbeson<strong>de</strong>re strukturschwache Regionen<br />

enthält, zusätzlich verstärkt. Dennoch kann diese tentative Aussage sowohl auf<br />

das verbandsorientierte als auch auf das bürgerschaftliche Engagement in Ost<strong>de</strong>utschland<br />

bezogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die beschriebenen Hemmnisse verringern vor allen Dingen in additiv vorliegen<strong>de</strong>r<br />

Form die Bindungsbereitschaft <strong>de</strong>r ehrenamtlich Interessierten zugunsten<br />

ihrer häuslichen Vereinzelung o<strong>de</strong>r Zuwendung zur reizstärkeren individualisierten<br />

kommerziellen Freizeitindustrie. Die Analyse <strong>de</strong>r Engagement­Barrieren<br />

unterstreicht die im Hinblick auf Bindungspotentiale gewonnenen empirischen<br />

Ergebnisse insbeson<strong>de</strong>re hinsichtlich einer perspektivisch institutionell zu verstärken<strong>de</strong>n<br />

materiellen Gratifikationsstruktur für verbandsorientiertes ehrenamtliches<br />

technische Ausstattung <strong>de</strong>r neu gegrün<strong>de</strong>ter „vierten Ebene“<strong>de</strong>r DGB­Ortsverbän<strong>de</strong> bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n.


­ 181 ­<br />

Engagement. Dieses Ergebnis bezieht sich vor allem auf gewerkschaftliche ehrenamtliche<br />

Engagementstrukturen sowohl in <strong>de</strong>n Einzelgewerkschaften als auch<br />

in <strong>de</strong>n alten DGB­Ortskartellen bzw. neuen Orts­ und Regionalverbän<strong>de</strong>n.


­ 182 ­<br />

6. Neue Ehrenamtlichkeit in traditionellen Mitglie<strong>de</strong>rorganisationen: Zusammenfassen<strong>de</strong><br />

Ergebnisse<br />

6.1 Ehrenamtliches Engagement im Verständnis <strong>de</strong>r Befragten<br />

Frank Ernst<br />

6.1.1 Das Selbstverständnis <strong>de</strong>r Engagierten<br />

Den Ergebnissen <strong>de</strong>s Freiwilligensurveys zufolge bezeichnet die Mehrheit<br />

<strong>de</strong>r Engagierten ihre Tätigkeit als freiwillige Tätigkeit. Das korrespondiert mit <strong>de</strong>n<br />

Ergebnissen unserer eigenen Erhebungen. Bemerkenswert ist, dass einige Engagierte<br />

<strong>de</strong>n Begriff „Ehrenamt“ablehnen, ohne ihre Tätigkeit durch einen an<strong>de</strong>ren<br />

Begriff zu ersetzen. Das geschieht mehr beiläufig, in <strong>de</strong>m sie die ausgeübte Tätigkeit<br />

insgesamt beschreiben. (so z. B. im Erwerbslosenprojekt SALZ) Bun<strong>de</strong>sweit<br />

bevorzugen 48% <strong>de</strong>r Engagierten <strong>de</strong>n Begriff „Freiwilligenarbeit“für ihre freiwillig<br />

ausgeübte Tätigkeit. 32% verstehen ihr Engagement als ein „Ehrenamt“, 7%<br />

bezeichnen es als „Initiativen­ o<strong>de</strong>r Projektarbeit“, 6% als „Bürgerengagement“<br />

und nur 2% als „Selbsthilfe“. (vgl. v. Rosenbladt 2001: 19) Im Engagementbereich<br />

<strong>de</strong>r „beruflichen Interessenvertretung“präferieren dagegen 44% <strong>de</strong>r Engagierten<br />

<strong>de</strong>n Begriff „Ehrenamt“.<br />

Die verwen<strong>de</strong>te Begrifflichkeit durch die Befragten hängt vor allem davon<br />

ab, welche Art freiwilliger Tätigkeit sie ausüben, wo sie diese ausüben und welchen<br />

Anspruch sie an diese stellen. Entschei<strong>de</strong>nd ist nicht zuletzt, in welcher Position<br />

sie zu <strong>de</strong>n freiwilligen Tätigkeiten stehen, mit <strong>de</strong>nen sie zu tun haben. So<br />

lassen sich nach <strong>de</strong>n jeweiligen Untersuchungsschwerpunkten vier Typen i<strong>de</strong>ntifizieren:<br />

• die Expert/inn/en in <strong>de</strong>n Gewerkschaften bzw. Gewerkschaftsprojekten<br />

• die Expert/inn/en in <strong>de</strong>n Projekten, Initiativen bzw. Vereinen außerhalb <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft<br />

• die freiwillig Tätigen in <strong>de</strong>n Gewerkschaftsprojekten<br />

• die freiwillig Tätigen in <strong>de</strong>n Projekten, Initiativen bzw. Vereinen außerhalb<br />

<strong>de</strong>r Gewerkschaft.<br />

Die Selbstbeschreibung <strong>de</strong>s Engagements <strong>de</strong>r von uns befragten Engagierten<br />

differiert je nach Art <strong>de</strong>r Tätigkeit und seines Organisationskontextes:<br />

• Der geringste Teil benutzt die Bezeichnung „Ehrenamt“. Der Begriff ist vor<br />

allem dort verbreitet, wo das Engagement in <strong>de</strong>r gewerkschaftspolitischen<br />

Arbeit besteht.<br />

• Ein größerer Teil benutzt <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Ehrenamts mit einer an<strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung,<br />

die jeweils ergänzend erläutert wird.<br />

• Eine dritte Gruppe grenzt sich vom Begriff <strong>de</strong>s Ehrenamtes ab, ohne jedoch<br />

eine an<strong>de</strong>re Bezeichnung an seine Stelle zu setzen. Sie beschreiben<br />

<strong>de</strong>n Unterschied anhand <strong>de</strong>r Tätigkeiten, die sie ausüben sowie <strong>de</strong>r Begründung,<br />

warum sie diese ausüben.


­ 183 ­<br />

• Schließlich lehnen einige Engagierte <strong>de</strong>n Begriff Ehrenamt konsequent ab,<br />

und <strong>de</strong>finieren ihr Engagement anhand eines an<strong>de</strong>ren Begriffes (z.B. freiwillige<br />

Tätigkeit, bürgerschaftliches Engagement). 106<br />

6.1.2 Das Selbstverständnis <strong>de</strong>r Expert/inn/en<br />

Auch bei <strong>de</strong>n befragten Expert/inn/en fällt die verwen<strong>de</strong>te Begrifflichkeit für<br />

das freiwillige Engagement vielfältig aus.107 Sie ist in erster Linie nicht individuellen<br />

Vorlieben geschul<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r jeweiligen beruflichen Einbindung. Unabhängig<br />

davon, spiegeln sich in <strong>de</strong>n Aussagen <strong>de</strong>r Expert/inn/en auch die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Konzepte von Engagement wi<strong>de</strong>r, die in <strong>de</strong>n unterschiedlichen Einrichtungen<br />

tragend sind. Es geht bei <strong>de</strong>r Verwendung <strong>de</strong>r unterschiedlichen Bezeichnungen<br />

nicht zuletzt um die Gewinnung o<strong>de</strong>r Bewahrung – und bei neueren<br />

Begriffen um die Etablierung – <strong>de</strong>r Definitionshoheit sowie um Konkurrenz um die<br />

Ressource Freiwilligkeit. Die einzelnen Konzepte grenzen sich auch gera<strong>de</strong> über<br />

die Begrifflichkeit voneinan<strong>de</strong>r ab.<br />

Im folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n die unterschiedlichen Verständnisse <strong>de</strong>r Expert/inn/en<br />

unter Beachtung <strong>de</strong>r jeweiligen Einrichtung, die sie vertreten, analysieren.<br />

Ein grobes Raster, das dabei als ein Leitfa<strong>de</strong>n dienen soll, ist die Unterscheidung<br />

zwischen Expert/inn/en inner­ und außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft. Es ist außer<strong>de</strong>m<br />

zu beachten, ob die Expert/inn/en das Engagementverständnis von ehrenamtlich<br />

Engagierten beschreiben o<strong>de</strong>r ihr eigenes.<br />

Die Expert/inn/en reflektieren <strong>de</strong>n Begriff Engagements in <strong>de</strong>r Regel sehr<br />

spezifisch. Die Reflektionsgenauigkeit nimmt mit steigen<strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Aufgaben in<br />

bezug auf freiwillige Tätigkeit innerhalb <strong>de</strong>r Organisation bzw. <strong>de</strong>s Vereins zu. Am<br />

stärksten hängt diese aber von <strong>de</strong>r Etablierung <strong>de</strong>s verwen<strong>de</strong>ten Begriffs in <strong>de</strong>r<br />

eigenen Organisation bzw. Einrichtung ab. Dort, wo unterschiedliche Be<strong>de</strong>utungen<br />

von freiwilliger Tätigkeit existieren, gibt es aufgrund <strong>de</strong>r größeren Reibungspotentiale<br />

größere Reflektionsgenauigkeiten.<br />

Unter <strong>de</strong>n Expert/inn/en aus <strong>de</strong>n Gewerkschaften o<strong>de</strong>r aus Projekten, die<br />

von <strong>de</strong>n Gewerkschaften getragen wer<strong>de</strong>n, wird vorrangig <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Ehrenamts<br />

verwen<strong>de</strong>t. Dabei sind allerdings unterschiedliche Be<strong>de</strong>utungen auszumachen,<br />

die <strong>de</strong>m Begriff zugeschrieben wer<strong>de</strong>n. Konsens besteht darüber, dass neben<br />

die Formen klassischer Ehrenamtlichkeit neue Formen getreten sind. Die<br />

neuen Formen wer<strong>de</strong>n als projektorientiertes, themenbezogenes und zumeist<br />

zeitlich befristetes Engagement verstan<strong>de</strong>n. Dieses Verhältnis von „neuer“und<br />

„alter“Ehrenamtlichkeit lässt sich an <strong>de</strong>r Unterscheidung von Projekt­ und Gremienarbeit<br />

festmachen. So stellt eine Gewerkschaftsexpertin fest, dass in <strong>de</strong>r ehrenamtlichen<br />

Arbeit in bezug zu früher eigentlich kein großer Unterschied auszumachen<br />

sei. Neu seien lediglich die „atypischen Jugendlichen und Ehrenamtlichen“,<br />

die projektbezogen arbeiten und auf Gremienarbeit keine Lust hätten.<br />

Neues Ehrenamt wird <strong>hier</strong> als ein zusätzliches Engagement verstan<strong>de</strong>n, das zum<br />

klassischen Ehrenamt hinzugekommen ist. An<strong>de</strong>re Expert/inn/en sehen das Neue<br />

106 Als empirische Beispiele für die differenzierte Selbstbeschreibung vgl. z.B. Kap. 3.6.4 („Engagementtypen“).<br />

107 Mit Expert/inn/en sind jene gemeint, die spezifische berufliche o<strong>de</strong>r politische Positionen innehaben,<br />

die in einem Zusammenhang zu ehrenamtlichem Engagement stehen (ohne selbst notwendigerweise<br />

entsprechend engagiert zu sein) und von uns diesbezüglich interviewt wur<strong>de</strong>n.


­ 184 ­<br />

im Ehrenamt lediglich in <strong>de</strong>r Erweiterung <strong>de</strong>s Angebotes in bezug auf bestimmte<br />

Gruppen, beispielsweise auf Erwerbslose.<br />

Anhand <strong>de</strong>r Expert/inn/en­Interviews zeigt sich, dass es <strong>hier</strong> ein Verständnis<br />

von neuer Ehrenamtlichkeit gibt, das sich grob in drei Niveaus unterteilen<br />

lässt.<br />

• Die Aus<strong>de</strong>hnung ehrenamtlicher Tätigkeit, um neue relevante Gruppen<br />

(wie die Arbeitslosen) zu erreichen.<br />

• Neue Ehrenamtlichkeit als zusätzliche Form von Engagement, die zu <strong>de</strong>m<br />

klassischen Engagement hinzugekommen ist. Sie zeichnet sich vor allem<br />

durch Projektorientierung aus.<br />

• Die Entwicklung neuer Ehrenamtlichkeit durch ein Lösen von eingefahrenen<br />

Strukturen innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaften.<br />

Die zuletzt aufgeführte Position zu Engagement geht von <strong>de</strong>r Organisation<br />

aus und sieht in <strong>de</strong>ren Fähigkeit zur Flexibilität die Chance für eine Entwicklung<br />

neuer Formen von Engagement. Die Ansicht, die im ersten Niveau zusammengefasst<br />

ist, begrenzt <strong>de</strong>n Blick nicht nur auf die Engagierten, son<strong>de</strong>rn auch auf die<br />

Form <strong>de</strong>s Engagements. Hier gibt es statt einer Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Form (nur) eine<br />

Erweiterung <strong>de</strong>s Wirkungsbereichs (Expansion). Dieses Verständnis spiegelt sich<br />

auch in <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r Unterstützung und För<strong>de</strong>rung von außerbetrieblicher Gewerkschaftsarbeit<br />

wi<strong>de</strong>r. Die Strukturen <strong>de</strong>r Wohngebietsarbeit sind dort besser etabliert,<br />

wo die Position, die im Niveau drei zusammengefasst ist, vertreten wird. Das<br />

unterstreicht noch einmal, wie stark <strong>de</strong>r Aufbau von Strukturen in <strong>de</strong>r außerbetrieblichen<br />

Gewerkschaftsarbeit von einzelnen Personen abhängig ist:<br />

Dieses Thema Ehrenamtlichkeit und Entwicklung von Ehrenamtlichkeit, das<br />

hängt viel von han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Personen ab. Inwieweit sie sich lösen können von <strong>de</strong>n<br />

eingefahrenen Strukturen, von <strong>de</strong>n verinnerlichten Erfahrungen, wie sie bereit<br />

sind, auch mal neue Wege zu gehen, wie sie eben halt sich nicht vom Tagesgeschäft<br />

umbringen lassen. (...) Und diese Dinosauriertum, was da teilweise vorliegt,<br />

ich kann eben halt nur sagen, es gibt Geschichten, gesicherte Erfahrungen in <strong>de</strong>r<br />

Organisationspolitik von Gewerkschaften ,da ist es gut, das man Traditionalist ist,<br />

und es gibt an<strong>de</strong>re Fel<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m Bereich, wo es sehr wichtig ist, dass man da<br />

auch neue Wege geht und nur in <strong>de</strong>r Kombination, das Eine mit <strong>de</strong>m An<strong>de</strong>ren,<br />

und bei<strong>de</strong>s muss gut sein, funktioniert das Ganze.(Experte IGM­Rostock)<br />

Die Ansicht, dass eine erfolgreiche außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit<br />

von <strong>de</strong>n einzelnen Personen vor Ort abhängig ist, wur<strong>de</strong> von all jenen gewerkschaftlichen<br />

Expert/inn/en vertreten, die außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit<br />

für einen wichtigen, zu för<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Bereich halten. Aus diesem Grund ist auch<br />

nicht je<strong>de</strong>/r geeignet. Die ehrenamtlich Tätigen müssen von <strong>de</strong>n Zielgruppen anerkannt<br />

und außer<strong>de</strong>m organisationserfahren sein. Diese Bedingungen dürften<br />

einen gewichtigen Grund für die große Zahl Aktiver in <strong>de</strong>r gewerkschaftlichen<br />

Wohngebietsarbeit darstellen.<br />

Differenzen zwischen <strong>de</strong>n Expert/inn/en sind auch in <strong>de</strong>r Einschätzung<br />

neuer Formen <strong>de</strong>s Engagements sichtbar. Hier konnte mit <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gruppendiskussion<br />

pointierter herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n, was sich in <strong>de</strong>n Expert/inn/eninterviews<br />

ange<strong>de</strong>utet hatte. Dass es unter <strong>de</strong>n Befürworter/innen für<br />

eine Unterstützung und Investitionen in ehrenamtliche Tätigkeit zwei Richtungen<br />

gibt. Während die einen im befürworteten Ausbau <strong>de</strong>s Ehrenamtes ein Risiko sehen,<br />

begreifen die an<strong>de</strong>ren ihn als Chance. Ersteren geht es bei ehrenamtlicher


­ 185 ­<br />

Tätigkeit um die Selbständigkeit <strong>de</strong>r Engagierten, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren um <strong>de</strong>ren Selbstbestimmung.<br />

Diese Debatte um die Be<strong>de</strong>utung ehrenamtlichen Engagements in<br />

<strong>de</strong>n Gewerkschaften wird auf <strong>de</strong>r diskursiven Folie von Professionalisierung <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaften einerseits und Gewerkschaften als soziale Bewegung an<strong>de</strong>rerseits<br />

geführt. „Selbständigkeit“bezieht sich auf die Wahl <strong>de</strong>r Mittel o<strong>de</strong>r auch das<br />

Verfügungsrecht über ein gewisses Budget, „Selbstbestimmung“dagegen auch<br />

auf die Festlegung <strong>de</strong>r Ziele durch die Engagierten selbst. Im ersten Fall erscheint<br />

das Ehrenamt als Risiko, weshalb die Hauptamtlichen das Ehrenamt zu kontrollieren<br />

haben. Im zweiten Fall wird stärker auf die Selbstorganisation vertraut. Das<br />

ehrenamtliche Engagement gewinnt <strong>hier</strong> <strong>de</strong>n Charakter einer Chance für die Weiterentwicklung<br />

<strong>de</strong>r Organisation und die Bindung <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r an sie. 108<br />

Ehrenamtliches Engagement hat aber auch nach Einschätzung einiger Expert/inn/en<br />

seine Grenzen, die in <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>s Engagements liegen. So wur<strong>de</strong><br />

freiwilliges Engagement von ihnen nur dann als Möglichkeit gesehen, wenn es<br />

eine zusätzliche Tätigkeit neben <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit ist:<br />

Aber meine Auffassung von Ehrenamtlichkeit ist die, wenn ich einen festen<br />

Job hab und da meine Brötchen verdienen kann, dann kann ich Nachmittags ein<br />

zweimal die Woche auch noch ehrenamtlich tätig wer<strong>de</strong>n. Aber wenn ich kein,<br />

wenn ich nur <strong>hier</strong> mein meine Arbeitslosenhilfe abhole in <strong>de</strong>m dreh, dann bin ich<br />

nicht bereit in meiner Freizeit, und da hat man genug Freizeit, in <strong>de</strong>m dreh dann<br />

noch ehrenamtlich zu machen. Gut ja, aber nicht übermäßig, weil das ja ausgenutzt<br />

wird dann irgendwo und das fin<strong>de</strong> ich nicht in Ordnung. (Experte gewerkschaftsnaher<br />

Jugendverein, Wismar)<br />

So im Gespräch erzählt sie mir [eine Bekannte, Anm. F. Ernst], och, dann<br />

geh ich ja zwei mal zur AWO, aber sagt se, das nimmt immer mehr Formen an, so<br />

erst mal hab ich immer da Kaffee und Kuchen ausgeteilt, so zwei Nachmittage,<br />

und jetzt kommt sie schon [...] o<strong>de</strong>r dann putz ich auch schon mal. Ich sag, und<br />

was kriegst du dafür. Ja sagt se, ach, ich hab ja Zeit. Ich sag hör mal zu, das ist<br />

gar nicht in unserm Sinne. (...) Dann möchtest du das <strong>bitte</strong> bezahlt bekommen,<br />

ne. Aber da ham die noch Hemmungen; und die hat wirklich kein Geld. Da hört<br />

bei mir ehrenamtliche Arbeit auch auf, da gibt es auch irgendwo Grenzen, ne.<br />

(Expertin, ver.di Essen)<br />

Hier wird erkennbar ein Dienstleistungscharakter <strong>de</strong>s Engagements abgelehnt<br />

und verurteilt, da die Engagierten nicht in <strong>de</strong>r Lage sind, die eigenen Interessen<br />

– nicht zuletzt ihre finanziellen ­ zu vertreten. Engagement ist in dieser<br />

Situation allein die Verrichtung von Dienstleistungsarbeit, <strong>de</strong>ren Nutzen nur für die<br />

Organisation ersichtlich ist.<br />

Die befragten Expert/inn/en außerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft verwen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n<br />

Begriff <strong>de</strong>s Ehrenamtes nicht o<strong>de</strong>r nur sehr differenziert. Häufig wird <strong>de</strong>r Begriff<br />

„freiwillige Tätigkeit“bevorzugt. Der Verwendung <strong>de</strong>r Begrifflichkeit ist ein Konzept<br />

bzw. eine I<strong>de</strong>e immanent. Freiwilligenagenturen o<strong>de</strong>r Ehrenamtsbörsen verstehen<br />

die Tätigkeiten, die sie vermitteln, als Freiwilligentätigkeiten, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Freiwillige<br />

im Mittelpunkt steht. Hierbei ist zwischen alten und neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn zu<br />

unterschei<strong>de</strong>n. So ist in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s bürgerschaftlichen<br />

Engagements zentral und wird als Abgrenzung zum klassischen Ehrenamt verstan<strong>de</strong>n:<br />

108 In <strong>de</strong>r Gruppendiskussion mit gewerkschaftlichen Experten im Mai 2002 nahmen diese bei<strong>de</strong>n<br />

Pole einen zentralen Stellenwert ein.


­ 186 ­<br />

Das sind Menschen [bürgerschaftlich Engagierte, Anm. F. Ernst], die sich<br />

einbringen ins Gemeinwesen, mit einer Aktivität, die ganz unterschiedlich sein<br />

kann, ohne Bezahlung. Aber mit Rahmenbedingungen, sprich Räumlichkeiten,<br />

Arbeitsbedingungen, die sie dazu brauchen, und ich meine auch mit einem zumin<strong>de</strong>stens<br />

hauptamtlichen Ansprechpartner. (...)<br />

Also für mich ist das bürgerschaftliche Engagement nach meiner Definition<br />

schon <strong>de</strong>s neue Engagement, weil einfach die Bedingungen an<strong>de</strong>re sind. Was ich<br />

mit Ehrenamt verbin<strong>de</strong>: dieses ausgenutzt wer<strong>de</strong>n, Stück weit missbraucht wer<strong>de</strong>n<br />

auch, nicht nein sagen zu dürfen, äh dann auf Lebenszeit so dieser Aufgabe<br />

verschworen. Das sind für mich Ehrenamts<strong>de</strong>finitionen. Und damit wird man heute,<br />

glaub ich, kaum noch Menschen erreichen können. (Expertin, Stadt Esslingen)<br />

Grundsätzlich verstehe ich unter bürgerschaftlichem Engagement je<strong>de</strong><br />

Form <strong>de</strong>r freiwilligen Betätigung von Bürgerinnen und Bürgern und da differenziere<br />

ich jetzt nicht ob das jemand als Ehrenamt als klassischer Ehrenamtlicher im<br />

Verein tut o<strong>de</strong>r in einem Wohlfahrtsverband o<strong>de</strong>r wo er auch immer das tut.<br />

...,son<strong>de</strong>rn dass die Kommune ein Stück weit Bürgerschaftliche einbezieht im<br />

Prozess und Entscheidungen. (...) Aber dass dann wirklich <strong>de</strong>r Bürger in jeglichen<br />

Entscheidungen einer Kommune eingebun<strong>de</strong>n wird, das wär für mich eine Vision.<br />

Das ist auch für mich dann eine mo<strong>de</strong>rne Verwaltung. (...) Die aktive Mitwirkung<br />

am Prozess in einer Stadt, Gemein<strong>de</strong>, Kommune, Landkreis, wie auch immer, das<br />

wär für mich das Optimale. (Experte, Ministerium, Stuttgart)<br />

Nach Auskunft eines ministeriellen Verwaltungsmitarbeiters wird <strong>de</strong>r Begriff<br />

bürgerschaftliches Engagement auf Verwaltungsebene konsequent benutzt. In<br />

<strong>de</strong>r Kommunikation mit <strong>de</strong>n Engagierten verwen<strong>de</strong> man auch oft die Bezeichnung<br />

„freiwilliges Engagement“, um <strong>de</strong>n Präferenzen <strong>de</strong>r Engagierten entgegenzukommen.<br />

Denn von kleineren Vereinen wird <strong>de</strong>r Begriff bürgerschaftliches Engagement<br />

als reiner Mo<strong>de</strong>begriff interpretiert. Dies Vereine bevorzugen auch in Ba<strong>de</strong>n­Württemberg<br />

die Beschreibung „freiwillige Tätigkeit“.<br />

Die Begrifflichkeiten sind auf <strong>de</strong>n politischen und <strong>de</strong>n Verwaltungsebenen<br />

gut reflektiert und entsprechen mehr o<strong>de</strong>r weniger <strong>de</strong>m politischen Programm,<br />

das man damit verbin<strong>de</strong>t. Das wird in <strong>de</strong>r Fallstudie Stuttgart beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich.<br />

Hier gibt es in <strong>de</strong>r Begrifflichkeit drei abgrenzbare Gruppierungen, die sich nach<br />

Form, Inhalt und Zeit unterschei<strong>de</strong>n:<br />

a) bürgerschaftliches Engagement<br />

b) Engagement <strong>de</strong>r Agenda21­Gruppen<br />

c) Ehrenamt.<br />

a) und b) setzen sich zwar aus unterschiedlicher Klientel mit unterschiedlichen<br />

Ansprüchen und Inhalten zusammen, sind aber ten<strong>de</strong>nziell im bürgerschaftlichen<br />

Engagement verankert. Während es bei <strong>de</strong>r Abgrenzung von c) nicht einfach<br />

um an<strong>de</strong>re Inhalte o<strong>de</strong>r um arbeitsteilige Aufgaben geht, son<strong>de</strong>rn um unterschiedliche<br />

politische Konzepte.<br />

In Mecklenburg­Vorpommern wird <strong>de</strong>r Begriff „neues Ehrenamt“auf Verwaltungsebene<br />

synonym mit bürgerschaftlichem Engagement verwen<strong>de</strong>t.<br />

Generell lässt sich sagen, dass sich die befragten Expert/inn/en darin einig<br />

sind, dass sie im Begriff Ehrenamt eine Konnotation sehen, die <strong>de</strong>n Tätigkeiten<br />

<strong>de</strong>r Engagierten nicht gerecht wird. Begriffe wie „neues Ehrenamt“und „bürgerschaftliches<br />

Engagement“wer<strong>de</strong>n zwar von vielen Expert/inn/en benutzt, aber<br />

von vielen Engagierten in <strong>de</strong>n Vereinen als aufoktroyiert empfun<strong>de</strong>n.Der Begriff<br />

„neues Ehrenamt“hat sich bis jetzt nicht wirklich etablieren können. Am ehesten


­ 187 ­<br />

wird er noch innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaft verwen<strong>de</strong>t. Hier kennzeichnet er vor allem<br />

die projektbezogene ehrenamtliche Tätigkeit.<br />

6.1.3 Motive <strong>de</strong>r Engagierten aus Sicht <strong>de</strong>r Expert/inn/en<br />

Nach Einschätzungen <strong>de</strong>r Expert/inn/en engagieren sich die einzelnen aus<br />

unterschiedlichen Motiven. Innerhalb <strong>de</strong>r Gewerkschaften gibt es darüber verschie<strong>de</strong>ne<br />

Meinungen. Diese reichen von <strong>de</strong>r Ansicht, dass Arbeitslosigkeit und<br />

die damit reichlich vorhan<strong>de</strong>ne Zeit ein Grund für Engagement seien, dass ein<br />

Engagement Ausdruck von Solidarität sei und/o<strong>de</strong>r aus Angst ausgeübt wird, um<br />

nicht in ein Loch zu fallen, bis hin zu <strong>de</strong>r diffuseren Ansicht, dass die Motive sehr<br />

vielschichtig seien und sich nicht auf einen Erklärungszusammenhang reduzieren<br />

lassen.<br />

Frage: Was treibt die Leute sich ehrenamtlich zu engagieren? Was sind die<br />

Motive?<br />

Experte: Also in hohem Maße Selbstverwirklichung, glaub ich. Anerkennung,<br />

in einem etwas geringeren Maße. Aber glaub ich auch eher typisch für die<br />

Arbeitsmarktsituation <strong>hier</strong>, die Hoffnung, dass sich daraus möglicherweise ne<br />

verstätigte Beschäftigung entwickelt. Wär falsch das zu verschweigen. Und an<br />

manchen Stellen, <strong>de</strong>nk ich auch, so was wie sich selber ausprobieren, zurechtzufin<strong>de</strong>n<br />

und für die eigene Entwicklung etwas zu tun. Auf Leute zuzugehen, miteinan<strong>de</strong>r<br />

zu kommunizieren, Gleichgesinnte zu fin<strong>de</strong>n, bestimmte I<strong>de</strong>en zu verwirklichen,<br />

die man selber so mit sich rumträgt o<strong>de</strong>r an manchen Stellen auch das Gefühl<br />

äh, mal auszutesten und zu hinterfragen. (...) Ich glaub, dass vieles, was da<br />

so passiert auch zur Selbstorientierung, zur Selbstfindung beiträgt. (Experte IGM­<br />

Rostock)<br />

Im außergewerkschaftlichen Bereich sehen die Befragten innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Fallstudie Stuttgart die Motivation <strong>de</strong>r Engagierten in erster Linie in <strong>de</strong>r Erhaltung<br />

von Lebensqualität, in einem sinnvollen Ausgleich zur Arbeit, im Einfluss bei <strong>de</strong>r<br />

Gestaltung <strong>de</strong>s Wohnumfel<strong>de</strong>s und in einem Bedürfnis, zusammen mit an<strong>de</strong>ren<br />

aktiv zu sein. In <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn richtet sich die Motivation zum Engagement<br />

aufgrund <strong>de</strong>r hohen Arbeitslosigkeit dagegen stark am Arbeitsmarkt aus.<br />

So ist nach Auskunft <strong>de</strong>r Freiwilligenagentur Halle die Gruppe <strong>de</strong>r Erwerbslosen<br />

mit ca. 40% unter <strong>de</strong>n Interessenten vertreten, obwohl sie nicht die primäre Zielgruppe<br />

<strong>de</strong>r Agentur darstellen. Viele sehen in <strong>de</strong>r Vermittlung in ein Engagement<br />

<strong>de</strong>n Versuch, wie<strong>de</strong>r in Erwerbsarbeit zu kommen. (Experte Freiwilligenagentur<br />

Halle)<br />

Die Motivation für ein Engagement kann laut einer Expertin aus Mecklenburg­Vorpommern<br />

nach vier verschie<strong>de</strong>nen Typen unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n:<br />

• Ehrenamt im Sinne von Verpflichtung. Menschen, die in überleben<strong>de</strong>n<br />

Strukturen engagiert sind: z. B. die Volkssolidarität o<strong>de</strong>r die Gewerkschaft.<br />

• Subjektive Motivationen <strong>de</strong>s einzelnen: Umweltschutzgrün<strong>de</strong>, Kirche, also<br />

aus <strong>de</strong>n eigenen inneren Einstellungen heraus. Hier gibt es keinen Unterschied<br />

zwischen Ost und West.<br />

• Die „Es muss doch was passieren“Motivierten, die versuchen, eine von ihnen<br />

empfun<strong>de</strong>ne Lücke zu füllen, oft im Bereich <strong>de</strong>r Jugendarbeit und <strong>de</strong>r<br />

Kultur. Hier engagieren sich sehr viele Senioren, die das Gefühl haben,<br />

dass <strong>de</strong>r Arbeitsmarkt sie nicht mehr braucht, die auch kaum noch eine


­ 188 ­<br />

Chance haben, in <strong>de</strong>n ersten Arbeitsmarkt zu kommen, die aber viel Elan<br />

und Kenntnisse haben.<br />

• Menschen, die in ABM bzw. SAM sind und sich eigentlich für <strong>de</strong>n ersten<br />

Arbeitsmarkt qualifizieren wollen, die dann aber durchaus ein Engagement<br />

aufnehmen und dabei bleiben.<br />

Die Expertin betont, dass ein Motivationsknick bei Jugendlichen zu beobachten<br />

sei, <strong>de</strong>n sie auf die Erfahrung <strong>de</strong>r Jugendlichen zurückführt, dass die Eltern<br />

„keine Chance mehr hatten und vom neuen Staat allein gelassen wur<strong>de</strong>n“.<br />

(Expertin, Mecklenburg­Vorpommern) Aufbauend auf dieser Erkenntnis, ist es die<br />

Absicht politischer Stellen, Jugendliche darüber zu motivieren, dass sich das Engagement<br />

beruflich verwerten lässt. Das berücksichtigt <strong>de</strong>n Anspruch <strong>de</strong>r Jugendlichen,<br />

dass ein Engagement für die weitere berufliche Entwicklung nützlich sein<br />

müsse. Der Verwertbarkeitsanspruch bei Jugendlichen sei generell höher als bei<br />

älteren Menschen. (Expertin, Mecklenburg­Vorpommern)<br />

In <strong>de</strong>r Fallstudie Stuttgart spielt das Thema Arbeitslosigkeit bei <strong>de</strong>n Expert/inn/en<br />

– mit Ausnahme im Arbeitslosenzentrum SALZ ­ eine völlig untergeordnete<br />

Rolle. Engagement wird <strong>hier</strong> in einer an<strong>de</strong>ren Funktion zu Erwerbslosigkeit<br />

gesehen und eher als eine Möglichkeit verstan<strong>de</strong>n, sich zu qualifizieren, um<br />

Anschlüsse an <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt herzustellen. Viele Erwerbslose wollen sich über<br />

ein Engagement Zugang zum Arbeitsmarkt verschaffen. Gera<strong>de</strong> Mütter mit Kin<strong>de</strong>rn<br />

sehen bürgerschaftliches Engagement als Sprungbrett, um wie<strong>de</strong>r in Arbeit<br />

zu kommen. Engagement und Erwerbslosigkeit sei in <strong>de</strong>r Bürgerschaftlichen­<br />

Engagement­Landschaft ein randständiges Thema . Aber es sei gera<strong>de</strong> im Sinne<br />

von Qualifizierung sinnvoll, kommunikative Zusammenhänge wie<strong>de</strong>rzufin<strong>de</strong>n, die<br />

wie<strong>de</strong>r Wege in das Erwerbsleben erschließen. (Experte, Verband, Stuttgart)<br />

6.2 Engagement im Rahmen <strong>de</strong>r Gewerkschaftsarbeit<br />

Jürgen Wolf<br />

Ehrenamtliches Engagement spielt in <strong>de</strong>n Gewerkschaften seit jeher eine<br />

herausragen<strong>de</strong> Rolle. Die Handlungsfel<strong>de</strong>r lassen sich nach <strong>de</strong>m Ort (betrieblich /<br />

außerbetrieblich), nach <strong>de</strong>n Zielgruppen (Jugendliche, Senioren, Erwerbslose)<br />

und <strong>de</strong>r Form („traditionelles“/ „neues“Ehrenamt) unterschei<strong>de</strong>n (Abb. 1). Darüber<br />

hinaus kann das Engagement direkt in <strong>de</strong>r Gewerkschaft erfolgen o<strong>de</strong>r indirekt<br />

durch sie geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

Das betriebsbezogene Engagement (Fel<strong>de</strong>r 1 und 2 <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Tafel)<br />

wird durch Verän<strong>de</strong>rungen von Arbeitsstrukturen und Arbeitszeiten herausgefor<strong>de</strong>rt.<br />

Hier fin<strong>de</strong>n sich „neue“Formen <strong>de</strong>s gewerkschaftlichen Engagements<br />

beispielsweise in Betrieben <strong>de</strong>r „New Economy“, wobei sich die Erwartungen <strong>de</strong>r<br />

Mitarbeiter in dieser Branche laut einer Befragung <strong>de</strong>r connexx.av (vgl. zusammenfassend<br />

http://www.einblick.dgb.<strong>de</strong>/archiv/0116/gf011602.htm) vorrangig auf ein<br />

kompetentes Dienstleistungs­ und Vertretungsangebot richten. Nicht die Inhalte,<br />

son<strong>de</strong>rn die Form <strong>de</strong>r Ansprache und Einbindung scheinen in diesem Bereich die<br />

hauptsächliche Herausfor<strong>de</strong>rung darzustellen. In diesen Komplex gehört auch die<br />

Definition <strong>de</strong>r Rolle, die Gewerkschaften im Rahmen von Konzepten und Aktivitäten<br />

<strong>de</strong>r „corporate citizenship“einnehmen. Bisher scheint dies aber ein unterbelichtetes<br />

Handlungsfeld zu sein.


­ 189 ­<br />

Ein wichtiges Aufgabengebiet stellen <strong>hier</strong> auch „indirekte“Formen <strong>de</strong>r Engagementför<strong>de</strong>rung<br />

dar, insbeson<strong>de</strong>re Regelungen und Vereinbarungen zugunsten<br />

einer besseren Vereinbarkeit von Arbeits­ und Engagementzeiten. Zwar sind<br />

Berufstätige in höherem Ausmaß ehrenamtlich aktiv als nicht Erwerbstätige, allerdings<br />

wer<strong>de</strong>n die ungünstige Lage und mangeln<strong>de</strong> Flexibilität <strong>de</strong>r Arbeitszeit sowie<br />

mangeln<strong>de</strong> Freistellungsmöglichkeiten als ein wesentlicher Hin<strong>de</strong>rungsgrund<br />

für die Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit gesehen (vgl. Klenner / Pfahl<br />

2001).<br />

Schema: Handlungsfel<strong>de</strong>r ehrenamtlichen Engagements in <strong>de</strong>n Gewerkschaften 109<br />

Handlungsfel<strong>de</strong>r ehrenamtlichen Engagements in <strong>de</strong>n Gewerkschaften<br />

Form Betrieblich außerbetrieblich<br />

„traditionell“ ­ 1 ­<br />

­ Betriebs­ / Personalräte<br />

(nicht freigestellt)<br />

­ Vertrauensleute<br />

­ Jugend­ und Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>nvertreter<br />

­ Arbeit in Ausschüssen<br />

und Kommissionen<br />

„neu“ ­ 2 ­<br />

­ Vertretungsformen in <strong>de</strong>r<br />

„New Economy“<br />

­ Rolle in „corporate citizenship“­Aktivitäten<br />

­ Engagementför<strong>de</strong>rung<br />

durch Arbeitszeitregelungen<br />

­ 3 ­<br />

­ Beratung, Betreuung,<br />

Expertise<br />

­ Seniorenarbeit<br />

­ Jugendarbeit<br />

­ 4 ­<br />

­ Arbeitslosenarbeit<br />

­ Wohngebietsarbeit<br />

­ Kulturarbeit<br />

­ „B­Teams“<br />

Im außerbetrieblichen Bereich ehrenamtlicher Tätigkeiten lassen sich „traditionelle“Formen<br />

i<strong>de</strong>ntifizieren, die eine I<strong>de</strong>ntifizierung mit <strong>de</strong>r Rolle als Arbeitnehmer<br />

und Gewerkschaftsmitglied voraussetzen, zum Teil milieugeprägt sind<br />

und Arbeitserfahrungen im Fokus <strong>de</strong>r Tätigkeiten haben sowie in die gewerkschaftliche<br />

Gremienstruktur eingebun<strong>de</strong>n sind (Feld 3). „Neue“Formen knüpfen<br />

dagegen an Erfahrungen und Interessen an, die nicht selbstverständlich auf diesen<br />

Erfahrungshintergrund rekurrieren können und neuere, flexiblere Formen <strong>de</strong>s<br />

Verhältnisses von Organisation und Engagierten ermöglichen (Feld 4).<br />

Die Tätigkeiten als ehrenamtliche Arbeitsrichter, Versicherungsobleute in<br />

<strong>de</strong>n Einrichtungen <strong>de</strong>r Sozialversicherung und Schiedsleute stellen hergebrachte<br />

Formen <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements dar, die aus <strong>de</strong>r Stellung <strong>de</strong>r Gewerkschaften<br />

im korporatistischen System resultieren (z.B. <strong>de</strong>r paritätischen Besetzung<br />

<strong>de</strong>r Aufsichtsorgane <strong>de</strong>r Sozialversicherungsträger). Eine zentrale Voraussetzung<br />

dieser Tätigkeiten ist die langjährige Organisationserfahrung und Qualifi­<br />

109 Die Abbildung ist i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>r Darstellung im Bericht <strong>de</strong>r Enquete­Kommission „Zukunft<br />

<strong>de</strong>s bürgerschaftlichen Engagements“(Enquete­Kommission 2002b: 447). Sie wird <strong>de</strong>nnoch ohne<br />

Quellenangabe abgebil<strong>de</strong>t, weil sie im Forschungsprojekt entwickelt und <strong>de</strong>r Kommission zur Verfügung<br />

gestellt wur<strong>de</strong>.


­ 190 ­<br />

kation. Aus diesem Grund wer<strong>de</strong>n <strong>hier</strong> vor allem „verdiente Gewerkschafter“angesprochen.<br />

Zahlreiche ehrenamtliche Aktivitäten und Angebote <strong>de</strong>r Gewerkschaften<br />

richten sich auf die Mitglie<strong>de</strong>rgewinnung und –betreuung. Die DGB­<br />

Gewerkschaften zählten En<strong>de</strong> 2000 rund 7,77 Millionen Mitglie<strong>de</strong>r, 264 000 weniger<br />

als En<strong>de</strong> 1999. Damit ist die Mitglie<strong>de</strong>rzahl erstmals wie<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>n Stand<br />

von 1990 gefallen: Vor <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch­<strong>de</strong>utschen Vereinigung hatten die DGB­<br />

Gewerkschaften 7,9 Millionen Mitglie<strong>de</strong>r, danach 11,8 Millionen. Der absolute<br />

Verlust hat sich im vergangenen Jahr zwar weiter abgeschwächt (264 000 statt<br />

274 000 im Jahr 1999), <strong>de</strong>r relative jedoch nicht – er ist mit 3,3 Prozent in bei<strong>de</strong>n<br />

Jahren gleich geblieben. Diese Entwicklung hat nicht nur <strong>de</strong>mographische Ursachen<br />

son<strong>de</strong>rn auch die mangeln<strong>de</strong> Bereitschaft, Mitglied zu wer<strong>de</strong>n. So ist <strong>de</strong>r<br />

Organisationsgrad von rund 33% im Jahr 1991 auf 22,5% im Jahr 2000 gesunken.<br />

Die Erwerbslosigkeit ist für die hohen Mitglie<strong>de</strong>rverluste vor allem in <strong>de</strong>n<br />

neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn verantwortlich. Zugleich liegt eine wesentliche Ursache <strong>de</strong>s<br />

Mitglie<strong>de</strong>rschwunds in <strong>de</strong>n Schwierigkeiten, jüngere Mitglie<strong>de</strong>r zu gewinnen. Wie<br />

an<strong>de</strong>ren Großorganisationen geht auch <strong>de</strong>n Gewerkschaften allmählich die Jugend<br />

aus. 518 068 junge Menschen, d.h. 6,7 Prozent aller DGB­Mitglie<strong>de</strong>r, zählen<br />

heute noch zur Gewerkschaftsjugend. Neben <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Seniorenarbeit<br />

richten sich <strong>de</strong>shalb gewerkschaftliche Aktivitäten auf <strong>de</strong>n Jugendbereich. Einerseits<br />

wer<strong>de</strong>n hauptamtlich betreute Projekte initiiert, an<strong>de</strong>rerseits wird versucht,<br />

durch neuartige Angebote zum Engagement die freiwillige Mitwirkung zu för<strong>de</strong>rn.<br />

Einen Erfolg konnte damit zum Beispiel bereits die IG Metall verbuchen: erstmals<br />

seit Anfang <strong>de</strong>r 90er Jahre konnten sie einen Zuwachs neu aufgenommener jugendlicher<br />

Mitglie<strong>de</strong>r verbuchen (32.556 im Jahr 2001 gegenüber noch 23.693 im<br />

Jahr 1996 (Quelle: IG Metall, Abt. Jugend). Dies lässt sich auf verstärkte Anstrengungen<br />

im betrieblichen Bereich zurückführen, aber auch auf eine Ausweitung <strong>de</strong>r<br />

jugendspezifischen Projekte ehrenamtlichen Engagements.<br />

Ein wichtiges Handlungsfeld stellt insgesamt die außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit<br />

dar. Sie konkretisiert sich in <strong>de</strong>n ehrenamtlichen DGB­<br />

Kreisverwaltungen <strong>de</strong>r „vierten Ebene“, aber auch darin, dass beispielsweise die<br />

IG Metall eine Abteilung in <strong>de</strong>r Vorstandsverwaltung unter dieser Bezeichnung<br />

eingerichtet hat. Neben <strong>de</strong>r Senioren­ und Arbeitslosenarbeit fin<strong>de</strong>n sich <strong>hier</strong><br />

neue Formen <strong>de</strong>r Einbeziehung ehrenamtlich Engagierter in Jugend­ und Kulturprojekten<br />

sowie in <strong>de</strong>r „Wohngebietsarbeit“(vgl. Hielscher 1999; IG Metall 2001),<br />

die als „zweites Standbein“<strong>de</strong>r gewerkschaftlichen Organisation verstan<strong>de</strong>n wird,<br />

das überwiegend von Ehrenamtlichen getragen wird.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>s Rückgangs <strong>de</strong>r betrieblich angebun<strong>de</strong>nen Mitglie<strong>de</strong>r durch<br />

Arbeitslosigkeit und Verrentung wird die Wohngebietsarbeit von <strong>de</strong>r IG Metall als<br />

<strong>de</strong>zentrale Verwaltungsstruktur vor allem in jenen Gebieten geför<strong>de</strong>rt, in <strong>de</strong>nen<br />

die (potentiellen) Mitglie<strong>de</strong>r in beson<strong>de</strong>rs hohem Ausmaß nicht o<strong>de</strong>r nicht mehr<br />

betrieblich angebun<strong>de</strong>n sind und wo Traditionen <strong>de</strong>r Ortsgebietsarbeit vorhan<strong>de</strong>n<br />

sind, an welche angeknüpft wer<strong>de</strong>n kann. Sie konzentriert sich <strong>de</strong>shalb gegenwärtig<br />

vor allem auf die neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r. Ehrenamtliche Wohnbereichs­<br />

Vertrauensleute sollen eine bürger­ und mitglie<strong>de</strong>rnahe Infrastruktur gewährleisten.<br />

Die Ziele richten sich auf <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rbestand <strong>de</strong>r Organisation, aber auch<br />

auf eine Vernetzung von gewerkschafts­ und kommunalpolitischen Themen, z.B.


­ 191 ­<br />

durch ein Beratungsangebot, sowie von inner­ und außerbetrieblichen Interessen<br />

und Aktionen. Hierfür wer<strong>de</strong>n an Mo<strong>de</strong>llstandorten (u. a. Bautzen und Rostock)<br />

infrastrukturelle Voraussetzungen bereitgestellt (Büroräume mit technischer Ausstattung)<br />

und Qualifizierungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche angeboten.<br />

Ein weiteres Kennzeichen <strong>de</strong>r außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit besteht<br />

in projektbezogenen Aktivitäten. Diese setzen nicht unbedingt die Mitgliedschaft<br />

<strong>de</strong>r Teilnehmer in <strong>de</strong>r Gewerkschaft voraus, sind aufgabenorientiert und<br />

nicht an die Beteiligung an Gremien gebun<strong>de</strong>n. Sie entsprechen in so fern am<br />

ehesten <strong>de</strong>n Merkmalen <strong>de</strong>r „neuen Ehrenamtlichkeit“. Hier fin<strong>de</strong>n sich etwa die<br />

„B­Teams“<strong>de</strong>r IG Metall: Ehrenamtliche Gewerkschaftsbeauftragte, in <strong>de</strong>r Regel<br />

aus <strong>de</strong>m Arbeitsleben ausgeschie<strong>de</strong>ne Funktionsträger, sind zuständig für die<br />

Betreuung von Klein­, Mittel­ und Handwerksbetrieben, um dort Mitglie<strong>de</strong>r zu werben<br />

und zu betreuen sowie Organisationsstrukturen zu etablieren. Aus einer Initiative<br />

von Senioren <strong>de</strong>r Verwaltungsstelle Hannover hervorgegangen, haben sich<br />

in mehreren Regionen inzwischen solche Strukturen entwickelt.<br />

Jugendprojekte bil<strong>de</strong>n einen zweiten wichtigen Schwerpunkt projektbezogener<br />

ehrenamtlicher Gewerkschaftsarbeit. Von <strong>de</strong>r Gewerkschaft initiiert o<strong>de</strong>r in<br />

Kooperation mit ihr wer<strong>de</strong>n Projekte mit einem weiteren Themen­ und Aktivitätshorizont<br />

angeboten. Beispiele: In Mecklenburg­Vorpommern bieten beispielsweise<br />

Unterglie<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s von mehreren Gewerkschaften getragenen „Dau Wat<br />

e.V.“Beratung, Bildung und Aktivitätsangebote für arbeitslose Jugendliche an. Im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s „Aktionsbündnisses gegen rechts“organisiert das Projekt „Strandgut<br />

2001“in Trägerschaft <strong>de</strong>r DGB­Jugend Freizeit­ und Bildungsaktivitäten. Das internationale<br />

Jugendprojekt „Xelonanani“wird von <strong>de</strong>r IG Metall­Jugend angeboten.<br />

Einmal jährlich fährt eine Gruppe – nach Vorbereitungsseminaren – an <strong>de</strong>n<br />

Standort <strong>de</strong>s südafrikanischen VW­Werkes in Soweto, um <strong>de</strong>n Bewohnern beim<br />

Aufbau ihres Wohnviertels zu helfen (vgl. zu <strong>de</strong>n Beispielen die ausführlichen<br />

Darstellungen in <strong>de</strong>n Kapiteln 3, 4 und 5 dieses <strong>Berichts</strong>).<br />

6.3 Voraussetzungen <strong>de</strong>r Engagementför<strong>de</strong>rung (Thesen und Empfehlungen)<br />

Jürgen Wolf<br />

Einige Folgerungen aus <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>r Untersuchung lassen sich in<br />

Thesen zusammenfassen, die zugleich <strong>de</strong>n Charakter praktisch umsetzbarer<br />

Empfehlungen haben.<br />

• Im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>s gewerkschaftlichen Han<strong>de</strong>lns muss die Gesamtheit <strong>de</strong>r<br />

Mitglie<strong>de</strong>r stehen, nicht nur die Gruppe <strong>de</strong>r Erwerbstätigen. Dies be<strong>de</strong>utet eine<br />

Öffnung in Richtung <strong>de</strong>s allgemeinen Gemeinwohls und <strong>de</strong>r Lebenslagen <strong>de</strong>r<br />

Mitglie<strong>de</strong>r in ihren Rollen als Mitbürger, Mieter, Konsumenten, Abhängige von<br />

Sozialsystemen. Die Gewerkschaft kann damit ihren Partikularismus aufbrechen<br />

und ten<strong>de</strong>nziell eine Rolle als „Bürger­Gewerkschaft“gewinnen.<br />

Die „Gesamtheit <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r“umfasst auch jene Mitglie<strong>de</strong>r, welche ­ aufgrund<br />

von Erwerbslosigkeit, Ruhestand o<strong>de</strong>r einer Beschäftigung in Kleinbetrieben<br />

– ohne betriebliche Anbindung sind. Die IG Metall hat diesen Grundsatz<br />

beispielsweise bereits in ihrer Satzung verankert (§ 2.1). Ehrenamtliches


­ 192 ­<br />

Engagement kann dazu beitragen, dass Beteiligungsstrukturen aufgebaut<br />

wer<strong>de</strong>n, welche diesen Mitglie<strong>de</strong>rn größere Mitspracherechte erlauben. Die<br />

Wohngebietsarbeit, die in <strong>de</strong>r Untersuchung ausführlich dargestellt wur<strong>de</strong>, ist<br />

beispielsweise ein Ansatz, <strong>de</strong>r diesem Ziel entspricht. Eine Beteiligungsorientierung<br />

setzt jedoch eine Ausweitung <strong>de</strong>r Betreuung voraus.<br />

• Ehrenamtliches Engagement be<strong>de</strong>utet nicht nur außerbetriebliches Engagement.<br />

Betriebliches und außerbetriebliches Engagement ergänzen sich. Die<br />

För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s freiwilligen Engagements ist auch eine Frage <strong>de</strong>r Tarif­, Arbeits­<br />

und Arbeitszeitpolitik (Freistellungsregelungen, Anerkennung freiwilligen<br />

Engagements als Arbeit, Anerkennung von Qualifikationen, die in freiwilliger<br />

Arbeit erworben wer<strong>de</strong>n).<br />

Diese These ergibt sich indirekt aus <strong>de</strong>n Forschungsergebnissen. So sehr außerbetriebliche<br />

Gewerkschaftsarbeit för<strong>de</strong>rungswürdig ist, so sehr muss <strong>de</strong>r<br />

Ten<strong>de</strong>nz entgegengewirkt wer<strong>de</strong>n, dass sie sich von <strong>de</strong>r betrieblichen Arbeit<br />

separiert. Zum einen wür<strong>de</strong>n dann die realen Wechselbeziehungen ausgeblen<strong>de</strong>t,<br />

zum an<strong>de</strong>ren wäre die Entwicklung eines Gefälles zu befürchten, das<br />

die außerbetriebliche Arbeit schnell wie<strong>de</strong>r in eine untergeordnete Position<br />

drängen wür<strong>de</strong>. Bei<strong>de</strong> Engagementformen beeinflussen sich. Betriebliche<br />

Freistellungsregelungen ermöglichen außerbetriebliches Engagement.<br />

Zugleich könnten die betrieblichen Akteure dabei mitwirken, dass freiwilliges<br />

Engagement – im Sinne <strong>de</strong>r „corporate citizenship“– sich innerbetrieblich<br />

„auszahlt“, in<strong>de</strong>m erworbene Qualifikationen auch beruflich eingesetzt und anerkannt<br />

wer<strong>de</strong>n und das außerbetriebliche Engagement ein karriereför<strong>de</strong>rliche<br />

Auswirkungen erhält.<br />

• Freiwilliges Engagement und Erwerbsarbeit stehen in einem wechselseitigen<br />

Abhängigkeitsverhältnis. Männern kann ein Hinüberwechseln von <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit<br />

in die Familie und Frauen ein Hinüberwechseln in umgekehrter<br />

Richtung erleichtert wer<strong>de</strong>n. Ehrenamtliches Engagement kann eine Brücke<br />

bauen, die aus <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit in die Erwerbsarbeit führt.<br />

Diese These steht im engen Zusammenhang mit <strong>de</strong>r vorangegangenen. In<br />

Zeiten hoher Arbeitslosigkeit klingt sie illusionär. Im Zusammenhang mit einer<br />

betrieblichen Aufwertung <strong>de</strong>s außerbetrieblichen Engagements gewinnt sie jedoch<br />

an Realitätsgehalt. Die beruflich Anerkennung <strong>de</strong>s freiwilligen Engagements<br />

kann dazu beitragen, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – zum<br />

Beispiel bei <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rerziehung – egalitärer zu gestalten. Sie kann umgekehrt<br />

<strong>de</strong>n Anspruch von Frauen in <strong>de</strong>r Erziehungsphase auf eine Beschäftigung<br />

ver<strong>de</strong>utlichen. Denkbar wären <strong>hier</strong>für beispielsweise flexible Regelungen für<br />

eine befristete (teilweise) Freistellung nach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Job Sharing.<br />

• Die Wirksamkeit <strong>de</strong>s ehrenamtlichen Engagements beruht auf <strong>de</strong>r Integration<br />

mit (ehemaligen) gewerkschaftlichen Funktionsträgern, also auf <strong>de</strong>r Kombination<br />

von Engagement und Professionalität. Dies erfor<strong>de</strong>rt Sensibilisierung,<br />

Qualifizierung und erweiterte Aufgaben<strong>de</strong>finition <strong>de</strong>r Hauptamtlichen.


­ 193 ­<br />

Freiwillige, ehrenamtliche Tätigkeit darf nicht allein auf <strong>de</strong>n Schultern <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen<br />

ruhen. Wie die Fallstudien gezeigt haben, gelingt das ehrenamtliche<br />

Engagement dort am ehesten, wo professionelle Flankierung und materielle<br />

Unterstützung vorhan<strong>de</strong>n sind. Das be<strong>de</strong>utet, das die Hauptamtlichen<br />

qualifiziert wer<strong>de</strong>n müssen, die ehrenamtlichen Projekte kompetent zu betreuen.<br />

Das be<strong>de</strong>utet auch, dass Ressourcen bereitgestellt wer<strong>de</strong>n müssen – ehrenamtliches<br />

Engagement bedarf professioneller Unterstützung, für die ein<br />

entsprechen<strong>de</strong>s Budget zur Verfügung stehen muss.<br />

• Auch die ehrenamtlich Engagierten müssen sich neue Kompetenzen aneignen.<br />

Die Qualifizierung <strong>de</strong>r Engagierten ist <strong>de</strong>shalb eine wichtige Aufgabe, ohne<br />

das die freiwillige Arbeit sich zum Ersatz für die Arbeit <strong>de</strong>r Hauptamtlichen<br />

entwickelt. Zugleich ist <strong>de</strong>r Rückfluss dieser Kompetenzen in die Organisation<br />

sicherzustellen, <strong>de</strong>nn die freiwillig Engagierten verfügen über eigene, nicht zu<br />

ersetzen<strong>de</strong> Erfahrungen.<br />

Die Interviews und Gruppendiskussionen haben gezeigt, dass die freiwillig<br />

Engagierten ein großes Interesse an professioneller Qualität ihrer Arbeit haben,<br />

um darüber die Wirksamkeit ihres Engagements sicherstellen zu können.<br />

Vergleichbar mit <strong>de</strong>n Betriebsräteseminaren wäre <strong>de</strong>shalb ein Bildungs­ und<br />

Qualifizierungsangebot für die Ehrenamtlichen in unkonventionellen Handlungsfel<strong>de</strong>rn<br />

sinnvoll. Die Unterstützung <strong>de</strong>s Qualifizierungsinteresses – auch<br />

beispielsweise durch die anteilige Kostenübernahme für externe Angebote –<br />

dürfte als Motivationsanreiz dienen, welcher nicht nur die Qualität <strong>de</strong>r ehrenamtlichen<br />

Arbeit sicherstellen, son<strong>de</strong>rn auch die Bereitschaft zum Engagement<br />

erhöhen könnte.<br />

• Den Engagierten kann <strong>de</strong>r Vorteil <strong>de</strong>r Zugehörigkeit zu einem großen Verband<br />

praktisch erfahrbar wer<strong>de</strong>n, wenn die Organisation im Umgang mit <strong>de</strong>n<br />

ehrenamtlich Engagierten <strong>de</strong>n Leitlinien <strong>de</strong>r Befähigung und <strong>de</strong>s Empowerments<br />

folgt.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re die Fallstudien zur Jugendarbeit haben gezeigt, dass die Zugehörigkeit<br />

zu einem großen Verband von Jugendlichen positiv eingeschätzt<br />

wird. Die Engagierten sind auch bereit, sich in <strong>de</strong>r Gremienarbeit zu beteiligen,<br />

sind dabei jedoch anspruchsvoll. Die praktische Arbeit <strong>de</strong>r Organisation muss<br />

mit <strong>de</strong>r politischen Programmatik übereinstimmen, und die Unterstützung<br />

durch <strong>de</strong>n Verband muss erkennbare Vorteile für die Wirksamkeit <strong>de</strong>s eigenen<br />

Han<strong>de</strong>lns und <strong>de</strong>r Erreichung seiner Ziele haben.<br />

• Ehrenamtliches Engagement bedarf einer adäquaten Anerkennung und Gratifikation.<br />

Die in <strong>de</strong>r Forschungsliteratur zum Teil konstatierte Ten<strong>de</strong>nz zum „bezahlten<br />

Ehrenamt“konnten wir in unseren Fallstudien nicht feststellen. Dies mag an<br />

<strong>de</strong>r Fallauswahl liegen. Dennoch ist die Anerkennung und Gratifikation <strong>de</strong>s<br />

Engagements in allen Fällen von großer Be<strong>de</strong>utung für die Motivation <strong>de</strong>r Engagierten.<br />

Ten<strong>de</strong>nziell zeigen die Fallstudien, dass Engagementformen mit<br />

bürgerschaftlichem Charakter eher symbolische bzw. i<strong>de</strong>elle Anerkennung<br />

präferieren, verbandliche Formen eher materielle. Insbeson<strong>de</strong>re bei Engage­


­ 194 ­<br />

mentformen mit Projektcharakter ist eine wirksame Anerkennung notwendig,<br />

um die Engagementbereitschaft nicht zu frustrieren, da die zeitliche Befristung<br />

jeweils eine neue Entscheidung für das Engagement erfor<strong>de</strong>rt. Materielle Anerkennung<br />

muss nicht Bezahlung <strong>de</strong>r Tätigkeit be<strong>de</strong>uten, aber zum Beispiel<br />

ein unbürokratisches Verfahren <strong>de</strong>r Aufwandsentschädigung, etwa durch ein<br />

flexibel handhabbares, selbstverwaltetes Budget statt <strong>de</strong>r zentralisierten Abrechnung<br />

über die Verwaltungsstelle. In ländlichen Gebieten entstehen beispielsweise<br />

zum Teil hohe Fahrtkosten, die für Geringverdiener zu einer spürbaren<br />

Belastung wer<strong>de</strong>n können.<br />

• Außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit steigert die politische Wirksamkeit <strong>de</strong>r<br />

Gewerkschaft. Engagementoptionen im sozialpolitischen Bereich wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n<br />

Bedürfnissen <strong>de</strong>r Engagierten gerecht, stärken die Bindung an die Organisation,<br />

motivieren zu zusätzlichem gewerkschaftspolitischem Engagement und<br />

können Mitglie<strong>de</strong>rgewinne bewirken.<br />

Die Fallstudien zu <strong>de</strong>n Kooperationsprojekten (Dau Wat, AGE, StrandGut u.a.)<br />

zeigen, dass die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Engagements für allgemeine Interessen das<br />

Image <strong>de</strong>r Gewerkschaft stärkt und die Engagementbereitschaft auch bei<br />

Nicht­Mitglie<strong>de</strong>rn för<strong>de</strong>rt. Dasselbe gilt für die Wohngebietsarbeit. Betreuung<br />

und Beratung in sozialen Fragen und Engagement für lokale Anliegen min<strong>de</strong>rn<br />

die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Organisation als bürokratisches Gebil<strong>de</strong>, schaffen Nähe<br />

zum Mitglied und potentiell die Mitwirkungsbereitschaft. Eine kritische Frage<br />

ist <strong>hier</strong>bei, ob es Personen, die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis<br />

stehen – Senioren, Jugendliche, Hausfrauen – möglich ist, Mitglied zu wer<strong>de</strong>n.<br />

• Außerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit erfor<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n Abbau von Konkurrenz<br />

und <strong>de</strong>n Ausbau von Kooperation zwischen <strong>de</strong>n Einzelgewerkschaften und<br />

von Gewerkschaften und an<strong>de</strong>ren Gruppierungen.<br />

Je allgemeiner die Anliegen sind, die mit <strong>de</strong>m ehrenamtlichen Engagement<br />

verfolgt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>sto weniger lassen sie sich als allein einzelgewerkschaftliche<br />

Aufgaben <strong>de</strong>finieren. Kooperationsprojekte fin<strong>de</strong>n sich beispielsweise in<br />

<strong>de</strong>r Jugend­ und Erwerbslosenarbeit, weniger dagegen im Seniorenbereich.<br />

Dies ist in sofern sinnvoll, als die Engagementinteressen Jugendlicher stärker<br />

„bürgerschaftlichen“Charakter und Bezug zu „allgemeinen“Interessen aufweisen.<br />

In <strong>de</strong>r Seniorenarbeit besteht die hauptsächliche Quelle <strong>de</strong>r Engagementbereitschaft<br />

in <strong>de</strong>r Organisationserfahrung und Bindung an die Organisation.<br />

Je größer jedoch die Öffnung zu allgemeinen Fragen – etwa <strong>de</strong>s Wohngebiets<br />

– wird, <strong>de</strong>sto eher wird eine Koordinierungsstruktur für die einzelgewerkschaftlichen<br />

Aktivitäten sinnvoll. Hierin könnte beispielsweise eine produktive<br />

Aufgabe für die ehrenamtlichen DGB­Regionen bestehen.


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­ 205 ­<br />

Anhang<br />

Anhang 1: Fragebogen, Teil 1<br />

Anhang 2: Fragebogen, Teil 2<br />

Anhang 3: Übersicht über ehrenamtliche Projekte <strong>de</strong>r IG Metall, IG BAU,<br />

IG BCE und ver.di (schriftliche Befragung <strong>de</strong>r Verwaltungsstellen<br />

/ Bezirksverwaltungen)<br />

Anhang 4: Leitfa<strong>de</strong>n für Experteninterviews im Teilfeld „Gewerkschaften“<br />

Anhang 5: Leitfa<strong>de</strong>n für Experteninterviews im Teilfeld „Bürgerschaftliches<br />

Engagement“<br />

Anhang 6: Co<strong>de</strong>system <strong>de</strong>r Interviewauswertung mit WinQDA<br />

Anhang 7: Skizze <strong>de</strong>r Fallstudie Küste<br />

Anhang 8: Skizze <strong>de</strong>r Fallstudie Stuttgart / Esslingen<br />

Anhang 9: Skizzen <strong>de</strong>r Gruppendiskussionen mit Jugendlichen


­ 206 ­

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