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# 1 2010 - Kaltstart Hamburg

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„Jeder Satz macht Welt“<br />

das<br />

Interview<br />

Alexander Riemenschneider (AR) und Tobias<br />

Vethake (TV) gehören zu einer Gruppe, die am<br />

Dienstag (13.07.) um 21.30 im Haus III&70 in<br />

einem improvisierten Diaabend Nostalgie und<br />

die Konstruktion von Vergangenheit untersuchen.<br />

Die lose Gruppe kennt sich aus anderen<br />

Arbeitszusammenhängen, kommt hier nun<br />

aber für den „Diaabend mit Freunden“ zu einer<br />

Improvisationspremiere zusammen. Die KFZ<br />

traf den Regisseur und den Theatermusiker in<br />

Berlin.<br />

meine kleine Heimorgel mitnehmen, ansonsten das übliche:<br />

Gitarre, Melodika, Glockenspiel … Ich beschäftige mich<br />

schon seit einer Weile mit Live-Loopen. Das werde ich beim<br />

Diaabend sicher auch anwenden, auch wenn ich vermutlich<br />

oft schnell abbrechen und etwas Neues entstehen lassen<br />

muss.<br />

KFZ „Diaabend mit Freunden“, das klingt gleichzeitig einfach<br />

und geheimnisvoll. Was steckt dahinter?<br />

AR Wir waren während des Studiums in <strong>Hamburg</strong> auf der<br />

Suche nach Requisiten und sind dabei in ein Haushaltsauflösungsgeschäft<br />

geraten. Da gab es ein Regal mit Dia-Boxen,<br />

Urlaubsdias aus den 50er und 60er Jahren. Die haben<br />

natürlich sofort jede Menge Assoziationen ausgelöst. Sie zu<br />

betrachten, fühlte sich einerseits voyeuristisch an, andererseits<br />

machte es aber auch extrem neugierig. Die Dias<br />

haben wir dann zwar dagelassen, aber das Gefühl haben wir<br />

mitgenommen.<br />

KFZ Ziel eurer Improvisation wird es sein, mit willkürlich<br />

ausgewählten Urlaubsdias völlig Fremder Geschichten zu<br />

erzählen. Habt ihr die Dias vorher wirklich nie gesehen?<br />

AR Die paar Dias, die ich gesehen habe, erzählen von einer<br />

Zeit, in der Leute ihren ersten Urlaub machen, mit ihrem<br />

ersten Auto, zum ersten Mal nach Italien. Alles ist unter<br />

dem Geist von „Es wird immer mehr“. Überall ist Aufbruch<br />

und Wirtschaftswunder. Wir kommen aber aus einer Zeit,<br />

wo, wenn es denn überhaupt etwas gibt, was uns verbindet,<br />

es das Gefühl ist: „Es wird immer weniger“. Was ja nicht<br />

schlimm ist, aber es ist etwas anderes. Das könnte ein spannender<br />

Gegensatz sein.<br />

KFZ Wie funktioniert eure Improvisation genau? Und wie<br />

arbeitet eure Gruppe zusammen?<br />

AR Wir sind zwei Musiker und vier Spieler und den Rest<br />

müssen wir noch herausfinden. Wir werden die Dias, wie<br />

gesagt, vorher nicht gesehen haben, und auch die Reihenfolge<br />

einem Zufallsprinzip überlassen. Einer unserer gemeinsamen<br />

Nenner ist, dass es immer um die Behauptung von<br />

Authentizität geht: Ich zeige euch, wie etwas gemacht ist,<br />

dass es eine totale Behauptung ist, und daraus entsteht wiederum<br />

eine ganz merkwürdige Form von Authentizität.<br />

So kam der Gedanke zustande, dass man diese Dias nehmen<br />

muss, um einen eigenen Urlaub zu erzählen.<br />

KFZ Wie wird die musikalische Gestaltung aussehen?<br />

TV Ich überlege mir gerade, welche Instrumente ich mitnehme.<br />

Weil es ein „Diaabend“ ist, werde ich zum Beispiel<br />

KFZ Gibt es inhaltliche Vorgaben?<br />

TV Inhaltlich ist alles offen. Wir haben das in der Vorbesprechung<br />

ganz drastisch formuliert: Das könnte der fröhliche<br />

Familienurlaub werden, aber auch der Urlaub, wo das Kind<br />

missbraucht wird. Da ist die Musik wichtig, um das Kippen<br />

einer Situation darzustellen. Sie soll nicht nur schmückendes<br />

Beiwerk sein, nach dem Motto: Wir machen die<br />

schönsten Urlaubsmelodien und das wars dann.<br />

KFZ Es gibt aber keine reale gemeinsame Erinnerung?<br />

AR Es wird einen total erfundenen Urlaub geben. Was mir<br />

hier und auch bei normalen Proben wichtig ist, ist das ständige<br />

Ja-Sagen zum Input des Anderen. Wenn einer sagt: Ah,<br />

da sind Uwe und Gerda auf dem Dia, dann ist das erstmal so<br />

gesetzt. Eigentlich tun diese Sätze so, als würden sie eine<br />

Welt nacherzählen, aber eigentlich erschaffen sie sie erst.<br />

Jeder Satz macht Welt. Es gibt auch eine philosophische<br />

Komponente dahinter: Wie spricht man über Vergangenheit?<br />

Man kennt das selbst, einen Tag nach dem Urlaub<br />

beginnt man sich gegenseitig zu korrigieren, auszubessern,<br />

zu konkretisieren.<br />

KFZ Könnt ihr noch was zu den „Freunden“ im Titel der Improvisation<br />

sagen?<br />

AR (lacht) Banaler geht’s eigentlich gar nicht: Dieser Diaabend<br />

ist ein Abfallprodukt oder eher noch, ein Anfallprodukt,<br />

etwas, das angefallen ist. Dass wir nicht wissen, was<br />

an diesem Abend passieren wird, kann nur so sein, weil wir<br />

Freunde sind.<br />

TV Eine Gefahr dabei ist, dass wir ins Insidern kommen.<br />

Nach dem Motto: Wir sind ein paar Buddies, die nehmen sich<br />

ein Bier und machen sich lustig über so Bilder. Das kann<br />

schnell passieren, gerade, wenn man sich gut versteht und<br />

halt auch gerne miteinander lacht. Aber das ist irgendwie<br />

auch das Schöne: Improvisation ist riskant. Es kann in die<br />

Hose gehen. Das kann man sich sonst nicht so oft erlauben.<br />

Da ist <strong>Kaltstart</strong> natürlich ein guter Rahmen.<br />

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