Titel - Justament
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<strong>Titel</strong><br />
Pflicht- und Strafverteidigung<br />
aus Leidenschaft<br />
Es gibt Anwälte, die ihren Beruf nur aus Verlegenheit ausüben. Das trifft auf Rechtsanwältin<br />
Seyran Ateş jedoch ganz bestimmt nicht zu.<br />
Andrea Frank<br />
Seyran Ateş, seit fast acht Jahren Strafverteidigerin<br />
in Berlin, übt ihren Beruf<br />
aus Überzeugung aus. Nicht umsonst bedeutet<br />
ihr türkischer Name Ateş übersetzt<br />
„Feuer“. Selbst dem, der nicht in diesem<br />
Sinne abergläubig sein möchte, sei versichert:<br />
Hier ist „nomen“ tatsächlich<br />
„omen“. Bereits die Art, mit der Rechtsanwältin<br />
Ateş auf die ihr gestellten Fragen<br />
antwortete, ließ ahnen, mit welch´ feurigen<br />
Einsatz sie sich sonst auch für<br />
ihre Mandanten und Mandantinnen ins<br />
Zeug legt.<br />
Die prägende Kindheit<br />
Im Alter von sechs Jahren mit ihren Eltern<br />
und zwei Geschwistern aus der Türkei<br />
nach Berlin gekommen war, hat sie sich<br />
bereits in der Schule nicht „die Butter vom<br />
Brot nehmen lassen“.<br />
Sie setzte<br />
sich von Anfang<br />
an für die Rechte<br />
der anderen ein:<br />
Lange Zeit war sie Schulsprecherin. Darüber<br />
hinaus war sie in der Familie zuständig<br />
für Übersetzungen der Behördenschreiben,<br />
mit denen Eltern und Verwandte konfrontiert<br />
wurden. Da sich ihre Fähigkeiten im<br />
Umgang mit dem oft unverständlichen Beamtendeutsch<br />
wie ein Lauffeuer herumsprachen,<br />
wurde sie bei ihren türkischen<br />
Landsleuten eine vielfrequentierte Instanz<br />
bei der Abwicklung von Korrespondenz<br />
mit Ausländerämtern und Behörden. Seyran<br />
Ateş Feuer für die Juristerei wurde vor<br />
allem dadurch entfacht, als sie bemerkte,<br />
dass die Leute sich oft einfach beugten,<br />
weil sie sich rechtlos fühlten. Diesen Zustand<br />
konnte sie nicht akzeptieren. Kein<br />
Wunder also, dass für Seyran Ateş schon<br />
mit fünfzehn feststand, dass sie Rechtsanwältin<br />
werden würde. Für Frau Ateş gibt es<br />
bis heute nichts Schlimmeres als Rechte zu<br />
haben und diese nicht zu kennen. Denn zu<br />
oft musste sie erleben, wie Frauen wegen<br />
dieser Unkenntnis litten.<br />
Traumberuf Strafverteidigerin<br />
1997 war es dann soweit. Das Zeugnis des<br />
zweiten Examens in der Tasche beantragte<br />
sie sofort ihre Zulassung als Anwältin und<br />
machte sich ohne große Umschweife auf<br />
die Suche nach geeigneten Räumen. „Ich<br />
fuhr nicht erst in Urlaub sondern fing<br />
gleich an. Schliesslich warteten unzählige<br />
Leute seit Jahren darauf, dass ich sie als<br />
Anwältin endlich vertreten durfte.“<br />
Bereits während des gesamten Referendariats<br />
arbeitete sie zwei Jahre bei einem<br />
Freund in der Kanzlei und verdiente sich<br />
hierdurch schon einen guten Ruf. Durch<br />
ihre tägliche intensive Arbeit in der Kanzlei<br />
lernte sie schnell kennen, was praktische<br />
anwaltliche Tätigkeit bedeutet. Diesen<br />
Pluspunkt kann sie heute gar nicht hoch<br />
genug einschätzen. Darüber hinaus war sie<br />
im Referendariat und auch schon während<br />
des Studiums gefragte Beraterin in Frauenberatungsstellen<br />
und machte daneben<br />
Übersetzungen für türkische Frauen. Hierdurch<br />
wurde sie<br />
„Ich fuhr nicht erst in Urlaub, sondern fing<br />
gleich an. Schließlich warteten unzählige<br />
Leute seit Jahren darauf, dass ich sie als Anwältin<br />
endlich vertreten durfte.“<br />
frühzeitig mit<br />
den spezifischen<br />
Problemen der<br />
Frauenrechte<br />
vertraut gemacht. Seyran Ateş war also<br />
durchaus keine Unbekannte mehr, als sie<br />
dann in Berlin ihre eigene Kanzlei eröffnete.<br />
Frau Ates, wie sind Sie als Frau dazu<br />
gekommen, Strafverteidigerin zu werden?<br />
Immerhin ist dies ein Bereich, der nach<br />
wie vor männerdominiert ist .<br />
Seyran Ates: „Ja, das stimmt, es gibt<br />
wenige Frauen, die sich auf das glatte Eis<br />
des Strafrechts wagen. Ich bin allerdings<br />
zum Strafrecht gekommen wie die Jungfrau<br />
zum Kinde. Ursprünglich habe ich<br />
mich mit Zivilrecht beschäftigt. Auch während<br />
meiner Ausbildung war dies mein<br />
Schwerpunkt. Ich habe sogar bei einer<br />
Mietergemeinschaft<br />
gearbeitet.<br />
Während<br />
des Referendariats<br />
war mein<br />
Wahlfach dann Wettbewerbs- und Kartellrecht.<br />
Nach einer Weile des Alleinwirkens<br />
beschloss ich dann aber, eine Kollegin für<br />
den Bereich Strafrecht mit in die Kanzlei<br />
zu nehmen. Ich begann also - noch bevor<br />
diese Kollegin bei mir anfing - Mandanten<br />
zu akquirieren. Im Zuge dessen bekam ich<br />
einige Akten zu Gesicht und merkte bald,<br />
dass ich es mit einer äusserst spannenden<br />
Materie zu tun hatte. Innerhalb relativ<br />
kurzer Zeit arbeitete ich mich in das Strafrecht<br />
ein. Ich würde sagen, das Strafrecht<br />
hat mich `angesprungen`.“<br />
Frau Ateş erklärt, was ihr besonders an<br />
der Tätigkeit als Strafverteidigerin gefällt:<br />
„Es ist vor allem auch die Abwechslung.<br />
Jeden Tag nur Akten hinter´m Schreibtisch<br />
zu wälzen ist auf die Dauer nicht so spannend.<br />
Mir gefällt es, unterwegs zu sein,<br />
auch die häufigen Besuche im Gefängnis.<br />
Insgesamt ist der Ablauf abwechslungsreicher<br />
als bei „normalen“ Zivilrechtsfällen.<br />
Hinter so gut wie jedem strafrechtlichen<br />
Fall versteckt sich eine interessante Lebensgeschichte.<br />
Das reizt mich besonders.“<br />
Umgekehrt gibt Frau Ateş aber auch<br />
zu, dass die Mandanten im Strafprozess<br />
oft schwieriger sind als ihre Pendants im<br />
Zivilprozess. Dies sei aber auch gut nachvollziehen.<br />
Denn angesichts der Lebensabgründe<br />
in die diese manchmal blicken<br />
müssten, könne eben nicht immer nur<br />
Harmonisches und Gutes zum Vorschein<br />
kommen. Doch die Rechtsanwältin lässt<br />
sich davon nicht abgeschrecken, sondern<br />
empfindet es als Herausforderung, neben<br />
ihren juristischen auch ihre psychologischen<br />
Fähigkeiten einzusetzen zu können<br />
und diese noch weiter zu entwickeln. Insgesamt<br />
fühlt sie sich von der Abwechslung<br />
und Tiefe, die ihr ihre Rolle als Strafverteidigerin<br />
bietet, für diese zusätzlichen<br />
Mühen entschädigt.<br />
Gibt es Fälle, die Sie auf keinen Fall annehmen<br />
würden?<br />
Klar und bestimmt antwortet sie auf<br />
diese Frage: „Ja. keine Vergewaltigung,<br />
„Ein guter Strafverteidiger sollte ruhig selbst<br />
eine gesunde Portion Neurose mitbringen und<br />
ein bisschen verrückt sein.“<br />
keine Gewalt<br />
gegen Frauen und<br />
keinen Missbrauch<br />
an Frauen und vor<br />
allem Kindern.“<br />
Hier könne sie nicht die nötige Distanz<br />
aufbauen. Ausserdem könne sie ein entsprechendes<br />
Mandat auf gar keinen Fall<br />
mit ihrem eigenen Weltbild vereinbaren.<br />
Grundsätzlich sei es Frau Ateş aber<br />
noch nie passiert, dass sie einen Fall von<br />
vornherein abgelehnt hätte. Nur einmal<br />
8<br />
justament dezember 2002